Wie sieht Dein Traumjob aus? Betrachtung der neuen Bewerbergeneration im Arbeitgeberfindungsprozess aus wertorientierter Perspektive
©2011
Diplomarbeit
110 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Einleitung:
Werte spielen in unserem alltäglichen Leben als Entscheidungshilfen eine wichtige Rolle. Demnach wird in den Sozialwissenschaften dem Konzept der Werte eine grundlegende Bedeutung beigemessen. Seit dem Beginn der empirischen Wertwandelforschung in den 1970er Jahren stellt das Wertkonzept wegen der Themen- und Problemüberspannenden Reichweite eines der zentralen Forschungsfelder der empirischen Sozialwissenschaften dar.
An Universitäten werden Wertkonzepte jedoch nicht nur theoretisch untersucht, sondern zugleich durch die Universität als Institution an deren Studierende vermittelt. Unter anderem werden Werte wie Fleiß und Durchhaltevermögen während der Studienzeit internalisiert und im späteren Arbeitsalltag von zukünftigen Arbeitgebern eingefordert. Gerade zum Ende des Studiums, also vor dem eigentlichen Eintritt in den Arbeitsmarkt, wird die Frage nach dem potenziellen Arbeitgeber für Studierende immer wesentlicher. Dieser Prozess ist den Unternehmen, welche auf der Suche nach den besten und geeignetsten Mitarbeitern sind. Universitäten rücken so in den Fokus der unternehmerischen Rekrutierungsstrategien.
Schon lange sind Universitäten nicht mehr eine Bastion der Neutralität, sondern seit der Erlaubnis des Bundestages 1996 zur Werbung an Hochschulen, dienen diese neben der Ausbildung zugleich als Werbefläche für Unternehmen, zur Produktvermarktung, aber vor allem zur Rekrutierung ihres zukünftigen Nachwuchses.
Ein lukratives Geschäft, welches sich die Unternehmen hohe Summen Kosten lassen, um unter zunehmenden Wettbewerbsdruck die besten Nachwuchskräfte zu gewinnen. Zahlreiche Arbeitgeber-Rankings die von diversen Beratungsfirmen oder selbst ernannten Instituten, wie zum Beispiel Universum Communications oder Great Place to Work Institute Deutschland ermittelt werden, dienen Unternehmen als Erfolgsmessung und Studierenden als Wegweiser durch den Arbeitgeberdschungel.
Aber nicht nur die Art und die Möglichkeiten des Hochschulmarketings haben sich gewandelt, sondern auch die Ansprüche und Anforderungen der Studierenden an Ihren potenziellen zukünftigen Arbeitgeber. Daraus resultierend haben sich die Inhalte der Unternehmensdarstellungen in den letzten Jahren gewandelt hin zu den Bedürfnissen einer von diversen Forschern neu ausgerufenen Bewerbergeneration, die nicht nur auf neuen Kanälen wie Facebook, Twitter und Youtube erreichbar ist. Diese neue Generation nutzt die vielseitigen neuen Möglichkeiten der […]
Werte spielen in unserem alltäglichen Leben als Entscheidungshilfen eine wichtige Rolle. Demnach wird in den Sozialwissenschaften dem Konzept der Werte eine grundlegende Bedeutung beigemessen. Seit dem Beginn der empirischen Wertwandelforschung in den 1970er Jahren stellt das Wertkonzept wegen der Themen- und Problemüberspannenden Reichweite eines der zentralen Forschungsfelder der empirischen Sozialwissenschaften dar.
An Universitäten werden Wertkonzepte jedoch nicht nur theoretisch untersucht, sondern zugleich durch die Universität als Institution an deren Studierende vermittelt. Unter anderem werden Werte wie Fleiß und Durchhaltevermögen während der Studienzeit internalisiert und im späteren Arbeitsalltag von zukünftigen Arbeitgebern eingefordert. Gerade zum Ende des Studiums, also vor dem eigentlichen Eintritt in den Arbeitsmarkt, wird die Frage nach dem potenziellen Arbeitgeber für Studierende immer wesentlicher. Dieser Prozess ist den Unternehmen, welche auf der Suche nach den besten und geeignetsten Mitarbeitern sind. Universitäten rücken so in den Fokus der unternehmerischen Rekrutierungsstrategien.
Schon lange sind Universitäten nicht mehr eine Bastion der Neutralität, sondern seit der Erlaubnis des Bundestages 1996 zur Werbung an Hochschulen, dienen diese neben der Ausbildung zugleich als Werbefläche für Unternehmen, zur Produktvermarktung, aber vor allem zur Rekrutierung ihres zukünftigen Nachwuchses.
Ein lukratives Geschäft, welches sich die Unternehmen hohe Summen Kosten lassen, um unter zunehmenden Wettbewerbsdruck die besten Nachwuchskräfte zu gewinnen. Zahlreiche Arbeitgeber-Rankings die von diversen Beratungsfirmen oder selbst ernannten Instituten, wie zum Beispiel Universum Communications oder Great Place to Work Institute Deutschland ermittelt werden, dienen Unternehmen als Erfolgsmessung und Studierenden als Wegweiser durch den Arbeitgeberdschungel.
Aber nicht nur die Art und die Möglichkeiten des Hochschulmarketings haben sich gewandelt, sondern auch die Ansprüche und Anforderungen der Studierenden an Ihren potenziellen zukünftigen Arbeitgeber. Daraus resultierend haben sich die Inhalte der Unternehmensdarstellungen in den letzten Jahren gewandelt hin zu den Bedürfnissen einer von diversen Forschern neu ausgerufenen Bewerbergeneration, die nicht nur auf neuen Kanälen wie Facebook, Twitter und Youtube erreichbar ist. Diese neue Generation nutzt die vielseitigen neuen Möglichkeiten der […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Uwe Link
Wie sieht Dein Traumjob aus? Betrachtung der neuen Bewerbergeneration im
Arbeitgeberfindungsprozess aus wertorientierter Perspektive
ISBN: 978-3-8428-2142-2
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2011
Zugl. Universität zu Köln, Köln, Deutschland, Diplomarbeit, 2011
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2011
i
Inhaltsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
ii
1 Einleitung
1
2 Wertewandel aus der soziologischen Perspektive
3
2.1 Begriffsdefinition und Funktion von Werten und Normen
3
2.2 Wertewandeltheorie nach Inglehart
4
2.3 Kritik und Modifikationen des Inglehart-Ansatzes
8
3 Generation Y Die aktuelle Generation?
11
3.1 Wer ist die Generation Y
11
3.2 Warum die Generation Y so ist wie sie ist
14
3.3 Generationen im Kontext Von X bis Y
17
4 Der Arbeitsmarkt Treffpunkt von Arbeitnehmer und Arbeitgeber
18
4.1 Allgemeine Arbeitsmarktsituation
18
4.2 Arbeitsmarktsituation aus Arbeitnehmer-/ Bewerbersicht
20
4.3 Arbeitsmarktsituation aus Arbeitgeber-/ Unternehmenssicht
21
4.4 Besonderheiten des Arbeitsmarktes für Naturwissenschaftler
24
5 Employer Branding Verstehe ich Sie da richtig?
26
5.1 Positionierung der Arbeitgebermarke
26
5.2 Kommunikation der Arbeitgebermarke und der Unternehmenswerte
28
5.3 Reputationsrisiken durch falsche Positionierung oder Kommunikation
30
6 Forschungsdesign und Datenerhebung
31
7 Empirische
Befunde
41
7.1 Ergebnisse des Inglehart-Index
41
7.2 Ergebnisse des Conjoint-Design
43
7.3 Ergebnisse des semantischen Differenzials
48
7.4 Ergebnisse der Mitarbeiterprofilbewertung
51
8 Diskussion ,,Eine" individualisierte Generation
53
Literaturverzeichnis 57
Anhang
I
ii
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Konstruktion des Inglehart-Index
7
Tabelle 2: Typologie von Wertmustern
9
Tabelle 3: Merkmale und deren Ausprägungen im Conjoint-Design
32
Tabelle 4: Dimensionen des semantischen Differenzials, seine Ausprägungen und deren
korrespondierendes Merkmal aus dem Conjoint-Design
33
Tabelle 5: Spearman'sche Rankgkorrelation zwischen Wertorientierung und ausgewählten
Kontrollvariablen 42
Tabelle 6: Zusammenfassung der signifikanten Unterschieden in den
Mitarbeiterprofilbewertungen Ergebnisse der Varianzanalyse
53
Abbildung 1: Maslows Bedürfnishierarchie nach Inglehart
5
Abbildung 2: Bevölkerungsanteil der Postmaterialisten, des Mischtyps und der Materialisten.
