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Lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung hörgeschädigter Kinder

Lautsprache als Weg zur gesellschaftlichen Integration in die hörende Welt

©2009 Diplomarbeit 219 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie stehen einer zum Zeitpunkt der Geburt ‘gehörlos’ diagnostizierten jungen Frau gegenüber, welche sich anregend mit Ihnen in der Lautsprache unterhält. In diesem Moment klingelt das Telefon der Hörgeschädigten, sie hebt ab und beginnt sich mit dem Gesprächspartner am Telefon zu unterhalten.
Genau dieses Erlebnis war meine Motivation sich dem Thema ‘Lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung hörgeschädigter Kinder’ zuzuwenden. Ich hielt diese Erfolge bis zu jenem Zeitpunkt noch für unmöglich, doch wurde ich positiv überrascht und eines Besseren belehrt. Jene Frau, die ich hier traf, wurde im Kindesalter mit einem Cochlea-Implantat versorgt und ständig lautsprachlich-hörgerichtet gefördert. Daher erkannte ich die Notwendigkeit, die lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung hörgeschädigter Kinder in den Mittelpunkt der Sprachendiskussion hörgeschädigter Kinder zu rücken. Durch die im Jahr 2005 verfassungsrechtliche Anerkennung der Gebärdensprache als selbstständige Sprache wurde in den letzten Jahren auch die Möglichkeit diskutiert, die Gebärdensprache als Erstsprache für gehörlose und hochgradig-schwerhörig geborene Kinder im Bereich der Frühförderung einzusetzen und dies gesetzlich zu verankern. Dies würde jedoch das hörgeschädigte Kind daran hindern seine Hörreste auszunutzen. Hörgeschädigte Kinder verfügen zum Großteil noch über nutzbare Hörreste, durch die Hören erlernt werden kann. Dies wird in der Gebärdensprachdiskussion jedoch nicht berücksichtigt. Stattdessen werden viele hörgeschädigte Kinder nach wie vor als ‘gehörlos’ diagnostiziert, die jedoch mit einer lautsprachlich-hörgerichteten Frühförderung und dem eventuellen Einsetzen eines Cochlea-Implantates als hochgradig-schwerhörig gelten würden und somit auch die Lautsprache über das Ohr erlernen könnten und nicht in die gesellschaftliche Isolation der Gehörlosenkultur mit dem einzigen Kommunikationsmittel der Gebärdensprache zu fallen. Dies bedeutet, dass man anstelle der Gebärdensprache die lautsprachlich-hörgerichtete Förderung aller hörbeeinträchtigten Kinder in den Vordergrund stellen sollte, damit das Hören frühzeitig in die Persönlichkeit integriert werden kann. Durch das Erlernen der Lautsprache erhalten die Kinder auch ein hohes Maß an Selbstständigkeit für ihr eigenes Leben und sind nicht ständig von Dolmetschern abhängig.
Problemaufriss:
Eine nicht behandelte oder vorrangig gebärdensprachlich-orientierte […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


INHALT

I Einleitung

II Problemaufriss

III Aufbau meiner Arbeit

1 „Das Leben mit einer Hörschädigung“ - Zur sozialen Situation hörgeschädigter Menschen in unserer Gesellschaft
1.1 „INTEGRATION“ – Ein Weg aus unserer segregierenden Gesellschaft
1.1.1 Was bedeutet Integration?
1.1.2 Was bedeutet Inklusion?
1.1.3 Die Integration in Österreich
1.1.4 Die Integration hörgeschädigter Kinder
1.2 Sozialisation hörgeschädigter Menschen
1.3 Identitätsfindung hörgeschädigter Menschen
1.4 Diskriminierung hörgeschädigter Menschen

2 Grundlagen Rund ums Hören
2.1 Allgemeine Grundlagen des Hörens
2.1.1 Die anatomische Beschreibung des Ohrs
2.1.2 Das Ohr und seine Funktion
2.1.3 Die Entwicklung des Hörens
2.2 Allgemeine Grundlagen zum Thema Hörstörung
2.2.1 Welche Formen von Hörstörungen gibt es?
2.2.1.1 Die Schallleistungsstörung
2.2.1.2 Die Kombinierte Schallleitungs-Schallempfindungsschwerhörigkeit
2.2.1.3 Die Sensorineurale Hörstörung oder Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung
2.2.2 Das Ausmaß des Hörverlustes
2.2.3 Die Hörsituation des Schwerhörigen
2.2.4 Die Ursachen einer Hörstörung
2.2.5 Die Auswirkungen einer Hörstörung
2.2.6 Die Personengruppen mit Hörstörungen
2.2.7 Das Erfassen einer Hörstörung
2.2.8 Die hörgeschädigte Population in Österreich
2.2.9 Die Hörhilfen
2.2.9.1 Das Hörgerät
2.2.9.2 Das Cochlea-Implantat
2.2.9.3 Das Knochenleitungshörgerät
2.2.9.4 Die Kombination Hörgerät und Cochlea-Implantat

3 Die Bedeutung der Lautsprache für die Entwicklung des Kindes - Auswirkungen einer Hörstörung auf die kindliche Sprachentwicklung
3.1 Was bedeutet „Sprache“?
3.2 Nativismus vs. Epigenese
3.2.1 Streitpunkt: Gibt es eine „sensible Phase“?
3.2.2 Streitpunkt: Gibt es einen Einfluss der so genannten „Babysprache“?
3.3 Die Entwicklung der Lautsprache
3.3.1 Die Lautsprachentwicklung hörgeschädigter Kinder
3.3.2 Die Lautsprachentwicklung CI-implantierter Kinder
3.4 Exkurs: Sprachstörungen

4 Lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung – Der Weg zur Integration in die hörende Gesellschaft
4.1 Die Förderung hörgeschädigter Kinder im Rückblick
4.1.1 Die Entwicklung des lautsprachlich-hörgerichteten Ansatzes
4.2 Die Notwendigkeit einer lautsprachlich-hörgerichteten Frühförderung
4.3 Die Prinzipien einer lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung
4.3.1 Frühzeitige Diagnostik und Versorgung mit einer Hörhilfe
4.3.2 Intensive Mitarbeit und Bereitschaft der Eltern
4.3.3 Antlitzgerichtetheit vs. Hörgerichtetheit
4.3.3.1 EXKURS: „total communication“
4.4 Die lautsprachlich-hörgerichteten Frühförderung in der Praxis
4.4.1 Der ganzheitliche Ansatz von Susanna SCHMID-GIOVANNINI
4.4.2 Die „Listening-Reading-Speaking“Methode von Ethel EWING
4.4.3 Die Hörerziehung und Denkschulung von Leahea GRAMMATICO
4.5 Organisationsformen der lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung
Pädaudiologische Beratungsstellen
Wechselgruppen
Förderkindergarten
4.6 AVS-Förderkindergarten MAIERNIGG-ALPE
Historischer Rückblick
Pädagogisches Konzept
Angebote für Eltern und hörgeschädigte Kinder

5 Anlage und Methode der Untersuchung
5.1 Methodologische Vorüberlegungen
5.1.1 Die Auswahl der Probanden
5.1.2 Das problemzentrierte Interview
5.1.3 Die Gestaltung des Interviewleitfadens
5.1.4 Das Ziel meiner Untersuchung
5.1.5 Die Einzelfalldarstellung
5.2 Die Interviewsituation

6 „Und Dann hat sie Endlich „Tomate“ Gesagt“
6.1 Fallbeispiel A:
Die Diagnose
Der anfängliche Umgang mit der Hörstörung in der Familie
Die institutionelle Förderung des hörgeschädigten Kindes
Die elterliche Förderung des hörgeschädigten Kindes
Die Erfolge und Misserfolge der Förderung
Der Lautspracherwerb
Die Einstellung zur Gebärdensprache
Die Akzeptanz der Hörhilfe seitens des Kindes
Die Zugehörigkeit des hörgeschädigten Kindes
Die Erfahrungen im Kindergarten
Die Entscheidung für die geeignete Schule
Die Freizeitgestaltung des hörgeschädigten Kindes
Die Entwicklung von Stärken in der Familie durch die Hörschädigung des Kindes
6.2 Fallbeispiel B:
Die Diagnose
Der anfängliche Umgang mit der Hörstörung in der Familie
Die institutionelle Förderung des hörgeschädigten Kindes
Die elterliche Förderung des hörgeschädigten Kindes
Die Erfolge und Misserfolge der Förderung
Der Lautspracherwerb
Die Einstellung zur Gebärdensprache
Die Akzeptanz der Hörhilfe seitens des Kindes
Die Zugehörigkeit des hörgeschädigten Kindes
Die Erfahrungen im Kindergarten
Die Entscheidung für die geeignete Schule
Die Freizeitgestaltung des hörgeschädigten Kindes
Die Entwicklung von Stärken in der Familie durch die Hörschädigung des Kindes
6.3 Diskussion der Ergebnisse
Die Lebenssituation
Die Diagnose
Die Reaktion der Familie auf die Hörschädigung
Die institutionelle Förderung des hörgeschädigten Kindes
Die elterliche Förderung des hörgeschädigten Kindes
Die Einstellung zur lautsprachlich-hörgerichteten Frühförderung
Der Lautspracherwerb
Die Akzeptanz der Hörhilfe des hörgeschädigten Kindes
Die Zugehörigkeit der hörgeschädigten Kinder
Die Erfahrungen im Kindergarten
Die Entscheidung für die geeignete Schule
Die Freizeitgestaltung
6.4 Persönliche Einschätzung

