Lade Inhalt...

Der Irakkrieg 2003 im deutschen Fernsehen

Eine quantitative Inhaltsanalyse von 'tagesschau' und 'RTL aktuell'

©2006 Diplomarbeit 192 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Kriege und Katastrophen sind allgegenwärtig, auch wenn sie wohl kaum einer von uns jemals am eigenen Leib miterleben musste. Unser Wissen darum ist jedoch durch die audiovisuellen Medien so umfangreich und aktuell wie nie zuvor. So sind die schrecklichen Bilder des 11. Septembers 2001, die wir zumeist vom heimischen Wohnzimmer aus miterlebten, unvergessen. Im Golfkrieg 1991 waren wir ebenfalls live dabei: Die Objektive der Kameras und die Augen und Ohren der Journalisten waren stellvertretend an unser statt vor Ort. Modernste Kommunikationstechnik lieferte die Eindrücke der Reporter in Sekundenschnelle auf unsere Fernsehbildschirme. Doch Medien, die über Kriege und Konflikte berichten, geraten schnell selbst ins Gefahr: Während das Publikum nach immer aktuelleren Informationen und Bildern verlangt, erweist sich deren Beschaffung im Kriegsgebiet als große Herausforderung. Gerade Fernsehjournalisten, die permanentem Aktualitäts- und Konkurrenzdruck ausgesetzt sind, laufen dabei Gefahr, von politischen Interessen instrumentalisiert zu werden. Zu den Waffen moderner Kriegsführung gehört nicht zuletzt der Versuch, Informationen und Bilder gezielt zu steuern, zu verteilen oder auch zu verknappen. Seit Beginn der Geschichtsschreibung war der Einsatz von Propaganda ‘ein entscheidender Aspekt der Kriegsführung’. Die Beschaffung von Informationen wird zudem durch das medienpolitische Instrument der Zensur erschwert, das zum Schutz der eigenen Truppen die Freiheit der Berichterstattung in Kriegs- und Krisenzeiten einschränkt. Dieser Umstand wirkt sich für die Kriegsreporter äußerst nachteilig aus: Der Mythos vom unblutigen und sauberen Krieg in Afghanistan war letztendlich auch dem Umstand geschuldet, dass Berichterstattern der Zugang zum Kriegsgeschehen, seiner Toten und Verletzten verwehrt blieb. Die Beschränkungen, die die Journalisten im zweiten Golfkrieg hinnehmen mussten, waren gleichsam Resultat des Versuchs, Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen: Fernsehteams, zudem nur amerikanischen, war der Zugang zum Kriegsgeschehen lediglich im Pool-System an ausgewählten Kriegsschauplätzen möglich. Auf irakischer Seite zensierten Mitarbeiter des Informationsministeriums die produzierten Bilder, von denen einzig die Aufnahmen von CNN-Reporter Peter Arnett den Weg in die deutschen Sendeanstalten fanden. Das Dilemma, dass sich daraus ergab, ist schnell auszumachen: Wie berichten, wenn die Information nicht selbst überprüfbar ist? […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Cindy Thiele
Der Irakkrieg 2003 im deutschen Fernsehen
Eine quantitative Inhaltsanalyse von 'tagesschau' und 'RTL aktuell'
ISBN: 978-3-8428-0627-6
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Technische Universität Ilmenau, Ilmenau, Deutschland, Diplomarbeit, 2006
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und der Verlag, die Autoren oder
Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl.
verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

Inhaltsverzeichnis
5
I
NHALTSVERZEICHNIS
A
BBILDUNGSVERZEICHNIS
1 E
INFÜHRUNG
...11
1.1 Erkenntnisinteresse ... 12
1.2 Aufbau der Arbeit ... 13
2 F
ORSCHUNGSSTAND
...15
2.1 Journalismusforschung...15
2.1.1 Zur Identifizierung von Journalistik... 15
2.1.2 Traditionen und Konzepte... 17
2.1.2.1 Der normative Individualismus... 19
2.1.2.2 Die materialistischen Medientheorien ... 20
2.1.2.3 Der analytische Empirismus... 21
2.1.2.4 Der legitimistische Empirismus ... 21
2.1.2.5 Die (kritischen) Handlungstheorien... 22
2.1.2.6 Die funktionalistischen Systemtheorien ... 23
2.1.2.7 Die integrativen Sozialtheorien... 24
2.1.2.8 Die Cultural Studies... 30
2.1.3 Themen der empirischen Journalismusforschung ... 31
2.1.3.1 System... 32
2.1.3.2 Struktur... 33
2.1.3.3 Leistungen... 34
2.1.3.4 Akteure ... 34
2.1.3.5 Produkte ... 37
2.2 Kriegs- und Krisenkommunikationsforschung...39
2.2.1 Terminologie... 39
2.2.1.1 Krieg ­ Krise ­ Krisenkommunikation... 39
2.2.1.2 Kriegsberichterstattung... 40
2.2.2 Historische Perspektive... 41
2.2.3 Theoretischer Kontext ... 46
2.2.3.1 Die Nachrichtenwerttheorie ... 47
2.2.3.2 Agenda-Setting ... 51
2.2.3.3 Framing und Priming ... 53
2.2.3.4 Konstruktivistisch-systemtheoretische Ansätze... 55
2.2.4 Empirische Befunde... 63
2.2.4.1 Nutzung- Rezeption ­ Wirkung... 64
2.2.4.2 Produktion ... 65

Inhaltsverzeichnis
6
2.3 Medienangebotsforschung ...68
2.3.1 Terminologie... 68
2.3.2 Medieninhaltsanalyse... 69
2.3.2.1 Kennzeichen ... 69
2.3.2.2 Definition und Begriffe... 70
2.3.2.3 Fragestellungen ... 71
2.3.3 Medienangebote der Kriegs- und Krisenberichterstattung ... 74
2.3.3.1 Kriegsphasen... 76
2.3.3.2 Akteure und Quellen ... 77
2.3.3.3 Themen ... 78
3 F
ORSCHUNGSDESIGN
...80
3.1 Forschungsfragen...80
3.2 Untersuchungsdesign ...82
3.2.1 Auswahl der Methode... 82
3.2.2 Untersuchungsgegenstand und Erhebungszeitraum ... 82
3.2.3 Analyseeinheit und Zugriffskriterium... 83
3.2.4 Systematik der Bild- und Textkodierung ... 83
3.2.5 Pretest und Intracoder-Reliabilität ... 86
3.3 Operationalisierung der Forschungsfragen...87
3.3.1 Intensität... 87
3.3.2 Quantitativer Verlauf ... 87
3.3.3 Journalistische Rollen ... 88
3.3.4 Themen... 90
3.3.5 Visualisierung des Kampfgeschehens ... 94
3.3.6 Akteure... 94
3.3.7 Quellen ... 95
3.3.8 Quellenumgang... 96
3.4 Methodische Besonderheiten und Probleme ...97
4 E
RGEBNISSE
... 101
4.1 Chronologie der Ereignisse...101
4.2 Datenbasis ...103
4.3 Auswertung ...104
4.3.1 Intensität... 104
4.3.2 Quantitativer Verlauf ... 106
4.3.3 Journalistische Rollen ... 111
4.3.4 Themenaspekte... 114
4.3.5 Visualisierung des Kampfgeschehens ... 130

Inhaltsverzeichnis
7
4.3.6 Akteure... 133
4.3.7 Quellen ... 140
4.3.7.1 Informationsquellen... 140
4.3.7.2 Bild- und Tonquellen... 142
4.3.8 Quellenumgang... 143
4.4 Zusammenfassung ...147
5 F
AZIT UND
A
USBLICK
... 154
6 L
ITERATUR
... 160
7 A
NHANG
...174

Abbildungsverzeichnis
8
A
BBILDUNGSVERZEICHNIS
A
BBILDUNG
1:
System Journalismus: Einflussfaktoren ... 27
A
BBILDUNG
2:
Intensität der Irakberichterstattung der
TAGESSCHAU
im Erhebungszeitraum ... 104
A
BBILDUNG
3:
Intensität der Irakberichterstattung von RTL
AKTUELL
im Erhebungszeitraum ... 105
A
BBILDUNG
4:
Intensität der Irakberichterstattung von
TAGESSCHAU
und RTL
AKTUELL
im Erhebungszeitraum ... 106
A
BBILDUNG
5:
Anteiliger Verlauf der gesamten
Irakberichterstattung in % ... 107
A
BBILDUNG
6:
Quantitativer Verlauf der Irakberichterstattung in % ... 108
A
BBILDUNG
7:
Quantitativer Verlauf der Irakberichterstattung in Minuten ... 108
A
BBILDUNG
8:
Irakberichterstattung der
TAGESSCHAU
und RTL
AKTUELL
in den Kriegsphasen in %... 109
A
BBILDUNG
9:
Sendeminuten und prozentualen Anteile der
Irakberichterstattung in den Kriegphasen ... 110
A
BBILDUNG
10:
Anteile der Beitragsformate an der Gesamtsendedauer
in % ... 113
A
BBILDUNG
11:
Wertetabelle der absoluten und anteiligen Beitragszahlen
und Sendeminuten ... 113
A
BBILDUNG
12:
Verteilung der Themenkategorien in
der
TAGESSCHAU
in % ... 115
A
BBILDUNG
13:
Verteilung der Themenkategorien
bei RTL
AKTUELL
in %... 116
A
BBILDUNG
14:
Wertetabelle der absoluten und prozentualen Zahlen
der Themenkategorien im Erhebungszeitraum... 118
A
BBILDUNG
15:
Prozentuale Verteilung der Themenkategorien
im Erhebungszeitraum ... 119
A
BBILDUNG
16:
Wertetabelle der absoluten und prozentualen gesamten
Zahlen der Themenkategorien im Erhebungszeitraum ... 119
A
BBILDUNG
17:
Prozentuale Verteilung der Themenkategorien in den
Korrespondenten-Beiträgen ... 120
A
BBILDUNG
18:
Verteilung der Themenkategorien in allen
Korrespondenten-Beiträgen in % ... 122

Abbildungsverzeichnis
9
A
BBILDUNG
19:
Wertetabelle der absoluten Sendeminuten und
prozentualen Verteilung der Themenkategorien in
den Korrespondenten-Beiträgen ... 122
A
BBILDUNG
20:
Verteilung der Themenkategorien in den Heimat-Beiträgen
der
TAGESSCHAU
und RTL
AKTUELL
in %... 123
A
BBILDUNG
21:
Verteilung der Themenkategorien in allen Heimat-Beiträgen
in % ... 124
A
BBILDUNG
22:
Wertetabelle der absoluten Sendeminuten und prozentualen
Verteilung der Themenkategorien in den Heimat-Beiträgen... 125
A
BBILDUNG
23:
Verteilung der Themenkategorien in den
Embedded-Beiträgen von RTL
AKTUELL
in %... 126
A
BBILDUNG
24:
Wertetabelle der absoluten Sendeminuten und prozentualen
Verteilung der Themenkategorien in den Embedded-Beiträgen... 127
A
BBILDUNG
25:
Anteile der Beitragsformate an den Themenkategorien
in % ... 128
A
BBILDUNG
26:
Wertetabelle der absoluten Sendeminuten und
prozentualen Verteilung der Themenkategorien
in den Beitragsformaten... 129
A
BBILDUNG
27:
Wertetabelle der absoluten und anteiligen Zahlen
der Bilder mit sichtbaren Kampfhandlungen im
Erhebungszeitraum ... 130
A
BBILDUNG
28:
Wertetabelle der absoluten und anteiligen Zahlen
der Bilder mit sichtbaren Kampfhandlungen
während der Kriegsphase... 130
A
BBILDUNG
29:
Verlauf der Bilder sichtbarer
Kampfhandlungen in der Irakberichterstattung in % ... 132
A
BBILDUNG
30:
Verteilungen der Akteurs-Kategorie P
OLITIK
in der
TAGESSCHAU
und RTL
AKTUELL
in %... 134
A
BBILDUNG
31
:
Verteilungen der Akteurs-Kategorie M
ILITÄR
in der
TAGESSCHAU
und RTL
AKTUELL
in %... 135
A
BBILDUNG
32:
Verteilung der Akteurs-Kategorien in der
TAGESSCHAU
und RTL
AKTUELL
in %... 136
A
BBILDUNG
33:
Gesamtverteilung der Akteurs-Kategorien in Prozent... 138
A
BBILDUNG
34:
Wertetabelle der absoluten Häufigkeiten und prozentualen
Anteile der Akteurs-Auftritte ... 139
A
BBILDUNG
35:
Verwendete Informationsquellen im Erhebungszeitraum in % ... 140

