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Die psychische Situation von Müttern nach der Geburt eines Kindes - eine Vergleichsstudie von Frauen mit unterschiedlichen Geburtsverläufen

©2007 Diplomarbeit 90 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Es mag anfänglich etwas seltsam wirken, manchem scheint es auch exotisch vorkommen, dass gerade ich als Mann und Vater eine Studie veröffentliche, die sich mit der psychischen Situation von Frauen nach der Geburt befasst. Doch oft ist es im Leben so, dass man erst dann die Feinheiten einer bestimmten Begebenheit kennenlernt, wenn man mit ihr konfrontiert wird. Und manchmal kommt dann eins zum anderen und etwas Neues entsteht. So erlebte ich die Kaiserschnittgeburt meines ersten Sohnes, die jedoch so, wie sie ablief, nicht geplant war. Es war ein Kaiserschnitt, der sich unter der Geburt ankündigte. Damit gehört er in die Gruppe der Sekundärkaiserschnitte. Meine Frau und ich waren glücklich, unser Kind in den Armen halten zu können. Es war ein wunderbarer Moment. Die Trauer über den Ablauf und die Wut über die fehlende Betreuung durch das Klinikpersonal verblassten, verschwanden jedoch nie. Knapp ein Jahr später wurde meine Frau erneut schwanger, und es stand von vornherein fest, dass eine Krankenhausgeburt nicht in Frage kommt. Aber mit der Hausgeburt unseres zweiten Sohnes entstanden neue Gedanken. Diese Geburt war für meine Frau eine Art Wiedergutmachung des ersten Geburtserlebnisses, es entstanden aber auch Schuldgefühle dem Erstgeborenen gegenüber, dem sie dieses Erlebnis nicht geben konnte.
Ähnliche Erlebnisse und Gefühle beschrieben mir auch andere Frauen, wenn wir uns über das Thema Geburt unterhielten. Da ich in dieser Zeit mitten in meinem Psychologiestudium steckte, entstand die Idee, mich im Rahmen meiner Diplomarbeit mit dieser Thematik näher zu befassen. Damit war der Weg bereitet für die nun vorliegende Arbeit, auf dem auch ich festgefahrene Sichtweisen ablegen musste.
Bei ersten Recherchen bekam ich immer wieder zu lesen, dass die Kaiserschnittrate in den letzten Jahren enorm gestiegen ist. Angesicht dessen erkannte ich die Aktualität, die diese Thematik mit sich bringt. Können psychische Erkrankungen der Mütter, wie Wochenbettdepressionen, in einem Zusammenhang gesehen werden, mit dem Geburtsverlauf, den sie erlebten?
Inhalt und Ziel dieser Arbeit bestehen darin, das psychische Befinden von Frauen nach einer Geburt unter dem Gesichtspunkt des Geburtsverlaufes zu betrachten. Dabei möchte ich keinesfalls die Notwendigkeit und die lebensrettende Funktion der Schnittgeburt absprechen. Vielmehr möchte ich für einen bedachten Umgang mit dieser Geburtsform sensibilisieren. Dies richtet sich vor allem an […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Christian Mundt
Die psychische Situation von Müttern nach der Geburt eines Kindes ­ eine
Vergleichsstudie von Frauen mit unterschiedlichen Geburtsverläufen
ISBN: 978-3-8428-1336-6
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2011
Zugl. Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland, Diplomarbeit, 2007
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2011

Inhaltsverzeichnis
I
Inhaltsverzeichnis
Danksagung ... 1
1
Einleitung... 2
2
Theorieteil... 4
2.1
Unterscheidung postpartaler psychischer Erkrankungen ... 4
2.1.1
Das postpartale Stimmungstief... 5
2.1.2
Die Wochenbettdepression... 6
2.1.3
Die Wochenbettpsychose... 7
2.2
Die postpartale Depression... 8
2.2.1
Die postpartale Depression ­ eine Sonderform der Depression? ... 8
2.2.2
Welche Faktoren begünstigen eine postpartale Depression? ... 10
2.2.3
Biochemische Modellvorstellung zur Entstehung postpartaler
Depressionen... 12
2.2.3.1
Funktionen des Hormons Progesteron ...12
2.2.3.2
Hormonelle Veränderungen während des Reproduktionszyklus ...13
2.2.3.3
Hormone als Auslöser postpartaler Depressionen...15
2.2.4
Psychodynamische Erklärungsansätze ... 16
2.2.5
Psychosoziale Betrachtungsweisen ... 17
2.2.6
Zusammenfassung ... 18
3
Die Kaiserschnittgeburt ... 19
3.1
,,Notausgang" ins Leben... 19
3.2
Die GEK-Kaiserschnitt-Studie ... 21
3.3
Trauma durch Sectio - körperliche und psychische Folgen... 24
4
Untersuchungsannahmen... 28
5
Methodenteil... 30
5.1
Aufbau des Fragebogens ... 30
5.1.1
Fragen zur Schwangerschaft und Geburt ... 30
5.1.2
Angewandte psychologische Tests ... 31
5.2
Beschreibung der Stichprobe ... 33

Inhaltsverzeichnis
II
5.3
Methodische Vorgehensweise... 34
6
Ergebnisse... 36
6.1
Auswertung der demographischen Daten ... 36
6.2
Geburtsmodus und erinnertes Schwangerschafts- und
Geburtserleben... 37
6.3
Geburtsmodus und körperliche und psychische
Folgeerscheinungen... 39
6.4
Geburtsmodus und postpartale psychische Beschwerden... 42
6.4.1
Geburtsmodus und Wochenbettdepression... 44
6.4.2
Geburtsmodus und postpartale Depression sowie Zustandsangst ... 46
6.5
Frühere psychische Erkrankungen und Geburtsmodus sowie
postpartale
psychische
Beschwerden ... 46
6.6
Persönlichkeitsfaktoren und Geburtsmodus... 48
6.7
Persönlichkeitsfaktoren und Wochenbettdepression bzw. postprtale
Depression ... 51
6.8
Geburtsmodus und körperliches und sexuelles Empfinden ... 53
7
Diskussion ... 55
7.1
Geburtsmodus und Schwangerschafts- bzw. Geburtserinnerungen.. 56
7.2
Geburtsmodus und postpartale körperliche sowie psychische
Folgeerscheinungen... 57
7.3
Geburtsmodus und postpartale Depressionen sowie postpartale
Ängste... 58
8
Resümee und Ausblick ... 61
9
Literaturverzeichnis... 63
10 Tabellenverzeichnis... 71
11 Anhang... 72

