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Modulationen neuromuskulärer Bewegungsregulation bei Laufbewegungen unter variierenden Bedingungen

©2001 Doktorarbeit / Dissertation 220 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Seit mehr als 100 Jahren steht das Laufen im Mittelpunkt wissenschaftlichen Interesses. Die Entwicklung des Wissensgutes um die zentrale Bewegungsfertigkeit des Menschen neben dem Gehen, lässt sich an der Entwicklung der Messtechnik beschreiben.
So wurden neben der Chronofotografie, Filmanalysen durchgeführt, die erste Erkenntnisse über das Bewegungsverhalten des Menschen beim Laufen erbrachten.
Neben der Weiterentwicklung der kinematischen Verfahren, ermöglichte die Dynamografie die Messung der Bodenreaktionskräfte.
Zu den rein biomechanisch orientierten Verfahren, trat die Entwicklung von sportmedizinischen Analyseverfahren hinzu, die grundlegende Erkenntnisse über die Energiebereitstellung beim Laufen lieferten.
Grundlagen für die nach außen in Erscheinung tretenden Bewegungsfertigkeiten des Menschen wie das Laufen, Gehen und Springen sind jedoch die neuronalen Steuerungs- und Regelungsvorgänge. Die Ansteuerung des einzelnen Muskels (Muskelgruppen) als auch dessen Antagonisten unterliegt der Innervation durch das Nervensystem. Diese auf den ersten Blick einseitig gerichtete Abhängigkeit des Muskels vom Nervensystem ist zwar grundsätzlich richtig, beschneidet jedoch die modulierenden Interventionen der Rezeptoren im tendomuskulären System ganz erheblich. Ständige Rückmeldungen der Muskelspindeln und der Golgi-Sehnen-Organe wirken aus der Peripherie via efferenter Bahnen neben anderen neuronalen Einflüssen modulierend auf den Motoneuronenpool ein. Zusätzlich unterliegt die Sensibilität der Rezeptoren einer parallelen Steuerung aus dem Motoneuronenpool (Alpha-Delta - Koaktivierung.).
Seit einigen Jahren werden elektromyografische Untersuchungsverfahren und Auswerteroutinen eingesetzt, die einen wesentlichen Beitrag zum besseren Verständnis der komplexen Bewegungsleistung ‘Laufen’ beim Menschen liefern konnten. Im Mittelpunkt der Betrachtungen standen dabei die Extensorenmuskeln. An ihnen konnte die Bedeutung und Funktion segmentaler Dehnungsreflexe für die menschliche Motorik nachgewiesen werden.
Dies gilt sowohl für die Standregulation, als auch für das Gehen, Laufen und Springen.
In den o. g. Untersuchungen beschränkte man sich überwiegend auf die Plantarflexoren und -extensoren. Erst in neueren Untersuchungen von GOLLHOFER und FRICK wurden die Knieextensorenmuskeln in die Analyse mit einbezogen.
Für die weitaus komplexeren Laufbewegungen erscheint nach funktionellen Überlegungen eine Einbeziehung der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


GLIEDERUNG

0 Einleitung

1 Laufuntersuchungen im historischen Rückblick

2. Laufen unter variierenden Bedingungen
2.1. Laufen unter verschiedenen Geschwindigkeitsvorgaben, Steigungen & Vergleich Normallaufen vs. Laufbandlaufen
2.1.1 Laufverhalten bei verschiedenen Geschwindigkeiten
2.1.2 Laufverhalten bei unterschiedlichen Steigungen
2.1.3 Vergleich Laufband vs. Normallaufen
2.1.4 Bedeutung der ischiocruralen Muskulatur (i.M.) bei Laufbewegungen
2.2. Laufen unter ermüdenden Bedingungen
2.2.1 mechanische Betrachtungsweise
2.2.2 neurophysiologische Betrachtungsweise
2.3. Ermüdungsbedingte Veränderungen bei Bewegungen im Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ)
2.3.1 Sonderstellung der Muskelaktionsform DVZ
2.3.2 Ermüdungsverhalten im DVZ
2.4 Resumee des bisherigen Erkenntnisstandes

3 Zielsetzungen, Fragestellungen & Hypothesen
3.1 Bedeutung der ischiocruralen Muskulatur (i.M.) bei Laufbewegungen
3.2 Regulationsverhalten bei ermüdenden Laufbewegungen

4 Methodisches Vorgehen und Meßverfahren
4.1. Versuchspläne
4.1.1 Variation der externen Randbedingungen
4.1.1.1 Variation der Geschwindigkeiten
4.1.1.2 Variation der Steigungen
4.1.2. Ermüdungseinflüsse
4.1.2.1 Laufbandlaufen
4.1.2.2 Normallaufen
4.2 Personenstichproben
4.3. Eingesetzte Meßverfahren
4.3.1 Kontrolle der Bewegungstechnik
4.3.1.1 Messung der Bodenkontaktzeiten
4.3.1.2 Messung der Schrittstrukturmerkmale
4.3.1.3 Messung der Gelenkwinkel
4.3.2 Erfassung der Muskelinnervation
4.3.3 Messung der Blutlaktatkonzentration
4.4 Versuchsdurchführung
4.5 Merkmalsstichprobe, Messgenauigkeit und Fehlerab- schätzung
4.5.1 Signale zur Erfassung der Bodenkontaktzeiten, Flugzeiten & Schrittfrequenzen
4.5.1.1 Spannungs-Zeit-Kurven (S-Z-K)
4.5.1.2 Druck-Zeit-Kurven (D-Z-K)
4.5.2 Geschwindigkeitsvorgabe
4.5.2.1 Laufband
4.5.2.2 Fahrrad
4.5.3 Signale zur Erfassung der Gelenkwinkel
4.5.3.1 Winkel-Zeit-Kurven (W-Z-K)
4.5.4 Muskelinnervation
4.5.5 Blutlaktat
4.6 Datenverarbeitung

5 Darstellung der Untersuchungsergebnisse
5.1. Regulation auf externe Randbedingungen(Geschwindigkeit & Steigung)
5.1.1 Diskrete Geschwindigkeitsvorgaben (U1a)
5.1.1.1 Bewegungstechnik
5.1.1.2 Innervationsmuster
5.1.2 Variation der Steigung (U1b)
5.1.2.1 Bewegungstechnik
5.1.2.2 Innervationsmuster
5.2 Ermüdungsbedingte Veränderungen
5.2.1 Ermüdungserscheinungen beim Laufbandlaufen (U2)
5.2.1.1 Bewegungstechnik
5.2.1.1.1 Bodenkontaktzeiten
5.2.1.1.2 Flugzeiten
5.2.1.1.3 Schrittfrequenzen
5.2.1.1.4 Gelenkwinkelveränderungen
5.2.1.2 Innervationsmuster
5.2.1.3 Stoffwechsel
5.2.2 Ermüdungserscheinungen beim Normallaufen (U3 & U4)
5.2.2.1. U3 Laufbahn (Freien)
5.2.2.1.1 Bewegungstechnik
5.2.2.1.1.1 Bodenkontaktzeiten
5.2.2.1.1.2 Schrittstrukturmerkmale
5.2.2.1.1.3 Gelenkwinkelveränderungen
5.2.2.1.2 Innervationsmuster
5.2.2.1.3 Stoffwechsel
5.2.2.2. U4 Laufbahn (Halle)
5.2.2.2.1 Bewegungstechnik
5.2.2.2.1.1 Bodenkontaktzeiten
5.2.2.2.1.2 Gelenkwinkelamplituden
5.2.2.2.1.3 Winkelgeschwindigkeiten
5.2.2.2.2 Innervationsmuster
5.2.2.2.3 Stoffwechsel

6 Diskussion der Ergebnisse
6.1 Bedeutung der ischiocruralen Muskulatur - Regulation auf externe Randbedingungen -
6.1.1 Geschwindigkeiten
6.1.2 Steigungen
6.1.3 Vergleich Laufband vs. Normallaufen
6.2 Ermüdungsbedingte Veränderungen
6.2.1 Laufbandlaufen
6.2.2 Normallaufen

7 Zusammenfassung

8 Literaturverzeichnis

0 EINLEITUNG

Seit mehr als 100 Jahren steht das Laufen im Mittelpunkt wissenschaftlichen Interesses. Die Entwicklung des Wissensgutes um die zentrale Bewegungsfertigkeit des Menschen neben dem Gehen, lässt sich an der Entwicklung der Messtechnik beschreiben.

So wurden neben der Chronofotografie, Filmanalysen durchgeführt, die erste Erkenntnisse über das Bewegungsverhalten des Menschen beim Laufen erbrachten.

Neben der Weiterentwicklung der kinematischen Verfahren, ermöglichte die Dynamografie die Messung der Bodenreaktionskräfte.

Zu den rein biomechanisch orientierten Verfahren, trat die Entwicklung von sportmedizinischen Analyseverfahren hinzu, die grundlegende Erkenntnisse über die Energiebereitstellung beim Laufen lieferten.

