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Rhythmisch-musikalische Erziehung als Unterrichtsprinzip zur Förderung kindlicher Persönlichkeitsentwicklung

©2008 Bachelorarbeit 101 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘So ist also die Erziehung durch Musik darum die vorzüglichste, weil Rhythmus und Harmonie am tiefsten in das Innere der Seele dringen, ihr Anmut und Anstand verleihen.’ Sokrates (469 – 399 v. Chr.).
In meiner täglichen Arbeit als Lehrerin bin ich laufend mit der Tatsache konfrontiert, dass das Schulsystem vor allem auf der Erbringung kognitiver Leistungen aufbaut. Dass auch gerade hier immer mehr Kinder enorme Defizite und Lernprobleme aufweisen und zunehmend auch mehr Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten und anderen Störungen in den Klassen sitzen, führe ich auf den immer rasanter werdenden Lebenswandel der heutige Gesellschaft zurück.
Es sollte daher in der pädagogischen Verantwortung der Lehrer liegen, hier entgegenzuwirken. Da ich seit über zehn Jahren Klassen mit musikalischem Schwerpunkt führe, kann ich mittlerweile aus Erfahrung sagen, dass eine konsequente integrierte rhythmisch-musikalische Schulung ein sehr guter Weg ist, Kinder in ihrem Werden zu begleiten und auf ihren weiteren Lebensweg vorzubereiten. Um mich den Worten Sokrates anzuschließen, ist ‘Rhythmisch-musikalische Erziehung’ ein ideales Werkzeug um Türen bei Kindern zu öffnen, also ein Schlüssel zur Seele der Menschen.
Ich habe anfangs eher unbewusst versucht, rhythmisch-musikalische Elemente in allen Unterrichtsfächern einzubauen, bis ich auf die Unterschiede meiner Schüler in Verhalten und Leistungen zu Schülern anderer Klassen aufmerksam wurde. Heute bin ich überzeugt, dass sich dieser Einfluss langfristig positiv auf Verhalten und Leistungen der Kinder auswirkt.
Aus meinem unbewussten Agieren wurde bald gezielt eingesetzte rhythmisch-musikalische Schulung als Unterrichtsprinzip, gekoppelt mit dem Wunsch über die Vorgänge und Auswirkungen mehr zu erfahren. Ich begann meinen Unterricht zu analysieren, in welchen Bereichen und Situationen rhythmisch-musikalische Schulung, abgesehen vom Lehrfach Musik, einfließt.
Zu meiner Überraschung fand ich kein einziges Unterrichtsfach, in dem musikalisch integrative Elemente nicht stattfanden. Dieser Erkenntnis folgend drängten sich für mich etliche Fragen auf.
Inwieweit wirkt Musik auf Denken, Lernen und Intelligenz?
Inwieweit fördert Musik emotionale und soziale Kompetenzen?
Inwieweit beeinflusst Musik die Persönlichkeit eines Menschen?
Antworten und die Bestätigung meiner Vermutungen und Beobachtungen fand ich in verschiedensten Studien und den Aussagen von Experten, die ich im Laufe der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Barbara Parisch
Rhythmisch-musikalische Erziehung als Unterrichtsprinzip zur Förderung
kindlicher Persönlichkeitsentwicklung
ISBN: 978-3-8428-1329-8
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2011
Zugl. Pädagogische Hochschule Nierderösterreich, Baden, Österreich, Bachelorarbeit,
2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2011

Kurzzusammenfassung
Spätestens seit den letzten Ergebnissen der Pisastudie haben die Themen Bil-
dung und Schule zu heftigen politischen Diskussionen geführt und von allen Sei-
ten werden Neuorientierungen innerhalb des Bildungswesens bzw. grundlegende
Änderungen im System eingefordert. Das schlechte Abschneiden der Schüler in
kognitiven Bereichen sowie die zunehmende Gewaltbereitschaft und Aggression
unter Kindern und Jugendlichen der heutigen Gesellschaft bedingen ein Umden-
ken.
In der folgenden Arbeit gehe ich der Frage nach, inwieweit ,,Rhythmisch-
musikalische Erziehung" als Unterrichtsprinzip die Persönlichkeitsentwicklung von
Kindern fördern kann und ob sie nicht eine wirkungsvolle Alternative oder ergän-
zende Bereicherung für bestehende Unterrichtsformen sein kann. Ausgehend von
einer Langzeitstudie über Musik und ihre Wirkung unter der Leitung von Hans
Günther Bastian, deren Ergebnisse ich einem direkten Vergleich mit den Kernaus-
sagen von Experteninterviews unterziehe, zeige ich den positiven Einfluss von
Musik auf Persönlichkeitsmerkmale wie Intelligenz und soziale Kompetenz auf. In
weiterer Folge erläutere ich das pädagogische Prinzip ,,Rhythmisch-musikalische
Erziehung", dem die Musik zugrunde liegt als Verfahren, die Erkenntnisse aus der
Forschung in der Praxis des Unterrichtsalltags wirksam werden zu lassen.

Summary
The results of the most recent Pisa study gave rise to hot political debates on edu-
cation and school topics. A reorientation of the education system and fundamental
changes to it have been widely demanded. The weak scores of pupils in cognitive
tasks as well as an increasing inclination to violence and aggression among to-
day's children and adolescents require a new approach.
The following essay is devoted to an examination of the extent to which "rhythmic-
musical education" as a teaching principle might contribute to personality devel-
opment of children and whether this principle might present an efficient alternative
or supplementary enrichment over traditional teaching methods. The results of a
long term study by Hans Günther Bastian and his team have been juxtraposed to
key messages of expert interviews, indicating the positive effect of music on per-
sonal characteristics such as intelligence and social competence. Moreover, the
pedagogic principle"rhythmic-musical education"is further explained - a process
based on music whereby research findings impact practice in every day school
life.