Danksagung
1
Danksagung
Im Vorfeld möchte ich mich bei all denen bedanken, die mir bei der Umsetzung der
Diplomarbeit mit Rat und Tat zur Seite standen.
Dank gebührt dem Hebammenteam und anderen Mitarbeitern des Geburtshauses
am Marienplatz Nr.2 in Leipzig, die durch ihre Kooperationsbereitschaft den Grundstock
für diese Arbeit bereithielten. Die Rede ist von den Müttern. Ihnen möchte ich ebenfalls
einen großen Dank zukommen lassen. Danke für ihr Engagement und Interesse sowie
vertrauensvollen Umgang mit einer sehr persönlichen Thematik.
Bedanken möchte ich mich auch bei meinen Betreuern, Prof. Dr. Harald Petermann
und Dr. Carola Freigang, deren hilfreiche Unterstützung zu manch neuen Denkanstößen
verholfen hat.
Dank gebührt auch Ulrike Schlase-Böhme, Leiterin der Leipziger Selbsthilfegruppe
des Vereins ,,Schatten und Licht e.V.", die eine vielfältige Literaturliste zu dieser Thematik
bereithielt.
Ich danke meiner Frau, meiner Familie, meinen Freunden und den Mitmenschen,
die durch ihr Interesse an dieser Arbeit zu einem guten Gelingen beigetragen haben.

Einleitung
2
1
Einleitung
Es mag anfänglich etwas seltsam wirken, manchem scheint es auch exotisch
vorkommen, dass gerade ich als Mann und Vater eine Studie veröffentliche, die sich mit
der psychischen Situation von Frauen nach der Geburt befasst. Doch oft ist es im Leben so,
dass man erst dann die Feinheiten einer bestimmten Begebenheit kennenlernt, wenn man
mit ihr konfrontiert wird. Und manchmal kommt dann eins zum anderen und etwas Neues
entsteht. So erlebte ich die Kaiserschnittgeburt meines ersten Sohnes, die jedoch so, wie sie
ablief, nicht geplant war. Es war ein Kaiserschnitt, der sich unter der Geburt ankündigte.
Damit gehört er in die Gruppe der Sekundärkaiserschnitte. Meine Frau und ich waren
glücklich, unser Kind in den Armen halten zu können. Es war ein wunderbarer Moment.
Die Trauer über den Ablauf und die Wut über die fehlende Betreuung durch das
Klinikpersonal verblassten, verschwanden jedoch nie. Knapp ein Jahr später wurde meine
Frau erneut schwanger, und es stand von vornherein fest, dass eine Krankenhausgeburt
nicht in Frage kommt. Aber mit der Hausgeburt unseres zweiten Sohnes entstanden neue
Gedanken. Diese Geburt war für meine Frau eine Art Wiedergutmachung des ersten
Geburtserlebnisses, es entstanden aber auch Schuldgefühle dem Erstgeborenen gegenüber,
dem sie dieses Erlebnis nicht geben konnte.
Ähnliche Erlebnisse und Gefühle beschrieben mir auch andere Frauen, wenn wir
uns über das Thema Geburt unterhielten. Da ich in dieser Zeit mitten in meinem
Psychologiestudium steckte, entstand die Idee, mich im Rahmen meiner Diplomarbeit mit
dieser Thematik näher zu befassen. Damit war der Weg bereitet für die nun vorliegende
Arbeit, auf dem auch ich festgefahrene Sichtweisen ablegen musste.
Bei ersten Recherchen bekam ich immer wieder zu lesen, dass die Kaiserschnittrate
in den letzten Jahren enorm gestiegen ist. Angesicht dessen erkannte ich die Aktualität, die
diese Thematik mit sich bringt. Können psychische Erkrankungen der Mütter, wie
Wochenbettdepressionen, in einem Zusammenhang gesehen werden, mit dem
Geburtsverlauf, den sie erlebten?
Inhalt und Ziel dieser Arbeit bestehen darin, das psychische Befinden von Frauen
nach einer Geburt unter dem Gesichtspunkt des Geburtsverlaufes zu betrachten. Dabei
möchte ich keinesfalls die Notwendigkeit und die lebensrettende Funktion der
Schnittgeburt absprechen. Vielmehr möchte ich für einen bedachten Umgang mit dieser

Einleitung
3
Geburtsform sensibilisieren. Dies richtet sich vor allem an medizinisches und
geburtshelfendes Personal in der Zeit der Schwangerschaft, aber auch an die Familien, in
denen Frauen eine Kaiserschnittgeburt erlebten. Die Geburt eines Kindes ist nicht nur mit
glücklichen Gefühlen besetzt. Genauso wichtig ist der Raum, der gegeben sein muss, um
Gefühle wie Sorgen, Ängste, Wut, Trauer und andere äußern zu dürfen.
Beginnen werde ich die Arbeit mit den nach einer Geburt auftretenden psychischen
Beschwerden. Danach gehe ich auf den Kaiserschnitt, als eine Form der Geburt, näher ein,
bevor ich die Ergebnisse meiner Studie vorstelle.

Theorieteil
4
2
Theorieteil
2.1
Unterscheidung postpartaler psychischer Erkrankungen
Psychische Erkrankungen stellen im Zusammenhang mit der Zeit nach einer Geburt
die häufigsten Komplikationen dar (Hofecker-Fallahpour et al., 2005). Allgemein bekannt
für diese Art von Beschwerden sind vor allem Begriffe wie Baby-Blues oder
Wochenbettdepressionen. Während sich in der Bevölkerung der Begriff
Wochenbettdepression für jegliche Arten von psychischen Störungen nach einer Geburt
manifestiert hat, werden in medizinischen und psychologischen Fachkreisen die Symptome
je nach Schweregrad unterschieden, wobei die Grenzen fließend sind. Da rund 8 von 10
Frauen am postpartalen Stimmungstief leiden, dem so genannten Baby-Blues, wird dieser
Erscheinung kein medizinischer Krankheitswert zugeschrieben. Anders verhält es sich mit
der Wochenbettdepression und der Wochenbettpsychose, die sich durch die Schwere ihrer
Symptomatiken unterscheiden. Während an einer Wochenbettdepression etwa 10% der
Frauen erkranken, leidet knapp eine von hundert Frauen (Dalton, 2003) bzw. eine bis drei
von tausend Frauen (Nispel, 2001) an der Wochenbettpsychose, die im schlimmsten Falle
das Wohl der Mutter und des Kindes beeinträchtigt und zur Kindstötung führen kann
(Dalton, 2003).
Während Veränderungen im Verhalten der Frauen nach der Entbindung bereits in
der Antike beschrieben wurden, gewann die Thematik erst 1950 durch den amerikanischen
Arzt Kline (1955) und den englischen Arzt Hegarty (1955) im angloamerikanischen Raum
zunehmend an wissenschaftlicher Bedeutung. Im deutschsprachigen Raum hingegen
wuchs das Interesse an psychischen Erkrankungen rund um die Geburt erst in den letzten
10 bis 20 Jahren (Hofecker­Fallahpour et al., 2005).
Der Begriff ,,postpartal" bezieht sich aus gynäkologischer und geburtshelfender
Sicht ausschließlich auf die vier bis sechs Wochen, die sich an die Geburt anschließen, der
eigentlichen Wochenbettzeit. Über eine Erweiterung dieses Begriffs wird immer wieder
diskutiert, da zahlreiche epidemiologische Studien der letzten Jahre zeigten, dass
Stimmungsstörungen bereits während der Schwangerschaft auftreten oder aber auch über
Jahre anhalten können (Dalton, 2003). Im Gegensatz dazu leidet nur eine kleine
Untergruppe von Frauen an psychischen Störungen ausschließlich während dieser
Postpartalzeit. Austin (2004) erwägt, den Begriff ,,perinatale Periode" einzuführen, der den
Zeitraum von der Schwangerschaft bis zum ersten Lebensjahr des Kindes einschließt.

