Über das Verhältnis von Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001 und ärztlicher Profession
Am Beispiel einer nach DIN EN ISO 9001 zertifizierten gynäkologischen, geburtshilflichen und onkologischen Arztpraxis
©2010
Bachelorarbeit
39 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Einleitung:
1, Problemaufriss und Motivation:
Seit 2005 schreibt das SGB V in § 135 medizinischen Leistungserbringern die Teilnahme an Maßnahmen der Qualitätssicherung und die Einführung und Weiterentwicklung von Qualitätsmanagement vor. Am Beispiel einer nach DIN EN ISO 9001 zertifizierten Arztpraxis, möchte ich das Verhältnis von diesem Qualitätsmanagementsystem und der ärztlichen Profession, seismographisches Spiegelbild der kulturellen, sozialen und technologischen Veränderungen der Gesamtgesellschaft und ihrer Teilbereiche1, ermitteln. Kann die ärztliche Profession von den bestehenden Gesetzen und Regelungen, welche die Standardisierung der Arbeitsabläufe zum Ziel haben, profitieren? Wenn nicht, welche Probleme sind es, die die Anpassung an die gesetzlichen Vorschriften erschweren und wie können diese bewältigt werden? Oder aber findet hier eine Deprofessionalisierung des Ärztestandes statt? Da ich im Rahmen meines Studiums ein sechswöchiges Praktikum im März und April 2009 in einer Arztpraxis absolviert habe, werde ich einige Aspekte meiner Beobachtungen einbringen. Die Praxisinhaberin ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, onkologisch verantwortliche Ärztin und führt die Zusatzbezeichnung medikamentöse Tumortherapie (Prüfung erfolgte an der Ärztekammer). Das Dienstleistungsspektrum dieser Praxis reicht von einem ganzheitlichen Beratungs- und Behandlungskonzept im Bereich Frauenheilkunde und Geburtshilfe, über Vorsorgeleistungen, umfassende individuelle Beratungen zur Schwangerschaftsverhütung, Teenager- und Sexualberatungen, Behandlungen von Wechseljahresbeschwerden, individuelle Schwangerschaftsbetreuungen, psychosomatische Beratungen und Behandlungen, Chemotherapien gynäkologischer Tumoren, Hormontherapien bösartiger Erkrankungen, Behandlungen von Tumorschmerzen, knochenstabilisierende Infusionen, Komplementärtherapien bis hin zu kostenpflichtigen individuellen Gesundheitsleistungen (IGEL-Leistungen). Diese Arztpraxis hat seit ihrer Entstehung 2004 ein Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001 aufgebaut und ist seit April 2007 nach den aktuellsten Qualitätsmanagementrichtlinien zertifiziert.Um sich dem Verhältnis von Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001 und ärztlicher Profession widmen zu können, werden zunächst die Begrifflichkeiten ärztliche Profession und Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001 definiert. Innerhalb des zweiten Punktes, der Darstellung der ärztlichen Profession, werden erstens der […]
1, Problemaufriss und Motivation:
Seit 2005 schreibt das SGB V in § 135 medizinischen Leistungserbringern die Teilnahme an Maßnahmen der Qualitätssicherung und die Einführung und Weiterentwicklung von Qualitätsmanagement vor. Am Beispiel einer nach DIN EN ISO 9001 zertifizierten Arztpraxis, möchte ich das Verhältnis von diesem Qualitätsmanagementsystem und der ärztlichen Profession, seismographisches Spiegelbild der kulturellen, sozialen und technologischen Veränderungen der Gesamtgesellschaft und ihrer Teilbereiche1, ermitteln. Kann die ärztliche Profession von den bestehenden Gesetzen und Regelungen, welche die Standardisierung der Arbeitsabläufe zum Ziel haben, profitieren? Wenn nicht, welche Probleme sind es, die die Anpassung an die gesetzlichen Vorschriften erschweren und wie können diese bewältigt werden? Oder aber findet hier eine Deprofessionalisierung des Ärztestandes statt? Da ich im Rahmen meines Studiums ein sechswöchiges Praktikum im März und April 2009 in einer Arztpraxis absolviert habe, werde ich einige Aspekte meiner Beobachtungen einbringen. Die