7 Resümee

8 Abbildungsverzeichnis

9 Literaturverzeichnis

„Wer nicht sieht verliert die Dinge,

wer nicht hört die Menschen.“

(Helen Keller)

„Hörbehinderung trennt vom Menschen,

Frühförderung öffnet die Tür zum Menschen.“

(Dir. Johannes MATHIS, Leiter des Landeszentrum für Hörgeschädigte in Vorarlberg)

I Einleitung

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie stehen einer zum Zeitpunkt der Geburt „gehörlos“ diagnostizierten jungen Frau gegenüber, welche sich anregend mit Ihnen in der Lautsprache unterhält. In diesem Moment klingelt das Telefon der Hörgeschädigten, sie hebt ab und beginnt sich mit dem Gesprächspartner am Telefon zu unterhalten.

Genau dieses Erlebnis war meine Motivation sich dem Thema „Lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung hörgeschädigter Kinder“ zuzuwenden. Ich hielt diese Erfolge bis zu jenem Zeitpunkt noch für unmöglich, doch wurde ich positiv überrascht und eines Besseren belehrt. Jene Frau, die ich hier traf, wurde im Kindesalter mit einem Cochlea-Implantat versorgt und ständig lautsprachlich-hörgerichtet gefördert. Daher erkannte ich die Notwendigkeit, die lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung hörgeschädigter Kinder in den Mittelpunkt der Sprachendiskussion hörgeschädigter Kinder zu rücken. Durch die im Jahr 2005 verfassungsrechtliche Anerkennung der Gebärdensprache als selbstständige Sprache wurde in den letzten Jahren auch die Möglichkeit diskutiert, die Gebärdensprache als Erstsprache für gehörlose und hochgradig-schwerhörig geborene Kinder im Bereich der Frühförderung einzusetzen und dies gesetzlich zu verankern. Dies würde jedoch das hörgeschädigte Kind daran hindern seine Hörreste auszunutzen. Hörgeschädigte Kinder verfügen zum Großteil noch über nutzbare Hörreste, durch die Hören erlernt werden kann. Dies wird in der Gebärdensprachdiskussion jedoch nicht berücksichtigt. Stattdessen werden viele hörgeschädigte Kinder nach wie vor als „gehörlos“ diagnostiziert, die jedoch mit einer lautsprachlich-hörgerichteten Frühförderung und dem eventuellen Einsetzen eines Cochlea-Implantates als hochgradig-schwerhörig gelten würden und somit auch die Lautsprache über das Ohr erlernen könnten und nicht in die gesellschaftliche Isolation der Gehörlosenkultur mit dem einzigen Kommunikationsmittel der Gebärdensprache zu fallen. Dies bedeutet, dass man anstelle der Gebärdensprache die lautsprachlich-hörgerichtete Förderung aller hörbeeinträchtigten Kinder in den Vordergrund stellen sollte, damit das Hören frühzeitig in die Persönlichkeit integriert werden kann. Durch das Erlernen der Lautsprache erhalten die Kinder auch ein hohes Maß an Selbstständigkeit für ihr eigenes Leben und sind nicht ständig von Dolmetschern abhängig.

II Problemaufriss

Eine nicht behandelte oder vorrangig gebärdensprachlich-orientierte Hörschädigung hat einen Teufelskreis zur Folge, der seinen Anfang daran nimmt, dass das hörgeschädigte Kind durch die Hörschädigung seine noch vorhandene Hörfähigkeit nicht schult und dadurch auch keine Lautsprache aufbauen kann. Durch dieses Fehlen der Sprache wird es in seiner emotionalen und sozialen Entwicklung beeinträchtigt, wodurch auch die elterlichen Erwartungshaltungen nicht erfüllt werden, was das Kind entweder bewusst oder unbewusst auch zu spüren bekommt und dadurch zusätzlich noch auf psychosozialer Ebene gefährdet ist. (vgl. LÖWE 1996, 51) Praxisberichte zeigen immer wieder den Befund, dass hörgeschädigte Kinder, die eine frühe pädagogische Förderung erhalten haben, sich besser entwickeln als hörgeschädigte Kinder ohne eine frühe pädagogische Förderung. Hierzu gehört eine frühe Diagnostik und eine lautsprachlich-hörgerichtete Förderung. Daher muss schon an dieser Stelle dieser Arbeit erwähnt werden, dass ich mich ausschließlich für die lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung ausspreche und somit in dieser Arbeit immer von einer Frühförderung ohne gebärdensprachliche oder visuelle Komponenten die Rede ist.

Im Laufe meines Praktikums beim Österreichischen Schwerhörigenbund bin ich mit vielen hörgeschädigten Personen in Kontakt getreten und habe mit Erstaunen festgestellt, welche Möglichkeiten es für hörgeschädigte Kinder gibt, das Hören und das Sprechen zu erlernen. Hierzu muss ich auch sagen, dass ich zuvor auch drei Jahre die Gebärdensprache gelernt habe und somit auch viele Gehörlose getroffen habe. Mir fiel auf, dass sich Gehörlose vorwiegend nur mit Ihresgleichen unterhalten konnten und somit in einer Subkultur leben. Man kann also wirklich sagen, dass man hier von zwei verschiedenen Welten sprechen kann, einerseits der „Hörenden Welt“, mit ihren Kommunikationsmittel der Lautsprache, und andererseits die „Welt der Gehörlosen“, mit der Gebärdensprache als Verständigungsmittel. Ich glaube, man braucht sich in diesem Zusammenhang nicht die Frage zu stellen, welche Gemeinschaft in unserer Gesellschaft größere Chancen und Möglichkeiten hat. Man sollte es hörgeschädigten Kindern also nicht verwehren alle möglichen Chancen, in die „Hörende Welt“ integriert zu werden, aufzugreifen. Auch bei einem Fortschritt der Integrations- und Inklusionsbewegung wird es jedoch nie so sein, dass die Gebärdensprache als zweites Kommunikationsmittel jeden Menschen geläufig wird, somit wird die Gehörlosengesellschaft weiterhin in einer Isolation leben.

Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit ist, wie hörgeschädigte Kinder in die „Hörende Welt“ integriert werden können und welche Möglichkeiten die lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung bietet. Dabei steht vor allem die gesellschaftliche Dimension im Mittelpunkt des Interesses, sprich wie ein hörgeschädigtes Kind am besten auf ein Leben in der „Hörenden Welt“ vorbereitet werden kann, wie es ein eigenständiges und unabhängiges Leben führen kann und welche Rolle das Kommunikationsmittel Sprache in diesem Zusammenhang spielt.

Ziel dieser Arbeit sollte es sein, die lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken und dabei meine Annahme, dass je früher die Kinder lautsprachlich gefördert werden, desto mehr Chancen haben sie in der Schule, im Beruf und im gesamten Leben, zu untermauern. Das Hören muss in die Persönlichkeit integriert werden und somit zu einer Selbstverständlichkeit werden. Die Lautsprachentwicklung ist ein wichtiges Medium, um erfolgreich in unsere Gesellschaft integriert zu werden. Genau diese Problematik wird in dieser Arbeit näher erläutert und anhand von Studien aufgezeigt.