Theorieteil
5
Dieser Zeitpunkt scheint eher willkürlich gesetzt, da es sich dabei um keine markante
Übergangssituation im Leben von Mutter und Kind handelt (Dalton, 2003). Aus diesem
Grund erwägen Hofecker-Fallahpour et al. (2005) von dem Zeitraum der frühen
Mutterschaft zu sprechen, der mit der Zeugung des Kindes beginnt und mit dem Eintritt
des Kindes in eine Kindertageseinrichtung endet. Diese Einteilung unterstreicht die
typischen Veränderungen und notwendigen Anpassungen an die neue Rolle der Mutter und
des Paares (Hofecker-Fallahpour et al., 2005).
Die Uneinigkeit, die zur Bestimmung des Zeitraumes herrscht, ab wann von einer
postpartalen psychischen Erkrankung gesprochen werden kann, spiegelt sich auch in der
Unterscheidung der Schwere der Symptomatik und der damit verbundenen Bezeichnung
der Störung wider. Aus diesem Grund äußerte Matthey (2004) den Gedanken, postpartales
Stimmungstief, Wochenbettdepression und Wochenbettpsychose zu einer umfassenderen
Bezeichnung wie ,,affektive Störungen in der Postpartalzeit" zusammenzufassen.
Dennoch werde ich in den folgenden Kapiteln auf die in der Literatur häufig
genannten Unterschiede postpartaler psychischer Erkrankungen eingehen sowie näher
beschreiben, wobei die postpartale Depression, auch Wochenbettdepression genannt, eine
ausführlichere Bedeutung erfährt. Dabei wird die Reihenfolge von der Schwere der
Symptomatik bestimmt, so dass zunächst das postpartale Stimmungstief näher betrachtet
wird.
2.1.1
Das postpartale Stimmungstief
Wie bereits erwähnt, wird im Volksmund diese Art von Symptomatik, die in den
ersten 10 bis 12 Tagen nach der Entbindung auftreten kann, auch Baby-Blues genannt. Sie
tritt in allen sozialen Schichten und Kulturen, unabhängig vom Familienstand,
wirtschaftlichen Verhältnissen, Geburtsverlauf und äußeren Stressfaktoren auf. Die hohe
Rate an Frauen, die von solchen Erfahrungen sprechen, lässt vermuten, dass diesen
Symptomen eher physiologische als pathologische Ursachen zugrunde liegen (Dalton,
2003; Hesse, 2005). Dennoch zeigte sich in einer Studie von Gröhe (2003), dass es
Faktoren gibt, die das Risiko für das postpartale Stimmungstief erhöhen. So wurden z.B.
Erstgebärende, längere Geburtsverläufe und regelmäßige psychische Probleme in
Verbindung mit dem Menstruationszyklus als Einfluss nehmende Faktoren genannt.
Wahrgenommene Gefühle wie Müdigkeit, Lustlosigkeit oder häufiges Weinen
verbunden mit der Erschöpfung nach der Geburt beschreiben einen natürlichen Vorgang,
der der Ermüdung nach einem harten Arbeitstag gleichgesetzt werden kann. Auslöser für

Theorieteil
6
diesen Gemütszustand sind vielfältig und reichen vom Lesen der Geburtsanzeige und der
Erleichterung nach den Anstrengungen der Geburt über die Sorge, zuwenig Milch für das
Neugeborene zu haben, ironische Bemerkungen des sozialen Umfeldes bis hin zu dem
Empfinden, das Kind sei hässlich oder entstehende Zukunftsängste. Auch wenn das
postpartale Stimmungstief keine tatsächliche Erkrankung darstellt, sollte es dennoch von
Partnern, Familie und Freunden der jungen Mutter ernst genommen und beobachtet
werden. Halten die Symptome wie Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten,
Ängstlichkeit oder übermäßige Sorge um das Wohlergehen des Säuglings länger als 10 bis
12 Tage an, so steigt die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer
Wochenbettdepression, die im nächsten Kapitel näher beschrieben wird (Dalton, 2003).
2.1.2
Die Wochenbettdepression
Zunächst sei an dieser Stelle eine Definition von Dalton (2003) genannt, mit deren
Hilfe die Wochenbettdepression charakterisiert und von dem postpartalen Stimmungstief
unterschieden werden kann.
,,In der Zeit nach der Entbindung bis zum erneuten Einsetzen der Menstruation erstmalig
auftretende schwere, ärztliches Eingreifen erfordernde psychische Symptome (Dalton,
2003; S. 13)".
Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass keine zeitliche Begrenzung
genannt wird, ein postpartales Stimmungstief jedoch auf maximal 14 Tage nach der
Entbindung begrenzt wird. Weiterhin wäre eine professionelle Behandlung von Nöten.
Frauen, die schon vor Schwangerschaft und Geburt psychiatrische oder psychologische
Hilfe in Anspruch genommen haben, gehören der Definition nach nicht dazu, da explizit
von der Erstmaligkeit des Auftretens der Symptomatik gesprochen wird. Da in der
Definition das Wort Depression nicht genannt wird, können auch einzelne Symptome einer
Depression, wie Erschöpfung, extreme Reizbarkeit und Schlafstörungen als
behandlungsbedürftige postpartale psychische Erkrankung angesehen werden (Dalton,
2003).
Wie auch beim postpartalen Stimmungstief tritt die Wochenbettdepression
unabhängig vom sozialen Status, von Kultur, Gefühle bzgl. des Kindes, Informationen
durch Vorbereitungskurse etc. auf. Während einige Autoren davon ausgehen, dass etwa
10% aller Frauen daran erkranken (z.B. Dalton, 2003), sprechen andere Autoren von einer
Dunkelziffer, die weitaus höher sein kann als 20% (z.B. Hesse, 2005). Ein Grund dafür
wird vor allem darin gesehen, dass das Thema weitestgehend tabuisiert wird und die

