Lade Inhalt...

Nutzerorientierung beim frühkindlichen Autismus

©2010 Masterarbeit 75 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der ‘2. April’ wurde zum ‘Welttag der Aufklärung über Autismus’ in der Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärt, der ab 2008 jährlich begangen werden sollte. Dieser Welttag soll die Aufgabe haben, die Öffentlichkeit stärker für den Autismus zu sensibilisieren und in der gesamten Gesellschaft das Bewusstsein für den Autismus bei Kindern durch entsprechende Maßnahmen zu schärfen. Der Beschluss erging mit dem Ziel, dass Kinder mit autistischen Behinderungen ein erfülltes und menschenwürdiges Leben unter Bedingungen führen sollten, die die Würde des betroffenen Kindes wahren, seine Selbständigkeit fördern und seine aktive Teilnahme am Leben der Gemeinschaft erleichtern. Ebenso sollten sie gleichberechtigt mit anderen Kindern alle Menschenrechte und Grundfreiheiten in vollem Umfang genießen können. Weiterhin erging der Beschluss in dem Bewusstsein, dass Autismus eine lebenslang andauernde Entwicklungsstörung sei, die sich in den ersten drei Lebensjahren manifestiert. Die Entwicklungsstörung sei auf eine neurologische Störung zurückzuführen, die sich auf die Gehirnfunktion auswirken würde. Davon seien Kinder in vielen Ländern betroffen, unabhängig von Geschlecht, Rasse und sozioökonomischer Stellung. Diese Kinder seien durch Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion, Probleme bei der verbalen und nonverbalen Kommunikation, eingeschränkte Interessen und Aktivitäten sowie repetitive Verhaltensweisen gekennzeichnet. Der Beschluss erging in großer Sorge über die weite Verbreitung und hohe Zahl der von Autismus betroffenen Kinder in allen Weltregionen. Der Beschluss berücksichtigt dabei auch die Herausforderungen auf dem Gebiet der Entwicklung, die sich daraus für die von den Regierungen, von nichtstaatlichen Organisationen und dem Privatsektor durchgeführten langfristigen Gesundheits-, Aus- und Fortbildungs- und Interventionsprogramme ergeben würden, sowie die enormen Auswirkungen auf die Kinder, ihre Familien, auf das Gemeinwesen und die Gesellschaften. Abschließend erging der Beschluss unter dem Hinweis darauf, dass Früherkennung und geeignete Forschungs- und Interventionsmaßnahmen für das Wachstum und die Entwicklung der einzelnen Betroffenen von entscheidender Bedeutung sein würden.
1.1, Problemaufriss beim frühkindlichen Autismus:
Viele Menschen in unserer Gesellschaft wissen nicht, was Autismus bedeutet. Ebenso wenig, wie sich die Autismusformen unterscheiden und womit diese Behinderung verbunden ist. Manche […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Problemaufriss beim frühkindlichen Autismus
1.2. Zielsetzung der Masterarbeit
1.3. Vorgehensweise in der Masterarbeit

2. Aspekte der Nutzerorientierung
2.1. Dreiecksbeziehung im Versorgungssystem
2.2. Nutzer
2.3. Leistungserbringer
2.3.1. Kundenorientierung im Käufermarkt
2.3.2. Kunden- / Nutzerorientierung im Verkäufermarkt
2.3.3. Nutzerorientierung im Qualitätsmanagement
2.4. Kostenträger
2.4.1. Krankenkassen
2.4.2. Pflegekassen
2.4.3. Jugendhilfeträger
2.4.4. Sozialhilfeträger
2.4.5. Trägerübergreifend

3. Aspekte zum frühkindlichen Autismus
3.1. Begriffsbildung und Definition
3.1.1. Autismus
3.1.2. Spektrum autistischer Störungen
3.1.3. Klassische Trias
3.1.4. Tiefgreifende Entwicklungsstörungen
3.2. Beschreibung und Abgrenzung zu anderen Erscheinungsformen
3.2.1. Frühkindlicher Autismus
3.2.2. Kinder mit isolierter Intelligenzminderung
3.2.3. High- / Low-Functioning-Autismus
3.2.4. Asperger-Syndrom
3.2.5. Atypischer Autismus
3.3. Komorbidität
3.4. Symptomatik / Diagnose
3.5. Epidemiologie
3.6. Ätiologie
3.7. Heilung
3.8. Therapie
3.9. Lebenssituation
3.9.1. Familie
3.9.2. Kindertagesstätte / Vorschulalter
3.9.3. Schule
3.9.4. Erwachsenenalter

4. Nutzersicht
4.1. Unkenntnis des frühkindlichen Autismus
4.2. Feststellung der Behinderung
4.3. Belastungen und Überforderungen
4.3.1. Beaufsichtigung
4.3.2. Psychische Belastungen
4.4. Kindergarten und Schule
4.4.1. Fallmanagement
4.4.2. Koordinierung mit Berufstätigkeit
4.4.3. Individuelle Integrationsassistenz / Integrationshelfer
4.5. Missstände im Versorgungssystem
4.5.1. Betreuungsfinanzierung
4.5.2. Familie als Nutzer
4.5.3. Leistungen der Kostenträger

5. Optimierungsperspektiven
5.1. Aufklärung über frühkindlichen Autismus
5.2. Entwicklungsdiagnostik
5.3. Unterstützungsleistungen
5.4. Therapie / Elternqualifizierung
5.5. „Neutrale“ Beratungseinrichtung (Verbraucherzentrale)

6. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Erklärung

Anhang
Anhang 1: Tiefgreifende Entwicklungsstörungen (ICD-10: F84)
Anhang 2: Diagnose Frühkindlicher Autismus (ICD-10: F84.0)
Anhang 3: Diagnose Frühkindlicher Autismus (DSM-IV-TR 299.0)
Anhang 4: frühkindlicher Autismus vs. isolierte Intelligenzminderung
Anhang 5: Prävalenz Autismus
Anhang 6: Entwicklung Autismus USA

