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Topo-patho-graphie: Ontologie der exzessiven Formen

Zur Kritik des reinen Pathologischen

©2010 Masterarbeit 103 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Vorrede, Das Reale und das Transzendentale:
Hinter dem Ansatz, von vornherein von der transzendentalen Philosophie Kants auszugehen, versteckt sich grundlegend das spekulative Interesse, wo sich das Reale befindet und inwiefern es zu erreichen ist. Ist es nur aufgrund des objektiven Korrelats, z.B. durch Sprache, Intentionalität, Diskurs, Institutionsvernunft usw. indirekt vermittelt, ohne einen direkten Zugang? Gemäß dieser Perspektive, die als (post-)kantisch etikettiert wird, bleibt das Jenseits von verschiedenen Korrelata abgesperrt, entweder in Form eines Verbots, dessen Überschreiten dogmatisch wird, oder einer verlorengegangenen und beraubten Unmöglichkeit, die nur noch Raum für Schwärmerisches und Fanatisches zulässt. Gerade durch diese Grenzziehung wird der Gemeinort des Möglichen und des Legitimen da konstruiert. Was dort für legitim und sinnvoll erachtet werden kann, ist allein, das jeweilige Korrelat zu verschärfen und transparent zu machen – anders ausgedrückt: den gemeinsamen Sinn innerhalb des Kreises des objektiven Korrelats über den Nihilismus hinaus einzuschließen. Die Disziplinierung als einer der modernen Machtmechanismen entspricht exakt dieser (post)kantisch-philosophischen Operation. Sie hat weniger mit der Bestimmung des Inhalts dessen, sondern vielmehr mit der Form der Bestimmung zu tun; durch Einteilungen wie legitim/illegitim, möglich/unmöglich, erlaubt/verboten usw. Diese funktionale Proportion oder Aufteilung des jeweiligen Korrelats sowohl im einzelnen Organismus als auch im allgemeinen Leben stößt im extremen Fall auf die Dualität als die Antinomie zwischen Widerstand und Desubjektivierung oder Subjektivierung als Spezifikation und Objektivierung. Dadurch kann sie so ordentlich funktionieren. Ausgerechnet in diesen Kontext die Topik des Pathologischen – im Gegensatz zum Pathologischen als rein empirisches Phänomen - erneut einzuspeisen, besagt nichts anderes, als das abgesperrte Jenseits des Korrelats demselben immanent zu machen. Das heißt, die Grenzziehung zu vernachlässigen oder einfach an ihr vorbeizugehen und den Ausbruchsmoment der Aufteilung des Korrelats oder, kantisch gesprochen, des jeweiligen Vermögens als gemeinsam/communis – über den einzelnen Organismus oder das jeweilige Individuum hinaus - anzueignen. Dann lässt sich das Reale nie mehr als jenseitig der objektiven Realität thematisieren, sondern vielmehr als die Spalte derselben in der Realität selbst, die das synthetische Urteil der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Vorrede : Das Reale und das Transzendentale

Einleitung : Transzendentale Ausklammerung als Methode

I. Leiden von Cogito
1. Cogito in abgelöster Welt
2. Philosophie als Auto- Bio -Graphie
2-1. Zwischen Auto - und - Graphie
2-2. Philosophen Bios als symbolische Form(moderner Formalismus)
2-3. Bios als Metapher zwischen Staat und Körper(immunitas)
2-4. Das erzählende Ich

II. Cogito im Denkbild
1. Artaud als der Geisterseher?
2. Hemmungspunkt der Melancholiker
3. Common Sense und das Gemeinsame

III. Form des Gemeinsamen und Dualität
1. Artauds Metaphysik : entweder organische Sexualität oder A-sexualität und entweder Denkbild oder Denken im Denken
These: „Die Sexualität parallelisiert sich zum Denken.“(Körper ohne Organ)
Exkurs: Entweder Ab normalität oder das Pathologische
2. Signifikant oder Eigenname im Eigentlichen
3. Dualität vom Individuum her
Intermezzo
- Umkehrung der Auto-bio-graphie in Topo-patho -graphie oder vom Individuellen zum Gemeinsamen

IV. Das Pathologische als normativer Axiom
1. Vorkritisch und Kritisch oder Pathologisch und Normal
1-1. Geisterseher und Metaphysik
1-2. Theoretische Kritik
1-3. Praktische Kritik
2. Typologie des Pathologischen
2-1. Cassirers Typologie : Mangel an den symbolischen Formen
2-2. Das transzendentale Pathologische

V. Pathologische Individuation
1. Das Erhabene und der Genuss/das Jouissance
2. Logik der Komödie als minimale Differenz
3. Die dem Individuum vorrangige pathologische Individuation
4. Neuer Eigenname und partiell individuiertes Jouissance

Schluss
1. Artaud-bio-graphie als das individuierte Reale
2. Von der aus den Angeln gehobenen Zeit her

Literaturverzeichnis

Topo-patho-graphie : Ontologie der exzessiven Formen

(Zur Kritik des reinen Pathologischen)[1]

Für jeden Ödipus

„Thus you can yourselves make your list of categories

according to your mood, according to your character.“[2]

Vorrede : Das Reale und das Transzendentale

Hinter dem Ansatz, von vornherein von der transzendentalen Philosophie Kants auszugehen, versteckt sich grundlegend das spekulative Interesse, wo sich das Reale befindet und inwiefern es zu erreichen ist.[3] Ist es nur aufgrund des objektiven Korrelats, z.B. durch Sprache, Intentionalität, Diskurs, Institutionsvernunft usw. indirekt vermittelt, ohne einen direkten Zugang? Gemäß dieser Perspektive, die als (post-)kantisch etikettiert wird, bleibt das Jenseits von verschiedenen Korrelata abgesperrt, entweder in Form eines Verbots, dessen Überschreiten dogmatisch wird, oder einer verlorengegangenen und beraubten Unmöglichkeit, die nur noch Raum für Schwärmerisches und Fanatisches zulässt. Gerade durch diese Grenzziehung wird der Gemeinort des Möglichen und des Legitimen da konstruiert. Was dort für legitim und sinnvoll erachtet werden kann, ist allein, das jeweilige Korrelat zu verschärfen und transparent zu machen – anders ausgedrückt: den gemeinsamen Sinn innerhalb des Kreises des objektiven Korrelats über den Nihilismus hinaus einzuschließen. Die Disziplinierung als einer der modernen Machtmechanismen entspricht exakt dieser (post)kantisch-philosophischen Operation. Sie hat weniger mit der Bestimmung des Inhalts dessen, sondern vielmehr mit der Form der Bestimmung zu tun; durch Einteilungen wie legitim/illegitim, möglich/unmöglich, erlaubt/verboten usw. Diese funktionale Proportion oder Aufteilung des jeweiligen Korrelats sowohl im einzelnen Organismus als auch im allgemeinen Leben stößt im extremen Fall auf die Dualität als die Antinomie zwischen Widerstand und Desubjektivierung oder Subjektivierung als Spezifikation und Objektivierung. Dadurch kann sie so ordentlich funktionieren. Ausgerechnet in diesen Kontext die Topik des Pathologischen – im Gegensatz zum Pathologischen als rein empirisches Phänomen - erneut einzuspeisen, besagt nichts anderes, als das abgesperrte Jenseits des Korrelats demselben immanent zu machen. Das heißt, die Grenzziehung zu vernachlässigen oder einfach an ihr vorbeizugehen und den Ausbruchsmoment der Aufteilung des Korrelats oder, kantisch gesprochen, des jeweiligen Vermögens als gemeinsam/communis – über den einzelnen Organismus oder das jeweilige Individuum hinaus - anzueignen. Dann lässt sich das Reale nie mehr als jenseitig der objektiven Realität thematisieren, sondern vielmehr als die Spalte derselben in der Realität selbst, die das synthetische Urteil der Realität im Ganzen verhindert. Von nun an rückt die Frage also dahin, wie das Reale inmitten des Korrelats realisiert wird und nicht wie Objekt und Begriff begründet werden.