Theorieteil
7
Hemmschwelle, zum Arzt zu gehen, für die betroffenen Frauen sehr hoch ist. Ein weiterer
Grund liegt in der erschwerten Diagnose einer postpartalen Depression, da die Übergänge
von Erschöpfungszuständen nach der Geburt oder auch vom postpartalen Stimmungstief zu
einer depressiven Erkrankung fließend sind. Während sich einige Autoren (Hofecker ­
Fallahpour et al., 2005) stark an der gängigen Definition des Begriffs ,,postpartal"
orientieren und nur dann von einer Wochenbettdepression ausgehen, wenn diese vier bis
höchstens sechs Monate nach der Geburt auftritt, geht z.B. Austin (2004) davon aus, dass
es sich auch dann um eine postpartale Depression handeln kann, wenn Symptome wie
Traurigkeit, Leeregefühl, Energiemangel, Schlafstörungen, Desinteresse, Ängste,
Panikattacken oder Zwangsgedanken ein Jahr nach der Geburt und später auftreten. Daraus
entsteht eine große Zeitspanne für die Diagnose einer postpartalen Depression. Sie reicht
von kurz nach der Geburt bzw. im Anschluss an den ,,Baby-Blues" bis hin zum Zeitpunkt
des Abstillens oder dem erneuten Einsetzen der Menstruation (Hesse, 2005).
Bevor ich noch einmal näher auf die Besonderheiten eine postpartalen Depression
eingehe, werde ich zunächst auf die Wochenbettpsychose, als eine der schwersten
psychischen Erkrankungen nach der Entbindung, eingehen.
2.1.3
Die Wochenbettpsychose
Wie bereits mehrfach erwähnt, gehört diese Form der Erkrankung zu den
schwersten psychischen postpartalen Erkrankungen und ist durch Symptome wie
Verwirrtheit, irrationalem Verhalten, dem Auftreten akustischen oder optischen
Halluzinationen und zeitlicher sowie räumlicher Desorientierung charakterisiert. Sie
beginnen meist kurze Zeit nach der Entbindung mit einer plötzlich einsetzenden
Persönlichkeitsveränderung der Frau. Dabei wechseln sich bewusstseinsklare Momente mit
extrem irrationalen Aussagen und/oder Handlungen ab. So entstehen Ängste, das
Klinikpersonal oder die betreuende Hebamme würden das Kind vergiften oder es in einem
unachtsamen Moment mit einem fremden Kind vertauschen. Aber auch interne, dem Kind
schadende Gedanken entstehen. Sie reichen von der Ablehnung des eigenen Kindes bis hin
zur Kindstötung. Obwohl sich die betroffenen Mütter der Gefahr dieser Gedanken
durchaus bewusst sein können, fällt es ihnen schwer, sich zu äußern. Es entstehen Angst
und Schuldgefühle, als Mutter versagt zu haben, die dazu führen, dass auch
Zwangsgedanken oder ­handlungen entstehen (Dalton, 2003; Hesse, 2005).
In der Theorie wird die postpartale Psychose in die depressive, die manische und
die schizophrene Form unterteilt. Dabei ist die depressive Form charakterisiert durch
Antriebs-, Bewegungs- und Teilnahmslosigkeit sowie Versagensgefühle. Im Gegensatz

Theorieteil
8
dazu spiegeln die Symptome der manischen Variante einen gesteigerten Antrieb,
motorische Unruhe, Verworrenheit und Wahnvorstellungen wider. Es sind vor allem die
Halluzinationen, die die schizophrene Art der Wochenbettpsychose bestimmen. In der
Praxis sind jedoch häufiger Mischformen anzutreffen (Hesse, 2005).
Während die Wochenbettdepression nur schwer vom sozialen Umfeld als
ernstzunehmende Erkrankung wahrgenommen wird, ist die Behandlungsbedürftigkeit einer
Wochenbettpsychose für Familie und Freunde anhand der Symptome häufiger erkennbar
und erleichtert die Annahme professioneller Hilfe in einer stationären Einrichtung (Dalton,
2003). Aufgrund dieser Tatsache stellt die Wochenbettpsychose die am häufigsten
erkannte und behandelte postpartale psychische Erkrankung dar. Weiterhin lässt sich der
Zeitpunkt der Erkrankung besser erfassen, da etwa 75% der betroffenen Mütter innerhalb
der ersten zwei Wochen nach der Entbindung stationär aufgenommen werden (Rohde,
2001). Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Besondere Stressfaktoren, wie dem plötzlichen
Abstillen oder einem andauernden Schlafmangel lassen eine postpartale Psychose auch zu
einem späteren Zeitpunkt entstehen. Trotz unklarer Ursachenklärung zeigen Erstgebärende
ein erhöhtes Erkrankungsrisiko (Hesse, 2005).
Nachdem ich nun auf die drei häufigsten psychisch relevanten Belastungen, die
nach einer Entbindung auftreten können, eingegangen bin, werde ich in den folgenden
Kapiteln der Wochenbettdepression meine besondere Aufmerksamkeit widmen.
2.2
Die postpartale Depression
Kann man bei der Wochenbettdepression von einer besonderen Form der
Depression sprechen, gibt es kulturelle Unterschiede und welche möglichen Ursachen
begünstigen ihr Auftreten ­ mit diesen Fragen werde ich mich in den nachfolgenden
Kapiteln beschäftigen.
2.2.1
Die postpartale Depression ­ eine Sonderform der Depression?
Aufgrund fehlender Anhaltspunkte, die diese Form der Depression von anderen
Formen unterscheidet, plädieren einige Autoren dafür, dass es sich bei der postpartalen
Depression um eine Depression nach der Geburt handelt, also kein eigenständiges
Krankheitsbild darstellt. Durch den Begriff ,,postpartal" wird lediglich der Zeitpunkt des
Auftretens einer Depression festgelegt, symptomatisch gibt es jedoch keine Unterschiede
(z.B. Hofecker-Fallahpour et al. 2003, Riecher-Rössler, 2005; Riecher-Rössler, O'Hara, et
al. 2000; Brocktington, 1996; Whiften, 1991).

