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Ambidextere Führung: Herausforderung und Chancen

Eine kritische Aufarbeitung des derzeitigen Forschungsstandes

©2010 Diplomarbeit 64 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Unternehmen müssen, um in einem umkämpften Markt zukunftsfähig bleiben zu können, sowohl effizient als auch innovativ sein. Neben einem effizienten Kerngeschäft sollte das Unternehmen zusätzlich radikale Neuerungen zulassen und die Generierung von neuem Wissen ermöglichen.
Zwischen den beiden Aktivitätsmustern Exploration (Innovation) und Exploitation (Effizienz) wird von den Unternehmen daher eine Balance gefordert. Diese Balance ermöglicht den nachhaltigen Erfolg, die Wettbewerbsfähigkeit und das langfristige Überleben des Unternehmens. Beide Aktivitätsmuster folgen jedoch divergierenden Logiken und kämpfen zudem um knappe Unternehmensressourcen (z.B. Humankapital, Budget, Zeit). Dies kann zu erheblichen Spannungen und Konflikten im Unternehmen führen.
Unternehmen, welche Phasen der Exploration und Phasen der Exploitation simultan auf hohem Niveau ausbalanciert verfolgen können, werden als ambidextere Organisationen, also als ‘beidhändige Organisationen’ bezeichnet.
Phasen der Exploration und Exploitation können dabei entweder abwechselnd nacheinander durchlaufen werden oder aber explorative und exploitative Aktivitäten erfolgen simultan.
In mehreren Studien konnten bereits positive Zusammenhänge zwischen Ambidextrie und Unternehmensleistung empirisch nachgewiesen werden. Es wurde u.a. festgestellt, dass ambidexteres Handeln die Innovationsrate und das Umsatzwachstum eines Unternehmens positiv beeinflussen kann, aber auch für die Bewältigung eines Unternehmenswandels förderlich sein kann.
Im ambidexteren Kontext trägt das Top Management eines Unternehmens die zentrale Verantwortung, den erforderlichen Rahmen und die Strukturen zur Entwicklung einer organisationalen Ambidextrie zu schaffen. Darüber hinaus wird aber auch den Führungskräften in den darunter liegenden Hierarchieebenen eine bedeutende Rolle in der Gestaltung der Ambidextrie zugewiesen. Insgesamt ist die Ambidextrie somit bei weitem nicht nur eine strukturelle oder kontextuelle Herausforderung, sondern vielmehr eine Führungsaufgabe.
Durch ambidexteres Handeln erschließt sich dem Management unterschiedlicher Hierarchiestufen die Möglichkeit, die Unternehmensleistung positiv zu beeinflussen. Gleichzeitig stellen die Schaffung struktureller und kontextueller Rahmenbedingungen sowie mögliche individuelle Grenzen der Ambidextriefähigkeit eine große Herausforderung dar.
Diese Chancen und Herausforderungen der ambidexteren Unternehmenskultur werden in der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen organisationaler Ambidextrie
2.1. Die Aktivitätsmuster Exploration und Exploitation
2.2. Organisationale Ambidextrie

3. Ambidextere Organisationsführung
3.1. Ambidextere Manager
3.1.1. Eigenschaften eines ambidexteren Managers
3.1.2. Entscheidungsgewalt ambidexterer Manager
3.1.3. Formalisierung der Manageraufgaben ambidexterer Manager
3.1.4. Manageraktivität in querfunktionalen Schnittstellen
3.1.5. Netzwerke ambidexterer Manager
3.1.6. Einfluss von Wissenszuflüssen zu ambidexteren Managern
3.2. Transformationale Führung
3.3. Ambidexteres Top Management

4. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Typologisierung organisationaler Ambidextrie

Abbildung 2: Transformationale Führung, Lernkultur und Ambidextrie

Abbildung 3: Transformationale Führung und TMT Attribute

Abbildung 4: Ambidextere Führung und Wissenszuflüsse

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Merkmale von Exploration und Exploitation

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Unternehmen müssen, um in einem umkämpften Markt zukunftsfähig bleiben zu können, sowohl effizient als auch innovativ sein. Neben einem effizienten Kerngeschäft sollte das Unternehmen zusätzlich radikale Neuerungen zulassen und die Generierung von neuem Wissen ermöglichen.