Einleitung: Transzendentale Ausklammerung als Methode

Erstens: Mit dieser Aufteilung des Vermögens ist die transzendentale Ein- oder Ausklammerung des jeweiligen Urteils verbunden. So formuliert bspw. Karatani den Orientalismus in einen ästhetischen Zentrismus um, um ihn dann zu kritisieren[4], da im Orientalismus das Nicht-Westliche zum ästhetischen Objekt oder zu einer Realität vom Westen unter Absehung der realen Gegenbenheiten sublimiert wird. Unter der Voraussetzung, dass es dementsprechend bei der Dreieckskritik Kants um die Gebrauchsvorschrift zur Ein- und Ausklammerung des jeweiligen Urteils geht – sei dieses theoretisch, praktisch, oder ästhetisch –, zielt die vorliegende Arbeit darauf ab, die kantisch verstandene Kritik eines anderen Urteils hinzuzufügen: im Speziellen am Urteil entweder „pathologisch/anormal“ oder „gesund/normal“, weiter gefasst geht es jedoch um die Unmöglichkeitsbedingung eines jeden Urteils überhaupt. Während bspw. das theoretische Urteil die legitime Ermöglichungsbedingung der Erkenntnis, vermittels der apriorischen Bestimmung des Begriffs im Verstand, erstrebt, zielt unsere Kritik darauf, das Pathologische als die allgemeine Grenzsituation der Kritik schlechthin zu erweisen, auf der jene Ermöglichungsbedingung als ihre (sozial-kulturelle) Bestimmung beruht. Wie die Kulturkritik von Cassirer exemplarisch gezeigt hat, wird die Kritik hierdurch relativiert. Zunächst wird das Pathologische dem Nicht-kultivierten zugeschrieben, aber gleichzeitig wird es auch als der unbedingt vermiedene Exzess des Vernunfttriebes verstanden, nämlich als sein immanenter Exzess selbst und auch als das formale Sich-bilden der Einbildungskraft, aber nicht im Sinne der harmonischen Regelhaftigkeit, sondern vielmehr als Assoziation bzw. Phantasie.[5] Gerade in diesen verschiedenen Erscheinungsmodi des Pathologischen funktioniert die Bestimmbarkeit des Gegenstandes um eine bestimmte Grenze herum: diesseits und jenseits der Grenze der transzendentalen Bestimmung, des Verstandes oder der regulativen Idee.

Gegenüber diesem Bestimmungsvermögen, das das Gegebene als für uns sinnvoll erscheinen lässt, rückt es anschließend zur allgemeinen Urteilskraft als dem reflektierende Urteil, das ohne Vermittlung des Begriffs oder der regulativen Idee und auch ohne empirische Überprüfung des jeweiligen Geschmacksurteils trotz allem die Mitteilbarkeit des Urteils unbedingt erfordert. Hier wird die Privatheit eines jeden Geschmacksurteils zur allgemeinen Urteilskraft hin aufgehoben, die die Unbestimmtheit der gemeinsamen Norm oder die transzendentale Grundlosigkeit derselben enthüllt. In der Urteilskraft wird gleichzeitig beides – die Schönheit und das Erhabene – insofern undifferenziert situiert, als dass das Erhabene ausschließlich über einen besonderen Fall hinaus verallgemeinert wird. Gerade an diesem Neutralisierungsort dieser Unterscheidung wird das Pathologische über die Empirie hinaus verankert, aber als ein Solches, das „die Ungleichartigkeit der Vermögens“ zum Vorschein bringt, die in jeder Antinomie aller Vermögen auftaucht. Wie der Organismus gleichzeitig als das Naturprodukt und auch als die Naturidee angesehen werden muss, wird diese Antinomie dadurch aufgehoben, dass der Inhalt gereinigt wird, indem das Geschmacksurteil bei dessen Antinomie in Umkehr von einem bestimmten zu einem unbestimmten Begriff als gespaltet entlarvt wird. Darin spielt sich eben nur noch die reale Opposition zwischen positiven Beweggründen und eben kein Widerspruch ab. Die Aufmerksamkeit wird dabei weggelenkt von der harmonischen Aufteilung/Proportion des Vermögens hin zur aus der Dysfunktion resultierenden Reflexion derselben, denn dadurch, dass die reflektierende Urteilskraft über kein Objekt verfügt, eröffnet sie einen Moment, das Pathologische über das Individuum oder das Organismus hinaus bis in die Individuation hin zu verschieben. Analog zur reflektierenden objektlosen Urteilskraft hat das Pathologische nichts mehr mit dem bestimmten pathologischen Individuum, oder kantisch gesprochen, mit dem in die Empirie versunkenen Individuum, sondern vielmehr hat das Pathologische hier mit dem Gemeinsamen zu tun, was sowohl als leer/unbestimmt als auch exzessiv/überbestimmt erscheint und daher nach wie vor zwangsläufig in die Individuation gerät. So wird das Pathologische gleichzeitig auch als ein Solches positiviert, was von uns gemeinsam übernommen werden muss, aber auf eine individuelle Weise, analog dem Geschmacksurteil, welches ohne weiteres in Form der Individualität und der allgemeinen Mitteilbarkeit, weiter gegeben wird. Aus dieser Wende vom Individuum oder dem Organismus zur Individuation geht der Übergang vom normativ-ethischen heteronomen Andere gegenüber der Autonomie des transzendentalen Subjekts zum ästhetischen Gemeinort des Pathologischen hervor, an dem der reale Konflikt zwischen Bestimmungs- und Reflexionsvermögen stattfindet.

Das Scheitern der Proportion des Vermögens, in dem nichts anderes als die Unmäßigkeit in Bezug auf die Zeitlichkeit und die Räumlichkeit zum Ausdruck kommt, resultiert eben aus der Dysfunktion der methodisch-transzendentalen Einklammerung des jeweiligen Urteils. Diese Form der Einklammerung hat jedoch nichts mit der „Epoché“ Husserls zu tun, in der aus dem empirischen ein phänomenologisch reines Ego hervorgehen soll, damit wird die Existenz der Welt außer Acht gezogen. Abgesehen von der Verwandtschaft zwischen phänomenologischer Attitüde und ästhetischer Attitüde/Desinteresse[6], betrifft die kantische Einklammerung eher den Grenzbegriff: bspw. im bezüglich des Ursprungs der Menschengeschichte Widerstreit zwischen Tiergattung und sittlicher Gattung oder zwischen dem Naturgesetz als dem Rückfall vom Guten zum Bösen und der Freiheit als der Fortgang vom Schlechteren zum Besseren.[7] Dort wird beider Beweggrund keinesfalls aufgehoben: d.h. dort bleibt die Grenze als der Kampfplatz vom beiden enthalten und zugleich beide aus der zweifach gespalten Perspektive hergestellten Pointe muss inhärent jedem Gegenstand immer wieder beibehalten werden. Dementsprechend bringt er diesen Widerstreit als Parallaxe[8] zum Ausdruck im Vorkritischen(Träume eines Geistersehers), in welcher die Perspektive des Anderen als des Geistersehers in meine Perspektive hinein interveniert. Hierin stellt sich eine Hypothese im Bezug auf kantische Chronologie zwischen Vorkritischem und Kritischem: und zwar im Modus Verräumlichung der Zeitlichkeit oder der zeitlichen Aufteilung. Dieser Modus wird folgendermaßen erklärt: Gewiss liegt diesem Scheitern der Proportion des Vermögens ein Paradox in der methodischen Strategie Kants zugrunde: Um die kritische Einklammerung und Konstruktion des jeweiligen Gegenstandes zu ermöglichen, wird für immer vorausgesetzt, dass das einmal eingeklammerte Urteil das nächste Mal wieder ausgeklammert werden muss, wobei seine Ungleichartigkeit außer Acht gelassen wird. Ob ihm diese chronische Aufteilung oder Verminderung des Exzesses der methodischen Ein- und Ausklammerung gelingen kann, liegt im Abstand zwischen philosophischer Methode und pathologischem Zwang. Um diesen in der kantischen Kritik selbst ausfindig zu machen, muss man auf das Vor-kritische - z.B. „Träume eines Geistersehers: Erläutert durch Träume der Metaphysik“ – zurück gehen, da gerade dort der ursprünglich-anachronische Moment zur Geltung kommt, an dem die Urteile ausgeklammert koexistieren, noch bevor sie zeitlich aufgeteilt werden. In diesem Moment wird die chronische Kritik vorweggenommen, indem sie zum Gemeinort des Pathologischen gebündelt wird; bspw. geht das Pathologische in der theoretischen Ausklammerung auch mit dem ethisch-moralischen Moment einher. Vielmehr ist jener Gemeinort Nicht-Ort des Gemeinsamen oder der Gemeinsamkeit, wie schon oben vorbeigehend erläutert. Ebenso wie bei kantischem Widerstreit die zweifach gespalten Aspekte des gleichen Objekts wie immer aufbewahrt bleibt, ist jener Ort einerseits auf die Unmöglichkeit jeder vergebens Versuche, das (verlorengegangene) Eigentliche wiederzufinden[9] und andererseits auf die leidenschaftliche Überbestimmung desselben berufen, die aus der zwingende Ausklammerung jeweils Urteils entspringt. Während jener der Gemeinschaft als der Grenze an sich entspricht, mit welcher die Realisierung derselben verhindert werden kann - dadurch dass das gemeinsame Nichts als unbestimmt dorthin eingeführt wird -, ruft dieser den Exzess oder die Überbestimmtheit desselben : wie beim Melancholiker die Zeit als umkehrbar(reversible) überbestimmt wird, aufgrund der Überlegenheit des Verlustgefühls gegenüber dem Habitus des Handlungssubjekts. Aus dieser zweifach Un-/Über-bestimmtheit geht eine Art Wiederholung hervor. Bei dieser Wiederholung kehrt es ohne Ende auf den gleichen Ort als die Verluststätte zurück. Wie die Melancholie allein an der reinen Tatsache des Verlustes festhält, wird es wiederholt dazu getrieben, gleichzeitig beiden in Gegenrichtung auswirkenden Beweggrund aufzubewahren: einerseits unbestimmt, andererseits überbestimmt. Hierin trifft also die Parallaxe mit der pathologischen Ausklammerung miteinander, die methodische Ein- und Ausklammerung überschreitend. Auch dorthin lässt sich das Mannigfaltige oder die Mannigfaltigkeit gegenüber dem Menschenverstand berücksichtigen, analog zur Ungleichheit der Proportion in der Gesellschaft.[10] Dieses ermöglicht nicht zuletzt, dass das Pathologische zum Positiven[11] oder Produktiven[12] erhoben wird: in diesem Sinne stellt Kant den Geisterseher sowohl als den aus der Zukunft kommenden Mensch als auch als die Kennzeichnung der Grenze des jetzigen gemeinsamen Verstandes dar. Diese anachronische Zusammenstellung von allem Urteil am Topos des Pathologischen charakterisiert dieses zugleich als die gleichzeitige und auch zwingende Ausklammerung all dessen. Freilich ist zweifache Modalität wie unbestimmt und überbestimmt ihr Janusgesicht. Von daher steht die folgende Erörterung der Suggestion von Karatanis Kant-Interpretation entgegen, dass ein zuvor eingeklammertes Urteil auf jeden Fall im richtigen Moment wieder ausgeklammert werden muss, weil gerade nach der Ausklammerung des Eingeklammerten nichts Epistemologisches geändert wird, zumal dieser Prozess die Dekonstruktion bzw. die Umkehrung des schon aufgrund der einmaligen Einklammerung gesetzten Wissens wirklich und nicht formal verlangt; auch in diesem Sinne ist die Methode von Husserls transzendental-momentanen Einklammerung verschieden. Nach der Ausklammerung bleibt doch die reine Form des Pathologischen übrig, wobei das (Erkenntnis-)Objekt selbst - gegenüber dem menschlichen Geist überhaupt -, im Gegensatz zur intentionalen philosophischen Methodologie, annulliert wird. Diese reine Form lässt sich demnach analog zur psychoanalytischen Unterscheidung des Begehrens vom Trieb beschreiben: Während bei jenem das äußere Objekt oder das objektive Korrelat – zumindest indirekt – angestrebt wird, dreht es sich bei diesem nur um das Objekt selbst herum, welches die Relation des Begehrens(-subjekts) auf dessen Objekt formal enthüllt und in Frage stellt. Es geht der resultierenden Form weniger um das Gelingen der Relation des Erkennenden in Bezug zum Gegenstand, sondern vielmehr um ihr Scheitern. Obwohl diese reine leere Form kantischer Transzendentalismus und Psychoanalyse gemein als die Grundlage teilen, geht die folgende Erörterung darüber hinaus bis dahin vor sich, sie intensivieren.

