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Gemeinwesenarbeit - Maßnahmen zur Integration von MigrantInnen

©2010 Diplomarbeit 94 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Soziale Arbeit ist ein Handwerk, das Problemlösungen in menschlichen Beziehungen sowie Beseitigung sozialer Benachteiligungen fördert. Sie steht im Schnittpunkt zwischen Individuum und Gesellschaft. Dabei sind die Prinzipien der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit für die Soziale Arbeit von elementarer Bedeutung.
Die faktische Einwanderung der MigrantInnen und ihrer Familien verursacht als Folge soziale Probleme in Form von Segregation, sozialen Diskrepanzen, infrastrukturellen Versorgungsbarrieren und sozialen Konflikten zwischen der einheimischen und der zugewanderten Bevölkerung, die sich auf der regionalen Ebene niederschlagen. Die Soziale Arbeit nimmt die Herausforderung an, diesen Problemen entgegenzutreten und die MigrantInnen bei der Integration zu unterstützen.
Integration ist ein wechselseitiger Prozess, bei der zum Einen die Eigenbemühungen der Zuwanderer und zum Anderen auch die Aufnahmewilligkeit der Einheimischen gefördert werden muss. Da Integration vor Ort stattfindet, da wo sich der Lebensalltag des Menschen abspielt, liegt es nahe, dass der Fokus der Integrationsarbeit auf den besagten Sozialraum gerichtet wird.
Die Gemeinwesenarbeit (im Folgenden GWA genannt), als Arbeitsprinzip der Sozialen Arbeit, konzentriert sich auf die Bedürfnisse der Bevölkerung im Sozialraum und versucht Problemlösungen im Wohngebiet zu fördern sowie die BewohnerInnen zu Eigeninitiative zu ermutigen.
Mit der vorliegenden Forschungsarbeit soll am Beispiel der MigrantInnen in Nord-Düren des Kreises Düren in Nordrhein-Westfalen ermittelt werden, inwieweit sich die besagten Betroffenen für einen erfolgreichen Integrationsprozess engagieren. Zu diesem Anlass kommt den Rahmenbedingungen, die den Integrationsprozess maßgeblich beeinflussen, eine besondere Bedeutung zuteil. Anschließend wird erprobt, die hier gewonnenen Erkenntnisse auf die zukünftige Rolle der GWA in der Integrationsarbeit mit MigrantInnen zu übertragen. Um Lösungsmöglichkeiten zu finden, wurde für diese wissenschaftliche Arbeit ausgewählte Literatur verarbeitet und eine schriftliche Befragung mit anschließender Analyse im Stadtteil Nord-Düren durchgeführt.
Das Kapitel 2 stellt die theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema GWA dar. Hier wird die Entwicklung der GWA hin zum Arbeitsprinzip skizziert. Dazu werden die grundlegenden Formen und Dimensionen vorgestellt. Um die GWA als Arbeitsprinzip zu definieren, bedarf es der Betrachtung ihrer […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltverzeichnis

1. Einleitung

2. Gemeinwesenarbeit
2.1 Ursprung und Entwicklung
2.2 Formen der Gemeinwesenarbeit
2.2.1 Wohlfahrtstaatliche Gemeinwesenarbeit
2.2.2 Integrative Gemeinwesenarbeit
2.2.3 Aggressive Gemeinwesenarbeit
2.2.4 Katalytisch-aktivierende Gemeinwesenarbeit
2.3 Dimensionen der Gemeinwesenarbeit
2.3.1 Territoriale Gemeinwesenarbeit
2.3.2 Funktionale Gemeinwesenarbeit
2.3.3 Kategoriale Gemeinwesenarbeit
2.4 Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip
2.5 Gemeinwesenarbeit in der gegenwärtigen Zeit

3. Integration von MigrantInnen
3.1 Entwicklung der Zuwanderung in die BRD
3.2 Integration – Theoretische Grundlagen
3.2.1 Begriffsbestimmung
3.2.2 Klassische Integrationsansätze
3.2.3 Die vier Stufen der Integration
3.2.4 Systemintegration und Sozialintegration
3.3 Integrationspolitik in NRW
3.3.1 Grundsätze und Leitbild
3.3.2 Merkmale gelungener Integrationsarbeit
3.4 „Soziale Stadt NRW“ – Fallbeispiel: Der Stadtteil Nord-Düren
3.4.1 Kreis Düren – Demografische Entwicklung
3.4.2 Integrationskonzept des Kreises Düren: Ausgewählte Inhalte
3.4.3 Das Büro für Gemeinwesenarbeit und Soziale Stadtentwicklung
3.4.4 Durchgeführte und laufende Projekten – Vorstellung einer Auswahl

4. Die Bedeutung der Gemeinwesenarbeit für die Integration von MigrantInnen

5. Der Fragebogen als empirische Datenerhebung
5.1 Formen von Fragebogen
5.2 Formulierung der Fragen
5.3 Pro und Kontra der Fragebogenmethode
5.4 Die Durchführung einer schriftlichen Befragung
5.4.1 Bestimmung der Form
5.4.2 Skalenniveau der Frage
5.4.3 Gütekriterien einer Befragung
5.5 Datenauswertung
5.5.1 Auf dem Weg zum Datensatz
5.5.2 Deskriptivstatistische Datenanalyse

6. Der Fragebogen: MigrantInnen und Bürgerengagement in Nord-Düren
6.1 Methodisches Vorgehen
6.2 Auswertung

7. Fazit

8. Anhang

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Soziale Arbeit ist ein Handwerk, das Problemlösungen in menschlichen Beziehungen sowie Beseitigung sozialer Benachteiligungen fördert. Sie steht im Schnittpunkt zwischen Individuum und Gesellschaft. Dabei sind die Prinzipien der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit für die Soziale Arbeit von elementarer Bedeutung.

Die faktische Einwanderung der MigrantInnen und ihrer Familien verursacht als Folge soziale Probleme in Form von Segregation, sozialen Diskrepanzen, infrastrukturellen Versorgungsbarrieren und sozialen Konflikten zwischen der einheimischen und der zugewanderten Bevölkerung, die sich auf der regionalen Ebene niederschlagen. Die Soziale Arbeit nimmt die Herausforderung an, diesen Problemen entgegenzutreten und die MigrantInnen bei der Integration zu unterstützen.

Integration ist ein wechselseitiger Prozess, bei der zum Einen die Eigenbemühungen der Zuwanderer und zum Anderen auch die Aufnahmewilligkeit der Einheimischen gefördert werden muss. Da Integration vor Ort stattfindet, da wo sich der Lebensalltag des Menschen abspielt, liegt es nahe, dass der Fokus der Integrationsarbeit auf den besagten Sozialraum gerichtet wird.

Die Gemeinwesenarbeit (im Folgenden GWA genannt), als Arbeitsprinzip der Sozialen Arbeit, konzentriert sich auf die Bedürfnisse der Bevölkerung im Sozialraum und versucht Problemlösungen im Wohngebiet zu fördern sowie die BewohnerInnen zu Eigeninitiative zu ermutigen.