Zwischen den beiden Aktivitätsmustern Exploration (Innovation) und Exploitation (Effizienz) wird von den Unternehmen daher eine Balance gefordert. Diese Balance ermöglicht den nachhaltigen Erfolg, die Wettbewerbsfähigkeit und das langfristige Überleben des Unternehmens (vgl. Gupta et al. 2006; Levinthal/March 1993; March 1991). Beide Aktivitätsmuster folgen jedoch divergierenden Logiken und kämpfen zudem um knappe Unternehmensressourcen (z.B. Humankapital, Budget, Zeit). Dies kann zu erheblichen Spannungen und Konflikten im Unternehmen führen (vgl. Smith/Tushman 2005; Weibler/Keller 2010; Uotila et al. 2009).

Unternehmen, welche Phasen der Exploration und Phasen der Exploitation simultan auf hohem Niveau ausbalanciert verfolgen können, werden als ambidextere Organisationen, also als „beidhändige Organisationen“ bezeichnet (vgl. Tushman/O’Reilly 1996; Gibson/Birkinshaw 2004; Sanchez et al. 1996).

Phasen der Exploration und Exploitation können dabei entweder abwechselnd nacheinander durchlaufen werden oder aber explorative und exploitative Aktivitäten erfolgen simultan.

In mehreren Studien konnten bereits positive Zusammenhänge zwischen Ambidextrie und Unternehmensleistung empirisch nachgewiesen werden. Es wurde u.a. festgestellt, dass ambidexteres Handeln die Innovationsrate (vgl. Hill/Birkinshaw 2006; Lubatkin et al. 2006) und das Umsatzwachstum (vgl. Lubatkin et al. 2006; He/Wong 2004) eines Unternehmens positiv beeinflussen kann, aber auch für die Bewältigung eines Unternehmenswandels förderlich sein kann (vgl. Adler et al. 1999).

Im ambidexteren Kontext trägt das Top Management eines Unternehmens die zentrale Verantwortung, den erforderlichen Rahmen und die Strukturen zur Entwicklung einer organisationalen Ambidextrie zu schaffen (vgl. Gibson/Birkinshaw 2004; Lubatkin et al. 2006; Smith/Tushman 2005). Darüber hinaus wird aber auch den Führungskräften in den darunter liegenden Hierarchieebenen eine bedeutende Rolle in der Gestaltung der Ambidextrie zugewiesen. Insgesamt ist die Ambidextrie somit bei weitem nicht nur eine strukturelle oder kontextuelle Herausforderung, sondern vielmehr eine Führungsaufgabe (vgl. O’Reilly/Tushman 2008).

Durch ambidexteres Handeln erschließt sich dem Management unterschiedlicher Hierarchiestufen die Möglichkeit, die Unternehmensleistung positiv zu beeinflussen. Gleichzeitig stellen die Schaffung struktureller und kontextueller Rahmenbedingungen sowie mögliche individuelle Grenzen der Ambidextriefähigkeit eine große Herausforderung dar.

Diese Chancen und Herausforderungen der ambidexteren Unternehmenskultur werden in der vorliegenden Arbeit insbesondere anhand von fünf empirischen Forschungsarbeiten kritisch aufgearbeitet (vgl. Anhang I).

Nach einleitenden Ausführungen zu den Grundlagen der organisationalen Ambidextrie wird in einem ersten Kapitel der einzelne Manager unabhängig von seiner hierarchischen Position im Umfeld ambidexterer Organisationen betrachtet. Seine ambidexteren Eigenschaften sowie persönliche und strukturelle Mechanismen innerhalb des Unternehmens werden kritisch erläutert.

Die besondere Bedeutung des transformationalen Führungsstils zur Förderung der Ambidextrie wird im zweiten Kapital herausgearbeitet.

Ambidextere Top Management Teams und ihre Schlüsselrolle als ambidexterer Motor der Organisation sind Gegenstand des dritten Kapitels.

Abschließend wird anhand eines eigenen Modells der ambidextere Unternehmenskontext mit seinen Strukturen, Führungsaufgaben und Kommunikationswegen kritisch betrachtet. Die Arbeit bietet zudem einen Rückblick auf die in den Forschungsbeiträgen erschlossenen Ergebnisse sowie einen Ausblick auf mögliche Forschungsfelder in der Zukunft.