Bundesrepublik Deutschland (West) 1970 bis 1997 (in %)
10
Abbildung 3: Entwicklung der Studierenden in den Studienfächern Biologie und Chemie
nach Geschlecht vom Wintersemester 1998/99 bis Wintersemester 2009/10 25
Abbildung 4: Beispiel einer Stellenausschreibungskarte des Conjoint-Design
36
Abbildung 5: Anteil der Postmaterialisten, der beiden Mischtypen und der Materialisten
41
Abbildung 6: Mittelwerte der relativen Wichtigkeiten der Stellenausschreibungsmerkmale
aus der Conjoint-Analyse (Angaben in Prozent)
43
Abbildung 7: Durchschnittliche Teilnutzenwerte der einzelnen
Stellenausschreibungsmerkmale des orthogonalen Designs
45
Abbildung 8: Relative Wichtigkeiten der Arbeitgebermerkmale nach Subgruppe der
Altersklassen aus der Conjoint-Analyse
46
Abbildung 9: Unterschiede der durchschnittlichen Teilnutzenwerte der
Merkmalsausprägungen nach Subgruppen der Altersklassen
47
Abbildung 10: Mittelwerte der Bewertungen im semantischen Differenzial
49
Abbildung 11: Gegenüberstellung des semantischen Differenzials und der durchschnittlichen
Teilnutzenwerte der Conjoint-Analyse
50
Abbildung 12: Durchschnittliche Bewertung der sechs Mitarbeiterprofile auf einer
neunstufigen Skala
52
iii
Anhang 1: Anschreiben Einladung zur Umfrage (Version für Professoren und Lehrstühle)
I
Anhang 2: Anschreiben Erinnerungsmail (Version für Professoren und Lehrstühle)
III
Anhang 3: SPSS-Versuchsplan für die Stellenausschreibungskarten des orthogonalen
Design
V
Anhang 4: Stellenausschreibungskarten
VIII
Anhang 5: Protokollvorlage zur Dokumentation der Mitarbeiterinterviews als Grundlage zur
Erstellung der Mitarbeiterprofile
XII
Anhang 6: Mitarbeiterprofile
XVI
Anhang 7: SPSS Syntax
XXIII
Anhang 8: Anteil der Postmaterialisten, der beiden Mischtypen und der Materialisten nach
Geschlecht (in %)
XXXVI
Anhang 9: Varianzanalyse der Subgruppenunterschiede nach Altersklassen im Conjoint-
Design XXXVII
Anhang 10:Unterschiede in der Bewertung der Dimensionsausprägungen im semantischen
Differential nach Geschlecht
XXXVIII
Anhang 11:Korrelation zwischen den relativen Teilnutzenwerten des Conjoint-Design und der
Mittelwerte des semantischen Differentials
XXXIX
1
1
Einleitung
Werte spielen in unserem alltäglichen Leben als Entscheidungshilfen eine wichtige
Rolle. Demnach wird in den Sozialwissenschaften dem Konzept der Werte eine
grundlegende Bedeutung beigemessen (Kmieciak 1976). Seit dem Beginn der
empirischen Wertwandelforschung in den 1970er Jahren stellt das Wertkonzept wegen
der Themen- und Problemüberspannenden Reichweite eines der zentralen Forschungs-
felder der empirischen Sozialwissenschaften dar (Klein und Pötschke 2004).
An Universitäten werden Wertkonzepte jedoch nicht nur theoretisch untersucht,
sondern zugleich durch die Universität als Institution an deren Studierende
1
vermittelt.
Unter anderem werden Werte wie Fleiß und Durchhaltevermögen während der
Studienzeit internalisiert und im späteren Arbeitsalltag von zukünftigen Arbeitgebern
eingefordert. Gerade zum Ende des Studiums, also vor dem eigentlichen Eintritt in den
Arbeitsmarkt, wird die Frage nach dem potenziellen Arbeitgeber für Studierende immer
wesentlicher. Dieser Prozess ist den Unternehmen, welche auf der Suche nach den
besten und geeignetsten Mitarbeitern sind. Universitäten rücken so in den Fokus der
unternehmerischen Rekrutierungsstrategien.
Schon lange sind Universitäten nicht mehr eine Bastion der Neutralität, sondern seit
der Erlaubnis des Bundestages 1996 zur Werbung an Hochschulen, dienen diese neben
der Ausbildung zugleich als Werbefläche für Unternehmen, zur Produktvermarktung,
aber vor allem zur Rekrutierung ihres zukünftigen Nachwuchses (Meiländer 2008).
Ein lukratives Geschäft, welches sich die Unternehmen hohe Summen Kosten lassen,
um unter zunehmenden Wettbewerbsdruck die besten Nachwuchskräfte zu gewinnen
(Seng und Baum 2008). Zahlreiche Arbeitgeber-Rankings die von diversen
Beratungsfirmen oder selbst ernannten Instituten, wie zum Beispiel Universum
Communications oder Great Place to Work Institute Deutschland ermittelt werden,
dienen Unternehmen als Erfolgsmessung und Studierenden als Wegweiser durch den
Arbeitgeberdschungel.
Aber nicht nur die Art und die Möglichkeiten des Hochschulmarketings haben sich
gewandelt, sondern auch die Ansprüche und Anforderungen der Studierenden an Ihren
potenziellen zukünftigen Arbeitgeber. Daraus resultierend haben sich die Inhalte der
Unternehmensdarstellungen in den letzten Jahren gewandelt hin zu den Bedürfnissen
1
Im Sinne der norwegischen Formel wird eine geschlechtsneutrale Formulierung verwendet.
2
einer von diversen Forschern neu ausgerufenen Bewerbergeneration, die nicht nur auf
neuen Kanälen wie Facebook, Twitter und Youtube erreichbar ist. Diese neue
Generation nutzt die vielseitigen neuen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und
gehe wesentlich anspruchsvoller und differenzierter an ihre Arbeitgeberwahl heran, als
es noch die Vorgängergenerationen gemacht haben.
In der Literatur wird stereotypisch von der einen Generation Y als aktuelle
Bewerbergeneration gesprochen und dabei meist nur Trends bestätigt, die in den
Personalabteilungen deutscher Unternehmen ohnehin schon vermutet wurden. Deshalb
untersucht diese Arbeit inwiefern sich die unterstellten Charakteristika und
Wertorientierungen der aktuellen Bewerbergeneration empirisch belegen lassen und ob
diese innerhalb der Alterskohorten homogen verteilt sind. Daraus sollen sich
Erkenntnisse ableiten lassen, wie Unternehmen sich in Stellenausschreibungen oder in
Mitarbeiterprofilen auf ihren Homepages aufstellen müssen, um Studierende ziel-
gruppengerecht anzusprechen.
Aufgrund einer der Diplomarbeit zugrunde liegenden praktischen Kooperation mit
einem international agierenden deutschen Chemiekonzern werden bei der empirischen
Erhebung nur die für dieses Unternehmen hauptsächlich relevanten Zielgruppen der
Biologie und Chemie-Studierenden einbezogen.