Mit der vorliegenden Forschungsarbeit soll am Beispiel der MigrantInnen in Nord-Düren des Kreises Düren in Nordrhein-Westfalen ermittelt werden, inwieweit sich die besagten Betroffenen für einen erfolgreichen Integrationsprozess engagieren. Zu diesem Anlass kommt den Rahmenbedingungen, die den Integrationsprozess maßgeblich beeinflussen, eine besondere Bedeutung zuteil. Anschließend wird erprobt, die hier gewonnenen Erkenntnisse auf die zukünftige Rolle der GWA in der Integrationsarbeit mit MigrantInnen zu übertragen. Um Lösungsmöglichkeiten zu finden, wurde für diese wissenschaftliche Arbeit ausgewählte Literatur verarbeitet und eine schriftliche Befragung mit anschließender Analyse im Stadtteil Nord-Düren durchgeführt.

Das Kapitel 2 stellt die theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema GWA dar. Hier wird die Entwicklung der GWA hin zum Arbeitsprinzip skizziert. Dazu werden die grundlegenden Formen und Dimensionen vorgestellt. Um die GWA als Arbeitsprinzip zu definieren, bedarf es der Betrachtung ihrer Qualitätsmerkmale und Handlungsebenen. Nachfolgend wird versucht die gegenwärtige GWA zu charakterisieren.

Das Kapitel 3 beschäftigt sich mit dem Thema Integration von MigrantInnen. Diesbezüglich wird zunächst ein allgemeiner Überblick über das Thema Migration und ihre Bedeutung für die Stadt bzw. den Stadtteil geboten. Hinterher wird ein kurzer Einblick in die Entwicklung der Zuwanderung in die Bundesrepublik gewährt. Darauffolgend werden die theoretischen Grundlagen der Integration erörtert. Anlässlich dazu werden klassische Ansätze aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet sowie das Vier-Stufen-Modell der Integration vorgestellt. Darüber hinaus wird zwischen Systemintegration und Sozialintegration unterschieden. Anknüpfend an die theoretische Auslegung, wird ein Auszug aus der gegenwärtige Integrationspolitik in Nordrhein-Westfalen geliefert. Das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt NRW“ ist ein Vorführmodell für das Engagement in der Integrationspolitik. Der Stadtteil Nord-Düren als ein Teilnehmer dieses Programms, dient dieser Forschungsarbeit als Fallbeispiel. Der Kreis Düren wird anhand seiner demographischen Entwicklung und seines kommunalen Integrationskonzeptes vorgestellt. Dies betreffend wird über die Kooperation des Programms „Soziale Stadt NRW“ mit dem örtlichen Büro für Gemeinwesenarbeit und Stadtentwicklung berichtet. Eine Überschau an ausgewählten Projekten in Nord-Düren rundet dieses Kapitel ab.

In Kapitel 4 wird abstrakt die Bedeutung der GWA für die Integration von MigrantInnen herausgearbeitet.

Der Versuch für das eingangs geschilderte soziale Problem Lösungsmöglichkeiten zu finden, spiegelt sich in der empirischen Datenerhebung und Analyse in Form der schriftlichen Befragung wieder. Das Kapitel 5 stellt die theoretische Ausarbeitung der Grundlagen einer empirischen Datenerhebung in Form der Fragebogen-Methode dar. In Kapitel 6 werden schließlich der wissenschaftlich erstellte Fragebogen „ MigrantInnen und Bürgerengagement in Nord-Düren “ mit seiner Methodik und Thematik vorgestellt und die Ergebnisse ausgewertet.

Es wird versucht, stützend auf den theoretischen Grundlagen, die Ergebnisse der Befragung zu verallgemeinern.

Das Kapitel 7 bildet den Abschluss in Form eines zusammenfassenden Fazits.

2. Gemeinwesenarbeit

Es gibt in der Literatur sehr unterschiedliche Definitionen zum Begriff der GWA. Die Meinungen und Standpunkte scheiden sich. Es werden kontroverse Diskussionen geführt. So findet man schließlich keine einheitliche Antwort auf die Frage, was Gemeinwesenarbeit ist. Aus der Entwicklungsgeschichte der GWA gehen zahlreiche unterschiedliche Konzepte und Begriffsbestimmungen hervor. Zudem werden andere Begriffe synonym zur GWA genannt als da zu nennen sind: Gemeinwesenorientierte Arbeit, Stadtteilarbeit, Milieuarbeit, Quartiersarbeit, Quartiersmanagement, Stadtteilmanagement, Lebensweltorientierte Arbeit und Sozialraumorientierte Arbeit.

Boer und Utermann definieren die GWA als „einen Sammelbegriff für verschiedene Aktivitäten, die die sozio-kulturelle Umgebung des Menschen in einem für günstig erachteten Sinne auf methodische Weise zu beeinflussen suchen durch fachkundig begleitete soziale Prozesse, an denen die betreffende Bevölkerung selbst aktiv teilnimmt.“ (Boer/Utermann 1970:23). Ergänzend sagt Schultze: „Die Soziale Gemeinwesenarbeit ist eine Methode der Sozialarbeit, bei der die Bevölkerung einer räumlichen Einheit oder Interessengemeinschaften ihr gemeinsames Problem mit eigenen Kräften innerhalb eines Prozesses zukunftsgerichtet lösen. Der Gemeinwesenarbeiter gibt Hilfe, indem er den Prozeß begleitet. Er steuert und koordiniert die gesellschaftlichen Vorgänge im sozialen Feld.“ (Schultze 1972:19). In den 80er- und 90er-Jahren wurde die GWA - neben der der Einzelfall- und Gruppenarbeit – noch als dritte Methode Sozialer Arbeit angesehen. Boulet, Krauss und Oelschlägel (1980) wandten sich von dem Gedanken ab, dass die GWA eine Methode der Sozialen Arbeit ist und definierten sie erstmals als Arbeitsprinzip:

„Damit ist Gemeinwesenarbeit Befreiungsarbeit insofern, als sie die unmittelbaren Wünsche und Probleme der Menschen ernst nimmt, zu Veränderungen der politisch-historischen Möglichkeiten motiviert und Einsicht in die strukturellen Bedingungen von Konflikten vermittelt. In diesem Sinne kann Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip jede soziale Arbeit strukturieren.“ (Boulet/Krauss/Oelschlägel 1980:156). Da die Prinzipien der GWA nach Boulet, Krauss und Oelschlägel in allen Feldern der Sozialen Arbeit angelegt werden können, ist nicht mehr von der GWA als eigenständige Methode der Sozialen Arbeit zu sprechen (vgl. Kapitel 2.4). Diese Sichtweise hat sich in der konzeptionellen Diskussion der GWA durchgesetzt und ist bei der Entwicklung weiterer Ansätze von fundamentaler Bedeutung.