Praxisinhaberin ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, onkologisch verantwortliche Ärztin und führt die Zusatzbezeichnung medikamentöse Tumortherapie (Prüfung erfolgte an der Ärztekammer). Das Dienstleistungsspektrum dieser Praxis reicht von einem ganzheitlichen Beratungs- und Behandlungskonzept im Bereich Frauenheilkunde und Geburtshilfe, über Vorsorgeleistungen, umfassende individuelle Beratungen zur Schwangerschaftsverhütung, Teenager- und Sexualberatungen, Behandlungen von Wechseljahresbeschwerden, individuelle Schwangerschaftsbetreuungen, psychosomatische Beratungen und Behandlungen, Chemotherapien gynäkologischer Tumoren, Hormontherapien bösartiger Erkrankungen, Behandlungen von Tumorschmerzen, knochenstabilisierende Infusionen, Komplementärtherapien bis hin zu kostenpflichtigen individuellen Gesundheitsleistungen (IGEL-Leistungen). Diese Arztpraxis hat seit ihrer Entstehung 2004 ein Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001 aufgebaut und ist seit April 2007 nach den aktuellsten Qualitätsmanagementrichtlinien zertifiziert.Um sich dem Verhältnis von Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001 und ärztlicher Profession widmen zu können, werden zunächst die Begrifflichkeiten ärztliche Profession und Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001 definiert. Innerhalb des zweiten Punktes, der Darstellung der ärztlichen Profession, werden erstens der […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Lisa Fänder
Über das Verhältnis von Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001 und ärztlicher
Profession
Am Beispiel einer nach DIN EN ISO 9001 zertifizierten gynäkologischen,
geburtshilflichen und onkologischen Arztpraxis
ISBN: 978-3-8428-0648-1
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena, Deutschland, Bachelorarbeit, 2010
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und der Verlag, die Autoren oder
Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl.
verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010
1
,,Über das Verhältnis von Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO
9001 und ärztlicher Profession"
Am Beispiel einer nach din en iso 9001 zertifizierten gynäkologischen, geburtshilflichen
und onkologischen Arztpraxis
Inhaltsverzeichnis
1. Problemaufriss und Motivation
S. 2
2. überblick: ärztliche profession
S. 4
2.1 der weg zur ärztlichen profession
S. 5
2.2 der aufgabenbereich der ärztlichen profession
S. 7
2.3 der status der ärztlichen profession in der
gesellschaft
S. 10
3. überblick: qualitätsmanagement nach din en iso 9001
S. 11
3.1 der weg zum qualitätsmanagement nach din en iso
9001
S. 12
3.2 der inhalt des qualitätsmanagements nach din en
iso 9001
S. 14
3.3 die anwendung des qualitätsmanagements nach din
en iso 9001 in der arztpraxis
S. 16
4. über das verhältnis von qualitätsmanagement nach
din en iso 9001 und ärztlicher profession
S. 25
5. Zusammenfassung und Fazit
S. 33
6. Literatur- und Abbildungsverzeichnis
S. 35
2
1. Problemaufriss und Motivation
Seit 2005 schreibt das SGB V in § 135 medizinischen Leistungserbringern die Teilnahme an
Maßnahmen der Qualitätssicherung und die Einführung und Weiterentwicklung von
Qualitätsmanagement vor.
Am Beispiel einer nach DIN EN ISO 9001 zertifizierten Arztpraxis, möchte ich das
Verhältnis von diesem Qualitätsmanagementsystem und der ärztlichen Profession,
,,seismographisches Spiegelbild der kulturellen, sozialen und technologischen Veränderungen
der Gesamtgesellschaft und ihrer Teilbereiche"
1
, ermitteln.
Kann die ärztliche Profession von den bestehenden Gesetzen und Regelungen, welche die
Standardisierung der Arbeitsabläufe zum Ziel haben, profitieren? Wenn nicht, welche
Probleme sind es, die die Anpassung an die gesetzlichen Vorschriften erschweren und wie
können diese bewältigt werden? Oder aber findet hier eine Deprofessionalisierung des
Ärztestandes statt?