Dazu legen die Kapitel zwei bis fünf den theoretischen Grundstein der Arbeit und
leiten die Hypothesen für die empirische Untersuchung ab. Zunächst befasst sich
Kapitel 2 deshalb mit den soziologischen Grundbegriffen und greift auf die
soziologischen ,,Klassiker" der Werttheorie, wie der Wertewandeltheorie nach Inglehart
und deren Kritikern, zurück um einen einheitlichen Rahmen für die nachfolgende
Analyse zu schaffen. Kapitel 3 fasst die Charakterisierung der aktuellen
Bewerbergeneration aus verschiedenen Studien zusammen, hinterfragt welche Treiber
für einen möglichen Wertewandel verantwortlich sein können und bettet die aktuelle
Generation in den Kontext ihrer Vor- und Nachgeneration ein. Kapitel 4 beschäftigt sich
mit den aktuellen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, sowie der
Arbeitsmarktsituation sowohl aus der Arbeitnehmer- beziehungsweise Bewerbersicht
als auch aus der Arbeitgeber- beziehungsweise Unternehmenssicht, um dadurch
praktische Auswirkungen des Verhaltens der Akteure im Arbeitgeberfindungsprozess
herauszustellen. Darüber hinaus wird explizit auf die speziellen Bedürfnisse und
Besonderheiten naturwissenschaftlicher Studierender im Kontext der Arbeitgeber-
3
situation in der Pharma- und Chemiebranche eingegangen. In Kapitel 5 wird die
Wirkung und Wichtigkeit einer Arbeitgebermarke beschrieben.
In Kapitel 6 wird das methodische Vorgehen und die Operationalisierung des
Forschungsdesigns, welches zur Validierung der in Kapitel 2 bis 5 aufgestellten
Hypothesen diente, erläutert.
Das siebte Kapitel beschäftigt sich mit der Analyse und der Auswertung des
empirisch erhobenen Datenmaterials zur Überprüfung der aufgestellten Hypothesen.
Im achten Kapitel werden die Erkenntnisse aus der empirischen Analyse mit dem
aktuellen Forschungsstand aus dem Theorieteil kritisch reflektiert, mögliche Kritik am
Forschungsdesign und den Ergebnissen geäußert sowie ein Fazit der Arbeit gestellt und
ein Ausblick auf die zukünftigen Entwicklungen in diesem Forschungsfeld gegeben.
2
Wertewandel aus der soziologischen Perspektive
Die soziologische Wertewandelforschung diagnostizierte in den 1970er und 1980er
Jahren eine Verschiebung von materialistischen zu postmaterialistischen Werteorientie-
rungen in den westlichen Industrienationen (Inglehart 1977) und damit auch in Deutsch-
land (Beck 1986; Friedrichs 1998). Dabei wird der Wertewandel nicht als ein reiner
Austausch von Werten, sondern als Neugewichtung bestehender Werte bei einherge-
hender Pluralisierung der Wertehaltungen verstanden. Die Theorie des Soziologen
Ronald Inglehart stellt dabei einen der bekanntesten Ansätze dar. Nach einer kurzen
Begriffsdefinition von Werten und Normen werden seine Annahmen als Grundlage zur
Beschreibung des Wertewandels vorgestellt und in Verbindung mit anderen Ansätzen
kritisch hinterfragt. Dabei wird zuerst eine einheitliche Definition vom Wertebegriff ge-
schaffen, um danach die Theorie des Wertewandels nach Inglehart vorzustellen und sie
im Hinblick auf andere Forschungsansätze zu hinterfragen.
2.1 Begriffsdefinition und Funktion von Werten und Normen
Es existieren eine Vielzahl an Definitionen von Werten und Normen in verschiede-
nen Wissenschaftsbereichen, so dass eine Klärung des Begriffes, wie er in dieser Arbeit
angewendet und verstanden wird notwendig ist. Bei Werten handelt es sich um vom
einzelnen Akteur internalisierte und mit anderen Mitgliedern seiner Gruppe oder Ge-
sellschaft geteilte Maßstäbe, die in verschiedenen Handlungssituationen die Auswahl
4
von Handlungszielen, Handlungsmitteln und affektiven Bedürfnissen lenken (Parsons
und Shils 1962). Das heißt Werte können als eine Art Selektionsstandard verstanden
werden, die bei der Auswahl des Einzelnen zwischen mehreren Handlungsalternativen
zur Steuerung des Verhaltens dienen (Friedrichs 1968) und dadurch zentrale Determi-
nanten für die Einstellungen und das Verhalten von Individuen darstellen (Maag 1991).
Meulemann (2001) spricht von Werten, die Normen rechtfertigen und dabei als allge-
meine Werte den spezifischen, handlungseingrenzenden Normen gegenüberstehen. Ber-
ger und Luckmann (1980) verbinden Werte und Normen mit der Gesellschaftsordnung,
welche ein Produkt des Menschen und seiner Handlungen ist und die ständig reprodu-
ziert wird. In Anlehnung daran ist eine Norm als ein geeignetes Mittel zu verstehen, die
individuelles Verhalten unter der Annahme eines gegebenen sozialen Systems zu ver-
stehen hilft (Coleman 1991).
Dabei sind Werte als eine bewusste oder unbewusste Vorstellung des gewünschten
(Friedrichs 1999) anzusehen und als solch abstraktes Konstrukt nicht direkt messbar.
Eine Messung kann nur über ihre Manifestation, das bedeutet in Form von Einstellun-
gen gegenüber bestimmten Handlungsoptionen, gemessen werden. Diese Annahme
stellt eine wichtige Prämisse für die Konstruktion des empirischen Teils dieser Arbeit
dar. Zudem gilt die Annahme, dass Werte relativ stabil und zeitlich überdauernd sind
(Jagodzinski 2004).
Damit Werte ihre Funktion des Selektionsstandards wahrnehmen können, müssen sie
zuerst vom Einzelnen internalisiert und so zum Bestandteil des individuellen Überzeu-
gungssystems werden (Friedrichs 1968). Bei diesem Prozess wird der Einzelne über ge-
samtgesellschaftlich geteilte Werte in die Gesellschaft integriert (Maag 1991).
2.2 Wertewandeltheorie nach Inglehart
Eine der einflussreichsten Wertewandeltheorien ist die von Ronald Inglehart 1971
veröffentlichte Theorie der ,,stillen Revolution", welche die Hypothese eines Werte-
wandels in den westlichen Industrienationen unterstellte:
,, A transformation may be taking place in the political cultures of advanced industrial
societies. This transformation seems to be altering the basic value priorities of given
generations, as a result of changing conditions influencing their basic sozializations."
(Inglehart 1971, S. 991).
5
Als Basis für das Werteverständnis Ingleharts dient die Bedürfnispyramide Maslows
(1970). Diese ordnet individuelle Bedürfnisse in eine hierarchische Anordnung. Dabei
werden zuerst die niedrig-stufigeren Bedürfnisse wie Nahrung oder Sicherheit befriedigt
und erst danach Bedürfnisse höherer Stufen, wie etwa das Bedürfnis nach Anerkennung
(siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Maslows Bedürfnishierarchie nach Inglehart
Hierarchie-
ebene
Maslow Inglehart
5 Selbstverwirklichung
Postmaterialistisch
4 Anerkennung
3 Liebe,
Zugehörigkeit
2 Sicherheit
Materialistisch
1 Physiologische
Bedürfnisse
Erläuterung: Eigene Darstellung nach Hommerich 2008, S. 23.
Inglehart ging einen Schritt weiter und fasste die von Maslow angeordneten Werte zu
den zwei Wertgruppen Materialistisch und Postmaterialistisch zusammen und bildet
dadurch zwei exklusive Gegenpole. Inglehart nimmt wie Maslow an, dass postmateria-
listische Werte erst dann an Wichtigkeit für den Einzelnen gewinnen, wenn die untere
Stufe der materialistischen Bedürfnisse schon befriedigt sind. Durch die Reduzierung
auf eine implizite, eindimensionale Struktur ist ein Wertewandel hier nur als ein Auf-
oder Abstieg in der Hierarchie möglich. Gewinnt die eine Ebene an Bedeutung, so muss
die andere an Bedeutung verlieren. Daraus resultiert eine Abhängigkeit der Bedeutung
eines einzelnen Wertes von der Wichtigkeit der anderen Werte.