Theorieteil
9
Andere Autoren (Hesse, 2005; Rohde, 2004; Dalton, 2003) sehen aufgrund des
besonderen Zeitpunktes des Auftretens der Depression deutliche Unterschiede, die eine
eigenständige Diagnose rechtfertigen. So wird erwähnt, dass die Durchschlafstörungen, die
auch für andere Formen der Depression charakteristisch sind, vielmehr durch den
Schlafrhythmus der Neugeborenen hervorgerufen werden. Dabei fühlen sich die jungen
Mütter in den Morgenstunden sehr aktiv, am Abend jedoch leer und ausgebrannt, während
es sich bei den Depressionen anderer Art so verhält, das der Tag eher müde und erschöpft
beginnt und durch Antriebslosigkeit bestimmt wird. Weiterhin sei die mögliche
Gewichtszunahme von Müttern, bekannt als mütterliche Fettsucht, ein spezifisches
Merkmal der postpartalen Depression, während bei der typischen Depression eher eine
Gewichtsabnahme erkennbar ist. Neben diesen Symptomen leiden die Mütter an einer
erhöhten Reizbarkeit bis hin zu aggressiven Verhalten, ein weiterer Unterschied zur
depressiven Episode (Dalton, 2003).
Nicht in jedem Fall zu beobachten, aber in Verbindung mit den genannten und
anderen Symptomen, rechtfertigt die so genannte ,,Galaktorröh", die das über Monate nach
dem Abstillen Vorhandensein von Muttermilch beschreibt, die Unterscheidung zu anderen
Depressionen. Als Grund dafür wird der erhöhte Prolaktinwert genannt. Prolaktin, ein
Hormon der Hirnanhangsdrüse, ist unter anderem dafür verantwortlich, die mütterliche
Brust auf das Stillen vorzubereiten (Dalton, 2003).
Die Funktionen des Hormons Prolaktin und dessen Einfluss auf
Stimmungsschwankungen während Schwangerschaft, Geburt und Zeit nach der
Entbindung soll ab Kapitel 2.2.3 näher betrachtet werden.
Es wurde bereits erwähnt, dass vor allem Erstgebärende ein erhöhtes
Erkrankungsrisiko aufzeigen. Wenn man das Alter der Erstgebärenden jedoch mit dem
Zeitpunkt der Erstmanifestation einer Depression bei Frauen in der Bevölkerung
vergleicht, so fällt beides in den Lebensabschnitt des jungen Erwachsenenalters (vgl.
Hofecker-Fallahpour et al., 2005). Diesbezüglich bleibt es schwer zu sagen, welche
Ursachen der Depression zugrunde liegen und ob eine Unterscheidung zwischen
postpartaler Depression und der Form nach ICD-10 (Rohde, 2004) gerechtfertigt ist.
Unbeantwortet bleibt weiterhin, welche Rolle der Partner, die Familie oder die
Freunde spielen? Welche Erwartungen hat die Mutter an ihr soziales Umfeld und auch an
das Leben mit einem Kind? Ebenso entsteht die Frage, ob bestimmte
Persönlichkeitsmerkmale der Mutter vorliegen, die eine postpartale Depression
begünstigen und ob diese ausreichen, von einer speziellen Depressionsform zu sprechen.

Theorieteil
10
Ob es diesbezüglich gewisse Risikofaktoren gibt, die eine postpartale Depression fördern,
soll im folgenden Kapitel beschrieben werden.
2.2.2
Welche Faktoren begünstigen eine postpartale Depression?
Die Ursachen und Risikofaktoren sind vielfältig und erst ein komplexes
Zusammenspiel verschiedener Umstände kann zu einem Zusammenbruch von
vorhandenen Bewältigungsstrategien führen. So kann es sein, dass trotz günstiger
biologischer und psychologischer Ausgangsbedingungen eine empfundene Belastung im
sozialen Umfeld in einer psychischen Krise endet. Andererseits ist eine hohe biologische
Vulnerabilität ausreichend, damit die Mutter durch die Betreuung ihres Säuglings, an die
Grenzen der eigenen psychischen Belastbarkeit geführt wird (Hofecker-Fallahpour et al.,
2005).
In der Literatur herrscht weitestgehende Einigkeit darüber, dass frühere depressive
oder andere psychischen Erkrankungen sowie psychopathologische Auffälligkeiten
während der Schwangerschaft die wichtigsten Risikofaktoren für eine postpartale
Depression darstellen (Hesse, 2005; Hofecker-Fallahpour et al., 2005; Dalton, 2003;
Riecher-Rössler, 1997; O'Hara & Swain, 1996; O'Hara et al., 1991; O'Neill et al., 1990;
Buesching et al., 1986). So erhöht sich das Risiko für jene Frauen, an einer
Wochenbettdepression zu erkranken, um 10-25% (O'Hara & Swain, 1996). Andererseits
berichtet Dalton (2003) über ein erhöhtes Erkrankungsrisiko, wenn die Frauen während der
Schwangerschaft seltener über Symptome wie Niedergeschlagenheit, Reizbarkeit,
Müdigkeit oder Übelkeit klagten. Weiterhin traten Wochenbettdepressionen vor allem bei
den Müttern auf, die eine auffällig positive Einstellung zu Mutterschaft und dem für sie
damit verbundenen Stillen angaben, sich über die Schwangerschaft am meisten freuten, im
letzten Drittel der Schwangerschaft sehr euphorisch waren und das Leben mit Kind
gedanklich bis ins letzte Detail durchorganisierten (Dalton, 2003). Oft sind es aber auch
Frauen, die extrem besorgt sind, zum Perfektionismus tendieren, hohe Erwartungen an sich
selbst haben und die ständige Kontrolle haben wollen (Hesse, 2005). Eine schwierige
Paarbeziehung, in der der Partner als wenig unterstützend wahrgenommen, emotional und
verbal zurückhaltend erlebt wird, finanzielle Not, schlechte berufliche Qualifikation sind
Beispiele psychosozialer Risikofaktoren, denen jedoch eine geringere Bedeutung
zugeschrieben wird (Hofecker-Fallahpour et al., 2005, Boyce, 2003; O'Hara, 1986; Kumar
& Robson, 1984, Cox et al., 1982).
Bezüglich des Alters gibt es sehr unterschiedliche Untersuchungsergebnisse. Sie
tendieren jedoch in die Richtung, dass entweder junge Mädchen, die im Teenageralter