III Aufbau meiner Arbeit

Um mich an die Problematik heranzutasten, habe ich meine Arbeit in sieben Kapitel gegliedert. Ich habe diese Reihenfolge gewählt, da sie schrittweise an das Thema heranführt und auf das gesamte Ausmaß eines Hörverlustes bei hörgeschädigten Kindern aufmerksam macht. Vorrangig wird die soziale Situation hörgeschädigter Menschen beschrieben, bevor ein theoretischer Teil mit der allgemeinen Beschreibung des Hörens und der Hörstörung folgt. Zusätzlich wird in einem weiteren Kapitel auf die Sprachentwicklung und dessen Bedeutung näher eingegangen. In einem vierten wichtigen Kapitel wird nun auf die lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung und deren immense Vorteile für die gesamte Lebensgestaltung eines hörgeschädigten Kindes eingegangen und im anschließenden Kapitel durch eine selbst durchgeführte qualitative Studie untermauert.

An dieser Stelle werden die einzelnen Kapitel kurz beschrieben, um einen Überblick über die Themenbereiche dieser Arbeit zu bekommen:

Das Leben mit einer Hörschädigung stellt den Betroffenen und vorrangig dessen Eltern vor Entscheidungen, die ein normal Hörender oder Eltern eines normal hörenden Kindes nicht kennen. Die Problematik der bestmöglichsten Förderung für eine erfolgreiche Integration ihres Kindes steht im Mittelpunkt der Diskussion. Genau damit beschäftigt sich das erste Kapitel „Das Leben mit einer Hörschädigung – Zur sozialen Situation hörgeschädigter Menschen in unserer Gesellschaft“. Dabei wird zuerst erklärt, was man unter Integration und Inklusion überhaupt verstehen kann und wie die Integration in Österreich im Allgemeinen aussieht. Zusätzlich wird natürlich dem Thema entsprechend auch die Integration hörgeschädigter Kinder näher beschrieben. Um die soziale Situation Hörgeschädigter ausreichend verstehen zu können, müssen auch die Sozialisation und die schwierigen Themen der Identitätsfindung und Diskriminierung Hörgeschädigter angesprochen werden, die sich massiv auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen auswirken können. Hierbei liegt das Hauptinteresse dieses Kapitels darin, die Problematiken, denen ein Hörgeschädigter gegenüber steht, aufzuzeigen und dies als Grundlage zur Verbesserung durch eine lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung heranzuziehen.

Als zweiten Schritt hin zur besseren Verständlichkeit einer lautsprachlich-hörgerichteten Frühförderung muss man erst die gesamten Abläufe des Hörens verstehen. Daher folgt anschließend an die soziale Situation das großteils theoretische Kapitel „Grundlagen rund ums Hören“, welches sich mit der anatomischen Beschreibung des Ohres und des Hörens und den Grundlagen zum Thema Hörstörung, wie etwa dessen Formen, Ursachen und Auswirkungen und den möglichen Hörhilfen beschäftigt. Dieses Kapitel soll aufzeigen, welches Ausmaß eine Hörstörung annehmen und wie heutzutage durch technologische Mittel Abhilfe geschaffen werden kann.

Die Lautsprache dient als Hauptkommunikationsmittel in unserer Gesellschaft, um soziale Kontakte aufzubauen. Die umfassende Bedeutung der Lautsprache ist kaum jemandem bewusst, der diese versteht und beherrscht und somit als vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft fungiert. Das Kapitel „Die Bedeutung der Lautsprache für die Entwicklung des Kindes – Auswirkungen einer Hörstörung auf die kindliche Sprachentwicklung“ soll genau diese Thematik ins Bewusstsein rufen. Dabei werden Punkte wie die Ausnutzung der sensiblen Phase bei der Sprachentwicklung, wie auch der Einfluss der mütterlichen Babysprache diskutiert, bevor die Lautsprachentwicklung normal hörender Kinder und die hörgeschädigter Kinder näher beschrieben wird. An diesem Punkt der Arbeit sollte klar werden, dass die Auswirkungen einer Hörstörung viel weitreichender sind als der reine Hörverlust.

Die vorherigen Kapitel haben klar gemacht, dass die Problematiken denen Hörgeschädigte gegenüberstehen, eine lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung notwenig machen, um dem hörgeschädigten Kind die besten Möglichkeiten im Leben bieten zu können. Damit beschäftigt sich das Kapitel „Lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung – Der Weg zur Integration in die hörende Gesellschaft“. In diesem Zusammenhang ist es interessant, die Entwicklung der Förderung hörgeschädigter Menschen näher zu betrachten, um die ständige Verbesserung die durch den lautsprachlich-hörgerichteten Ansatz gegeben ist, aufzuzeigen. Der lautsprachlich-hörgerichtete Ansatz wird anhand seiner Prinzipien genauer erklärt und es wird auch auf die aufwendige Arbeit mit dem hörgeschädigten Kind, vorrangig durch die Eltern, in der Praxis eingegangen. Zusätzlich werden auch Organisationsformen der lautsprachlich-hörgerichteten Frühförderung erwähnt. Um auch einen örtlichen Bezug zum Thema lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung aufzubauen, habe ich anschließend den AVS-Förderkindergarten Maiernigg-Alpe etwas genauer unter die Lupe genommen. Dieses Kapitel soll nun den lautsprachlich-hörgerichteten Ansatz näher beleuchten, dabei soll auch auf den enormen Aufwand der Methode und die Erfolge, welche das Leben eines hörgeschädigten Kindes verändern können, hingewiesen werden.

Anschließend an den ausführlichen theoretischen Teil folgt ein empirischer Teil, indem anhand einer selbst durchgeführten qualitativen Studie einzelne Erfahrungsberichte von Eltern hörgeschädigter Kinder mit Hilfe von Einzelfallanalysen aufgearbeitet werden. Vorweg werden die methodologischen Vorüberlegungen beschrieben und die Methode näher erklärt, um anschließend in einem weiteren Kapitel mit dem Titel „Und dann hat sie endlich „Tomate“ gesagt…“, zwei Interviews ausführlich auszuwerten und zu interpretieren. Um die Individualität jeder einzelnen Person zu gewährleisten, beschränkt sich mein Versuch einer Generalisierung anschließend nur auf eine kurze Zusammenfassung, die jedoch nicht als empirisch gesichert angesehen werden darf.

Zusätzlich muss vorweg noch erwähnt werden, dass ich in meiner Arbeit auf die weibliche Benennung in manchen Formulierungen verzichtet habe, da dies meiner Meinung nach den Lesefluss unterbricht und vom eigentlichen Thema ablenkt. Um nicht gegen die Emanzipationsregeln zu verstoßen, möchte ich im Voraus klären, dass mit jenen Benennungen sowohl die weibliche als auch männliche Form gemeint ist, dies jedoch nicht explizit bei jeder Benennung angeführt ist.

1 „Das Leben mit einer Hörschädigung“ - Zur sozialen Situation hörgeschädigter Menschen in unserer Gesellschaft

Es muss klar sein, dass es „DAS HÖRGESCHÄDIGTE KIND“ nicht gibt. Jedes hörgeschädigte Kind ist anders, genau wie jedes normal hörende Kind individuell ist. Jedes Kind hat eine andere bisherige Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung durchgemacht, jedes Kind hat einen anderen familiären Hintergrund und eine unterschiedlich ausgeprägte Sprachkompetenz. Es gibt Kinder mit einer leichtgradigen Hörschädigung, mit denen jedoch keine Kommunikation möglich ist. Andererseits gibt es Kinder mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit, mit denen durch eine gezielte Förderung ein fast „normales“ Gespräch geführt werden kann. Manche Kinder akzeptieren ihre Hörschädigung, wieder andere schämen sich für ihr Hörgerät. Auch die schulischen Leistungen unterscheiden sich voneinander, genau wie bei normal hörenden Kindern. Weiters gibt es auch verhaltensauffällige hörgeschädigte Kinder, wie auch sehr sensible und zurückgezogene hörgeschädigte Kinder. Hierbei gibt es keine geschlechtsspezifischen oder schichtspezifischen Unterschiede zu normal hörenden Kindern.

Also kann die soziale Situation eines hörgeschädigten Kindes nicht verallgemeinert werden. Es kommt immer auf die Erfahrungen, Erlebnisse, Lebenssituationen und vor allem auf die vorangegangene Förderung, die das Kind erhalten hat, an, wie gut das Kind in die Gesellschaft integriert ist.

Weiters muss man beim Thema Integration auch die unterschiedlichen Lebensphasen des hörgeschädigten Kindes betrachten. Kinder verändern sich, sie kommen in die Pubertät und durchlaufen verschiedene Lebenskrisen bis zum Erwachsenenwerden. Dies ist beim hörgeschädigten Kind gleich wie beim normal hörenden Kind. In diesen Lebenskrisen kann es zu Misserfolgen der Integration, zu Diskriminierungen und zu Indentitätsfindungsschwierigkeiten kommen. Diese Ereignisse dürfen jedoch nicht gleich als Scheitern der Erziehung, der Integration oder der Frühförderung zugeordnet werden, sondern müssen als ganz normale Sozialisationsaspekte auf dem Weg zum Erwachsenen gesehen werden.