Den Treiber für einen Wertewandel sieht Inglehart in den sozioökonomischen Ver-
änderungen, denen eine Gesellschaft unterliegt. Denn bei durch Industrialisierung und
Modernisierung verbesserten sozioökonomischen Bedingungen gelten die materialisti-
schen Bedürfnisse im Zuge des steigenden gesellschaftlichen Wohlstands als befriedigt
(Inglehart und Welzel 2005). Dies ermöglicht eine höhere Bedeutung der postmateria-
6
listischen Werte des Einzelnen. Dieser Prozess ist in umgekehrter Richtung möglich,
sodass in einer durch wirtschaftliche Krisen gebeutelten Gesellschaft die postmaterialis-
tischen Werte an Bedeutung verlieren und die materialistischen an Bedeutung gewinnen
können. Des Weiteren beschreibt Inglehart diesen Prozess durch eine Mangel- und So-
zialisationshypothese (1989). Der Mangelhypothese nach spiegeln die Wertprioritäten
eines Menschen seine Lebensbedingungen wieder, bei denen der Einzelne den größten
subjektiven Wert den für ihn persönlich relativ knappen Dingen zu misst (Inglehart
1990). Auch hier verbreitet ein zunehmender Wohlstand postmaterialistische Werte wie
Selbstverwirklichung und Lebensqualität. Inglehart spricht ebenfalls von einem lang-
fristigen Prozess (Vgl. Jagodzinski 2004), der ,,stillen Revolution", so dass Änderungen
in der Anordnung von Wertprioritäten erst in aufeinanderfolgenden Generationen statt-
finden (Inglehart und Welzel 2005).
Die Sozialisationshypothese bezieht sich auf diese langfristige Komponente des ge-
sellschaftlichen Wertewandels. So spiegeln die grundlegenden Wertvorstellungen eines
Menschen die Bedingungen, welche zu seiner Jugendzeit herrschten und im Rahmen
seiner primären Sozialisation internalisiert wurden, wieder (Inglehart 1990). Die primä-
re Sozialisation wird dabei als grundlegende und allseitige Einführung des Individuums
in die objektive Welt der Gesellschaft verstanden, welche im Verlauf der Übermittlung
durch signifikante Andere modifiziert wird (Berger und Luckmann 1980). Infolge des-
sen kommt es zu einem zeitlich versetzten Wertewandel, da sich die Wertmuster erst in
der nachfolgenden Generation, die unter veränderten Bedingungen aufwächst und ent-
sprechend anders sozialisiert wird, durchsetzen. Dabei bleiben die Werte, welche durch
die Sozialisation internalisiert werden, im weiteren Lebensverlauf des Individuums rela-
tiv stabil (Inglehart 1990).
Aus diesem theoretischen Rahmen entwickelte Inglehart anhand seiner ersten empiri-
schen Daten den nach ihm benannten Inglehart-Index zur Bestimmung der Werteorien-
tierung. Anhand der Zuordnung der Rangfolge zur jeweiligen politischen Werteorientie-
rung wird die Wichtigkeit eingeschätzt und danach der Inglehart-Index mit seinen Ext-
rempolen von Postmaterialist bis Materialist gebildet. Tabelle 1 zeigt eine Übersicht
der politischen Wertorientierung, der Antwortkategorien und des Inglehart-Indexes
selbst. Dabei korreliert die Setzung politischer Prioritäten mit dem Inglehart-Index.
Stuft man zum Beispiel Wichtigkeit von Bürgereinfluss und von freier Meinungsäuße-
rung auf den ersten beiden Stufen ein, so wird man als Postmaterialist eingestuft. Mate-
rialisten setzen hingegen eine hohe Priorität auf die Wichtigkeit von Ruhe und Ordnung
7
sowie von Inflationsbekämpfung. Zwischen den beiden Endpolen entstehen die beiden
Mischtypen der Extremformen.
Tabelle 1: Konstruktion des Inglehart-Index
Politische Wertorientierung
Antwortkategorien
Index-Kodierung
1
Wichtigkeit von
Bürgereinfluss
am wichtigsten
Postmaterialisten
2
Wichtigkeit von freier
Meinungsäußerung
am zweitwichtigsten
Postmaterialisten-
Mischtyp
3
Wichtigkeit von
Inflationsbekämpfung
am drittwichtigsten
Materialisten-
Mischtyp
4
Wichtigkeit von Ruhe
und Ordnung
am viertwichtigsten
Materialisten
Erläuterungen: Eigene Darstellung nach Thome 2003, S. 25.
Werden die Items 1 und 2 den Items 3 und 4 vorgezogen, so wird der Befragte als
reiner Postmaterialist angesehen. Wird Item 1 oder 3 an erster Stelle sowie Item 2 oder
4 an zweiter Stelle genannt, handelt es sich um den Postmaterialisten-Mischtyp. Dies
gilt analog in umgekehrter Reihenfolge für den Materialisten-Mischtyp und den reinen
Materialisten.
Inglehart überprüfte seine Theorien in einem von ihm initiierten World Value Survey,
durch den seit Anfang der 1980er Jahre in über 80 Nationen in regelmäßigen Abständen
Werteinstellungen gemessen werden. Dieses Messinstrument ermöglicht eine Längs-
schnittanalyse der Werte bei gleichzeitigem Vergleich verschiedener Gesellschaften.
So wies er nach, dass sich die Befragten, welche den Lebensmittel- und Sicherheits-
notstand des zweiten Weltkriegs erfahren haben, sich maßgeblich von den Befragten
unterschieden, die in der Nachkriegszeit einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebten.
Demnach zeigten ältere Befragte eine hohe Wertpriorität auf ökonomische Sicherheit
und des Sicherungsbedürfnisses im Sinne Maslows, während jüngere Befragte eine ho-
he Priorität auf postmaterialistische Werte wie ästhetische und intellektuelle Bedürfnis-
se aufwiesen (Inglehart 1971). Als möglicher Grund für den festgestellten Wertewandel
wurde der Bildungsschub in der postmaterialistischen Gesellschaft angesehen. Der stei-
gende Bildungslevel führte zu einem höheren Maße an kognitiven Fähigkeiten bei ei-
8
nem Großteil der Gesellschaft (Ester 1994). Die Folge war eine Erhöhung der Wertprio-
rität auf das Erstreben von Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit, um die eigenen
intellektuellen Fähigkeiten umsetzen zu können (Giddens 1991). Neben dem Bildungs-
schub nahmen in einer fortgeschrittenen, globalisierten, postindustriellen und postmo-
dernen Gesellschaft der Einfluss von traditionellen Werte, Normen und Überzeugungen
ab (Rush 1992).
Eine interessante Besonderheit bei der Erhebung des Inglehart-Index ist die bis heute
andauernde getrennte Erhebung von West- und Ostdeutschland aufgrund der Vermu-
tung von distinkten Kulturen im Zuge der Teilung. So zeigte sich, dass die Westdeut-
schen eine ausgeprägtere Selbstverwirklichung aufwiesen, während die Ostdeutschen
auf der Säkularisation-Dimension einen höheren Wert erzielten. Im globalen Vergleich
sind sich die beiden Staaten jedoch erstaunlich ähnlich und sich zum Beispiel näher als
die USA und Kanada (Inglehart 2004). Borg und Braun (1996) konnten im Bezug auf
Arbeitswerte anhand des ALLBUS-Datensatzes kurz nach der Wende ebenfalls die
gleichen Strukturen in West- und Ostdeutschland aufzeigen. In Folge dessen ist eine
Unterscheidung in West- und Ostdeutschland für diese Arbeit nicht relevant und wird
nicht betrachtet.