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Abbildungen

Abb. 1: Dreiecksverhältnis

Abb. 2: Kundenverhältnis

1. Einleitung

Der „2. April“ wurde zum „Welttag der Aufklärung über Autismus“ in der Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärt, der ab 2008 jährlich begangen werden sollte. Dieser Welttag soll die Aufgabe haben, die Öffentlichkeit stärker für den Autismus zu sensibilisieren und in der gesamten Gesellschaft das Bewusstsein für den Autismus bei Kindern durch entsprechende Maßnahmen zu schärfen. Der Beschluss erging mit dem Ziel, dass Kinder mit autistischen Behinderungen ein erfülltes und menschenwürdiges Leben unter Bedingungen führen sollten, die die Würde des betroffenen Kindes wahren, seine Selbständigkeit fördern und seine aktive Teilnahme am Leben der Gemeinschaft erleichtern. Ebenso sollten sie gleichberechtigt mit anderen Kindern alle Menschenrechte und Grundfreiheiten in vollem Umfang genießen können. Weiterhin erging der Beschluss in dem Bewusstsein, dass Autismus eine lebenslang andauernde Entwicklungsstörung sei, die sich in den ersten drei Lebensjahren manifestiert. Die Entwicklungsstörung sei auf eine neurologische Störung zurückzuführen, die sich auf die Gehirnfunktion auswirken würde. Davon seien Kinder in vielen Ländern betroffen, unabhängig von Geschlecht, Rasse und sozioökonomischer Stellung. Diese Kinder seien durch Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion, Probleme bei der verbalen und nonverbalen Kommunikation, eingeschränkte Interessen und Aktivitäten sowie repetitive Verhaltensweisen gekennzeichnet. Der Beschluss erging in großer Sorge über die weite Verbreitung und hohe Zahl der von Autismus betroffenen Kinder in allen Weltregionen. Der Beschluss berücksichtigt dabei auch die Herausforderungen auf dem Gebiet der Entwicklung, die sich daraus für die von den Regierungen, von nichtstaatlichen Organisationen und dem Privatsektor durchgeführten langfristigen Gesundheits-, Aus- und Fortbildungs- und Interventionsprogramme ergeben würden, sowie die enormen Auswirkungen auf die Kinder, ihre Familien, auf das Gemeinwesen und die Gesellschaften. Abschließend erging der Beschluss unter dem Hinweis darauf, dass Früherkennung und geeignete Forschungs- und Interventionsmaßnahmen für das Wachstum und die Entwicklung der einzelnen Betroffenen von entscheidender Bedeutung sein würden (vgl. Generalversammlung der Vereinten Nationen 2007, S. 377-378).

1.1. Problemaufriss beim frühkindlichen Autismus

Viele Menschen in unserer Gesellschaft wissen nicht, was Autismus bedeutet. Ebenso wenig, wie sich die Autismusformen unterscheiden und womit diese Behinderung verbunden ist. Manche Menschen kennen zwar die Hollywood-Verfilmung „Rain Man“, die jedoch das Krankheitsbild des frühkindlichen Autismus nicht erfasst. Denn die Erscheinungsform des frühkindlichen Autismus zeigt eine ganz andere Ausprägung als die in diesem Film dargestellte Autismusform.

Diese Unkenntnis betrifft auch Eltern, die sich die Auffälligkeiten ihres Kindes nicht erklären können. Oft sind sie auch durch Aussagen der Ärzte irritiert, fühlen sich hilflos und gehen von einem medizinischen Experten zum nächsten. Irgendwann gelangen sie schließlich zu einer fachkundigen Einrichtung, die ihnen nach entsprechenden Untersuchungen die Diagnose auf frühkindlichen Autismus bei ihrem Kind eröffnet. Für viele Eltern ist es dann schockierend, wenn ihnen mitgeteilt wird, dass diese Krankheit nach aktuellem Stand unheilbar ist, und oftmals eine lebenslange Behinderung bedeuten würde.

Durch den frühkindlichen Autismus werden für das betroffene Kind viele wichtige Entwicklungsschritte nicht möglich sein. Allerdings könnten mit entsprechenden Therapien die Symptome gelindert werden, um soziale und sprachliche Kompetenzen sowie Verhaltensweisen und Selbstständigkeit zu verbessern. Dies könnte aber von Fall zu Fall sehr unterschiedlich fruchten, da die Erfolge auch von den individuellen Schweregraden abhängig sind.

Die Betroffenen vom frühkindlichen Autismus sind aber nicht nur die Autisten selbst, sondern vor allem die Eltern, welche die Konsequenzen, die aus der Behinderung des frühkindlichen Autismus resultieren, zu tragen haben. Aber auch alle anderen beteiligten Familienangehörigen, also auch die Großeltern, Geschwisterkinder und/oder andere Erziehungsberechtigte, die mit den Besonderheiten der frühkindlichen Autisten konfrontiert werden.

Das Ausmaß dieser Behinderung bedeutet für die betroffenen Familien, dass ihr Leben für lange Zeit in erheblichem Maße beeinträchtigt und belastet sein wird, wenn die Eltern die Pflege und Betreuung selbst übernehmen. Dies ist für die meisten Eltern eine Selbstverständlichkeit. Denn sie wollen ihr Kind aus ethischen Gründen nicht in ein stationäres Pflegeheim abgeben. Dann ergeben sich jedoch für die betroffenen Eltern nachhaltige und vielschichtig anspruchsvolle Problemstellungen.

Die Probleme entfalten sich insbesondere bei den Betreuungs-, Pflege- und Therapiemöglichkeiten für das betroffene Kind sowie dem hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand, als auch der psychischen Belastung der Eltern und Familienangehörigen.

1.2. Zielsetzung der Masterarbeit

Ziel soll es sein, Optimierungsmöglichkeiten zur Nutzerorientierung aufzuzeigen, um unnötige Belastungen für die Betroffenen abbauen zu können. Denn betroffene Kinder und Eltern sollten einen möglichst großen Nutzen aus den Versorgungsmöglichkeiten ziehen können, um die Lebensqualität zu verbessern bzw. ein normaleres Leben führen zu dürfen. Gleichzeitig sollte dies für Leistungserbringer von Interesse sein, um angemessene nutzerorientierte Leistungen anbieten zu können. Ebenso sollte es auch für Kostenträger eine erhebliche Rolle spielen, um entsprechende Mittel einsparen und gezielter verwenden zu können.

1.3. Vorgehensweise in der Masterarbeit

Die Nutzerorientierung beim frühkindlichen Autismus steht im Vordergrund dieser Masterarbeit. Daher werden im ersten Schritt zunächst theoretische Ansätze der Nutzerorientierung mit entsprechenden Aspekten verknüpft, die einen engeren Bezug zum frühkindlichen Autismus haben. Dazu werden das Versorgungssystem in Deutschland und deren Hauptakteure sowie die aktuelle soziale Zuordnung des frühkindlichen Autismus beschrieben (Kapitel 2).