Abbildungsverzeichnis
10
A
BBILDUNG
36:
Wertetabelle der absoluten Zahlen und prozentualen
Anteile der Informationsquellen ... 141
A
BBILDUNG
37:
Grafik der insgesamt verwendeten Bildquellen in Prozent... 142
A
BBILDUNG
38:
Wertetabelle der absoluten Zahlen und prozentualen
Anteile der Bildquellen ... 144
A
BBILDUNG
39:
Wertetabelle der absoluten Zahlen der Quelleneinschätzungen
im Erhebungszeitraum ... 146

Einführung
11
1
E
INFÜHRUNG
Kriege und Katastrophen sind allgegenwärtig, auch wenn sie wohl kaum einer
von uns jemals am eigenen Leib miterleben musste. Unser Wissen darum ist
jedoch durch die audiovisuellen Medien so umfangreich und aktuell wie nie
zuvor. So sind die schrecklichen Bilder des 11. Septembers 2001, die wir zumeist
vom heimischen Wohnzimmer aus miterlebten, unvergessen. Im Golfkrieg 1991
waren wir ebenfalls live dabei: Die Objektive der Kameras und die Augen und
Ohren der Journalisten waren stellvertretend an unser statt vor Ort. Modernste
Kommunikationstechnik lieferte die Eindrücke der Reporter in Sekundenschnelle
auf unsere Fernsehbildschirme. Doch Medien, die über Kriege und Konflikte
berichten, geraten schnell selbst ins Gefahr: Während das Publikum nach immer
aktuelleren Informationen und Bildern verlangt, erweist sich deren Beschaffung
im Kriegsgebiet als große Herausforderung. Gerade Fernsehjournalisten, die
permanentem Aktualitäts- und Konkurrenzdruck ausgesetzt sind, laufen dabei
Gefahr, von politischen Interessen instrumentalisiert zu werden. Zu den Waffen
moderner Kriegsführung gehört nicht zuletzt der Versuch, Informationen und
Bilder gezielt zu steuern, zu verteilen oder auch zu verknappen. Seit Beginn der
Geschichtsschreibung war der Einsatz von Propaganda ,,ein entscheidender
Aspekt der Kriegsführung"
1
. Die Beschaffung von Informationen wird zudem
durch das medienpolitische Instrument der Zensur erschwert, das zum Schutz
der eigenen Truppen die Freiheit der Berichterstattung in Kriegs- und
Krisenzeiten einschränkt. Dieser Umstand wirkt sich für die Kriegsreporter
äußerst nachteilig aus: Der Mythos vom unblutigen und sauberen Krieg in
Afghanistan war letztendlich auch dem Umstand geschuldet, dass
Berichterstattern der Zugang zum Kriegsgeschehen, seiner Toten und Verletzten
verwehrt blieb. Die Beschränkungen, die die Journalisten im zweiten Golfkrieg
hinnehmen mussten, waren gleichsam Resultat des Versuchs, Einfluss auf die
öffentliche Meinung zu nehmen:
1
Kunczik 1992: 5.

Einführung
12
Fernsehteams,
zudem
nur
amerikanischen,
war
der
Zugang
zum
Kriegsgeschehen lediglich im Pool-System an ausgewählten Kriegsschauplätzen
möglich.
Auf
irakischer
Seite
zensierten
Mitarbeiter
des
Informationsministeriums die produzierten Bilder, von denen einzig die
Aufnahmen von CNN-Reporter Peter Arnett den Weg in die deutschen
Sendeanstalten fanden. Das Dilemma, dass sich daraus ergab, ist schnell
auszumachen: Wie berichten, wenn die Information nicht selbst überprüfbar ist?
Wie mit Bildern umgehen, deren Herkunft zweifelhaft erscheint? Die veränderte
Medienpolitik der alliierten Streitkräfte im dritten Golfkrieg, die es Journalisten
nun ermöglichte, die Truppen bei ihrem Feldzug gegen Saddam Hussein und
seine Regime zu begleiten, schien naiven Betrachtern ein Ausweg aus der
Problematik eines reglementierten Informationszugangs zu sein und förderte
nicht zuletzt deshalb zahlreiche interdisziplinäre Diskussionen.
1.1 Erkenntnisinteresse
Dem Konflikt der Journalisten, abwägend zwischen Informations- und
Sorgfaltspflicht, ist nach Meinung vieler Autoren nur mit größtmöglicher
Quellentransparenz und dem Entsenden eigener Korrespondenten in die
Kriegsgebiete beizukommen. Gerade letzteres bietet die Gelegenheit,
unterschiedliche Erfahrungsberichte, Eindrücke und vor allem selbst gedrehtes
Material und eigens recherchierte Informationen zu einem vielseitigen Bild zu
verknüpfen. Doch wie lange dabei das Interesse der Medien für einen Krieg und
seine Beteiligten anhält, unterliegt, wie es die Journalistin Bettina Gaus
beispielhaft formuliert, ganz eigenen Gesetzen:
,,Es gibt kaum eine vergleichbar schwierigere Aufgabe wie die, den Opfern über
einen längeren Zeitraum hinweg eine Stimme zu verleihen. [...]. Irgendwann
wurden die entsprechenden Nachrichten zu Kurzmeldungen, und schließlich
verschwanden sie ganz"
2
.
2
Gaus 2004: 118f.

Einführung
13
Doch wie groß war das Interesse der deutschen Fernsehsender, über den
Irakkrieg 2003 zu berichten und wie lange hielt es an? Welche Themen
dominierten dabei die Berichterstattung und welche Rolle kam dabei den
Korrespondenten, die aus dem Irak und seiner Nachbarländer berichteten, den
,,eingebetteten" Reportern und den Journalisten in der Heimatredaktion zu?
Welche Akteure kamen in der Berichterstattung zu Wort und welche
Informationsquellen machte sie transparent? Welche Bedeutung hatte dabei das
Bildmaterial fremder Sender und wie gingen die Journalisten mit den
erhaltenden
Informationen
um? Und
schließlich:
Inwieweit
wurden
Kriegshandlungen in den Fernsehnachrichten visualisiert? Diese Fragen, die an
bestehende Studien in der Tradition der Medienangebotsforschung anknüpfen
und
deren
Erkenntnisgewinn
über
die
Inhalte
und
Muster
der
Kriegsberichterstattung prüfen und erweitern wollen, versucht die vorliegende
Arbeit mit Hilfe einer quantitativen Inhaltsanalyse zu beantworten. Dabei muss
eingeschränkt werden, dass trotz des Versuchs einer Bewertung und Einordnung
der Ergebnisse die Untersuchung eher deskriptiv angelegt ist. Inferenzschlüsse
über das Zustandekommen der Inhalte können im Rahmen dieser Arbeit deshalb
nur spekulativer Natur sein.
Als Untersuchungsobjekte wurden, exemplarisch für einen öffentlich-rechtlichen
und einen privaten Sender, die Hauptnachrichten der ARD (
TAGESSCHAU
) und
RTL (RTL
AKTUELL
) ausgewählt und der Analyse im Zeitraum vom 04. März bis
23. April 2003 unterzogen.
1.2 Aufbau der Arbeit
Sich mit Kriegsberichterstattung auseinanderzusetzen, bedeutet zunächst, das
Feld der Journalismusforschung zu erschließen. Dabei allen Facetten gebührende
Beachtung zu schenken, ist im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten. Deshalb
bietet Kapitel 2.1 einen Überblick über die Traditionen und Konzepte, die die

Einführung
14
Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand geleitet haben und stellt
anschließend die wichtigsten Themen der empirischen Journalismusforschung
vor. Dabei spannt die Auseinandersetzung mit den Merkmalen journalistischer
Produkte den Bogen zu Kapitel 2.2., das sich dem Feld der Kriegs- und
Krisenkommunikationsforschung widmet. Dabei werden zunächst die Begriffe
K
RIEG
und K
RISE
in der Kommunikationswissenschaft verortet. Eine historischer
Abriss verschafft danach wichtige Einblicke in die Entwicklung der
Kriegsberichterstattung. Die theoretischen Grundlagen der Kriegs- und
Krisenkommunikation finden ihre Entsprechung in den Konzepten und
Konstrukten der Kommunikationswissenschaften und stützen sich dabei zumeist
auf theoretische Ansätze mittlerer Reichweite, von denen ausgewählte in Punkt
2.2.3
vorgestellt
werden.
Das
Kapitel
K
RIEGS
-
UND
K
RISENKOMMUNIKATIONSFORSCHUNG
schließt ab mit einem Überblick über die
wichtigsten empirischen Befunde, die die Forschung zu Tage befördert hat.
Dabei wird der Medienangebotsforschung, in deren Tradition diese Arbeit steht,
ein separates Kapitel (2.3) gewidmet, in dem zunächst terminologische Fragen
erörtert und die Methode der Medieninhaltsanalyse vorgestellt werden. Die
Erläuterungen des Forschungsstandes schließen dann unter 2.3.3 ab, in dem die
wichtigsten Befunde der Forschung auf dem Gebiet der Kriegs- und
Krisenberichterstattung dargelegt werden.
Die Konzeption der Untersuchung wird in Kapitel 3 vorgestellt, das sich als
erstes mit dem Untersuchungsdesign beschäftigt und anschließend erläutert, wie
die eingangs formulierten Forschungsfragen (3.1) operationalisiert wurden.
Abschließend werden methodische Besonderheiten und Probleme, die sich bei
der Durchführung der Analyse ergeben haben, transparent gemacht. Kapitel 4
stellt zunächst in einer Einzelanalyse die Ergebnisse, deren Reihenfolge sich an
den aufgestellten Forschungsfragen orientiert, vor und fasst die wesentlichen
Erkenntnisse in einer abschließenden Betrachtung zusammen. Kapitel 5 bewertet
die erzielten Ergebnisse und ordnet sie in den beschriebenen Forschungsstand
ein. Methodenkritik und perspektivische Betrachtungen schließen die Arbeit ab.
Der Anhang der Arbeit enthält das Codebuch der Inhaltsanalyse.