Da ich im Rahmen meines Studiums ein sechswöchiges Praktikum im März und April 2009 in
einer Arztpraxis absolviert habe, werde ich einige Aspekte meiner Beobachtungen einbringen.
Die Praxisinhaberin ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, onkologisch
verantwortliche Ärztin und führt die Zusatzbezeichnung ,medikamentöse Tumortherapie'
(Prüfung erfolgte an der Ärztekammer). Das Dienstleistungsspektrum dieser Praxis reicht von
einem ganzheitlichen Beratungs- und Behandlungskonzept im Bereich Frauenheilkunde und
Geburtshilfe,
über
Vorsorgeleistungen,
umfassende
individuelle
Beratungen
zur
Schwangerschaftsverhütung,
Teenager-
und
Sexualberatungen,
Behandlungen
von
Wechseljahresbeschwerden, individuelle Schwangerschaftsbetreuungen, psychosomatische
Beratungen
und
Behandlungen,
Chemotherapien
gynäkologischer
Tumoren,
Hormontherapien
bösartiger
Erkrankungen,
Behandlungen
von
Tumorschmerzen,
knochenstabilisierende Infusionen, Komplementärtherapien bis hin zu kostenpflichtigen
individuellen Gesundheitsleistungen (IGEL-Leistungen). Diese Arztpraxis hat seit ihrer
Entstehung 2004 ein Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001 aufgebaut und ist seit
April 2007 nach den aktuellsten Qualitätsmanagementrichtlinien zertifiziert.
1
Schütze, Fritz (1996): S. 196
Ich habe einen ganz einfachen
Geschmack ich bin immer mit
dem Besten zufrieden.
Oscar Wilde
3
Um sich dem Verhältnis von Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001 und ärztlicher
Profession widmen zu können, werden zunächst die Begrifflichkeiten ,,ärztliche Profession"
und ,,Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001" definiert. Innerhalb des zweiten Punktes,
der Darstellung der ärztlichen Profession, werden erstens der ,,Weg" zur ärztlichen Profession
aufgezeigt, zweitens ihr Aufgabenbereich und drittens ihr Status in der Gesellschaft. Der
dritte Punkt, welcher einen Überblick über das Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001
bereithält, beschreibt zu allererst den ,,Weg" zum Qualitätsmanagement, danach die Inhalte
dessen und zuletzt die Anwendung am Beispiel der gynäkologischen, geburtshilflichen und
onkologischen Arztpraxis. Nach der Darstellung des Verhältnisses des Qualitätsmanagements
nach DIN EN ISO 9001 und der ärztlichen Profession im vierten Punkt, erfolgt im fünften ein
zusammenfassendes Fazit.
Nicht nur der leichteren Lesbarkeit halber, sondern auch um folgende Kategorien festzulegen,
werden in diesem Text folgende Formen verwendet: Wenn von der ,,Ärztin" und der
,,Patientin" gesprochen wird, befinden wir uns im Kontext unserer Beispielarztpraxis. Wenn
hingegen die männliche Form verwendet wird, ist der Bereich des Allgemeinen angesprochen,
in dem selbstverständlich die weibliche Form immer mitgemeint ist.
4
2. Überblick: ärztliche Profession
,,Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein haben in Deutschland klassische gelehrte
Wissenstraditionen, nämlich Jurisprudenz, Medizin und Theologie, die Vorstellung von
Professionen als Berufe eines besonderen Typs geprägt. Jeder dieser gelehrten Stände
repräsentiert wesentliche gesellschaftliche Problembezüge der Person: Das Verhältnis zu Gott
(Theologie), zu anderen Menschen (Recht) und zu sich selbst (Medizin)."
2
,,Etymologisch lässt sich der Begriff ,Profession' auf das lateinische Verb ,profiteri'
zurückführen: dem Begriff wohnt demnach ursprünglich das subjektive Moment des
Bekenntnisses im Sinne eines (Ordens-)Gelübdes inne".
3
Diese schon im Wort angelegte
Bedingung erfüllt der ärztliche Beruf, denn es existiert in der ärztlichen Berufsordnung ein
professioneller Ethikkodex, der nach dem Vorbild des hippokratischen Eids, welcher um 400
v. Chr. entstand, entwickelt wurde - die ,Genfer Deklaration' des Weltärztebundes:
,,GELÖBNIS:
Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich:
mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.