In diesem Kapitel zeige ich die Vorteile einer erfolgreichen Integration, vor allem einer schulischen Integration für hörgeschädigte Kinder auf. Hierbei gehe ich sehr detailliert und ausführlich auf die Integrationsdiskussion und –problematik ein, da die Integration das primäre Ziel der lautsprachlich-hörgerichteten Frühförderung darstellt. Hierbei dürfen jedoch auch die Grenzen der Integration nicht vergessen werden. Zusätzlich gehe ich auch auf die Sozialisation und Identitätsentwicklung eines hörgeschädigten Kindes ein und hebe hier die Vorzüge einer erfolgreichen gesellschaftlichen Integration hervor. Schlussendlich dürfen jedoch die Barrieren und Steine, die hörgeschädigten Kindern in den Weg gelegt werden, nicht außer Acht gelassen werden. Aus diesem Grund gehe ich zum Schluss dieses Kapitels noch auf die Diskriminierung behinderter Menschen, im Fokus hörgeschädigte Menschen in unserer Gesellschaft ein, um aufzuzeigen, was für eine erfolgreiche gesellschaftliche Integration noch getan werden muss. In diesem Zusammenhang darf jedoch nie die Bedeutung der Lautsprache vergessen werden. Ein Kind das die Lautsprache nicht beherrscht, kann in die hörende Gesellschaft immer nur mit Defiziten integriert werden, dies beeinträchtigt dem zu Folge sowohl die Sozialisation, als auch die Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung des Kindes. Daher ist eine frühe Hörgeräteversorgung bzw. wenn nötig Cochlea-Implantat Versorgung und eine frühzeitige umfassende lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung von immenser Bedeutung für die Entwicklung des Kindes.

Vorweg kann jedoch gesagt werden, dass psychosoziale Probleme, die durch die Hörschädigung ausgelöst werden, immer von mehreren Faktoren abhängig sind. Einerseits von der Art und dem Ausmaß des Hörschadens, dem Zeitpunkt des Eintretens des Hörschadens, vom Vorhandensein weiterer Behinderungen und andererseits von der sozialen Entwicklung (vgl. LEONHARDT 2002, 72f), sprich dem Einfluss der Umwelt. Und genau dieser zweite Punkt ist das Thema dieses ersten umfassenden Kapitels.

1.1 „INTEGRATION“ – Ein Weg aus unserer segregierenden Gesellschaft?

Integration sollte heute als „Realisierung eines Menschenrechts“ ( FEUSER 2003, 5) begriffen werden, „des Rechts auf uneingeschränkte Teilhabe und gleichberechtigte und gleichwertige Anerkennung eines jeden Menschen in der menschlichen Gemeinschaft […] unabhängig davon, ob er […] als behindert klassifiziert wurde und wird.“ (ebd. 5)

Dieses Kapitel beschäftigt sich eingehend mit dem Thema der Integration. Dabei nehme ich nach einer ausführlichen Einleitung zum Thema Integration die Situation in Österreich genauer unter die Lupe und gehe gesondert noch auf die Integration von hörgeschädigten Menschen und vor allem hörgeschädigter Kinder ein. Vorweg ist jedoch zu sagen, dass es in diesem Kapitel auch einige kritische Bemerkungen zum Thema schulische Integration und vor allem zur Umsetzung des Integrationsansatzes gibt. Ich würde mich persönlich immer für eine Integration hörgeschädigter Kinder aussprechen, da die Vorteile, die diese Kinder für ihr weiteres Leben durch eine erfolgreiche gesellschaftliche Integration mitnehmen, enorm sind. Durch kritische Äußerungen möchte ich nur zum Ausdruck bringen, dass die Integration, so wie sie heute gehandhabt wird, noch nicht den Prinzipien einer umfassenden Integration mit integrativem und individuellem Unterricht entspricht und darauf hindeuten, dass die Erreichung einer vollkommenen Integration ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Ziel sein sollte.

1.1.1 Was bedeutet Integration?

Integration ist ein Begriff, der in unseren allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist. Die lateinische Übersetzung bedeutet Wiedereinbeziehung oder Eingliederung in ein Ganzes. Aus pädagogischer Sicht bedeutet der Terminus „Integration": „ Die möglichst weitgehende Eingliederung von behinderten Menschen in eine soziale Einheit (Gruppe, Gesellschaft) …[wodurch es zu einer Vermeidung] der Trennung von Regel- und Sondererziehung und von Aussonderung [kommt]. […] Die Integration sollte sich jedoch grundsätzlich nicht nur auf den gemeinsamen Kindergarten- und Schulbesuch beschränken, sondern sollte auch andere Lebensbereiche wie Freizeit, Wohnen und Arbeit einschließen.“ (BÖHM 2000, 263)

BEGEMANN (1994) definiert Integration wie folgt: „daß jeder Mensch in seiner Originalität als Person akzeptiert wird und lernen bzw. sich so begaben kann, daß er in unserer Gesellschaft als gleichwertig teilhaben kann in allen Bereichen. Das heißt, daß er Dauerbezugspersonen hat, daß er Freunde und Nachbarn haben kann, daß er in der Schule, Beruf oder Verein Kameraden hat und mit ihnen auskommt, daß er in allen weiteren Bereichen wie Freizeit, Verkehr und Wirtschaft, Politik und Religion teilnehmen kann, ohne diskriminiert zu werden.“ (BEGEMANN zit. nach PAUL, 1998, 45) Es geht also nicht darum alle Menschen gleichzumachen, stattdessen sollen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten erkannt, jedoch als Normalität begriffen werden. (vgl. PAUL 1998, 46)

Wenn von Integration gesprochen wird, sollte man drei Bereiche unterscheiden:

- Soziale Integration

Unter sozialer Integration versteht man die Form und Intensität der Beziehungen, die behinderte Menschen zu ihren Mitmenschen aufbauen.

- Emotionale Integration

Die emotionale Integration gibt darüber Auskunft, wie wohl sich das behinderte Kind in bestimmten Bereichen der Gesellschaft, z.B. der Schule, fühlt.

- Leistungsmotivationale Integration

Hierbei geht es darum, ob ein behinderter Mensch den Leistungsanforderungen, welche an ihn gestellt werden, gerecht werden kann.

(vgl. ELMIGER 1994, 30)

Meiner Meinung nach ist die soziale Integration das Hauptziel für ein gemeinsames gesellschaftlich verbundenes Zusammenleben von behinderten und nicht behinderten Menschen, aus dem sich eine positive emotionale Integration ergibt und wodurch die leistungsmotivationale Integration überflüssig wird. Wenn heute von Integration die Rede ist, wird zumeist an die schulische Integration gedacht. Diese ebnet den Weg zur gesellschaftlichen Integration, die ein Umdenken der gesamten Gesellschaft erfordert. Die allgemeine gesellschaftliche Integration ist also das Ziel, das durch die schulische Integration ihren Anfang genommen hat, wobei die gesellschaftliche, wie auch die schulische Integration, noch lange nicht abgeschlossen sind. Jedoch gibt es gute Ansätze, die den Weg in eine erfolgversprechende Integration bahnen.