Gleichermaßen bezieht sich die Masterarbeit vorrangig auf den frühkindlichen Autismus im Spektrum der autistischen Störungen. Daher werden im nächsten Schritt Begrifflichkeiten zum Autismus erklärt sowie das Krankheitsbild und die damit verbundene Behinderung dargestellt, um den frühkindlichen Autismus näher zu beschreiben und von anderen Erscheinungsformen abzugrenzen. Weiterhin werden wesentliche Aspekte herausgestellt, welche sich beim frühkindlichen Autismus ergeben, die für eine Nutzerorientierung relevant sein werden (Kapitel 3).

Im Anschluss wird die Nutzersicht beleuchtet und vorgestellt, um verschiedene Problemfelder transparent zu machen, die mit der Behinderungssituation beim frühkindlichen Autismus einhergehen (Kapitel 4).

Anschließend werden knappe Überlegungen bei den Optimierungsperspektiven für Lösungs- und Verbesserungsmöglichkeiten in entsprechenden Problemfeldern angestellt (Kapitel 5).

Abschließend wird in der Zusammenfassung eine Schlussbetrachtung vorgenommen und Empfehlungen ausgesprochen (Kapitel 6).

Anmerkung:

Zur besseren Lesbarkeit werden bei der Bezeichnung von Personen und Personenkreisen die maskuline Form verwendet, wobei natürlich immer Vertreter beiderlei Geschlechts gemeint sind.

2. Aspekte der Nutzerorientierung

2.1. Dreiecksbeziehung im Versorgungssystem

Das deutsche gesundheitliche und soziale Versorgungssystem ist durch eine Dreiecksbeziehung zwischen Nutzern, Leistungserbringern und Kostenträgern gekennzeichnet. Der Nutzer erhält Leistungen, ohne selbst dafür zahlen zu müssen. Denn in den überwiegenden Fällen von gesundheitlichen und sozialen Leistungen übernimmt ein Dritter als Kostenträger, wie z.B. die Krankenkasse oder das Sozialamt die entstandenen Kosten gegenüber dem Leistungserbringer (vgl. Ruprecht 2006, S.3).

Weiterhin kennen die meisten Leistungsempfänger den Preis der ausgeführten Leistungen nicht. Und die Kostenträger wiederum können in der Regel nicht beurteilen, ob eine angemessene und erfolgreiche Leistung ausgeführt wurde (vgl. Haeske-Seeberg 2006, S.13).

Aus diesen Gründen sollte der Leistungsempfänger nicht als „Kunde“, sondern als „Nutzer“ des Versorgungssystems angesehen werden. Hierbei würden sich auf die jeweiligen Kombinationen von Leistungserbringern und Kostenträgern entsprechende Dreiecksbeziehungen zum Nutzer ergeben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Dreiecksverhältnis

In dieser Weise trifft das Dreiecksverhältnis auch auf den frühkindlichen Autismus zu. Da die Leistungen vorwiegend im Versorgungssystem des Gesundheits- und Sozialwesens erbracht werden.

Nach Ruprecht ist das Dreiecksverhältnis durch folgende Ansätze gekennzeichnet. Viele Menschen, insbesondere die Erwerbstätigen, sind aufgrund des Solidarprinzips zur Zwangsmitgliedschaft im Versorgungssystem verpflichtet. Das Solidarprinzip sei in der gesetzlichen Krankenversicherung gegeben, in der gesunde Menschen für Kranke, aber auch alleinstehende Personen für Familien und Kinder mit eintreten, womit auch entsprechende Zahlungen und Leistungsinhalte verbunden sind. Nur mit einem solchen System sei es möglich, dass im Versicherungsfall mehr ausgezahlt würde, als vom Einzelnen eingezahlt wurde. Eine Vertragsfreiheit sei meistens über die Absicherung von Lebensrisiken nur eingeschränkt möglich. Bei Bedarf des Nutzers seien die Wahlmöglichkeiten häufig eingeschränkt. Umso teurer die Leistung ist, desto stärker sind Mengenbegrenzung und Zugangshürden rationiert. Dabei führen freie marktwirtschaftliche Preisbildungen auf der Basis von Angebot und Nachfrage schnell zu ethischen, politischen und indirekt ökonomischen Verteilungsproblemen, was z.B. die Gefahr einer sogenannten „Zwei-Klassen-Medizin“ mit sich bringt. Der Nutzer gilt auch als Partner der Leistungserstellung, wobei er z.B. bei chronischen oder psychischen Erkrankungen mitwirken sollte, um seine Genesung oder Besserung zu erreichen, da sonst der Erfolg der Intervention nur eingeschränkt oder gar nicht möglich wäre. Auf den klassischen Märkten, wo eine angemessene Preisbildung über Angebot und Nachfrage stattfinden kann, stehen sich Leistungserbringer und Kunden auf Augenhöhe gegenüber. Im Gegensatz dazu ist dies aufgrund von Experten-Kenntnissen beim Leistungserbringer, im Vergleich zu den Laien-Kenntnissen des Nutzers von Versorgungsleistungen, nicht der Fall. Eine Marktmacht, wie Kunden sie ausüben könnten, um den Leistungserbringer unter Druck zu setzen, ist bei den Nutzern des Versorgungssystems im Gesundheits- und Sozialwesen meistens nur sehr eingeschränkt oder gar nicht gegeben. Damit haben die Nutzer die schwächere Position, insbesondere dann, wenn ihre Nachfrage steigt und/oder die Abhängigkeit am größten ist und/oder die Wahlmöglichkeiten stark eingeschränkt sind (vgl. Ruprecht 2006, S.1-3).

2.2. Nutzer

Als Nutzer werden im Allgemeinen Menschen bezeichnet, welche Leistungen im gesundheitlichen und sozialen Versorgungssystem in Deutschland erhalten. Regulär sind im Gesundheitswesen die typischen Nutzer kranke Menschen, aber auch gesunde Ratsuchende und präventiv handelnde Menschen, die gesundheitliche Dienst- und Sachleistungen in Anspruch nehmen (vgl. Ruprecht 2006, S.1).