2.1 Ursprung und Entwicklung

Die Wurzeln der GWA liegen in den amerikanischen Settlements der 80er Jahre des neunzehnten Jahrhunderts. Engagierte Menschen aus der gehobenen Schicht halfen freiwillig das Zusammenleben in den Slums zu verbessern. Mit dieser milieuorientierten freiwilligen Arbeit wollten sie die Lebenslagen der Armen verbessern; sie nannten diese Arbeit bereits „Social Work“. (Noack 1999).

Aus diesen Settlements entwickelte sich in den 20er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in Chicago die Community Organizing (CO). Begründer dieses Ansatzes war Saul D. Alinsky. Er rief eine BewohnerInnen-Organisation ins Leben, die es sich zur Aufgabe machte, „die bestehenden Wohn-, Arbeits- und Lebensverhältnisse der Menschen im Quartier erkennbar und nachhaltig zu verbessern.“ (Bauer/Szynka 2004: 33). Diese Organisation stand unter seiner Anleitung und kooperierte zusätzlich mit kirchlichen und gewerkschaftlichen Kreisen. (Bauer/Szynka 2004).

In Deutschland wurden auch schon früh Ansätze zur GWA entwickelt. Bereits Mitte des achtzehnten Jahrhunderts beschäftigten sich bürgerliche Patrioten mit örtlichen sozialen Problemen und Zuständen. In Zeiten der Aufklärung strebten die Bürger nach Sanierung bestimmter Milieus bzw. Quartieren, die geprägt waren von Arbeitslosigkeit, Armut und Elend. Der Arbeit Wicherns in Hamburg wird eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der GWA in Deutschlands zugeschrieben. Wichern erkannte die Wechselbeziehungen zwischen der armen, kranken Unterschicht und dem Arbeits- und Wohnmilieu. Mit dem Einzug des Biedermeier 1848 rückte das Interesse am Gemeinwesen vorerst in den Hintergrund während die frühsozialistischen Bewegungen zu einer Neugestaltung des gesamten Lebensmilieus der Unterschicht aufriefen. (Noack 1999). Die Anfänge einer wissenschaftlichen GWA in der BRD finden 1969 auf einer Tagung des Verbandes deutscher Nachbarschaftsheime und der Pädagogischen Hochschule Berlin statt. GemeinwesenarbeiterInnen entwarfen die „Arbeitsrichtlinien für Gemeinwesenarbeiter". Darin wurde GWA „als politisches Handeln verstanden, in dem traditionelle Methoden der sozialen Arbeit ebenso einsetzbar sind wie sozialpädagogische Befriedung und aggressive Intervention.“ Man nahm hier die amerikanischen Strategien als Vorbild. (Schnee 2010).

Hinte sieht einen Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit GWA in der Unzufriedenheit mit den bisherigen Methoden der Sozialen Arbeit (Einzelfallhilfe und Gruppenarbeit). In Verwaltungskreisen und Kommunen wurde in der GWA eine Strategie zur Effektivierung sozialer Dienste durch Kooperation sowie zur Konfliktfrüherkennung und Konfliktregulierung gesehen. Zum Einen diente die in Stadtteilen mit hohem Konfliktpotential stattfindende Soziale Arbeit als „Frühwarnsystem“ für entstehende Konflikte. Zum Anderen sollte durch beschränkte Beteiligungsmöglichkeiten der Betroffenen und Zugeständnisse in geringem Ausmaß ihre Integration und Befriedung erreicht werden, ohne nennenswerte Veränderungen der Gesamtstruktur zu riskieren. Nach der Wirtschaftsrezession 1967/68 wurden die sozialen Probleme drängender; neben bekannten sozialen Problemen wie Obdachlosigkeit traten durch die veränderte Wohnstruktur neue Probleme auf. Altbausanierung und Mietpreiserhöhungen, gepaart mit dem Entstehen von Trabantenstädten, hatten eine hohe Konzentration der lohnabhängigen und sozial benachteiligten Bevölkerung in Stadtteilen am Rande der Städte zur Folge, die weder nachbarschaftliche Strukturen noch ausreichende infrastrukturelle Ausstattungen aufwiesen.

Zur Konfliktregulierung sahen der Staat und die Kommunen in der GWA die ideale Lösungsmöglichkeit. So entstanden neue Projekte, vor allem unter kommunaler und kirchlicher Trägerschaft. (Hinte/Karas 1989).

„Die erste kritische Rezeption der GWA in der Bundesrepublik Deutschland nahm 1971 C.W. Müller vor und läutete damit eine Reihe von Veröffentlichungen ein, die – im Gegensatz zur konservativen Tradition – GWA als gesellschaftskritisch-emanzipatorischen Arbeitsansatz konturierten.“ (Hinte/Karas 1989: 12). Auf die zentralen Orientierungen in Theorie und Praxis der GWA, die insbesondere in den siebziger Jahren die Diskussion bestimmten und die Praxis prägen, wird im folgenden Kapitel eingegangen.

2.2 Formen der Gemeinwesenarbeit

Im Folgenden wird ein Überblick über Grundformen von GWA, wie sie sich bis Anfang der 80er Jahre herausgebildet haben, gegeben.

2.2.1 Wohlfahrtsstaatliche Gemeinwesenarbeit

Die wohlfahrtsstaatliche GWA versucht das Dienstleistungsangebot der im Wohnviertel tätigen Institutionen und Behörden zu optimieren. Die Aktivierung der Bevölkerung steht hier nicht im Vordergrund; die Institutionen treffen die wichtigen Entscheidungen. (Galuske 2007). „ Hier darf der Bürger lediglich mitentscheiden, wie er versorgt werden soll: soziale Hilfe wird durch die Gemeinwesenarbeit zu einem Werkzeug der Anpassung an bestehende gesellschaftliche Bedingungen.“ (Hinte/ Karas 1978: 33). Da Selbsthilfe und Selbstorganisation der Betroffenen nicht das primäre Ziel der wohlfahrtsstaatlichen GWA sind, wird ihnen die Rolle eines passiven Empfängers sozialer Hilfe zugeschrieben.

2.2.2 Integrative Gemeinwesenarbeit

Als Hauptvertreter des integrativen Ansatzes gilt M. Ross. Der Ansatz der integrativen GWA geht davon aus, dass der gesellschaftliche Rahmen im Großen und Ganzen zufriedenstellend und die Verteilung von Macht und Herrschaft gerecht geregelt ist. Nun „ist das Ziel der integrativen Gemeinwesenarbeit, innerhalb des avisierten Sozialraums eine Bedürfnishierarchie zu ermitteln, die es mittels Ausnutzung existierender bzw. potentiell aktivierbarer Quellen zu befriedigen gilt“. (Galuske 2007: 104). Ross definiert Gemeinwesenintegration als einen Prozess, der geprägt ist von Kooperation und Zusammenarbeit. Nach Ross (1971) verfolgt die integrative GWA folgende Ziele:

- Identifizierung mit dem Gemeinwesen
- Verbesserung der Funktionalität des Gemeinwesens
- Befähigung der in diesem Gemeinwesen lebenden Menschen zur Selbsthilfe

Die Aufgabe der GemeinwesenarbeiterInnen liegt darin, die Aktionsbereitschaft der Bevölkerung zu lenken. Die Betroffenheit über einen Missstand soll zur Aktion aber nicht zu Disharmonie führen. (Hinte/Karas 1978: 16). Galuske räumt stützend auf Ross ein, dass der/ die GemeinwesenarbeiterIn die Verwirklichung der Bedürfnisse der Bevölkerung „im Rahmen bestehender gesetzlicher Möglichkeiten“ übernimmt. (Galuske 2007: 104). Man kann an diesem Ansatz kritisieren, dass die Menschen im Gemeinwesen nicht gleichberechtigt an Entscheidungsprozessen teilnehmen, sondern lediglich an der Durchsetzung und Verwirklichung bereits getroffener Entscheidungen beteiligt werden.