Zweitens: In dieser Arbeit geht es um die Multiplizität oder das Mannigfaltige sowohl in der kapitalistischen Tauschabstraktion als auch im Pathologischen. Während bei jenem der Wert und der Sinn nur formal synthetisch als Basis des Austausches, abgesehen von der vorgegebenen substanziellen Einheit dessen, gegeben ist, geht dieser gerade mit dem Bruch des Austausches um, woraus notwendig der Unsinn/das Nihil hervorgeht. Diese beiden unterschiedlichen Arten von Multiplizität werden im Hinblick auf zweierlei Auffassungen vom Genuss weiter herausgearbeitet, von der die erste eine formale Subsumption unter die regulative Idee und die zweite den partiell-individuellen Genuss ohne Garantie der Idee meint.

Während die kapitalistische Kritik die vierte Kritik darstellt, kommt somit in der Kritik des reinen Pathologischen die fünfte zum Tragen – nicht nur weil dabei, methodologisch gesehen, beide, pathologische und kapitalistische Kritik, die Einklammerung des Urteils oder der Interesse als die Grundlage gemein haben, sondern auch weil die fünfte Kritik wieder aus der Kritik an der Kapitalismuskritik a fortiori hervorgeht. Worin liegt diese Kritik?

Im Kapitalismus reduziert sich all die Differenz der Gegenstände alsbald auf den Tauschwert im Markt; egal ob es irgendein Interesse gibt oder nicht.[13] Dieses kapitalistische Desinteresse am Interesse wird so weit ontologisch umformuliert, dass dessen Mechanismus ohne weiteres die permanente Axiomatisierung ist, die nicht nur all die kontingente pathologische Empirie vom eindeutigen Sinn des Seins befreit, sondern sie zugleich wieder in die anderen Axiome transformiert. Damit wird die Grenze des Kapitalismus weiterhin aufgrund eines erneut eingeführten Axiomes erweitert bzw. verschoben, z.B. durch die Zusammensetzung vom Homo- und Heterosexuellen in Form der differenten Waren(-produktion) ohne Widerspruch oder Widerstreit. So zeichnet sich der Kapitalismus auch als „das automatisch axiomatische System“[14] aus. Diesen nihilistischen Aspekt, also die Abkopplung des Seienden von der Präsenz des Seins (i.e. Desäkuralisierung) schätzt bspw. A. Badiou gegenüber der Nostalgie für den Feudalismus als „einen ontologischen Wert“[15] ein. Demgemäß wird wiederum die Ontologie nicht mehr als Etwas um das Seins als das Eins, sondern vielmehr als Etwas um das Multiple umformuliert. Von diesem reinen Multiplen her steht Philosophie in engem Kontakt mit dem Kapitalismus, in dem neben der Desäkularisierung als dem aktiven Nihilismus die endlose Axiomatisierung geschieht; In gleicher Weise unterscheidet Deleuze die Schizophrenie und den Kapitalismus voneinander dadurch, dass jenes gerade die absolute Grenze selbst oder die äußere Grenze von diesem ist, während dieses eine Grenze/ein Axiom der Gesellschaft in andere Grenzen transportiert oder verschiebt[16]. Solange die Differenz von beiden ausgeschaltet wird, bleibt davon eben der gemeinsame pathologische Ort des Kapitals übrig, wo das empirisch Kontingente immerhin automatisch axiomatisiert wird. Indem das Sein als das Nichts vom Wissen entbunden fließt, nämlich im aktiven Nihilismus, der eher den Wille zum Nichts meint, da ist es gewiss daran gehindert, durch die Historie des Geistes oder die Metaphysik der Historie den konsistenten Sinn des Seins aufzubauen. Es wird so im Pathologischen widergespiegelt, imitiert, und wiederholt sich dort. Karatani analysiert, dass der Ausbruch der Synthese zum Tauschwert dazu dient, das reflektierende Urteil in das bestimmende Urteil intervenieren zu lassen, insofern ein Produkt im Markt ausgetauscht wird. Dies weist zugleich die Verborgenheit und die Nachträglichkeit des Austauschwertes auf, d.h. dass die Synthese zuvor nie gegeben ist, sondern vielmehr gerade nach dem Austausch ausgeführt wird. Insofern der Ausbruch dessen dem Pathologischen zugeschrieben wird, analog zur Sprachauffälligkeit, geht die fünfte Kritik von dem Ausbruchsmoment aus, um zur Fragilität der Synthese des Tauschwerts zu gelangen. Inwiefern aus dieser Dysfunktion überhaupt die Genese oder die Individuation des Gemeinsamen hervorgeht – darauf wird die Aufmerksamkeit gelenkt und nicht mehr auf den Tauschwert im Kapital. Dadurch wird der pathologische Ausbruch verallgemeinert und relativiert und erscheint so als keine besondere Ausnahme mehr.