Journalismusforschung
15
2
F
ORSCHUNGSSTAND
2.1 Journalismusforschung
2.1.1 Zur Identifizierung von Journalistik
Der Terminus Journalistik lässt sich mindestens bis zum Beginn des 19.
Jahrhunderts zurückverfolgen - als Heinrich von Kleist 1810 sein ,,Lehrbuch der
französischen Journalistik" veröffentlichte. Sein Werk, das zuerst in den ,,Berliner
Abendblättern" publiziert wurde, schrieb er aus aktuellem Anlass: Gerade erst,
im Zuge der französischen Besetzung, war in Deutschland der Begriff
,,Journalist" an Stelle des Terminus ,,Zeitunger" durchgesetzt worden (vgl.
Weischenberg 2004: 14). ,,Die Journalistik, überhaupt, ist die treuherzige und
unverfängliche Kunst, das Volk von dem zu unterrichten, was in der Welt
vorfällt", so die einleitenden Worte von Heinrich von Kleist. Dass es sich bei
seinem ,,Lehrbuch der französischen Journalistik" jedoch vielmehr um, wie
Weischenberg (2004: 13) formuliert, ,,Polemik" als um ein wissenschaftliches
Einführungswerk handelt, wird beim Vertiefen der Lektüre deutlich: ,,Was das
Volk nicht weiß, macht das Volk nicht heiß. Was man dem Volk dreimal sagt,
hält das Volk für wahr" (zit. n: Kisch 1979: 89ff). Kleist unterscheidet zwischen
den normativen Ansprüchen an den Journalismus einerseits und der
Medienrealität andererseits. Journalistik versteht Kleist jedoch im Sinne von
`Journalismus` oder `Presse` (vgl. Weischenberg 2004: 13) Dies entspricht der
Begriffsdefinition, die aus dem 19. Jahrhundert bekannt ist. Auch Friedrich
Nietzsche übersetzte Journalistik, durchaus im Wortsinn, aber polemisch als
,,Tagelöhnerei" (zit. n. Weischenberg 2004:13). Um die Jahrhundertwende erhielt
die ,,Journalistik" in verschiedenen Veröffentlichungen einen neuen Terminus. In
seinem ,,Handbuch der Journalistik" gebrauchte im Jahre 1902 erstmals Richard
Wrede den Journalistikbegriff im heutigen Sinn ­ als wissenschaftlich-

Journalismusforschung
16
reflektierende Auseinandersetzung mit dem Berufs- und Arbeitsfeld
Journalismus (vgl. Löffelholz 2003: 28).
Die ersten Bemühungen um eine hochschulgebundene Journalistenausbildung
lassen sich für den Beginn des 19. Jahrhunderts datieren. In seinen 1912
publizierten skizzenhaften Ausführungen über ,,Journalisten-Vorbildung an
Universitäten" wandte sich Karl Bücher gegen Vorstellungen von Journalismus
als Begabungsberuf. Er entwarf Labore und Kurse an der Hochschule, in denen
systematisch das journalistische Handwerk vermittelt werden sollte (vgl.
Weischenberg 2004: 23).
Seit Mitte der Siebzigerjahre hat sich die Journalistik als Studienfach an
verschiedenen deutschen Universitäten etabliert. Dabei entstanden vielfältige
Ansichten und Auffassungen über das Beziehungsgefüge Journalistik und
Journalismus. Die journalismustheoretischen Tendenzen im deutschen
Sprachraum charakterisiert Löffelholz (2003: 29) als Spannungsfelder zwischen
Journalistik und Kommunikationswissenschaft. Dabei unterscheidet er drei
Richtungen: In Anlehnung an Vorstellungen aus den USA, die Aufgabe des
Fachs Journalistik sei in der Produktion journalistischen Nachwuchses zu sehen,
entwickelte sich ein exklusives Modell, das, im Sinne seines instrumentellen
Verständnisses, die Journalistik ohne kommunikationswissenschaftlichen Bezug
setzte. Das additive Modell begründet die Beziehung zwischen Journalistik und
Kommunikationswissenschaft zwar komplexer, orientiert sich dabei jedoch an
aktuellen Ansprüchen der beruflichen Praxis. Das Modell beschreibt die
Journalistik als eigenständige akademische Disziplin, die aber von den
Erkenntnissen der Kommunikationswissenschaft durchaus profitieren könne,
sofern deren Angebote für die journalistische Ausbildung von Nutzen seien.
Beiden Modellen liegt, so Löffelholz (ebd.), ein ,,reduktionistisches Journalistik-
Verständnis" zugrunde. Das integrative Modell hingegen platziert die
Journalistik in der Kommunikationswissenschaft. Die Journalistik ist demnach
als Bestandteil der Kommunikatorforschung anzusehen. Sie beschäftigt sich mit
den Strukturen, Prozessen und Leistungen des Entstehens von Medienangeboten
(vgl. ebd).

Journalismusforschung
17
2.1.2 Traditionen und Konzepte
Innerhalb
des
vergleichsweise
jungen
Fachs
der
Publizistik-
und
Kommunikationswissenschaft ist die Journalismusforschung eine Teildisziplin,
die ihren Aufschwung erst mit dem Aufkommen empirischer Studien in der
zweiten Hälfte der Sechziger und in der ersten Hälfte der Siebziger Jahren erlebte
(vgl. Böckelmann 1993: 37). Natürlich sind jedoch schon weitaus frühere Arbeiten
auszumachen, die sich mit dem Phänomen Journalismus auseinandersetzten: Die
Anfänge einer theoretischen Beschreibung des Gegenstandsfeldes Journalismus
sind eng mit dem Journalist, Romancier, Dramatiker und Hochschullehrer Robert
Eduard Prutz verbunden, der bereits vor mehr als einhundertfünfzig Jahren die
,,Geschichte des deutschen Journalismus" (Prutz 1971) publizierte. Prutz stellte
nicht Medien wie Zeitungen oder Zeitschriften in den Mittelpunkt seiner
Betrachtungen, sondern den Journalismus, dem er eine Vielfalt von Beziehungen
zu anderen gesellschaftlichen Bereichen attestierte. Neben Robert Eduard Prutz
ist vor allem der Jurist und Soziologe Max Weber als Vorbereiter einer
Journalismusforschung zu nennen, der Journalismus nicht allein über normative
Aufgabenzuschreibungen charakterisierte, sondern gleichsam versuchte, eine
Analyse des Journalismus über die empirische Sozialforschung zu realisieren.
Weber hat bereits 1924 in seinem ,,Vorbericht über eine vorgeschlagene
Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens" einen theoretischen und
methodischen Pluralismus postuliert und die Relevanz der Beziehung des
journalistischen Individuums und der Gesellschaft, unter besonderer
Berücksichtigung der Produktions- und Arbeitsbedingungen, betont (vgl. Kutsch
1988: 12ff). Weber entwarf unter anderem ein Kommunikatorprojekt, das
Erkenntnisse über Materialbeschaffung der Medien und Merkmale der
Journalisten zusammentragen sollte. Zudem regte Weber eine Inhaltsanalyse zur
Untersuchung von Selektion, Präsentation und Berichterstattungsmustern im
Journalismus
an
und
formulierte
schließlich
Fragestellungen
einer
Wirkungsanalyse (vgl. Kunzcik/Zipfel 2005: 141f). Sein empirisches Pilotprojekt
blieb jedoch, von Bemühungen des Reichsverbandes der Deutschen Presse,
Webers Ideen wenigstens in Auszügen zu realisieren, weitestgehend unbeachtet

Journalismusforschung
18
(vgl. Kutsch: 1988: 12ff). In zahlreichen Arbeiten zur Entwicklung der
Journalismusforschung wird Webers Projekt als eine sozialwissenschaftliche,
empirisch-analytisch, komparatistisch angelegte, quantitativ wie qualitativ
vorgehende, multimethodisch konzipierte Untersuchungsanlage gewürdigt (vgl.
Böckelmann1993: 31f; vgl. Löffelholz 2004a: 36f).
Heute bildet die Journalismusforschung im deutschsprachigen Raum ein
komplexes,
heterogenes
und
nach
verschiedenen
Ansätzen
und
Forschungsrichtungen differenziertes Bild. Die theoretische Beschreibung des
Journalismus blickt auf eine nicht-lineare und multiperspektivische Tradition
zurück. Theoriebildung zum Journalismus bedeutet gezielte Weiterentwicklung,
aber auch, wie es Löffelholz (2004a: 60) formuliert, ,,phantasievolle Einzelideen".
Die Fülle an empirischen Arbeiten und die Vielfalt der Fragestellungen und
Befunde, die die Journalismusforschung seit dem hervorgebracht hat, sind nach
wie vor kaum überschaubar. Bereits in den neunziger Jahren konstatierte
Manfred Rühl (1992: 127) in seiner Bestandsaufnahme zur Systematik
journalistischer
Konzepte:
,,[...]
ein
pluralistisches
Gefüge
sehr
verschiedenartiger Bestrebungen [...]. Die Weiterarbeit an den nebeneinander
herlaufenden, sich da und dort kreuzenden oder auch ineinander überleitenden
Forschungen scheint keine integrierende Journalismustheorie zu versprechen".
Zum gleichen Ergebnis kommt schließlich auch Weischenberg. Er unterscheidet
drei, von jeweils unterschiedlichem Journalismusverständnis geleitete, kaum
verbundene Richtungen der Kommunikatorforschung: Journalismus als
Addition von Personen, als Addition von Berufsrollen und Journalismus als
Ergebnis von Kommunikationsprozessen (vgl. Weischenberg 1994a: 231).
Im Vergleich zu den traditionellen Konzepten stellt Löffelholz (2003: 31ff) einen
neuen Systematisierungsversuch vor. Neben klassischen Konzepten werden
gleichsam Strömungen berücksichtigt, die auf die neuere soziologische Debatte
über die Interpretation von Mikro- und Makroansätzen Bezug nehmen.
Innerhalb dieses neuen Ordnungsrahmens ist der Begriff des ,,Theoriekonzepts"
nicht gleichzusetzen mit dem Terminus ,,theoretischer Ansatz". Das
,,Theoriekonzept" meint keinen in sich geschlossenen Ansatz, sondern
subsumiert unterschiedliche theoretische Ansätze, ,,die sich in ihrem
Entstehungskontext,
ihrer
Herangehensweise,
ihrem
jeweiligen

Journalismusforschung
19
Untersuchungsfokus, der Komplexität ihrer Theoriearchitektur und ihrem Ertrag
für die empirische Forschung ähneln" (Löffelholz 2003: 31). Die nachfolgend
beschriebenen Theoriekonzepte sind, so konstatiert Löffelholz (2004a: 60), als
das vorläufige Resultat eines komplexen und teilweise divergenten
multiperspektivischen wissenschaftlichen Diskurses mit einer Tradition von
annähernd 150 Jahren anzusehen.
2.1.2.1 Der normative Individualismus
Die Journalismusforschung der 50er und 60er Jahre orientierte sich überwiegend
an Biografien renommierter Publizisten und Journalisten bzw. ihren
Schilderungen von Berufs- und Lebensschicksal. Sie basierte überwiegend auf
zeitungswissenschaftlichen Vorstellungen der Vorkriegszeit und hier vor allem
auf der normativ-ontologischen Publizistik von Emil Dovifat. Indem angehende
oder nebenberuflich tätige Journalisten wissenschaftliche Arbeiten verfassten,
schuf sich der Stand sein eigenes Berufsbild (vgl. Langenbucher 1974). Der
Einfluss des individualistischen, praktizistischen Journalismusverständnisses ist
bis in die heutige Zeit nachweisbar (vgl. Löffelholz 2004a: 30). Die normativ-
ontologisch
geleitete
Publizistikwissenschaft
konzentrierte
sich
auf
journalistische Persönlichkeiten als geistige Gestalter von Medienbotschaften
(vgl. Löffelholz 2004a: 39). Im Zentrum der Forschung stand ,,Die publizistische
Persönlichkeit"
1
. Dieses Journalistenbild ist darauf zurückzuführen, dass
journalistische Praktiker seinerzeit Lehrstühle besetzten (vgl. Baum 1994: 171). So
verwundert es nicht, dass wie Saxer (1997: 42) anmerkt, ,,journalistische
Berufserfahrungen unreflektiert zu wissenschaftlichen Lehrsätzen aufsteigen"
konnten. Das Wissenschaftsverständnis dieses Ansatzes ist in seiner Summation
nicht mehr als ein Konstrukt aus ideologischen und praktischen Anschauungen
(vgl. Raabe 2005: 27ff).
1
Auszüge aus dem gleichnamigen Werk von Emil Dovifat machen das landläufige Journalismusverständnis
deutlich: ,,[...] eine extrovertierte Natur ist die Voraussetzung journalistischen Wirkens. [... .] Aus solcher
Grundveranlagung entfalten sich breitere persönliche Voraussetzungen der publizistischen Arbeit. Dazu
gehört die Einfühlung, fast möchte man sagen der Instinkt [...]. Diese geistige Triebkraft des Berufenseins, der
Wille, die Dinge anders, besser, wirksamer zu machen und dazu aufzurufen, die Kraft der Öffentlichkeit darauf
zu sammeln wie das Wasser über dem Mühlrad, diese Berufung macht den Publizisten und schafft seinen
Erfolg." (Dovifat 1990: 66ff).