Grundlagen für die nach außen in Erscheinung tretenden Bewegungsfertigkeiten des Menschen wie das Laufen, Gehen und Springen sind jedoch die neuronalen Steuerungs- und Regelungsvorgänge. Die Ansteuerung des einzelnen Muskels (Muskelgruppen) als auch dessen Antagonisten unterliegt der Innervation durch das Nervensystem. Diese auf den ersten Blick einseitig gerichtete Abhängigkeit des Muskels vom Nervensystem ist zwar grundsätzlich richtig, beschneidet jedoch die modulierenden Interventionen der Rezeptoren im tendomuskulären System ganz erheblich. Ständige Rückmeldungen der Muskelspindeln und der Golgi-Sehnen-Organe wirken aus der Peripherie via efferenter Bahnen neben anderen neuronalen Einflüssen modulierend auf den Motoneuronenpool ein. Zusätzlich unterliegt die Sensibilität der Rezeptoren einer parallelen Steuerung aus dem Motoneuronenpool (a d - Koaktivierung.)

Seit einigen Jahren werden elektromyografische Untersuchungsverfahren und Auswerteroutinen eingesetzt, die einen wesentlichen Beitrag zum besseren Verständnis der komplexen Bewegungsleistung "Laufen" beim Menschen liefern konnten. Im Mittelpunkt der Betrachtungen standen dabei die Extensorenmuskeln. An ihnen konnte die Bedeutung und Funktion segmentaler Dehnungsreflexe für die menschliche Motorik nachgewiesen werden.

Dies gilt sowohl für die Standregulation, als auch für das Gehen, Laufen und Springen (SchmidtbleicheR et al. 1978, DIETZ et al. 1981, 1987; FRICK 1993.)

In den o. g. Untersuchungen beschränkte man sich überwiegend auf die Plantarflexoren und -extensoren. Erst in neueren Untersuchungen von GOLLHOFER (1987c, 1989) und FRICK (1993) wurden die Knieextensorenmuskeln in die Analyse mit einbezogen.

Für die weitaus komplexeren Laufbewegungen erscheint nach funktionellen Überlegungen eine Einbeziehung der Hüftbeuge- und streckmuskulatur notwendig.

Untersuchungen von WIEMANN (1986, 1989, 1992), als auch Überlegungen von WASER (1985), beschäftigen sich mit der ischiocruralen Muskelgruppe (im Folgenden i.M. genannt) und deren möglichem Beitrag zur horizontalen Fortbewegungsgeschwindigkeit beim Sprint.

Funktionell zu den Knieflexoren, als auch zu den Hüftextensoren gehörig, wird ein möglicher Beitrag der o. g. Muskelgruppe als ziehende Komponente beim Sprintlauf während der Stützphase diskutiert. Hierbei wurde, in Anlehnung an das Lombard`sche Paradoxon, von WIEMANN (1992) ein Modell entwickelt, welches eine kniestreckende Wirkung der i.M. für die Laufbewegung beschreibt.

Zentrales Anliegen bisheriger Laufstudien war die Erfassung von biomechanischen und physiologischen Einflussgrößen und die Quantifizierung ihrer Veränderungen, wenn die Bewegungsgeschwindigkeit verändert wird (MACMAHON, 1984; CAVANAGH, 1990.)

Gleichwohl wurden die Auswirkungen der o. g. Einflussgrößen bei Laufbewegungen gegen unterschiedliche Steigungen untersucht. (SCHMIDTBLEICHER et al. 1978)

Trotz umfangreicher Erkenntnisse, die hierbei für das Verständnis von Laufbewegungen gewonnen wurden, gibt es bisher nur sehr wenige und uneinheitliche Aussagen über die Regulationsmechanismen bei ermüdenden Läufen.

1 Laufuntersuchungen im historischen Rückblick:

Unter den Bewegungsfertigkeiten des Menschen nimmt das Laufen eine Sonderstellung ein. Die ersten biomechanischen Untersuchungen, die diesen Gegenstandsbereich bearbeiteten, sind über 150 Jahre alt. 1836 veröffentlichen WEBER und WEBER (zitiert nach CAVANAGH, 1990) ihre detaillierten Untersuchungen über Gang- und Laufbewegungen beim Menschen. Hierbei unterscheiden sie zwischen einem Eillauf und einem Sprunglauf, die heute eine Zuordnung zu einem Mittelstreckenlauf und einem Sprint erfahren dürften. Trotz banaler Untersuchungsmittel (bekannte Wegstrecke und Zeitmessungen) konnten die Autoren eine Reihe von heute noch gültigen Differenzierungen zwischen Gehen und Laufen aufstellen. Das Auftreten einer Flugphase als Definitionskriterium für Laufbewegung geht auf die beiden Brüder zurück. MUYBRIDGE (1887) und MAREY (1895) später auch FISCHER und BRAUNE (1889, zitiert nach CAVANGH, 1990) untersuchten mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, Gang- als auf Laufbewegung. Motiviert wurden die Laufstudien zu dieser Zeit durch das französische Militär (MAREY, 1895) bzw. durch die preußische Armee. (FISCHER und BRAUNE, 1895 - 1904) Während in den frühen Jahren der Gang- und Laufstudien die Fotographie bzw. Chronofotographie benutzt wurde, konnten nachfolgend die Bewegungsmuster per Filmanalyse erfasst und interpretiert werden. Die rein kinematische Betrachtungsweise wurde nachfolgend ergänzt durch dynamische Parameter. So geht der erste Einsatz von einer Messdruckplatte zu Registrierung der Bodenreaktionskräfte auf AMAR (1920) zurück, der mit Hilfe von dieser Messtechnik die Ganganalyse von Kriegsveteranen insbesondere von Beinamputierten untersuchte. Auch hierbei lässt sich der militärische Hintergrund nicht leugnen. Neben diesen biomechanisch geprägten Frühuntersuchungen traten alsbald Ansätze zur Analyse von mechanischer Effizienz beim Kurzsprint hinzu. (FURUSAWA et al. 1927) Dieses Modell zur Bestimmung der mechanischen Effizienz geht auf HILL (1927) bzw. deren Definition der mechanischen Effizienz als Verhältnis verrichteter Arbeit zur verbrauchter Energie zurück. FENN (1930) unterteilt Gesamtarbeit in Anteile innerer und äußerer Arbeit, vergleichbar zwischen der körpereigenen Kraft zur Segmentbeschleunigung und der auf den Körperschwerpunkt einwirkenden Bodenreaktionskraft. Hierzu benutzte FENN (1930) neben filmanalytischer Messtechnik eine Federkraftmessplatte zur Bestimmung der äußeren Arbeit. Ebenfalls unter Verwendung der Kinematographie gelingt es ELFTMANN (1940) durch Analyse von Teilkörpersegmenten den Einfluss von Muskelkräften auf die Laufökonomie beim Sprint zu belegen. Als richtungsweisend für nachfolgende Laufstudien gilt die Arbeit von Högbergs (1952). Seine Untersuchung zeigt durch Variation der biomechanischer Parameter, Schrittlänge und Frequenz, deren Einfluss auf den jeweiligen Sauerstoffverbrauch. Den Angaben Högbergs (1952) zufolge lässt sich durch die Wahl der optimalen Schrittlänge eine Minimierung des Sauerstoffbedarfs und somit ein Höchstmaß an Ökonomie auf aerober Ebene erzielen. CAVAGNA et al. (1964) ziehen erstmals die Nutzung der Muskelelastizität als Energiespeicher in Betracht. Nach seiner Auffassung trägt die negative Arbeit bis zu 40% zur Verringerung des O2-Bedarfs bei. Orientiert am Modell der inneren und äußeren Arbeit stellen CAVAGNA & Kaneko (1977) den von FENN (1930) beschriebenen Unabhängigkeitscharakter beider Arbeitsweisen in Frage. Die Autoren führen ihre modifizierten Interpretationen auf Effekte der Energieübertragung zwischen einzelnen Körpersegmenten zurück. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang die Untersuchung von PUGH (1971), der die Einflussnahme des Luftwiderstandes auf die Laufeffizienz über eine differierende Sauerstoffnutzungsrate als Resultat variabler Anpassungsbedingungen (Gegenwind, Rückenwind und Windschattenlaufen) identifiziert. Eine Beeinflussung des Energieverbrauchs durch Material wird zum Beispiel mit Gewichts-bestimmungen des Schuhwerks (NIGG, 1980), oder auch über Reaktionen auf unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten (Schmidtbleicher, 1981b) nachgewiesen.