2. Grundlagen organisationaler Ambidextrie

2.1. Die Aktivitätsmuster Exploration und Exploitation

Das heutige Umfeld, in welchem sich Unternehmen bewegen, wird als komplex (vgl. Wang/von Tunzelmann 2000), chaotisch (vgl. Brown/Eisenhardt 1998; Eisenhardt/Brown, 1998), turbulent (vgl. Brown/Eisenhardt 1997), unsicher (vgl. Bourgeois 1980) und schnelllebig (vgl. Bourgeois/Eisenhardt 1988) charakterisiert. Es herrschen Hyper-Wettbewerb (vgl. Champy 2009) und immens hohe Ansprüche an die Untenehmen (vgl. Markman/Baron 2003; Chermack et al. 2010).

Eine zentrale Herausforderung für die Unternehmen in einem solchen Umfeld ist eine strategische Ausrichtung, welche die Balance zwischen den beiden antagonistischen Aktivitätsmustern Exploration (Innovation) und Exploitation (Replikation) gewährleistet (vgl. Gupta et al. 2006; Levinthal/March 1993; March 1991).

March (1991) bezeichnet Exploration im Kontext des organisationalen Lernens als die Anwendung und den Erwerb neuen Wissens. Das Wesen der Exploration lässt sich darüber hinaus mit Schlagwörtern wie Innovation, Experiment, Suche, Entdeckung und Risikobereitschaft beschreiben (vgl. Baum et al. 2000). Organische Strukturen, lose gekoppelte Systeme, Improvisation und das Agieren in aufstrebenden Märkten und Technologien charakterisieren hierbei die Struktur und das Umfeld explorativer Unternehmen oder Unternehmensbereiche (vgl. Ancona et al. 2001; Brown/Eisenhardt 1998; Lewin et al. 1999; He/Wong 2004).

Mit Hilfe der Exploration sollen Unternehmen rechtzeitig innovative Technologien kreieren und neue Märkte erschließen können (vgl. Lubatkin et al. 2006; Gupta et al. 2006). Vom Kunden zukünftig geforderte Prozesse, Produkte und Services müssen dafür bereits frühzeitig im Unternehmen entwickelt werden (vgl. Chermack et al. 2010; Raisch 2008; Raisch et al. 2009).

Exploitation beschreibt hingegen das Lernen per lokaler Suche, die Verbesserung von selbst Erlebtem sowie die bewusste Verfeinerung bestehender Routinen (vgl. Baum et al. 2000; March 1991). Schlagwörter wie Effizienz, Prozessverfeinerung, Produktion und Selektion stehen denen der Exploration gegenüber (vgl. March 1991). Mechanische Strukturen, eng verbundene Systeme, Routine, Kontrolle und Bürokratie werden ebenso mit Exploitation in Verbindung gebracht (vgl. Ancona et al. 2001; Brown/Eisenhardt 1998; Lewin et al. 1999; He/Wong 2004).

Unternehmen müssen zwecks Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit bestehende Prozesse und Kompetenzen weiter ausschöpfen, so dass sie den Anforderungen des aktuellen Tagesgeschäftes und den Bedürfnissen der derzeitigen Kundschaft gerecht werden (vgl. March 1991; Chermack et al. 2010). Exploitation dient daher der Erhaltung des Status Quo, der Optimierung vorhandener Prozesse, Strukturen und Technologien sowie der Nutzung bestehender Potenziale (vgl. Weibler/Keller 2010).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Merkmale von Exploration und Exploitation (vgl. Weibler/Keller 2010)

Exploration und Exploitation können also als zentrale (Lern-)Aktivitäten verstanden werden, welche in unterschiedliche Richtungen weisen (vgl. Benner/Tushman 2002; Smith/Tushman 2005), welche unternehmensindividuell unterschiedlich stark ausgeprägt sein können (vgl. He/Wong 2004) und welche Stabilität und Wandel gewährleisten (vgl. Konlechner/Güttel 2009).

Bei einer ausschließlichen Fokussierung auf eine der beiden Aktivitätsmuster ist der langfristige organisationale Erfolg jedoch zum Scheitern verurteilt. Durch eine Fokussierung auf die Exploration wird das Unternehmen die stetige Verbesserung und Anpassung bestehender Routinen unterlassen (vgl. March 1991). Positive Skaleneffekte werden nicht genutzt und das Unternehmen wird aufgrund kostenintensiver Investitionen keine Gewinne ernten können (vgl. Güttel/Konlechner 2009; Chesbrough/Rosenbloom 2002; Levinthal/March 1993; Volberda/Lewin 2003).