Journalismusforschung
20
2.1.2.2 Materialistische Medientheorien
Die materialistische Medientheorie ist nach der Gründung der DDR im Jahr 1949
als ,,Sozialistische Journalistik" von Wissenschaftlern und insbesondere ihrem
Nestor Hermann Budzislawski an der Karl-Marx-Universität Leipzig entworfen
worden (vgl. Weischenberg 2004: 28f). Das Hauptaugenmerk der marxistisch-
leninistischen Journalistik lag darauf, ,,Erkenntnisse zum sozialistischen
Journalismus in die Medien zu tragen und Forschung damit auf direktem Wege
zu instrumentalisieren" (Weischenberg 2004: 33). Zudem unternahm man
zahlreiche Bemühungen, eine Theorie des ,,Sozialistischen Journalismus" direkt
aus den Werken von Marx, Engels und Lenin zu abstrahieren. So verweisen
Arbeiten ,,Zum Wesen des Journalismus" und ,,Organisatorische Grundlagen der
Redaktionsarbeit" direkt auf Auszüge klassisch kommunistischer Schriften (vgl.
ebd). In der DDR war die ,,Sozialistische Journalistik" berufspolitisch sehr
erfolgreich und monopolisierte die Journalistenausbildung. In der BRD hingegen
fristete die materialistische Medientheorie zeitgleich eher das Dasein einer
,,Nischen-Wissenschaft". Ihre Vertreter analysierten den Journalismus als
Produktionsprozess von Medienaussagen, der ,,klassenabhängig", den
Bedingungen der ,,Kapitalverwertung" und der Entwicklung der
,,Produktivkräfte" unterliege (zit. n. Löffelholz 2003: 34). ,,Dieser Ökonomismus,
aber auch die ideologische Zurichtung des Ansatzes haben seine theoretische
Komplexität wie seine empirische Relevanz gemindert ,, (ebd.).
2.1.2.3 Der analytische Empirismus
Die Überwindung des Praktizismus gelingt der Journalismusforschung in den
60er und 70er Jahren. Angeregt durch Ansätze, Methoden und Befunde der US-
amerikanischen Sozial- und Kommunikationsforschung wird in Deutschland die
Abkehr vom Normativismus und seinen geisteswissenschaftlichen Wurzeln
eingeläutet. Die Einsicht in die Notwendigkeit intersubjektiver Überprüfbarkeit
führt zu einer Umorientierung der deutschen Kommunikatorforschung, die sich
nun stärker den traditionellen Prinzipien der empirischen Sozialwissenschaft

Journalismusforschung
21
verpflichtet
fühlt.
Untersuchungen
der
empirisch-analytischen
Journalismusforschung
beschäftigten
sich
beispielsweise
mit
der
Professionalisierung und Sozialisation in Medienbetrieben, den beruflichen
Einstellungen von Journalisten oder mit redaktionellen Organisationsstrukturen.
(vgl. Löffelholz 2003: 34f). Diese Forschungstradition aber als eigenes Konzept
zu formulieren, ist, wie Löffelholz (ebd.) anmerkt, problematisch, da die
methodologischen Grundlagen auch in anderen Journalismuskonzepten
integriert sind.
2.1.2.4 Der legitimistische Empirismus
Die Tradition des ,,Legitimistischen Empirismus" erfolgt aus einem
Forschungsinteresse, bei dem die Beschäftigung mit dem ,,Journalismus als
Beruf" mit Forschungsfragen verbunden wird, die auf journalistische
Medienangebote als Ergebnis journalistischen Handeln ausgerichtet sind. Jedoch
geht es den Vertretern dieses Journalismuskonzeptes
2
schlussendlich nicht um
die Charakteristika dieser Angebote selbst, sondern vielmehr um mögliche
Folgen für die Öffentlichkeit und das Publikum, also die klassische
Wirkungsperspektive (vgl. Löffelholz 2003: 34f). Der theoretischen Rahmen
dieses Journalismuskonzepts ist vor allem durch zahlreiche Arbeiten über
Medien und deren Wirkungspotential von Elisabeth Noelle-Neumann entfaltet
worden. Entgegen zahlreicher amerikanischer Wirkungsstudien attestierte sie
den Medien einen großen Einfluss auf die Einstellungen und Meinungen der
Bevölkerung (vgl. Noelle-Neumann 1973). Hatten sich bis Ende der 70er Jahre
deutsche Vertreter dieser Forschungstradition mit dem Publikum und den
Medienaussagen beschäftigt, konstatierte nachfolgend Donsbach, Aussagen über
die Massenmedien seien nur dann hinreichend zu treffen, wenn die
Wirkungsforschung auch den Kommunikator in ihre Analyse einbeziehe (vgl.
Donsbach 1982: 10). Auch wenn die Vertreter des ,,legitimistischen Empirismus"
um die redaktionelle Eingebundenheit und Weisungsabhängigkeiten handelnder
Journalisten wissen, richten zahlreiche Arbeiten ihr Augenmerk auf die Frage,
2
z.B.: Elisabeth Noelle-Neumann, Renate Köcher, Hans Mathias Kepplinger, Wolfgang Donsbach.

Journalismusforschung
22
welche individuellen Freiheiten Journalisten trotz solcher Einbindungen haben.
Fokus des Forschungsinteresses bleibt die angenommene Beziehung zwischen
einzelnen Journalisten und den Wirkungen journalistischer Medieninhalte (vgl.
Löffelholz 2003: 36).
2.1.2.5 Die (kritischen) Handlungstheorien
Die kritische Handlungstheorie weist strukturelle Merkmale auf, deren
Grundlagen aus dem Bereich der Handlungstheorie vor allem von Max Weber
und Thomas Luckmann entwickelt worden sind. Im Zentrum der theoretischen
Überlegungen stehen handelnde Akteure und die Sinnhaftigkeit ihrer
Handlungen im Kontext von sozialem Handeln. Die Verarbeitung der
,,(kritischen) Handlungstheorien" erschöpft sich, so Löffelholz (2003: 36), in der
Journalismusforschung oft in der Verwendung entsprechender Begriffe. Zu den
Vertretern, die theoretisch elaborierte Ansätze entwickelt haben, zählen
Maximilian Gottschlich, Achim Baum und vor allem Hans-Jürgen Bucher, der die
Handlungstheorie aus einer sprachwissenschaftlichen Perspektive heraus
betrachtet. So kommt Bucher (2000: 247) zu dem Ergebnis, dass es die
,,methodologische Aufgabe einer Handlungstheorie sei, aufzuzeigen, wie aus
Handlungen soziale Ordnung entsteht". Eine Theorie des journalistischen
Handelns muss aus diesem Grund dieses Handeln als institutionelles Handeln
darstellen (vgl. Bucher 2000: 255ff). Die (kritischen) Handlungstheorien
verfolgen das Ziel, journalistische Handlungsformen zu analysieren und zu
charakterisieren. Die Grundlage dafür bilden handlungstheoretische Postulate
wie die Annahme, dass soziales Handeln im Kontext der Gesellschaft erfolgt
oder dass Einzelhandlungen institutionsgeleitet sind, die in komplexen
theoretischen Konstrukten verankert sind. Aufgrund der Komplexität und des
Mangels an differenzierten und transferierbaren Modellen wird diesem Ansatz
nur ein kleiner empirischer Beitrag zugestanden (vgl. Löffelholz 2003: 36f).

Journalismusforschung
23
2.1.2.6 Funktionalistische Systemtheorien
In der Wissenschaft hat das Denken in Systemen Tradition. Sowohl
naturwissenschaftliche Disziplinen, Literatur- als auch Geistes- und
Sozialwissenschaften
operieren
mit
systemischem
Denken
als
Erklärungsinstrument (vgl. Pürer 2003: 164). Im Bestreben, die bislang auf
Personen reduzierte Perspektive des Journalismus zu überwinden, konnte 1969
Manfred Rühl das funktional-strukturelle System/Umwelt-Modell von Niklas
Luhmann für die Journalismusforschung fruchtbar machen (vgl. Löffelholz 2003:
37). Grundlage von Rühls Arbeiten ist ein wissenschaftliches Selbstverständnis,
dass
wissenschaftliche
Forschung
ein
bewusstes
Absetzen
von
alltagsvernünftigen sozialweltlichen Vorstellungen zur Voraussetzung hat, und
dass daher der Gegenstand der Forschung nicht einfach außerhalb der
Wissenschaft übernommen, sondern zuerst hergestellt werden muss (vgl. Raabe
2004: 109).
In seiner Dissertation ,,Die Zeitungsredaktion als organisiertes soziales System"
gibt Manfred Rühl als Erster die subjekttheoretische Fixierung auf die
journalistischen Akteure auf, die den Journalismus entweder auf das Wirken
unabhängiger journalistischer Individuen reduzieren oder aber, wie
Weischenberg ausführt, ,,als Anwälte der gesellschaftlichen Kommunikation"
idealisieren (vgl. Weischenberg 1992: 42). Vielmehr vollzieht sich ,,redaktionelles
Handeln als durchrationalisierter Produktionsprozess in einer nicht minder
rationalisierten und differenzierten Organisation" (zit. n. Blöbaum 1994: 50).
Zeitungsredaktionen werden als soziale Handlungssysteme beschrieben. Dies
bedeutet aber auch, dass die Journalisten selbst nicht Bestandteil des Systems
sind, sondern der Umwelt der Redaktion zugeordnet werden. Systemzugehörig
ist aber das redaktionelle Handeln der Journalisten. Dafür bildet das System über
generalisierte Erwartungen Rollenstrukturen aus, so dass die soziale Rolle
Schnittpunkt zwischen System (Redaktion) und Umwelt (Person des
Journalisten) ist und der Redakteur über sein Rollenhandeln in das
Handlungssystem integriert ist (vgl. Pürer 2003: 166). Rühl erweitert 1980 seine
bislang auf die Redaktion begrenzte systemische Forschung. In seiner
Habilitationsschrift legt er erstmals einen umfassenden Theorieentwurf über

