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Härtere Strafen versus ambulante Maßnahmen

Sanktionen des deutschen Jugendgerichtsgesetzes aus der Sicht junger Spätaussiedler aus den GUS-Staaten

©2009 Diplomarbeit 117 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Das Thema der Kriminalität von jungen Spätaussiedlern aus den GUS-Staaten beschäftigt die Verfasserin schon seit längerer Zeit. Sie ist selbst mit ihrer Familie in einem relativ jungen Alter aus Russland in die Bundesrepublik übergesiedelt. Deshalb ist sie mit den Leben aber auch dem schlechten Ruf dieser ethnischen Gruppe in Deutschland vertraut. Außerdem absolvierte sie im Jahr 2006 ein Jahrespraktikum in der Bewährungshilfe Nürnberg, so dass sie u.a. die Möglichkeit hatte die Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes auf die straffälligen Russlanddeutschen hautnah kennen zu lernen. In jenem Rahmen entstand eine ungefähre Richtung für diese Diplomarbeit. Die exakte Fragestellung entwickelte sich allerdings im Laufe des weiteren Studiums.
Immer wieder berichten die deutschen Medien über spektakuläre Kriminalfälle von jungen männlichen Spätaussiedlern. Darin werden diese oft als alkohol- bzw. drogensüchtige skrupellose Gewaltverbrecher dargestellt, für die deutsche Gesetze nicht existieren und die Sanktionen des deutschen Jugendgerichtsgesetzes keinen Strafcharakter haben. Dementsprechend ist auch die Einstellung der Allgemeinheit bezüglich dieser ethnischen Gruppe gefärbt. Doch offensichtlich lässt sich nicht nur das ‘gemeine Volk’ von den Ausschmückungen der Medien beeindrucken, auch aus den Reihen der Politik, der Polizei und der Justiz sind wiederholt einzelne Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts zu hören, um endlich die ‘kriminellen’ Aussiedler und Ausländer in den Griff zu bekommen. So stellte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) im Jahr 2007 sogar eine Strafanzeige gegen den hannoverschen Polizeipräsidenten aufgrund seiner rassistischen Äußerungen bezüglich der russlanddeutschen Spätaussiedler. Ist es nur reine ‘Angstmacherei’ oder macht der Einsatz von härteren Strafen in Bezug auf junge straffällige Russlanddeutsche tatsächlich Sinn? Sicher ist, dass es zwar ‘den kriminellen Aussiedler’ nicht gibt, jedoch bei einer kleinen Gruppe der jungen männlichen Russlanddeutschen klare deviante und delinquente Tendenzen festzustellen sind. Außerdem weisen sie eine höhere Rückfallquote als ihre einheimischen Altersgenossen und die jungen Nichtdeutschen auf.
Zu der oben gestellten Frage gibt es sicherlich etliche Expertenberichte, jedoch konnte die Verfasserin keine Studie finden, die die Sicht der Betroffenen bezüglich dieser Thematik aufzeigt. Auf dieser Grundlage entstand die Idee, im Rahmen einer […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Problemstellung
2.1 Deutsches Jugendgerichtsgesetz (JGG)
2.1.1 Anwendungsbereich des JGG
2.1.1.1 Persönlicher Anwendungsbereich des JGG
2.1.1.2 Sachlicher Anwendungsbereich des JGG
2.1.2 Zielsetzung des JGG
2.1.3 Informelle Erledigung bzw. Diversion im JGG
2.1.4 Sanktionen des JGG
2.1.4.1 Erziehungsmaßregeln
2.1.4.2 Zuchtmittel
2.1.4.3 Jugendstrafe
2.1.4.3.1 Unbedingte Jugendstrafe
2.1.4.3.2 Strafaussetzung zur Bewährung
2.1.4.4 Maßregeln der Besserung und Sicherung
2.1.5 Reformdiskussion des JGG
2.2 Junge Spätaussiedler
2.2.1 Lebenshintergrund junger Spätaussiedler
2.2.1.1 Ökonomisch-politische Lage der GUS-Staaten
2.2.1.2 Kindheit und Jugend in den GUS-Staaten
2.2.1.2.1 Familiensystem
2.2.1.2.2 Bildungssystem
2.2.1.2.3 Freizeit
2.2.1.3 Übersiedlung nach Deutschland
2.2.2 Rechtlicher Status der jungen Spätaussiedler
2.2.3 Normen, Werte und Lebensorientierungen bei Spätaussiedlern
2.2.4 Entwicklung der ethnischen Identität und Gruppe
2.2.5 Problemfelder junger Spätaussiedler in Deutschland
2.2.5.1 Familie
2.2.5.2 Sprache
2.2.5.3 Schule, Ausbildung und Beruf
2.2.5.4 Mangelnde Akzeptanz seitens der einheimischen Bevölkerung
2.2.5.5 Alkohol- und Drogenproblematik
2.2.6 Kriminalität von jungen Spätaussiedlern
2.2.6.1 Anzeigebereitschaft im Bereich der Kriminalität von jungen Spätaussiedlern
2.2.6.2 Statistische Erfassung der Kriminalität von jungen Spätaussiedlern
2.2.6.2.1 Hell- und Dunkelfeldstudien
2.2.6.2.2 Allgemeine Prävalenz des delinquenten Verhaltens
2.2.6.2.3 Altersstruktur und Geschlecht
2.2.6.2.4 Deliktstruktur
2.2.6.3 Junge Spätaussiedler und ambulante Maßnahmen des JGG
2.2.6.4 Junge Spätaussiedler im Jugendstrafvollzug
2.2.6.5 Erklärungsversuche bzw. Ursachenforschung der Kriminalität von jungen Spätaussiedlern
2.2.6.5.1 Klassische, ursachenbezogene Betrachtung (inkl. Subkulturtheorie)
2.2.6.5.2 Sichtweise des Labeling-Ansatzes
2.3 Schlussfolgerungen

3. Befragung
3.1 Zielsetzung
3.2 Methodisches Vorgehen
3.2.1 Überlegungen zur Erhebungsmethode
3.2.2 Befragungsinstrument: Problemzentriertes Interview
3.2.3 Beschreibung der Untersuchungsgruppe
3.2.4 Durchführung der Befragung
3.2.4.1 Kontaktaufnahme
3.2.4.2 Interviewstruktur und Interviewführung
3.2.5 Datenaufbereitung und Auswertung
3.3 Ergebnisse der Befragung
3.3.1 Kurzbiografien der Befragten
3.3.1.1 Sergej (17 Jahre)
3.3.1.2 Eugen (18 Jahre)
3.3.1.3 Andreas (20 Jahre)
3.3.2 Soziale Beziehungen
3.3.2.1 Familiäre Beziehungen
3.3.2.2 Freundschaftliche Beziehungen
3.3.3 Kulturelle Identität der Interviewten
3.3.4 Problemfelder der Interviewten
3.3.5 Integrationsniveaus der Interviewten
3.3.6 Erklärung und Bewertung der eigenen Straffälligkeit
3.3.7 Allgemeine Bewertung des deutschen Rechtssystems
3.3.8 Bewertung der Sanktionen des JGG
3.3.8.1 Sichtweise von Sergej
3.3.8.2 Sichtweise von Eugen
3.3.8.3 Sichtweise von Andreas
3.3.9 Zukunftspläne und -perspektiven der Interviewten
3.3.9.1 Berufliche und private Zukunftspläne
3.3.9.2 Einschätzung der eigenen Legalbewährung
3.4 Schlussfolgerungen

4. Hinweise für die sozialpädagogische Arbeit mit gefährdeten jungen Spätaussiedlern
4.1 Prävention
4.2 Sozialpädagogische Ausgestaltung der Maßnahmen des JGG

Anhang
A. Aussiedlerstatistik seit 1950
B. Interviewleitfaden
C. Quellenverzeichnis

Abstract

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Straffälligkeit junger männlicher Spätaussiedler aus den GUS-Staaten. Dabei werden delinquenzfördernde Bedingungen herauskristallisiert und die Frage geklärt, wie die Betroffenen ihre eigene Straffälligkeit sowie die daraus resultierenden Sanktionen des Jugendgerichtsgesetzes erleben und bewerten. Das Ziel ist es eine Entscheidung darüber zu treffen, ob härtere Strafen oder angepasste ambulante Maßnahmen in diesem Kontext geeigneter sind sowie die entsprechenden Konsequenzen für die Soziale Arbeit aufzuzeigen.