Diese Verallgemeinerung des Pathologischen ruft gleichzeitig einen ontologischen Anspruch ins Leben. Aufgrund des aus der Ausklammerung des Urteils notwendig folgenden Mangels am repräsentierbaren Objekt oder besser: aufgrund des Verschwinden der Gegenständlichkeit des Urteils seitens des Menschen/Geistes lässt sich letztes Endes „der Schluss mit all dem Urteil oder dem Gericht“ (Artaud, Deleuze)[17] ziehen. Im Verschwinden ist es auf den ontologischen Moment berufen, der die (Un-)Möglichkeit der Epistemologie bedingt: dies ist die Überlegenheit der Ontologie der Epistemologie, oder genauer: die Ontologie, die der Kondition/der Bedingung jener (Un-)Möglichkeit nachgeht. Das heißt, sich nie mehr an „ ob (un-)möglich “ sondern vielmehr an „ wie real “ zu orientieren – auch darin wird ein pathologischer Ort als ein Axiom verankert. An dieser Stelle taucht das pathologische Subjekt auf und behauptet sich, aber nicht aus der Perspektive des Erkennenden, des Repräsentierenden oder des transzendentalen Subjekts, und damit nicht aus der Perspektive, die die kantische, formal-normative Ethik als die Verantwortung für das Andere als Ding-an-sich grundsätzlich unterstützt. Obwohl dabei natürlich zwei Instanzen – die pathologische und die philosophisch-methodologische – miteinander überlappend ablaufen, unterscheidet sich doch die vorliegende Arbeit von der transzendentalen Kritik Kants dadurch, dass sie von der Seite des Anderen selbst her, möglicherweise auch gegen den Commonsense überhaupt, entfaltet wird. Demnach lautet eine Frage also: „Kann das Andere selber überhaupt für sich sprechen?“[18]

Drittens: Was uns letztlich motiviert oder veranlasst, das Pathologische als die philosophisch-ontologische Kategorie anzusetzen, bezieht sich auch auf die gegenwärtig privilegierte Vorstellung der Welt. Diese ist jedoch von den (post-)kolonialistischen Kategorien von erster, zweiter oder dritter Welt verschieden. Die Welt wird hier vielmehr vermittels der Kategorie des Pathologischen klassifiziert und zwar entweder als Normalstaat oder als Anormalstaat. Während beim Normalstaat – demokratisch gesehen – der Mittelstand ganz vom Staat repräsentiert oder vertreten wird und – historisch-politisch gesehen – das Gedächtnis der Vergangenheit eine beherrschende Rolle spielt, das als die Relativierung und die Veralltäglichung dessen bezeichnet wird, bedeutet der Anormalstaat die nicht-demokratische Situation, dessen Geschichte vom gegenwärtigen grausamen Ereignis sowie von der Naturkatastrophe, dem Krieg oder dem Massenmord überschwemmt wird. Auf den ersten Blick scheint beides exakt entgegengesetzt zu sein, einerseits normal-positiv, andererseits abnormal-negativ. Aber in Wahrheit verhält es sich genau umgekehrt. Trotz des oberflächlichen sprachlichen Ausdrucks ist der Normalstaat abhängig von Anormalstaat, d.h. nur durch Abnormales kann sich Normales behaupten. Nur durch Abnormales wird es möglich sein, zu diesem den Abstand zu halten, ebenso wie die heutige Politik als das Gedächtnis des vergangenen radikalen Bösen (i.e. das totalitäre utopische Projekt)[19] existiert und dazu die Distanz impliziert, als wäre die Utopie schon auf der Erde verwirklicht. In diesem Sinne schreibt Benjamin, dass die Vergangenheit als die Geschichte eben erst im Moment des Jüngsten Gerichts ganz restlos gedacht und auch geschrieben werden kann. Demgegenüber liegt der Anormalstaat in realer Opposition im kantischen Sinne vor. In diesem stoßen zwei positive Kräfte zusammen, wodurch die Geschichte nicht geschrieben wird, sondern vielmehr sich selbst präsentiert: meistens in Form der Grausamkeit des aus dem realen Konflikt gelangten Nullpunktes. Aus der Perspektive des Normalstaates produziert dieser Nullpunkt eine Art Ethik. Bei dieser in unserer Gegenwart privilegierten ethischen Attitüde, die aus der Unterscheidung der Staatsform hervorgebracht wurde, wird die Ethik nur durch die Feststellung der reinen Tatsache des bloßes Lebens des Anderen im Anormalstaat legitim und alsbald wird aus dieser Bestätigung der Anspruch nach dem Menschenrecht herausgezogen. Darin bleibt die Unterscheidung zwischen Tatsache und Norm verschmolzen.[20] Gleichzeitig liegt diese Verschmelzung der transzendentalen Ethik in Ausgrenzung des Anderen zugrunde, im Widerstreit zwischen Autonomie des transzendentalen modernen Subjekts und Heteronomie des reinen empirischen Anderen, der jedoch sofort zu einem ethischen Ding-an-sich aufgewertet wird. Innerhalb der transzendentalen Ethik ist es nicht möglich, diese Grenze abzuschaffen oder zu vernachlässigen. Erinnern wir uns noch mal daran, dass der Diskurs um den modernen Machtmechanismus hier in diesem Anormalstaat keineswegs gültig ist. Genau in diesem Moment trifft der Anormalstaat rückwirkend auf die erste These, die behandelte, wie die transzendentale Aufteilung des Vermögens abgerissen wird, wenn die Ausklammerung eines jeden Urteils stattfindet. Wo es keine Politik mehr gibt, bleibt allein die reine Tatsache des bloßen Lebens oder des Todes: Es kann kein transzendentales Subjekt heranwachsen.

Hierin liegt der entscheidende Grund, warum neben dem Orientalismus die Unterscheidung des Normalstaates vom Anormalstaat auf die Ebene des Ontologischen wieder übertragen und dann umformuliert werden sollte, selbst im Zustand der Ausklammerung eines jeden Urteils. Ohne dass ein bestimmtes epistemologisches Urteil auf der Spitze steht oder hierarchisiert wird und zugleich ein anderes Urteil durch das dominante ausgeschaltet wird, wie z.B. die japanische Kultur als das Idol der schönen vormodernen Kultur für die Europäer galt, wird das Pathologische als der Grund, als der gemeinsame Topos des Seienden platziert. Die vorliegende Arbeit will auch über die Zusammenstellung der verschiedenen Differenzen, nämlich in Form von Toleranz, hinausgehen. Gleichermaßen verhält sie sich gegenläufig zur Einklammerung jeder Differenz oder der Interessen vermittels der Produkte oder des im Kapitalismus angelegten Tauschwertes.

In Bezug auf den Grund des Seienden sollte noch etwas deutlich gemacht werden. Weil beim Pathologischen eigentlich jedes Objekt eben durch die gleichzeitige Ausklammerung annulliert wird, entspricht dem Grund des Pathologischen keine klassischen Ontologie mehr: Um dies zu markieren, wird der Neologismus „Topo-patho-graphie“ eingeführt. Dieser drückt den Gemeinort des Pathologischen aus. Parallel zur Topo-patho-graphie soll hier zunächst die Überlegung von Auto-bio-graphie behandelt werden. Dabei bleibt sowohl auf dem privaten Bereich als auch auf der sozialen Ebene die Spaltung der Kategorie(-sierung) oder des Urteils in „normal“ oder „anormal“ latent. Aus dieser ursprünglichen Spaltung ergibt sich eine weitere zwischen Intimität und Extimität oder die der Selbsterzählung zwischen des gesunden und des kranken Menschen. Daher lautet eine weitere Frage: „Kann der Andere denn über sich selbst schreiben?“[21]

I. Leiden von Cogito

Ich leide an einer schrecklichen Krankheit des Geistes.[...] Sobald ich also eine Form ergreifen kann, so unvollkommen sie auch sei, halte ich sie fest, aus Furcht, das ganze Denken zu verlieren. [...] All dies, das sehr schlecht ausgedrückt ist, birgt die Gefahr, ein gefährliches Missverständnis in Ihrem Urteil über mich aufkommen zu lassen.“[22]

Die von vornherein zu stellende Frage ist das Folgende: Inwiefern unterscheidet sich „Ich leide“ von „Ich denke“? Wie dieses Zitat zeigt, steht das leidende Ich in der Gefahr, sowohl „das ganze Denken zu verlieren“ als auch einem bestimmten „Urteil“ untergeordnet zu werden. Dabei wird all meine Aussage in „ein gefährliches Missverständnis“ geraten. Dem „Ich denke“ widerstehend, oder von der Furcht vor der Fragilität dessen überschwemmt, bleibt das leidende Ich da stehen. Abgesehen davon, dass dieses Narrativ ausgerechnet in Form asketischer Selbstbekenntnis oder genauer, als Brief konstruiert ist, liegt der folgende Fokus gerade darin, beides sowie das leidende Ich und das denkende Ich am gleichen Ort zusammenzubringen. Wie in diesem Zitat wird die asymmetrische Beziehung zwischen Absender(Artaud) und Empfänger(Riviere) durch die Dichotomien Normal/Anormal sowie Gesund/Krank ersetzt und dadurch die unlösbare Distanz erhalten bleibt. Stattdessen wird beides am gleichen Ort oder Spitze aufgerufen und versammelt. Dieser Ort wird ja so genannt, nämlich statt der Selbstbekenntnis oder des Briefgenres, vielmehr als Auto-Bio-graphie.