Neben dem Einfluss bestimmter Muskelfaseranteile auf Lauf- und Sprintleistungen LUTHANAEN und KOMI (1980) wird unter anderem auf Beiträge des Muskeldehnungsreflexes zur Steuerung von Bewegungsintensitäten hingewiesen. (Antoni et al. 1979). Zu diesen neueren Aspekten der Neurophysiologie, verfeinerten die Wissenschaftler die dynamographischen Ableitungen der verschiedenen Bodenreaktionskräfte um weitere Erkenntnisse über die rein mechanischen Parameter bei Laufbewegungen zu gewinnen (CAVANAGH und KRAM 1985; NIGG 1986; MERO und KOMI, 1986a). Schon hierbei wurde durch KOMI et al. (1987a,b) kritisch angemerkt, dass der Proband die Kraftmessplatte treffen muss, ohne seinen normalen Laufzyklus durch künstliche Verlängerung oder Verkürzung von Schritten zu verändern. Folgerichtig nutzten KOMI et al. (1987a,b) zur Erfassung der Bodenreaktionskräfte eine Serie von hintereinander gelegten Messdruckplatten. Für eingehendere ausführliche historische Betrachtungsweisen der Laufuntersuchung sei an dieser Stelle auf die Arbeit von CAVANAGH (1990) verwiesen. Trotz dieser umfangreichen Synopse über Laufbewegung am Menschen, die durch das Standardwerk von CAVANAGH (1990) vorgelegt wurde, lassen sich Forschungslücken aufzeigen. Diese sind nicht nur allein durch die Entwicklung der Messtechnik begründet, sondern auch durch ein erweitertes Verständnis geprägt, welches sich aus unterschiedlichen biomechanischen Fachrichtungen zur Analyse dieser grundlegenden Bewegungsform des Menschen zusammen setzt. Nach einer Phase, in der jede Fachrichtung sich mit immer detaillierteren Fragestellungen, beschäftigt, die meist verbunden sind mit der Weiterentwicklung ihrer Verfahren bzw. Modelle, zeigen sich in letzter Zeit komplexere Forschungsansätze, die durch die Subsummierung der verschiedenen Sichtweisen gekennzeichnet sind. Hieraus werden Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Parametern erklärbarer als durch eine einzelne detaillierte Fokussierung. Die Darstellung des aktuellen Kenntnisstandes hinsichtlich der Laufbewegung des Menschen wird in folgendem aufgezeigt werden müssen, damit Forschungslücken bzw. widersprüchliche Aussagen identifiziert werden können. Ein umfassender Ansatz, zur Aufklärung notwendiger Fragestellungen, kann somit aufgrund der vorliegenden Literaturrecherche formuliert werden.

2 Laufen unter variierenden Bedingungen

2.1. Laufverhalten bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten, Steigungen, Laufbandlaufen vs. Normallaufen.

Kategorisiert man die Vielzahl der biomechanischen Untersuchungen, die sich mit den Laufbewegungen beim Menschen beschäftigen, lassen sich zwei Hauptrichtungen der Zugangswege zu dieser Thematik aufzeigen. Erstere beschäftigt sich mit den biomechanischen Veränderungen wenn die externen Randbedingungen für Laufbewegung variieren. Hierzu zählen insbesondere die Geschwindigkeitsänderungen, die Anpassung an verschiedene Steigungen und der Vergleich Laufband versus Normallaufen. In Abhängigkeit zur Entwicklung der Messtechnik, die immer detailliertere Fragestellung ermöglichte, wurden zunächst kinematische Parameter, wie Schrittlänge, Spurbreite, Schrittfrequenz, später auch Körperschwerpunktsanalysen bzw. segmentale Teilkörperbewegung, bzw. Winkelveränderung berechnet. Dynamische Kenngrößen wie Bodenreaktionskräfte, Drehmomente und Impulse sowie auch nachfolgend die Ableitung neuronaler Innervationen von Muskeln der unteren Extremitäten konnten im Zuge der intensiven Auseinandersetzung mit menschlichen Laufbewegungen unter den drei oben genannten Hauptfragestellung beobachtet werden.

Eine Kurzzusammenfassung des Wissensgutes über die Laufbewegung des Menschen wird für diese Kategorie im folgenden dargestellt:

Der Anspruch auf vollständige Darstellung aller bisherigen Fragestellungen wird nicht erhoben, sondern nur die wesentlichen Aspekte für das Verständnis von Laufbewegungen subsummiert. Als zweiten Zugangsweg die Phänomene von menschlichen Laufbewegungen zu untersuchen, offeriert sich durch eine Analyse der menschlichen Motorik wenn Ermüdung einsetzt. Vergleichbar mit der Entwicklung des Wissensgutes der externen Randbedingung Geschwindigkeit, Steigung und den Vergleich Laufband versus Normallaufen lässt sich auch für diesen Zugangsweg eine parallele Entwicklung der Erkenntnisse über ermüdungsbedingte Veränderung beim Laufen mit der Messtechnik postulieren.

Die Resultate dieses Zugangsweges werden ebenfalls nachfolgend in einem Kapitel zusammengefasst und auf die wesentlichen Erkenntnisse beschränkt.

2.1.1 Laufverhalten bei verschiedenen Geschwindigkeitsvorgaben

Wie schon im vorhergehenden Kapitel motiviert werden im folgenden die biomechanischen Veränderungen dargestellt, die sich bei Laufbewegungen des Menschen einstellen, wenn die Geschwindigkeiten variieren. Ausgehend von einer rein kinematischen Betrachtungsweise der Geschwindigkeitsänderung lässt sich faktorenanalytisch nachweisen (ROY, 1981), dass die Schrittlänge, die Schrittfrequenz und die Stützzeiten zusammen 85% der Varianz aufklären, die bei Geschwindigkeitsänderungen eintreten. Hierbei zeigt die Stützzeit allein 69% Aufklärung. Infolgedessen kann die Zunahme der Schrittlänge der Schrittfrequenz und die Reduzierung der Stützzeit als Ausdruck der zunehmenden Laufgeschwindigkeit dargestellt werden.

Insbesondere erscheint die Zunahme der Frequenz, die Zunahme der Schrittlänge zu überwiegen (WILLIAMS, 1985). Diese Aussagen werden von einer Reihe von Autoren bestätigt (DILLMANN, 1975; BALLREICH, 1969; BALLREICH und GABEL, 1975; CAVANAGH, 1990; CHAPMANN und CALDWELL, 1983; GUNDLACH, 1963; MANN und HAGY, 1980; NELSON et al. 1972).

Zusätzlich ergänzt KÜCHLER et al. (1992), dass die Flugzeit ebenfalls mit zunehmender Geschwindigkeit abnimmt. Die Frage einer Identifizierung von Parametern, die für eine maximale Laufgeschwindigkeit zuständig sind, gehen neben Gundlach (1963) und Hoffmann (1964) auch Ballreich und Gabel (1975) nach. Die Autoren bestätigen für die untersuchte Klientel eine mögliche Erhöhung der Laufgeschwindigkeit durch Zunahme der Schrittfrequenzen unter Beibehaltung der Schrittlänge. Einschränkend erwähnen Högberg (1952), Bosko (1987) , SinniNg und Forsythe (1970), dass die Schrittlänge gegen Ende der Geschwindigkeitserhöhung ein Plateau erreicht. Untersuchungen von Mero & Komi (1987a) und Bosco und VitTori (1987) beschäftigen sich mit den biomechanischen Veränderungen bei submaximalen, maximalen und Subramaximalen Geschwindigkeitsveränderungen, in dem sie einen komplexen Untersuchungsansatz wählten. Hierbei wurden sowohl kinematische, als auch dynamische Parameter sowie elektromyographische Aktivitäten erfasst. Neben den erwarteten Reduktionen der Stützzeit und der Flugzeit konnten jedoch leichte Zunahmen der Schrittlängen aufgezeigt werden, wenn subramaximale Geschwindigkeiten mit Hilfe von Zugseilen untersucht wurden.

Die Analysen der EMG-Ableitung ergab eine deutliche Zunahme der Voraktivität (Aktivierung vor Beginn des Bodenkontakts) mit zunehmender Geschwindigkeit, einhergehend mit einem hohen Kraftstoß in der Brems- und Beschleunigungsphase. Die Gestaltung der Kraft-Zeit-Kurven während Bodenkontakt ist jedoch interindividuell unterschiedlich (MIYASHITA et al. 1971).

CHAPMANN und CALDWELL (1983) identifizieren den limitierenden Faktor für die Laufgeschwindigkeit in einem begrenzenden Einfluss des exzentrischen Drehmoments am Kniegelenk zur Rückführung des Beins zum Bodenkontakt. MERO et al. (1982, 1986a) zeigen, dass für das Erreichen hoher Sprintgeschwindigkeiten der Beginn der exzentrischen Phase entscheidend ist. Hierbei ist der Verlust der Horizontalgeschwindigkeit des Körperschwerpunktes so gering wie möglich zu halten. GOLLHOFER et al. (1984) können durch einen komplexen biomechanischen Ansatzes die Speicherung elastischer Energie in der Achillessehne nachweisen und erweitern diese Erkenntnisse auf die Beinextensorenmuskeln. Höhere Laufgeschwindigkeiten dehnen demnach die Wadenmuskulatur schneller, wodurch stärkere Aktivierung des musculus triceps surae, insbesondere durch segmentale Reflexaktivität, die Folge ist. Eine Erhöhung der Muskelstiffnes ist demnach ein wesentlicher Beitrag für die neuronale Anpassung der menschlichen Motorik, wenn die Laufgeschwindigkeit erhöht wird.