Anhand der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema werden Thesen aufgestellt, die in einer qualitativen Untersuchung mit Hilfe von problemzentrierten Interviews überprüft werden. Die erzielten Resultate liefern eine Basis, um die Hauptfrage der Arbeit zu beantworten und Hinweise für die professionelle sozialpädagogische Arbeit mit der behandelten Klientel zu formulieren.

Abschließend ist zu verzeichnen, dass aufgrund ihrer vielfältigen Problemlagen einige junge Spätaussiedler sich nur schwer bzw. nicht ausreichend in die deutsche Gesellschaft integrieren können. Aus diesem Grund stehen sie einer härteren Sanktionierung seitens der Justiz weitgehend unbeeindruckt gegenüber. Folglich ist ein vermehrter Einsatz der auf ihre Bedürfnisse angepasster ambulanter Sanktionen als sinnvoller anzusehen. Zusätzlich bedarf es einer intensiven Präventionsarbeit sowie der aussiedlergerechten Ausgestaltung der Maßnahmen des Jugendgerichtsgesetzes, um die delinquenzauslösenden Faktoren erfolgreich bearbeiten zu können bzw. die Resozialisierung der straffälligen jungen Spätaussiedler voranzutreiben.

Mein herzlicher Dank gilt

im Besonderen meiner Betreuerin und Erstprüferin Prof. Gabriele Kawamura-Reindl, die den Fortgang dieser Arbeit engagiert begleitet und mit hilfreichen Anregungen gefördert hat.

speziell meiner ehemaligen Praktikumsanleiterin, Bewährungshelferin Frau Monika Stadler, für ihre außerordentliche Unterstützung bei der Durchführung der empirischen Untersuchung sowie für ihre sorgfältige und kritische Durchsicht meiner fertigen Arbeit.

dem Leitenden Bewährungshelfer Herrn Hans Blank, dem Bewährungshelfer Herrn Franz Brumberger sowie weiteren Mitarbeitern der Bewährungshilfe Nürnberg für ihren Engagement, genügend Probanden für meine Untersuchung zu mobilisieren.

den interviewten jungen Männern, ohne deren Bereitschaft zur Mitarbeit diese Arbeit nicht hätte entstehen können.

meiner Familie und meinen Freunden, die für mich stets eine große Stütze waren.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Das Thema der Kriminalität von jungen Spätaussiedlern aus den GUS-Staaten beschäftigt die Verfasserin schon seit längerer Zeit. Sie ist selbst mit ihrer Familie in einem relativ jungen Alter aus Russland in die Bundesrepublik übergesiedelt. Deshalb ist sie mit den Leben aber auch dem schlechten Ruf dieser ethnischen Gruppe in Deutschland vertraut. Außerdem absolvierte sie im Jahr 2006 ein Jahrespraktikum in der Bewährungshilfe Nürnberg, so dass sie u.a. die Möglichkeit hatte die Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes auf die straffälligen Russlanddeutschen hautnah kennen zu lernen. In jenem Rahmen entstand eine ungefähre Richtung für diese Diplomarbeit. Die exakte Fragestellung entwickelte sich allerdings im Laufe des weiteren Studiums.

Immer wieder berichten die deutschen Medien über spektakuläre Kriminalfälle von jungen männlichen Spätaussiedlern. Darin werden diese oft als alkohol- bzw. drogensüchtige skrupellose Gewaltverbrecher dargestellt, für die deutsche Gesetze nicht existieren und die Sanktionen des deutschen Jugendgerichtsgesetzes keinen Strafcharakter haben. Dementsprechend ist auch die Einstellung der Allgemeinheit bezüglich dieser ethnischen Gruppe gefärbt. Doch offensichtlich lässt sich nicht nur das „gemeine Volk“ von den Ausschmückungen der Medien beeindrucken, auch aus den Reihen der Politik, der Polizei und der Justiz sind wiederholt einzelne Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts zu hören, um endlich die „kriminellen“ Aussiedler und Ausländer in den Griff zu bekommen. So stellte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) im Jahr 2007 sogar eine Strafanzeige gegen den hannoverschen Polizeipräsidenten aufgrund seiner rassistischen Äußerungen bezüglich der russlanddeutschen Spätaussiedler (www.gfbv.de).

Ist es nur reine „Angstmacherei“ oder macht der Einsatz von härteren Strafen in Bezug auf junge straffällige Russlanddeutsche tatsächlich Sinn? Sicher ist, dass es zwar „den kriminellen Aussiedler“ nicht gibt, jedoch bei einer kleinen Gruppe der jungen männlichen Russlanddeutschen klare deviante und delinquente Tendenzen festzustellen sind (Süss 2006, S. 1). Außerdem weisen sie eine höhere Rückfallquote als ihre einheimischen Altersgenossen und die jungen Nichtdeutschen auf (Spötter 2006, S. 6).

Zu der oben gestellten Frage gibt es sicherlich etliche Expertenberichte, jedoch konnte die Verfasserin keine Studie finden, die die Sicht der Betroffenen bezüglich dieser Thematik aufzeigt. Auf dieser Grundlage entstand die Idee, im Rahmen einer sozialpädagogischen Diplomarbeit die Sichtweise der straffälligen jungen Spätaussiedler aus den GUS-Staaten in Bezug auf die von ihnen erlebten Maßnahmen des Jugendgerichtsgesetzes zu erforschen. Als Forschungsmethode wurde die qualitative Befragung gewählt. Somit sollte diese Untersuchung die Frage klären, ob härtere Strafen oder die auf die Bedürfnisse dieser ethnischen Minderheit abgestimmten ambulanten Maßnahmen im Sinne einer Resozialisierung geeigneter sind.

Im ersten Teil dieser Arbeit werden die theoretischen Vorüberlegungen für die nachfolgende Untersuchung dargelegt. Da es um die Bewertung der Maßnahmen des Jugendgerichtsgesetzes geht, wird es in seinen Grundzügen erläutert sowie seine aktuelle Reformdiskussion aufgezeigt. Als nächstes gilt es die Gruppe der jungen Spätaussiedler, ihre Kriminalität sowie ihre hiermit zusammenhängenden Einstellungen und Lebensbedingungen darzustellen, um schließlich für die Befragung grundlegende Arbeitsthesen zu formulieren.

Im zweiten Teil beschäftigt sich die Verfasserin mit der eigentlichen Untersuchung. Wobei zunächst die Zielsetzung sowie das methodische Vorgehen der Untersuchung explizit erläutert werden, damit der Forschungsprozess auch für Außenstehende nachvollziehbar wird. Anschließend werden die erzielten Ergebnisse dargestellt und analysiert. Die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen sollen die für diese Arbeit entscheidende Frage, ob härtere Sanktionen bei jungen russlanddeutschen Delinquenten die ultimative Lösung darstellen, beantworten.