Danksagung
Ich danke Frau Helga Neira-Zugasti, Frau Mag. Agnes Palmisano und
Herrn Walter Kern für Ihr Interesse und die Zeit, die sie sich während der Inter-
views genommen haben und die sehr netten, aufschlussreichen und bereichern-
den Gespräche, die sich im Anschluss daran ergeben haben.

Verzeichnisse 5
Inhalt
1 EINFÜHRUNG
...
7
2 PROBLEMAUFRISS...
9
3 PERSÖNLICHKEITSENTFALTUNG DURCH MUSIK... 11
3.1
Musik und ihre Wirkung ­ Studien zu Transfereffekten... 13
3.1.1 Musik(erziehung) und ihre Wirkung ­ eine Langzeitstudie an Berliner
Grundschulen ... 15
3.1.1.1 Die
Methode...
16
3.1.1.2 Ergebnisse
...
17
3.2
Eigene Forschung zur Wirkung von Musik ... 20
3.2.1 Gespräche mit Fachleuten ... 20
3.2.1.1 Portrait und Interview ­ Walter Kern ... 20
3.2.1.2 Portrait und Interview ­ Agnes Palmisano ... 28
3.2.1.3 Portrait und Interview ­ Helga Neira-Zugasti ... 34
3.2.2 Vergleichende Analyse der Forschungsergebnisse ... 43
3.2.2.1 Was macht Persönlichkeit aus ... 44
3.2.2.2 Wirkung von Musik ... 45
3.2.2.3 Aggressivität
und
Musik
...
46
3.2.2.4 Musikalische
Förderung im Schulsystem ... 47
3.2.3 Resümee
...
48
3.3 Folgerungen
für
den
Unterrichtsalltag ... 48
4 RHYTHMISCH-MUSIKALISCHE
ERZIEHUNG
...
49
4.1
Definition ,,Rhythmisch-musikalische Erziehung" ... 50
4.2 Rhythmisch-musikalische
Erziehung
­ die Anfänge ... 52
4.3
Wesentliche Aspekte der Rhythmisch-musikalischen Erziehung ... 53
4.4
Inhalte und Ziele der Rhythmisch-musikalischen Erziehung ... 53
4.4.1 Allgemeine Zielsetzung und Voraussetzungen für das Lernen ... 54
4.4.2 Fachliche Zielsetzungen und kognitive Fähigkeiten ... 55
4.5
Elemente und Mittel der Rhythmisch-musikalischen Erziehung ... 57

Verzeichnisse 6
4.5.1 Bewegung
...
57
4.5.2 Musik
... 60
4.5.3 Sprache
...
64
4.5.4 Material
...
65
4.6
Die Berechtigung ,,Rhythmisch-musikalischer Erziehung" in der
pädagogischen Arbeit ... 68
5 RHYTHMISCH-MUSIKAL.
ERZIEHUNG
ALS UNTERRICHTSPRINZIP ... 73
5.1
Rhythmisch-musikalische Erziehung und ihre Bedeutung für d. Lernen .. 75
5.1.1 Ganzheitliches Lernen ... 75
5.1.2 Fächerübergreifendes Lernen ... 76
5.1.3 Erkenntnisse für das Lernen ... 76
5.1.4 Möglichkeiten des Einsatzes von rhythmisch-musikalischen Elementen
und Mitteln im Rahmen des Gesamtunterrichts ... 78
6 PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG
­ QUERVERBINDUNGEN ZUM
LEHRPLAN ... 81
6.1
Allgemeine Bildungsziele ... 81
6.2
Rhythmik im Lehrplan der Volksschule - Vorschulstufe ... 81
6.3
Musikerziehung im Lehrplan der Volksschule und der Allgemeinen
Sonderschule ... 82
6.4
Schlussfolgerungen für den Unterricht ... 84
7
BEOBACHTUNGEN UND ERFAHRUNGEN AUS DER PRAXIS ... 87
7.1
Musisch-kreativer Schwerpunkt am SPZ Schwarzingergasse in Wien ... 87
7.2
Vermehrtes musikalisches Angebot in der VS Kollegium Kalksburg ... 91
8 ZUSAMMENFASSENDE
SCHLUSSWORTE
...
95
9 LITERATURVERZEICHNIS
...
97

Einführung 7
1 EINFÜHRUNG
,,So ist also die Erziehung durch Musik darum die vorzüglichste,
weil Rhythmus und Harmonie am tiefsten in das Innere der Seele dringen,
ihr Anmut und Anstand verleihen."
Sokrates (469 ­ 399 v. Chr.)
In meiner täglichen Arbeit als Lehrerin bin ich laufend mit der Tatsache konfron-
tiert, dass das Schulsystem vor allem auf der Erbringung kognitiver Leistungen
aufbaut. Dass auch gerade hier immer mehr Kinder enorme Defizite und Lernprob-
leme aufweisen und zunehmend auch mehr Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten
und anderen Störungen in den Klassen sitzen, führe ich auf den immer rasanter
werdenden Lebenswandel der heutige Gesellschaft zurück.
Es sollte daher in der pädagogischen Verantwortung der Lehrer liegen, hier ent-
gegenzuwirken. Da ich seit über zehn Jahren Klassen mit musikalischem Schwer-
punkt führe, kann ich mittlerweile aus Erfahrung sagen, dass eine konsequente
integrierte rhythmisch-musikalische Schulung ein sehr guter Weg ist, Kinder in
ihrem Werden zu begleiten und auf ihren weiteren Lebensweg vorzubereiten. Um
mich den Worten Sokrates anzuschließen, ist ,,Rhythmisch-musikalische Erzie-
hung" ein ideales Werkzeug um Türen bei Kindern zu öffnen, also ein Schlüssel
zur Seele der Menschen.
Ich habe anfangs eher unbewusst versucht, rhythmisch-musikalische Elemente in
allen Unterrichtsfächern einzubauen, bis ich auf die Unterschiede meiner Schüler
in Verhalten und Leistungen zu Schülern anderer Klassen aufmerksam wurde.
Heute bin ich überzeugt, dass sich dieser Einfluss langfristig positiv auf Verhalten
und Leistungen der Kinder auswirkt.
Aus meinem unbewussten Agieren wurde bald gezielt eingesetzte rhythmisch-
musikalische Schulung als Unterrichtsprinzip, gekoppelt mit dem Wunsch über die
Vorgänge und Auswirkungen mehr zu erfahren. Ich begann meinen Unterricht zu
analysieren, in welchen Bereichen und Situationen rhythmisch-musikalische Schu-
lung, abgesehen vom Lehrfach Musik, einfließt.
Zu meiner Überraschung fand ich kein einziges Unterrichtsfach, in dem musika-
lisch integrative Elemente nicht stattfanden. Dieser Erkenntnis folgend drängten
sich für mich etliche Fragen auf.