Theorieteil
11
Mutter werden oder aber Frauen, die älter als 30 Jahre sind, häufiger an einer
Wochenbettdepression leiden. Als Erklärungsansätze werden auch hier vor allem Ursachen
psychosozialer Natur genannt. Während die sehr jungen Mütter sich aufgrund der
Betreuung ihres Kindes oft aus ihrem Freundeskreis zurückziehen, sehen die älteren Mütter
ihre berufliche Weiterentwicklung gefährdet (Dalton, 2003).
Komplikationen in der Schwangerschaft oder während der Geburt sowie
Erkrankungen des Neugeborenen stehen ebenfalls im Verdacht, dass Risiko zu erhöhen.
Einen Zusammenhang zwischen Geburtsverlauf und dem Auftreten einer postpartalen
Depression beschrieben Dalton (2003), Thalassinos et al. (1988) und O'Hara et al. (1990)
in ihren Publikationen. Besondere Aufmerksamkeit schenkten sie dabei Zangen-,
Saugglocken- oder Schnittentbindungen. Eine besondere Belastung stellen vor allem die
ungeplanten operativen Entbindungen dar, im Gegensatz zu einem geplanten Kaiserschnitt
(Bergant, 2001). Diesbezüglich wurde in einer Untersuchung von James et al. (1987) der
wichtige Erstkontakt zwischen Mutter und Säugling diskutiert. Sie verglichen Frauen, die
vaginal gebaren und sofort den Kontakt zum Kind aufnehmen konnten, mit Frauen, die ihr
Kind per Kaiserschnitt auf die Welt brachten und aufgrund der Narkose erst nach einiger
Zeit ihr Kind bekamen. Es zeigte sich, dass Frauen, die zur erstgenannten Gruppe
gehörten, weniger an postpartalen Depressionen litten als die Kaiserschnittmütter. Dieser
Unterschied war auch noch nach dreieinhalb Monaten erkennbar. Ferner stellt die daraus
resultierende erschwerte Bildung der Mutter-Kind-Beziehung einen markanten Stressfaktor
dar, der die Entstehung einer Wochenbettdepression begünstigen kann (Whiffen & Gotlib,
1989; O'Hara, 1986; Fergetter et al., 1981). In ihrer Untersuchung berichten Whiffen und
Gotlib (1989) darüber, dass Kaiserschnittmütter unzufriedener mit der Beziehung zu ihrem
Kind sind. So sei das Verhalten der Neugeborenen problematisch, der Tagesablauf sehr
unregelmäßig und es bliebe nur wenig Zeit für die eigenen Bedürfnisse. Anregung zur
Diskussion gaben Whiffen und Gotlib (1989) dahingehend, ob das Verhalten der Kinder
von den betroffenen Müttern als problematischer wahrgenommen wurde. Andererseits
kann das Verhalten der Kinder auch Reaktion auf das Verhalten der an einer postpartalen
Depression leidenden Mutter gesehen werden. Hingegen erkannten Stein et al. (1989)
keinen Zusammenhang zwischen Geburtsverlauf und einem erhöhten Erkrankungsrisiko.
In einer Untersuchung der WHO (zit. nach Geisel, 1997) kam man zu dem Ergebnis, dass
nicht die tatsächlichen Komplikationen bei der Entbindung, sondern das subjektive Erleben
von Schwangerschaft und Geburt eine postpartale Depression auslösen kann. Gerade
Frauen, die die Geburt als starke Belastung erlebten, unter unerträglichen Schmerzen,

Theorieteil
12
Hilflosigkeit, Schamgefühlen und Kontrollverlust litten, seien stark gefährdet (Hesse,
2005).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Faktoren, die eine postpartale
Depression begünstigen können, sehr vielfältig sind. Sie sind zum einen
persönlichkeitspsychologischer Natur, andererseits spielen auch soziale und
situationsbedingte Faktoren eine Rolle. Da bei Depressionen allgemeiner Art von einer
genetischen Disposition ausgegangen wird, ist dieser Einfluss auch für die postpartale
Depression anzunehmen (Dalton, 2003). Welcher Art von Umständen dabei mehr Gewicht
zugesprochen werden kann, bleibt fraglich. Vielmehr zeichnet sich ein komplexes
Zusammenspiel aller genannten Faktoren ab und unterstützt die Hypothese von Hofecker-
Fallahpour et al. (2005), die den Anfang dieses Kapitels bildete. Dennoch sind es
Situationen, die in ähnlicher Weise Auslöser anderer Formen depressiver Erkrankungen
sein können. Zwar stellt das Mutterwerden eine Reifungskrise mit Veränderungen
zwischenmenschlicher und sozialer Kontakte dar (Sauer, 1997), dennoch können der Tod
eines nahe stehenden Menschen oder die plötzliche Gefährdung der eigenen Gesundheit
ebenfalls als Wendepunkte, die einer Bewältigung bedürfen, angesehen werden. Einen
wesentlichen Unterschied stellt jedoch die Veränderung des Hormonhaushaltes einer Frau
während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbettzeit dar. Eventuell liegt hier die
Möglichkeit, die postpartale Depression als eigenständige Form anzusehen. Diese
Erklärungsmöglichkeit wird im Folgenden Thema sein.
2.2.3
Biochemische Modellvorstellung zur Entstehung postpartaler
Depressionen
2.2.3.1 Funktionen des Hormons Progesteron
Vorweg möchte ich gerne Ergebnisse aus Untersuchungen zum mütterlichen
Verhalten an Tieren vorstellen. Neben dem Lernen am Modell stellt der Hormonhaushalt
des weiblichen Tieres eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung der Mütterlichkeit,
mit ihren Eigenschaften wie Füttern, Schützen, Säubern oder Nestbau, dar (Dalton, 2003).
Tieren, die noch nicht trächtig waren, ist dieses mütterliche Verhalten
weitestgehend fremd. Wurde ihnen jedoch ein Hormonkomplex aus Progesteron und
Östrogen injiziert, zwei Hormone, die während der Schwangerschaft in der Plazenta
verstärkt gebildet werden, so konnte dennoch jenes Verhalten beobachtet werden.
Wiederum kann es bei Muttertieren unterdrückt werden, wenn ein Mittel gespritzt wurde,
das die Bildung von Progesteron verhindert. Andererseits zeigten weibliche Tiere ein
mütterliches Verhalten gegenüber fremden Jungtieren, wenn sie bereits selber trächtig