Der dritte und somit letzte Teil dieser Diplomarbeit liefert anhand der vorgegangenen Resultate Hinweise für eine professionelle sozialpädagogische Arbeit mit der behandelten Klientel.

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass in dieser Diplomarbeit aus Gründen der besseren Lesbarkeit nachfolgend z.B. bei Berufsbezeichnungen etc. (wörtliche Zitate ausgenommen) zwar ausschließlich die maskuline Form verwendet wird, jedoch stets die Vertreter beider Geschlechter gemeint werden.

2. Problemstellung

2.1 Deutsches Jugendgerichtsgesetz (JGG)

Schon in ältesten Zeiten erfuhren delinquente Jugendliche eine teilweise andere Behandlung als erwachsene Täter, da bei ihnen eine geminderte Schuldfähigkeit vermutet wurde. Allerdings beschränkte sich diese bis weit in das 19. Jahrhundert hinein nur auf einige Sonderbehandlungen wie das Einsperren in ein Lochgefängnis oder einen Turm mit der Absicht somit eine härtere Erwachsenenstrafe zu vermeiden. Nichtsdestotrotz waren auch solche Sondermaßnahmen unter Umständen von einer gewissen körperlichen und seelischen Brutalität geprägt. Im Laufe der Zeit gewannen die pädagogischen Überlegungen im Umgang mit jungen Straftätern immer mehr an Bedeutung (Streng 2003, S. 16-20). „Im Jahre 1923 schließlich wurde als Frucht der Bemühungen der Jugendgerichtsbewegung das erste deutsche Jugendgerichtsgesetz verabschiedet. Das JGG regelte nicht nur ein besonderes Jugendstrafverfahren bei den allein zuständigen Jugendgerichten, sondern brachte auch im Hinblick auf die Strafmündigkeit und die Rechtsfolgen wesentlich Neues“ (Streng 2003, S. 20). In der Zeit des „Dritten Reiches“ wurde das bestehende Jugendgerichtsgesetz reformiert, wobei einige Neuerungen eher als ein Rückfall in die mittelalterlichen Zustände angesehen werden können. Diese versuchte man nach 1945 zu beseitigen, so dass im Jahr 1954 ein zeitgemäßes JGG verabschiedet wurde. Hierbei wurden unter anderem erstmalig die Heranwachsenden in die Zuständigkeit der Jugendgerichte einbezogen. Bis zur heutigen Zeit fanden einige weitere Reformen des deutschen Jugendgerichtsgesetzes statt, wobei dieser Prozess der kontinuierlichen Erneuerung und Erweiterung keineswegs als abgeschlossen gilt (Streng 2003, S. 20-22).

2.1.1 Anwendungsbereich des JGG

2.1.1.1 Persönlicher Anwendungsbereich des JGG

Der persönliche Anwendungsbereich des Jugendgerichtgesetzes ergibt sich aus dem Zusammenspiel der §§ 1Abs. 1JGG und 19 StGB. Gemäß § 1Abs. 1JGG sind seine Vorschriften auf Jugendliche und (mit Einschränkungen) auf Heranwachsende anzuwenden. Kinder sind nach § 19 StGB hingegen stets straflos. Somit sind bezüglich der Anwendbarkeit des JGG drei Personengruppen zu unterscheiden, nämlich Kinder, Jugendliche und Heranwachsende. Wobei für die Einordnung das jeweilige Alter zum Zeitpunkt der Tat entscheidend ist (Meier/Rössner/Schöch 2007, S. 89).

Unter Kindern sind Personen zu verstehen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Wie schon erwähnt findet das Jugendgerichtgesetz auf sie keine Anwendung, da zu ihren Gunsten unwiderleglich vermutet wird, dass sie schuldunfähig sind. Allerdings können die von Kindern begangenen Straftaten durchaus ein Indiz dafür sein, dass eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist. Folglich besteht die Möglichkeit delinquente Handlungen der Minderjährigen als Anlass für die Anordnung jugendhilferechtlicher Maßnahmen zu nehmen (Streng 2003, S. 24 f.).

Jugendliche sind gemäß § 1Abs. 2JGG Personen, die zur Zeit der Tat 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind. Auf diesen Personenkreis ist das Jugendstrafrecht stets anwendbar. Unterdessen wird bei jugendlichen Tätern, anders als bei Erwachsenen die strafrechtliche Verantwortlichkeit (im Sinne von Schuldfähigkeit) nicht regelmäßig vermutet. Vielmehr ist ein Jugendlicher nach § 3 S. 1 JGG strafrechtlich nur dann verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen und gemäß dieser Einsicht zu handeln. In der Praxis wird den Betroffenen mit zunehmenden Alter eher die entsprechende Reife und somit die Verantwortlichkeit zugesprochen. Im Zweifellsfall bezieht man sich auf professionelle Gutachten (Kastner/Sessar 2001, S. 88).

Aus § 1 Abs. 1 JGG ergibt sich, dass das JGG auch auf Heranwachsende anzuwenden ist. Nach § 1 Abs. 2 JGG sind das alle, die zur Zeit der Tat das 18., jedoch nicht das 21. Lebensjahr vollendet haben. Zu beachten ist allerdings, dass auf diese (gemäß § 105 Abs. 1 JGG) das Jugendgerichtsgesetz nur dann Anwendung findet, wenn die Persönlichkeit oder die Tat desHeranwachsenden der einesJugendlichen gleichsteht. Soweit dies nicht der Fall ist, sind sie stets nach allgemeinem Strafrecht abzuurteilen (Kastner/Sessar 2001, S. 88).

2.1.1.2 Sachlicher Anwendungsbereich des JGG

Im § 1Abs. 1JGG wird der sachliche Anwendungsbereich des JGG definiert. Hiernach gilt, dass das Jugendgerichtsgesetz anzuwenden ist, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach dem Strafgesetzbuch (StGB) oder den Vorschriften des Nebenstrafrechts mit Strafe bedroht ist (Meier/Rössner/Schöch 2007, S. 90). Unter einer Verfehlung sind also alle Verbrechen und Vergehen zu verstehen. Dementsprechend sind die Vorschriften des JGGgrundsätzlich nicht auf Ordnungswidrigkeiten anzuwenden, denn solche Taten sind gemäß § 1 OWiG mit keiner Kriminalstrafe, sondern mit einer Geldbuße bedroht. Bei Ordnungswidrigkeiten Jugendlicher ist demzufolge das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) maßgeblich.Dieses erklärt durch § 46 Abs. 1 OWiG allerdings die Vorschriften des JGG für sinngemäß anwendbar. Zusätzlich ist im gerichtlichen Verfahren statt dem Strafrichter der Jugendrichter zuständig, vgl. § 68 Abs. 2OWiG. Somit werden durch den Entwicklungsstand der Jugendlichen bedingten Besonderheiten berücksichtigt (Streng 2003, S. 23).

Aus dem Anknüpfen des Jugendgerichtsgesetzes an das StGB ergibt sich zugleich, dass das JGG keine Sondervorschriften bezüglich der Straftatbestände enthält. Ob ein Verhalten als strafbares Unrecht anzusehen ist oder nicht, beurteilt sich somit allein nach dem allgemeinen Strafrecht (Meier/Rössner/Schöch 2007, S. 90).