Im Gesundheitswesen sollte der ideale Nutzer das Ausmaß, die Auswirkungen und Risiken von gesundheitlichen Behandlungen und Maßnahmen erfassen und beurteilen, sowie Vor- und Nachteile gegeneinander abwägen können, um eine kompetente individuelle Entscheidung für sich treffen zu können. Bei Nutzern, die in ihrer Selbstbestimmung eingeschränkt sind, würde sich die Entscheidungsgewalt auf andere Personen oder Institutionen verlagern. Damit verbunden, könnte sich auch beim Leistungsanbieter die Nutzerorientierung ändern, so dass neben dem Nutzer auch weitere Personen, wie Eltern, Angehörige und Behörden zum Nutzer werden (vgl. Haeske-Seeberg 2006, S.13-14).

Dies trifft insbesondere auf die vom frühkindlichen Autismus betroffenen Menschen zu, da die Selbstbestimmungsmöglichkeiten bei ihnen deutlich eingeschränkt sind, anfänglich aufgrund des kindlichen Status und im weiteren Verlauf, häufig aufgrund der mit dieser Krankheit einhergehenden lebenslangen geistigen Behinderung. Daher ist es im Sinne der ganzheitlichen Betrachtung des frühkindlichen Autismus erforderlich, dass der Begriff Nutzer weiter gefasst wird. Der Nutzerbegriff sollte also nicht nur auf den vom frühkindlichen Autismus betroffenen Menschen selbst, sondern gleichermaßen auf die direkt beteiligten Personen bezogen werden. Denn sie betreuen schließlich den frühkindlichen Autisten und handeln für diesen. Damit bezieht sich zusammenfassend der Begriff Nutzer nicht nur auf die betroffenen behinderten Menschen, sondern auch auf die betroffenen Eltern bzw. Erziehungsberechtigten. Im weiteren Sinne könnten im Einzelfall auch betroffene Verwandte, wie Großeltern und Geschwister, dazu zählen.

2.3. Leistungserbringer

Die Leistungserbringer beim frühkindlichen Autismus sind in der Regel Anbieter von:

- gesundheitlichen Dienstleistungen, wie z.B. niedergelassene Ärzte, Kliniken, Psychiater, Psychologen, Therapeuten etc.,
- gesundheitlichen Lieferungen von Waren, z.B. Medikamente von Apotheken,
- sozialen Dienstleistungen, wie z.B. Betreuer und Einrichtungen als Personalträger für Betreuungsleistungen,
- öffentlichen Dienstleistungen, wie z.B. öffentliche Einrichtungen in Form von integrativen Kindergärten und Förderschulen.

Die Leistungserbringer können gegenüber dem Leistungsempfänger in zwei unterschiedlichen Rechtsbeziehungen zueinander auftreten, wobei sich diese dann auf zwei unterschiedlichen Märkten begegnen könnten. Einerseits könnte auf dem Käufermarkt ein Rechtsverhältnis zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger entstehen. Andererseits würde auf dem Verkäufermarkt das bereits beschriebene Dreieckverhältnis (vgl. Kap. 2.1.) zwischen Leistungserbringer, Leistungsempfänger und Kostenträger in der Regel stattfinden. Aber auch auf dem Verkäufermarkt könnte das Rechtsverhältnis zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger vorkommen.

Obwohl eine begriffliche Unterscheidung zwischen Kunde und Nutzer gelten sollte, entspricht die Nutzerorientierung der Kundenorientierung. Dies schließt auch die Patientenorientierung nach KTQ (Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen) im Qualitätsmanagement mit ein.

Darüber hinaus ist der Begriff Kundenorientierung sehr weitläufig in seiner Interpretation und Anwendung. So stellen Zink et al. fest, dass in den wirtschafts-wissenschaftlichen Veröffentlichungen der letzten Jahre, dem Kunden wieder mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht werden würde. Allerdings sei eine einheitliche Definition zum Begriff der Kundenorientierung nicht anzutreffen. Die Definitionen zur Kundenorientierung seien weitreichend ausgelegt, von der festen Vorgabe für Produktgestaltungen und Dienstleistungen bis hin zur Einordnung als Bestandteile von Führungsphilosophie und Unternehmenskultur (vgl. Zink et al. 2009, S.378).

2.3.1. Kundenorientierung im Käufermarkt

Im Gesundheits- und Sozialwesen hat sich der Begriff „Kunde“ aufgrund freier Wahl von Ärzten und Therapeuten, unterschiedlichen Leistungen der Krankenkassen, Privatisierung von Kliniken, individuellen Gesundheitsleistungen (IGel) und nicht zuletzt durch das Qualitätsmanagement bei den Leistungsanbietern etabliert.

Der Begriff Kunde wäre dann trefflich gewählt, wenn der Leistungsempfänger selbst ein Vertragsverhältnis mit dem Leistungserbringer schließen würde und die bezogene gesundheitliche oder soziale Dienst- und/oder Sachleistung aus eigenen Mitteln bezahlen würde (vgl. Haeske-Seeberg 2006, S.12-13).

In den Fällen, in denen die Kosten der Leistungen bezüglich des frühkindlichen Autismus durch die Eltern selbst getragen werden, wie z.B. gesundheitliche Überprüfungen, Therapieangebote, Betreuungen etc., also Kosten, die nicht durch einen Kostenträger übernommen werden, könnte der Kundenbegriff verwendet werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Kundenverhältnis

Weiterhin werden mit dem Kundenbegriff im allgemeinen Verständnis sowohl Elemente wie Kundenautonomie, Vertrags- und Entscheidungsfreiheit als auch marktorientierte Preisbildung durch Angebot und Nachfrage verbunden, die sonst im Gesundheits- und Sozialwesen nur eingeschränkt oder gar nicht vorkommen würden.

Die Kundenorientierung geht im klassischen Sinne aus dem betriebswirtschaftlichen Marketing bzw. der Vermarktung (Absatzwesen) hervor. Aus der Marketing-perspektive ist die Kundenorientierung für Selbständige sowie für klein- und mittelständische Unternehmen von Beginn an eine Grundvoraussetzung. Sie müssen sich einen Kundenstamm aufbauen und möglichst langfristig die Kunden an ihr Unternehmen binden. Für sie ist der Kunde der „eigentliche Arbeitgeber“ ihrer Unternehmung. Denn ohne Kundenaufträge könnten sie ihre Leistungen nicht absetzen. Damit stellt die Kundenorientierung für sie ein wesentliches Kriterium im Marketing dar, da ihre Existenzgrundlage davon auch betroffen sein könnte.