2.2.3 Aggressive Gemeinwesenarbeit

Ein bekannter Vertreter der aggressiven GWA war Saul D. Alinsky.[1] Dieser sah die Lösung von sozialer Benachteiligung im solidarischen Zusammenschluss der benachteiligten Bevölkerungsgruppe in Form einer politischen Gegenmacht zu den etablierten Macht- und Herrschaftsstrukturen. Dabei wird der Konfliktbereitschaft eine bedeutende Rolle zugeschrieben. Die Aufgabe der GemeinwesenarbeiterInnen besteht in der Anregung zu Bürgerorganisationen und Beratung. Die Beratung beinhaltet Hilfestellungen und Hinweise bezüglich der Strukturierung der Organisation sowie Entwicklung von Strategien und Techniken der Auseinandersetzung. (Galuske 2007: 104f). Hinte/ Karas kritisieren an diesem Ansatz die unzureichende Praxisanbindung. Außerdem habe man bei diesem Ansatz die Möglichkeiten zur Aktivierung breiter benachteiligter Bevölkerungsgruppen maßlos überschätzt. (Hinte/Karas 1978).

2.2.4 Katalytisch-aktivierende Gemeinwesenarbeit

Hinte und Karas konzipieren nach Kritik an den vorangegangenen Ansätzen die katalytisch-aktivierende GWA. Dieses Konzept teile zwar mit dem aggressiven Ansatz das Fernziel der politischen Partizipation und Solidarität der Betroffenen. Dennoch räumt es ein, dass die GWA mit diesem Ziel alleine überfordert wäre. (Galuske 2007: 105). „Kern des Konzeptes ist die Initiierung und Stützung von Gruppenselbsthilfe bei gleichzeitiger Installierung von ‚Verbindungsleuten, an die sich die Leute aus dem Viertel zuerst wenden, wenn sie einen Rat brauchen‘“ (ebd.: 105). Die GemeinwesenarbeiterInnen sollen nicht für die Betroffenen aktiv werden, sondern sie zu Engagement ermutigen. (ebd.: 106). Die Betroffenen bestimmen dabei selbst welches Projekt bzw. welche Aktion Vorrang hat. Nach Hinte/Karas (1978) arbeiten vor allem kleine Träger, die sich nach Abschluss eines Projektes oder einer Aktivität häufig auflösen, nach diesem Konzept.

2.3 Dimensionen der Gemeinwesenarbeit

Boulet/Krauss/Oelschlägel teilen das Arbeitsprinzip GWA in drei spezifische Dimensionen (territoriale GWA, funktionale GWA und kategoriale GWA). Diese Dimensionen der GWA beziehen sich „auf ein räumlich erkennbares und ‚subjektiv‘ wahrgenommenes Gemeinwesen und stellen primär Ordnungskriterien bzw. Dimensionen dar, die den integrierten Zugriff auf diese sozialräumliche Größe organisieren helfen sollen.“ (Boulet/Krauss/Oelschlägel 1980: 293).

Jede Dimension richtet seine Handlungen auf einen Gegenstand. Die Dimensionen stellen keine unterschiedlichen Arten von Gemeinwesen dar, sondern ermöglichen differenzierte Vorgehensweisen auf unterschiedliche Bedürfnisse und Problemlagen eines Gemeinwesens. Bei der Betrachtung eines Gemeinwesens dürfen sie jedoch nicht unabhängig voneinander gesehen werden denn sie stehen in Wechselwirkung zueinander (Boulet/Krauss/Oelschlägel 1980).

2.3.1 Territoriale Gemeinwesenarbeit

Das Arbeitsfeld der territorialen GWA wird als politisch-ökologischer Raum (Gemeinde, Dörfer, Nachbarschaften, Siedlungen oder Stadtteile) definiert. Dazu zählen auch die Wechselbeziehungen der dort lebenden Menschen. Diese Individuen werden als Gesamtheit betrachtet, da sie alle gemeinsam denselben Lebensbedingungen unterliegen.

Die Rahmenbedingungen für die territoriale GWA sind Faktoren wie politische Strukturen und Hierarchien, Kommunikationsstrukturen, Umweltbedingungen und Bebauung (z. B. Neubau- oder Sanierungsgebiet).

Probleme innerhalb eines politisch-ökologischen Raumes stellen Entfremdung, Lethargie, Zerstörung der sozialen Strukturen und fehlende Öffentlichkeit für die BewohnerInnen dar.

Das Ziel der territorialen GWA besteht nun in dem Aufbau sozialer Netzwerke und in der Unterstützung der BewohnerInnen, sodass sie solidarisch und eigeninitiativ ihre Wohn-, Lebens-, Freizeit-, Arbeitsverhältnisse verändern können. Als Arbeitsmittel dienen Stadtteilzeitungen, Beteiligung an der Öffentlichkeitsarbeit und Kooperation mit örtlichen und überörtlichen Gremien. (Boulet/Krauss/Oelschlägel 1980).

2.3.2 Funktionale Gemeinwesenarbeit

Die Thematik der funktionalen GWA betrifft „[…] jene gemeinwesenspezifische[n] Lebensbedingungen, die für eine befriedigende Handhabung solcher Bedürfnisse notwendig sind, die mit ‚reproduktiven‘ Bedürfnissen bezeichnet werden können.“ (Boulet/Krauss/Oelschlägel 1980: 294).

Die gemeinwesenspezifische Lebensbedingungen in Form von Wohnen, Verkehr, Freizeit, Erziehung, Ausbildung etc. werden als „Funktionen“ bezeichnet, weil sie das Versorgungssystem eines Gemeinwesens darstellen. Dazu müssen die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Kommunen und die Gesetzgebung beachtet werden.

Die sozialen Probleme, die auftreten können, sind z. B. räumliche Isolation, Unterversorgung von sozialen Einrichtungen durch finanzielle Engpässe oder Zentralisierung anderenorts, mangelnde Infrastruktur und dadurch resultierende Versorgungsdefizite.