Erfolgt auf der anderen Seite lediglich das Ausbeuten etablierter Erfolgsmuster, steigert dies zwar kurzfristig das Ergebnis, langfristig wandeln sich aber einstige Kernkompetenzen in Kernschwächen, da sich das Unternehmen nicht der dynamischen Umwelt anpasst (vgl. Leonard-Barton 1992; Ahuja/Lampert 2001). Das Unternehmen veraltet und endet in einer Kompetenzfalle (vgl. Herriott et al. 1985; Levitt/March 1988).

Innerhalb des Unternehmens muss daher durch Kombination von Exploration und Exploitation eine Balance hergestellt werden. Studien haben jedoch gezeigt, dass Exploration und Exploitation grundlegend unterschiedliche Strukturen, Prozesse, Strategien, Fähigkeiten und Kulturen benötigen (vgl. Winter/Szulanski 2001; Holmqvist 2004; Van den Bosch et al. 1999; Ghemawat/Ricard I Costa 1993). Zudem kämpfen Exploration und Exploitation innerhalb eines Unternehmens um knappe Ressourcen (vgl. March 1991). March (1991) sieht die beiden Aktivitäten daher als zwei Enden eines Kontinuums an. Je knapper die Ressourcen sind, um welche sowohl explorative als auch exploitative Aktivitäten kämpfen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Aktivitäten sich gegenseitig ausschließen werden (vgl. Gupta et al. 2006).

Alternativ sehen Studien Exploration und Exploitation als orthogonales Konstrukt an, welches innerhalb von Gruppen oder Organisationen existieren kann (vgl. Baum et al. 2000; Gilson et al. 2005). Die Koexistenz von Exploration und Exploitation konnte in diesem Kontext u. a. in dem Bereich der Innovation produzierender Unternehmen (vgl. He/Wong 2004), in Kundenserviceteams mit sowohl standardisierten als auch kreativen Prozessen (vgl. Gilson et al. 2005) sowie bei explorativen und exploitativen Innovationen im Bereich der Finanzdienstleister empirisch nachgewiesen werden (vgl. Jansen et al. 2006).

Die Fähigkeit des Unternehmens, Routinen und Prozesse zu entwickeln, welche die beiden antagonistischen Aktivitätsmuster effizient miteinander kombinieren und Ressourcen entsprechend koordinieren, wird als organisationale Ambidextrie beschrieben (vgl. O’Reilly/Tushman 2007; Teece 2007).

2.2. Organisationale Ambidextrie

Burns und Stalker (1961) erkannten bereits 1961, dass Organisationen sowohl mechanische als auch organische Mechanismen einführen müssen, um Effizienz und Innovation gleichermaßen zu gewährleisten. Jedoch erst fünfzehn Jahre später wurde zur Erzielung eines langfristigen Erfolges erstmals unter dem Begriff „Ambidextrie“ die Implementierung dualer Strukturen gefordert (vgl. Duncan 1976).

Positive Zusammenhänge zwischen Ambidextrie und Unternehmensleistung konnten bereits in mehreren Studien in Bezug auf die Generierung und die Rate von Innovation (vgl. Hill/Birkinshaw 2006; Lubatkin et al. 2006) sowie in Bezug auf die Bewältigung von Wandel (vgl. Adler et al. 1999) und den Umsatzwachstum einer Organisation (vgl. Lubatkin et al. 2006) empirisch nachgewiesen werden. Die Herstellung und Bewahrung organisationaler Ambidextrie gewährleistet daher einen nachhaltigen Erfolg, die Wettbewerbsfähigkeit und das langfristige Überleben des Unternehmens (vgl. Gupta et al. 2006).

Je nachdem wie (zeitlich) oder wo (strukturell) Ambidextrie verfolgt werden soll, unterscheidet man in der Literatur grundlegend drei Formen der Ambidextrie.