Eine erfolgreiche schulische Integration erfordert einen integrativen Unterricht. Damit dies gelingt, muss es zu Veränderungen in unserem gesamten Schulsystem kommen. Diese Veränderungen wurden von unterschiedlichsten Schul- und Integrationspädagogen beschrieben. In meinen Ausführungen habe ich mich grundsätzlich auf die zehn Prinzipien einer integrationsfähigen Grundschule von HEYER (1998) bezogen, diese jedoch noch in einigen Punkten mit den Prinzipien von PAUL (1998) ergänzt und bin somit zu einer umfangreichen Beschreibung des integrativen Unterrichtens einer heterogenen Schülergruppe gekommen. Vorweg ist noch zu sagen, dass diese Prinzipien auch auf höhere Jahrgangsklassen übertragen werden können:

1. Prinzip der integrativen Grundhaltung aller Beteiligten

Dabei ist es wichtig, dass alle Beteiligten, sprich Schulleitung, Lehrer, Eltern etc., eine positive Grundeinstellung zur Integration haben und die dringende Erfordernis von Integration verstehen. (vgl. HEYER 1998, 210)

2. Prinzip der Individualisierung des Unterrichts

Durch die Verschiedenheit der Kinder werden auch unterschiedliche Lernziele und unterschiedliche Zeitvorgaben für alle Schüler gesteckt. (vgl. HEYER 1998, 210) Dies bedeutet, dass jedes Kind auch seinen eigenen Lehrplan hat, der sich immer weiterentwickelt. Dabei helfen Wochen- und Tagespläne, die den Kindern ein freies Arbeiten ermöglichen. Gegebenenfalls kommt jedoch auch noch der Frontalunterricht zum Einsatz. (vgl. PAUL 1998, 54)

Zusätzlich spricht sich PAUL noch für ein allgemeines Ausbleiben von Hausaufgaben und dem so genannten „Sitzen bleiben“, den Wiederholen einer Klasse, aus. Denn nicht das Elternhaus, sondern die Schule muss die Verantwortung für das Lernen tragen. Durch die unterschiedlichen familiären Situationen sind nicht alle Eltern in der Lage ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen, daher ist die Aufgabe von Hausaufgaben sozial ungerecht. (vgl. ebd. 56)

3. Prinzip der differenzierenden Förderung und Betreuung von Kindern mit Beeinträchtigungen und speziellen Lernproblemen

Die Lernsituation mit behinderten Kindern muss zur Normalität werden, jedoch müssen die Kinder dennoch spezielle behindertenspezifische oder sonderpädagogische Hilfen erhalten. (vgl. HEYER 1998, 211f)

4. Prinzip der Gemeinsamkeit in der Vielfalt

Durch die gesellschaftliche Vielfalt in integrativen Klassen treffen unterschiedlichste Kinder aufeinander, die sich zuerst fremd sind. „Soziale Integration wird nur durch ein gegenseitiges Kennenlernen möglich.“ (PAUL 1998, 47) Fremdheiten können durch eine gezielte Gemeinschaftsförderung schnell überwunden werden und die Integration wirkt sich anschließend auch positiv auf die Sozialkompetenz der Kinder aus. (vgl. HEYER 1998, 212) In diesem Zusammenhang finde ich den Terminus „Normalität“, wie ihn PAUL verwendet, passender. Ihr geht es auch um die Vielfalt, jedoch sollte zusätzlich darauf geachtet werden, dass der Anteil der Kinder in einer Klasse der Realität entspricht. Dies bedeutet, dass der Anteil der Jungen und Mädchen, behinderter und nicht-behinderter Kinder, wie auch der Anteil von Ausländerkindern in einer Klasse der Wirklichkeit, sprich des sozialen Umfeldes des Wohnortes entsprechend, verteilt sein sollte. Weiters spielt hier auch eine wohnortnahe Beschulung, um die dortige soziale Situation zu erfassen, eine wichtige Rolle. (vgl. PAUL 1998, 55)

5. Prinzip der Nähe zwischen schulischer und außerschulischer Lebenswelt

Wie bereits erwähnt, ist eine wohnortnahe Integration vom Vorteil, da die Kinder so ihre Schul- und Lebenswelt miteinander verbinden können, beispielsweise können schulische Kontakte in die Freizeit hinaus getragen werden. (vgl. HEYER 1998, 212f)

6. Prinzip der lernanregenden und behindertengerechten Gestaltung von Schulraum und Schulgelände

Die Schule sollte nicht nur eine strenge Unterrichtsanstalt sondern auch eine Lebens- und Lernstätte sein, in der die Kinder vielfältige Handlungsmöglichkeiten und eine lernanregende Umwelt geboten bekommen. (vgl. HEYER 1998, 213f) Dabei hat der Wohlfühlfaktor oberste Priorität. (vgl. PAUL 1998, 55)

7. Prinzip der Anerkennung des Fehlers als Lernchance

Jegliche Fehler, die Kinder machten, wurden stets sanktioniert und waren somit mit Angst verbunden, jedoch sind Fehler die Voraussetzung für jeglichen Lernfortschritt und sollten auch so behandelt werden. (vgl. HEYER 1998, 214)

8. Prinzip der zunehmenden Eigenverantwortung des Lernenden

Den Kindern muss in der Schule gelehrt werden, sich selbst zu helfen. Somit werden Lehrpersonen nur noch zu Unterstützenden, Begleitern, Beratern und Lotsen. (vgl. HEYER 1998, 214f)

9. Prinzip der differenzierenden Bewertung

Durch die individuellen Lernziele und die individuelle Lernentwicklung jedes Kindes ist die allgemeine Ziffernbeurteilung ungeeignet. An ihre Stelle sollte eine Bewertung der individuellen Lern- und Leistungsentwicklung treten (vgl. HEYER 1998, 215f), wodurch individuelle Fortschritte und Entwicklungen dargestellt werden können. Bei einer üblichen Ziffernbeurteilung wird nicht die Anstrengung sondern das Ausmaß der Anpassung an den Unterricht bewertet und dies entspricht nicht dem integrativen Gedanken. (vgl. FEUSER 1995, 218)

10. Prinzip der Kooperation im Unterricht

Um eine individuelle Förderung der Kinder im Unterricht durchführen zu können, bedarf es dem Zwei-Pädagogen-System, wodurch sich die Lehrpersonen gegenseitig unterstützen und auch Verantwortung abgeben können. (vgl. HEYER 1998, 216) Das Lehrpersonal muss jedoch einen höheren Zeitaufwand in der Organisation mit einberechnen. Zusätzlich ist auch der Kontakt zu allen Beteiligten, sprich Lehrern, Eltern und auch Fachleuten sehr wichtig und notwendig. (vgl. PAUL 1998, 56)

Klar muss auch sein, dass Pädagogen sich ständig fortbilden müssen, um neue Wege realisieren zu können. Dadurch können erst neue Ideen und Möglichkeiten für einen integrativen Unterricht entstehen. Zusätzlich dazu sollte auch die Supervision verpflichtend sein, damit das Lehrpersonal seine eigene Arbeit reflektieren kann und sich auch mit anderen über Probleme austauschen kann. (vgl. ebd. 57)

HEYER und PAUL beschreiben mit ihren Prinzipien eine gelungene Integration. Diese Form der Integration ist jedoch keine unmögliche Utopie, sondern wird in mehreren skandinavischen Ländern bereits erfolgreich praktiziert. Dort wird nur noch ein ganz geringer Anteil an behinderten Kindern in Sonderschulen unterrichtet. Man kann also sagen, dass die Auflösung der Segregation in unserem Schulsystem nicht an der Umsetzung scheitert, sondern am politischen Willen. (vgl. SCHUHMANN 2003, 27) Obwohl in Österreich seit dem Jahr 1993 die Möglichkeit der schulischen Integration behinderter Kinder besteht, muss klar sein, dass es noch ein weiter Weg bis zur vollständigen Integration ist. Daher kann ohne Zweifel gesagt werden, dass „ein Integrationsgesetz allein […] nicht automatisch auch eine Gewähr für eine erfolgreiche Integration aller (hör)behinderter Kinder [darstellt] .“ (MÜLLER 1994, 149) Hierzu müssen integrationsfördernde Bedingungen geschaffen werden. Um das Beispiel Hörschädigung aufzugreifen, muss gesagt werden, dass es für die erfolgreiche Integration hörgeschädigter Kinder und die gemeinsame Beschulung von hörenden und hörgeschädigten Kindern mehr als nur der Schaffung akustisch gut ausgestatter Schulräume, wie dem Einbau von stationären oder mobilen Höranlagen, der Verlegung von Teppichen zur Schallreduzierung oder einfach einer reduzierten Schülerzahl benötigt. Es verlangt nach entsprechenden Unterrichtsmethoden, die eine individuelle Unterrichtung jedes Kindes zulassen, wobei die Individualität der Kinder, egal ob behindert oder nicht-behindert, im Vordergrund stehen muss. Man kann also sagen, dass die Integration, so wie sie heute besteht, sprich sie wird nicht in all ihren Prinzipien in die Praxis umgesetzt, nicht immer zu einem erfolgreichen Ergebnis führen wird. Würde sie jedoch alle Prinzipien erfüllen, wäre dies eine Bereicherung der Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung, sowie der Sozialkompetenz jedes Kindes. Festzuhalten ist auch, dass für eine gelingende Integration die Qualität der Integration in Form von Zusammenarbeit aller beteiligten Personen aufgewertet werden muss. Hierzu gehören die Eltern, die Schule und die Fachleute.