Ich werde meinen Lehrern die schuldige Achtung und Dankbarkeit erweisen.
Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben.
Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein.
Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wahren.
Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes
aufrechterhalten.
Meine Kolleginnen und Kollegen sollen meine Schwestern und Brüder sein.
Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen
durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht,
Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale Stellung.
Ich werde jedem Menschenleben von seinem Beginn an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter
Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden.
Dies alles verspreche ich feierlich und frei auf meine Ehre."
4
Doch die Existenz eines Kodexes reicht bei Weitem nicht aus, um einen Beruf den Status der
Profession zu verleihen. Im Folgenden sollen die noch fehlenden Charakteristika skizziert
werden.
2
Combe, Arno und Helsper, Werner (1996): S. 14f
3
Pfadenhauer, Michaela (2003): S. 31
4
http://www.bundesaerztekammer.de
5
2.1 Der Weg zur ärztlichen Profession
Professionen ,,unterscheiden sich dadurch, dass sie die Berufsidee reflexiv handhaben, also
das Wissen und das Ethos eines Berufs bewusst kultivieren, kodifizieren, vertexten und damit
in die Form einer akademischen Lehrbarkeit überführen."
5
Da professionelles Wissen wissenschaftliches Wissen ist, erfordert es spezielle
Verfahrensweisen der Aneignung. Diese führen nicht nur über den theoretischen
Wissenserwerb, sondern auch über die interventionspraktische Habitusformation.
6
Aus
diesem Grund lässt sich von einer ,,doppelten" Professionalisierung sprechen: Der erste
Schritt ist die Professionalisierung im wissenschaftlichen Diskurs, der zweite die
Professionalisierung in der Praxis des Arbeitsbündnisses.
7
Fritz Schütze bezeichnet die speziellen Wissensbestände der Professionellen als
,,höhersymbolische Sinnwelten", zu denen der Patient keinen Zugang hat, da diese
Sinnquellen beinhalten, die Sinnsphären entstammen, welche die Alltagswelt transzendieren
und deshalb nur durch eine akademische Ausbildung angeeignet und in professionellen
Praktika unter Anleitung durch Meister geübt werden können.
8
Diese Sinnquellen enthalten
abstrakte, generelle Kategorien, die der Arzt dann in konkreten Problem- und
Handlungssituationen respezifizieren muss.
9
Festhalten lässt sich, dass der Professionsnovize nicht nur in die wissenschaftliche, sondern
auch ethisch begründete höhersymbolische Sinnwelt einsozialisiert werden muss.
Da die Leistungen von Professionen hochgradig spezifisch sind, sichern sie sich eine gewisse
Unabhängigkeit gegenüber der Einschätzung und Beurteilung ihrer Leistung Dritter, das
heißt, sie lassen sich weder durch den Markt noch administrativ kontrollieren. Deshalb sind
sie auf Selbstkontrolle angewiesen, die sie mit Hilfe einerseits der Verinnerlichung
professionsethischer Ideale, andererseits durch kollegiale Kontrolle sichern.
Die Professionellen, die sich in Berufsverbänden zur Selbstverwaltung organisieren, besitzen
zudem die Autonomie der Kontrolle über Standards der Berufsausübung und der Ausbildung.
Die Ärztin unserer Beispielarztpraxis hat ihr Abitur mit 1,0 bestanden und konnte so das
Medizinstudium an der HumboltUniversität zu Berlin aufnehmen. Mit erfolgreich
abgeschlossenem Medizinstudium erfolgte die Approbation durch die Senatsverwaltung für
Gesundheit in Berlin. So dann arbeitete sie zehn Jahre in verschiedenen Krankenhäusern.