Für den speziellen Fall der Arbeitswertorientierung bewirkte der Wertewandel eine
Verschiebung von intrinsischen zu extrinsischen Werten (Ester 1994). Neue Netzwerk-
möglichkeiten transformieren menschliche Verbindungen, welche gerade für die Ar-
beitswelt in einer globalen und interdependenten Wirtschaft von großer Bedeutung sind
(Castells 1998). Schon in den 1980er konnte Pawlowsky (1986) das Streben nach
Selbstverwirklichung im Arbeitsleben anhand von Längsschnittdaten nachweisen und
stellte zudem eine starke Priorisierung von abwechslungsreichen und interessanten Tä-
tigkeiten bei den jüngeren Altersgruppen fest.
2.3 Kritik und Modifikationen des Inglehart-Ansatzes
Die ersten eigenständigen empirischen Forschungen auf dem Gebiet des Wertewan-
dels wurden in Deutschland Ende der 1970er Jahre durch Noelle-Neumann im Rahmen
der demoskopischen Umfragen des Allensbacher Institutes begonnen. Anfänglich be-
sonders der methodischen Kritik ausgesetzt, entwickelten daraufhin Klages und
Pawlowsky weitere theoretische Ansätze.
9
Im Zusammenhang zu den Ergebnissen von Noelle-Neumann wurden die gesell-
schaftlichen Auswirkungen des Wertewandels oft fälschlicherweise als ein ,,Wertever-
fall" in der öffentlichen Debatte bezeichnet (Noelle-Neumann 1978). Noelle-Neumann
befürchtete Ende der 1970er Jahre eine Abkehr von bürgerlichen Werten, wie den ho-
hen Wert von Arbeit und Leistung, hin zu einer Anpassung an eine Unterschichts-
mentalität. Allerdings sind diese Interpretationen aufgrund einer sehr schmalen Zahlen-
basis als kritisch zu betrachten (Noelle-Neumann 1978).
Zu ähnlichen Ergebnissen wie Inglehart kam Klages (1984) in Deutschland. Er wies
für die Kohorten von 1965 bis 1975 einen Wertewandelschub in Form einer erheblichen
Abwertung von traditionellen Pflicht- und Akzeptanzwerten (unter anderem Disziplin,
Gehorsam, Leistung, Ordnung und Pflichterfüllung) zu einer starken Aufwertung von
Selbstverwirklichungswerten (unter anderem Gleichbehandlung, Partizipation, Demo-
kratie) nach.
Tabelle 2 zeigt eine Übersicht der verschiedenen Wertewandelansätze in den 1970er
und 1980er Jahren.
Tabelle 2: Typologie von Wertmustern
"Traditionelle Werte"
"Neue Werte"
Maslow (1954)
Physiologische, Sicherheitswerte
Zugehörigkeits-, Selbstaktuali-
sierungswerte
Inglehart (1977) Materielle Werte
Postmaterielle Werte
Noelle-Neumann
(1978)
Bürgerliche Werte
Hedonistische (Proletarische)
Werte
Klages (1984)
Pflicht- und Akzeptanzwerte
Hedonistische Selbstentfal-
tungswerte
Pawlowsky
(1985)
Pflicht-akzeptanz- und akquisi-
tiv-extrinsische Werte
Hedonistische und non-
akquisitiv-intrinsische Werte
Erläuterung: Eigene Darstellung nach Pawlowsky 1985, S. 56.
Im fortschreitenden Verlauf der Wertewandelforschung wurden immer wieder ein-
zelne inglehartsche Annahmen überprüft, kritisiert und erweitert. Dies betrifft insbeson-
10
dere drei Themenfelder. Zum einen die Dimensionen von Materialismus und Postmate-
rialismus, zum anderen die Validität des Inglehart-Indexes als Messinstrument und die
Annahme der Wandlungsdynamik gesellschaftlicher Werte.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Trennung von Kohorten-, Perioden- und Lebenszyk-
luseffekten. So lässt sich eine Verschiebung in den beruflichen Zielen meist auch auf
die mit dem steigenden Alter einhergehenden Rahmenbedingungen begründen. So sind
gerade Ziele im Bereich der Karriere eher angestrebte Ziele jüngerer Arbeitnehmer,
während ältere Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang Ziele im Bereich des betriebli-
chen Engagements nennen (Zacher, Degner, Seevaldt, Frese und Lüdde 2009). Maag
(1991) sieht die Sozialisationsannahme Ingleharts als unrealistisch an, da sich in einer
hoch industrialisierten Gesellschaft auch nach dem Jugendzeitalter vielfältige Differen-
zierungsprozesse in unterschiedlichen Lebensbereichen abspielen.
In diesem Zusammenhang kritisieren Klein und Pötschke (2004) die Ergebnisse des
Inglehart-Indexes und gehen sogar von einer Umkehr der Verdrängung materialistischer
durch postmaterialistischer Wertorientierungen unter den jüngsten Generationseinheiten
aus und mahnen weitere, langfristige Panelstudien an, um die intra-individuelle Stabili-
tät gesellschaftlicher Werteorientierungen nachzuweisen. Abbildung 2 zeigt den Verlauf
des Inglehart-Indexes von 1970 bis 1997.
Abbildung 2: Bevölkerungsanteil der Postmaterialisten, des Mischtyps und der Mater-
ialisten. Bundesrepublik Deutschland (West) 1970 bis 1997 (in %)
Erläuterungen: Klein und Pötschke 2000, S. 208.
Deutlich erkennbar ist eine rapide Abnahme der Materialisten seit 1980, bis diese
Mitte der 1990er Jahre wieder ansteigen. Dagegen nehmen die zuvor angestiegenen
11
Postmaterialisten seit Ende der 1980er Jahren kontinuierlich ab, während die Mischty-
pen einen konstant hohen Anteil innerhalb der Bevölkerung behalten. Diese Befunde
stehen in Gegensatz zu Ingleharts Prognosen.
Darüber hinaus kritisiert Thome (2003) Ingleharts Bezug zu Maslows Bedürfnishie-
rarchie als Fehlinterpretation und wirft ihm vor, sein Modell durch Ausnutzung inter-
pretatorische Spielräume gegen Kritik zu immunisieren und keine nennenswerte Revisi-
on veranlasst zu haben. Insgesamt kommt es in der Interaktion zwischen Theorieent-
wicklung und empirischer Werteforschung seiner Ansicht nach zu keinem erkennbaren
Fortschritt.
Trotz der Kritik an Inglehart, sowie der Modifikation, Ergänzung und Verfeinerung
durch Noelle-Neumann, Klages und Pawlowsky lassen sich allen Ansätzen nach dem
Befund einer wachsenden Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung des Einzelnen als
zentrale Charakteristika des Wertewandels entnehmen (Hradil 2002).
Aufgrund der jüngsten Kritik erfasst Hypothese 1 die Aussage des Inglehart-Indexes
um eine Antwort darauf geben zu können, ob sich der Trend in Richtung des Materia-
lismus oder Postmaterialismus bewegt.
H1: Ein Befragter präferiert eine postmaterialistische vor einer post-
materialistischen Mischtyp Wertorientierung, sowie diese vor einer
materialistischen Mischtyp oder einer materialistischen Wertorientierung.
3
Generation Y Die aktuelle Generation?
Das folgende Kapitel beschreibt die Charakteristika und Wertorientierungen der
aktuellen Bewerbergeneration, der Generation Y. Darüber hinaus werden mögliche
Begründungen für ein anderes Verhalten dieser Generation gegeben und in den Kontext
der Vorgängergeneration gesetzt.
3.1 Wer ist die Generation Y
Schon bei der ersten Frage zeigt sich ein deutliches Problem in der Forschung zur
Generation Y, denn es existiert zwar ein Konsens über die Bedeutung des Begriffs, aber
bei weitem keine einheitliche Definition. Die Namensgebung ,,Generation Why" zielte
auf die Verhältnisse und Vorstellungen der 1980er-Generation, die alle bisherigen für
12
selbstverständlich gehaltenen Werte in Frage stellte. Es existiert jedoch keine einheitli-
che Definition, welche Zeitspanne die Generation Y umfasst. So sieht Parment (2009)
die Kohorte der Jahrgänge 1978 bis 2000. Andere wie Howe und Strauss (2001) spre-
chen gar die Existenz einer Generation Y als Marketingversuch ab und rufen mit den
Millenials, die nach 1982 zur Welt gekommen sind, ihre eigene Generation aus.