Einführung 8
x Inwieweit wirkt Musik auf Denken, Lernen und Intelligenz?
x Inwieweit fördert Musik emotionale und soziale Kompetenzen?
x Inwieweit beeinflusst Musik die Persönlichkeit eines Menschen?
Antworten und die Bestätigung meiner Vermutungen und Beobachtungen fand ich
in verschiedensten Studien und den Aussagen von Experten, die ich im Laufe der
Auseinandersetzung mit dem Thema befragt habe. Musik und Rhythmisch-
musikalische Erziehung als Unterrichtsprinzip sollte jeder Pädagoge in seinem
Alltag zur Selbstverständlichkeit werden lassen.
Im Interesse der Lesbarkeit wurde darauf verzichtet, bei Personenbezeichnungen
jedes Mal auch die weibliche Form anzugeben. Die Bezeichnung ,,Schüler" wird
geschlechtsneutral und wertfrei verwendet!

Problemaufriss 9
2 PROBLEMAUFRISS
Bildung und Erziehung befinden sich im Umbruch und das Schulsystem wird mit
Sicherheit einem tiefgreifenden Wandel unterzogen werden, die Frage ist jedoch
in welche Richtung. Finden Veränderungen im Sinne einer pädagogisch wertvollen
Zukunft statt oder mehr im wirtschaftlich orientierten Sektor, da Schule ein kost-
spieliges Unternehmen darstellt? Für Pädagogen bleibt zu hoffen, dass neue Er-
kenntnisse über das Lernen und das Entwickeln seelisch-geistiger Kräfte und Fä-
higkeiten berücksichtigt werden, denn mit Besorgnis beobachten Lehrer die Ver-
änderungen ihrer Schüler, die mehr und mehr kognitiv gedrillt werden, denn einer
ganzheitlichen Herzensbildung unterzogen werden. Während der Bildungsbegriff
im gesellschaftlichen Alltag oft lediglich mit ,,Wissensvermittlung" in Zusammen-
hang gebracht wird, schrieb Wilhelm von Humboldt dem Wort Bildung das Moment
der Selbständigkeit, und des sich Bildens der Persönlichkeit zu.
Nach Humbold ist Bildung die Anregung aller Kräfte des Menschen, damit diese
sich über die Aneignung der Welt entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden
Individualität und Persönlichkeit führen. (Vgl. http://www.psychiatriegespraech.de)
Diesen Gedanken möchte ich als Pädagogin weiterführen und in dieser Arbeit der
Frage nachgehen, wie Unterricht gestaltet sein muss um Kinder ganzheitlich zu
erreichen bzw. welches Unterrichtsprinzip die Persönlichkeitsentwicklung von Kin-
dern am ehesten unterstützt. Dabei soll insbesondere untersucht werden, ob
,,Rhythmisch-musikalische Erziehung" als ganzheitliches Unterrichtsprinzip die
Persönlichkeit und soziale Kompetenz von Schülern fördern kann.
Es ist durch zahlreiche Studien belegt, dass Musik in vielerlei Hinsicht positive
Wirkungen erzielt. Wenn auch manche Forschungsergebnisse umstritten sind, so
geben sie doch eindeutig Hinweise darauf, in welch hohem Maße und in welch
unterschiedlichen Bereichen Musik stimulierend wirken kann und welchen Effekt
Musik auf spezifische Parameter und Persönlichkeitsbereiche wie zum Beispiel
Gedächtnisleistungen, die Intelligenz, das Sozialverhalten, die körperliche und
psychische Entspannung beziehungsweise Aktivierung erzielt.
Eine der längsten Studien, die im schulischen Bereich über Musik und ihre Wir-
kung durchgeführt wurde, ist ein Forschungsprojekt, das unter der Leitung von
Hans Günther Bastian an Berliner Schulen durchgeführt wurde. (Bastian 2000)

Problemaufriss 10
Ich werde diese Langzeitforschung vorstellen und anhand dieser Studie einige
wesentliche Bereiche, die für diese Arbeit unbedingt erforderlich sind exemplarisch
beleuchten, um deren Bedeutung für die Thematik genauer herauszustreichen.
Sowohl die Forschungsergebnisse als auch die Erkenntnisse meiner eigenen Re-
cherchen, die ich mittels Interviews von Fachleuten durchgeführt habe und in Zu-
sammenhang zur bereits genannten Langzeitstudie stelle, überzeugen mich Musik
im Unterricht zu integrieren.
Da Musik einen wesentlichen Teilbereich von Rhythmisch-musikalischer Erzie-
hung darstellt, werde ich in weiterer Folge dieses ganzheitliche Pädagogische Un-
terrichtsprinzip erläutern, da es im Laufe der Auseinandersetzung mit der Thema-
tik aus meiner Sicht eine ideale Methode darstellt, um Kinder in der Entwicklung
ihrer Persönlichkeit zu unterstützen.