Im Sinne des Marketings betrifft die „personelle“ Kundenorientierung die direkte Kommunikation und Interaktion mit dem Kunden durch den Unternehmer selbst und/oder durch einzelne Mitarbeiter, wobei das Verhalten gegenüber dem Kunden einen Teil der Leistung darstellt. Dies ist insbesondere im Dienstleistungsbereich der Fall, in dem die Unternehmensleistungen im direkten Kunden-Mitarbeiter-Kontakt erstellt werden (vgl. Bruhn 2009, S.37-38).

Unter die personelle Kundenorientierung könnten also auch bestimmte Berufszweige im Gesundheits- und Sozialwesen fallen, die im freien Wettbewerb zueinander stehen. Hierzu würden z.B. Betreuer, Heilpraktiker, Therapeuten und Privat-Ärzte gehören, die keine kassenärztliche Zulassung haben, um gesetzlich Krankenversicherte abzurechnen. Für sie spielt bei der Kundenorientierung die Kundenzufriedenheit und das Vertrauensverhältnis der Kunden in ihre Leistungen eine erhebliche Rolle für die Akquisition über die Mund-zu-Mund-Propaganda. Denn die Mund-zu-Mund-Propaganda ist nicht nur ein kostengünstiges, sondern auch ein sehr wichtiges Werbeinstrument für sie, um Weiterempfehlungen im Sinne von „Tue Gutes und lasse andere darüber reden“ durch ihre Kunden zu erhalten.

Nach Bruhn wird die Kundenorientierung wie folgt definiert: „Kundenorientierung ist die umfassende, kontinuierliche Ermittlung und Analyse der individuellen Kundenerwartungen sowie deren interne und externe Umsetzung in unternehmerische Leistungen sowie Interaktionen im Rahmen eines Relationship-Marketing-Konzeptes mit dem Ziel, langfristig stabile und ökonomisch vorteilhafte Kundenbeziehungen zu etablieren." (Bruhn 2007, S.17).

Diese Definition ist vorrangig auf den Käufermarkt in der aktuellen Marktsituation bezogen. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich aufgrund von Angebotsüberhängen und Sättigungserscheinungen bei den Verbrauchern die Verkäufermärkte zu Käufermärkten gewandelt. Seitdem hat der Kunde auf dem Käufermarkt eine stärkere Stellung als der Leistungsanbieter. Der Kunde kann unter vielen Anbietern auswählen, zu welchem Produkt er sich entscheiden möchte (vgl. Bruhn 2009, S.35). In aller Regel wollen Kunden das Produkt erwerben, das ihren spezifischen individuellen Bedürfnissen entspricht (vgl. ebd., S.37). Damit besteht grundsätzlich die Verpflichtung für die Unternehmen, sich am Kunden zu orientieren, um auch das zu produzieren, was der Kunde zu seiner Bedürfnisdeckung erwartet.

2.3.2. Kunden- / Nutzerorientierung im Verkäufermarkt

Die Kundenorientierung im Rahmen der vorgenannten Marketingansätze (vgl. Kap. 2.3.1.) ist nicht auf Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialwesen, die im Versorgungssystem ausgeführt werden, übertragbar. Denn im Gegensatz zum Käufermarkt herrscht im Gesundheits- und Sozialwesen nach wie vor ein Verkäufermarkt. Hierbei haben die Leistungsanbieter eine stärkere Machtposition als die Nutzer. Die Gründe dafür liegen zum einen, eben wie z.B. vor dem Zweiten Weltkrieg, als Angebotsknappheit und Nachfrageüberhänge herrschten, in der Natur der Sache, wenn

- die Nachfrage das Leistungsangebot übersteigt,
- die besondere Dringlichkeit der Leistung erforderlich ist,
- eine Abhängigkeit des Nutzers zum Leistungserbringer besteht und
- die Fachkenntnisse des Leistungserbringer die des Nutzers deutlich übersteigen
(vgl. Gerlinger 2009, S.18).

Zum anderen liegt die stärkere Machtposition der Leistungsanbieter an dem bereits erläuterten Dreiecksverhältnis (vgl. Kap. 2.1.) im vorherrschenden gesundheitlichen Versorgungssystem in Deutschland, bei dem der Leistungserbringer nicht direkt die Zahlung durch den Nutzer, sondern durch den Kostenträger erhält. Der Leistungserbringer kann gegenüber den Nutzern zwar bestimmte Bedingungen, wie z.B. Leistungszeiten, festlegen, dagegen werden aber z.B. Preise und Vertragsbedingungen vom Kostenträger oder durch Verordnungen und/oder gesetzliche Regelungen, z.B. nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) bestimmt.

Auch bei den Leistungen für den frühkindlichen Autisten gibt es ebenso wenig natürliche Sättigungsgrenzen wie bei anderen gesundheitsbezogenen Dienstleistungen oder Versorgungsleistungen, sondern genauso den durchgängig „gefühlten Mangel“ (vgl. Ruprecht 2006, S.5).

Selbstverständlich kann auch auf dem Verkäufermarkt das Rechtsverhältnis zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger vorkommen, wenn Angebotsknappheit eintritt und ein Nachfrageüberhang entsteht, z.B. bei Selbstzahlungen von dringend benötigten Medikamenten und/oder bei Krankheit im Ausland.

2.3.3. Nutzerorientierung im Qualitätsmanagement

Die Nutzerorientierung ist auch als Qualitätsmerkmal im Qualitätsmanagement anzutreffen. Dabei werden die Begriffe Kundenorientierung, Patientenorientierung und Nutzerorientierung regelmäßig synonym verwendet. Seit den Implementierungen der Nutzerorientierung in den Versorgungseinrichtungen des Gesundheitswesens habe der Begriff „Nutzerorientierung“ eine Konjunktur erlebt, was auf das verstärkte Bemühen zum Erwerb eines Qualitätsmanagement-Zertifikates zurückzuführen sei, um Patienten, einweisende Ärzte und Kostenträger zu werben (vgl. Gerlinger 2009, S.17-21).

Nach Scheepers sind Qualitätssicherung und Ethik Grundpfeiler einer am Gemeinwohl orientierten ärztlichen und therapeutischen Grundhaltung. Die Transparenz der Maßnahmen sichere das Vertrauen der Versicherten in die medizinische Versorgung. Bei der Qualitätssicherung sei zu berücksichtigen, dass die verschiedenen Behinderungen komplex seien, von der individuellen Situation abhängig sind und oftmals interdisziplinärer Ansätze bedürfen (vgl. Scheepers 2000, S.37).