Theorieteil
13
waren. Mütterliches Verhalten entsteht hormonbedingt mit der ersten Schwangerschaft und
Geburt eines Nachkommens und bleibt bestehen. Eventuell lassen sich diese Ergebnisse
auch auf den Menschen übertragen. Sowohl bei Tieren als auch beim Menschen scheint
vor allem das Progesteron eine wichtige Rolle zu spielen, wenn es um die Entstehung des
mütterlichen Verhaltens geht (Dalton, 2003).
In weiteren Tierversuchen konnte nachgewiesen werden, dass es einen
Zusammenhang zwischen Progesteronmangel und depressivem Verhalten gibt. Als
mögliche Ursache wurde der erhöhte Adrenalinspiegel, wie er in Stresssituationen vorliegt,
und die damit verbundene Blockade der Progesteronrezeptoren diskutiert. Eventuell
unterstützt diese Erklärung den Zusammenhang zwischen hormoneller Veränderung und
dem Zeitpunkt des Auftretens einer postpartalen Depression (Dalton, 2003).
Progesteron ist bei allen Wirbeltieren nachweisbar, so auch beim Menschen
unabhängig von Alter und Geschlecht. Es bildet die Grundlage aller im Körper
vorkommender Steroide. Es wird in der Nebennierenrinde produziert und kann in
Östrogen, Testosteron oder Kortikosteroide umgewandelt werden. Neben den meisten
menschlichen Organen besitzen auch die weiblichen Geschlechtsorgane Rezeptoren für das
Progesteron. Die meisten sind jedoch im limbischen Bereich zu finden. Diese Rezeptoren
sind veränderbar, so dass bei einer erhöhten Konzentration von Kortikosteroid bevorzugt
dieses Hormon zum Zellkern transportiert wird. Dies ist dann der Fall, wenn der
Organismus Stress erfährt. Ähnlich verhält es sich, wenn der Blutzuckerspiegel sinkt und
anstelle des Progesteron Glukokortikoide von den Rezeptoren aufgenommen werden. Zu
den biochemischen Eigenschaften des Progesterons gehört es auch, dass es innerhalb der
Zelle als Aminooxidasehemmer und somit als natürliches Antidepressivum wirkt. Für die
Klärung des Entstehens einer postpartalen Depression scheint also nicht die
Progesteronkonzentration im Blut von Bedeutung zu sein, sondern vielmehr, wie viele
Progesteronmoleküle in den Zellkern gelangen und wirksam werden können (Dalton,
2003).
Nachdem ich auf die spezielle Funktion des Progesterons eingegangen bin, möchte
ich im nun Folgenden die hormonellen Veränderungen im weiblichen Körper, die mit der
Schwangerschaft und Geburt einhergehen, näher betrachten und damit in Verbindung
gebrachte Erklärungen für das Entstehen einer Wochenbettdepression darstellen.
2.2.3.2 Hormonelle Veränderungen während des Reproduktionszyklus
Der Reproduktionszyklus beginnt mit der Ovulation, der Eireifung. Diese wird vor
allem von dem folikelstimmulierendem Hormon (FSH) und dem luteinisierendem Hormon

Theorieteil
14
(LH) bestimmt. Mit dem Zeitpunkt einer Konzeption ändert sich der Hormonhaushalt der
werdenden Mutter schlagartig. Die Östrogen- und Progesteronkonzentration im Blut steigt
weiter an und es entsteht ein neues Hormon, das humane Choriongonadotropin (HCG),
welches den Aufbau der Plazenta unterstützt. Mit der Plazenta wird ein völlig neues Organ
im weiblichen Körper gebildet, welches in Abhängigkeit von der fetalen Nebennierenrinde
ebenfalls große Mengen von Östrogen und Progesteron produziert. Parallel dazu
reduzieren die Eierstöcke ihre Funktion als Hormon bildende Organe. Während der
weiteren Schwangerschaft entsteht in der Hypophyse das Hormon Prolaktin, wodurch die
weibliche Brust auf das Stillen vorbereitet wird. Die eigentliche Aufgabe des
Hypothalamus besteht darin, die Ovulation und Menstruation zu steuern. Diese Funktion
wird zu Gunsten der Einflussnahme durch Hypophyse, Plazenta und fetaler
Nebennierenrinde reduziert (Dalton, 2003).
Während im Inneren des weiblichen Organismus ein neues Leben heranwächst,
verändern sich nicht nur die für die Schwangerschaft wichtigen Organe. Die wachsende
Gebärmutter bewirkt eine Verschiebung der sich im Bauchraum befindenden Organe. Das
Herzvolumen vergrößert sich, damit eine höhere Leistung gewährleistet ist. Für eine
optimale Sauerstoffversorgung nimmt die Lungenkapazität zu, wodurch sich der Brustkorb
erweitert. Ebenso kommt es zu Veränderungen der Nierenfunktion, die unter anderem die
Blutzuckerregulation beeinflussen. Es kann zu einer Insulinresistenz kommen, der so
genannten Schwangerschaftsdiabetes, die jedoch nach der Entbindung wieder zurückgeht
(Dalton, 2003).
Auch wenn die Auslöser für eine Geburt nicht vollständig geklärt sind, geht man
von einer hormonellen Veränderung aus. Mit der Geburt des Kindes wird auch die Plazenta
abgestoßen und die erhöhte Progesteron- und Östrogenproduktion wird damit abrupt
beendet, die Konzentration dieser Hormone nimmt stark ab. Dieser Zustand kann einem
,,Entzug" gleichgesetzt werden (Hofecker-Fallahpour et al., 2005). Liegt gegen Ende der
Schwangerschaft ein Wert von 150 mg/ml vor, so ist am dritten Tag nach der Entbindung
nur noch ein Wert weniger als 7 mg/ml nachweisbar. Am vierten Tag ist die Konzentration
bereits soweit gesunken, dass sie nicht mehr nachweisbar ist. In dem sich nun
anschließenden Zeitraum, der Refraktärphase, finden weiterhin körperliche Veränderungen
statt. Die schwangerschaftsbedingten Veränderungen gehen zurück, gleichzeitig wird der
Körper auf das Stillen und Versorgen des Säuglings vorbereitet. Die
Prolaktinkonzentration ist erhöht und bleibt es solange, wie die Mutter stillt. Das Prolaktin
bestimmt die Dauer der Refraktärphase und kann eine erneute Ovulation und Konzeption