Journalismusforschung
24
,,Journalismus und Gesellschaft" vor. Entsprechende Theorieentwürfe führen vor
allem auf der Makroebene zu neuen Erkenntnissen: Neben der Forderung,
Journalismus stärker vom unpräzisen Begriff der Medien abzugrenzen,
modelliert Rühl Journalismus als dynamisches und stets im Wandel befindliches,
funktional selbständiges Sozialsystem. Die Primärfunktionen des Journalismus
identifiziert er als die ,,Herstellung und Bereitstellung von Themen zur
öffentlichen Kommunikation" (Rühl 1980: 319). Manfred Rühls systemischer
Ansatz wird fortan als Basis weiterer Forschungen herangezogen. Die
systemischen Ansätze müssen sich jedoch unter anderem die Kritik gefallen
lassen, die Bedeutung journalistischer Subjekte herunterzuspielen. Was die
Vertreter des legitimistischen Empirismus überschätzten, wird im funktional-
systemtheoretischen Diskurs vernachlässigt. Raabe konstatiert (2004: 111): ,,So
berechtigt die Kritik an der personenzentrierten Forschung und die Ablehnung
einer Erklärung sozialer Zusammenhänge über die beteiligten Individuen und
ihrer Handlungsabsichten ist, so wenig zwingt dies zu einem Ausschluss der
Akteure aus der Theorievorstellung".
2.1.2.7 Die integrativen Sozialtheorien
Aus der Kritik an der personen- und der ausschließlich Funktionssysteme
fokussierenden
Journalismusforschung
sind
in
vergangener
Zeit
Theoriekonzepte
entstanden,
die
diese
Einseitigkeiten
durch
integrationstheoretische Überlegungen überwinden wollen (vgl. Löffelholz 2003:
38). Sie stimmen insofern überein, als dass eine Rückkehr zur
personenzentrierten Perspektive als Theoriebasis nicht infrage kommt. Vielmehr
haben sie systemtheoretische Grundeinsichten in ihre Ansätze aufgenommen,
ohne jedoch diesbezüglich hinter den Kenntnisstand des Systemparadigmas
zurückzufallen (vgl. Raabe 2005: 76). Die nachfolgend beschriebenen Ansätze
können, wie Löffelholz ausführt, zwar noch nicht ,,allen Ansprüchen an eine
elaborierte Theorie zur Beschreibung des Journalismus" genügen, gleichwohl
handelt es sich aber um ,,Theoriearchitekturen", die eine hohe Komplexität
ausweisen können (vgl. Löffelholz 2003: 38).

Journalismusforschung
25
S
YSTEMTHEORIE UND
K
ONSTRUKTIVISMUS
Die Bebachtung der Kommunikatorseite beginnt in der konstruktivistischen
Journalismusforschung mit der Kritik an der veralteten ontologischen
Perspektive, die den Journalismus auf das Tun und Lassen von Journalisten
verkürzen will und ,,den Blick auf die sozialen, rechtlichen, technologischen,
politischen und ökonomischen Bedingungen" verstellen, ,,die jeweils festlegen,
was Journalismus ist und welche Folgen der Journalismus hat" (Weischenberg
1994b: 429). Sein integratives Journalismusverständnis macht Weischenberg an
einem ,,Zwiebel-Modell" (vgl. A
BBILDUNG
1:
27) anschaulich, das zunächst als
Ordnungsrahmen journalismusbezogener Forschungsgegenstände eingesetzt
wurde. Die Themen der Journalistik sind demnach auf vier Ebenen bezogen: Die
Mediensysteme (Normenkontext), die Medieninstitutionen (Strukturkontext), die
Medienaussagen (Funktionskontext) und die Medienakteure (Rollenkontext)
(vgl. Weischenberg 1992: 68ff). ,,Normen, Strukturen, Funktionen und Rollen
bestimmen in einem Mediensystem, was Journalismus ist, der dann nach diesen
Bedingungen und Regeln Wirklichkeitsentwürfe liefert" (Weischenberg 1992: 69).
Gerade in den 90er Jahren wurde Weischenbergs ,,Analyseraster der
Journalismusforschung" (Löffelholz 2000a: 49) Ausgangspunkt zahlreicher
Studien,
die
sich
mit
den
Einflüssen
journalistischen
Handelns
auseinandersetzten. Die Schalenabfolge des Modells veranschaulicht die
abgestuften Einflüsse im Sinne einer unterschiedlichen Verbindlichkeit für den
Journalismus (vgl. Weischenberg 1994b: 431f). Wie Weischenberg (ebd.) zeigt,
wird dabei unterschieden:
Ein `äußerer` Normenzusammenhang (Ebene der Mediensysteme), unter den als
Einflussfaktoren gesellschaftliche Rahmenbedingen, historische und rechtliche
Grundlagen,
professionelle
und
ethische
Standards
als
auch
die
Kommunikationspolitik subsumiert werden;
Ein darunter liegender Strukturzusammenhang (Ebene der Medieninstitutionen),
worunter
Zwänge
ökonomischer,
politischer,
technologischer
und
organisatorischer Imperative, die auf die journalistische Arbeit wirken,
verstanden werden;
Eine dritte Schale, die den Funktionszusammenhang beschreibt (Ebene der der
Medienaussagen). Hier geht es um die Leistungen und Wirkungen des System

Journalismusforschung
26
und insbesondere die Frage, woher Journalisten ihr Material beziehen, in welche
Abhängigkeiten sie sich gegenüber Informationsquellen begeben, welchen
Mustern und Darstellungsweisen die Berichterstattung typischerweise folgt, als
auch die Frage nach den Effekten von Medienangeboten auf Meinungen,
Einstellungen und Handlungen des Publikums;
Sowie schließlich als Zwiebelinneres der Rollenzusammenhang (Ebene der
Medienakteure), welche die Produzenten des Journalismus selbst betrifft und
den Rollenzusammenhang, in dem ihre Tätigkeit angesiedelt ist: Arbeits- und
Berufsrollen,
soziodemografische
Merkmale
von
Journalisten,
ihre
Professionalisierung und Sozialisation, soziale und politische Einstellungen,
Selbstverständnis und Publikumsimage.
Auch Armin Scholl und Siegfried Weischenberg selbst verwendeten das
Analyseraster in ihrer Studie, um die Unterschiede zwischen Journalismus-
Systemen herauszuarbeiten (Scholl/Weischenberg 1998: 216ff). Doch, so merkt
Löffelholz an, steht eine ,,Hierarchie der Einflüsse" (Weischenberg 1994b: 431) in
einem offenkundigen Spannungsverhältnis zur systemtheoretischen Logik (vgl.
Löffelholz 2000a: 50). Später wird das Modell von Scholl und Weischenberg
nochmals modifiziert: Statt einer ,,Hierarchie der Einflüsse" wird die `Zwiebel`
quasi geschält und die Schalen nebeneinander gelegt (vgl. ebd.). ,,Das Modell
setzt das System/Umwelt-Paradigma insofern konsequent um, als es die
diversen Umwelten, mit denen das System Journalismus `in Kontakt` steht,
durchdekliniert und in Hinblick auf Formen ´struktureller Kopplung´ abklopft"
(Scholl/Weischenberg 1998: 22).
J
OURNALISMUS ALS SYSTEMBEZOGENE
A
KTEURSKONSTELLATION
Einen Theoriebeitrag zur Verbindung von Systemtheorie und der Beobachtung
journalistischen Handelns hat Christoph Neuberger vorgelegt. Er nutzt das
Konzept der Akteur-Struktur-Dynamiken des Soziologen Uwe Schimank mit der
Unterscheidung von Akteurs-, Institutionen- und Systemebene und überträgt es
auf den Forschungsgegenstand Journalismus, um ihn als Akteurskonstellation,
als institutionelle Ordnung und als teilsystemischen Orientierungshorizont zu
beschreiben und seine strukturellen Handlungsbedingungen zu identifizieren

Journalismusforschung
27
(vgl. Neuberger 2004: 289ff; vgl. Schimank 1996): Die teilsystemischen
Orientierungshorizonte, so Neuberger, besitzen eine primär evaluative
Modalität: Sie ,,simplifizieren" über binäre Codes das `Wollen` der Akteure.
Binäre Codes (z.B. wahr ­ unwahr) konstituieren einen teilsystemischen
Kommunikationszusammenhang, der ,,keine anderen Gesichtspunkte zulässt"
(Neuberger 2004: 290).
A
BBILDUNG
1:
System Journalismus: Einflussfaktoren
Quelle: Weischenberg 1994b: 431
Gesellschaftliche Funktionssysteme verfügen über institutionelle Ordnungen, die
hauptsächlich normativ, sprich am `Sollen` ausgerichtet sind. Auf dieser Ebene
geht es also um generalisierte Verhaltensmuster und institutionelle Regeln, deren
Einhaltung
durch
Sanktionierung
abgesichert
wird.
In
den

Journalismusforschung
28
Akteurskonstellationen hingegen ist vorwiegend das `Können` von Bedeutung.
Akteure verfolgen bestimmte Interessen, verfügen über Einflusspotentiale, um
diese
durchzusetzen
und
haben
wiederum
dafür
bestimmte
Handlungsstrategien.
Organisationen
können
von
innen
als
Institutionskomplexe, oder aber von außen als Akteure betrachtet werden (vgl.
Neuberger 2004: 290ff).
Neubergers
journalismustheoretischer
Beitrag
zeigt:
Journalistische
Organisationen lassen sich einerseits als Institutionskomplexe als auch als
kollektiv handelnde Akteure analysieren. Interaktionen zwischen den
Teilnehmern können zu einer eigenständigen Strukturgenerierung führen.
N
EUERE STRUKTURATIONSTHEORETISCHE
A
NSÄTZE
Problematisch, so konstatiert Klaus-Dieter Altmeppen (2000: 294), sei in strikt
systemtheoretischen Journalismuskonzepten der Umstand, dass Kommunikation
letztlich von Systemen bestimmt werde, die Handlungen in der theoretischen
Betrachtung folglich weitestgehend ausklammert. Spätestens bei der empirischen
Prüfung der Thesen werde Handeln jedoch zu einer relevanten Kategorie: Nur
durch den Rückgriff auf das Handeln sei die Beobachtung und Beschreibung des
sozialen Systems Journalismus empirisch möglich. Dass die vom System
Journalismus entwickelten Strukturen journalistisches Handeln nicht für jeden
Einzelfall vorbestimmen, ist, ähnlich der Argumentation Neubergers, auch der
Ausgangspunkt eines integrativen Konzepts, das von Altmeppen in Verbindung
mit seiner Studie über ,,Redaktionen als Koordinationszentren" (1999) entwickelt
wurde. Vor allem Anthony Giddens Strukturierungsansatz wird dabei für die
Analyse des Zusammenhangs zwischen journalistischen Strukturen und dem
Handeln von Journalisten in Anspruch genommen. Durch Beobachtung in fünf
Redaktionen privat-kommerzieller Radiosender konnte Altmeppen das Handeln
von
Journalisten
untersuchen
(vgl.
Altmeppen
1999:
11):
Dem
,,Entscheidungshandeln" (Rühl) kommt ohne Zweifel ein prägender
Strukturaspekt innerhalb einer Redaktion zu, jedoch lässt sich journalistische
Aussagenproduktion zeitlich und sachlich nicht präzise planen und regeln. Sie ist
mit Risiken und Unsicherheiten verbunden und ständigen Umwelteinflüssen
ausgesetzt (vgl. Altmeppen 1999: 177; vgl. Altmeppen 2000: 295). Diese