Persönlichkeitsentfaltung durch Musik 11
3
PERSÖNLICHKEITSENTFALTUNG DURCH MUSIK
,,Es scheint eine tief im Menschen verwurzelte Vorstellung zu geben, dass die
Künste ­ insbesondere Musik ­ den Menschen veredeln, ihn heilen, stärken und
bessern. Schon immer hoffte man, mit dem Schönen (hier: der Musik) zugleich
auch das Gute (hier: eine positive Persönlichkeitsentwicklung) verbinden zu kön-
nen." (Gruhn 2003 II, S. 58)
Die Frage, ob kindliche Persönlichkeitsentwicklung durch das Wirken von Musik
und Rhythmisch-musikalische Erziehung als Unterrichtsprinzip gefördert werden
kann, bedingt eine nähere Betrachtung des Begriffs Persönlichkeit.
Eine einheitliche und allgemein gültige Definition die der Komplexität von Persön-
lichkeit gerecht wird, gibt es nicht. Es finden sich jedoch in der Literatur eine Reihe
von Definitionen verschiedener Autoren, von denen im Folgenden einige angeführt
werden.
,,Im psychologisch-psychiatrischen Sprachgebrauch kann Persönlichkeit definiert
werden als die Gesamtheit der (psychischen) Eigenschaften und Verhaltenswei-
sen, die dem einzelnen Menschen eine eigene, charakteristische, unverwechsel-
bare Individualität verleihen. Es handelt sich dabei um eine weitgehende stabile
oder doch lange Zeit überdauernde Struktur individueller Eigenschaften in Bezug
auf Charakter, Temperament, Intelligenz und körperliche Grundbedingungen eines
Menschen. Das Temperament beschreibt dabei die Art des Antriebs und der Akti-
vität, die sich in Form von Gefühlen, Willensbildung und Triebleben zeigen. Cha-
rakter bezieht sich auf die im Laufe des Lebens weitgehend konstanten Einstel-
lungen, Handlungsweisen, die individuelle Besonderheit und vor allem die Wert-
haltungen eines Menschen."
Dittmann und Stieglitz (1996)
,,Persönlichkeit und Persönlichkeitseigenschaften eines Menschen sind Ausdruck
der für ihn charakteristischen Verhaltensweisen und Interaktionsmuster, mit denen
er gesellschaftlich-kulturellen Anforderungen und Erwartungen zu entsprechen
und seine zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Suche nach einer persön-
lichen Identität mit Sinn zu füllen versucht. Dabei sind jene spezifischen Eigenar-
ten, die eine Person unverkennbar typisieren und die sie zugleich von anderen
unterscheiden, wegen ihrer individuellen Besonderheiten immer zugleich von so-

Persönlichkeitsentfaltung durch Musik 12
zialen Regeln und Erwartungen mehr oder weniger abweichende Handlungsmus-
ter." Fiedler (1997)
,,Persönlichkeit ist die mehr oder weniger stabile und dauerhafte Organisation des
Charakters, Temperaments, Intellekts und Körperbau eines Menschen, die seine
einzigartige Anpassung an die Umwelt bestimmt. Der Charakter eines Menschen
bezeichnet das mehr oder weniger stabile und dauerhafte System seines konati-
ven Verhaltens (des Willens); sein Temperament das mehr oder weniger stabile
und dauerhafte System seines affektiven Verhaltens (der Emotion oder des Ge-
fühls); sein Intellekt das mehr oder weniger stabile und dauerhafte System seines
kognitiven Verhaltens (der Intelligenz); sein Körperbau das mehr oder weniger
stabile System seiner physischen Gestalt und neuroendokrinen (hormonalen)
Ausstattung". Eysenck (1970)
(Vgl.
http://www.psychiatriegespraech.de
)
Ausgehend von diesen Definitionen kann Entwicklung der menschlichen Persön-
lichkeit als ein Prozess betrachtet werden, der eine Gesamtheit dessen be-
schreibt, was die Individualität eines Menschen ausmacht, seine Intelligenz und
seine sozial-emotionalen Kompetenzen.
Professor Hans Günther Bastian, der Leiter einer Langzeitstudie über Musik und
ihre Wirkung, nennt ,,Schlüsselqualifikationen", die Persönlichkeitsmerkmale dar-
stellen: Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Flexibilität, Kreativität,
Denken in Zusammenhängen, Selbstständigkeit, Problemlösefähigkeit, Transfer-
fähigkeit, Lernbereitschaft, Durchsetzungsvermögen, emotionale Stabilität u.a.;
(Vgl. Bastian 2001, S. 18) und meint dazu: ,,Ist Musik nicht ein ideales Medium und
Forum bzw. eine Chance zur effektiven Förderung eben dieser Persönlichkeits-
merkmale? Sie fordert und fördert Extraversion im ausdrucksstarken Spiel, Team-
fähigkeit im Ensemblemusizieren, Gewissenhaftigkeit gegenüber dem musikali-
schen Werk und der Musiksozietät, emotionale Stabilität im Podiumsstress der
Kunstdarbietung, Intelligenz in der kongenialen Interpretation eines musikalischen
Werkes. (...) Angesichts neuerer interdisziplinär übereinstimmender Forschungs-
ergebnisse aus den Bereichen Hirnforschung, Psychologie und Musikpädagogik
sei so plakativ wie selbstbewusst festgestellt: Musik und Umgang mit Musik so
früh wie möglich und auf allen Ebenen war nie notwendiger als heute!" (Bastian
2001, S. 19)