Das Ziel der funktionalen GWA kann unter anderem sein: Umorganisation der örtlichen Versorgungsstruktur, Berücksichtigung der Bedürfnisse der BewohnerInnen und deren Beteiligung an Entscheidungsprozessen.

Als Methoden verwendet man in der funktionalen GWA z. B. die Aktivierende Befragung, BewohnerInnenversammlung, Gremienarbeit, Ausschüsse und Arbeitsgruppen zu bestimmten Themenbereichen. (Boulet/Krauss/Oelschlägel 1980).

2.3.3 Kategoriale Gemeinwesenarbeit

Die Zielgruppe der kategorialen GWA stellen BewohnerInnengruppen mit spezifischen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Nationalität, Lebenssituation (alleinerziehend, obdachlos etc.) dar.

Es sind bei der kategorialen GWA die spezifischen Fähigkeiten, Bedürfnisse und Probleme (Ressourcen) der Individuen zu beachten und zu respektieren.

Die kategoriale GWA konzentriert sich auf die Probleme der Individuen wie z. B. Identitätsverlust, Aggressionen gegen die Außenwelt, Verlust des Zugehörigkeitsgefühls und Disparitäten zwischen den unterschiedlichen Gruppen.

Ziele der kategorialen GWA können sein: Kommunikationsförderung, Erschließung von Lernfeldern, Reaktivierung und Förderung eigener Ressourcen sowie zielgerichtete Angebote für die speziellen Bedürfnisse der BewohnerInnen.

Als Arbeitsmittel der kategorialen GWA dienen exemplarisch: Aufbau von Nachbarschaftszentren, Hausaufgabenbetreuung, Kulturarbeit, Feste, Treffpunkte für bestimmte Zielgruppen und zielgruppenübergreifende Aktionen und Projekte. (Boulet/Krauss/Oelschlägel 1980).

2.4 Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip

„[Das] Arbeitsprinzip GWA – das meint eine zu entwickelnde, zu entfaltende Grundorientierung, Haltung, Sichtweise professionellen Handelns, eine grundsätzliche Herangehensweise an soziale Probleme, wo auch immer im Bereich sozialer Berufsarbeit im weitesten Sinne. Dieses Arbeitsprinzip ist Ausdruck und Ergebnis gesellschaftlicher Entwicklungen im Bereich sozialer Arbeit; gleichzeitig hat es einen normativen Aspekt, formuliert Ansprüche an die Handelnden“ (Oelschlägel 2001).

Oelschlägel (2001: 65f) nennt vier kennzeichnende Merkmale der GWA als Arbeitsprinzip:

1. „Das Arbeitsprinzip GWA erkennt, erklärt und bearbeitet, soweit das möglich ist , die sozialen Probleme in ihrer historischen und gesellschaftlichen Dimension; zu diesem Zweck integriert es Theorien, die aus unterschiedlichen Disziplinen entwickelt worden sind (z. B. Politische Ökonomie, Kritische Psychologie). Damit ist es Werkzeug für die theoretische Klärung praktischer Zusammenhänge.“
2. „Das Arbeitsprinzip GWA gibt auf Grund dieser Erkenntnisse die Aufsplitterung in methodische Bereiche auf und integriert Methoden der Sozialarbeit, der Sozialforschung und des politischen Handelns in Strategien professionellen Handelns in sozialen Feldern. Damit ist es Werkzeug für die geistige Antizipation praktischer Tätigkeiten, für Strategie und Planung.“
3. „Das Arbeitsprinzip GWA bezieht sich mit seinen Strategien auf ein ‚Gemeinwesen‘, d. h. auf den Ort (zumeist eine sozialräumliche Einheit: Quartier, Institution o. ä.), wo die Menschen und ihre Probleme aufzufinden sind. GWA als Arbeitsprinzip hat eine ganzheitliche und dialektische Betrachtungsweise; ihre Arbeitsgrundlage sind die Lebensverhältnisse, Lebensformen und – zusammenhänge der Menschen.“
4. „Das Arbeitsprinzip GWA schließt als zentralen Aspekt die Aktivierung der Menschen, mit denen GWA arbeitet, ein; es will sie zu Subjekten politisch aktiven Lernens und Handelns machen, will selbst zu einer ‚Handlungsstrategie für den sozialen Konflikt‘ werden. Dies bedeutet allerdings, dass das Arbeitsprinzip GWA durch seinen normativen Aspekt die scheinbare Neutralität vieler bisheriger GWA-Konzepte aufgibt und parteilich wird.“

Aus dieser Beschreibung des Arbeitsprinzips GWA lassen sich vier Kernaussagen herausarbeiten:

- Das Arbeitsprinzip GWA vereint Theorie und Praxis.
- Das Arbeitsprinzip GWA kann als Leitlinie sozialarbeiterischen Handelns dienen.
- Das Arbeitsprinzip GWA ist eine Grundorientierung und kein allgemeingültiges Konzept.
- Das Arbeitsprinzip GWA sieht seinen zentralen Aspekt in der Aktivierung der Menschen und ist immer auf der Seite der Betroffenen.

Interessant sind die Gedanken von Wolfgang Hinte (2004) bezüglich des Aspektes der Aktivierung. Er räumt ein, dass die Menschen schon immer aktiv waren, in dem sie auf die Missstände in ihrem Wohnquartier „mit Betroffenheit, Ärger, Neugier oder anderen Emotionen“ reagiert haben. Deshalb „müsste die ‚aktivierende Befragung‘ besser ‚aktivitätserkundende Erfragung‘ heißen.“ Weiter kritisiert er am Beispiel des aktivierenden Sozialstaates[2], dass das „[…] untere Drittel dieser Gesellschaft […] unter dem Stichwort ‚Ressourcenorientierung‘ ausgequetscht [wird] wie eine Zitrone. Die landauf landab gepredigten Formeln von ‚fördern und fordern‘ oder ‚aktivierender Hilfe‘ werden in einem Kontext missbraucht, der die ursprüngliche Radikalität dieses Prinzips[3] nicht nur weich spült, sondern geradezu mafiöse Herangehensweise unter der Überschrift: Gefördert wird nur, wer sich fordern lässt. Damit wird unter der Hand wieder das Subjekt-Objekt-Verhältnis eingeführt, bei dem es auf der einen Seite die aktive, fordernde Instanz gibt und auf der anderen Seite den geforderten, (noch) passiven Menschen, der nur als Behandelter auftaucht[…].“ (Hinte 2004: 50). Hinte räumt ein, dass man in der Sozialen Arbeit erst nach den Forderungen, Ressourcen und Potentialen der Betroffenen suchen muss um anschließend die sozialstaatlichen Leistungen abzustimmen. „Genau darin liegt die Kunst einer aufgeklärten und aufklärenden sozialen Arbeit, nämlich vorhandene sozialstaatliche Förderinstrumente und unter bestimmten Voraussetzungen garantierte Leistungen klug zu kombinieren mit den individuellen Möglichkeiten der leistungsberechtigten Menschen und ihren individuellen Lebensentwürfen.[…]Grundlage sind aber immer die Interessen der Menschen, diese herauszuarbeiten und genau darauf die sozialstaatlichen Leistungen abzustimmen (wenn es denn rechtlich zulässig ist), ist der Kern sozialarbeiterischer Tätigkeit.“ (Hinte 2004: 51).