Journalismusforschung
29
Unsicherheiten, die sich durch zeitliche Risiken, wahrgenommene Ereignislagen
und Kontingenzen bei der Themenauswahl ergeben, begegnen Journalisten
zunächst routinisiert und verlieren damit, so Altmeppen, den Charakter der
Entscheidung. Daneben ist es zur Bewältigung der Unsicherheitszonen in vielen
Fällen auch notwendig, die erforderlichen Arbeitsschritte zuerst einmal
abzustimmen und über die weitere Verfahrensweise einen Konsens herzustellen.
In diesen Fällen dominiert eine Verfahrensweise, die als ,,koordinierendes
Handeln"
bezeichnet
wird
(vgl.
Altmeppen
2000:
295).
Die
Untersuchungsergebnisse bestätigen die theoriegeleiteten Annahmen über die
Bedeutung von Koordinationshandeln in Redaktionen. Beobachten lassen sich
institutionalisierte Koordinationsmechanismen wie regelmäßige Konferenzen,
aber auch spontane und informelle Formen der Koordination. Dem Umstand
flacher
Redaktionshierarchien,
durchlässiger
horizontaler
Organisationsgliederung ohne feste thematische Zuständigkeiten und fehlender
Leitungs- und Kontrollinstanzen auf mittlerer Ebene ist es geschuldet, dass sich
der Koordinationsbedarf in diesen Redaktionen als vergleichsweise hoch erweist
(vgl. Altmeppen 2000: 305ff).
Hatte die Arbeit von Klaus-Dieter Altmeppen bei der Beobachtung von
Handlungs- und Strukturzusammenhängen Gestaltungsräume innerhalb
bestehender Organisationsstrukturen fokussiert, so geht Thorsten Quandt (2002)
in seiner Analyse des Akteurshandeln im Online-Journalismus noch einen Schritt
weiter: Er widmet sich redaktionellen Strukturen, die (noch) nicht vorhanden
sind. Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem aktuellen Handeln von Online-
Journalisten und der Frage, ob es journalistisches Handeln ist, wie es für andere
Medien beschrieben wurde oder ob es sich signifikant von diesem unterscheidet.
Über das Einzelhandeln hinaus eröffnet Quandt eine zweite Betrachtungsebene.
Er vermutet, dass es zunächst zu einem hohen Maß an Selbstorganisation und
Arbeitsabläufen kommt, die von Trial-and-Error-Prozessen geprägt sind -
schließlich ist der Netz-Journalismus aufgrund seines jungen Alters noch
weitestgehend ohne `Vorbilder` zur Strukturierung redaktionellen Arbeitens. So
ist zudem anzunehmen, dass etablierte Muster aus anderen Bereichen
übernommen wurden. Aus diesen Überlegungen heraus entwickelte Quandt
spezifische Fragestellungen, die sich zum einen mit den Bedingungen, Kontexten
und Regeln des Handelns im online-journalistischen Alltag beschäftigen. Zum

Journalismusforschung
30
anderen wird gefragt, ob Unterschiede zwischen dem Handeln im Online-
Journalismus und dem Handeln, das aus anderen journalistischen Bereichen
bekannt ist, festzustellen sind (vgl. Quandt 2002: 238f). Die Übertragung der
Einsichten in rekursive Handlungs- und Strukturierungsprozesse auf die
empirische Analyse führt zu einer Art Modellvorstellung, die von unbekannten
Kontextbedingungen ausgeht, die einen innovativen und kreativen Umgang mit
der Handlungssituation erforderlich machen. Daraus gehen individuelle
Handlungsmuster hervor, die durch Nachahmung und Wiederholung zu
routinisierten Handlungsmustern werden, die allmählich in überindividuelle,
professionelle Verfahrensmuster überführt und zu allgemeinen Regeln verfestigt
werden. Vorausgesetzt, es kann die Eigenständigkeit und Abgrenzung `online-
journalistischen` Handelns gezeigt werden, können so allmähliche
Systembildungen beobachtet und analysiert werden (vgl. Quandt 2002: 238ff).
2.1.2.8 Cultural Studies
Das Konzept der Cultural Studies geht von einem sozialen Konstruktivismus
aus: Die Wirklichkeit, an denen sich Menschen im alltäglichen Leben orientieren,
existiert nur durch ein Konstrukt aus Bedeutung und Interpretation. Sowohl
Realität als auch das soziale Leben werden durch Bedeutungen vermittelt.
Menschen gebrauchen dabei Bedeutungsstrukturen, in dem sie der Welt Sinn
verleihen und in dieser Welt handeln (vgl. Renger 2004: 365f). Einem
theoretischen Journalismuskonzept auf der Basis der Cultural Studies geht es um
die kontextuelle Erforschung und Veränderung des Verhältnisses von Kultur,
Medien und Macht. Das Konzept ist dabei weniger daran interessiert zu
erforschen,
wie
und
unter
welchen
Bedingungen
journalistische
Aussagenproduktion stattfindet, sondern versteht Journalismus einerseits aus
der Perspektive der Rezipienten, demnach Journalismus ein funktionales
Produkt ist, dass der ,,Zirkulation von Bedeutung und Vergnügen dient" (Renger
2004: 371), und andererseits als kulturelles Handeln. Medien sind in diesem
Kontext nur als Vermittler konstruierter Bedeutungen zu verstehen (vgl. ebd.).

Journalismusforschung
31
Der Kulturbegriff, so bescheinigt Löffelholz (2003: 40), wird künftig vor dem
Hintergrund zunehmender Globalisierung für die Journalismustheorie an
Bedeutung gewinnen.
Die vorgestellten journalismustheoretischen Ansätze konnten deutlich machen,
welches Journalismusverständnis ihnen jeweils zugrunde liegt. Die Theorien mit
denen heute Journalismus beschrieben wird, sind abzugrenzen von
Alltagstheorien von Laien und von Arbeitstheorien von Berufspraktikern. Sie
gehören überwiegend zu den sozialwissenschaftlichen Ansätzen (vgl. Rühl
2004a: 70f). Neben den hier vorgestellten Theoriekonzepten richtet sich die
wissenschaftliche Diskussion auch auf Problemfelder, die Praxisbezüge
aufweisen. Neben der Diskussion ethischer Fragestellungen, brachte vor allem
die Diskussion um die Qualität journalistischer Aussagen vielschichtige
theoretische Arbeiten hervor. Es ist zu prognostizieren, dass der Strukturwandel
des
Journalismus
innovative
und
weiterentwickelte
Theorieansätze
hervorbringen wird. Die Online-Kommunikation und die Globalisierung der
Medienkommunikation sind dabei wichtige Herausforderungen, die die
Journalismustheorie zu meistern hat (vgl. Löffelholz 2004a: 60f).
2.1.3 Themen der empirischen Journalismusforschung
Die Auseinandersetzung mit den theoretischen Konzepten der Journalistik hat
verdeutlicht,
dass
die
Theoriebildung
zum
Journalismus
ständige
Weiterentwicklungen und Modifikationen bedeutet. Entsprechend gelten ihre
theoriegeleiteten Ergebnisse so lange als valide, bis sie durch Befunde höherer
Konsistenz abgelöst werden. Die Art und Weise, wie der Gegenstand
Journalismus dabei in den Blick genommen und theoretisch gefasst wird, ist
gebunden an die jeweiligen theoretischen Konzepte, die den Forscher leiten (vgl.
Löffelholz 2003: 41). ,,Einen Journalismus ´an sich` gibt es nicht" (ebd.).
Aus den zahlreichen empirischen Befunden der Journalismusforschung ergibt
sich ,,ein buntes, aber auch sehr beliebig wirkendes Mosaik der

Journalismusforschung
32
Aussagenentstehung und ihrer Akteure" (Scholl/Weischenberg 1998: 39). Um
dieses zu beschreiben, modifiziert Löffelholz einen Vorschlag von Weischenberg
(1992: 68f), in dem er die Vielfalt der empirischen Befunde fünf thematischen
Aspekten zuordnet, die jeweils durch spezifische Leitfragen gekennzeichnet sind
(vgl. Löffelholz 2003: 41):
2.1.3.1 System
Befunde, die nach den Beziehungen zwischen Journalismus und Gesellschaft
fragen, werden dem Systemaspekt zugeordnet. Hier wird vor allem
Forschungsinteressen Rechnung getragen, die sich mit dem Journalismus als
soziales System beschäftigen. Die Forschung setzt sich dabei mit Fragen der
Anpassung
und
Stabilität
des
Journalismus
im
Kontext
neuer
Medientechnologien oder aber auch mit den Konsequenzen, die die zunehmende
Mediatisierung der Gesellschaft für den Journalismus hat, auseinander. Ein
Schwerpunkt der Forschung ist in diesem Kontext die Beobachtung der
wachsenden Professionalisierung der Public Relations und ihrem Verhältnis
zum Journalismus: Die qualitativen Veränderungen beim Informationsfluss von
der Pressemitteilung als Ausgangsmaterial bis zum fertigen Zeitungsbericht
untersuchte Romy Fröhlich (1992) mit Hilfe eines inhaltsanalytischen Vergleichs.
Ihre Ergebnisse von einer starken Übernahme von Pressemitteilungen im
Journalismus deckte sich mit den Befunden anderer Studien, beispielsweise der
Untersuchung zur Öffentlichkeitsarbeit von Greenpeace (vgl. Rossmann 1993)
oder der Studie von Ian Ward (1991), der der Frage nachging, ob Journalisten
,,Nachrichtenjäger" oder lediglich ,,Sammler und Verwerter" von Informationen
sind.
Aber
auch
das
Zusammenspiel
von
Journalismus
und
Medienunternehmen rückt zusehends in den Fokus der Journalismusforscher.
Diskutiert wird innerhalb der Analyse der Beziehungen von Journalismus und
Ökonomie, ob professionelle Vermarktung journalistischer Produkte, veränderte
Themenauswahl, Outsourcing und Redaktionsmanagement möglicherweise, wie
es Löffelholz (2003: 43) formuliert, ,,Vorboten einer weiteren ökonomischen
Kolonialisierung des Journalismus" sind (vgl. auch Altmeppen 2004).