2.1.2 Zielsetzung des JGG

Im Jugendstrafrecht steht die Erziehung der jungen Menschen an vorderster Stelle, da angenommen wird, dass die von ihnen begangenen Straftaten überwiegend entwicklungsbedingt sind und sich in vielen Fällen aus den altersspezifischen Konfliktsituationen ergeben. Es wird darauf abgezielt, durch das Einsetzen der pädagogischen Mittel die jungen Straftäter von weiteren rechtswidrigen Handlungen abzuhalten (Ostendorf 1999a). Deshalb spielt hier im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht nicht nur die Tat, sondern auch die Persönlichkeit und der Entwicklungsstand des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden eine entscheidende Rolle. Um dem Erziehungscharakter des JGG gerecht zu werden, gelten bei seiner Anwendung „folgende Grundsätze: Erziehung vor Strafe, informelle Verfahrenserledigung vor formellen Verfahren und ambulante vor stationären Maßnahmen. Entsprechend differenziert sind die Sanktionsmöglichkeiten: von Erziehungsmaßregeln (Weisungen) über sogenannte Zuchtmittel bis zur Jugendstrafe“ (Tenorth/Tippelt 2007, S. 379). Dabei sind pädagogisch geschulte Fachkräfte wie Jugendrichter, Jugendstaatsanwälte sowie spezielle Verfahren von Nöten. Zusammenfassend soll das JGG durch seine Maßnahmen die jungen Menschen befähigen in der Zukunft ein straffreies Leben zu führen. Die abschreckende Wirkung im Sinne der Generalprävention darf nicht zur Hauptintension eines modernen Jugendstrafrechtes zählen (vgl. Ostendorf 1999a; Tenorth/Tippelt 2007, S. 379).

2.1.3 Informelle Erledigung bzw. Diversion im JGG

Seinen Erziehungsgedanken verfolgt das Jugendgerichtsgesetz auf zwei Wegen. Zum einen durch das Verfahren und zum anderen durch die Sanktionen. Unter der Erziehung durch das Verfahren an sich versteht man die so genannte Diversion (Bokhari 2008, S. 29).

„Mit dem Begriff der Diversion, der wörtlich übersetzt Ablenkung oder Umleitung bedeutet, werden die in den USA entstandenen und inzwischen in vielen Staaten verbreiteten Bestrebungen bezeichnet, den Anteil der Justiz an der gesellschaftlichen Bewältigung von Kriminalität zurückzudrängen und auf Delinquenz eher mit informellen Maßnahmen außerhalb der strafrechtlichen Sozialkontrolle zu reagieren. Diese Bestrebungen haben sich vorwiegend auf die Jugendstrafrechtspflege konzentriert“ (Dölling 1998, S. 275). Mit anderen Worten, man versucht mit Hilfe der Diversion die im Kapitel 2.1.2 erwähnten Grundsätze des JGG zu befolgen und somit im Sinne des Subsidiaritätsprinzips[1] zu verfahren. Man wirkt auf die straffälligen Jugendlichen und Heranwachsenden pädagogisch ein ohne sie in einem gerichtlichen Verfahren abzuurteilen.

2.1.4 Sanktionen des JGG

Der zweite Weg des Jugendgerichtsgesetzes seinem Erziehungscharakter gerecht zu werden ist die Sanktionierung. Dabei tritt wiederum das Subsidiaritätsprinzip in den Vordergrund. Das heißt, nur wenn die Möglichkeit einer informellen Erledigung ausgeschlossen ist, werden die formellen Sanktionen eingesetzt. Überdies sind zunächst immer die für den jungen Menschen am wenigsten belastenden Maßnahmen zu wählen. Somit kommen Erziehungsmaßregeln vor den Zuchtmitteln, und Zuchtmittel vor der Jugendstrafe, vgl. § 5 JGG. Die jugendstrafrechtlichen Sanktionen werden gleichermaßen bei Jugendlichen und Heranwachsenden eingesetzt, ausgenommen die speziell auf Minderjährige angepassten Maßnahmen aus dem SGB VIII im Bereich der Erziehungsmaßregeln (§ 12 JGG) (Streng 2003, S. 120 f.). Nach § 8 JGG können bestimmte Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel ungeachtet unterschiedlicher Voraussetzungen miteinander verbunden werden. Neben der Jugendstrafe ist die Anordnung von Weisungen, Auflagen und Erziehungsbeistandschaft möglich. Lediglich bei stationären Maßnahmen gilt das Prinzip der Einspurigkeit, so dürfen Jugendstrafe, Jugendarrest und Heimerziehung nicht nebeneinander angeordnet werden (Meier/Rössner/Schöch 2007, S. 121).

Die nachfolgenden Ausführungen behandeln die im JGG enthaltenen Sanktionen.

2.1.4.1 Erziehungsmaßregeln

Zu den Erziehungsmaßregeln zählt nach § 9 JGG die Erteilung von Weisungen sowie die Anordnung, Hilfe zur Erziehung in Anspruch zu nehmen. Sie tragen ausschließlich den erzieherischen Charakter und werden somit nicht wie die Zuchtmittel und Jugendstrafe zur Ahndung des Gesetzverstoßes eingesetzt (Meier/Rössner/Schöch 2007, S. 166).

„Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Der Richter kann dem Jugendlichen insbesondere auferlegen,

1. Weisungen zu befolgen, die sich auf den Aufenthaltsort beziehen,
2. bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen,
3. eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen,
4. Arbeitsleistungen zu erbringen,
5. sich der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person (Betreuungshelfer) zu unterstellen,
6. an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen,
7. sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich[[2] ]),
8. den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten zu unterlassen oder
9. an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen“ (§ 10 Abs.1 JGG).

Außerdem kann der Richter dem Jugendlichen bzw. Heranwachsenden „auferlegen, sich einer heilerzieherischen Behandlung durch einen Sachverständigen oder einer Entziehungskur zu unterziehen“ (§ 10 Abs.2 JGG).

Zu Erziehungsmaßregeln zählende Hilfen zur Erziehung werden im § 12 JGG geregelt. Darunter fällt zum einen die richterliche Anordnung, eine Erziehungsbeistandschaft in Anspruch zu nehmen (§ 30 SGB VIII) und zum anderen die Anweisung sich in eine Einrichtung über Tag und Nacht im Sinne der Heimerziehung bzw. in eine sonstige betreute Wohnform zu begeben (§ 34 SGB VIII).

2.1.4.2 Zuchtmittel

Zuchtmittel stellen die nächste Sanktionierungsform des JGG dar. Reichen die Erziehungsmaßregeln nicht mehr aus und ist die Jugendstrafe weder geeignet noch erforderlich (§ 13 Abs.1 JGG), so wird gemäß § 13 Abs.2 JGG entweder eine Verwarnung (§ 14 JGG) ausgesprochen, es werden Auflagen (§ 15 JGG) erteilt oder es wird ein Jugendarrest (§ 16 JGG) angeordnet. Wie schon erwähnt dienen die Zuchtmittel der Ahndung einer Straftat, allerdings weniger im Sinne der Vergeltung sondern eher um dem Jugendlichen einen „Denkzettel“ zu verpassen: Er soll die Konsequenzen des von ihm begangenen Unrechts erspüren und die entsprechenden Schlüsse daraus ziehen. Nichtsdestotrotz sind Zuchtmittel nicht als echte Kriminalstrafen anzusehen, denn sie werden nicht im Strafregister sondern laut § 60 Abs.1 Nr. 2 BZRG im Erziehungsregister vermerkt (Streng 2003, S. 190).