Ähnlich heterogen wie die Definition der Zeitspanne der Generation Y werden auch
deren Charakteristika beschrieben beziehungsweise unterschiedlich gewichtet. Ameri-
kanische Studien von Tulgan (2001) sehen die Generation Y als eine der ehrgeizigsten,
findigsten und weltläufigsten Generationen überhaupt an, von der man das Beste erwar-
ten und bekommen kann. Traditionen, die für vorherige Generationen einen maßgebli-
chen Einfluss darstellten, verlieren bei dieser Generation erheblich an ihrer Wirkungs-
kraft.
Arbeit bedeutet für diese Generation, dass die Aufgaben der Sinn und der Inhalt ihres
Tätigkeitsfeldes sollte der Förderung der Selbstverwirklichung dienen und wird immer
weniger als Pflicht betrachtet. Die mit der Arbeit verknüpften hohen Erwartungen, die
sich aus dem hohen Lebensstandard der Generation ableiten, können hierbei zu Frustra-
tion am Arbeitsplatz führen. Man könnte davon sprechen, dass die Verwöhntheit der
Generation ein falsches Erwartungsmanagement an die eigene, berufliche Entwicklung
schürt. Die stärkere europaweite bzw. globale Prägung sorgt zudem für einen unge-
zwungenen und offenen Umgang mit anderen Kulturen auch und gerade am Arbeits-
platz. Hinzu kommt ein Wandel der früher deutlich hierarchischen Organisationsstruk-
turen zu offeneren, modernen Strukturen. Operativ betrachtet sollte das Tätigkeitsfeld
möglichst immer neue Herausforderungen stellen, bei gleichzeitiger flexibler Gestaltung
von Arbeitszeit und Arbeitsort (Büning und Marchlewski 2009).
Trotz der hohen Ansprüche an die Arbeitsumgebung, die in Verbindung mit dem
großen Selbstbewusstseins als arrogant wirken können, ist der Horizont der Generation
Y durch ein strafferes Ausbildungssystem eingeschränkter als bei vorhergehenden Ge-
nerationen (Honoré 2010). Das bedeutet, sie haben trotz der Fähigkeit sich einer un-
wägbaren Lage schnell anzupassen noch wenig Erfahrungswerte.
Der gesteigerte Ehrgeiz der Generation Y spiegelt sich zugleich in einem leistungs-
orientierteren Verhalten wieder, dass heißt der Faktor Karriere und die damit eng ver-
bundene Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten überwiegen.
Die Leistungsorientierung ist gekoppelt an einen zunehmenden Individualismus. Ge-
paart sind diese Eigenschaften für eine abnehmende Loyalität gegenüber dem Arbeitge-
13
ber verantwortlich, die immer mehr den Merkmalen einer Produzenten-Konsumenten-
Beziehung ähneln. Die Leistungsorientierung hat zugleich wichtige Implikationen zur
Wahrnehmung des Arbeitsumfeldes. Denn wer gerne mit Besseren zusammenarbeitet
um dadurch On-the-Job, also innerhalb der normalen Arbeitszeit mehr zu lernen, der
trägt zu einer anderen Kultur bei, als jemand der nicht gerne sieht das seine Kollegen
eine bessere Leistung bringen (Honoré 2010).
Die Eigenverantwortlichkeit und Selbstständigkeit zeigt sich in Bezug auf Karriere
und Familie. Einkommen und Karriere sind zwar nicht zu vernachlässigende Faktoren,
aber gegenüber Arbeitsplatzsicherheit und der Familie von nachrangiger Bedeutung
(Laick 2009).
Auch die Arbeitszeit wandelt sich. Durch neue, technisch vereinfachte Möglichkeiten
wird das Arbeiten von zuhause im ,,Home Office" möglich. Dadurch verschwimmen bei
der Generation Y zunehmende die Grenzen zwischen Berufs- und Arbeitsleben, so dass
die Work-Life-Balance einen wichtigen Bestandteil im Berufsleben dieser Generation
darstellt. Dabei ist die Work-Life-Balance als das Verhältnis von Arbeit zu Freizeit zu
verstehen.
Identität und das Image spielen eine immer tragendere Rolle bei der Arbeitssuche
(Weiss und MacKay 2009). Dies ändert den Prozess der Anwerbung maßgeblich. Da-
bei spielt eine größere Vielfalt des Arbeitgeberangebotes eine immer wichtigere Rolle.
Dazu gehört unter anderem der Standort des Unternehmens beziehungsweise des Ar-
beitsplatzes, um neben einer repräsentativen Adresse, eine vereinfachten Alltagslogistik
wie den Zugriff zu Dienstleistungen (unter anderem Einkaufsmöglichkeiten) zu haben.
Der erste Eindruck vom potenziellen Arbeitgeber ist wichtig bei der Entscheidungsfin-
dung, zudem muss das Unternehmen seine Vorzüge durch sein Image herausstellen um
in die engere Auswahl als potenzieller Arbeitgeber zu gelangen (Honoré 2010).
Eine sehr selbstbewusst auftretende Generation Y weiß die emotionalen Werte des
Konsumlebens auf ihre Arbeitswelt zu übertragen und im gleichen Maße zu schätzen
(Parment 2009). Immaterielle Faktoren wie Talente, Werte, Kultur und Marken nehmen
eine immer größere Rolle in der Wahrnehmung und als Selektionsstandard eines Unter-
nehmens als zukünftigen Arbeitgeber ein. Die Unternehmen gehen von einer selbstbe-
wussteren Durchsetzung der eigenen Wertvorstellungen der jüngeren Generation aus,
die sich intensiveren Überlegung aussetzen, an welches Unternehmen und damit auch in
welches soziale Gefüge man sich bindet (Swain und Brown 2009).
14
Eine mögliche Ursache für das verzerrte Abbild dieser Generation könnte darin lie-
gen, dass es gerade die angrenzende Generation ist, welche sich mit ihr beschäftigt, sie
analysiert und sich mit ihr auseinandersetzt und das obwohl man offensichtlich in einer
Art Konkurrenz zueinander steht. Der folgende Abschnitt hinterfragt deshalb die Grün-
de für das Entstehen einer neuen Generation, welche eng mit der vorhergehenden Gene-
ration verbunden sind.
3.2 Warum die Generation Y so ist wie sie ist
Die Umwelt in der die Generation Y aufgewachsen ist, war als erste Generation von
klein auf durch die Hochtechnisierung des Informationszeitalters geprägt (Laick 2009).
In diesem Zusammenhang ist von den ,,Digital Natives" die Rede, deren Lebens- und
Arbeitsrhythmus sich mit SMS, Facebook, Google und Twitter völlig an diese elektro-
nische Umwelt angepasst hat.
Gerade junge Menschen sind anfällig für viele Informationen und offen für Perspek-
tiven, die ihnen die Gesellschaft in der sie groß werden bietet. Durch dieses Angebot
und ihre Unvoreingenommenheit werden sie inspiriert ihre Zukunft auf neue Art und
Weise zu planen. Zudem hat sich die Struktur der Erwerbstätigkeitslebensläufe gravie-
rend gewandelt. Früher war es üblich als Sohn in den Beruf seines Vaters einzutreten
oder sich als Tochter um die Familie zu kümmern und nicht erwerbstätig zu werden, so-
dass lineare Lebensläufe planbar waren. Es bestanden weniger Perspektiven und es
wurde erst überhaupt nicht in Betracht gezogen eine andere Wahlmöglichkeit zu haben.
Für die Generation Y gelten nicht-lineare, zyklische Lebensläufe, in denen sich mehrere
Perioden wie Ausbildung, Arbeit und Erholung überlappen, vor (Laick 2009). Beck
(1986) spricht in diesem Zusammenhang von Bausätzen biografischer Kombinations-
möglichkeiten, wodurch Wahlmöglichkeiten zu Wahlzwängen aufbrechen.