Persönlichkeitsentfaltung durch Musik 13
,,Musik versetzt den Menschen in Stimmung, indem sie die Tiefen des Gemüts und
die Bewegung der Seele erfasst. Beim Musizieren wird der Mensch in das Zent-
rum seines geistigen Daseins gehoben." G.W.F. Hegel (1770-1831)
Dass Musik große Wirkungen auf Gemüts- und Stimmungslage haben kann, wird
durch viele Zeugnisse belegt. ,,Die Liste der Belege aus Religion, Mythologie und
Literatur ist lang, und wir alle wissen aus eigener Erfahrung um die vielfältigen,
keinesfalls immer nur angenehmen Wirkungen der Musik, etwa dort, wo wir sie als
akustische Umweltverschmutzung empfinden, wenn musikalische Berieselung alle
Lebensbereiche durchdringt, oder dort, wo sie, zu Lärm gesteigert, uns an die
Nerven geht und unsere Ruhe raubt. (...) Ja, es muss wohl dabei bleiben, dass sie
zweideutigen Wesens ist!" (Gruhn 2003 I, S. 113)
Nachweisbar sind bestimmte physiologische Wirkungen auf den Menschen. Mit
Atmung und Herzfrequenz, Muskeltonus und Blutdruck reagiert der Mensch auf
Musik in ähnlicher Weise. Neurophysiologische Befunde liefern ebenso eindeutige
Ergebnisse über gigantische neuronale Vernetzungen hervorgerufen durch Musik.
Sie beeinflusst das Zusammenwirken der Nervenzellen, deren hochkomplexer
Aufbau aus raum-zeitlichen Interaktionsmustern allen mentalen, kognitiven und
sozialen Aktivitäten zugrunde liegt, sie fördert die Verbindung und Aktivität beider
Hirnhemisphären. (Vgl. Bastian 2001, S. 38)
3.1
Musik und ihre Wirkung ­ Studien zu Transfereffekten
Im Rahmen von wissenschaftlichen Studien über Transfereffekte von Musik in Be-
reichen wie der Biophysik, der Neurophysiologie, der Psychologie und anderen,
wurde versucht empirisch nachzuweisen, welche unterschiedliche Wirkungen Mu-
sik hervorrufen kann. Hier ist ein weites Forschungsfeld gegeben, das sich mit
psychischen und sozialen Prozessen oder Zuständen im Zusammenhang mit der
Wahrnehmung, Verarbeitung und Produktion von Musik befasst.
Für den Bereich Schule sind vor allem Studien interessant, die vor dem Hinter-
grund der Hypothesen über Lernförderung und des positiven Einflusses auf die
Persönlichkeitsentwicklung infolge erhöhter Aktivität im musischen Bereich in
schulischen Kontexten entstanden sind.

Persönlichkeitsentfaltung durch Musik 14
Bereits in den 60-er Jahren erregten ungarische Berichte über positive Wirkungen
des täglichen Singens und Musizierens einiges Aufsehen. (Fryges 1966; zit. n.
Spychiger 1993) Demzufolge führte der Musikunterricht nach der Methode des
ungarischen Musikpädagogen und Komponisten Zoltan Kodaly über die Förderung
musikalischer Fähigkeiten hinaus zur Verbesserung der schulischen Entwicklung.
,,Die Kinder sollen erhöhte Konzentration und Kreativität aufweisen, lieber zur
Schule gehen und mehr Gemeinschaftssinn entwickeln". (Spychiger 1993, S. 363
in: Gembris 2001, S. 139) Teilweise konnten diese Ergebnisse repliziert werden,
wobei allerdings der Effekt stark an die Methode des Musikunterrichts gebunden
war. Insbesondere ließen sich bei lernbehinderten Kindern gute Erfolge nachwei-
sen.
Auch in der Schweiz und den USA wurden Studien über die Wirkung des erweiter-
ten Musikunterrichts auf Schulleistungen und verschiedene Aspekte der Persön-
lichkeit durchgeführt.
Bei der Schweizer Studie, die zwischen 1988 und 1992 lief, zeigt ein Vergleich von
Soziogrammen der Versuchs- und Kontrollklassen, dass sich die sozialen Bezie-
hungen in der Versuchsgruppe gegenüber der Kontrollgruppe signifikant verbes-
sert hatten. Es konnte ein Abbau von sozialen Hemmungen und Aggressivität be-
obachtet werden. (Vgl. Spychiger 1993, S. 364 in: Gembris 2001, S. 139)
In der amerikanischen Studie, dem Rhode Island Report (Gardiner et al. 1996; zit.
n. Staines 1999), wurden Grundschulkinder untersucht, die an einem erweiterten
Programm zu musischen Erziehung teilnahmen und mit einer Kontrollgruppe ver-
glichen. Viele Kinder der Testgruppe waren bei Schuleingangstests nach dem
Kindergarten nicht so gut wie die Kinder aus der Kontrollgruppe. Schon nach sie-
ben Monaten hatte die Testgruppe mit erweitertem musischen Unterricht im Ver-
gleich mit den Kindern aus der Kontrollgruppe aufgeholt und in manchen Berei-
chen sogar überholt. (Vlg. Gembris 2006, S. 138, 139)
Die größte Studie zu diesem Thema wurde unter dem Titel ,,Musik(erziehung) und
ihre Wirkung, eine Langzeitstudie an Berliner Grundschulen", unter der Leitung
von Professor Hans Günther Bastian durchgeführt. In diesem Forschungsprojekt
wurden Transfereffekte des Musikunterrichts unter anderem auf Kreativität, Intelli-
genz, soziale Kompetenzen, Konzentrationsfähigkeit und verschiedene Persön-
lichkeitsmerkmale untersucht. (Vgl. Bastian 2000)