Das Arbeitsprinzip GWA lässt sich abschließend mit C. W. Müllers (2004) Worten kurz auf den Punkt bringen: „Es geht also um eine auf Emanzipation gerichtete Hilfe zur Selbsthilfe im Reproduktionsbereich (Wohnen, Erziehen, Regenerieren), wenn mit Emanzipation die selbsttätige Befreiung von selbstgesetzten und fremderzwungenen Einschränkungen menschlicher Lebenstätigkeit verstanden wird. […] Nicht im Alleingang ist diese auf Emanzipation gerichtete Selbsthilfe zu erreichen […], sondern [durch] ein solidarisches Handeln in einem erfahrbaren – also sozialräumlichen – Bezug.“ (Müller, C. W. 2004: 31).

Qualitätsmerkmale im Arbeitsprinzip GWA

Nachfolgend werden die wesentlichen Qualitätsmerkmale des Arbeitsprinzips GWA genannt, die in der Praxis als Prüfsteine dienen können:

Sozialraumorientierung

Das Konzept des Sozialraums ist auf den französischen Soziologen Pierre Bourdieu zurück zu führen. Dieses Konzept dient der Darstellung und Analyse sozialer Strukturen. (Bourdieu 1995).[4]

Um dem Anspruch, die sozialen Probleme in ihrer historischen und gesellschaftlichen Dimension zu erklären und zu bearbeiten, gerecht werden zu können, sind eine konsequente Sozialraumorientierung und sorgfältige Analysen nötig, z. B. über

- „Stadtteilgeschichte, Geschichte und Zuschreibung der sozialen Probleme im regionalen Kontext,
- Bevölkerungs- und Sozialstruktur in der Veränderung,
- Segregation, Fluktuation, Entwertungsprozesse und Aufwertungstrends[5],
- wirtschaftliche Interessen und Investitionen im Stadtteil, Boden- und Immobilienwerte, Sanierungsbedarf und Modernisierung. (Klöck 2004).

Das Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit bezieht sich mit seinen Analysen und Strategien auf bestimmte sozialräumliche Einheiten: Stadtteile, Siedlungen, Quartiere, wo Menschen unter erschwerten Bedingungen leben.“ (Klöck 2004: 164).

Die Grundsatzziele sind die Verbesserung von Lebensbedingungen in benachteiligten Gebieten und Abbau von Segregation, Ausgrenzung und Aussonderung. (Klöck 2004).

Von den Fachkräften wird nach diesem Konzept erwartet, dass diese das unmittelbare Umfeld der Betroffenen bei der Ausgestaltung ihres Unterstützungsangebotes mit berücksichtigen. Dabei fällt die systemübergreifende Kooperationsbereitschaft mit anderen Institutionen und Akteuren ins Gewicht. (Santen/Seckinger 2005). „Sozialraumorientiertes Arbeiten heißt deshalb auch, den eigenen Verantwortungsbereich und die eigenen Grenzen zu erkennen, Zuständigkeiten verorten zu können, Hilfe anderer einzufordern, zu delegieren und sich nicht selbst für alles zuständig zu fühlen.“ (Santen/Seckinger 2005: 56).

Die Handlungsgrundsätze des Konzeptes der Sozialraumorientierung lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen:

- Ausgangspunkt jedes professionellen Handelns sind die Interessen der BewohnerInnen und der von ihnen definierter Lebensraum
- es ist aktivierend und ressourcenorientiert zu arbeiten
- aus den ausgesprochenen Bedürfnissen und Wünschen der BewohnerInnen sind unmittelbar Konsequenzen zu ziehen
- sozialraumorientiert zu arbeiten bedeutet auch kooperativ und vernetzend zu agieren (Hinte 2001: 129).

Alltags- und Lebensweltorientierung

Um die Lebensverhältnisse, -formen und -zusammenhänge, Strategien der Lebensbewältigung, Motivation, Interessen, Kompetenzen und Potentiale der Menschen verstehen will, sind die Alltags- und Lebensweltorientierung, ganzheitliche und zielgruppenübergreifende Wahrnehmung und die Präsenz der Fachkräfte erforderlich.[6]

Die Fachkräfte müssen informelle soziale Netzwerke erschließen, indem sie vor Ort sind, aufsuchend arbeiten, Kontakte pflegen und durch niederschwellige Arbeit mit den BewohnerInnen Vertrauen aufbauen.

Das wesentliche Bestreben liegt in der Aktivierung der Menschen. In gemeinsamen Aktionen sollen die Betroffenen ihre Kompetenzen und Solidarität erfahren sowie zu Subjekten politisch aktiven Handelns und Lernens werden „ohne Bevormundung und pädagogische Belagerung“.

Weitere Anforderungen wären z. B.:

- Lebensweltanalysen über Lebenslagen und Lebenszusammenhänge erkennen und verstehen
- (Sub-)kulturspezifische Formen von Selbstorganisation respektieren
- Soziale Netzwerkarbeit, Aktivierende Befragungen, Zukunftswerkstätten, (Selbst-)Aufklärung über Bedarfs- und Ressourcenlagen
- Dokumentation, Reflektion und Rechtfertigung von Entscheidungen (Klöck 2004).

Partizipation

Gefragt ist eine qualifizierte, ernst gemeinte, wirkungsvolle, kontinuierliche und nachhaltige Beteiligung. Dazu sind nach Klöck folgende Anforderungen unerlässlich:

- „möglichst viel Selbstorganisation erreichen und Entscheidungsbefugnisse zulassen […]
- zivilgesellschaftliche Entwicklungspotenziale, trotz gelebter Vorurteile, sozialer Ausgrenzung und ‚überforderten Nachbarschaften‘ […] auffinden, z. B. in Vereinen, Kirchengemeinden und Initiativen
- Beteiligung, Behelligung oder Verwicklung von bürgerschaftlichen Organisationen mit den Entwicklungen im Gemeinwesen und der Praxis […]
- Interessenorganisation systematisch und gekonnt betreiben […]
- Transparenz, Legitimation und Kritisierbarkeit der Arbeit sicherstellen und Stadtteilforen dafür schaffen, die nicht exklusiv aus Fachkräften bestehen […]“ (Klöck 2004: 166).