Journalismusforschung
33
2.1.3.2 Struktur und Strukturwandel
Befunde, die sich unter den Strukturaspekt subsumieren lassen, fragen: Welche
Bedingungen und Strukturen kennzeichnen den Journalismus?
Zur Beschreibung von Bedingungen, Prozessen und Strukturen journalistischer
Arbeit erfolgt heute vorwiegend der Rückgriff auf Systemmodelle. In seiner
Geschichte hat sich der Journalismus als Funktionssystem der modernen
Gesellschaft entwickelt. Dabei hat er in Form journalistischer Organisationen,
Programme und Rollen eine eigene Struktur entfaltet. Die Geschichte des
Journalismus ist damit als Prozess zu verstehen, der die Massenmedien und die
Redaktionen als Organisationen, die Journalisten als Rolleninhaber und die
Formen der Darstellungen und Selektion umspannt. Dabei ist die Strukturebene
des Systems offen für Umwelteinflüsse, kann sich verändern und ist lernfähig
(vgl. Blöbaum 2000: 203ff). Bei allen drei Strukturelementen ist dabei ein
Strukturwandel zu beobachten: Auf der Ebene der journalistischen
Organisationen lassen sich Entwicklungen identifizieren, die den Rezipienten
vorwiegend
als
Konsumenten
ansprechen.
Dabei
wird
die
Publikumsorientierung, im Sinne der Herstellung von Öffentlichkeit, von der
Zielgruppenorientierung, im Sinne von Marketinggesichtpunkten, abgelöst. Auf
der Ebene der journalistischen Programme vermischen sich die traditionell
informationsorientierten Programme mit unterhaltungsorientierten Formen,
wodurch es zunehmend zu einer Entgrenzung klassischer Darstellungsformen
kommt. Anstelle eines Redakteurs, der schreibt, redigiert und recherchiert, ist
heute vielmehr der marketinggeschulte Manager anzutreffen, der journalistische
Inhalte
bearbeitet
und
dabei
eine
Vielzahl
an
Planungs-
und
Organisationsaufgaben zu realisieren hat (vgl. Blöbaum 2000: 212f). Aber auch
ethische Prinzipien können im Sinne ,,funktionalistischer Systemtheorien" als
journalistische Strukturen verstanden werden (vgl. Löffelholz 2003: 44). Die
Analyse der Ethik des Journalismus lässt sich heute systematisch in die System-,
Institutions-, Professions- und Individualethik unterscheiden (vgl. Weischenberg
1992: 217ff). Weiterhin diskutiert werden Fragen des Strukturwandels aktueller
Medienkommunikation. Sie setzen sich mit den Konsequenzen der
Technisierung im Journalismus und insbesondere mit den technologischen und

Journalismusforschung
34
ökonomischen Herausforderungen des Online-Journalismus auseinander (vgl.
z.B. Altmeppen/Bucher/Löffelholz 2000).
2.1.3.3 Leistungen
Der dritte Aspekt fragt danach, welche Leistungen vom Journalismus erbracht
werden. Ein zentrales Thema ist dabei die Debatte um die Qualität
journalistischer Produkte. Die Reflexion des Themas Qualität und
Qualitätssicherung
im
Journalismus
bezieht
sich
sowohl
auf
die
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen journalistischer Leistungen, als auch auf
die Rezipienten, das Mediensystem, die Ebene der Institutionen und
Unternehmen sowie auf die journalistischen Akteure. System- und
Handlungstheorie, Makro- wie Mikroebene der journalistikwissenschaftlichen
Analyse werden dabei so zusammengeführt, dass eine empirische
Überprüfbarkeit der theoretischen Aussagen möglich ist (vgl. Fabris 2004: 394).
Innerhalb der Debatte werden Qualitäts-Kriterien wie Aktualität (vgl. Merten
1973), die Trennung von Nachricht und Meinung (vgl. Schönbach 1977) oder die
journalistische Reflexion von Methoden im Journalismus (vgl. Haller 1997)
diskutiert. Daneben gibt es eine Reihe thematisch begrenzter, empirisch
abgesicherter Arbeiten über die Qualität der Lokalberichterstattung (vgl.
Schröter 1992) oder zur ,,Informationsqualität von Nachrichten" (vgl. Hagen
1995), die die Debatte voran gebracht haben.
Einer Verstehens- und Aneignungsforschung, die den Konsumenten in den Blick
nimmt, kommt zur Erfassung der Leistungen des Journalismus besondere
Bedeutung zu (vgl. Löffelholz 2003: 47): ,,Dass die journalistische Rezeption
durch Haushalte (durch `kaufende` und `lesende` Familien [...]) erfolgt, hat die
Journalismusforschung noch nicht so recht entdeckt" (Rühl 2004b: 117).
2.1.3.4 Akteure
Nach den Merkmalen und Einstellungen von Journalisten fragt der
Akteuraspekt. Im systemtheoretischen Konzept kommt bei der Beschreibung

Journalismusforschung
35
journalistischen Handelns individuellen Merkmalen der Akteure keine
besondere Bedeutung zu. Trotzdem hat die Zahl der Forschungsarbeiten, die ein
individualistisches Journalismusverständnis zugrunde legen, keineswegs
abgenommen. Diese Untersuchungen stehen in der Tradition des analytischen
und des legitimen Empirismus als auch der integrativen Sozialtheorien (vgl.
Löffelholz 2003: 47). Zu den untersuchten Themenfeldern gehören Aspekte
journalistischer
Berufswirklichkeit
wie
journalistisches
Berufs-
und
Rollenselbstverständnis,
persönliche
Einstellungen
und
Dispositionen,
Berufszufriedenheit, Qualitätsanforderungen, Berufsmotivation und Ausbildung
oder
auch
Merkmale
und
Prozesse
der
Professionalisierung
des
Journalistenberufes (vgl. Pürer 2003: 110). Meilensteine in der Entwicklung der
Kommunikatorforschung
waren
die
Studien
,,The
news
people"
(Johnstone/Slawski/Bowman 1976) und daran angelehnt ,,The American
journalist" (Weaver/Wilhoit 1986). Ihre Analysen waren repräsentativ angelegt
und erweiterten die Kommunikatorforschung erheblich, die sich bis dato nur auf
Fallstudien beschränkte. Zehn Jahre später replizierten Weaver und Wilhoit ihre
Untersuchung und machten so einen Vergleich möglich: Die Rollenselbstbilder
der Journalisten hatten sich kaum verändert. Es dominierten die Rollen des
Rechercheurs, des Interpretierers und des Informationsvermittlers. Jedoch
konnten sie einen Wandel ethischer Normen diagnostizieren: Fast die Hälfte der
in der jüngeren Untersuchung befragten Journalisten war bereit, persönliche
Dokumente von Interviewpartnern ohne deren Erlaubnis zu verwenden (vgl.
Löffelholz 2003: 48). Eine Studie von Janet A. Bridges untersuchte 1991 das
berufliche Selbstverständnis von Journalisten in Führungspositionen. Die
Autorin konnte demnach sechs typische Einstellungsprofile mit jeweils
spezifischen Schwerpunkten diagnostizieren: Einen leser- und gleichzeitig
kommerziell orientierten Typ, den Typ des Aufklärers, den kritischen Typ, den
traditionellen Analysten und den traditionell leserorientierten Typus (vgl.
Bridges 1991: 727). Aufsehen erregten in Deutschland in den 70er und 80er
Jahren besonders Studien, die Vertretern des ,,legitimistischen Empirismus"
zuzurechnen sind. Als bedeutend stellte sich dabei die Studie ,,Bloodhounds or
Missionaries" von Renate Köcher (1986) heraus. Sie verglich erstmals das
Rollenselbstverständnis
von
Journalisten
in
verschiedenen
Journalismussystemen: In Deutschland und in Großbritannien. Demnach

Journalismusforschung
36
konzentrieren sich deutsche Journalisten auf die Ausarbeitung von Quellen und
weisen es größtenteils zurück, ihre Informationen durch aggressive
Recherchemethoden zu beschaffen. Britische Journalisten sind dazu eher bereit.
Die deutschen Journalisten sehen es zudem verstärkt als ihre Aufgabe an, den
Leser aufzuklären. Sie praktizieren eher einen wertungsorientierten Journalismus
und nehmen so politischen Einfluss (vgl. Köcher 1986). Im Zuge weiterer, dem
,,legitimistischen Empirismus" verpflichteten Studien attestiert Donsbach:
Journalisten stellen eine gesellschaftliche Macht dar. Sie gehören einer
privilegierten und ungewöhnlich homogenen Berufsgruppe an, die nicht
hinreichend gesellschaftlich legitimiert ist (vgl. Donsbach 1994: 89f).
Eine Arbeit, die auf der konstruktivistischen Systemtheorie aufbaut und sich
damit vom Verständnis und der Vorgehensweise des ,,legitimistischen
Empirismus" abgrenzt, ist die repräsentative Studie ,,Journalismus in
Deutschland" (vgl. Weischenberg/Löffelholz/Scholl 1993). Unter Einbezug der
Studie von Schönbach, Stürzebecher und Schneider (1994), die auf einem
empirisch-analytischen Theorieverständnis fußt, kann die Datengrundlage über
den deutschen Journalismus somit erstmals auf ein ,,solides Fundament"
(Löffelholz 2003: 48) gestellt werden. Ihre Befundlage kann nicht mit der
legitimistisch-empiristischer Studien konform gehen. Demnach dominiert im
Selbstverständnis deutscher Journalisten eher die Rolle des neutralen Vermittlers.
Zudem ist das Rollenselbstverständnis insgesamt eher pluralistisch.
Die
unterschiedlichen
Ergebnisse
machen
deutlich,
dass
die
Journalismusforschung noch viel zu leisten hat, um die gravierenden
Abweichungen hinreichend erklären zu können. Eine erhebliche Bereicherung
kann dabei die komparative Journalismusforschung sein. Sie ist, wie Esser (2004:
179) anmerkt, ,,eine wahrhaft integrative Forschungsstrategie, die nicht nur
Grenzen zwischen Ländern, sondern auch zwischen Denkschulen mühelos
überwindet".

Journalismusforschung
37
2.1.3.5 Produkte
Die Charakteristika journalistischer Produkte klassischer Massenmedien sind in
vielfältiger Weise untersucht worden. Die Forschung hat eine Reihe von Mustern
identifiziert, die ideal-typisch Berichterstattungsmuster und Darstellungsformen
beschreiben. Zu den journalistischen Handlungsprogrammen gehört neben der
Informationsammlung (Recherche) auch die Informationsvermittlung in Gestalt
von
journalistischen
Darstellungsformen,
die
die
unterschiedlichen
Möglichkeiten von Gestaltung und Darbietung der einzelnen Medienangebote
kategorisieren (vgl. Weischenberg 2001: 41). Als ,,Nachricht" wird demnach nicht
nur das publizistische Rohmaterial, sondern auch ein bestimmter Typus
journalistischer Darstellungsformen bezeichnet. Dabei gilt es, Informationen in
möglichst knapper, unparteilicher Weise zu vermitteln. In der journalistischen
Praxis wird im allgemeinen nicht von ,,Nachrichten", sondern von ,,Meldung"
und ,,Bericht" gesprochen. Während ,,Meldungen" in aller Kürze nur die
notwendigsten Informationen enthalten, werden Ereignisse in ,,Berichten" in
einen Zusammenhang gestellt. Da der Übergang zwischen ,,Meldung" und
,,Bericht" in der Praxis fließend ist, werden diese ,,Nachrichten-
Darstellungsformen üblicherweise nach ihrer Länge unterschieden. Zu den
Meinungs-Darstellungsformen gehören ,,Glosse" und ,,Kommentar" und zentral
für die unterhaltungsbetonte Darstellungsformen ist das ,,Feature". Daneben
wird als eigenständige Darstellungsform das Interview unterschieden. Im
Online-Journalismus sind zudem ,,Hybrid-Formen" üblich (vgl. Weischenberg
2001: 49ff). Berichterstattungsmuster hingegen sind die ,,Gesamtstrategien, an
denen sich Journalistinnen und Journalisten orientieren, wenn sie beobachten
und beschreiben" (Weischenberg 2001: 41). Für den deutschen Journalismus
unterscheidet Weischenberg fünf idealtypische Berichterstattungsmuster. Als
zentrales Berichterstattungsmuster im Journalismus westlichen Typs hat sich der
Informationsjournalismus (auch `Objektive Berichterstattung`) durchgesetzt.
Informationsjournalismus als Grundmuster der Berichterstattung entwickelte
sich in den USA aufgrund des Bedarfs an politischen und wirtschaftlichen
Informationen,
die
nach
dem
Bürgerkrieg
von
den
entstehenden
Nachrichtenagenturen beschafft und verbreitet wurden. Dieser Journalismustyp,

Journalismusforschung
38
dem auch die Kriegsberichterstattung unterliegt, ist keiner Partei oder Gruppe
verpflichtet, sondern erhebt Neutralität zu seinem Prinzip. Als Gegenentwürfe
entwickelten sich der Präzisionsjournalismus, der ,,Interpretative Journalismus",
der ,,Investigative Journalismus" und der ,,Neue Journalismus" (vgl.
Weischenberg 2001: 41ff).