1. Cogito in abgelöster Welt

Was bedeutet aber der jetzige Aufruf der Autobiographie im philosophischen Diskurs überhaupt? Oder anders gefragt, inwiefern kann Autobiographie über Literatur hinaus gehen und dann in Philosophie verortet werden? Diese Frage ist so bezogen auf den Status oder die Funktion des Ichs in Philosophie. Ist es ein Autor oder ein Erzähler, wie in Literatur? Oder wie Foucault erklärt, ist es ein Begründer der (philosophischen) Diskursivität? Seit Descartes wird bekanntlich dieses Ich als cogito im Diskurs eingeschlossen. Obwohl cogito zwischen besonderem und allgemeinem Ich oszilliert, wird es so als ein Angelpunkt der modernen Erkenntnis verstanden. Wie cogito aus der modernen Welt(bild) nämlich der Relativierung einer eigenen Kultur im Vergleich zur fremden hervorgegangen ist, verlangt es so, aus dem jetzigen bestimmten Weltbild ein anderes cogito entspringen zu lassen. Zunächst darin liegt der Grund, warum das Ich von Autobiographie philosophisch angeeignet werden sollte: nämlich cogito in abgelöster Welt. Zur Vorstellung dieses besonderen Weltbildes dient die ganze Reihe Darstellung der Landschaft oder der Topographie der gegenwärtigen Theorie.

Erstens wie F. Jameson schildert, spielgelt das „meat-book“ als die neue Tendenz der Theorie deren Undurchsichtigkeit wider, die aus der Unsicherheit der Kommunizierbarkeit oder des Austausches hervorgeht. Damit wird die private Sprache auf den öffentlichen Bereich transportiert und übertragen. Darin spielt die klassische Frage nach der Bedeutung oder dem Sinn der Aussage keine Rolle mehr. Es bleibt nur die Eroberung des reinen Signifikanten. Daran geknüpft tritt die neue Theorie bzw. die Metatheorie dahin ein;

„[…] whose task is the invention of a theory about other theories, the construction of a master theory through which their apparent inconsistencies can be overcome, or, in the case of theories which do not contradict each other because they have no visible connection with each other at all, in whose larger context they may be made fruitfully to interact for the first time.”[23]

Daran anschließend lässt sich Schürmanns These, “broken hegemonies”[24] hier einführen. Sie markiert den Moment, wo das hegemonische Prinzip sowie „das Eins“ der Griechen, „die Natur“ der Römer, oder „das Bewusstsein“ in der Moderne abgerissen ist. Legitim verwandelt solches Prinzip nicht nur das Singuläre in Bestimmtes parallel zum Allgemeinen. Sondern es konstruiert auch aufgrund der nominativen Normalisierung die thetische Realität – im Gegensatz zum Realen - und breitet sich überall dahin als ein Vater/Phantasma aus. Das kann man „die philosophische Entscheidung“[25] nennen, die die Realität vermittels einer möglichst legitimen Repräsentation konstruieren kann. Danach zeichnet sich Luther-Kant als „topoi“ der modernen Hegemonie aus, nämlich als das Bewusstsein vom Selbst. Dadurch kann das Selbst und Gott als „double bind“ zur Konstruktion der repräsentativen Realität beitragen. Was aber dabei aufgrund solcher Verallgemeinerung ausgeschlossen wurde, bleibt dem Gesetz solcher Konstruktion immanent: Nämlich dasjenige, was als Antrieb zur Singularisierung in Erscheinung tritt. Es zeigt sich die epochenspezifische Hegemonie gleichzeitig als in den Momenten der Institutionalisierung und der Deinstitutionalisierung. Aber in zeitgenössischer Philosophie reißt sich dieser doppelte synthetische Moment ab. Sie kann als „der Zerfall der Subsumption“ gekennzeichnet werden und liegt auch analog zu zweierlei Nihilismus Nietzsches als die aktive und passive Reaktion auf diese Mangelhaftigkeit des letzten Sinnes all des Symbolischen.

„On the other hand, if the contemporary age genuinely shows the exhaustion of normative positions, there can no longer be such a relapse in the thinking that gives in to it. No more can the investment be withdrawn from some ultimate authority and transferred to some safer place. What comes to pass for us is not the destitution of one fantasm after another, but a diremption that deprives us henceforth of any fantasmic recourse. By «diremption» I only mean secondarily the will not to want to posit, which is only another posture of the will. «Diremption» means first of all an expiration has happened, the annihilation of normative acts that cleanses the tragic condition. If there is a task and a possibility of thinking today, it can only be that of letting normative consciousness collapse – not by putting a stop to philosophy so as to pass on, either to the science(the Anglo-Saxon temptation), or to literature(the French temptation), but by learning not to have wohlehearted faith in semantic maximization itself(which is the temptation in any Western language). How is one to live, under the sign of Proteus? How does one let the postions, which for our peace of mind focus on some particular focal sense of being, collapse? These are daunting questions, but they are nevertheless secondary in relation to this question, which is graver still: How is one to think? Not „What is one to think?“ Not „Which datum is to be borne in mind and followed?“ But rather: How is one to bear in mind that which gives itself without submitting it straight away to subsumption? Only the lover of the disparate[26] has stopped denying the diremption – which has already been legislating, in any case, for a century and a half.“[27]

Anschließend unterscheidet Balibar drei Universalitäten[28] sowie die Realität, die Fiktion und das Symbol voneinander im Blick auf die globalisierte Welt. Diese Globalisierung weist ohne weiteres die erste Universalität als die Realität oder die schon auf der Erde realisierten utopische Wunschbilder auf. Aber diese Universalität steht jedenfalls in Konflikt mit der zweiten, wie die Immigranten aus der dritten Welt in europäischen Apratheid ausgeschlossen und dann in bloßes Leben geraten werden. Diese zweite Universalität ist bezogen auf den modernen Begriff sowie Staat, Nation oder Rasse oder Hegels Terminologie zufolge, den objektiven Geist. Dadurch wird die Normalisierung des Individuums verwirklicht, in welcher die Familie als das elementare Gefüge der Gesellschaft zum Staat oder staatlich dominanten Ideologie subsumiert wird. Diese Synthetisierung des Individuums auf der stabilen Identität, auf der der Kampf zwischen erster und zweiter Universalität zurückzuführen ist, schließt die flüchtende fragile Identität aus. Oder in diesem Prozess wird so die zweite Universalität begründet. Darum drängt sich das Verlangen nach der dritten Universalität als die Reformation der zweiten hierin auf. Was für immer bei der Normalisierung ausgeschlossen wurde, kehrt für immer zurück: gerade in Form eines neuen Symbols oder genauer eines neuen Gebrauchs des normativen Symbols in zweiter Universalität. Die Instanz dieser Reformation bringt dadurch zum Vorschein, dass der ideale Buchstabe per se buchstäblich ernst genommen und dessen Idealität auf der Straße demonstriert/bewiesen wird. Dafür ist ein Beispiel zu nennen. Dementsprechend schreitet die Emanzipation der Frauen sowie Feminismus die der unterdrückten Sozialsubstanz(eine bestimmte Identität/Differenz) über. So gleichzeitig wird die homogen-männlichen Politik selbst(eine bestimmte zweite Universalität) transformiert. Dabei wird nicht nur die Exklusion in der zweiten Universalität problematisiert, sondern zugleich die weitere Genese der Universalität wird angetrieben(N-Universalität). Letztlich wird so die individuelle Freiheit und Gleichheit zum Kollektiven erhoben.

Aus diesen Weltbildern entspringt ein bestimmtes cogito nämlich ein pathologisch leidendes vor der entsynthetisierten Welt, das am Gemeinort der Autobiographie und der Philosophie situiert wird. In diesem Sinne, dass damit die innere Spalte zwischen Genießen und Wissen, oder das leidende Ich und das denkende Ich dergleichen selbst erschlossen wird: als die zerstückelten Form der Philosophie. Die Autobiographie als die private Sprache charakterisiert sich dann in dem Sinne der inneren eingeschlossenen Grenze der (Nicht-)Kommunizierbarkeit, die über die Regel in einer Gemeinschaft oder einer Gesellschaft hinaus geht.[29] Und sie zeichnet sich auch als die aus der Hegemonie der nominativen Normalisierung wieder ausgelöste Singularität gerade in der Situation des Abrisses der Hegemonie in Philosophie aus. Im nächsten Schritt wird die folgende Erläuterung auf dem Niveau der detaillierten Darstellung dergleichen verweilen.

2. Philosophie als Auto- Bio -graphie

2-1. Zwischen Auto- und -Graphie

In dem Oberbegriff der Autobiographie vereinigen sich zwei heterogene Elemente oder Triebe miteinander. Einerseits Auto(cogito), die (Je)Meinigkeit oder Mein Leben als das Intime, andererseits „-logie“ oder „-graphie“ als das Extime. Um das Intime oder das Innere zu externalisieren, braucht es dabei unbedingt einen Verlust. Wie das innere Leben von Bourgeoisie gerade in der inneren Ausstattung des Hauses entäußert oder realisiert wird(Benjamin), wendet sich das Innen für immer zum Außen - auch im extremen Fall sowie der freiwilligen Sperrung im Innen, z.B. Dostoevskys Double oder Doppelgänger. Ein solches Paradox erscheint am deutlichsten in Auto-Bio-graphie, denn sie bringt jene intime Extimität zum Vorschein. In diesem Sinne hat Derrida den Text über Nietzsche und seine Autobiographie im Folgenden betitelt, nämlich statt der Autobiographie Oto -biographie[30], oder das Ohr des Anderen. Erinnern wir an die organische Struktur des Ohrs als das Einzige im ganzen Körper, dessen intimer Teil von außen gesehen ist.