5
Stichweh, Rudolf (1996): S. 51
6
Vgl. Oevermann, Ulrich (1996): S. 123
7
Vgl. Oevermann, Ulrich (1996): S. 126
8
Vgl. Schütze, Fritz (1996): S. 183ff
9
Vgl. Schütze, Fritz (1996): S. 191
6
Innerhalb dieser zehn Jahre absolvierte sie eine fünfjährige Facharztausbildung für
Gynäkologie und Geburtshilfe (Prüfung erfolgte an der Ärztekammer). Danach ging die
Ärztin in die Niederlassung und praktiziert seither auf den Gebieten der Gynäkologie,
Geburtshilfe und Onkologie. Sie ist Mitglied in folgenden Berufsverbänden: Regionales
Tumorzentrum e.V., Berufsverband der Frauenärzte e.V., Bund Niedergelassener
Gynäkologischer Onkologen (BNGO) und Kassenärztliche Vereinigung Thüringen.
Der Wissenserwerb ist mit der Ausbildung keineswegs abgeschlossen, denn nach SGB V § 95
besteht eine Fortbildungsverpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigung, die alle fünf Jahre
den Nachweis von entweder 250 Fortbildungspunkten oder den Erhalt eines
Fortbildungszertifikats der Landesärztekammer fordert. Die Landesärztekammer führt ein
Punktekonto, dessen aktuellen Punktestand sie der Kassenärztlichen Vereinigung meldet.
Zusätzlich muss ein onkologisch verantwortlicher Arzt jährlich an mindestens sechs
Tumorkonferenzen oder Qualitätszirkeln, welche von der Kassenärztlichen Vereinigung, der
Ärztekammer oder den Tumorzentren anerkannt sind, teilnehmen. Weiterhin muss er eine
kontinuierliche
Fortbildung
durch
die
regelmäßige
Teilnahme
an
zertifizierten
Fortbildungsveranstaltungen nachweisen (jährlich mindestens 40 Fortbildungspunkte). Selbst
das Praxispersonal muss im Rahmen dieser Onkologievereinbarung der Kassenärztlichen
Vereinigung an jährlich mindestens zwei onkologischen Fortbildungsveranstaltungen
teilnehmen.
10
Die Folgen von unzureichender Fortbildung belaufen sich von Honorarkürzungen bis hin zu
Verfahren auf Zulassungsentzug.
10
Vgl.: http://www.kv-thueringen.de: Onkologievereinbarung der Kassenärztlichen Vereinigung
7
2.2 der aufgabenbereich der ärztlichen profession
Professionen sind zuständig für ,,ein existentielles, ohne spezialisiertes Wissen nicht mehr
bewältigbares Problem einer individuellen Klientel in einem konkreten soziokulturellen
Lebenszusammenhang."
11
Im Falle der ärztlichen Profession handelt es sich bei dem Problem
um eine Krankheit, deren Bewältigung dem Patienten ohne die Hilfe und das Expertenwissen
des Arztes als unmöglich erscheint. Professionalisiertes Handeln ist Ulrich Oevermann
zufolge, nicht als Ausübung einer monologischen technischen Problemlösung, sondern als
Beziehungspraxis zu verstehen. Demnach besteht ein ,,Arbeitsbündnis" zwischen dem Arzt
und dem Patienten, dessen leibliche Beschädigung beseitigt beziehungsweise gemindert
werden soll.
12
Dieses Arbeitsbündnis bedarf selbstverständlich einer Intimbeziehung, die auf
bedingungsloses Vertrauen gründet. Der Arzt interpretiert die Aussagen des Patienten
,,höhersymbolisch", das heißt nicht alltagsweltlich und nicht unmittelbar, sondern mit Hilfe
seiner professionellen Wissensbestände.
13
Der Patient präsentiert seine Problematik in einer
konkreten Erleidenssituation, die zugleich seine Lebenssituation ist. Dies wird als
,,Fallcharakter" bezeichnet, was bedeutet, dass die Problematik in die Handlungs-, Erleidens-
und Aufgabenbezüge des Lebens des Patienten eingebettet ist und deshalb ständiger
Veränderungen unterliegt, nämlich durch das Leben des Patienten, Veränderungen des
gesellschaftlichen Bezugsrahmens und durch Handlungseinwirkungen des Professionellen
selbst.
14
Was der ,Fall' ist, ist demzufolge das Ergebnis eines interaktiven
Konstruktionsprozesses zwischen dem Arzt und dem Patienten.
Professionelle Arbeitsaufgaben sind nicht routinisierbar im Gegensatz zu routinisierbar,
unbestimmt im Gegensatz zu technologisierbar und aktiv im Gegensatz zu träge.