Dies sind die strukturelle (partitionale) Ambidextrie und die kontextuelle (harmonische) Ambidextrie als Formen der simultanen Ambidextrie sowie das Punctuated Equilibrium als Form der sequentiellen Ambidextrie. Punctuated Equilibrium wird in jüngsten Arbeiten auch noch in zyklische und reziproke Ambidextrie unterteilt, was aber in dieser Arbeit unberücksichtigt bleiben soll (vgl. Simsek et al. 2009).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Typologisierung organisationaler Ambidextrie (in Anlehnung an Simsek et al. 2009)

Punctuated Equilibrium

Punctuated Equilibrium wird, basierend auf den Annahmen Gersicks (1991), als ein geeigneter Ansatz zur Erstellung einer Balance zwischen den beiden Lernmodi Exploration und Exploitation beschrieben. Die organisationale Entwicklung ist dabei durch lange exploitative Perioden relativer Stabilität geprägt. Diese werden durch punktuelle explorative Perioden von nicht kontinuierlichem und radikalem Wandel unterbrochen (vgl. Burgelman 2002; Gersick 1991; Simseck et al. 2009).

Eine Herausforderung an das Top Management Team stellt das Erkennen des optimalen Zeitpunkts für einen Aktivitätenwechsel dar. Das TMT muss den Wechsel frühzeitig erkennen, vorbereiten, einleiten und begleiten. Damit verbundene Strategiewechsel und temporäre Umstrukturierungen erzeugen bei den Stakeholdern Misstrauen und Ängste. Das Top Management Team muss daher bei jedem Wechsel ein erneutes Verständnis für diese Entscheidung und für das aktuell gültige Orientierungsmuster erzeugen.

Die beiden Formen der simultanen Ambidextrie erfordern derartige Wechsel nicht und sollen im Folgenden näher erläutert werden.

Kontextuelle Ambidextrie

Bei der kontextuellen Ambidextrie, basierend auf Gibson und Birkinshaw (2004) schaffen Organisationen eine Kultur (Kontext), in der einzelne Organisationsbereiche oder Mitarbeiter simultan an der Kreation neuen Wissens (Exploration) und an der Ausbeutung bestehenden Wissens (Exploitation) arbeiten. Die Mitarbeiter müssen ihre Zeit eigenständig zwischen Aktivitäten der Exploration und Exploitation aufteilen, wobei sie dabei von den Führungskräften gesteuert werden (vgl. Gibson/Birkinshaw 2004; Simsek et al. 2009).

Explorative Aktivitäten erfordern Kreativität und Risikobereitschaft des einzelnen Mitarbeiters. Zum Teil zeitgleich müssen diese Mitarbeiter Genauigkeit und Risikoaversion bei exploitativen Aktivitäten zeigen, um eine Balance zwischen Exploration und Exploitation herstellen zu können. Dies bedingt einerseits das Verständnis für die unterschiedlichen Anforderungen an Exploration und Exploitation und andererseits auch das Vorhandensein individueller Fähigkeiten, die das gleichzeitige Ausführen beider Aktivitäten zulassen. (vgl. Konlechner/Güttel 2009).

Das Management sollte daher Rahmenbedingungen wie z.B. den Aufbau von Semi-Strukturen zum Ausgleich von Spannungen und Konflikten schaffen. Semi-Strukturen, wie z.B. Arbeitskreise oder Projektgruppen, ermöglichen dem Mitarbeiter die gleichzeitige Teilnahme an explorativen und exploitativen Aktivitäten und lassen ihm dennoch viel Freiraum in der persönlichen Ausübung seiner Tätigkeit (vgl. Konlechner/Güttel 2009; Brown/Eisenhardt 1997).

Strukturelle Ambidextrie

Schaffen Organisationen strukturelle Voraussetzungen, welche für einzelne Organisationsbereiche eine Spezialisierung auf entweder Exploration oder Exploitation begünstigen, spricht man von struktureller Ambidextrie (vgl. Tushman/O’Reilly 1996; Simsek et al. 2009). Konflikte, welche sich aus den widersprüchlichen Anforderungen für Exploration und Exploitation in unteren Hierarchieebenen ergeben würden, können durch diese Form der Ambidextrie vermindert werden (vgl. Konlechner/Güttel 2009).

Strukturell getrennte Aktivitäten müssen allerdings auf der Ebene des TMT wieder zusammengeführt werden, um zwischen ihnen eine für die Ambidextrie erforderliche Balance herstellen zu können. Dabei ist darauf zu achten, dass die eigenen Strukturen und Prozesse der jeweiligen relativ autonomen explorativen und exploitativen Einheiten nicht behindert werden (vgl. Gilbert 2006; O’Reilly/Tushman 2007; Tushman/O’Reilly 1996).