Trotz all dieser Diskrepanz trifft beides auf einem bestimmten Punkt zusammen. Dieser Vermittlungsmoment entspricht exakt dem Aussagemoment in der psychoanalytischen Situation. Wie die organische Struktur des Ohrs die Neigung zum Außen verkörpert, ist man davon schon immer ausgeschlossen, und deshalb gewilligt automatisch - ohne Achtung auf seinen Interesse oder die Autorität des anderen - etwas Beliebiges auszusagen. Die psychoanalytische Situation bringt diese ursprüngliche Unzugänglichkeit auf die Bühne, wo der Analytiker kein Gesprächspartner, sondern eine Art Wand oder weißer Schirm ist. Darin werden nur das Aussagen der Analysierten und das Zuhören des Analytikers gegenseitig verortet. Dann fängt es an, das autobiographische Aussagen (von jenem) im bisher erläuterten Sinne zu durchlaufen. Sein Aussagen gleichzeitig selber zuhörend, weil jenes Aussagen selbst die Integration im objektiven mit der materialisierten Ideologie/Phantasie verbundenen Geist voraussetzt, oszilliert diese Aussage zwischen dem Subjekt des Aussagens und dem Subjekt des Ausgesagten, oder des Wissens hin und her, ohne die Intervention des anderen oder des Analytikers in diesem Fall; „auto“ sowie „oto“ und auch „autre“(das Andere oder der objektive Geist). Descartes’ cogito stellt sich darum sowie als das verallgemeinerte Ich oder die Verallgemeinerung der Jemeinigkeit und auch als das Einzelne dar, zwischen dem sich aktiv auf Gott orientierenden Ich des Aussagens(cogito) und dem passiv auf das Sein geworfene Ich(ergo sum) schwankend. Da bleibt die Frage wie früher in Autobiographie latent: Wie kann beides sowie mein Genießen und das objektive Wissen oder die Verständigung des anderen zueinander wenden und dann sich koexistieren?

2-2. Philosophen Bios als die symbolische Form(moderner Formalismus)

Solange „moderner Formalismus“ die Kluft zwischen konkretem Leben und abstrakter Idee als sein eigenen Kern einschließt, kann es nötig sein, Cassirers Projekt hier weiterzuführen, was nun „Philosophie der symbolischen Formen“ genannt wird, um solche Dualität aufzuheben. Zunächst fängt seine Erläuterung an, Simmels ontologischen Dualismus zwischen Geist und Leben, oder Idee/Form und Leben zu kritisieren. Laut Cassirer, laufen bei Simmel das Leben, oder genauer der Lebensprozess und „die Wendung zur Idee“ durcheinander, denn jenes ist ein ganz reines Werden oder Fließen und überschreitet die Form als die Grenze oder die Schranke. Also das Leben zeichnet sich als die Transzendenz ab, die jenem selbst immanent ist. Nämlich das Leben als die „immanente Transzendenz“. „Das Wesen des konkret erfüllten Lebens ist nicht etwas, was zu seinem Sein hinzukäme, sondern sein Sein ausmachend: dass ihm die Transzendenz immanent ist.“[31] Wie es eben in diesem Ausdruck nicht absehbar ist, wird das Leben als die Transzendenz oder die Verabsolutierung von Cassirer zur Stelle der Gottessubstanz hochgehoben. Aus dieser Umkehrung, in dem Sinne, dass im Gegensatz zur normalen Auffassung von platonischer Idee/intelligibel und Materie/sinnlich sich die Idee selbst dem modernen Leben gegenüber als die Schranke oder die Grenze usw. charakterisiert,[32] lässt sich die Absolutheit des Lebens gewährleisten.

„Denn auch sie(die moderne Metaphysik) geht in der Weise vor, dass sie zunächst bestimmte Gegensätze betrachtet und fixiert, die sich ihr in der Welt der Erfahrung, in der Welt des Gegebenen, darbieten, um sodann diese Gegensätze von der Relativierung, von den Schranken, die ihnen im Gebiet des endlichen Daseins anhaften, zu befreien und sie ins Unendliche zu projizieren. Kraft dieser Methode der Projektion wird das Unendliche zu dem Punkte, in dem alle Divergenzen, alle Gegensätze und Widersprüche, wie sie sich im Bereich des Endlichen darbieten, sich lösen sollen, in dem sie sich aber zugleich aufs höchste verdichten.[...] aber er(Gott) wird damit zum Zentrum und Angelpunkt auch all der Prädikate, die in der empirischen Sphaere und unter den Gesetznamen der logischen Reflexion einander ausschliessen. Von ihm gelten alle Namen, weil und sofern keiner von ihm gilt: die absolute Position und die absolute Negation fallen in ihm in eins zusammen. Durch einen völlig analogen Doppelschritt des Denkens wird auch bei Simmel der Grundbegriff seiner Metaphysik: der Begriff der Absolutheit des Lebens erreicht.“(Ebd., S. 11-12)

Im nächsten Schritt wird der Zusammenhang mit der Biopolitik, der Immunität, oder der normativen Normalisierung herausgearbeitet und es werden davor einige Anhaltspunkte dessen gegeben, was Cassieres Terminologie zufolge, die philosophische Autobiographie als eine symbolische Form auszeichnet. Abgesehen von juristisch-medizinischer Bezugnahme und auf den philosophisch-literarischen Bios eingeschränkt, entspricht seine Kritik an Metaphysik des Lebens der Funktion der Autobiographie in der Philosophie. Eben mit dieser Funktion stimmt auch der Ausweg davon überein, nämlich vermittels der symbolischen Formen, die sich selbst unendlich hervorbringt, wie seine Unterscheidung von „forma formata“ und „forma formans“ deutlich zeigt. Nicht dass die Erzählung von einem privatem konkretem Leben ganz auf die intime Ebene begrenzt wird, sondern;

„Es ist daher zu erwarten, dass der literarische Bios, rückwirkend auf den konkreten Lebensvollzug, menschliche Lebensform bestimmt.“[33]

Aus der Perspektive Simmels kommt vielleicht die Autobiographie als solche vor, die das Leben selbst in einer abstrakten Idee einsperrt, die eben durch das Narrativ zum Vorschein gebracht wird. Aber von der Seite Cassirers her ist diese Verabsolutierung des Lebens nichts anderes als der geistige Akt selbst, das Leben von dessen Form abzutrennen und zugleich es in den Wertbereich zu übertragen. Darauf wirkt sich noch eine bestimmte dominante Anschauung aus, die dem Werturteil zugrunde liegt. Dennoch bleibt das Leben nicht konkret, sondern abstrakt, ebenso wie das Leben als die Schaffung einer neuen Norm keine Bezugnahme auf die dominante Norm selbst zu sich nimmt. Von daher scheint es zurzeit hilfreich, Cassirers Suggestion von unendlicher Formungsmöglichkeit in dieser Erläuterung; als das Leben selbst zu definieren oder in einer Form ohne Ende zu übertragen.

[...]


[1]. Diese Kritik, einschließlich die des kantischen Typs, ist mit Benjamins „Kritik zur Gewalt“ verwandt, wo neben der buchstäblich genealogischen Kritik an der Gewalt des Gesetzes versucht wird, die Ermöglichungsbedingung derselben an die göttlich-blutlose Gewalt zu binden. In der vorliegenden Arbeit geht es allerdings um die Reinigung des Pathologischen.