Die Entscheidung für oder gegen eine integrative Beschulung eines hörgeschädigten Kindes in der Regelschule liegt jedoch alleine bei den Eltern. Fachleute können und sollen ihnen hierbei nur beratend zur Seite stehen. (vgl. ebd. 8ff)

Wie bereits erwähnt, ist jedoch die Integration in Österreich noch weit davon entfernt alle Prinzipien einer erfolgreichen integrativen Beschulung zu erfüllen. Stattdessen kommt es in den meisten integrativen Regelklassen zu einem körperlichen Beisammensein von behinderten und nicht behinderten Kindern, jedoch nicht zu einem gemeinsamen Lernen. Dies bedeutet, dass die Prinzipien der Integration nicht in die Praxis umgesetzt werden.

Daher ist auch anzumerken, dass eine erfolgreiche schulische Integration eines hörgeschädigten Kindes nicht verallgemeinert werden kann. „Die Regel: „Ein hörgeschädigtes Kind kann nur in einer Integrationsklasse erfolgreich beschult werden!“ ist falsch.“ (MÜLLER 1994, 147) Dieses Statement von Müller macht in soweit Sinn und widerspricht nicht meinen Überzeugungen, dass, solange es keine vollständig integrative Beschulung nach allen Prinzipien des integrativen Unterrichtens gibt, Sonderschulen immer noch sinnvoll sind. Jedoch sollte es zu einer ständigen Zusammenarbeit und zu einem ständigen Erfahrungsaustausch beider Bereiche kommen und zu einer stetigen Weiterentwicklung in Richtung Integration, wie sie in den Lehrbüchern positiv beschrieben wird. Die Entscheidung der Eltern für oder gegen eine schulische Integration muss heute leider der jeweiligen Situation und den bestehenden Möglichkeiten angepasst werden. In einer „Schule für alle“ (FEUSER 1994, 129) wäre diese Überlegung überflüssig, da dort alle Möglichkeiten einer integrativen Beschulung realisiert wurden und somit beste Lern- und Lebensbedingungen für alle Kinder, auch für hörgeschädigte, geschaffen wurden.

Kritisch anzumerken ist, dass der Begriff „Integration“ seiner eigenen Bedeutung widerspricht. Integration bedeutet Eingliederung in ein Ganzes. Wobei die Integrationspädagogik jedoch wieder als separierter Bereich der Pädagogik ausgesondert wird. Es hat den Anschein, als hätte ausschließlich die Integrationspädagogik sich um die Integration zu kümmern. Diese Aussonderung zeigen auch die Begriffe Integrationsgruppe, Integrationslehrer, Integrationsklasse etc. (vgl. SIGOT 2003, 242) Natürlich muss sich die Sozialpädagogik intensiv mit der Umsetzung der Integration beschäftigen, allerdings ist die Erfüllung jener ein gesellschaftlicher Auftrag, der jeden Menschen betrifft.

Genau aus diesem Grund schlägt MÜLLER (1994) den Begriff „Nicht-Aussonderung“ (MÜLLER 1994, 138) an Stelle von Integration vor. Bei diesem Terminus wird seiner Meinung nach keine erneute Ausgrenzung sichtbar. FEUSER hingegen spricht an Stelle der Integration von einer „Schule für alle“ (FEUSER 1995, 134) und an Stelle der Integrationspädagogik, die von Segregation gekennzeichnet ist, von einer Allgemeinen Pädagogik. Durch die Einführung der Integrationspädagogik ist seiner Meinung nach nur ein weiterer Bereich der Sonderpädagogik entstanden. Das segregierende gesamte System ist jedoch geblieben, welches behinderte Menschen als „Auch-Menschen“ (ebd. 134) bezeichnet. Behinderte Menschen auch als Menschen anzuerkennen ist nicht das Ziel der Integration, sondern ein Menschenrecht. Stattdessen sollte es das Ziel sein, behinderte Menschen in unserer Gesellschaft als „normal“ anzusehen. Wenn es eine nicht segregierende und selektierende Allgemeine Pädagogik geben würde, bräuchte man sich die Frage der Integration gar nicht stellen. FEUSER traut sich dabei an die Wurzeln unseres Schulsystems heran und verlangt, dass es grundlegend in nur eine Schule, nämlich eine „Schule für alle“ (ebd. 134) geändert wird. (vgl. ebd. 134f) Das Ziel der Integrationspädagogik sollte es also sein, die Integrationspädagogik überflüssig zu machen, denn die Integration ist nur so lange notwendig, solange es eine Aussonderung gibt. (vgl. SIGOT 2003, 246)

1.1.2 Was bedeutet Inklusion?

FEUSER’s Gedanke entspricht genau dem Verständnis des Begriffs der Inklusion. Die Inklusion wird als eine Weiterentwicklung der Integrationsbewegung betrachtet, stellt jedoch den Anspruch, die Integration durch die Verhinderung von Aussonderung überflüssig zu machen.

Inklusion bedeutet „Einschließung“ oder „Einschluss“. (DUDEN 2001, 440) Vor allem in der Fachliteratur trifft man immer häufiger auf den Begriff der Inklusion, oder englisch inclusion, wodurch er zu einem internationalen Fachwort wurde. Jedoch wird dieser Terminus nicht einheitlich verwendet. Manchmal wird er mit dem Begriff Integration gleichgestellt, öfters wird er auch als Integration ohne Schwächen gesehen und im optimalen Fall wird die Inklusion als eigenständiger Begriff und als optimierte und erweiterte Integration gesehen, die es anzusteuern gilt. Meiner Meinung nach macht die Gleichsetzung der Begriffe Integration und Inklusion wenig Sinn, da ein zweites Wort in diesem Zusammenhang nicht benötigt wird. Stattdessen sollte die Inklusion als ein eigenständiger Begriff fungieren, der ein neues Schulsystem mit einer differenzierten Beschulung für alle voraussetzt. (vgl. SANDER 2004, 11f) FOREST beschreibt den Begriff der Inklusion wie folgt : „Inclusion means WITH not just IN!“ (FOREST zit. nach BOBAN/HINZ 2003, 41) Hierbei erkennt man schon ganz deutlich die Kritik an der Integration. Behinderte Kinder werden durch unsere Form der Integrationsklassen weiterhin als „anders“ stigmatisiert und anhand von Sonderschullehrplänen und erweiterten Förderplänen unterrichtet. Die Inklusion sieht die meist reduzierten speziellen Lehrpläne und „spezial needs“ für behinderte Kinder als Diskriminierung derer an. Diese speziellen Anforderungen wurden nur dadurch notwendig, da die Pädagogik ihren Bedürfnissen bislang nicht ausreichend entsprechen konnte. (vlg. BOBAN/HINZ 2003, 41f)

PORTER, einer der bekanntesten Vertreter der schulischen Inklusion, hat fünf Unterscheidungen zwischen Integration und Inklusion aufgestellt: (vgl. SANDER 2004, 15ff)

1. Nicht der Integrationsschüler, sondern die ganze Klasse steht im Mittelpunkt

Im Allgemeinen werden behinderte Kinder in Integrationsklassen separat unterrichtet und nicht in den Prozess der gesamten Klasse mit eingebunden. Hierbei kommt es zu einem rein körperlichen Beisammensein von behinderten und nicht-behinderten Kindern. Der Inklusionsansatz hingegen besagt, dass die gesamte Klasse im Mittelpunkt steht und somit alle Kinder gemeinsam, gesondert nach den jeweiligen Individualitäten, lernen. Dabei darf die Individualität keines Kindes übersehen werden, wodurch eine Behinderung nicht mehr als eine Besonderheit auffällt, da jedes Kind speziell nach seinen Bedürfnissen gefördert wird.

2. Nicht die Schwächen, sondern die veränderbaren Bedingungen stehen im Mittelpunkt

In einer herkömmlichen Integrationsklasse werden die Schwächen eines Integrationsschülers von einem Experten diagnostiziert und dies kann unter anderem auch ausschlaggebend für die Entscheidung der Eltern für oder gegen eine Integration ihres behinderten Kindes sein. Der Integrationsgedanke verfolgt den Ansatz, dass alle Lehr- und Lernbedingungen so veränderbar sind, dass jedes behinderte Kind seinen Platz in einer „Schule für alle“ (FEUSER 1994, 129) finden kann. Hierzu ist es wichtig, dass die Gesellschaft erst einmal die „Normalität von Verschiedenheit“ (SANDER 2004, 17) anerkennt.