Unter Nutzerorientierung im Rahmen des Qualitätsmanagements von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen versteht man, dass eine gute Dienstleistung nur die ist, bei der der Nutzer zufrieden gestellt wird. Dies bedeutet, dass die Dienstleistung als Prozess verstanden werden sollte, dessen Ziel es ist, den Nutzer zufrieden zu stellen und nicht nur eine fachliche Dienstleistung zu erbringen. Nutzerorientierung bedeutet aber auch, dass der Nutzer nicht das Beste bekommen sollte, was man als Leistungserbringer zu leisten vermag. Sondern es sollte das geleistet werden, was der Nutzer benötigt und haben will. Das heißt für den Leistungserbringer im Gesundheits- und Sozialwesen, dass er herausfinden sollte, welche diagnostische oder therapeutische Maßnahme angemessen und zielorientiert für den betroffenen Nutzer wäre. Diese wiederum sollte individuell ausgewählt und erbracht werden, auch wenn aus professioneller Sicht des Leistungserbringers dies nicht immer das Beste für den Leistungsempfänger sein könnte. Zur Nutzerorientierung gehört weiterhin die Ausweitung des Nutzerbegriffes auf eine ganzheitliche Sicht. Dazu sollte der Nutzer ganzheitlich als Mensch und nicht nur als Verbraucher betrachtet werden (vgl. Haeske-Seeberg 2006, S.9-10).

Der Bundesverband „Hilfe für das autistische Kind“ stellt seinen angeschlossenen Einrichtungen Leitlinien in allgemeiner Form zur Definition von Qualitätsstandards zur Verfügung, die von diesen fortgeschrieben werden sollten. Sie sollen der Qualitätssicherung der Angebote dienen, die von den Autismus-Therapiezentren erbracht werden. Weiterhin sollen die Leitlinien bei den Verhandlungen mit den Kostenträgern helfen. Die Qualitätssicherung soll über die Aspekte der Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität erreicht werden.

Daraus folgt, dass jede Einrichtung ihre Angebote daraufhin zu beschreiben und regelmäßig zu überprüfen hätte, ob ihre Strukturen und die in ihr festgelegten Prozesse der Planung, Erbringung der Leistungen und die Form der Überprüfung der Ergebnisse ihrer Dienstleistung so gestaltet seien, dass sie transparent und nachvollziehbar sind. Dazu wäre das oberstes Kriterium für eine qualitativ gute Arbeit, dass der individuelle Bedarf der Menschen mit Autismus und ihrer Angehörigen berücksichtigt würde, sowie sie eine Therapie nach aktuellen fachlichen Erkenntnissen erhalten sollten (vgl. Bundesverband Hilfe für das autistische Kind 2004, S.4).

Die Strukturqualität bezieht sich zunächst auf äußere Rahmenbedingungen der therapeutischen Förderung, wie z.B. ausreichende zeitliche Kapazitäten, je nach Bedarf des betreuten Menschen und seiner engsten Bezugspersonen, räumliche Flexibilität sowie Mobilität zur Sicherung der sozialen Integration von Menschen mit Autismus in ihrer Lebensumwelt (Familie, Kindergarten, Schule, usw.). Die Arbeitsweisen von Autismus-Therapiezentren sollen je nach Bedarf auch mobil und ambulant sein. Weiterhin gehören zur Strukturqualität die Organisationsstruktur von Autismus-Therapiezentren, Personal, räumliche Voraussetzungen und Sachausstattung.

Die Prozessqualität bezieht sich auf die Therapie- und Fördermaßnahmen, die das Ziel haben sollten, die Handlungsspielräume und Ausdrucksmöglichkeiten des Menschen mit Autismus zu erweitern, zu seiner größtmöglichen Selbstständigkeit und Lebenszufriedenheit beizutragen, sowie seine bestmögliche soziale Integration zu erreichen. Die Förderung eines jeden Klienten muss sich also immer an dem Bedarf des Menschen mit Autismus orientieren und ein ganzheitliches Vorgehen verfolgen. Die Ergebnisqualität bezieht sich auf die Dokumentation und Evaluation (vgl. Bundesverband Hilfe für das autistische Kind 2004, S.6-13).

2.4. Kostenträger

Beim frühkindlichen Autismus ergibt sich der zuständige Kostenträger über das Sozialgesetzbuch (SGB) (vgl. Bundesministerium der Justiz 2010). Die Kostenträger können Krankenkassen, Pflegekassen und Träger der Jugendhilfe oder Sozialhilfe sein.

2.4.1. Krankenkassen

Zu den Kostenträgern im Gesundheitswesen zählen vorrangig die gesetzlichen Krankenkassen, welche im § 4 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung definiert sind.

Mit Stand vom 01.07.2010 sind in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) insgesamt ca. 69,8 Mio. Menschen versichert (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2010). Womit dieser Wert den größten Teil der Bevölkerung in Deutschland darstellt.

Die GKV hat als Solidargemeinschaft (vgl. Kap. 2.1.) die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern gem. §1 SGB V. Im diesem Rahmen werden unterschiedliche Leistungen von den Leistungserbringern (vgl. Kap. 2.3.), wie Ärzte, Apotheken, Krankenhäuser, Therapeuten und vielen anderen Anbietern von Gesundheitsleistungen erbracht. Dabei sind die Leistungserbringer in der Regel in Verbänden organisiert, welche als Vertragspartner gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen auftreten. Im vertragsärztlichen Bereich wären dies beispielsweise die kassenärztlichen Vereinigungen. Weiterhin können Krankenkassen Verträge mit einzelnen Leistungserbringern direkt abschließen. Die Leistungsarten ergeben sich aus § 11 SGB V. Hierzu gehören die Verhütung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sowie Empfängnisverhütung, Früherkennung von Krankheiten, Behandlung einer Krankheit und das persönliche Budget. Ergänzend zu den vorgenannten Leistungsarten haben frühkindliche Autisten einen Anspruch auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach § 5 SGB IX i.V.m. § 26 SGB IX. Diese Leistungen werden nach SGB V gegenüber der GKV abgerechnet und beinhalten ärztliche Leistungen bzw. Behandlungsleistungen, die unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Anordnung durchgeführt werden. Dazu gehören u.a. Frühförderung, Heil- und Hilfsmittel und Psychotherapie. Diese Leistungen können bei Bedarf und ärztlicher Verordnung neben der gewährten Frühförderung zusätzlich erbracht werden, was die Leistungen der anderen Eingliederungshilfeträger nicht ausschließt (vgl. Heller et al. 2008, S.7).