Diese Integration der ambidexteren Aktivitäten stellt eine besondere Herausforderung an die Top Management Teams dar, da die Zusammenführung solcher Aktivitäten zu erheblichen Konflikten führen kann. Die kurzfristigen und risikoaversen Strategien exploitativer Bereiche stehen nämlich nicht im Einklang mit den langfristigen und risikoreichen Strategien der explorativen Bereiche (vgl. Jansen et al. 2008).

Das TMT muss darüber hinaus grundlegend als Schlüsselfigur die erforderlichen Voraussetzungen zur Schaffung und zur Entwicklung einer strukturellen Ambidextrie schaffen (vgl. Gibson/Birkinshaw 2004; Lubatkin et al. 2006; Smith/Tushman 2005).

Organisationale Ambidextrie wird allerdings nicht nur durch vorgegebene Kontexte und Strukturen sowie durch das Top Management Teams erzeugt. Die Herstellung von Trade-Offs zwischen Exploration und Exploitation gehört ebenso zu den Aufgaben der Manager unterer Hierarchieebenen (vgl. Lavie/Rosenkopf 2006).

Hierarchieübergreifende Ambidextrie

Sowohl dem Top Management Team als auch den Managern unterer Hierarchieebenen muss die Wichtigkeit einer ausgewogenen Balance zwischen Exploration und Exploitation bewusst sein (vgl. O’Reilly/Tushman 2007). Ambidextrie ist somit nicht nur eine strukturelle oder kontextuelle Herausforderung an Unternehmen, sondern vor allem eine Führungsaufgabe (vgl. O’Reilly/Tushman 2008).

Ambidextere Organisationen benötigen daher ein ambidexteres Management sowie ein ambidexteres Bewusstsein (vgl. O’Reilly/Tushman 2004). Manager müssen ihre eigenen Ressourcen auf explorative und exploitative Aktivitäten zur Erzeugung einer Ambidextrie aufteilen. Sie müssen ambidexter handeln und sich ambidexter verhalten. Sie müssen ambidexter sein.

3. Ambidextere Organisationsführung

3.1. Ambidextere Manager

3.1.1. Eigenschaften eines ambidexteren Managers

Ambidextere Manager werden in den folgenden Kapiteln unabhängig von ihrer hierarchischen Position innerhalb des Unternehmens betrachtet. In einem ersten Schritt werden dafür grundlegende Eigenschaften beschrieben, welche einen ambidexteren Manager auszeichnen.

Typische explorative Aktivitäten eines solchen Managers sind mit dem Suchen, Entdecken und Kreieren von neuen Lösungen sowie mit dem Experimentieren neuer Möglichkeiten verbunden. Exploitative Aktivitäten zeichnen sich hingegen durch Selektion, Implementierung, Verbesserung und Verfeinerung von bewährten Routinen aus (vgl. Mom et al. 2007).

Manager können ihre Zeit eigenständig zwischen Aktivitäten der Exploration und Exploitation aufteilen. Manche von ihnen engagieren sich unbewusst verhältnismäßig mehr in explorativen Aktivitäten als in exploitativen Aktivitäten und vice versa. Einige Manager engagieren sich jedoch unbewusst sowohl in explorativen Aktivitäten als auch in exploitativen Aktivitäten auf hohem Niveau (vgl. Mom et al. 2007). Ambidextere Manager müssen sich allerdings bewusst und situationsbedingt mehr oder weniger in explorativen und in exploitativen Aktivitäten engagieren können. Mom et al. (2009) stellen an den ambidexteren Manager in diesem Zuge die folgenden Ansprüche.

Ambidextere Manager arbeiten mit Widersprüchen

Ambidextere Manager sollten scheinbar gegensätzliche Möglichkeiten und Ziele erkennen, verstehen und diese auch mit entsprechender Motivation verfolgen (vgl. O’Reilly/Tushman 2004). Sie müssen also mit Widersprüchen arbeiten (vgl. Smith/Tushman 2005; Tushman/O’Reilly 1996), sich Konflikten annehmen (vgl. Duncan 1976; Floyd/Lane 2000) und sie müssen sich in paradoxem Denken engagieren (vgl. Gibson/Birkinshaw 2004; Smith/Tushman 2005).