3. Entscheidungen werden nicht nur vom Höchstrangigen in der Schulhierarchie getroffen, sondern demokratisch ausdiskutiert

Regelklassen, die Integrationskinder beherbergen, benötigen einen Förderausschuss der über den Verbleib und die Entwicklung der Integrationskinder diskutiert. Dies wäre laut dem Inklusionsansatzes nicht mehr nötig. An dessen Stelle tritt ein kooperatives Problemlöseverfahren, an dem nicht nur Lehrer und Kollegen, sondern auch Eltern und Kinder teilnehmen und mitentscheiden können.

4. Nicht der Integrationsschüler mit seinem individuellen Förderplan, sondern der individuelle Unterricht steht im Mittelpunkt

In Integrationsklassen gibt es häufig individuelle Förderpläne, welche allerdings nur für Integrationskinder gelten. Diese individuellen Förderpläne, die eigentlich ein gemeinsames Lernen und Leben in der Schulklasse beinhalten, werden häufig mit einem separierten Förderplan gleichgesetzt. Die Inklusion besagt, dass es keine individuellen Förderpläne nur für behinderte Kinder geben soll, stattdessen sollen die Lehrpersonen mehr auf Individualität jedes Schülers achten und jeden Schüler auf seinem eigenen Niveau lernen lassen.

5. Anstatt der Suche nach einer passenden Schule für das behinderte Kind gibt es eine Schule für alle

Heute ist es so, dass behinderte Kinder unterschiedliche Untersuchungen durchlaufen, wodurch Spezialisten die Behinderung des Kindes beurteilen und die Eltern über den bestmöglichsten Schulbesuch beraten, worauf das Kind in einer passenden Institution untergebracht wird. Die Inklusion ist darauf bedacht eine „Schule für alle“ (FEUSER 1994, 125) zu errichten, in die jedes Kind passt und die wohnortnahe ist und jedes Kind, egal ob behindert oder nicht, nach dem Normalisierungsprinzip dieselbe Schule besucht wie sein gleichaltriger behinderter oder nicht-behinderter Nachbar.

(vgl. SANDER 2004, 15ff)

Auch HINZ hat in seinen Ausführungen Unterscheidungen der Inklusion von der Integration angegeben, die sich im Großen und Ganzen mit denen von PORTER gleichen. Zusätzlich fügt er jedoch hinzu, dass das behinderte Kind trotz Inklusionsstruktur immer noch einer Minderheit angehören wird, die allerdings nicht mehr als abgegrenzte Gruppe gilt. Weiters bezieht er in den Inklusionsgedanken nicht nur behinderte Menschen mit ein, sondern jede Art von Minderheit in unserer Gesellschaft, beispielsweise auch ethnische, nationale oder religiöse Minderheiten. (vgl. HINZ 2004, 46)

Der inklusive Gedanke darf sich jedoch nicht allein auf den schulischen Bereich beschränken, sondern muss auch im vorschulischen und außerschulischen Leben, wie auch im Arbeitsleben und in der Freizeit weiter bestehen. (vgl. SANDER 2004, 20)

Wenn man den Inklusionsgedanken allerdings genauer betrachtet, könnte man sich fragen, ob die Integrationstheorie nicht schon immer inklusiv war. Auch der Integrationsgedanke verfolgte in seiner strengen Form die Umstrukturierung des Schulsystems, weg von der Aussonderung und Separierung. Der Integrationspädagoge FEUSER sprach in all seinen frühen Ausführungen von einer „Schule für alle“ (FEUSER 1994, 129), denn nur durch die Überwindung des gegliederten Schulsystems kann es zu einer erfolgreichen Integration kommen. (vgl. HINZ 2004, 53) Auch die Umsetzung des integrativen Unterrichtsprinzips entspricht dem Inklusionsgedanken. Dennoch sollte der neue Begriff der Inklusion verwendet werden, da er die internationale Diskussion über die Weiterentwicklung der Integration aufnimmt. Er baut auf die Integration auf und zieht seine Erkenntnisse nicht mehr nur allein aus der Sonderpädagogik, oder spezifischer aus der Integrationspädagogik, sondern aus der allgemeinen Schulpädagogik, (vgl. ebd. 69) wobei die besagte Veränderung des gesamten Systems angestrebt wird.

1.1.3 Die Integration in Österreich

Während man zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und des damit verbundenen Nationalsozialismus in Österreich noch zwischen „bildungsfähigen“ und „bildungsunfähigen“ Kindern und Menschen unterschied und ab den 1950er Jahren Hörgeschädigte in Sonderschulen abschob, kam es in Folge der „68er Bewegung“ zur Forderung einer Bildungsreform. Der Inhalt war der Abbau von sozialen Ungleichheiten, die Anwendung neuer Lernformen und die Forderung einer höheren Bildungsbeteilung in der Bevölkerung. Dadurch kam der Gedanke einer gemeinsamen Erziehung und Bildung behinderter und nicht-behinderter Kinder auf und die Integrationsbewegung nahm ihren Anfang. (vgl. SIGOT 2003, 240f) Die ersten Integrationsbewegungen in den 1970er Jahren wurden von Eltern behinderter Kinder geführt. Dies hatte zur Folge, dass es zu Versuchsmodellen wie „Integrierten Volksschulen“ oder „Differenzierten Sonderschulen“ kam. Doch die Integrationsidee fand zu dieser Zeit unter den Pädagogen wenig Zustimmung. So kam es erst im Schuljahr 1984/85 zur Gründung der ersten Integrationsklasse in Österreich. Im Jahr 1987 wurde daraufhin in der 11. Schulorganisationsgesetz(SCHOG)-Novelle die gesetzliche Grundlage zum gemeinsamen Unterricht behinderter und nicht-behinderter Kinder beschlossen. Mit der 15. SCHOG-Novelle, die im Jahr 1993 folgte, kam es dann endgültig zur schulischen Integration im Volksschulwesen. Erst im Jahr 1997 wurde durch die 17. SCHOG-Novelle die schulische Integration an den Hauptschulen und der AHS-Unterstufe gesetzlich verankert, wodurch Österreich in der Integrationsbewegung im europäischen Ranking ins oberste Drittel aufrückte.

Die 17. SCHOG-Novelle enthält weiters auch genaue Anordnungen zur Durchführung des integrativen Unterrichts, Bestimmungen über die zusätzlichen Lehrpersonen und das zusätzliche Betreuungspersonal in integrativen Klassen, Bestimmungen über die Schülerhöchstzahlen und die Höchstzahl der Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) in einer Klasse und bauliche Bestimmungen an integrativ geführten Schulen. Weiters mussten auch in allen Bundesländern „Sonderpädagogische Förderzentren“ eingerichtet werden, die den Auftrag haben, als „Informations- und Kommunikationsdrehscheibe“ (KNAPP 2003, 252) zu dienen und die Integrationsarbeit auf Landes- und Gemeindeebene miteinander zu vernetzen. (vgl. ebd. 249ff) „Sonderpädagogische Zentren sind Sonderschulen, die die Aufgabe haben, durch Bereitstellung und Koordination sonderpädagogischer Maßnahmen in anderen Schularten dazu beizutragen, daß Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in bestmöglicher Weise auch in allgemeinen Schulen unterrichtet werden können.“ (Schulorganisationsgesetz 1993: BGBl. Nr. 512/1993, 30.07.1993, § 27a (1)) Sie dienen also dazu, Lehrern, Schulleitern und Eltern unterstützend und beratend zur Seite zu stehen. (vgl. HOVORKA 1998, 284)

Um ein behindertes Kind in eine integrierte Schule einschulen zu können, muss der Sonderpädagogische Förderbedarf (SPF) festgestellt werden. Dies wurde im Schulpflichtgesetz § 8 Absatz 1 gesetzlich verankert. Der Sonderpädagogische Förderbedarf wird durch ein Gutachten vom Sonderpädagogischem Förderzentrum erstellt und weißt das schulpflichtige Kind als „Integrationskind“ aus. Wobei man hier wiederum von einer Separation sprechen kann und auch muss. Der Sonderpädagogische Förderbedarf ist wie eine Etikettierung, die zusätzlich auch die schulische Ausbildungslaufbahn erschwert. Da die Integration nicht mehr für die Sekundarstufe II gilt ist somit ein Kind mit Sonderpädagogischen Förderbedarf von einem weiteren Schulbesuch in eine höhere Schule ausgenommen. Ein Sonderpädagogischer Förderbedarf kann selbstverständlich wieder rückgängig gemacht werden, jedoch Erfahrungen haben gezeigt, dass dies sehr schwierig ist. (vgl. HOVORKA 1998, 283) Daher sollte der Sonderpädagogische Förderbedarf nicht als eine Präventivmaßnahme für Schulversager gesehen werden, sondern in erster Linie Kindern mit einer psychischen oder physischen Behinderung zu Gute kommen. Wenn ein solcher Sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wurde, obliegt es den Erziehungsberechtigten ihr Kind in eine Integrationsklasse einer Regelschule oder in einer Sonderschule unterzubringen.