Persönlichkeitsentfaltung durch Musik 15
3.1.1
Musik(erziehung) und ihre Wirkung ­ eine Langzeitstudie an Berli-
ner Grundschulen
,,Von Hellas bis heute, von A dorno bis Z acher werden die ,,Wirkkräfte" von Musik
und Musizieren für die Erziehung des Menschen in zahllosen Aphorismen be-
schworen ­ von Philosophen, (Musik-) Pädagogen, Künstlern, Politikern und vor-
nehmlich in Festreden. Die verbreitete Lebensweisheit vom ,,Nutzen der Musik",
von Musik als ,,Mittel der Erziehung" blieb jedoch mit wenigen Ausnahmen ohne
wissenschaftliches Fundament. Daher wusste man über tatsächliche, d.h. über
empirisch nachweisbare Transfereffekte einer ,,erweiterten" Musikbegegnung auf
die Entwicklung von Kindern recht wenig. Im Allgemeinen verharrte man auf einem
alltagspsychologischen Kenntnisstand: Jeder wusste aus persönlichen Erfahrun-
gen Erfreuliches beizutragen, doch es blieb der Makel des Subjektiven, es fehlte
die Evidenz des Objektiven." (Bastian 2001, S. 101)
Aus diesem Grund führte ein Forschungsteam unter der Leitung von Professor
H.G.Bastian zwischen 1992 und 1998 an sieben Berliner Grundschulen eine
Langzeitstudie ,,Zum Einfluss von intensiver Musikerziehung auf die allgemeine
und individuelle Entwicklung von Kindern" durch.
Diesem bildungs- und fachpolitisch relevanten Forschungsprojekt lag die These
zugrunde, dass das Lernen eines Instruments, Musizieren im Ensemble und Mu-
sikunterricht die kognitiven - intellektuellen, kreativen, ästhetischen, musikali-
schen, sozialen und psychomotorischen Fähigkeiten und Begabungen von Kin-
dern vorteilhaft beeinflussen und fördern können, daneben auch motivationale und
emotionale Dispositionen wie Lern- und Leistungsbereitschaft, Konzentration, En-
gagement und Selbständigkeit, Belastbarkeit und Ausdauer, Fremd- und Selbstkri-
tik und anderes mehr.
In einem sechsjährigen Projektverlauf sollten differential- sozial- und musikpsycho-
logische Merkmale von sechs- bis zwölfjährigen Kindern erhoben werden.
x Differentialpsychologisch wurde Kreativität, musikalische Begabung, Intelli-
genz, schöpferisches Denken, emotionale Labilität und Angsterleben, Kon-
zentrationsfähigkeit, Psychomotorik und soziale Kompetenz untersucht.
x Sozialpsychologisch
wurden
Familienstrukturen, Sozialschichten, Bildungs-
niveaus, Erziehungsambiente, elterliches Musizieren, vorschulische Erfah-
rungen der Kinder, Einstellungen zu und Erwartungen an Schule und (Mu-

Persönlichkeitsentfaltung durch Musik 16
sik-) Unterricht betrachtet, wissend, dass Transfereffekte von Musikerzie-
hung und Musizieren von Wechselwirkungen und Zusammenhängen von
systematisch vernetzten Variablen abhängig sind. (Vlg. Bastian in: Schei-
degger 1997, S. 125)
(Bastian in: Scheidegger 1997, S. 126)
3.1.1.1 Die
Methode
Neu im Vergleich zu anderen europäischen Studien war die Dauer des For-
schungsprojektes von sechs Jahren wobei ein wesentliches Kriterium der wissen-
schafts-methodische Anspruch der Vernetzung von qualitativer und quantitativer
Forschung war.
Im Blickwinkel standen Kinder an Berliner Schulen mit vermehrter musikalischer
Aktivität. Diese Schüler der Modellgruppe erhielten wöchentlich zwei Stunden Mu-
sikunterricht, darüber hinaus lernten sie einzeln oder in Gruppen ein Instrument
und sie musizierten in verschiedenen Ensembles. Die Entwicklung dieser Kinder
wurde verglichen mit der Entwicklung der Kinder aus einer Kontrollgruppe ohne
zusätzlicher Musikbetätigung.

Persönlichkeitsentfaltung durch Musik 17
Das Team des Forschungsprojekts stand in ständigem Dialog mit Lehrern, Eltern
und den Kindern. Dieser Dialog wurde zu einem wichtigen Forschungsfeedback.
Weiters wurden Interviews geführt, qualitative Verfahren wie Bilder malen, kreati-
ves Zeichnen, Melodien erfinden, u.a. eingesetzt, sowie einer traditionellen quanti-
tativen Forschung entsprechend - merkmalspezifische standardisierte psychomet-
rische Tests, die teilweise neu konzipiert wurden, durchgeführt.
(Vgl. Bastian in: Scheidegger 1997, S. 127)
3.1.1.2 Ergebnisse
Diese Langzeit- und Evaluationsforschung hat empirisch nachgewiesen, dass er-
weiterte Musikerziehung die Entwicklung von Kindern positiv beeinflusst. Aus den
Daten geht hervor, dass Kinder, die sich musikalisch betätigen, nachweislich ihre
Kreativität schulen, ihre Konzentration trainieren, allgemein ihr Leistungsvermögen
fördern, ihre Lern- und Leistungsmotivation intensivieren und ihre soziale Integra-
tionsbereitschaft steigern. (Vgl. Müller-Heuser in: Bastian 2001, S. 9)
Da die Ergebnisse in den Bereichen ,,Intelligenz" und ,,Soziale Kompetenz" sowie
die ,,allgemeinen schulischen Leistungen" wesentliche Elemente für die Arbeit ei-
nes Lehrers und Kernbereiche für die Thematik dieser Arbeit sind, unterziehe ich
diese einer genaueren Betrachtung.
Intelligenzentwicklung
Hinsichtlich der Intelligenz zeigte die Analyse der Intelligenztests, dass sich so-
wohl Modell- als auch Kontrollgruppe ­ bezogen auf ihre IQ-Mittelwerte (Intelli-
genzquotient) ­ in den ersten Jahren ihrer Grundschulzeit zunächst nicht sehr un-
terschiedlich entwickelten. Nach vier Jahren erweiterter Musikerziehung kam es
jedoch zu einem explosiven IQ-Zugewinn bei Kindern aus musikbetonten Schulen.
Kinder, die bereits zu Projektbeginn überdurchschnittliche IQ-Werte erreicht hat-
ten, steigerten diesen kognitiven Begabungsvorteil signifikant deutlicher als Kinder
aus der Kontrollgruppe ohne erweiterte Musikerziehung. Sozial benachteiligte und
in ihrer kognitiven Entwicklung weniger geförderte Kinder mit unterdurchschnittli-
chen IQ-Werten profitierten ebenfalls. Sie legten bezogen auf ihren IQ kontinuier-