Oelschlägel (2001) befasste sich mit der Frage warum Menschen aktiv bzw. nicht aktiv werden. Stützend auf der Grundannahme des methodischen Individualismus[7], behauptet Oelschlägel, dass die Individuen „ auf Grund der von ihnen erkannten Wahlmöglichkeiten“ handeln und sich bei der „Wahl zwischen mehreren Handlungsalternativen […] sich für jene Alternative [entscheiden], von deren Resultat [sie] sich ausreichend große Vorteile […] [erwarten].“ (Oelschlägel 2001: 183)

Er benennt drei Bedingungen, die für das Engagement der Individuen maßgeblich sind:

1. Engagement bedarf Freiheiten: Damit die Menschen aktiv werden, muss man ihnen die nötigen Freiräume zur Verfügung stellen. In diesen Freiräumen ist es den Menschen erlaubt, „Lösungsmöglichkeiten zu erproben, produktive Umwege zu gehen, Alternativen zu testen [und frei] reden zu können […]. Innerhalb dieser Freiräume können die Menschen Prozesse durchstehen, in denen sie ehrlich mit ihren „oft widersprüchlichen Entwicklungen, Krisen, Spannungen im emotionalen, kognitiven und zwischenmenschlichen Bereich“ umgehen können.
2. Kosten und Nutzen: Die Individuen handeln nicht bewusst gegen ihre Interessen und stellen sich jeweils ihre persönliche Kosten-Nutzen-Analyse auf. Sie wägen den zu erwartenden Kosten und Nutzen denkbarer Handlungsalternativen ab und entscheiden dementsprechend, ob sie aktiv bzw. inaktiv werden. Eine wichtige Grundlage für Aktivierung ist ein gewisser Grad an Informiertheit über das Bürgerengagement selbst sowie über das öffentliche Leben der Stadt oder des Stadtteils und den Ablauf politischer Prozesse. In die Kosten-Nutzen-Analyse fließt ebenfalls der Charakter der öffentlichen Güter ein. Schätzt das Individuum die eigene Anstrengung auf das Zustandekommen dieses Gutes zu gering, so wird die Bereitschaft zur Aktivierung gering sein. Wichtiger Faktor der Kosten-Nutzen-Analyse ist die Ein- und/oder Unterschätzung der eigenen Kompetenz
3. Kompetenzerwerb in der Aktion: Individuen werden aktiv, weil sie einen Zuwachs von Kompetenzen in Form von der unmittelbaren Lebensbewältigung oder andere Fähigkeiten erwarten. Auch fällt dabei die Zeitperspektive ins Gewicht. Da die Aktionen in der Regel keine einmaligen Handlungen sind, müssen immer wieder neue Angebote gemacht werden. (Oelschlägel 2001: 185f).

Methodenintegration

Nach Klöck (2004) sollte mit dem Arbeitsprinzip GWA die Aufteilung in methodische Bereiche aufgegeben und die Methoden der Sozialen Arbeit, der Sozialforschung und des politischen Handelns in sozialen Feldern integriert werden.

Die Fachkräfte der Sozialen Arbeit sollen folgende Aufgaben in der Arbeit mit den BewohnerInnen erfüllen:

- „Erkennen fallübergreifender Gemeinsamkeiten von Lebenslagen
- Kombination personen- und feldbezogener Interventionen
- Zusammenarbeit mit bürgerschaftlichen Organisationen
- Kontakt zu Entscheidungsträgern in den Institutionen, in der Kommunalpolitik und der lokalen Ökonomie aufbauen und mit Lösungsansätzen behelligen“ (Klöck 2004: 167)

Weitere Qualitätsmerkmale sind Ressourcenarbeit, Bewusstseinsbildung, Modellentwicklung, Teilnahmeförderung, soziale Vernetzung, Umgang mit Behinderungs- und Begrenzungsmacht sowie Sozialmanagement zur Erschließung und Nutzung der institutionellen Netzwerke und zur Anregung trägerübergreifender Kooperationen. (Klöck 2004).

Träger und Ressorts

„Die Verwaltungsressorts und die Wohlfahrtsverbände sind mit ihren Organisationsstrukturen und Hierarchien nicht nur ein Teil der Lösung, sondern auch ein Teil des Problems, was die interdisziplinäre Planungskooperation, Öffnung und Bürgerbeteiligung betrifft.“ (Klöck 2004, 168). Deshalb ruft Klöck nach mehr Institutionskritik und Fragen nach der lokalen Sozialarbeitspolitik auf. Dazu beleuchtet er die Frage, welchen Beitrag die GWA zur Dezentralisierung, Öffnung und Regionalisierung für eine verbesserte Teilhabe und Kooperation beitragen kann.

Kommunale Quartierspolitik

Das Arbeitsprinzip GWA zielt auf eine integrierte Quartierspolitik, lokale Partnerschaften und mit dem Programm Soziale Stadt[8] durch integrierte Handlungskonzepte ab. GWA als braucht PartnerInnen in der Politik. (Klöck 2004). „Eine weitere Aufgabe wäre es, sich auf eine offene Kooperation mit BewohnerInnen und bürgerschaftlichen Organisationen und mit den verschiedenen Fachzirkeln aus der Sozialen Arbeit, der Sozial- und Stadtplanung, der lokalen Wirtschaftsförderung, dem Bildungs-. Kultur-, und Gesundheitsbereich und auch Gewerbetreibende, Wohnungsgesellschaften vor Ort und auf fachübergreifende Diskurse über Entwicklungen und Alternativen einzulassen.“ (Klöck 2004: 170).

Solidarische Ökonomie / Gemeinwesenökonomie

Das Arbeitsprinzip GWA kann auch außerhalb der Sozialen Arbeit wirksam werden wie z. B. in der Regional- und Stadtentwicklung oder in der lokalen Wirtschaftsförderung. Klöck (2004) nennt dazu folgende Zielsetzungen und Aufgaben:

- „Die Behelligung, Verwirklichung und Inpflichtnahme des lokalen Gewerbes und der Wohnungswirtschaft für mehr soziale Verantwortung für den Stadtteil, das Anknüpfen an ökonomischen Eigeninteressen (Rufschädigung, Leerstände, (Vandalismus-)Schäden, schwindende Kaufkraft und Investitionen etc.
- bessere Existenzsicherung im Stadtteil als eine Aufgabe von ‚Lokalen Partnerschaften‘: Verwaltung, Verbände, Wohnungsgesellschaften und lokales Gewerbe; soziale Selbstverpflichtungserklärungen anstreben und an die Ideen der Sozialbilanzierung von Unternehmen erinnern, lokale Wirtschaftsförderung einbeziehen und nicht nur an ‚Diskriminierungstöpfen‘ naschen
- kooperative Existenzgründungen und solidarökonomische Beschäftigungsinitiativen etwa im Bereich Wohnen und Wohnumfeld mit Kombinationen aus Erwerbs- und Eigenarbeit, Grundsicherung und Qualifizierung. Wohnungs- und Sozialgenossenschaften ermöglichen und fördern, das heißt, Empowerment müsste mehr in einem ökonomischen Sinne verstanden werden.“ (Klöck 2004: 171f)

Instandsetzung, Qualifizierung und Evaluation

Aufgrund der Komplexität seiner Aufgaben ist das Arbeitsprinzip GWA im Alleingang nicht realisierbar. Nicht alle der beschriebenen Qualitätsmerkmale bzw. Handlungsebenen werden in der praktischen Ausführung gleichermaßen berücksichtigt. Diese können aber als Spektrum zur Standortbestimmung und zum Profilvergleich dienen.