Theorieteil
15
verhindern. Etwa einen Monat nach dem Abstillen setzen Ovulation und Menstruation
wieder ein, der weibliche Körper ist empfängnisbereit (Dalton, 2003).
2.2.3.3 Hormone als Auslöser postpartaler Depressionen
Da die Konzentration von Progesteron und Östrogen innerhalb der Refraktärphase
weiter sinkt, gewinnt die Funktion des Hypothalamus wieder zunehmend an Bedeutung.
Dieser bestimmt nicht nur den weiblichen Menstruationszyklus, sondern fungiert auch als
Kontrollzentrum für die psychische Stimmung, den Tag-Nacht-Rhythmus und das
Körpergewicht. Die sich im Blut verändernde Hormonzusammensetzung beeinflusst über
den Hypothalamus auch die eben genannten Systeme, so dass daraus postpartale
psychische Beschwerden resultieren können (Dalton, 2003).
Aufgrund der engen Beziehung dreier endokriner Systeme, der Hypothalmus-
Hypophysen-Nebennieren-Achse, der Hypothalmus-Hypophysen-Gonaden-Achse und der
Hypothalmus-Hypophysen-Thyreoidea-Achse zu den emotionsregulierenden Regelkreisen
im Gehirn, kann eine wechselseitige Beeinflussung angenommen werden. So beeinflussen
der Anstieg und der rasche Abfall der Hormone Progesteron und Östrogen mehrere
Regelkreise und verändern kognitive, emotionale und behaviorale Vorgänge im
mütterlichen Organismus (Hofecker-Fallahpour et al., 2005).
Schwangerschaft, Geburtsprozess, Stillen und schwangerschaftsbedingte
Rückbildung des weiblichen Körpers sind vor allem hormonelle Prozesse, so dass
Abweichungen und Erkrankungen auf ein Ungleichgewicht der beteiligten Hormone
zurückzuführen sind. Damit beschränken sich auch die postpartalen Erkrankungen auf
einen klar abgrenzbaren Personenkreis, nämlich Mütter in einer ganz bestimmten Phase
des Reproduktionszyklus (Dalton, 2003).
Da sich die Hormonkonzentration und die Funktionen im weiblichen Körper nicht
parallel verändern, gelangen viel weniger Progesteronmoleküle in den Zellkern, als dieser
aufnehmen könnte. Die Zelle signalisiert wiederum, dass ein Mangel an Progesteron
herrscht und so kommt es zu dem beschriebenen Gefühl des Entzugs. Dies führt zu
Stresssymptomen. Der Körper bildet vermehrt Adrenalin, das sich ebenfalls an die
Progesteronrezeptoren setzt. Somit gelangen noch weniger Progesteronmoleküle in den
Zellkern und die Funktion des Progesterons als natürliches Antidepressivum lässt nach.
Somit lässt sich zumindest der Baby-Blues erklären, den die meisten Mütter nach einer
Geburt erleben. Ob dieser Ansatz aber reicht, die Entstehung postpartaler Depressionen zu
erklären, bleibt fraglich, da sehr viel weniger Frauen daran leiden. Vielmehr zeichnet sich
ein sehr komplexes Zusammenspiel verschiedenartigster Faktoren ab. Obwohl die

Theorieteil
16
hormonelle Bedeutung zu den vorherrschenden Erklärungsmodellen gehört (Sauer, 1997),
dürfen andere Beschreibungen, z.B. psychodynamische Interpretationen, nicht unerwähnt
bleiben. Diese bilden den Schwerpunkt im nun folgenden Teil.
2.2.4
Psychodynamische Erklärungsansätze
Autoren, die psychodynamische Annahmen zur Entstehung postpartaler
Depressionen favorisieren, gehen grundsätzlich von einer gestörten Beziehung zur eigenen
Mutter aus. Die individuelle Ausprägung des Konfliktes wird unterschiedlich beschrieben.
So erwähnen Kisker et al. (1987) eine Reaktualisierung verdrängter Aggressionen
gegenüber der eigenen Mutter. Eine misslungene Identifikation mit der eigenen Mutter und
der damit verbundenen wahrgenommenen Bedeutung der Mutterrolle spielen in der
Erklärung von Maier (1989) und Arieti & Bemporad (1983) eine maßgebliche Rolle.
Eine postpartale Depression entsteht aufgrund vorhandener
Persöhnlichkeitsstrukturen aus der Reaktualisierung früherer Konflikte in Verbindung mit
mangelnden Bewältigungsmustern. Es liegt eine Prädisposition zur Depression vor, doch
ohne die Geburt eines Kindes wäre diese eventuell nicht zum Ausbruch gekommen (Arieti
& Bemporad, 1983). Des Weiteren betrachten Arieti & Bemporad (1983) die Geburt als
ein Ereignis mit eigener Spezifität. Schmerzen und Schreie während der Geburt werden
einem entwürdigendem Abstieg auf eine tierähnliche Ebene gleichgesetzt und können das
gesamte Selbst-Ideal zerstören. Mit der Geburt eines Kindes wird zudem die Rolle des
Berufes durch die Mutterrolle ersetzt. Bis dato bestimmte die berufliche Tätigkeit das
Selbstwertgefühl, die Mutterrolle hingegen scheint bedeutungslos und wird als
selbstwertbedrohlich wahrgenommen (Arieti & Bemporad, 1983).
In einem Modell von Molinski (1972) ist die Persöhnlichkeitsstruktur von
postpartal depressiven Frauen durch orale und aggressive Hemmungen gekennzeichnet.
Diese frühkindlich gehemmten Impulse bleiben untergründig stets wirksam und
manifestieren sich. Das wiederum beeinträchtigt die Entwicklung der eigenen
Weiblichkeit. Mit der Geburt des eigenen Kindes entsteht der zentrale Konflikt dieses
Modells. Das Kind wird unbewusst in einem überhöhten Maße als oraler Konkurrent
erlebt. Es droht ein Verlust an eigenen Befriedigungsmöglichkeiten von enttäuschten
Gefühlen, die die eigene Mutter nicht befriedigen konnte. Dieser Konflikt mobilisiert
aggressive Impulse, die sich einerseits gegen die eigene Mutter richten, andererseits aber
auch gegen das eigene Kind. Ein fehlentwickeltes Über-Ich dieser Frauen verurteilt jedoch
aggressive Regungen aller Art und so bleibt der Ärger weitestgehend im Unbewussten.
Diese verdrängten Aggressionen finden ihren Ausdruck in einem Symptom, z. B. der

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783842813366
DOI
10.3239/9783842813366
Dateigröße
670 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Leipzig – Biowissenschaften, Pharmazie, Psychologie, Psychologie
Erscheinungsdatum
2011 (April)
Note
1,1
Schlagworte
depression wochenbettdepression persönlichkeitsfaktor angst geburt
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Titel: Die psychische Situation von Müttern nach der Geburt eines Kindes - eine Vergleichsstudie von Frauen mit unterschiedlichen Geburtsverläufen
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