2.4.2. Pflegekassen

Nach § 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) sind die Pflegekassen als Träger der sozialen Pflegeversicherung zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit als eigenständiger Zweig der Sozialversicherung bei den Krankenkassen errichtet worden. Damit nehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Aufgaben der Pflegekassen wahr. In der sozialen Pflegeversicherung sind kraft Gesetzes nur die Personen einbezogen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Dazu hat die Pflegeversicherung die Aufgabe, Pflegebedürftigen Hilfe zu leisten, die wegen der Schwere der Pflegebedürftigkeit auf solidarische Unterstützung angewiesen sind. Über die Pflegeversicherung können Ansprüche geltend gemacht werden wie Sachleistungen auf eine häusliche Pflegehilfe nach § 36 SGB XI, Sachleistungen bei vollstationärer Versorgung nach § 43 SGB XI und Pflegegeld für die häusliche Pflege durch Angehörige nach § 37 SGB XI. Bei diesen monatlichen Leistungen wäre die Höhe von den jeweiligen Pflegestufen I-III nach § 15 SGB XI abhängig. Dies wird über einen Pflegegutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) festgestellt. Für die Einstufung der Pflegebedürftigkeit bei Kindern ist maßgebend, wie viel mehr Pflege im Vergleich zu gesunden gleichaltrigen Kindern benötigt wird. Weiterhin können Verhinderungspflege für den Ausfall der Pflegeperson nach § 39 SGB XI und Kurzzeitpflege bei vorübergehender Aufnahme in einer vollstationären Einrichtung nach §42 SGB XI beantragt werden, die sich auf einen kalenderjährlichen Betrag begrenzen. Der Betreuungsbetrag nach §45a i.V.m. § 45b SGB XI könnte bei geistigen und psychischen Behinderungen mit erheblichem Betreuungsbedarf gewährt werden. Dies ist nachweispflichtig durch Belege der Eigenbelastung (vgl. Frese 2009, S.497-499).

2.4.3. Jugendhilfeträger

Nach § 1 des Achten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) hat jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Die Jugendhilfe soll junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen. Eltern und andere Erziehungsberechtigte sollen bei der Erziehung beraten und unterstützt werden. Kinder und Jugendliche sollen vor Gefahren für ihr Wohl geschützt werden.

Die Jugendhilfe soll dazu beitragen, dass positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt erhalten bleiben oder geschaffen werden. Im Sinne des § 69 SGB VIII soll für die Wahrnehmung der Aufgaben jeder örtliche Träger ein Jugendamt und jeder überörtliche Träger ein Landesjugendamt errichten. Im Rahmen der Jugendhilfe könnte die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche beim frühkindlichen Autismus zum Tragen kommen gem. § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII i.V.m. § 35a SGB VIII. Allerdings nur dann, wenn sie als seelisch behindert gelten. Dies würde aber nur in wenigen Fällen auf den High-Functioning-Autismus (vgl. Kap. 3.2.3.) zutreffen, der dem frühkindlichen Autismus zugeordnet wird. Denn in aller Regel würde eher das Asperger-Syndrom (vgl. Kap. 3.2.4.) hierunter fallen. Somit würden die frühkindlichen Autisten aufgrund ihrer häufigen geistigen Behinderung nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII nicht in die Jugendhilfe gehören, sondern in die Sozialhilfe nach SGB XII (vgl. Frese 2009, S.489-490).

Die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a SGB VIII umfasst nach Bedarf im Einzelfall sowohl Hilfe in ambulanter Form, Hilfe in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen als auch Hilfe durch geeignete Pflegepersonen ebenso wie Hilfe in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Jugendhilfe ist die Beratung und Unterstützung der Eltern bei Erziehungsfragen. Denn nach § 16 SGB VIII steht die allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie im Vordergrund. Man geht dabei von der Vorstellung aus, dass Eltern ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen können als eine Institution. Ihnen sollen Wege aufgezeigt werden, wie Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei gelöst werden könnten. Nach § 16 Abs. 2 SGB VIII, der die allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie betrifft, gehören folgende Angebote zu den Leistungen der Jugendhilfe:

- Familienbildung, die auf Bedürfnisse und Interessen sowie auf Erfahrungen von Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen eingeht, die Familie zur Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen und in Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe besser befähigt, sowie junge Menschen auf Ehe, Partnerschaft und das Zusammenleben mit Kindern vorbereitet.
- Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung junger Menschen.
- Familienfreizeit und Familienerholung, insbesondere in belastenden Familien-situationen, die bei Bedarf die erzieherische Betreuung der Kinder einschließt.

2.4.4. Sozialhilfeträger

Aus dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII) ergibt sich das Recht auf Sozialhilfe. Nach § 8 SGB XII umfasst die Sozialhilfe Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Hilfen zur Gesundheit, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, Hilfe in anderen Lebenslagen sowie die jeweils gebotene Beratung und Unterstützung. In § 28 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) ist festgelegt, dass für die Leistungen der Sozialhilfe die Kreise und kreisfreien Städte sowie die überörtlichen Träger der Sozialhilfe zuständig sind. Daraus folgt, dass die Sozialämter als örtliche Sozialhilfeträger anzutreffen sind, die auch bei den Kommunalverwaltungen als „Fachbereich Soziales“ oder ähnlich bezeichnet werden. Da die Ausführung des SGB XII gem. § 7 SGB XII Ländersache ist, bestimmen die Länder, welche Behörde die Aufgaben des überörtlichen Sozialhilfeträgers wahrnimmt. In Nordrhein-Westfalen sind dies z.B. die Landschaftsverbände. Im Rahmen der Sozialhilfe könnte die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen beim frühkindlichen Autismus zum Tragen kommen gem. § 53 ff. SGB XII. Aus § 54 SGB XII ergeben sich die Leistungen der Eingliederungshilfe. Hierzu gehören Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, also die Finanzierung einer individuellen Integrationsassistenz bzw. Schulbegleitung (vgl. Kap. 3.9.3.), weiterhin auch die Ausbildung für einen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule sowie die Aufnahme einer angemessenen Beschäftigung. Aufgrund dieser Vorschrift können Menschen in einer stationären Einrichtung zum gegenseitigen Besuch ihrer Angehörigen auch Beihilfen erhalten. Befristet bis zum 31. Dezember 2013 besteht weiterhin die Möglichkeit, über diese gesetzliche Regelung eine Leistung der Eingliederungshilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie zu erhalten. Hierbei sollte eine geeignete Pflegeperson betroffene Kinder und Jugendliche über Tag und Nacht in ihrem Haushalt versorgen, wodurch der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden oder beendet werden könnte.