HOSHIKAWA et al. (1973) konnten neben einer Reihe anderer Autoren die Zunahme der elektromyographischen Aktivität der Bein-extensorenmuskeln beobachten, wenn die Laufgeschwindigkeit zunimmt. Diese Beziehung ist jedoch nicht linear. Dies hängt unmittelbar mit der Inhomogenität der untersuchten Läufer zusammen. Bei guten Läufern zeigt sich bei gleicher Geschwindigkeit eine geringere elektromyographische Aktivität, während MIYASHITA et al. (1971) die exponentielle Zunahme des IEMG mit steigenden Laufgeschwindigkeiten postulieren, differenzieren ITO et al. (1985) die elektromechanische Effizienz anhand unterschiedlicher Geschwindigkeiten. Interessant ist die Feststellung, dass das prozentuale IEMG während Bodenkontakt gleich bleibt, wobei das prozentuale IEMG in der Flugphase mit der Zunahme der Laufgeschwindigkeit zunimmt.

Ihre Aussagen, dass während des Bodenkontakts die mechanische Effizienz um das zweifache höher ist, als in der Flugphase, wird mit der Speicherung elastischer Energie in Verbindung gebracht. Neben einer Reihe weiterer Untersuchungen, die sowohl mechanische, als auch neurophysiologische Parameter bei unterschiedlichen Lauf-geschwindigkeiten untersuchten, stehen eine relativ geringe Anzahl von Veröffentlichungen zur Verfügung, die sich mit den Auswirkungen auf unterschiedliche Steigung beschäftigten.

2.1.2 Laufverhalten bei unterschiedlichen Steigungen

Schmidtbleicher et al. (1981a) konnten aufzeigen, dass der M. gastrocnemius sowohl bei Geschwindigkeit als auch bei Steigungsvariationen lediglich mit qualitativen Veränderungen reagiert. Während der musculus rectus femoris bei Steigungen über 20% mit Änderung in der Ausprägung des Innervationsmusters reagiert. Die Anpassung des musculus rectus femoris an Geschwindigkeitszunahmen ist hingegen nur quantitativer Art. Zu den Variationen externer Randbedingungen bei Laufbewegung des Menschen, zählen neben den Modulationen von Geschwindigkeit und Steigung (Schmidtbleicher et al. 1978 und Schmidtbleicher, 1984), auch die Auswirkungen des Schuhwerks und der Bodenbeschaffenheit auf die Innervationsmuster der Beinextensorenmuskel, als auch die diversen provozierten Auslenkungen auf dieses Bewegungsverhalten (Antoni et al. 1979, Komi & Gollhofer 1991 und KOMI et al. 1987b).

Aus diesen Studien ist die Erkenntnis zu entnehmen, dass die Innervationsmuster einen sensiblen Mechanismus zu Steuerung und Kontrolle der Laufbewegung darstellen, welche die Grundlage für die nach außen sichtbaren mechanischen Veränderungen bilden.

2.1.3 Laufbandlaufen versus Normallaufen

Neben den vielfältigen Auswirkungen der Geschwindigkeitsvariationen und Steigung auf die verschiedensten biomechanischen Kenngrößen beim Laufen stellt der Vergleich des Laufbandlaufens mit dem normalen Laufen eine weitere Klassifizierungsmöglichkeit dar.

Die Studien, die den Vergleich des Laufbandlaufens mit dem normalen Laufen zum Inhalt haben, wurden durch kritische Stimmen motiviert, die die Resultate der meisten biomechanischen Laufstudien, die wegen besserer Kontrolle der Geschwindigkeitsvorgaben auf dem Laufband stattfanden, hinterfragten. Untersuchungen von NELSON et al. (1972) ELLIOT & BLANKSBY (1976) und FRISHBERG (1983) zeigen beachtliche Unterschiede zwischen den beiden Versuchsbedingungen bezüglich der biomechanischen Parameter Schrittlänge, Frequenz und Bodenkontaktzeit. Die Unterschiede der Gelenkwinkelveränderung der unteren Extremitäten, die sich beim Laufen auf den beiden Untergründen einstellten, sind häufig auf die Probanden zurückzuführen (NIGG et al. 1981b und 1983, SCHWAB et al. 1983; REINISCH et al. 1991).

Unter der Voraussetzung, dass der Motor eines Laufbandes stark genug sei, eine gleichmäßige Geschwindigkeit zu applizieren, postuliert VAN INGEN SCHENAU (1980) mittels mathematischer Modellierungen, dass sich die beiden Laufmodi nicht unterscheiden. Die bisher festgestellten Unterschiede erklärt der Autor mit dem fehlenden Luftwiderstand und wahrscheinlich mit verändertem sensorischen Feedback. Dieses konnten MILANI et al. (1988) anhand der Messergebnisse mit Hilfe von Beschleunigungssensoren erhärten. REINISCH et al. (1991) konnten signifikante Unterschiede in bezug auf Gesamtimpuls, Schrittlänge und Kniegelenkwinkel zwischen den beiden Laufmodi aufzeigen. Dem Kniegelenk kommt bei Adaptationen auf die beiden Laufbedingungen eine besondere Rolle zu, da hier die Änderungen des Initialwinkels, des Winkelwegs und der Bremsbeschleunigung am größten sind.

Für die Laufschuhforschung postulieren die oben genannten Autoren, dass die Laufschuhe dort zu testen seien, wo sie später auch eingesetzt würden.

Dies steht in guter Übereinstimmung mit den Aussagen von Brüggemann et al. (1991).

Unterschiede im Vergleich Laufband versus Normallauf fanden WANK et al. (1998) in ihrer komplex angelegten Studie über biomechanische und neurophysiologische Parameter. Sowohl in den kinematischen, als auch in den elektromyograhischen Kennwerten konnten signifikante Unterschiede aufgezeigt werden. Sowohl die Schrittlängen als auch die Schrittfrequenzen und Kontaktzeiten unterscheiden sich in den beiden Laufbedingungen signifikant, wobei die Unterschiede geschwindigkeits-abhängig differieren.

Die Amplitude des Beinschwungs als auch der vertikale Hub des Körperschwerpunktes waren auf dem Laufband reduziert. Dies führen die Autoren zu der Annahme, die externe Arbeit sei auf dem Laufband geringer. In der Analyse der elektromyographischen Ableitung lassen sich nahezu vergleichbare Innervationsmuster für die beiden Laufsituationen finden. Der M. vastus lateralis zeigt auf dem Laufband jedoch eine reduzierte Aktivität während Bodenkontakt, die von den Autoren unmittelbar in Zusammenhang mit den geringeren KSP-Schwankungen gebracht wird. Die höhere Aktivierung des M. bizeps femoris caput longum in den letzten Abschnitten des Bodenkontakts auf dem Laufband erklären WANK et al. (1998) mit dem stärker nach vorne geneigten Rumpf. Da personenbezogene Unterschiede im Vergleich der beiden Laufbedingungen auftraten, raten die Autoren davon ab, die aufgezeigten Unterschiede zu generalisieren. Für künftige Laufuntersuchungen muss vorher geprüft werden, welche Parameter zur Analyse herangezogen werden sollen und ob diese Abhängigkeiten zwischen den beiden Laufbedingungen aufweisen.

2.1.4. Bedeutung der ischiocruralen Muskelgruppe (i.M.)

Die von WASER (1985) neutral formulierte, ziehende Komponente dieser Muskelgruppe zum Zeitpunkt des Stützes, kann nach eingehenden Überlegungen nur dann wirksam werden, wenn die vertikale Projektion des Körperschwerpunktes (KSP) hinter dem Fußaufsatz liegt.

In eigenen Untersuchungen (STUTZ, 1991) konnte gezeigt werden, daß die Aktivität der ischiocruralen Muskelgruppe während der frühen Phase eines Sprintlaufs geringer ist, als in den Phasen danach.

Daraus ist zu folgern, daß der Beitrag dieser Muskelgruppe an der horizontalen Bewegungsschnelligkeit für alle Phasen nach der Startbeschleunigung deutlich größer ist, als zu Beginn.

Bei der o. g. Untersuchung konnte zudem festgestellt werden, daß zumindest in Teilen der ischiocrualen Muskulatur hohe Aktivitätsspitzen nach dem Auftreffen des Fußes auf dem Untergrund auftreten.

Da diese Aktivität deutlich höher liegt, als die willkürlich produzierte EMG-Amplitude, kann man davon ausgehen, daß propriozeptive Zusatzaktivität die Muskelkraft der ischiocruralen Muskulatur verstärkt.

Aufgrund der phasischen Zusatzaktivität in der i.M., die ca. 30ms nach Auftreffen des Fußes auf den Boden im EMG festgestellt werden konnte, kann vermutet werden, daß eine initiale Dehnung der o. g. Muskelgruppe mit Beginn des Bodenkontakts stattgefunden hat.

Dies steht im Einklang mit den Hüftwinkelveränderungen, die zeitgleich über Goniometersignale in den eigenen Untersuchungen registriert wurden.