In Österreich gibt es vier unterschiedliche schulische Integrationsmodelle: die integrative Klasse, die Klasse mit einem Stützlehrersystem, die kooperative Klasse und die Klein- oder Förderklasse, wobei nicht alle Modelle dem Anspruch der Integration „Gemeinsam leben – gemeinsam lernen“ gerecht werden.

Als einzig ganzheitlich gelungenes Integrationsmodell ist die integrative Klasse zu verstehen. Hierbei werden drei bis fünf behinderte Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf wohnortnah in eine Klasse mit verminderter Schüleranzahl von maximal 22 Kindern in einer Regelklasse untergebracht. Zusätzlich kommt das „Zwei-Pädagogen-System“ zum Einsatz, wobei beide Klassenlehrerinnen fächerübergreifend und kooperativ-handlungsorientiert arbeiten, wodurch auch die sozialen Kontakte der Schüler gestärkt werden. Das Prinzip der Individualisierung steht im Vordergrund, d.h. es gibt für jedes Kind einen unterschiedlichen Lehrplan und es werden alternative Methode der Beurteilung gefunden. (vgl. KNAPP 2003, 255)

Eine weitere Integrationsmöglichkeit sind die Klassen mit Stützlehrersystem, hierbei werden nur ein bis zwei behinderte Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in einer Klasse mit verminderter Schülerhöchstzahl untergebracht. In diesen Klassen ist jedoch ein zweiter Lehrer nur zu bestimmten Wochenstunden in der Klasse anwesend. Dies hängt von der Art und dem Ausmaß der Behinderung der Kinder ab. Es ist also keine durchgehende Förderung möglich. Der Lehrplan für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist eingeschränkt und die Beurteilung fällt in Noten aus. Diese Form der Integration orientiert sich allerdings am Modell der „Einzelintegration“, was dem Prinzip der Integration „Gemeinsames leben- gemeinsam lernen“ nicht entspricht. (vgl. ebd. 256)

Genau dies trifft auch auf die nächsten beiden Modelle zu, bei denen sogar von einer Art „Scheinintegration“ (KNAPP 2003, 257) gesprochen werden kann, einerseits auf die kooperativen Klassen und andererseits auf die Klein- und Förderklassen.

In den kooperativen Klassen bestehen die geteilten Regelschul- und Sonderschulklassen weiter. Die Schüler beider Klassen verbringen nur einen Teil der Unterrichtszeit, hauptsächlich in weniger leistungsorientierten Fächern, zusammen. Der Lehrplan und die Leistungsbeurteilung erfolgt je nach Schultyp. Hinter dieser Integrationsmöglichkeit steckt die Idee, die sozialen Kontakte der behinderten und nicht behinderten Kinder zu verbessern. Jedoch haben Studien gezeigt, dass die Kinder durch die verminderte gemeinsame Zeit nur sehr oberflächliche Kontakte aufbauen können. (vgl. ebd. 257f)

Auch die Klein- oder Förderklassen verfolgen nicht die Prinzipien der Integration. Hierbei werden Kinder, die dem Unterricht nur schwer folgen können, in separaten Förderklassen nach dem allgemeinen Lehrplan unterrichtet. Diese Kinder haben allerdings zur Leistungserfüllung keine beschränkte Zeitvorgabe. Das Ziel dahinter ist es, die Kinder wieder in die Regelklassen zu integrieren. Diese Chance bliebe beispielsweise geistig behinderten Kindern immer verwehrt, was eine ständige Separation zur Folge hätte. (vgl. ebd. 258f)

Beim Thema schulische Integration muss man auch zwischen der äußeren und der inneren Differenzierung unterscheiden. Die äußere Differenzierung zeigt sich durch den gefächerten Unterricht, das Fachlehrersystem, die Leistungsgruppen, die eng gesteckten Leistungsvorhaben und die fehlende Lehrerkooperation. Hierbei findet eine Spezialisierung hin zu einer homogenen Gruppe statt, wobei auch das Leistungsniveau an dieser homogenen Gruppe gemessen wird. (vgl. TRIENDL 1994, 67ff)

Bei einer inneren Differenzierung wären, alle Prinzipien eines integrativen Unterrichts bzw. einer integrativen Klasse, die ich im vorhergehenden Kapitel schon beschrieben habe, erfüllt.

Leider ist es in vielen so genannten Integrationsschulen auch in Österreich noch immer so, dass es oft nur zu einem rein räumlichen Zusammenführen von behinderten und nicht-behinderten Kindern in Form von kooperativen Klassen kommt und nicht zu einem gemeinsamen integrativen Unterrichtsprinzip. Am häufigsten werden Stützlehrer in Regelklassen eingeführt, wobei es zu einem rein körperlichen Beisammensein von behinderten und nicht-behinderten Kindern in einer Klasse kommt. (vgl. HOVORKA 1998, 280f) Das segregierende System bleibt also erhalten, stattdessen werden für die behinderten Kinder, wenn sie nicht nach dem Sonderschullehrplan unterrichtet werden, nur die Leistungsanforderungen herabgesetzt. (vgl. FEUSER 1995, 133ff) Laut diesen Ausführungen muss klar sein, dass eine erfolgreiche Integration mit einer äußeren Differenzierung niemals möglich sein wird.

Die Integration sollte jedoch nicht nur die schulischen Bereiche betreffen, sondern sich auf alle Lebensbereiche sowie auch auf alle Lebensphasen auswirken. Dies ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die nicht allein durch die Vereitelung von Gesetzen geschehen kann.

KNAPP (2003) spricht davon, dass eine gesellschaftliche Integration nur durch fünf Voraussetzungen zustande kommen kann (vgl. KNAPP 2003, 259ff):

- Entwicklung einer integrationsfördernden Infrastruktur

Damit ist gemeint, dass es zu einer Vernetzung aller in der Sozialpädagogik tätigen Bereiche kommen sollte, wodurch eine ständige Zusammenarbeit und ein ständiger Kommunikationsaustausch entstehen kann. Zusätzlich sollte auch der Integrationspädagogik und deren betreffende Bereiche höhere finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden.

- Entwicklung eines neuen Selbstverständnisses zur gesellschaftlichen Integration

Dies bedeutet, dass durch die Vernetzung der Bereiche auch andere Strategien und Problemlösungen in Betracht gezogen werden und die eigenen Arbeitsschritte einer ständigen Selbstevaluation unterzogen werden sollten.

- Entwicklung einer integrationsfördernden Teamarbeit und Teamkultur

Meiner Meinung nach spricht das Wort Teamkultur schon für sich, es sollte eine ständige selbstverständliche Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung geben. Dies erfordert einerseits jedoch mehr Zeitaufwand, andererseits kann dadurch Überforderung vermieden werden.

- Weiterentwicklung der integrationspädagogischen Ausbildung

Hierbei geht es darum, dass Personen, die im breiten Feld der Erziehungs- und Sozialberufe tätig sind, eine umfassende Ausbildung, sowie eine Fort- und Weiterbildung gewährt werden sollte, um über die Lebensbedingungen beeinträchtiger Menschen Bescheid zu wissen und dementsprechend auch im Umgang mit ihnen nicht gehemmt oder überfordert zu sein.

- Weiterentwicklung der berufsbegleitenden Fort- und Weiterbildung

Um den Anforderungen der beeinträchtigten Personen gerecht zu werden, ist in der Sozialpädagogik ein ständiges Lernen von großer Bedeutung. Dazu zählen auch eine arbeitsbegleitende Supervision und eine laufend reflektierende Auseinandersetzung mit neuen Theorien der Sozialpädagogik.

(vgl. KNAPP 2003, 259ff)

Damit diese fünf Punkte erfüllt werden können, bedarf es eines Umdenkens der gesamten Gesellschaft. Die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Integration behinderter Menschen muss bewusst gemacht werden. Nur durch diese Veränderung kann eine erfolgreiche Integration funktionieren.

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783842809666
DOI
10.3239/9783842809666
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt – Kulturwissenschaften, Sozial- und Integrationspädagogik
Erscheinungsdatum
2011 (Januar)
Note
1,0
Schlagworte
hören sprachentwicklung kind
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Titel: Lautsprachlich-hörgerichtete Frühförderung hörgeschädigter Kinder
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