[2]. G. Deleuze, Kant; Synthesis and Time, 14/03/1978, in Les cours de Gilles Deleuze, www.webedeleuze.com (meine Hervorhebung)

[3]. Diese Frage lässt sich im Namen eines Protagonisten bei Dostojewski folgendermaßen umformulieren: „Spontaneous people and men of action can act precisely because they are limited and stupid. How shall I explain? Let me put it in this way: because of their limitations, these people mistake the nearest secondary causes for primary ones. This way they become convinced faster and more easily than others that they have found an incontrovertible reason for acting, and they have no further qualms about acting, which, of course, ist the important thing.“; F. Dostoyevsky, Notes from Underground, S. 102-3 (meine Hervorhebung)

[4]. K. Karatani, Use of Aesthetics: After Orientalism, in boundary 2, S. 145-160

[5]. „The imagination then I consider either as primary, or secondary. The primary imagination I hold to be the living Power and prime Agent of all human Perception, and as a repetition in the finite mind of the eternal act of creation in the infinite I AM. The secondary I consider as an echo of the former, co-existing with the conscious will, yet still as identical with the primary in the kind of its agency, and differing only in degree, and in the mode of its operation. It dissolves, diffuses, dissipates in order to re-create; or where this process is rendered impossible; yet still at all events it struggles to idealize and to unify. It is essentially vital, even as all objects (as objects) are essentially fixedd and dead. Fancy, on the contrary, had no other counters to play with, but fixities and definites. The Fancy is indeed no other than a mode of Memory emancipated from the order of time and space; and blended with, and modified by that empirical phenomenon of the will, which we express by the word CHOICE. But equally with the ordinary memory it must receive all its materials ready made from the law of association.“ Das Hochinteressante an dieser Darstellung ist die Tatsache, dass Fancy, im Gegensatz zu Imagination, „aus der Ordnung der Zeit und des Raumes emanzipiert ist“.: S. T. Coleridge, Biographia Literaria, S. 175(meine Hervorhebung) Während die Imagination, oder genauer: die transzendentale Imagination, a priori der Zeit und dem Raum entlang zuläuft, ebenso wie sich bei Heidegger die transzendentale Einbildungskraft auf die horizontale Zeitlichkeit gerade durch drei Modi der zeitlichen Einbildungskraft, nämlich Nach-, Ab-, und Vorbilden, bezieht, hängt Fancy ganz von der Einordnung der Zeit und des Raumes in die herausreißenden Assoziationen ab, aus einer partiellen Repräsentation/Idee die ganze Repräsentation/Idee zu erreichen. Übrigens ist deshalb zu vermuten, dass es ein Modus vom Gedächtnis ist – parallel zum Sinn(-esorgan) bei der Wahrnehmung oder der Perzeption der Idee als der abstrahierten Bilder eines distanzierten Objekts.

[6]. Während jener auf Sache selbst(eidos) abzielt, wendet sich diese der Erscheinungsweise zu. Vgl. D. Lories, Remarks on Aesthetic Intentionality: Husserl or Kant

[7]. I. Kant, Mutmasslicher Anfang der Menschengeschichte, Anm. A16-17

[8]. Über den engen Zusammenhang der Parallaxe mit dem Widerstreit schreibt Kant so folgendermaßen: „Unter den Kräften, die das menschliche Herz bewegen, scheinen einige der mächtigsten außerhalb demselben zu liegen, die also nicht etwas bloß Mittel sich auf die Eigennützigkeit und Privatbedürfnis, als auf ein Ziel, das innerhalb dem Menschen selbst liegt, beziehen, sondern welche machen, daß die Tendenzen unserer Regungen den Brennpunkt ihrer Vereinigung außer uns in andere vernünftige Wesen versetzen; woraus ein Streit zweier Kräfte entspringt.“: Aus dieser zweifach gespalten Beobachtung geht die Parallaxe hervor, die mit der Frage zu tun hat, aus welchem Gesichtspunkt der allgemeine Verstand betrachtet und erreicht werden kann: Kant, Träume eines Geistersehers, A40, 41(meine Hervorhebung); Im vierten Kapital wird erläutert die Rolle des Geistersehers im Vermittlungsort zwischen Mannigfaltigem in Natur und Menschlichem im Verstand. Vgl. Siehe S. 49-52

[9]. Vgl. R. Esposito, Communitas, S. 97-130

[10]. J. Ranciere, Die Gemeinschaft der Gleichen, S. 129

[11]. Zunächst verweist dieses Attribut als positiver Beweggrund in der realen Opposition bei Kant auf keinen logischen Widerspruch. Dieser positive Beweggrund steht im Zusammenhang mit dem „Dispositiven“, wie es, in Rücksicht auf das Dispositive bei Deleuze, Foucaults Methode schlechthin darstellt. Laut Deleuze stellt er sich sowohl als die Bruchlinie wie auch als die Aktualisierungslinie dar. Beim Ersten hört man mit dem vorhergien „Anteil der Geschichte“ auf, beim Zweiten dagegen wird man zukünftig ganz anders, nämlich in Form „Anteil des Aktuellen“. In Bezug auf das Dispositiv kommt Deleuze so zu der Frage, wie die Produktion der Neuheit ermöglicht werden kann. Dieser Begriff lässt sich eigentlich auf die Positivität (Hegel/Hyppolite) zurückführen, wie Agamben in seinem Text (What is an Apparatus?) erläutert. Darin wird die Positivität als die rationale Historisierungsprozess des Fremden gegenüber der Vernunft definiert; wie z.B. in der Unterscheidung der positiven Religion von der natürlichen Religion. Bei jener wird die Beziehung von Master/Gott und Sklave/Mensch historisch kultiviert oder in die reine Vernunft integriert. Daran ist Agambens Bemerkung anzuknüpfen, dass „the relation between individuals as living beings and the historical element [...] as the concrete modes in which the positivies (or the apparatuses) act within the relations, mechanisms, and plays of power.“(Agamben, What is an Appratus?, S.6) Kurzum zwischen lebendigem Sein und Apparat oszillierend führt seine Erörterung schließlich zur Diagnose der Kontroll-Gesellschaft. Dabei geschieht keine reale Subjektivierung mehr, die gleichzeitig aus der Desubjektivierung folgt. Die problematische Situation, in der der Apparat kein Subjekt mehr produziert, oder spekulativ ausgedrückt, die permanente Abtrennungslinie zwischen Sein und Akt - daher keine Produktion des Subjekts, das aus dem Kurzschluss beider Linien hervorgeht - impliziert oder antizipiert eher die kommende Problematik dieser gesamten Erläuterung der vorliegenden Arbeit in Form von der Diskrepanz zwischen Denken als Akt und Denken als Sein, Produktion eines anderen Subjekts usw.; Deleuze, Was ist ein Dispositiv?, in: Schizophrenie und Gesellschaft, S. 322-331, J. Hyppolite, Introduction to Hegel’s Philosophy of History, S.20-25

[12]. Gegenüber der Perspektive des Produkts sowie des Individuums charakterisiert sich das Produktive oder die Produktion bzw. der Produktionsprozess eher als ein disparater Moment im kantisch-transzendentalen Feld. Dabei wird der Schatten oder, der Terminologie von Deleuze zufolge, die virtuelle Seite mit dem Aktuellen/Erfahrbaren koexistent/kristallisiert (Deleuze) und dann ohne Analogie von beiden für immer aktualisiert. Danach wird der jeweilige Platz gegenseitig, nämlich zwischen aktuellem Objekt und virtuellem Bild/Image, ausgetauscht. Dieser Moment impliziert auch den Ausbruch des legitimen Gebrauchs des jeweiligen Vermögens, der als pathologisch gekennzeichnet wird. Konkretisiert wird dieser Moment der Überfülle in Koexistenz zwischen „virtuell“ und „aktuell“ nun im Zusammenhang mit der (zwangsläufigen) Individuation im letzten Kapitel.

[13]. Karatani, Ebd. S. 149, „At this point, it becomes necessary to consider a realm that Kant did not scrutinize a place where all differences are unconditionally bracketed: the monetary economy. This is where manifold use values and the practical labor that produces them are reduced to exchange value, or, in Marx's terms, ‘social and abstract labor’.“

[14]. „Integrated global capitalism is a machine – and a machine is nothing other than an automated axiomatic system – but an astonishingly supple and adaptive one, singularized by its fluidity, its metamorphoric plasticity. Whenever confronted by a limit or anomaly, capitalism has the wherewithal – the intelligence? – to invent a new axiom in order to incorporate the unexpected, constantly reconfiguring its prarmeters by adding a supplementary axiom through which it can continue expanding its own frontiers; R. Brassier, Nihil unbound: Remarks on substractive ontology and thinking capitalism, S. 53(meine Hervorhebung)

[15]. A. Badiou, Manifesto for Philosophy, S. 53-60

[16]. G. Deleuze u. F. Guattari, Anti-Ödipus; Kapitalismus und Schizophrenie I, S.316

[17]. Deleuze ersetzt das subjektiv-personale Gefühl gegenüber dem Fremden oder dem Anderen durch den aus diesem Stoß entsprungenen unpersönlich-vitalen Krafthorizont. In diesem wird das auf dem (höheren) Wert basierende Urteil gegenüber dem Anderen nicht mehr vollzogen, sondern vielmehr „sensing whether they agree or disagree with us.“. In diesem Fall ist es doch auf die Relation zur (Nicht-)Gegenständlichkeit berufen: Sie geht zunächst vom transzendentalen Subjekt aus. Doch letztlich gelangt der unpersönlich-vitale Krafthorizont vom leeren zum intensiven Ort des Transzendentalen. Deleuze, To have done with Judgement, in Essays critical and clinical, S. 135