Es konnte keineswegs, wie in der Literatur dargestellt wird, eine kontinuierliche Hüftstreckung während der gesamten Bodenkontaktphase festgestellt werden.

Dieser Unterschied liegt in der Messwerterfassung (Filmanalyse versus Gonometrie) begründet. Die Filmanalyse erfaßt den Rumpfbereich als starres Segment. Dies hat zur Folge, daß die Bewegungen im Lendenwirbelbereich, die funktionell auf das Becken und damit auf die Ansätze der Hüftmuskeln wirken, nicht registriert werden können.

Mit der goniometrischen Hüftwinkelerfassung kann unserer Meinung nach, die Veränderungen des Hüftgelenks genauer erfaßt werden. Die Resultate belegen, daß nach Auftreffen des Fußes auf den Boden, sowohl eine Verminderung des Fuß- und Kniegelenkwinkels, als auch eine Verringerung des Hüftwinkels bei Laufbewegungen eintritt. Diese Gelenkwinkelveränderungen stellen sich vom Fuß-, über das Knie- zum Hüftgelenk zeitlich nacheinander ein.

Die Veränderungen in Form einer exzentrischen Muskelbeanspruchung betreffen somit nicht nur die Fuß- und Kniegelenkextensoren, sondern auch die Hüftextensorenmuskeln.

Mit diesen Erkenntnissen, die aus elektromyografischen Ableitungen, in Verbindung mit der Kontrolle der Bewegungstechnik gewonnen wurden, und mit den korrelativen Zusammenhängen, die zwischen den isometrischen Maximalkraftkennwerten verschiedener Beinmuskel-gruppen und der Bewegungsschnelligkeit auf Teilabschnitten eines 100 m - Sprintlaufs gefunden wurden (STUTZ, 1992), muß für die i. M. ein hoher funktioneller Stellenwert für die Laufbewegung postuliert werden.

Aufgrund der propriozeptiven Modulation der Grundinnervation, die ausschließlich bei schneller initialer Dehnung eines Muskels wirksam wird, sollte zum derzeitigen Erkenntnisstand von einer hüftstreckenden Wirkung der i.M., in Verbindung mit kniestabilisierenden Anteilen, ausgegangen werden.

Dies läßt sich durch folgenden Sachverhalt verdeutlichen:

Die reflexauslösende Dehnung eines Muskels oder einer Muskelgruppe, kann nur durch eine schnelle Verlängerung (Vergrößerung des Abstandes zwischen dem Ansatz und dem Ursprung) des betreffenden Muskels hervorgerufen werden.

Kann ein Dehnungsreflex für einen zweigelenkigen Muskel, bei gleichzeitiger Beugung beider Gelenke nachgewiesen werden (SCHMIDTBLEICHER et al., 1978; DIETZ et al., 1981), muß die Beugung eines Gelenks (z.B.: Längung des M. gastrocnemius durch Fußgelenksbeugung beim Laufen) die zeitgleiche Beugung des beteiligten Kniegelenkes (Verkürzung des M. gastrocnemius) überkompensieren.

Überträgt man diese Funktionsweise auf die i.M. bei Lauf- und Sprungbewegungen, liegt die funktionelle Dominanz dieser Muskelgruppe während der Bodenkontaktphase primär in der Hüftstreckbewegung.

Darüber hinaus muss einem in der Literatur dargestellten Sachverhalt aufgrund der gewonnenen Resultate widersprochen werden. Die qualitativ gleichgeartete Aktivierung, die dem medialen (musculus semimembranosus und m. semitendinosus ) und lateralen Anteil (m. biceps femoris caput longum und m. caput breve) der i.M. zugesprochen wird, ist interindividuell unterschiedlich und wie bisher festgestellt werden konnte, intraindividuell vom Grad der Ermüdung abhängig (STUTZ, 1992).

Weiterführende Aussagen hinsichtlich der funktionellen Bedeutung der o. g. Muskelgruppe wären rein spekulativ.

Neuere Untersuchungen von GOLLHOFER (1993) weisen zusätzlich auf einen weitaus größeren Komplexitätsgrad der neuromuskulären Bewegungsregulation hin. Durch systematische Variation der externen Randbedingungen konnten die Einflüsse des visuellen, vestibulären und propriozeptiven Systems auf die Bewegungsregulation abgeschätzt werden. Überträgt man die Erkenntnisse auf die derzeitige Diskussion hinsichtlich der Bedeutung einzelnen Muskelgruppen an der Laufbewegung (WIEMANN, 1986) ist festzustellen, daß aufgrund der Analyse eines Schrittes nicht auf die funktionelle Bedeutung eines Muskels oder einer Muskelgruppe geschlossen werden kann. Hierzu ist die systematische Variation von geeigneten externen oder gar internen Einflüssen notwendig. Folglich werden in der vorliegenden Arbeit Variationen der Bedingungen unter denen Laufen stattfinden kann (diskrete Geschwindigkeitsänderungen, Laufen gegen eine Steigung, Laufen unter ermüdenden Bedingungen) durchgeführt und die Modulationen in den Innervations­mustern aufgezeigt und diskutiert.

2.2 Laufen unter ermüdenden Bedingungen

Da das Ermüdungsverhalten für das menschliche Bewegungssystem generell, als auch im besonderen bei Bewegungen im Sport eine zentrale Rolle für Trainings- und Wettkampfplanung darstellt, entwickelt sich hieraus das Bedürfnis den aktuellen Erkenntnisstand dieser Thematik darzustellen.

2.2.1 mechanische Betrachtungsweise

Die biomechanisch orientierte Ermüdungsforschung bei Laufbewegungen zeigt ein sehr umfangreiches Wissensgut, wenn es um die Darstellung der Veränderung der mechanischen Kenngrößen geht. ZACZIORSY (1987) widmet diesem Themenbereich eine umfangreiche Synopse von Untersuchungen. Daraus resultierend entwickelt sich Ermüdung in zwei Phasen.

1. Die Phase der kompensierten Ermüdung, in der der Sportler ungeachtet steigender Schwierigkeiten seine Geschwindigkeit auf dem gleichen Niveau hält.
2. Die Phase der dekompensierten Ermüdung, in der der Sportler trotz aller Anstrengung die notwendige Bewegungsgeschwindigkeit nicht mehr beibehalten kann.

Als Folge zeigt sich bei zyklischen Sportarten wie dem Laufen, eine Verkleinerung der Schrittlänge, was in der ersten Zeit durch eine erhöhte Schrittfrequenz ausgeglichen wird, so dass sich in der Phase der kompensierten Ermüdung die Bewegungsgeschwindigkeit des Sportlers nicht ändert. Danach fällt die Geschwindigkeit trotz der erhöhten Schrittfrequenz ab. Untersuchungen unter Wettkampfbedingungen zeigen (5.000m, 10.000m-Läufe) sehr deutlich taktische Verhaltensweisen, die eine Abnahme der Geschwindigkeiten gegen Ende des Wettkampfes eher entgegenwirken und einem Ermüdungsphänomen keinen Raum einräumt. Bei ermüdenden Einzelläufen identifizieren FAVEL et al. (1972), PROVOF et al. (1972) bei 400, 5.000 und 10.000m-Läufen den Hauptfaktor von Ermüdung bei Laufbewegung in der Reduktion der Schrittlänge. Resümierend geht ZACZIORSKY (1987) von der Annahme aus, dass sich die Ermüdung bei Laufbewegung zuerst in eine Verringerung der Kontraktionskraft der Muskeln zeigt, was zum Absinken der Abstoßkraft und Geschwindigkeit sowie zur Verringerung der Schrittlänge führt.

Untersuchungen zur lokalen Ermüdung, die im Labor durchgeführt wurden, stimmen mit der Annahme überein, dass im Zustand der Ermüdung die Schnellkraftfähigkeiten des motorischen Apparates ungefähr gleichmäßig sinken wie die Kurve der Kraft-Geschwindigkeitsrelation. Nach Aussage von ZACZIORSKY (1987) kann mit großer Sicherheit davon ausgegangen werden, dass in der Phase der kompensierten Ermüdung die Veränderungen in der Technik durch eine Suche nach oder die Realisierung von optimalen Varianten für die Ausschöpfung des sich ändernden motorischen Potentials bedingt sind und nicht mit der Verschlechterung der Koordination zusammenhängen.

Es ist interessant zu bemerken, dass die Kompensationsveränderung in der Technik schon relativ zeitig beginnen, ungefähr nach einem Drittel der Zeit, in der der Sportler die vorgegebene Bewegungsgeschwindigkeit beibehalten kann. Nach ZACZIORSKY (1987) gibt es keinen Grund von einer Verschlechterung der Steuerungsqualitäten zu sprechen, da die Varianz der einzelnen Zykluszeit nicht steigt.