Persönlichkeitsentfaltung durch Musik 18
lich zu, was für unterdurchschnittlich kognitiv begabte Kinder ohne intensive Mu-
sikbetätigung nicht bestätigt werden konnte. (Vgl. Bastian 2001, S. 78,79)
Effekte im Sozialverhalten
Die Frage nach Veränderungen des sozial-emotionalen Verhaltens in Modell- und
Kontrollklassen brachte das eindeutigste Ergebnis der Studie heraus.
Mittels vereinfachtem Soziogramm wurde die Veränderung der sozialen Einstel-
lungen innerhalb der einzelnen Klassen erfasst, das Mit- und Gegeneinander, die
Sympathien und Antipathien, die für den sozialen Zusammenhalt in einer Schul-
klasse und darüber hinaus in unserer Gesellschaft so entscheidend sind. Der An-
teil der Kinder, die laut Soziogrammanalysen keine Ablehnung erhielten (den
Schüler mag ich nicht), war nach Einsetzen des Erlernens eines Instruments und
des gemeinsamen Musizierens in einem Ensemble ab dem zweiten Schuljahr in
der Modellklasse signifikant höher als in der Kontrollgruppe ohne Musikschwer-
punkt. Das bedeutet, dass die Zahl der Kinder, die in der gesamten Grundschul-
zeit in den Klassen mit Musikschwerpunkt zu fast jedem Schuljahresende keine
einzige Ablehnung erhielten, nahezu doppelt so hoch war, wie in Klassen ohne
Musikbetonung. Auch die Zahl der mehrfachen Ablehnungen von Schülern war in
den Vergleichsklassen ohne intensive Musikerziehung deutlich höher als in den
musikbetonten Klassen, was besagt, dass es in den Kontrollklassen wesentlich
mehr abgelehnte Kinder, mehr Außenseiter, mehr sozial stigmatisierte und schwe-
rer integrierbare Kinder gab, als in den Klassen mit Musikschwerpunkt. Nach dem
4. Schuljahr war die Zahl der Kinder, die ein bis zwei Ablehnungen erhielten, in
den Kontrollklassen doppelt so hoch wie in den Musikklassen, was ein eindeutiges
Plädoyer für Musik darstellt.
Es konnte eindeutig erfasst werden, dass Instrumentalspiel und Musizieren im En-
semble das Sozial- und Gruppenverhalten von Kindern deutlich positiv beeinflus-
sen, sie fördern die soziale Kompetenz. (Vgl. Bastian 2001, S. 51 ­ 53)
Allgemeine schulische Leistungen und Konzentrationsfähigkeit
Um die schulischen Leistungen betrachten zu können, wurde die internationale
Vergleichsstudie PISA (Programme for International Student Assessment) durch-
geführt, in der die Leistungen in den Bereichen Leseverständnis, Mathematik und
Naturwissenschaften sowie fächerübergreifende Kompetenzen erfasst werden, die
für methodisches Vorgehen, selbständiges Lernen und kooperatives Arbeiten not-
wendig sind.

Persönlichkeitsentfaltung durch Musik 19
Im Rahmen des Messverfahrens gehörte es beispielsweise, Aufsätze zu diversen
Themen zu schreiben. Die Aufsätze wurden ohne Kenntnis davon, ob der jeweilige
Schüler der Modellgruppe oder der Kontrollgruppe zuzuordnen war, nach den Kri-
terien Inhalt, sprachliche Gestaltung, grammatikalisches Niveau, Originalität und
Rechtschreibung mit Berücksichtigung von Legasthenie beurteilt. Das bildungs-
und schulpolitisch sehr bedeutsame Ergebnis dieses Leistungsvergleiches war
klar: trotz des erweiterten Musikunterrichts kam es zu keiner Erhebungszeit zu
einem Leistungsabfall der Modellgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe. Wenn
man das Beispiel Rechtschreibung betrachtet, so fiel auf, dass die Schüler der
Modellgruppe zu bestimmten Zeitpunkten signifikant bessere Leistungen erzielten
als die Schüler der Kontrollgruppe. Nach den vorliegenden Ergebnissen der Schul-
leistungsvergleiche zwischen identischen Stichproben der Modellgruppe und Kon-
trollgruppe musste festgestellt werden, dass erweiterte Musikerziehung nicht zu
derartigen Leistungssteigerungen in den Fächern Deutsch, Mathematik und Eng-
lisch führten, dass diese als wissenschaftlich nachweisbare Effektgrößen bewertet
werden könnten. Das Hauptergebnis des Leistungsvergleiches war aber, dass die
zeitliche Mehrbelastung der Schüler in den musikbetonten Grundschulen durch
das Lernen eines Instruments und das Ensemblespiel ganz eindeutig nicht zulas-
ten der Leistungen in den so genannten Hauptfächern geht. Somit konnte die
Hypothese ,,Erweiterter Musikunterricht führt zu keiner Leistungsminderung in den
Haupt- und Kernfächern" wissenschaftlich gründlich bestätigt werden. (Vgl. Basti-
an 2991, S. 91 ­ 97)
Die allgemeinen Ergebnisse der Studie, seien sie auch teilweise umstritten, wei-
sen deutlich darauf hin, dass Musik Kinder in jenen Persönlichkeitsmerkmalen, die
diese Studie unter dem Aspekt der Transferleistung als bedeutsam und generali-
sierbar herausgearbeitet hat, fördert.
Diese Daten zeigen auf, dass Musik im schulischen Kontext als Notwendigkeit
betrachtet werden sollte und liefern wichtige Argumente für die bildungspolitische
Forderung nach einem festen und maßgebenden Platz von Musikerziehung im
Fächerkanon der allgemein bildenden Schulung.