Bestehende Ziele, Visionen und Entscheidungen müssen von ambidexteren Managern gelegentlich überdacht werden (vgl. Ghemawat/Ricart I Costa 1993; Rivkin/Siggelkow 2003). Während sie weiterhin sensibel genug sind, die vorhandene Marktposition zu sichern und zu verstärken, müssen sie zusätzlich nach neuen Marktbedürfnissen und technologischen Möglichkeiten suchen (vgl. Burgelman 2002; Tushman/O’Reilly 1996). Dies erfordert eine langfristige wie auch kurzfristige Aufgaben- und Strategieorientierung des ambidexteren Managers bei seinem Handeln (vgl. O’Reilly/Tushman 2004).

Ambidextere Manager als Vielkönner

Des Weiteren sollten ambidextere Führungskräfte eher Generalisten als Spezialisten sein, denn ambidexteres Handeln fordert, mehrere Rollen auszufüllen und mehrere unterschiedliche Aufgaben innerhalb eines bestimmten Zeitraumes bearbeiten zu können (vgl. Birkinshaw/Gibson 2004; Leana/Barry 2000; Floyd/Lane 2000). Ambidextere Manager sollten sowohl Routinearbeiten als auch außergewöhnliche Arbeiten ausführen können (vgl. Adler et al. 1999) und sie sollten typischerweise auch außerhalb der engen Grenzen ihres Jobs agieren (vgl. Adler et al. 1999; Gibson/Birkinshaw 2004).

Sie müssen daher als so genannte Multitasker bzw. Vielkönner auftreten (vgl. Birkinshaw/Gibson 2004; Floyd/Lane 2000).

Ambidextere Manager müssen lernen

Es besteht ebenso der Anspruch an ambidextere Manager, dass sie ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und ihre Fachkompetenz stetig verbessern und erneuern (vgl. Floyd/Lane 2000; Hansen et al. 2001; Sheremata 2000). Sie sollten dabei nach Möglichkeit eine große Bandbreite von Wissen und Informationen generieren (vgl. Floyd/Lane 2000; Sheremata 2000).

Hierbei gilt es sowohl implizites als auch explizites Wissen zu erlangen (vgl. Lubatkin et al. 2006; Nonaka/Konno 1998). Innerhalb ihres Netzwerkes sollten sie sich sowohl mit der Suche nach lokalem als auch distanziertem Wissen und Informationen beschäftigen (vgl. Hansen et al. 2001; Subramaniam/Youndt 2005). Kooperationsfähigkeit, Engagement und die Bereitschaft, ihre Ergebnisse mit denen anderer Organisationsmitglieder zu kombinieren, zeichnet ebenso einen ambidexteren Manager aus (vgl. Birkinshaw/Gibson 2004; Duncan 1976).

Die in der Literatur aufgezeigten Eigenschaften stellen sehr hohe Ansprüche an ambidextere Manager. Es bleibt offen, ob die Tätigkeiten und Verantwortungsbereiche der Manager die Erfüllung sämtlicher Ansprüche bedürfen, um eine Ambidextrie auf hohem Niveau zu ermöglichen. Weitere Forschungsbeiträge hierzu wären von Nutzen.

In den nächsten Kapiteln sollen ergänzend zu den hier aufgeführten Eigenschaften persönliche Koordinationsmechanismen (Entscheidungsgewalt der Manager, Formalisierung von Manageraufgaben) und strukturelle Koordinationsmechanismen einer Organisation (querfunktionale Schnittstellen, Netzwerke) betrachtet werden, da sie das Niveau der Managerambidextrie direkt beeinflussen können (vgl. Martinez/Jarillo 1989; Van den Ven et al. 1976; Mom et al. 2009).

3.1.2. Entscheidungsgewalt ambidexterer Manager

Das Aufgabenfeld eines Managers, seine zu erreichenden Ziele und die zur Verfügung stehenden Mittel können durch Koordinationsmechanismen und organisationale Vorgaben entweder eingeschränkt oder erweitert werden. Das Ausmaß etwaiger Einschränkungen oder Erweiterungen beschreibt die Entscheidungsgewalt des Managers.

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783842807839
DOI
10.3239/9783842807839
Dateigröße
454 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
FernUniversität Hagen – Wirtschaftswissenschaften, Personalführung und Organisation
Erscheinungsdatum
2010 (Dezember)
Note
3,0
Schlagworte
ambidextrie exploration exploitation führung organisation
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