In der Phase der nicht kompensierten Ermüdung ist es nicht immer klar, ob diese oder jene Veränderung in der Technik entweder anpassungs- oder ermüdungsbedingt sind. Schlußfolgernd schließt ZACZIORSKY seine Ausführungen damit, dass nicht nur die Reduzierung der Schrittlängen- und Schrittfrequenzen sich ermüdungsbedingt einstellen, sondern noch andere Veränderung biomechanischer Charakteristika unter dem Einfluss der Ermüdung nachzuweisen sind. Hierzu seien jedoch nur wenig Daten gesammelt worden, die allgemeingültige Rückschlüsse auf die Ermüdungsregulation bei Laufbewegung zulassen.

Biomechanische Ermüdungsstudien verfolgen in erster Linie die Veränderungen von typischen Bewegungstechniken im Belastungs-verlauf. Im Laufbereich stehen die Studien mit kinematischen und dynamische Einflussgrößen größtenteils bezogen auf die Schrittstruktur im Vordergrund. Diese Parameter orientieren sich einheitlich an der Abbildung der Lauftechnik in Bewegungsrichtung (ZACZIORSKY, 1987; BATES und HAVEN, 1974).

Hierbei wird eine dreidimensionale Bewegung nur in zwei Ebenen dargestellt. Die Lateralkomponenten der Laufbewegung und deren ermüdungsbedingten Veränderungen sind nur unzureichend untersucht. Plausibilätsüberlegungen führen zu der Annahme, dass orthogonal zur Laufrichtung gerichtete Schrittstrukturmerkmale ähnliche unökonomische Ausprägung aufzeigen, wie die Schrittlänge und Schrittfrequenz (BATES und OSTERNIG, 1977).

Eine abnehmende Laufgeschwindigkeit in der Endphase des 800-m-Laufs führt KANEKO (1991) wie ZACZIORSKI (1987) auf eine gleichzeitige Verminderung von Schrittlänge und Schrittfrequenz zurück. In Übereinstimmung mit BATES und OSTERNIG (1986) liegt laut KANEKO (1991) die Schrittlängenverkürzung in einem abnehmenden Bewegungsumfang des Hüftgelenks, respektive verminderter mechanischer Arbeit, begründet. Eine zeitliche Ausdehnung der Stützphase erhöht unter anderem die Summe der Bremskraftimpulse, deren Überwindung mit einem ineffizienten Energieverbrauch verbunden ist (NUMELA 1991). LÜCHTENBERG (1987) belegt, dass es in den Start- und Zielphasen, selbst unter Testbedingungen, bei 1.500 und 3.000m-Läufen zu signifikant höheren Geschwindigkeiten kommt. Dies belegt auch KEHM (1993) bei 1.500m-Läufen trotz der Vorgabe, die Distanz schnellstmöglich zu durchlaufen.

Hinsichtlich des Laufprofils des 1.500m-Laufs liegt nach GOLITZ (1991) als auch nach LÜCHTENBERG (1987) unter den bewegungstechnischen Einflussgrößen der Laufzeit eine Dominanz der Schrittlänge vor.

Infolge der einheitlichen Erkenntnis (ZACZIORSKY, 1987; KEHM, 1993; STUTZ, 1994; ELLIOTT und ROBERTS, 1980), dass die Zuordnungen der ermüdungsbedingten Veränderungen auf die renntaktische Geschwindigkeitsschwankung sehr nahe liegt, somit die Anpassungsvorgänge der verschiedenen Parameter nicht in Erscheinung treten können, ergibt sich die Notwendigkeit einer kontrollierten Geschwindigkeitsvorgabe bei weiteren Ermüdungsstudien.

WILLIAMES (1985) verdeutlicht unter anderem diese Forderung damit, dass die "majority of biomechanical parameters measured during running" durch die Geschwindigkeit beeinflusst werden.

Neben den ermüdungsbedingten Veränderungen diverser biomechanischer Parameter lassen sich die Laufstudien zum Thema Ermüdung auch anhand der Laufstrecken bzw. Disziplinen darstellen. Hierzu stehen eine Reihe von Untersuchungen zur Verfügung, die sich mit dem ermüdungsbedingten Anpassungen eines 400m-Sprint-Laufs beschäftigen (BATES und HAVEN 1974; SPRAGUE und MANN, 1983; MERO et al. 1986b; NUMELA et al. 1992; CHAPMAN 1982).

Allgemein gilt die Aussage, dass die Anpassungen auf Ermüdung bei Laufbewegung nicht einheitlich gleich sind, sondern in unterschiedlicher Art und Weise in Erscheinung treten. Neben den individuellen Leistungsunterschieden der Läufer und deren unmittelbarer Auswirkung auf die Kenngrößenveränderungen verfügt der Mensch über eine ganze Reihe von Anpassungsmöglichkeiten wenn Ermüdung beim Laufen eintritt.

Untersuchungen beim 10.000m-Lauf (ELLIOT und ACKLAND, 1981; NOHARA und HARADA, 1993) zeigen einheitlich die erwarteten Veränderungen hinsichtlich einer Reduktion der Schrittlängen, nicht aber in Bezug auf die Schrittfrequenz. NOHARA und HARADA (1993) finden im Gegensatz zu ELLIOT und AKLAND (1981) keine signifikanten Veränderungen der Schrittfrequenzen. Der leichte Rückgang der Schrittfrequenz wird mit den verlängerten Bodenkontaktzeiten erklärt. Lediglich erwähnenswert sind die methodischen Ansätze einer extremen Belastungsform eines Ermüdungstreatments beim Laufen von MARSHALL et al. (1990). Sie analysierten die Bewegungstechnik von Teilnehmern am Mount Everest Downhill-Running, einen Marathon-Lauf bergab. Das starke Gefälle von 21,8 bis 26,8% zeigte im Vergleich mit Normallaufen eine leicht geringere Laufgeschwindigkeit, geringere Schrittlängen und gestrecktere Beine (kleinerer Kniegelenkwinkel) zu Beginn des Bodenkontakts .

Aufgrund verschiedenster technischer und organisatorischer Gründe konnte dem eigentlichen Anliegen der Arbeit - Ermüdung zu untersuchen - nicht nachgekommen werden.

Auch KÜCHLER et al. (1992) konnten trotz Hauptanliegens ihrer Studien Ermüdung bei Laufbewegungen zu untersuchen, keine signifikanten Veränderungen feststellen, da sie durch zu niedrige Wahl der Vorgabegeschwindigkeit keine Ermüdung setzen konnten.

Die letzten beiden genannten Untersuchungen in bezug auf ermüdungsbedingte Laufbewegung beim Menschen, dürften eher in die Kategorie methodischen Unvermögens eingeordnet werden, als zu einem Beitrag wissenschaftlichen Erkenntnisfortschrittes.

2.2.2. Neurophysiologische Betrachtungsweise

NUMMELA et al. (1991) untersuchten an einem Probandengut von 6 männlichen Leichtathleten die Auswirkungen von einsetzender Ermüdung bei 400m-Läufen und deren Teilsegmenten. Interessant an diesem Ansatz erscheint das Untersuchungsdesign, welches an zwei aufeinander-folgenden Tagen den Probanden je zwei Läufe mit 5 Stunden Pause abverlangte. 400m und 200m-Läufe am ersten Tag und 100 und 300m am zweiten Tag. Der wissenschaftliche Ansatz zur Untersuchung von Ermüdung lag in der selektiven Erfassung der einzelnen Ermüdungsgrade, die sich bei einem 400m-Lauf einstellen. Die Laufzeit des 400m-Laufs diente der Geschwindigkeitsvorgabe auf den Teilsegmenten 100, 200 und 300m-Läufen mit Hilfe eines Lichtsignals. Zu der Registrierung der Laktatwerte wurden die Kontaktzeiten und die Schrittlängen als auch die Bodenreaktionskräfte gemessen.

Neben diesen rein mechanischen und kinematischen Kenngrößen wurden die Innervationsmuster von Musculus gastrocnemius, M. biceps femoris mit Oberflächenelektroden abgeleitet und telemetrisch erfasst.

Allerdings konnten nur M. gastrocnemius und M. vastus zur Analyse herangezogen werden, da die Signale der anderen beiden Muskelgruppen am Oberschenkel nicht auswertbar waren.

Vor und nach den ermüdenden Läufen wurden zusätzlich Drop-Jumps durchgeführt. Neben der signifikanten Zunahme der Kontaktzeiten zeigte sich bei dem 400m-Lauf eine Konstanz der Flugzeit mit einer Reduktion der Laufgeschwindigkeit der Schrittlänge und der Schrittfrequenz. Die Laktatwerte stiegen mit zunehmender Laufstrecke signifikant an. Der Spitzenwert zeigte sich beim 100m-Segment in der 3. Nachbelastungsminute und in der 6. Nachbelastungsminute bei allen anderen Läufen über 200, 300, 400m, wobei die Zuwachsrate der Laktatwerte mit zunehmender Renndistanz signifikant abnahm. Die Endzeit über 400m korreliert signifikant negativ (-.99) mit dem erreichten maximalen Laktatwert.