Der Jugendrichter kann dem Jugendlichen bzw. Heranwachsenden auferlegen einen Täter-Opfer-Ausgleich anzustreben oder zumindest sich persönlich bei dem Verletzten zu entschuldigen, gemeinnützige Arbeitsleistungen zur erbringen bzw. eine Geldstrafe zugunsten einer karitativen Organisation zu zahlen. Allerdings dürfen die Auflagen nur in einem, für den Angeklagten zumutbaren Rahmen angeordnet werden (§ 15 Abs.1 JGG). Die Anordnung einer Geldleistung erfolgt nur dann, wenn dem Jugendlichen entsprechende Mittel zur Verfügung stehen, z.B. in Form von Arbeitseinkommen oder, wenn infolge der Tat entstandener finanzieller Vorteil wieder entzogen werden soll (§ 15 Abs.2 JGG). Ist dies nicht der Fall, so kann die Auflage erteilt werden, eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden in einer sozialen Einrichtung abzuarbeiten. Weigert sich der Jugendliche bzw. Heranwachsende die Auflagen zur erfüllten, ist die Anordnung eines Jugendarrestes denkbar (§ 15 Abs.3 JGG).

Jugendarrest stellt eine Art der stationären, also freiheitsentziehenden Sanktionen dar und kommt zum Einsatz, wenn die ambulanten Maßnahmen bereits mehrmals ohne Erfolg verhängt wurden, eine Jugendstrafe allerdings vermieden werden soll. Der Vollzug erfolgt in gesonderten Jugendarrestanstalten in Form von Freizeitarrest (Wochenendarrest), Kurzarrest oder Dauerarrest und kann je nach Arrestform zwei Tage bis zu vier Wochen dauern (Streng 2003, S. 197 f.). „Der Kurzarrest wird statt des Freizeitarrestes verhängt, wenn der zusammenhängende Vollzug aus Gründen der Erziehung zweckmäßig erscheint und weder die Ausbildung noch die Arbeit des Jugendlichen beeinträchtigt werden“ (§ 16 Abs.3 S. 2 JGG). Die zentrale Idee dieser Maßnahme ist den jungen Delinquenten einen kurzen Einblick in den Strafvollzug zu gewähren und somit durch den so genannten Schockeffekt eine abschreckende Wirkung zu erreichen (Streng 2003, S. 197).

2.1.4.3 Jugendstrafe

Jugendstrafe ist die einzige echte Kriminalstrafe im Jugendstrafrecht. Im Vergleich zu den restlichen Sanktionen des JGG wird sie nicht in das Erziehungsregister[3] sondern in das Zentralregister und somit in das behördliche sowie unter Umständen in das private Führungszeugnis eingetragen, der Betroffene gilt nach der Verurteilung als vorbestraft.[4]

Im Jugendstrafrecht wird zwischen der unbedingten Jugendstrafe und der Strafaussetzung zur Bewährung unterschieden.

2.1.4.3.1 Unbedingte Jugendstrafe

Die Aufgabe der unbedingten Jugendstrafe liegt primär darin, einen Schuldausgleich zu schaffen und die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Nichtsdestotrotz besitzt sie einen klaren pädagogischen Auftrag (Meier/Rössner/Schöch 2007, S. 219 f.). Somit muss die Dauer der Jugendstrafe so bemessen sein, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung durchführbar wird, vgl. § 18 Abs.2 JGG. Eine Haftstrafe nach Jugendgerichtsgesetz beträgt gemäß § 18 Abs.1 JGG mindestens sechs Monate und höchstens zehn Jahre. Ebenso ist der Vollzug in einer speziellen Jugendvollzugsanstalt (§ 17 Abs.1 JGG) dermaßen ausgestaltet, dass die Verurteilten dazu erzogen werden, künftig ein straffreies und verantwortungsbewusstes Leben zu führen (Meier/Rössner/Schöch 2007, S. 219).

„Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist“ (§ 17 Abs.2 JGG).

2.1.4.3.2 Strafaussetzung zur Bewährung

Das Jugendgerichtsgesetz bietet vier verschiedene Möglichkeiten eine Bewährungsentscheidung zu fällen.

Zunächst kann die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt sein. Das heißt, konnten schädlichen Neigungen, die die Erforderlichkeit einer Jugendstrafe belegen, nicht eindeutig identifiziert, die Schuld des Jugendlichen allerdings festgestellt werden, so kann der Richter die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe für eine von ihm zu bestimmende Bewährungszeit aussetzen, vgl. § 27 JGG. Sollten in der Bewährungszeit wider Erwarten schädliche Neigungen des Angeklagten durch sein Verhalten offenkundig werden, so wird die Aussetzung zur Bewährung aufgehoben und die Jugendstrafe verhängt. Sollte dies nicht der Fall sein, wird der Schuldspruch getilgt (§ 30 JGG) (Meier/Rössner/Schöch 2007, S. 262-264).

Als nächstes kann die Vollstreckung einer bereits verhängten Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Das Gericht geht hier von der Erwartung aus, dass die Verurteilung an sich den Jugendlichen bzw. Heranwachsenden soweit beeindruckt hat, dass er auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs künftig ein straffreies Leben führen wird. Diese Entscheidung geschieht unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Verurteilten, seines Vorlebens, der Umstände seiner Tat sowie seines Verhaltens und seiner Lebensverhältnisse nach der Tat. Folglich muss eine günstige Legalbewährungsprognose vorhanden sein. Die verhängte Jugendstrafe darf nicht mehr als ein bzw. zwei Jahre betragen (§ 21 JGG) (Streng 2003, S. 224-226). Die Bewährungszeit beträgt zwei bis drei Jahre und kann nachträglich verkürzt bzw. verlängert werden, vgl. § 22 JGG. Die Aussetzung zur Bewährung wird mit der Anordnung von Weisungen bzw. Auflagen verbunden. Sollte der Verurteilte diese schuldhaft nicht erfüllen oder erneut straffällig werden, so kann die Aussetzung widerrufen und der Vollzug der verhängten Jugendstrafe angeordnet werden (§ 26 JGG).

Eine dritte Art der Bewährungsentscheidung ist die so genannte Vorbewährung gemäß § 57 JGG. „Bei der Vorbewährung handelt es sich um eine Besonderheit des Jugendstrafverfahrens: Hat der Jugendrichter im Strafverfahren eine Jugendstrafe verhängt, kann er die Frage ‚Strafaussetzung zur Bewährung – ja oder nein’ zurückstellen und zu einem späteren Zeitpunkt (zum Beispiel 6 Monate nach Rechtskraft des Urteils) treffen. Bis zu dieser Entscheidung muss sich der junge Täter die Strafaussetzung zur Bewährung ‚verdienen’. Führt er sich gut, wird die Strafe nach Ablauf der festgesetzten Zeit zur Bewährung ausgesetzt, verhält er sich erneut auffällig, wird die Vollstreckung der Jugendstrafe eingeleitet“ (Stadt Hamburg 2008).

Als letztes kann der Rest einer noch zu verbüßenden Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Hierbei muss bei einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr mindestens ein Drittel der Gesamthaftzeit verbüßt werden. In der Regel wird nach der Hälfte bzw. nach Zweidrittel der Haftstrafe in einer Prüfung entschieden, ob eine vorzeitige Haftentlassung auf Bewährung zu vertreten ist, vgl. § 88 JGG.

Jugendstrafrecht sieht im Gegensatz zu dem Erwachsenenstrafrecht bei einer Aussetzung zur Bewährung grundsätzlich die Bestellung eines Bewährungshelfers vor, vgl. § 24 Abs.1 JGG. Dahinter verbirgt sich die Überlegung, dass gerade junge Straffällige einer sozialpädagogischen Betreuung in der Bewährungszeit bedürfen. Die Aufgaben eines Bewährungshelfers umschließen zwei Bereiche: Hilfeleistung und Kontrolle. Hiernach hat er den Jugendlichen bzw. Heranwachsenden in seiner Lebensführung zu unterstützen und ggf. im Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten seine Erziehung zu fördern. Andererseits ist der Bewährungshelfer verpflichtet, die Erfüllung erteilter Weisungen und Auflagen sowie die gesamte Lebensführung des Unterstellten zu überwachen und darüber dem zuständigen Jugendrichter Bericht zu erstatten, vgl. §§ 24 Abs.3, 25 JGG. Die Unterstellungszeit beträgt maximal zwei Jahre, kann jedoch nachträglich verlängert bzw. verkürzt werden (Streng 2003, S. 231 f.).