Persönlichkeitsentfaltung durch Musik 20
3.2
Eigene Forschung zur Wirkung von Musik
3.2.1 Gespräche
mit
Fachleuten
Bei der Auseinandersetzung zu dieser Thematik sind Messdaten aus Studien und
Vergleich von Fachliteratur Bedingung, um einen weiten Einblick zu bekommen.
Es stellen jedoch lebendige Erfahrungen aus der Praxis von Menschen, die unmit-
telbar handelnd im inhaltlichen Bereich tätig sind und ständig in diesem Feld zu
tun haben, für mich eine unverzichtbare und äußerst bereichernde Ergänzung dar,
um dem Thema wirklich auf den Grund zu spüren.
Es ist mir gelungen, drei sehr interessante Persönlichkeiten zu treffen, die mir vor
allem weil ihnen die Thematik selbst sehr wichtig ist, viel Einblick in ihre Erlebnisse
und ihr Leben gewährt haben.
3.2.1.1
Portrait und Interview ­ Walter Kern
Walter Kern ist Musikpädagoge, Dozent an Pädagogischen Hochschulen, Refe-
rent für Lehrerfortbildung im In- und Ausland und Mitbegründer des ,,musik-
impulse-kolleg" für die Lehrerfortbildung. Er ist langjähriger Leiter der Landes-
arbeitsgemeinschaft für Musikerziehung in Wien, war Vorstandsmitglied der Ar-
beitsgemeinschaft der Musiker Österreichs (AGMÖ ). Neben seiner Tätigkeit als
Schulbuchautor hat er zahlreiche Publikationen zur Musikerziehung heraus-
gebracht.
Er war Mitbegründer der ersten Musikhauptschule Am Schöpfwerk in Wien und
später Direktor der Musik-Hauptschule in der Währinger Alseggerstraße.
Wer nach einem Aufnahmegespräch eine Musikhauptschule besuchen darf, kann
sich über fünf bis sechs Musikstunden pro Woche freuen.
Aber nicht das Heranbilden von Nachwuchs-Spezialmusikern ist das Ziel, die Be-
tonung liegt auf dem sozialen Lernen und der gesamten Leistungsfähigkeit die
gesteigert wird. Die Zahl jener Hauptschulabgänger, die dann eine weiterführende
höhere Schule besuchen, ist weitaus höher als in den Regelhauptschulen.

Persönlichkeitsentfaltung durch Musik 21
Walter Kern selbst begann mit 6 Jahren Klavier zu lernen, seine Klavierlehrerin
wurde, als er 11 Jahre alt war, ans Konservatorium berufen und nahm ihn als
Schüler mit. Bis zur Oberstufe absolvierte er alle Prüfungen, gab Konzerte und
gewann Blattspielwettbewerbe. Mit 17 Jahren hörte er mit dem Klavierunterricht
auf. Durch seine Erziehertätigkeiten auf Ferienlagern während Oster- oder in den
Sommerferien, wo er drei Wochen lang Kinder zu betreuen hatte und zuständig für
den Freizeitbereich war, bot es sich am Abend an, gemeinsam beisammen zu sit-
zen und zu singen, damit baute sich eine Gemeinschaft auf. Jedoch war Walter
Kern mit seinem Können am Klavier beim Musizieren am Lagerfeuer Fehl am
Platz. Die musikalische Begabung war da, aber er konnte sie nicht in die Gruppe
einbringen. Erst die Gitarre hat den Weg geebnet, auch in einer Gruppe agieren
zu können.
Walter Kern lernte Gitarre nur durch zusehen und zuhören von anderen Erziehern,
er hatte keinen Unterricht, aber es zeigte sich, dass er auch dieses Metier gut
meistern konnte. Er merkte sich schnell Liedtexte und schaffte es vor allem, Kin-
der zu motivieren. Er meint dazu: ,,Eine wichtige Sache bei Musikerziehern ist,
dass sie eine Ausstrahlung vermitteln und dass sie die Begeisterung die sie selbst
haben, weiter geben können, denn Kinder haben Millionen Sensoren mit denen
sie die Glaubwürdigkeit erkennen, ob der Mensch das auch selbst gerne macht."
Daher ist er ein großer Gegner von ,,Pflichtliedern", denn auch er selbst möchte
nur singen was ihm selbst Spaß macht.
Über seinen beruflichen Werdegang erzählt Walter Kern: ,,Ich hab 1968 mein
Lehramt gemacht, danach ein Jahr Bundesheer, bin dann 1969 in den Schuldienst
getreten und hab von Anfang an die Fahne der Musik hochgehalten, denn an der
Hauptschule im 6. Bezirk hat es keine Musikerzieher gegeben. Dort hab ich Mu-
sikunterricht überantwortet bekommen. Ich war damals 21 Jahre alt und hatte Kin-
der vor mir, die nur 10 Jahre jünger waren. Ich bekam gleich den Klassenvorstand
eines 2. Klassenzuges übertragen, sehr verunsichert, weil ich von Hauptschule
keine Ahnung hatte. Dort habe ich meine Persönlichkeit selbst entwickelt, weil ich
das was ich machte konnte, weil ich am Konservatorium war und auf Ferienlagern
sehr viel mit Kindern zu tun hatte. Eigentlich hab ich meine Selbstsicherheit durch
den Musikunterricht bekommen, weil ich dort erfolgreich war und weil ich in die-
sem Bereich die Kinder für mich begeistern konnte - dadurch wurden mir dann
auch die anderen Lehrinhalte abgenommen."
Walter Kern gründete in dieser Hauptschule bald einen Chor und hatte mit seinen
musikalischen Inhalten die, wie er berichtet, nicht an der schulischen Tagesord-
nung waren und mit Liedern die er nicht in der Ausbildung erfahren hat, sondern
die er von Ferienlagern her kannte, großen Erfolg.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783842813298
DOI
10.3239/9783842813298
Dateigröße
3.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Pädagogische Hochschule Niederösterreich (ehem. Pädagogische Akademie des Bundes in Niederösterreich) – Musikerziehung
Erscheinungsdatum
2011 (April)
Note
1
Schlagworte
transfereffekt rhythmik persönlichkeitsentwicklung musik erziehung
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Titel: Rhythmisch-musikalische Erziehung als Unterrichtsprinzip zur Förderung kindlicher Persönlichkeitsentwicklung
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