Der Auslöser für die Unstetigkeit des Berufslebens liegt nach Oesterdiekhoff (2006)
in einem Rückgang des Anteils langfristiger Beschäftigungsverhältnisse, die durch ei-
nen Wandel des Wirtschafts- und Beschäftigungssystems verursacht worden sind. Dabei
bezieht sich Oesterdieckhoff (2006) auf die Theorie des Soziologen Richard Sennet, der
diesem Wandel weitreichende Folgen für das ökonomische, soziale und kulturelle Le-
ben unterstellt. So fehlen die sich auf die Identität und das Selbstbewusstsein positiv
auswirkenden stabilen und standardisierten Lebensläufe, die vom Individuum als kohä-
rente sinnvolle Ereignisse interpretiert werden können. Demnach sinkt bei flexiblen Be-
15
schäftigungsmöglichkeiten die Identifikation mit dem Unternehmen und damit auch die
Loyalität zum Arbeitsverhältnis, hinzukommend wird die Kompetenz und fachliche
Tiefe abgeschliffen.
Dies bedeutet, dass diese Generation in einer Gesellschaft mit hoher Transparenz,
ständiger und schneller Kommunikation, vielen Wahlmöglichkeiten einem zunehmen-
den Individualismus und einem sehr hohen Lebensstandard aufgewachsen ist. Die Ge-
neration kam schon in ihrer Kindheit in den Genuss verschiedener Urlaubsmöglichkei-
ten, viele Freunde und Spaß zu haben. Daraus lässt sich eine erhöhte Erwartungshaltung
ableiten, die sich im späteren Leben auf das Arbeitsleben und damit auch auf die An-
sprüche gegenüber dem Arbeitgeber überträgt. Diese Generation ist es gewohnt viel
Anerkennung zu bekommen und erwartet dies von einem Arbeitgeber (Böhlich 2009).
Einer der maßgeblichen Treiber für die Individualisierung war die Entwicklung hin
zur Konsumgesellschaft. Durch den internationalisierten Handel, welcher durch sinken-
de Transportkosten begünstigt wurde, konnten neben den Waren auch der Geschmack
und Präferenzen globalisiert werden. Auf vielen Konsumentenebenen kam es zu einer
neuen Vielfalt von Preis-, Leistungs- und Qualitätsalternativen. Die gleichzeitige rasan-
te Entwicklung der Informationstechnologien führte zu einer vernetzteren, informations-
intensiveren und transparenteren Welt. Durch das Internet gab es nun die Möglichkeit
sich über Produkte zu informieren und in Sekundenschnelle Preis- oder Qualitätsver-
gleiche anzustellen, wie es vorher nicht möglich gewesen war. Das Internet wird zu-
nehmend als Informationsquelle und Wissensbasis in diversen Lebenslagen sowie ins-
besondere bei der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten genutzt (Weitzel, Eckhardt, von
Stetten und Launer 2011).
Durch das konsumentenähnliche Verhalten bei der Arbeitgeberauswahl hat dies
Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung der Generation Y. Die Generation Y be-
sitzt durch ihre Affinität zum Internet den entscheidenden Vorteil intuitiv und selbstver-
ständlich schnell und effizient an Informationen über die Wahlmöglichkeiten zu gelan-
gen. Dabei fördern die Wahlmöglichkeiten den Individualismus. In der Konsumkultur
nutzen die Menschen die eigenen Präferenzen zur Profilierung der eigenen Person. Ein
immer größeres Angebot an Fernsehkanälen und Internetseiten, die durch die Nutzung
moderner Smartphones überall und jederzeit erreichbar sind, erschwert es den Firmen
die Aufmerksamkeit des Konsumenten auf ihre Aktivitäten und Angebote zu lenken.
Andererseits eröffnet dies neue Kommunikationskanäle und kann bei richtiger Anspra-
che die Kommunikation erleichtern. Das hat zur Folge, dass man als potenzieller Ar-
16
beitnehmer genauso umworben werden möchte, wie dies bei einem normalen Konsu-
menten der Fall ist. Zum Beispiel durch Give-Aways, kleine Präsente mit dem Unter-
nehmenslogo, die zu Werbezwecken verteilt werden. Um eine optimale Informationsla-
ge zur Entscheidungsfindung bereitzustellen, erfreuen sich Arbeitgeberrankings auf der
Ebene des Hochschulabsolventen als Arbeitsplatzkonsument, einer immer höheren
Beliebtheit. Solche Rankings sind eine Strategie um auf den vorherrschenden Informa-
tionsüberfluss zu reagieren. In Zeiten der zunehmenden Vernetzung steigt die Informa-
tionsmenge, aber nicht die Fähigkeit die Informationen zu beurteilen und zu verarbeiten.
Bedingt durch die vielen Eindrücke aus verschiedenen Zusammenhängen realisiert
die Generation Y, dass sie ihre Träume und Ambitionen realisieren kann, verspürt aber
zugleich den Druck sie realisieren zu müssen. Ausschlaggebend dafür ist die Leistungs-
gesellschaft, in der die erbrachte menschliche Leistung eine strukturbildende Wirkung
auf das Gesellschaftssystem zukommt, die einen sozialen Druck auf ihre Individuen
ausübt (Schäfers und Hradil 1995). Jedoch stellen finanzielle, zeitliche, physiologische
und soziale Begrenzungen die Prämissen zur Erreichung und Realisierung der Träume
dar.
Durch die infolge des Internets transparenter gewordenen Welt, in der die Generation
Y aufgewachsen ist, werden auch für die Arbeitswelt bestimmende Faktoren transparen-
ter. Zugleich geht die zunehmende Informationsmasse mit einer Veroberflächlichung
der Gesellschaft einher (Parment 2009). Die Generation Y scheint sich demgegenüber
aber durchaus in dieser Flut an Informationen navigieren zu können. Aus der Vielzahl
von Wahlmöglichkeiten leitet sich Hypothese 2 ab, die überprüft ob die Wertorientie-
rungen in unterschiedlichen Kontexten in gleichem Maße als Orientierungshilfe bezie-
hungsweise Selektionsstandard angewendet werden
2
.
H2: Das tatsächliche (in den Teilnutzenwerten des Conjoint-Design) und das
angegebene (im semantischen Differenzial) Muster der Wertorientierungen der
Befragten gleichen sich.
2
Durch die Anwendung des Conjoint-Design, bei dem die Befragten aufgrund des orthogonalen Design
nur indirekt ihre Wertorientierungen angeben und des semantischen Differentials, bei dem sie sich
direkt bezüglich ihrer persönlichen Wertorientierungen entscheiden müssen, werden zwei
unterschiedliche Kontextsituationen zur empirischen Überprüfung abgebildet.