2.1.4.4 Maßregeln der Besserung und Sicherung

Analog zum Erwachsenenstrafrecht ist auch im Jugendstrafrecht die Möglichkeit gegeben im Falle der besonderen Gefährlichkeit des Täters die Maßregeln der Besserung und Sicherung zu verhängen. Dies wären laut § 7 JGG die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB), die Führungsaufsicht nach Vollzug einer Jugendstrafe (§ 68 StGB), die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) oder an eine Freiheitsstrafe anschließende (nachträgliche) Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB). Wobei der Führerscheinentzug vor allem infolge von Verstößen im Straßenverkehr angeordnet wird und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bzw. in einer Entziehungsanstalt nur bei einer vorhandenen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) zum Tragen kommt. Zusammenfassend ist zu sagen, dass diese Art der Sanktionierung im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes sehr umstritten ist, da der Erziehungsgedanke hier fast nicht vertreten wird. Sie kann somit ausschließlich in Extremfällen Anwendung finden (Meier/Rössner/Schöch 2007, S. 126-128).

2.1.5 Reformdiskussion des JGG

Die Frage danach, ob das aktuelle Jugendgerichtsgesetz noch zeitgemäß sei, ist kontinuierlich in den Medien und politischen Diskussionen vertreten. Dabei teilen sich die Meinungen in zwei oppositionelle Lager, einerseits für die Verschärfung des Jugendstrafrechts und andererseits für seine pädagogisch orientierte Weiterentwicklung (Meier/Rössner/Schöch 2007, S. 45). Begründet wird der Reform- bzw. Handlungsbedarf aus der Sicht der ersten Gemeinschaft schon seit den neunziger Jahren durch die angeblich stetig wachsende Kinder- und Jugendkriminalität mit zunehmender Gewaltbereitschaft. Das Vorgehen der Jugendstaatsanwälte und Jugendrichter charakterisiert man in diesem Zusammenhang als allzu nachsichtig, die Strafen als zu weich, ein härteres Durchgreifen sowie ein anderes Jugendstrafrecht werden gefordert. Verstärkt wird diese Ansicht durch die spektakuläre Berichterstattung der Medien, die Aufsehen erregende Einzellfälle präsentiert und somit eine dramatisierende Lagebeschreibung gibt. Die Auswirkungen solcher Praxis zeigen die Bevölkerungsumfragen, wonach sich die eindeutige Mehrheit der deutschen Bevölkerung für eine Verschärfung des Jugendstrafrechts ausspricht.

Die am häufigsten diskutierten Reformforderungen in diesem Zusammenhang sehen wie folgt aus:

- Herabsetzung des Strafbarkeitsalters von 14 auf 12 Jahre
- Verhängung des so genannten Einstiegs- oder Warnschuss-Arrestes bei Aussetzung der Verhängung bzw. der Vollstreckung einer Jugendstrafe zur Bewährung
- Heraufsetzung der Höchstgrenze der Jugendfreiheitsstrafe von 10 auf 15 Jahre
- Keine Anwendung des JGG auf Heranwachsende mehr, sondern stets StGB (Ostendorf 2008, S. 2)
- Aufnahme von Erziehungscamps[5] in den Sanktionskatalog (Pruin 2008, S. 7).

Dass diese Reformforderungen trotz allem in einigen Fällen durchaus in reale Gesetzesvorgaben umgewandelt werden zeigt die Einführung der lange diskutierten Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht. Diese Art der Maßregel der Besserung und Sicherung wurde erstmalig im Dezember 2003 als vorbehaltene und im Juli 2004 als nachträgliche Maßnahme für die Heranwachsenden (§ 106 Abs.3-6 JGG) eingeführt. Seit Juli 2008 kann die nachträgliche Sicherungsverwahrung ebenfalls im Falle eines Jugendlichen (§ 7 Abs. 2-4 JGG) angeordnet werden (Eisenberg 2009).

Eine Gegenmeinung dazu vertritt die Fachwelt inklusive der Justizpraxis und der Wissenschaft. Angehörige dieser Bereiche zweifeln nicht an der Legitimität des Jugendgerichtsgesetzes, lehnen dafür seine Verschärfung begründet ab und fordern eine adäquate Weiterentwicklung auf diesem Gebiet. Ursächlich dafür sind wissenschaftliche Ergebnisse empirischer Studien, die einen massiven Anstieg der Kinder- und Jugendkriminalität sowie eine wachsende Brutalität bei Tatbegehung widerlegen konnten. Zusätzlich untermauern die groß angelegten Rückfalluntersuchungen die Annahme, dass härtere Strafen im Jugendstrafrecht eher zu weniger Effizienz führen als umgekehrt (Ostendorf 2008, S. 3-5). Einige Forderungen dieser Gruppe wurden bereits im JGG verankert. So hat z.B. das 2. Justizmodernisierungsgesetz, das am 31.12.2006 in Kraft getreten ist, die Rechte der Eltern des Angeklagten im Jugendstrafverfahren deutlich gestärkt (Ostendorf 2008, S. 14). Hier wurden „dementsprechend die gesetzlichen Vorgaben für den Ausschluss der Eltern von der Hauptverhandlung konkretisiert und gleichzeitig im Falle des Ausschlusses die Pflichtverteidigung angeordnet (§§ 51 Abs. 2-5, 68 Nr. 3 JGG)“ (Ostendorf 2008, S. 14).

Aktuell werden unter anderem die nachfolgenden Reformvorschläge diskutiert:

- Ausnahmslose Anwendung des JGG bei Heranwachsenden
- Einführung von Höchstgrenzen für Geld- und Arbeitsleistungen
- Umgestaltung des Jugendarrestvollzugs zu einem stationären sozialen Trainingskurs sowie Abschaffung des Freizeitarrestes
- Gesetzliche Normierung der Vorbewährung gemäß § 57 JGG, insbesondere bezüglich ihrer Dauer und der Anrechnung der in dieser Zeit erfüllten Weisungen und Auflagen
- Umformulierung der Voraussetzungen für die Verhängung einer Jugendstrafe. Der Begriff „schädliche Neigungen“ soll wegen seiner stigmatisierenden Wirkung ersetzt und „Schwere der Schuld“ konkretisiert werden
- Lösung vom Problem des fehlenden bzw. mangelnden Angebotes für ambulante Sanktionen sowie für Alternativen zur U-Haft durch die entsprechende Regelung der Kostenfrage zwischen den Länderjustizverwaltungen und den Kommunen (Ostendorf 2008, S. 14 f.).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass auf dem aktuellen Diskussionsstand das geltende Jugendstrafrecht in der Öffentlichkeit scharf kritisiert wenn nicht gar „verteufelt“, allerdings von der Fachwelt (unter der Voraussetzung einer Weiterentwicklung) verteidigt wird.

2.2 Junge Spätaussiedler

In den letzten zwanzig Jahren sind rund 2,2 Millionen Menschen mit deutscher Volkszugehörigkeit aus der GUS nach Deutschland zugewandert (vgl. Bundesverwaltungsamt 2006; Haug/Sauer 2007, S. 20 f.). Dabei ist der Anteil von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe um Einiges höher als der der einheimischen Deutschen (Dietz 2003, S. 20).

Im folgenden Abschnitt wird näher auf die Gruppe der jungen Spätaussiedler unter Berücksichtigung ihrer Lebenshintergründe, Problemlagen und Straffälligkeitsproblematik eingegangen.