Dies zeigt sich jedoch nicht bei der Analyse der anderen Laufabschnitte. Die Untersuchung der Innervationsmuster von M. gastrocnemius und M. vastus ergab eine steigende Zunahme der Aktivität insbesondere in den ersten 50 Millisekunden der Stützphase beim 400m-Lauf. Die maximale Aktivität nahm signifikant um 24,2% zu, die minimale Aktivität blieb dagegen gleich. Der berechnete Entspannungsfaktor, der die EMG-Aktivität unterhalb 10% von der maximalen Aktivität prozentual zum Schrittzyklus angibt, reduzierte sich deutlich. Die Kraftwerte und die Kontaktzeiten im Vorher-Nachher-Vergleich bei den Drop-Jumps zeigen hingegen keinen Zusammenhang mit den Laufstrecken und der Ermüdung. Lediglich die Sprunghöhen zeigten deutlich signifikante Reduktionen nach dem 300m und 400m-Läufen. Im Vorher-Nachher-Vergleich der EMG-Aktivität während Drop-Jumps konnten keine Veränderungen registriert werden. Zusammenfassend formuliert NUMMELA et al. (1991) die Ermüdungserscheinung der vorliegenden Studie als Reduktion der Schrittlänge und Geschwindigkeit als auch der Fähigkeit Drop-Jumps auszuführen.

Die zunehmenden Stützzeiten und das Verhältnis von Stützzeit zu Flugzeit stehen in guter Übereinstimmung mit CHAPMAN (1982) und SPRAGUE und MANN (1983).

Nach 100m und 300m treten diese Veränderungen deutlicher hervor, als auf den anderen Teilstrecken. Die Veränderungen nach 100m werden mit der Entspeicherung von Kreatinphosphaten und der steigenden Glycolyserate erklärt. Die Veränderung der Kontaktzeiten des 300m Laufes werden mit der Anhäufung von Wasserstoffionen (H+) in der Muskulatur in Zusammenhang gebracht. Die Aktivitätszunahmen während des 400m-Sprints werden mit der Zunahme der Innervationsfrequenz und der Rekrutierung weiterer motorischer Einheiten in Verbindung gebracht.

Dies soll die verlorengegangene Kontraktionskraft der bisher eingesetzten Muskelfasern kompensieren.

In der zweiten Hälfte des 400m-Laufs soll nach Interpretation von NUMMELA et al. (1991) der relative Anteil der langsamen Muskelfasern zunehmen, da die schnellen Muskelfasern schneller müde werden.

Das EMG-Kraftverhältnis während der Drop-Jumps als auch das EMG- Running-Speed-Verhältnis (force production) nimmt in der zweiten Hälfte des 400m-Laufs zu, welches deutliche Hinweise auf größere periphere Anteile der Ermüdungsregulation gibt, als der Anteil zentraler Auswirkungen.

Unterschiedliche Anpassungen auf Ermüdung konstatiert NUMMELA et al. (1991) von den beiden abgeleiteten Muskeln M. gastrocnemius und M. vastus. Das EMG von M. gastrocnemius fällt deutlich während des Drop-Jumps ab, während der M. vastus lateralis keine Veränderung aufzeigt.

Diese Unterschiede sind nach Aussage der Autoren auf die Unterschiede in der Ermüdbarkeit und auf die Beanspruchung der jeweiligen Muskelgruppe während des Laufens zurückzuführen. Umso erstaunlicher scheint die Zunahme der Reflexaktivitäten, die deutliche Segmentierung der 3 Reflexantworten und der sich andeutende Linksshift im Innervationsmuster des M. vastus lateralis, wenn man die Originalableitung einer genaueren Analyse auch hinsichtlich funktioneller Zeitphasen unterzieht. Die Tendenz zur Auflösung eines geschlossenen Innervationsmusters des M. gastrocnemius in zwei segmentierter Anteile scheint ein Indiz für die reduzierten Kontraktionsbedingungen zu sein. Die fehlenden Informationen über die Bewegungstechnik von Sprung, Knie und Hüftgelenk als auch die geringe Anzahl von nur 2 abgeleiteten Muskeln mildern die Aussagekraft des eigentlichen guten Ansatzes zur Untersuchung des Ermüdungsverhaltens beim 400m-Sprint.

In einer weiteren Studie konnten GOLLHOFER et al. (1989) die Auswirkungen eines Marathonlaufs auf das Innervationsverhalten der Beinstreckmuskulatur untersuchen. Diese Studie war wiederum ausgelegt, die ermüdungsbedingten Veränderungen des Innervationsverhaltens zu untersuchen. Zu den bisherigen Untersuchungsansätzen im Labor wurden hiermit erstmals praxisrelevante Bewegungsmuster untersucht. Neben den Ermüdungstreatments eines Marathonlaufs wurden vor und nach dem Laufen folgende Tests durchgeführt.

LS: Lauf mit konstanter submaximaler Laufgeschwindigkeit von 3m/sec.

LM: Lauf mit konstanter Laufgeschwindigkeit von 4,5m/sec., die der Geschwindigkeit beim Marathon entsprach.

Max S: Sprint mit maximaler Geschwindigkeit

SJ: Kauersprung aus 90-Grad-Kniegelenkwinkel

CMJ: Sprung mit Ausholbewegung

DJ: Tiefhochsprung aus 50 cm. Sprunghöhe

Zur Kontrolle der Bewegungstechnik wurden mit Hilfe von 16 Kraftmessplatten, die Bodenreaktionskräfte in vertikale Fz und horizontale Fy–Komponente registriert. Die Laufgeschwindigkeiten wurden über Photozellen kontrolliert. Zur Ableitung der Muskelinnervation präparierten die Autoren Oberflächenelektromyogramme auf die M. gastrocnemius, M. vastus lateralis und medialis. Die Resultate des vorliegenden Untersuchungsansatzes zeigen bei allen Kontrollbedingungen eine deutliche Reduktion der Leistungsfähigkeit zwischen 10% und 30%, wobei die stärksten Reduktionen in den Bedingungen mit DVZ lagen (Drop Jumps von 50cm Absprunghöhe). GOLLHOFER et al. (1989) registrieren eine Zunahme der exzentrischen Phase um 30%. Die Trennung der Bodenkontaktzeit in eine exzentrische und konzentrische Phase wird von den Autoren zwar nicht erläutert, anzunehmen ist jedoch, dass aus der Erfassung der horizontalen Bodenreaktionskraft Fy der Übergang von Brems- zu Beschleunigungskraftstoß als Zeitpunkt zur Trennung in die Phasen herangezogen wurde (Anmerkung des Verfassers).

IEMG und das zeitbereinigte IEMG nimmt bei den untersuchten Muskeln sowohl in den funktionellen Zeitphasen als auch in der Gesamtaktivität bei LM und LS zu. Beim Repräsentanten der Plantarflexoren M. gastrocnemius, lässt sich nach Ermüdung ein enormer Anstieg des Innervationsmusters in der späten EMG-Antwort registrieren. In der Voraktivierungsphase und der reflexinduzierten Phase nimmt die Aktivität nur geringfügig zu. Die Knieextensoren erhöhen dagegen ihre Voraktivität sehr deutlich, einschließlich der späten EMG-Antwort. Die reflexinduzierte Phase nimmt nur geringfügig zu. Somit ergibt sich eine Verschiebung der Aktivität zur späten Zeitphase und insgesamt gesehen eine Rechtsverschiebung des Innervationsmusters. Die Rechtsverschiebung der EMG-Muster wird von den Autoren mit einer Veränderung der Stiffnesregulation interpretiert.

Der fast zweifache Anstieg des IEMG-Kraftverhältnisses während der konzentrischen Phase stellt ein Kompensationsmechanismus dar, die verlorenen kontraktilen und elastischen Eigenschaften des Muskelsehnenapparates aus der exzentrischen Phase auszugleichen. Das neuromuskuläre System muss aktiver in der späten Kontaktphase innervieren. GOLLHOFER et al. (1989) sehen die Reduktion der Laufökonomie durch den Marathonlauf unter anderem darin begründet, dass bei den LM und LS-Bedingungen, die ja mit den gleichen Geschwindigkeiten gelaufen wurden, bedeutend höhere Muskelaktivität in den Nachbelastungen aufgewendet werden musste. Das stark erhöhte EMG nach dem Marathonlauf gilt als indirekter Beweis für einen erhöhten Energiebedarf bei gleicher Leistung. Nach BIGLAND-RITCHIE und WOODS (1974) weisen EMG und VO2max einen parallelen Verlauf auf. Da die Knieextensorenmuskeln einen höheren Aktivierungsanstieg aufweisen, als die Plantarflexoren, schließen die Autoren, dass diese während Ermüdung bei Laufbewegungen eine signifikantere Rolle in der Vorwärtsbewegung übernehmen.

Neueste Forschungsergebnisse von KANEKO und FUCHIMOTO (1991) befaßten sich mit den ermüdungsbedingten Veränderungen biomechanischer und neurophysiologischer Einflußgrößen bei 400m und 800m-Läufen. Das Ermüdungstreatment sah ein schnellstmögliches Durchlaufen der jeweiligen Strecke vor.