Voraussetzungen für Leistungen der Eingliederungshilfe ergeben sich aus § 53 SGB XII. In Bezug auf den frühkindlichen Autismus würde die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nur dann zum Tragen kommen, wenn eine geistige Behinderung bei dem Betroffenen vorliegen würde.

2.4.5. Trägerübergreifend

Mit dem persönlichen Budget gem. § 17 SGB IX besteht die Möglichkeit, für körperlich, geistig oder psychisch behinderte Menschen, anstatt einer klassischen Sachleistung, einen Geldbetrag zur Finanzierung ihrer Hilfeleistungen zu erhalten. Damit soll den Leistungsberechtigten ein möglichst selbstbestimmtes Leben in eigener Verantwortung ermöglicht werden. Als Kunde könnten sie dann selbst entscheiden, welcher Leistungsanbieter die Unterstützung erbringen soll, da die Leistung durch sie selbst bezahlt werden würde. Budgetfähig sind auch erforderliche Leistungen der Krankenkassen und der Pflegekassen sowie Leistungen der Sozialhilfe. An die Entscheidung ist der Antragsteller für die Dauer von sechs Monaten gebunden.

Das persönliche Budget kann auch von den beteiligten Kostenträgern trägerübergreifend als Komplexleistung erbracht werden. Das heißt, trägerübergreifend könnten beim frühkindlichen Autismus unterschiedliche Leistungen der Sozialhilfe, z.B. Eingliederungshilfe über § 53 SGB XII i.V.m. § 57 SGB XII gemeinsam mit einer Leistung der Krankenkasse, z.B. logopädische Behandlung in einer zusammengefassten Leistung gezahlt werden. Dabei soll die Höhe des persönlichen Budgets die Kosten aller bisher individuell festgestellten Leistungen nicht überschreiten. Das heißt, diese Gesamtleistung darf nicht teurer sein, als wenn die einzelnen Hilfen zusammengerechnet würden. Der Antrag auf das persönliche Budget kann bei jedem beteiligten Kostenträger gestellt werden, wobei dieser erst die Zuständigkeiten klären müsste. Dann findet ein Feststellungsverfahren mit den beteiligten Kostenträgern zur Festsetzung der jeweiligen Budgethöhe, des Inhalts der Zielvereinbarungen sowie des Beratungs- und Unterstützungsbedarfs statt. Im Anschluss folgt das Bedarfsfeststellungsverfahren, wobei die Budgetergebnisse und Zielvereinbarungen zur Verwendung mit dem Leistungsempfänger bzw. dessen Vertreter vereinbart werden. Die Leistungen können dann in einem Geldbetrag ausgezahlt oder als Gutschein ausgehändigt werden, der bei der Pflege grundsätzlich ausgegeben wird. Auch darf das persönliche Budget nicht beliebig verwendet werden, was im Nachhinein zu einem späteren Zeitpunkt überprüft werden würde (vgl. Frese 2009, S.499-501).

3. Aspekte zum frühkindlichen Autismus

3.1. Begriffsbildung und Definition

3.1.1. Autismus

Der Begriff „Autismus“ ist abgeleitet bzw. eine Kombination aus den griechischen Wörtern „autos“ (selbst) und „ismos“ (Zustand, Orientierung). Als Erstbeschreiber von autistischen Störungsbildern bei Kindern verwandten der austro-amerikanische Kinderpsychiater Leo Kanner (1943) und der österreichische Pädiater Hans Asperger (1944) unabhängig von einander in ihren Arbeiten den Begriff „Autismus“ (vgl. Remschmidt 2008, S.9-14). Nach ihnen wurden die beiden bedeutsamsten Syndrome beim Autismus benannt, die sich nach Schweregrad und Zusammensetzung von Symptomen unterscheiden:

- Kanner-Syndrom = frühkindlicher Autismus und
- Asperger-Syndrom = Autistische Psychopathie

(vgl. Anhang 1: Tiefgreifende Entwicklungsstörungen (ICD-10: F84)).

3.1.2. Spektrum autistischer Störungen

Der Begriff „Autism Spectrum Disorder“ (ASD) stammt aus dem anglo-amerikanischen Raum. Er bezeichnet das Spektrum der unterschiedlichen Ausprägungen und Schweregrade autistischer Störungen. Im deutschsprachigen Raum, mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) übersetzt, hat sich der Begriff in entsprechender Weise als zunehmend angewandter und allgemein akzeptierter inoffizieller Terminus in der klinischen und wissenschaftlichen Praxis etabliert (vgl. Bölte 2009, S.36). Das Spektrum autistischer Störungen ist sehr breit gestreut bezüglich der Defizite im Sozialverhalten, der Kommunikationsauffälligkeiten, den Wahrnehmungsstörungen sowie dem Intelligenzniveau. Dabei kann sich die Bandbreite der Schweregrade der Symptome und Fähigkeiten von erheblicher Beeinträchtigung bis zu einem normalen Verhalten erstrecken. Dementsprechend sind viele verschiedene Variationen von Autisten bei den Autismus-Spektrum-Störungen anzutreffen. Diese reichen vom unauffälligen Autisten, wie z.B. selbstständig lebender Berufstätiger, lern- und leistungsschwachen Schüler bis hin zum geistig schwerbehinderten Autisten mit hohem Pflegebedarf.

Die Autismus-Spektrum-Störungen beziehen sich ebenso auf ein Kontinuum von Symptomen und Schweregraden beim Autismus. Die Ausprägungen sind sehr unterschiedlich und verändern sich oft im Laufe der Entwicklung der einzelnen betroffenen Personen (vgl. Bernard-Opitz 2005, S.13-14, vgl. Schirmer 2006, S.29).

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783842807563
DOI
10.3239/9783842807563
Dateigröße
476 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Witten/Herdecke – Fakultät für Medizin, Management von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen
Erscheinungsdatum
2010 (Dezember)
Note
2,0
Schlagworte
autismus autismus-spektrum-störung versorgungssystem krankheitsbild nutzerorientierung
Zurück

Titel: Nutzerorientierung beim frühkindlichen Autismus
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
75 Seiten
Cookie-Einstellungen