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen dieser Diplomarbeit mit den Begriffen „Russlanddeutsche“, „Aussiedler“ bzw. „Spätaussiedler“ alle deutschen Volksangehörigen gemeint sind, die aus den heutigen GUS-Staaten kommen. In den folgenden Ausführungen wird zwischen diesen Personengruppen keine präzise Abgrenzung vorgenommen.

2.2.1 Lebenshintergrund junger Spätaussiedler

2.2.1.1 Ökonomisch-politische Lage der GUS-Staaten

Nach dem Fall der UdSSR zu Beginn der 90er Jahre entstand auf ihrem gesamten Gebiet eine politische sowie wirtschaftliche Krise. Die neu entstandenen GUS-Staaten erklärten, demokratische Rechtsstaaten errichten zu wollen. Allerdings wurden in einigen Ländern dadurch äußerst instabile staatliche Strukturen initiiert, so dass es zu Kriegen, Aufständen und Staatsstreichen sowie zur Machtübernahme durch Kriminelle kam (Furman 2006, S. 5). Auch der Lebensstandard des überwiegenden Teils der Bevölkerung sank dramatisch. Durch eine enorme Inflationsrate wurden alle Ersparnisse der Bürger entwertet. Viele Menschen verloren ihre Arbeitsplätze oder mussten auf Kurzarbeit umsteigen. Beschäftigte bekamen ihre Löhne monatelang nicht ausbezahlt (Götz/Halbach 1996 zit. n. Dietz/Roll 1998, S. 24 f.). Das in der UdSSR existierende Recht auf Arbeit galt in der neu eingeführten Marktwirtschaft nicht mehr (vgl. Dietz/Roll 1998, S. 26; Schäfer 2002, S. 15). Auch die Finanzierung des Sozialen Sektors (öffentlicher Wohnungsbau, Gesundheitswesen, staatliches Bildungswesen) konnte kaum noch getragen werden. Die vielen staatlichen Kinder- und Jugendorganisationen lösten sich auf. In dieser Zeit des Umbruches wurde die Gesellschaft in verheerender Weise gespalten: Es entstand eine tiefe Kluft zwischen Reich und Arm. So rutschte eine Vielzahl von Menschen in die fatale Mittellosigkeit, wohingegen einige Wenige die Krise für sich nutzen konnten und somit zu so genannten reichen „neuen Russen“ wurden (Schäfer 2002, S. 14 f.).

Das für die 90er Jahre kennzeichnende ökonomisch-politische Chaos innerhalb der GUS begann im neuen Jahrtausend sich allmählich zu zerstreuen, wobei von einer vollkommenen Stabilisierung auch im Jahr 2009 nicht die Rede sein kann. So gelang es keinem der GUS-Staaten, im Gegensatz zu den Ländern Ostmitteleuropas, eine tragfähige demokratische Ordnung zu etablieren. Vielmehr setzten sich durchgängig Präsidialregime mit mehr oder minder autoritären Zügen, wie übermächtigen Präsidenten, Korruption innerhalb des Beamtentums, mangelnde Rechtsstaatlichkeit, ungenügende politische Opposition sowie kaum vorhandene freie Presse durch (Bos 2007, S. 455). Folglich ist anzunehmen, dass sich das Verständnis von „echter“ Demokratie bei vielen Russlanddeutschen nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik erst entwickeln muss.

Überdies sind die meisten GUS-Länder immer noch von ernsthaften wirtschaftlichen Problemen geprägt (Bos 2007, S. 455). Wobei Russland, als der größte und bedeutsamste Repräsentant der GUS, nach Meinung von einigen Experten längst nicht mehr dazu zählt. So berichtet die Wiener Zeitung: „Die Zeiten der wirtschaftlichen Unsicherheit sind in Russland vorbei. Mit dem neuen Präsidenten Dimitri Medwedew wird das Land kaum von seinem bisherigen Kurs abweichen. Und obwohl im westlichen Europa bezüglich der russischen Staatsführung oft die Nase gerümpft wird: unter Wladimir Putin stabilisierte sich das Land, die Armut geht immer mehr zurück, wohingegen die Mittelschicht wächst“ (Walther 2008). Auch Schulze (2008, S. 27) weist auf eine ökonomische Stabilisierung des Landes hin, die allerdings fast ausschließlich auf Energie- und Rohstoffexporte zurückzuführen ist.

Innerhalb der UdSSR propagandierte Brüderlichkeit schlug in den Nachfolgestaaten in das Gegenteil um. Ungeachtet ihrer multinationalen Bevölkerungsstruktur „verfolgen [sie] alle eine stark nationalstaatlich, manchmal auch nationalistisch ausgerichtete Politik. Die ethnischen Minderheiten sind deshalb verunsichert und befürchten unter diesen Bedingungen in ihren eigenen Ländern zu Bürgern zweiter Klasse zu werden“ (Schäfer 2002, S. 14).

2.2.1.2 Kindheit und Jugend in den GUS-Staaten

Die Kindheit und Jugend der jungen Russlanddeutschen in ihren Herkunftsländern waren geprägt von den sozialistischen Ideologien der ehemaligen UdSSR und den chaotischen Zuständen nach ihrem Zerfall (siehe Kap. 2.2.1.1).

Allerdings haben nur die wenigsten Jugendlichen aus den Spätaussiedlerfamilien, im Gegensatz zu der Eltern- bzw. Großelterngeneration, in ihren Heimatländern ethnisch motivierte Diskriminierungserfahrungen gemacht. Sie waren fest in der jeweiligen Gesellschaft integriert. Berichte über angespannte nationale Beziehungen stammen meist von den jungen Russlanddeutschen aus den überwiegend muslimischen Ländern der ehemaligen UdSSR wie Kasachstan, Usbekistan oder Tadschikistan. Allerdings beruhten diese nicht primär auf der deutschen, sondern allgemein auf der europäischen Zugehörigkeit der Betroffenen. Folglich identifizieren sich fast alle Spätaussiedler aus der GUS eher mit der russischen Kultur, als mit der des jeweiligen Herkunftslandes und werden somit zu Recht als „Russlanddeutsche“ bezeichnet (Dietz/Roll 1998, S. 27-30).

2.2.1.2.1 Familiensystem

„Aussiedlerfamilien sind auch heute noch vor allem Großfamilien“ (Schäfer 2002, S. 45). Trotz der zahlreichen Umbrüche und Modernisierungen in der GUS mit darauf folgenden Veränderungen im familiären Beziehungskontext ist die Erscheinungsform der Familie als eine feste Gemeinschaft konstant geblieben. Mehr noch ist deren Zusammenhalt für die materielle und psychosoziale Existenzsicherung der einzelnen Familienangehörigen äußerst wichtig (Dietz/Roll 1998, S. 79 f.). Dabei sind die Kinder nicht nur ein wichtiger Teil dieser Gemeinschaft, vielmehr wird die Familie meist erst durch die formale Registrierung der Ehe und den darauf kommenden Nachwuchs als solche betrachtet (Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung 2003, S. 25). Als eine weitere Erklärung der ausgeprägten familiären Bindung in den GUS-Staaten können die ziemlich beengten Wohnverhältnisse dienen. So ist es üblich bzw. unumgänglich, dass die Kinder bis zur Heirat und in vielen Fällen auch danach, im elterlichen Haushalt wohnen bleiben. Folglich werden die aufeinander folgenden Generationen praktisch gezwungen, gut miteinander auszukommen (Ruder 2004a, S. 1 f.).