Im Anfang-Ende-Vergleich konnte in beiden Treatments eine signifikante Reduktion der Laufgeschwindigkeit und ihrer Determinanten Schrittlänge und -frequenz festgestellt werden.

Nach Aussagen der Autoren ist die Verkürzung der Schrittlänge, auf geringere Hüftgelenksamplituden am Belastungsende zurückzuführen.

Die Schrittfrequenzen sind aufgrund verlängerter Bodenkontaktzeiten reduziert.

Beim 400m und 800m-Lauf sind die Leistungskurven vom Knie- und Hüftgelenk in ihren Amplituden deutlich reduziert (Reduktion in der mechanischen Arbeit ).

Veränderungen in den zeitbereinigten EMG`s sind beim 800m-Lauf nicht festzustellen. Beim 400m-Lauf sind in einigen Muskeln die EMG`s erhöht.

Aussagen in welchen funktionellen Phasen (exzentrisch / konzentrisch; Voraktivität / reflexinduzierte Phase ) die Veränderungen auftreten, werden nicht gemacht.

Aufgrund der gemachten Aussagen über die biomechanischen Veränderungen im Anfang-Ende-Vergleich lassen sich auch aus der Untersuchung von KANEKO und FUCHIMOTO (1991) keine zentral nervösen Ermüdungstendenzen ablesen, da die EMG´s in einigen Muskeln erhöht sind und das zeitbereinigte EMG keine Veränderungen aufweist. Infolgedessen sollte die Ursachen der Ermüdung bei 400m und 800m-Läufen auf muskulärer Ebene gesucht werden. Ein exaktes wissenschaftliches vorgegebenes Ermüdungstreatment lag jedoch in der vorliegenden Studie nicht vor, da die Veränderungen der Bewegungstechnik die aufgrund neuronaler Anpassungsvorgänge vollzogen werden, unmittelbar mit den Veränderungen in der Laufgeschwindigkeit zusammenhängen.

Die Vorgabe, ein schnellstmögliches Durchlaufen der jeweiligen Strecke impliziert zwar einen praxisnahen Wettkampfcharakter, hat jedoch zur Folge, dass die geforderte Leistungsvorgabe, die bisher in den Untersuchungen von GOLLHOFER (1987b,c); KIM (1988) und FRICK (1993) exakt einzuhalten war, gänzlich fehlte.

Die ohnehin ausbleibende Diskussion der funktionellen Zeitphasen, noch eine Zuordnung zur exzentrischer versus konzentrischer Veränderungen im EMG-Muster lassen die Untersuchung von KANEKO und FUCHIMOTO (1991) wissenschaftlich weniger bedeutsam erscheinen, als die bisher diskutierten Untersuchungen von GOLLHOFER (1987b,c), FRICK (1993) und KIM (1988). Der Hauptkritikpunkt an der Untersuchung von KANEKO und FUCHIMOTO (1991) „fehlende Geschwindigkeitsvorgabe bzw. Kontrolle der momentanen Geschwindigkeit“ soll durch das angestrebte Untersuchungsdesign positiv umgesetzt werden.

Hierbei ist aufgrund des derzeitigen Kenntnisstandes eine exakte Geschwindigkeitsvorgabe einer Registrierung der momentanen Bewegungsgeschwindigkeit vorzuziehen.

Dadurch rückt man zwar von der sportpraktischen Bedeutung etwas ab, kann aber zunächst dem Phänomen einer neuronalen Ermüdungsanpassung bei Laufbewegung durch eine exakt vorgegebene Leistung näher kommen.

Die Einbettung der Resultate in den wissenschaftlichen Kontext gelingt hierdurch um so besser, da alle bisherigen Untersuchungen zum Ermüdungsverhalten im DVZ eine exakte Leistungsvorgabe zum Gegenstand hatten.

2.3. Ermüdungsbedingte Veränderungen bei Bewegungen im Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ)

Eine bisher befriedigende Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen bezüglich des ermüdungsbedingten Innervationsverhaltens bei Laufbewegungen liegt zur Zeit nicht vor. Infolgedessen scheint es durchaus legitim, die Resultate der Studien, die sich mit den ermüdungsbedingten Veränderungen der Innervationsmuster bei gleichen Muskelaktionsform beschäftigten zusammenzutragen, um ein ausreichendes Substrat der Erkenntnisse zu gewinnen. Diese gemeinsame Muskelaktionform ist der Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ).

Diese eigenständige Muskelaktionsform nimmt neben den isometrischen, konzentrischen und exzentrischen Muskelaktionsformen einen hohen Stellenwert bei sportlichen Bewegungen ein. 2/3 aller Bewegungen im Sport, so auch das Laufen, finden im DVZ statt. Hierzu erscheint es notwendig die Eigenständigkeit des DVZ's kurz zu erläutern.

2.3.1 Muskelaktionsform Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ)

Als wesentliches Charakteristikum des DVZ erweist sich die Kontraktionsumkehr von exzentrischer in eine konzentrische Arbeitsweise innerhalb kürzester Zeit. KOMI (in GOLLHOFER, 1987a) erwähnt einen deutlichen Kraft bzw. Leistungszuwachs der konzentrischen Phase im DVZ gegenüber einer rein überwindungsorientierten Kontraktion ohne Vordehnung.

Dieser Vorgang wird durch den Nachweis hoher elektrischer Aktivität in der Beinmuskulatur sowohl vor Bodenkontakt, als auch während der exzentrischen Dehnungsphase bestätigt. Voraktivität und Dehnung führen in Kombination zu einer erhöhten Muskelspannung. Das daraus resultierende elastische Energiepotential wird einerseits im Sehnenbereich, andererseits innerhalb der sich verändernden Querbrückenverbindung der kontraktilen Eiweißelemente gespeichert. (KOMI in GOLLHOFER, 1987a)

Dieser als Muskelstiffnes bezeichnete Prozess der Energiespeicherung besitzt mit den aus Geschwindigkeits- und Längenveränderung des gedehnten Muskels resultierenden Dehnungsreflexen, einen weiteren Regelmechanismus, der gleichzeitig über Reflexaufschaltung zusätzliche Aktivität für den konzentrischen Bewegungsabschnitt beisteuert (SCHMIDTBLEICHER in GOLLHOFER, 1987a). Die hohen Aktivitätsspitzen beginnen etwa 40 Millisekunden nach Bodenkontakt und werden als Reflexantwort auf die Muskeldehnung interpretiert werden. SCHMIDTBLEICHER et al. (1978) nennt drei Gründe, die für diese Interpretation sprechen. Die Aktivitätsspitzen sind höher als jene bei maximalen willkürlichen Muskelaktionen, die Spitzen treten bei Ischämiescher Blockierung der Muskelspindelafferenzen nicht mehr auf. Das erste Auftreten etwa 40 Millisekunden nach Dehnungsbeginn entspricht der Umlaufzeit des monosynaptischen Dehnungsreflexes. Neben dieser ersten reflektorischen Aktivitätsspitze, die als segmentaler Dehnungsreflex identifiziert wurde, treten noch weitere Aktivitätsspitzen auf, deren Herkunft kontrovers diskutiert wird. Im allgemeinen werden 3 Komponenten gefunden, die Abhängigkeit von der untersuchten Muskulatur unterschiedliche lange Umlaufzeiten aufweisen (LEE and TATTON, 1978; ALLUM, 1975; KWAN et al. 1980).

Diese Ausprägung der Reflexantwort hängt zum einen von der Sensitivität der Muskelspindeln (Einstellung durch Gamma-Vorinnervation) und somit von der Voraktivität und zum anderen von der Dehnungsgeschwindigkeit ab (DIETZ et al., 1981; GOTTLIEB und AGARWAL, 1979).

Zur Verdeutlichung der Sonderstellung eines DVZ innerhalb der Kontraktionsformen, kann nachfolgende Abb. 2.3.1_1 beitragen (entnommen aus FRICK, 1993, S 42). Hieraus ist insbesondere die Kombination von exzentrischer und nachgeschalteter konzentrischer Arbeitsweise mit einem geschlossenen Innervationsmuster ersichtlich.

Nach den Untersuchungsergebnissen von MARSDEN et al. (1978) kann angenommen werden, dass die Muskelinnervation erst etwa 120 Millisekunden nach Dehnungsbeginn willkürlich beeinflusst wird. Infolge dessen kann davon ausgegangen werden, dass das Innervationsmuster der Muskulatur im DVZ von 30 bis 120 Millisekunden nach Dehnungsbeginn vorwiegend reflexinduziert sein dürfte. (DIETZ et al. 1979, GOLLHOFER, 1987a, SCHMIDTBLEICHER und GOLLHOFER, 1982).

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2001
ISBN (eBook)
9783842812086
DOI
10.3239/9783842812086
Dateigröße
5.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main – Sportwissenschaften
Erscheinungsdatum
2011 (März)
Note
2,0
Schlagworte
laufen biomechanik innervationsmuster
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Titel: Modulationen neuromuskulärer Bewegungsregulation bei Laufbewegungen unter variierenden Bedingungen
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