[18]. Diese Frage ist eine ontologisch verallgemeinerte Form der Frage: „can the subaltern speak?“, die Spivak gestellt hat und letztlich verneint wurde. Sie kritisiert daran, dass der Subaltern oder der Andere (gegenüber Europa) als eine Ermöglichungsbedingung des transparenten europäischen Intellektuellen gesetzt wird. Dies ist die transzendentale Frage/Kritik und zwar in zweierlei Richtungen: (1) Einerseits von dem Subaltern her. In der Kritik von diesem spielt „die Diskrepanz zwischen Anschein und Realität“ eine Rolle. Obwohl der Subaltern für sich selbst de facto sprechen kann, verlangt es de jure die Unmöglichkeit des Selbst-sprechens, damit die weitere Repräsentation des anderen mit all den Darstellungsmitteln immerhin aufgefordert werden kann: sogar als die Realität des weiteren Grades. (2) Andererseits vom Repräsentierenden her. An die Stelle der Transparenz oder der Abwesenheit des (europäischen) untersuchenden Subjekts tritt das (nicht-europäische) Andere insofern als autonom ein, als dass dieses darin assimiliert werden kann. Daher verlangt es eine bestimmte Repräsentation dessen im zweifachen Sinne als Vertretung und Darstellung, nur mit der Bedingung, dass dabei der Vertreter oder der Darsteller „sich selbst darzustellen lernen muss“ (i.e. Kritik an sich selbst). Aber darin liegt die Aporie: Die Unmöglichkeit als der Grund der Möglichkeit der Repräsentation (von dem Subaltern sowohl in reiner Präsenz als auch a-substanziell) und die Möglichkeit als der Grund der Unmöglichkeit der Repräsentation (von dem Repräsentierenden in transparenter Absenz her). Um diese Aporie herum kreist die transzendentale Kritik am Subaltern, zwischen Unmöglichkeit und Möglichkeit seines Sprechen-Könnens. Zur Frage, inwiefern diese Aporie oder die kreisförmige Abhängigkeit von beidem das Pathologische betrifft, kommen wir später zurück. G.Ch.Spivak, Can the Subaltern speak?; in Marxism and the Interpretation of Culture, S. 271-313

[19]. Diese auf dem vergangenen kollektiven Trauma basierende Politik nennt Ranciere „die ethische Wende“ der Politik. Sie beruht auf dem Konsens statt auf dem Dissenz. Siehe, Ranciere, Die ethische Wende der Ästhetik und der Politik, in Das Unbehagen in der Ästhetik, S. 125-151

[20]. Siehe, Anm. 19

[21]. Oder mit Foucault gesprochen: Solange die Autor-Funktion „eine der möglichen Spezifikationen der Subjekt-Funktion“ ist, kann diese Frage folgendermaßen reformuliert werden: „Kann das Andere zu einem bestimmten Subjekt werden, oder die Position dessen übernehmen, damit es in den Diskursbereich – z.B. als „Diskursitivitätsbegründer“ – eintreten kann?“; Vgl. M. Foucault, Ebd., S. 1022, 1029

[22]. A. Artaud, Korrespondenz mit Jacuqes Riviere; in Frühe Schriften, S. 15-16 (meine Hervorhebung)

[23]. F. Jameson, On Goffman's Frame Analysis, S. 126

[24]. R. Schürmann, General Introduction, in Broken Hegemonies, S. 3-48

[25]. Laut Laruelle besagt diese Entscheidung die Funktion des Autoeffekts, die nicht nur eine bestimmte Realität ins Leben ruft, sondern zugleich das Reale verwirft. Aus dieser Funktion bringt sich das Denkprozess oder die Autoentscheidung dessen hervor; F. Laruelle, Dictionary of Non-philosophy, S. 56-57

[26]. Dieser Begriff „Disparität“ wird gegenüber dem Individuum in Hinsicht auf die Individuation im letzten Teil erläutert.

[27]. Schürmann, Ebd,. S. 514-5(meine Hervorhebung)

[28]. E. Balibar, Ambiguous Universality, in Politics and the Other Scene, S. 146-175

[29]. Vgl. Karatani stellt die Unmöglichkeit der privaten Sprache Wittgensteins so dar: nicht die Gültigkeit für eine Gemeinschaft, sondern für die Kommunikation selbst im Allgemeinen. Was dabei hier betrifft, ist weniger als die Unmöglichkeit derselben, sondern vielmehr die formale Art und Weise, wie die solche Gültigkeit selbst aufgrund der Existenz der privaten Sprache bestimmt wird. Was dabei mehr noch aufmerksam gemacht werden muss, ist die unterschiedliche Art und Weise, wie die private Sprache beurteilt wird, entweder negativ oder positiv, aber nicht im logischen Widerspruch, sondern in der realen Opposition. Dieses zufolge stellt sich die private Sprache nicht als der absolute Mangel, sondern vielmehr als etwas Positives, was dem Normalen widersteht und daraufhin zuläuft. (Kants Unterscheidung vom beiden wird im nächsten Teil erläutert) „As I noted earlier, Wittgenstein sought to scrutinize linguistic communication in the context of teaching foreigners. He negated private language not from the conventional position – that language is a rule of a community – but from a heterology that sees language in that kind of social communication wherein those who belong to different communities enconunter each other.» Karatani, Transcritique, S. 79-80, In diesem Sinne weist die positive Benennung derselben gleichwohl darauf hin, solchen realen Konflikt oder Widerstreit in Autobiographie zum Vorschein zu bringen und zugleich dabei den Unterbrechungsmoment zu dramatisieren: und zwar im Abstand oder vielmehr Paradox zwischen (bewusstlos) Gebrauch/Praxis der Regel und (mit dem minimalen Bewusstsein) Produktion/Re-präsentation derselben, oder anders formuliert die Erscheinung der latent transzendentalen Instanz aufgrund der Unterbrechung sowie z.B. der Kommunikation. Vgl. Karatani, Ebd., S. 75, Ebenso wie Karatani im Bezug auf die Begriffspaare sowie Singularität/Universalität und Individualität/Allgemeinheit der Sprache als den richtigen Namen nun den Unterschied der privaten Sprache von dem gemeinsamen öffentlichen Gebrauch der Sprache angibt, entlarvt sich die Autobiographie als einen transzendentalen Ort, wo wider die Zugehörigkeit der Sprache in einer Gemeinschaft oder einer Gesellschaft, die gerade die unartikulierbare Singularität aufhebt, die Tür dazu geöffnet wird, möglichst die Singularität zum Ausdruck zu bringen, sowohl auf die negative Weise wie auch auf die positive Weise. Oder von der negativen Phase, den verborgenden Grund der synthetischen Regel in einer sprachlichen Gemeinschaft und Gesellschaft in Frage zu stellen, zur positiven Phase, durch den richtigen Namen die Singularität/Universalität zu markieren. Dazu kommt anschließend das Pathologische als deren richtigen Namen hinzu: ökonomisch gesehen, sowohl als der Exzess des Tausches der Produkte im Markt wie auch die Unterbrechung dessen selbst. Da entsteht eine andere exzessive Form dessen Synthesis. Von daher richtet sich so diese Erörterung an die Kritik des reinen Pathologischen. ; Vgl. Karatani, Ebd., S. 100-112

[30]. J. Derrida, Otobiographies: The Teaching of Nietzsche and the Politics of the Proper Name, in The Ear of The Other, S. 1-38

[31]. E. Cassirer, K1. Geist und Leben, in Zur Metaphysik der symbolischen Formen, S. 9, wieder zitiert von Cassirer: G. Simmel, Lebensanschauung, Vier metaphysische Kapitel, S. 223

[32]. Solche Umkehrung lässt sich auch in Habermas’ Text über Schelling hineinblicken, nämlich der dramatische Auftritt des Bürgers an der Stelle Gottes. Freilich entwickelt wird dies bis zur marxistischen Interpretation von der Geburt der Bourgeoisie. Und auch im Bezug auf die materialistische Lebensform. „[...] die besondere Form des ‚Materialismus’, dem das menschliche Leben unterworfen ist geht in beiden(Schelling und Marx) Fällen auf ein ‚egoistisches‘ Prinzip zurück. [...] die anthropologisierende Ausdrucksweise der ‚Pariser Manuskripte’ hält ihre Verwandtschaft mit den physiko-moralischen Erwägung der ‚Freiheitsschrift’ fest, sie übersetzt die metaphysischen Kategorien ins Ökonomische. Die Form der privaten Aneignung der gesellschaftlichen Produktion zwingt die Hervorbringung und Verteilung der Gebrauchswerte unter das ökonomische Gesetz einer zum Selbstzweck gewordenen Vermehrung von Tauschwerten“, J. Habermas, Dialektischer Idealismus im Übergang zum Materialismus – Geschichtsphilosophische Folgerungen aus Schellings Idee einer Contraction Gottes, in Theorie und Praxis, S. 216

[33]. T. Schirren, Philosophos Bios, die antike Philosophenbiographie als symbolische Form, Studium zur Vita Appollonii des Philostrat, S. 68

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783842806498
DOI
10.3239/9783842806498
Dateigröße
994 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Potsdam – Philosophische Fakultät, Philosophie
Erscheinungsdatum
2010 (November)
Note
1,4
Schlagworte
transzendental autobiographie individuation psychoanalyse kant
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Titel: Topo-patho-graphie: Ontologie der exzessiven Formen
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