Kriegs- und Krisenkommunikationsforschung
39
2.2
Kriegs- und
Krisenkommunikationsforschung
2.2.1 Terminologie
2.2.1.1 Krieg ­ Krise - Krisenkommunikation
,,Krieg ist die Fortsetzung der Politik mittels organisierter bewaffneter Gewalt
zur Durchsetzung politischer Ziele und ökonomischer Interessen" (Brugger 1992:
347). Dieser Zusammenhang von Krieg und Politik wird von Carl von
Clausewitz noch genauer beschrieben: ,,Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit
anderen Mitteln" (Clausewitz 1980: 210). Er führt weiter an, dass ,,die Politik den
Krieg erzeugt hat, der Krieg ihr Instrument ist und nicht umgekehrt" (ebd.). In
Anlehnung an von Clausewitz´ Ausführungen kommt hingegen der
Kommunismus zu dem Schluss: ,,Wenn der Krieg nur eine Fortsetzung der
Politik mit anderen Mitteln ist, so ist auch der Frieden nur die Fortsetzung des
Kampfes mit andern Mitteln" (Mao Tsetung 1968: 179). Wallach untersuchte die
psychologischen Aspekte des Krieges und versteht Krieg als ,,sanktionierten
Gebrauch tödlicher Waffen durch die Angehörigen einer Gesellschaft gegen die
Angehörigen einer anderen Gesellschaft" (Wallach 1972: 207). Singer und Small
kommen sogar zu dem Schluss, jene militärische Auseinandersetzung als Krieg
zu begreifen, ,,die mehr als tausend Opfer pro Jahr unter den Kämpfern fordert"
(Singer/Small 1972: 28). Über die Beschreibung des Krieges aus traditioneller
Sicht als zwischenstaatlicher Konflikt geht ein Definitionsversuch von Staiger
hinaus. Diesem folgend sind an Kriegen zumindest zwei militärische bzw.
bewaffnete Sozialsysteme beteiligt. Sie sind gekennzeichnet durch eine intensive
physische Gewalt gegen Menschen oder Sachen und weisen eine gewisse
Kontinuität der Kampfhandlungen auf (zit.n. Löffelholz 2004b: 48). ,,Krisen sind
unerwartete,
thematisch
nicht
vorbereitete
Bedrohungen
[...]
des
Systembestandes mit seinem eingelebten Anspruchsniveau. Sie stimulieren und

Kriegs- und Krisenkommunikationsforschung
40
sammeln Aufmerksamkeit dadurch, daß sie den Erfüllungsstand zahlreicher
Werte diffus, unbestimmt und unter Zeitdruck gefährden" (Luhmann 1979: 39).
Damit sind Krisen abgrenzbar von Konflikten (die nicht notwendigerweise zu
einer existentiellen Bedrohung führen), von Störungen (die nicht zentrale Ziele
gefährden) und von Katastrophen (die stets einen negativen Ausgang haben).
Kriege können als gewaltsam zugespitzte und fortbestehende Krise verstanden
werden (vgl. Löffelholz 2004b: 48). Ferner können Kriege als eine gesonderte
Kategorie von Krisen aufgefasst werden, wenn sich der Terminus neben der
Vorgeschichte eines Krieges, auch auf die ablaufenden Ereignisse selbst bezieht
(vgl. Löffelholz 1993b: 11). Wenn Konflikte oder vergleichbare Handlungen den
Zustand einer Krise, möglicherweise in der Darbietung einer Kriegshandlung,
erreichen, können Charakteristika wie Unsicherheit, Handlungsdruck oder
Ressourcenknappheit konstatiert werden, ,,die in kognitiven und sozialen
Prozessen generiert, verstärkt oder reduziert werden" (Löffelholz 2004b: 48).
Entwicklung und Verlauf einer Krise basieren damit wesentlich auf den
Bedingungen, Formen und Folgen von Kommunikation. Sowohl Krisen als auch
Kriege als soziale Ereignisse werden somit durch fehlende oder missglückte
Kommunikation konstituiert (vgl. Löffelholz 1993a: 12). Die Kommunikation
über Krisen und die Kommunikation in Krisen bezieht sich auf ,,gegenwärtige,
akut ausgelöste oder schwelende krisenhafte Ereignisse" (Löffelholz 2004b: 49).
Journalisten berichten über Krisen, ohne selbst unmittelbar betroffen oder
involviert zu sein. In der Regel bleiben Krisen-Charakteristika wie
Existenzgefährdung oder Entscheidungsdruck ohne Einwirkung auf die
journalistische Arbeit, vielmehr sind sie der Gegenstand der Berichterstattung.
Einfluss auf die Berichterstattung hat eine Krise jedoch dann, wenn ein Journalist
in einer Krisensituation tätig ist (vgl. ebd.).
2.2.1.2
Kriegsberichterstattung
Theodor Marx (1982: 209) beschreibt den Kriegsberichterstatter als die
,,bekannteste Erscheinung unter den Spezialkorrespondenten". Die Arbeit der
Kriegsberichterstatter gilt als eine Sonderform des Journalismus (vgl. Richter
1999a). Für die einen ist sie seltsam und ,,absonderlich" (Boni 1995: 18), mit der

Kriegs- und Krisenkommunikationsforschung
41
Erfahrung zahlreicher Einsätze im Kriegsgebiet beschreibt sie die
Korrespondentin Antonia Rados eher als ,,unberechenbar" (Rados 1993: 14). Als
Kriegsjournalismus
wird
derjenige
Journalismus
bezeichnet,
der
Kriegsberichterstattung
betreibt.
Zentrales
Charakteristikum
der
Kriegsberichterstattung ist die Thematisierung aller Aspekte im Kontext des
Krieges: Dazu gehören unmittelbare Kriegsgewalt und physische Folgen, Tod,
Leid und Zerstörung. Aber auch die Nebenschauplätze spielen eine gewichtige
Rolle in der journalistischen Kriegsthematisierung. Dazu gehören Ereignisse, die
im Umfeld von Kampfhandlungen stattfinden (z.B. startende Kampfflugzeuge,
Truppenaufmärsche), Mitteilungen von Repräsentanzpersonen relevanter
,,Sozialsysteme" (Pressekonferenzen, Pressemitteilungen, Interviews etc.),
Expertengespräche, diplomatische Bemühungen und beispielsweise auch
Demonstrationen. Das Merkmal der Kriegsthematisierung impliziert, dass
Kriegsberichterstattung nicht auf den zeitlichen Rahmen eines stattfindenden
militärischen Konfliktes festzulegen ist. Kriegsberichterstattung schließt sowohl
die journalistische Kriegsthematisierung bei Anbahnung als auch nach
Beendigung eines Krieges ein (vgl. Staiger 2004: 151f): ,,Kriegsberichterstattung
fängt nicht einfach mit dem ersten Schuss an und hört mit dem letzten auf"
(Staiger 2004: 152).
2.2.2 Historische Perspektive
Die Geschichte der Kriegsberichterstattung ist von je her ein Spiegelbild
zahlreicher Mythen. So wie die Kriegsberichterstattung Mythen produziert und
damit die Bilder eines Krieges strukturiert, so ist auch ihre Darstellung selbst in
Frage zu stellen. Kriegsreporter sind im allgemeinen Verständnis Abenteurer, die
packende Geschichten über ihre Erlebnisse im Krieg erzählen (vgl.
Dominikowski 2004: 60). So hat das niedergeschriebene Resümee nach
Beendigung eines Krieges anscheinend einen ebenso einträglichen Markt
gefunden wie die Berichte von der Front selbst: Nach dem Krieg am Golf im Jahr
2003 erschienen mindestens drei von Journalisten verfasste Schilderungen ihrer
Erlebnisse während der US-Angriffe auf Bagdad (vgl. Rados 2003; vgl. Tilgner
2003; vgl. Kloss 2003). Doch nicht nur vom Medienmarkt, sondern auch aus

Kriegs- und Krisenkommunikationsforschung
42
politischen Interessen heraus werden Mythen über den Krieg und die
Kriegsberichterstattung produziert. Zu nennen sei hier exemplarisch der
Vorwurf des Versagens der deutschen Publizistik im ersten Weltkrieg, der
Mythos
vom
perfekten
Funktionieren
des
nationalsozialistischen
Propagandaapparats oder die Behauptung, freie Berichterstattung diene der
Spionage des Feindes bis hin zu dem Vorwurf, die Medien hätten eine Anti-
Vietnamkriegsbewegung ausgelöst. Folglich wird die Geschichte der
Kriegsberichterstattung als ein von Heldenmythen, kausal-deterministischen
Wirkungsunterstellungen und politischen Interessenabwägungen geprägtes Bild
entworfen (vgl. Domininkowski 2004: 60). Um zu anderen historischen
Deutungen zu gelangen ist, so konstatiert Domininkowski (ebd.), ,,eine
langwierige Spurensuche" notwendig. Eine historische Perspektive, die dem
Anspruch der Vollständigkeit genügt, hat ihren Ursprung in der Antike. Eine
derart detaillierte Beschreibung der Geschichte der Kriegsberichterstattung ist an
dieser Stelle weder zu leisten noch sinnvoll. Deshalb wurden einige wichtige
Etappen herausgegriffen, um die wesentlichen Entwicklungsschritte zu
skizzieren:
D
ER
,,
ERSTE
P
RESSEKRIEG
"
Er sei der ,,elende Urahn eines glücklosen Stammes" hatte William Howard
Russel einmal gesagt, als er resigniert auf seine Karriere als erster
Kriegsberichterstatter zurückblickte. Die ,,Times", die damals mit Abstand
auflagenstärkste Zeitung Englands, sah sich durch die Nachfrage nach
Informationen aus dem Krimkrieg (1853-1856) in die Pflicht genommen und
engagierte, nach dem wenig ertragreichen Versuch, einen jungen Offizier für die
Berichterstattung einzuspannen, den ,,schlauen" und ,,soliden" Reporter Russel.
Er und dutzende englische und französische Kollegen begleiteten das Geschehen
im so genannten ,,ersten Pressekrieg". Doch Russel bemerkte schnell, dass sich
die Armee in einem unorganisierten und desolaten Zustand befand. Nach einer
ersten Verzögerungstaktik veröffentlichte die ,,Londoner Times" schließlich
Russels Frontberichte und begleitete seine kritische Berichterstattung mit einer
barschen politischen Kommentierung. Dies war der Beginn einer ungebrochenen
und andauernden Mesalliance zwischen Militär und Journalisten. Doch in dem
Moment, als der erste Kriegsberichterstatter auf dem Schlachtfeld stand, waren

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783842806276
DOI
10.3239/9783842806276
Dateigröße
1.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Ilmenau – Mathematik und Naturwissenschaften, Angewandte Medienwissenschaft
Erscheinungsdatum
2010 (November)
Note
1,8
Schlagworte
kriegsberichterstattung kriegskommunikationsforschung journalismusforschung medienangebotsforschung krisenkommunikationsforschung
Zurück

Titel: Der Irakkrieg 2003 im deutschen Fernsehen
Cookie-Einstellungen