Die Vernetzung mit dem Programm „Soziale Stadt“ könnte Evaluationen ermöglichen und Funktionalisierungen aufzeigen, damit Ressourcen und Chancen genutzt werden können. (Klöck 2004).

2.5 Gemeinwesenarbeit in der gegenwärtigen Zeit

Heute existieren verschiedene Ansätze bzw. Konzepte der GWA nebeneinander. Sie haben unterschiedliche Namen, jedoch sind sie in ihren Kernaussagen gleich. Allen gemein ist, dass sich ihre Arbeit nicht nur auf den einzelnen Menschen und seine Probleme, sondern dass sie ihren Fokus auf das Lebensraum des Menschen richtet. Dieser Sozialraumbezug zieht sich wie ein roter Faden durch die Konzepte der GWA. Dennoch gibt es weiter große Diskussionen und eine Einigung über ein allgemeingültiges Verständnis von GWA ist noch nicht in Sicht.

Laut Oelschlägel (1996) wird weiter verstärkt nach den Belastungen und Ressourcen im Sozialraum der Menschen gefragt und die bisher personenbezogene Sichtweisen der Sozialen Arbeit werden überschritten: „ Die Zunahme sozialer Probleme hat einen Umdenkungsprozess in Stadtentwicklung und Stadtpolitik bewirkt, der in seinen Wirkungen noch gar nicht voll eingeschätzt werden kann, nämlich eine erhöhte Aufmerksamkeit für sozialräumliche Strategien.“ (Oelschlägel 1996: 207).

Oelschlägel (2005) nennt vier Kernveränderungen im Politikverständnis der GWA:

1. Wie bereits erwähnt, haben die gesellschaftlichen Entwicklungen in den Sozialwissenschaften eine Hinwendung zu Alltag und Lebenswelt bewirkt, die ihren Platz auch in der Sozialen Arbeit gefunden hat. Oelschlägel behauptet, dass die Attraktivität alltags- und lebensweltorientierter Konzepte darin bestehe, dass sich der alltagsorientierte Ansatz nicht für theoretische Perspektiven interessiere, die von und für Intellektuelle geschrieben würden. Somit setze der lebensweltorientierte Ansatz in der Wirklichkeit an, die dem „Verstand des gesellschaftlichen Normalverbrauchers“ zugänglich sei.
2. Heute gehe es nach Oelschlägel nicht mehr um gesellschaftsverändernde Klassenkämpfe, sondern um Verteilungskämpfe um immer knapper werdende staatliche und kommunale Ressourcen. Dafür wäre der aktuelle Leitbegriff „Einmischung“ eingeführt worden. Einmischung werde beschrieben als eine Strategie engagierter Professioneller und Verwaltungen, die eine Beteiligung der Betroffenen durchaus anstrebe als Beteiligung an Planungsprozessen und konkreter Projektentwicklung sowie Selbsthilfeaktivitäten im lokalen Umfeld.
3. Im Laufe der historischen Entwicklung der GWA wird den gegenwärtigen GemeinwesenarbeiterInnen eine neue Rolle zu Teil: Sie seien nicht mehr „Anwalt, Organisator, Agitator“ für die Betroffenen, sondern sie sähen ihre Aufgaben vorzugsweise in der Vernetzung und im Unterstützungsmangagement womit sich ebenfalls die Sicht auf die Betroffenen verändert habe.
4. Die GWA sei nicht mehr als eigenständige Methode der Sozialen Arbeit, sondern als Arbeitsprinzip der Sozialen Arbeit anzuerkennen. „War damals Veränderung der Gesellschaft und der Sozialarbeit der Impuls, so ist GWA heute eher ein Instrument für Modernisierung und Effektivierung sozialer Dienstleistungen und Einrichtungen.“ (Oelschlägel 2005, Internet).

Lüttringhaus (2001) benennt für die GWA verbindliche Leitstandards, die die

grundlegende Programmatik der GWA operationalisieren:

[...]


[1] Vgl. dazu Saul D. Alinsky (1999): Anleitung zum Mächtigsein. Ausgewählte Schriften. Göttingen

[2] Das Konzept des aktivierenden Sozialstaats wurde in Deutschland Anfang der 90er Jahre entwickelt. Schönig erörtert den Begriff des aktivierenden Sozialstaats wie folgt: „Grundidee des aktivierenden Staats ist es, ‚staatliches Handeln auf die Mobilisierung und Unterstützung gesellschaftlicher Anstrengungen zur Reorganisation öffentlicher Aufgaben auszurichten.“ (Schönig, W. (2006): Aktivierungspolitik. Eine sozialpolitische Strategie und ihre Ambivalenz für soziale Dienste und praxisorientierte Forschung. In: Dollinger, B. / Raithel (Hrsg.): Aktivierende Sozialpädagogik. Ein kritisches Glossar. Wiesbaden. S. 24-39).

[3] Gemeint ist das Konzept von Saul D. Alinsky. Siehe dazu Kapitel 2.2.3

[4] Bourdieu zeichnet die Verteilungsstrukturen des gesamtgesellschaftlichen und individuellen Kapitals (Vermögen) in einem konstruierten dreidimensionalen sozialen Raum nach. Er untersucht die Kapitalausstattung von Individuen und Gruppen anhand von Merkmalen wie Beruf, Einkommen und Ausbildungsniveau als wichtigste Lebensbedingungen, erweitert durch für ihn sekundäre Merkmale wie Geschlecht, Alter, Ethnie, Nationalität. Das soziale Feld bildet die Handlungsebene innerhalb des sozialen Raumes. (vgl. Pierre Bourdieu (1995): Sozialer Raum und „Klassen“. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen. Baden-Baden

[5] Vgl. dazu Wolfgang Preis / Gisela Thiele (2002): Sozialräumlicher Kontext Sozialer Arbeit. Eine Einführung für Studium und Praxis. Chemnitz

[6] Vgl. dazu Hans Thiersch (2009): Lebensweltorientierte Soziale Arbeit. Aufgaben der Praxis im sozialen Wandel. Weinheim und München

[7] Vgl. dazu Dieter Oelschlägel: Zur Aktivierung bürgerschaftlichen Engagements im Rahmen von Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung. In: Hinte, W. / Lüttringhaus, M. / Oelschlägel, D.: Grundlagen und Standards der Gemeinwesenarbeit. Ein Reader für Studium, Lehre und Praxis. Münster

[8] Vgl. dazu Kapitel 3.4

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783842806566
DOI
10.3239/9783842806566
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Bielefeld – Sozialwesen, Sozialarbeit
Erscheinungsdatum
2010 (November)
Note
1,1
Schlagworte
bürgerengagement stadtteil zuwanderung stadtentwicklung integrationspolitik
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Titel: Gemeinwesenarbeit - Maßnahmen zur Integration von MigrantInnen
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