15
Deshalb
lassen sich zur Bearbeitung der Probleme keine standardisierten Verfahren anwenden.
Professionelle bearbeiten ihr ,,Rohmaterial" indem sie dessen Status ändern aus Gesunden
werden Kranke. Demzufolge schaffen sie neue kulturelle Wirklichkeiten und zugleich ein
Terrain, auf dem nur sie tätig sein können.
16
Damit erzeugen sie Probleme auf die sie dann
alleiniges Anrecht zur Bearbeitung haben.
11
Combe, Arno und Helsper, Werner (1996): S. 21
12
Vgl. Oevermann, Ulrich (1996): S. 115
13
Vgl. Schütze, Fritz (1996): S. 185
14
Vgl. Schütze, Fritz (1996): S. 191f
15
Vgl. Klatetzki, Thomas (2005): S. 253
16
Vgl. Klatetzki, Thomas (2005): S. 263
8
Nach Andrew Abbott lässt sich strukturell professionelle Arbeit als Dreischritt von Diagnose,
Inferenz und Behandlung interpretieren.
17
Mit Hilfe der Diagnose nimmt der Arzt Informationen in sein professionelles Wissenssystem
auf, denn nur er kann diese ganz bestimmten Realitäten wahrnehmen. Abbott bezeichnet dies
als ,,seherische Kompetenz". Die Diagnostik hat einen dualen Charakter: Erstens sucht der
Arzt nach der richtigen professionellen Wissenskategorie für das zu bearbeitende Problem
und zweitens blendet er alle irrelevanten Eigenschaften des Problems aus. Der Prozess besteht
demzufolge aus dem Sammeln und Zusammenfügen von Informationen nach Regeln und
Standards und aus deren Klassifikation und Kategorisierung. Die Kunst des ärztlichen
Handelns, so Abbott, besteht nun darin das richtige Muster auszuwählen.
Die Inferenz ist die kognitive Schlussfolgerung, die mit Hilfe der aus der Diagnose
gewonnenen Informationen Behandlungsmöglichkeiten ableitet. Abbott zufolge, ist sie die
reinste Domäne professioneller Kompetenz, weil sie sich am weitesten den Möglichkeiten der
Formalisierung und Technisierung entzieht. Die kognitive Schlussfolgerung ist
unumgänglich, da die Beziehung zwischen Diagnose und Behandlung nicht immer eindeutig
ist. Die Inferenz kann sich zweier Verfahren bedienen: entweder der Exklusion, hier werden
weitere diagnostische Untersuchungen vorgenommen, oder der Konstruktion, hier erkennt der
Arzt einen hypothetischen Zusammenhang zwischen Diagnose und Behandlung.
Die Behandlung ist die Weitergabe von Informationen in Form von Behandlungsvorschriften,
welche nicht zwangsläufig von den Professionellen ausgeführt werden muss, wie zum
Beispiel die Medikamentenverabreichung durch die Arztschwestern. Allerdings ist es
wahrscheinlicher, je spezifischer die Behandlung ist. An dieser Stelle ist noch hinzuzufügen,
dass Professionelle generell weniger wichtige Aufgaben an untergeordnete Berufsgruppen mit
geringeren Ausbildungsanforderungen delegieren.
18
Das Ziel der ärztlichen Profession ist es,
eine eindeutige Beziehung zwischen den Systemen Diagnose und Behandlung herzustellen.
Diese birgt allerdings eine Ambivalenz in sich: Einerseits bietet sie einen Gewinn an
Sicherheit und Vereinfachung, andererseits macht Eindeutigkeit das Handeln routinisierbar.
Damit würde es seinen unbestimmten und exklusiven Charakter verlieren und die Möglichkeit
der Deprofessionalisierung bieten, so Andrew Abbott.
Thomas Klatetzki hat die Professionelle Arbeit diesem Ansatz nach wie folgt
zusammengefasst: ,,Sie ist eine Form der Wahrnehmung beziehungsweise Deutung von
17
Vgl. Klatetzki, Thomas (2005): S. 257ff
18
Vgl. Pfadenhauer, Michaela (2003): S.33