17
3.3 Generationen im Kontext Von X bis Y
Die Generation Y und ihre Vorgänger-Generation X haben aus wissenschaftlicher
Sicht vor allem eine Gemeinsamkeit, das Fehlen einer einheitlichen Definition. Das
Phänomen der Konflikte mit einer angrenzenden Generation betraf vor allem die Gene-
ration X, welche sich nur sehr schwerlich mit ihrer Elterngeneration verstand, die in den
1930er und 1940er Jahren zur Zeit der Weltwirtschaftskrise oder im Schatten des zwei-
ten Weltkrieges geboren wurden (Gillon 2004). Während die Baby-Boomer-Generation
durch fehlende Wahlmöglichkeiten dem Kollektivismus zuneigte unterscheidet sie sich
hier maßgeblich von der durch den Individualismus geprägten Generation Y. Dabei
werden die Kohorten nach Larkan (2007) als Baby-Boomer die zwischen 1945 und
1960, die Generation X die zwischen 1961 und 1979, sowie die Generation Y welche ab
1980 geboren wurde, definiert. Die politische und wirtschaftliche Situation dieser Gene-
ration war eine andere. Das Aufwachsen der Baby-Boomer in der Nachkriegszeit war
geprägt durch eine tendenzielle politische Linksorientierung und eine Warenknappheit
an den Märkten, während die Generation Y eine Differenzierung und Entpolitisierung
sowie einem Warenüberfluss gegenüberstand. Der Individualismus stieg auf Kosten des
Kollektivismus und entgegen der Baby-Boomer ist die Generation Y mit emotionalen
Produkten und Dienstleistungen aufgewachsen. Während für die neue Generation emo-
tionale Argumente über eine Kaufentscheidung eine große Rolle spielen, zählt für die
Baby-Boomer mehr die Vernunftbetonung der Argumentation, da sich diese besser in
das kollektive Lebensverhalten einer Gesellschaft eingliedern. Anfang des 20. Jahrhun-
derts (Pierenkemper 2009) galt Arbeit als eine Pflicht um die eigene Versorgung und
die der Familie sicherzustellen. Arbeit war ein rational motiviertes Handeln. Dies wan-
delte sich zu einem emotional motivierten Handeln, sodass sich ein neues Konsumden-
ken entwickelte. Es lässt sich nicht abstreiten, dass die Generation der Baby-Boomer
maßgeblich zu einer Veränderung der Gesellschaft beigetragen hat. Sie sind die Eltern
der 1980er Kinder, haben versucht ihre Kinder mit ihren Werten zu erziehen und ihnen
den Lebensstandard ermöglicht, der zu ihren hohen Ansprüchen beigetragen hat.
Trotz der vielen negativen Stimmen zur neuen Generation gibt es einige die in der
wohlhabenderen, besser geschulteren und ethnisch gemischteren Generation durchaus
Vorteile sehen (Behrstock-Sherratt und Coggshall 2011). Sie sehen die Generation Y als
intelligente, kooperative Teamplayer, die durchaus Regeln und Autorität beachten und
alle Erwartungen ins Positive durchbrechen (Howe und Strauss 2001). Ebenfalls kritisch
18
wird von manchen Autoren die Generations-Typologie an sich gesehen. Demnach ist
das Leben durch die dynamischen und sich wandelnden Lebenssituationen eher geprägt
als durch Generationszugehörigkeiten (Dziemba und Wenzel 2009).
4
Der Arbeitsmarkt Treffpunkt von Arbeitnehmer und
Arbeitgeber
In Kapitel 2 wurde der sozioökonomische Status als einer der maßgeblichen Gründe
für eine Wertorientierung hin zum Postmaterialismus oder zum Materialismus
angesehen. Um den Hintergrund der sozioökonomischen Situation der aktuelle
Bewerbergeneration in Deutschland nachvollziehen zu können, werden im Folgenden
sowohl die allgemeine Arbeitsmarktsituation als auch die jeweiligen Sichten der beiden
Akteure Arbeitnehmer und Arbeitnehmer dargestellt.
4.1 Allgemeine Arbeitsmarktsituation
Der Arbeitsmarkt unterliegt der Dynamik und dem Wechselspiel von Konjunkturen
und Rezessionen. Diese Effekte wirken sich sowohl auf das Angebot und die Nachfrage
als auch auf das Verhalten der beiden Akteure, den Arbeitnehmern als Anbietern von
Arbeit und den Arbeitgebern als Nachfrager von Arbeit, aus. Das Personalmanagement
ist in Phasen des Aufschwungs von verstärkten Rekrutierungsmaßnahmen bei erhöhtem
Wettbewerbsdruck um Mitarbeiter geprägt, während bei einer Rezession Rationalisie-
rungsmaßnahmen die Mitarbeiter wieder dem Arbeitsmarkt zuführen (Anchouri 2010).
Dabei schwankte die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik
Deutschland in den Jahren von 1992 bis 2011 zwischen sechs und elf Prozent. Die Quo-
te stieg nach der Dotcom-Krise des Jahres 2000 kontinuierlich an, bis sie mit 10,8 Pro-
zent im Jahr 2005 einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Es folgte eine leichte Erho-
lung bis zu einem kurzzeitigen, erneuten Anstieg aufgrund der Folgen der amerikani-
schen Immobilienkrise, bis die Arbeitslosenquote zu Beginn des Jahres 2011 auf niedri-
ge 6,5 Prozent sank (Statistisches Bundesamt 2011a). Die spezifische Arbeitslosenquote
für Akademiker lag in den vergangenen Jahren im Jahresdurchschnitt konstant zwischen
3 und 4 Prozent (Rang 2007). Sie betrug damit nicht einmal die Hälfte des Wertes für
die Gesamtbevölkerung und ist deutlich weniger volatil.
19
Der demografische Wandel führt in Deutschland zu einem Rückgang der Bevölke-
rung im Erwerbsalter. Dieses Erwerbsalter betrifft die Spanne von 20 bis 65 Jahren.
Nach dem statistischen Bundesamt gehörten im Jahr 2009 knapp 50 Millionen Men-
schen dieser Gruppe an. Diese Zahl wird nicht kurz- aber mittelfristig, nach 2020, zu-
rückgehen. Die Vorausberechnung bei dem Szenario einer mittleren
3
Bevölkerung geht
davon aus, dass sich die Zahl der erwerbsfähigen Bevölkerung bis 2030 auf etwa 42
Millionen verringert und langfristig bis 2060 sogar auf 36 Millionen abfällt (Statisti-
sches Bundesamt 2009).
Trotz der isolierten Betrachtung der Bevölkerungsentwicklung, ohne den Gesamt-
kontext des Bildungssystems zu betrachten, sprechen die Politik und die Unternehmen
oft von einem drohenden Fachkräftemangel. Jedoch zeigen die Projektionsdaten des In-
stituts zur Zukunft und Arbeit (2007), dass die Anzahl der Hochschulabsolventen bis
2020 um 15 Prozent auf 5021 Tausend und die der Fachhochschulabsolventen um 16
Prozent auf 3057 Tausend steigen werden. Demgegenüber kommt es zu dem angedroh-
ten Fachkräftemangel im Bereich der Ausbildungsberufe, wo bis 2020 die Zahl der ab-
geschlossenen Berufsausbildungen um 5 Prozent auf 2203 Tausend zurückgehen wer-
den.
Für den Arbeitsmarkt bedeutet das langfristig eine relativ konstante Anzahl an Hoch-
schulabsolventen, bei einem Rückgang an Absolventen von Fachausbildungsberufen.
Der demografische Wandel bewirkt einen Druck auf beide Akteure. Sowohl die Stu-
dierende sind in der Bringschuld in noch kürzerer Zeit mehr Praktika, mehr Auslands-
aufenthalte bei besseren Noten vorzeigen zu können. Als auch die potenziellen Arbeit-
geber, die neben einem gut bezahlten Job noch glaubwürdiges Talentmanagement be-
reitstellen und darüber hinaus auch noch die Ressourcen und Fähigkeiten besitzen müs-
sen, dass gesamte Angebotspaket in den richtigen Kanälen vermarkten und feilbieten zu
können (Taylor und Stern 2009).
Betrachtet man die demografische Veränderung im Blickwinkel der in Kapitel 3.3.
beschriebenen Generationen so werden in den kommenden Jahren die Arbeitnehmer der
Baby-Boomer-Generation vermehrt in den Ruhestand treten und die nachkommenden
Generation Y ersetzt. Dies führt möglicherweise zu einem Anstieg der Generationskon-
flikte innerhalb der Unternehmen, denn neben unterschiedlichen Wertvorstellungen un-
terscheiden sich die Generationen auch in ihrer Arbeitsweise und ihren Arbeitsmetho-
3
Entwicklung unter der Annahme annähernd konstanter Geburtenhäufigkeit, eines Anstiegs der
Lebenserwartung um etwa sieben Jahre und eines Wanderungssaldos von 200 000 Personen im Jahr.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2011
- ISBN (eBook)
- 9783842821422
- Dateigröße
- 4 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität zu Köln – Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Soziologie
- Erscheinungsdatum
- 2014 (April)
- Note
- 1,3
- Schlagworte
- wertewandel generation arbeitgeberwahl employer branding hochschulmarketing