Im Regelfall wünschen sich die Paare mindestens zwei Kinder, wobei ihre finanziellen Verhältnisse hierbei eine entscheidende Rolle spielen. So hat sich in der letzten Zeit mit steigendem Einkommensniveau eine Tendenz entwickelt, weniger Kinder zu haben, diesen aber die bestmöglichen Zukunftschancen zu bieten (Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung 2003, S. 21-23).

Die meisten Bürger der GUS orientieren sich an einem traditionellen Familienmodell, bei dem der Mann hauptsächlich die „Ernährer-Rolle“ einnimmt und die Frau für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig ist (vgl. Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung 2003, S. 26; Schmidt 2004, S. 4). Nichtsdestotrotz können nur Frauen in den relativ wohlhabenden Familien es sich erlauben, nicht erwerbstätig zu sein. Somit sind die meisten Frauen einer Doppelbelastung durch familiäre und berufliche Verpflichtungen ausgesetzt. Ungeachtet dieser eher konservativen Orientierung erfolgen die Verwaltung des gesamten Haushaltseinkommens sowie die Planung aller Ausgaben in den meisten Fällen in Zusammenarbeit beider Ehepartner (Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung 2003, S. 26).

Familiäre Kindererziehung in den Ländern der ehemaligen UdSSR ist je nach Familienkonstellation unterschiedlich geprägt, da es sich jeweils um eine Gemeinschaft von Individuen handelt (Khrypto 2004, S 1 f.). Nichtsdestotrotz neigt der überwiegende Teil der Eltern dazu, ihre Kinder in weitgehend autoritärem Stil zu erziehen. Mit den Schwierigkeiten der 90er Jahre verlor jedoch in einigen Familien die früher unangefochtene Autorität der Eltern, vor allem aber die des Vaters, an Kraft: Arbeitslosigkeit und die daraus resultierenden finanziellen Sorgen, Alkoholprobleme sowie häufige Gewaltausbrüche ließen das Bild von dem starken, ausgeglichen und beschützenden Familienoberhaupt bröckeln (Schäfer 2002, S. 45).

In den Familien der ehemaligen UdSSR werden den Kindern ziemlich früh Verantwortungsbewusstsein und Selbständigkeit beigebracht. So wird zum Beispiel bei der hauswirtschaftlichen Aufgabenverteilung ein Teil der Arbeit an den Nachwuchs übertragen (Ruder 2004a, S. 2). Aufgrund der finanziellen Engpässe sind viele Familien auf die Selbsterzeugung der Nahrungsmittel angewiesen. Dies hat ihre Geltung nicht nur in den ländlichen Regionen, sondern auch in den Städten, deren Bewohner außerhalb der Stadtgrenzen kleine Landflächen besitzen. Somit gehören sehr oft die Pflichten bezüglich der familieneigenen Landwirtschaft und Viehhaltung zum Aufgabenbereich der Nachwuchsgeneration. Wobei die Mädchen traditionsgemäß eher die hauswirtschaftlichen sowie pflegerischen und die Jungen eher die handwerklichen sowie physisch anspruchsvollen Tätigkeiten übernehmen (Schmidt 2004, S. 4 f.). Negative Konsequenzen dieser Umstände sind die relativ knapp bemessene Freizeit sowie die Gefahr einer körperlichen und seelischen Überforderung der Kinder und Jugendlichen (Süss 2005, S.1).

Wie schon erwähnt, gehen in der Regel beide Elternteile ihrer Berufstätigkeit nach. Mehr noch müssen meist die Männer aber in einigen Fällen auch die Frauen, einen Zweit- oder Drittjob annehmen um das finanzielle Auskommen der Familien zu sichern. Somit können die Eltern sich nur begrenzte Zeit mit ihren Kindern beschäftigen. Deswegen wird der Nachwuchs in Kinderkrippen und –gärten, Horten sowie schulischen Einrichtungen versorgt bzw. spielen die Großeltern häufig die Rolle der „Babysitter“ und übernehmen somit einen Teil der Betreuungsaufgaben (Schmidt 2004, S. 4).

Mit dem zunehmenden Konsum von Drogen und Alkohol in der postsowjetischen Gesellschaft wurde es für die Eltern ein wichtiger Aspekt in der Erziehung, dieser Problematik vorzubeugen. Hierbei sind Angehörige unterschiedlicher sozialer Gruppen und Schichten gleichermaßen betroffen (Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung 2003, S. 24). Allerdings geschehen diese Bemühungen häufig auf intuitiver Basis und sind nur mäßig von Erfolg gekrönt, da in der GUS-Bevölkerung immer noch ein erheblicher Wissensmangel über Präventions- sowie Therapiemaßnahmen herrscht (Dietz 2003, S. 17).

Ebenso nehmen die Eltern die Ausbildung ihrer Kinder sehr ernst, auch wenn sie selber keinen akademischen Grad besitzen. Besonders in ärmeren Schichten stellt ein hohes Bildungsniveau die einzige Möglichkeit dar, die Zukunft des Nachwuchses zu sichern (Schäfer 2002, S. 46).

2.2.1.2.2 Bildungssystem

Wie schon geschildert sind in den Ländern der GUS meist beide Elternteile berufstätig, so dass die Kinder entweder bei den Großeltern (überwiegend in ländlichen Gegenden) oder in institutionellen Vorschuleinrichtungen untergebracht werden müssen. Folglich besuchen rund 70% der Kinder einen Kindergarten bzw. eine Kinderkrippe. Wobei diese, im Gegensatz zu Bundesrepublik, meist für bis zu zwölf Stunden pro Tag geöffnet sind und in einigen Fällen Übernachtungsmöglichkeiten für die Kinder anbieten (Ruder 2004b, S. 1).

Die Gebäude der staatlichen Vorschuleinrichtungen sind großzügig angelegt und ähneln in ihrer Größe einer Gesamtschule. Da erheblicher Wert darauf gelegt wird, dass die Kinder sich ausreichend in der frischen Luft bewegen, hat jeder Kindergarten einen eigenen Spielplatz sowie Grünanlagen (Ruttner 2002, S. 92).

Seit den 90ern werden in den GUS-Staaten zusätzlich viele private Kindergärten gegründet.

In der heutigen Zeit strebt man in Bezug auf die pädagogische Ausrichtung der Vorschuleinrichtungen eine weitgehende Abgrenzung von der sowjetischen Erziehungsideologie mit ihren Regeln und Zielen an. Die Individualität der Kinder soll gefördert werden, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Interessen der ganzen Gruppe gewahrt bleiben. Die Umsetzung dieser Konzeption ist jedoch aufgrund der auftretenden Widersprüche nicht immer realisierbar (Ruttner 2002, S. 83).

Die Hauptaktivitäten der Kinder kann man in drei Tätigkeitsbereiche unterteilen: Körperliche Erziehung (z.B. Sport), ästhetische Erziehung (z.B. Musik) und geistige Erziehung (z.B. Mathematik) (Ruttner 2002, S. 99).

Nach der Auflösung der Sowjetunion wurde das Schulsystem in den Nachfolgestaaten teilweise reformiert. Dementsprechend erfolgte eine gründliche Neugestaltung von Lehrplänen und -büchern mit der Intension, sie vom ideologischen Ballast des alten Regimes zu befreien. Allerdings stieß die Umsetzung neuer theoretischer Konzepte in der Realität oft auf menschliche Grenzen. So spielen an etlichen Schulen die Disziplin, Autorität der Lehrer sowie rigide Unterrichtsvorgaben immer noch eine erhebliche Rolle (Dietz/Roll 1998, S. 57).

Staatliche Bildungseinrichtungen wurden in den 1990er Jahre durch einige private ergänzt. So entstanden z.B. die humanwissenschaftlich orientierten Gymnasien (in einigen Fällen mit einem Grundschulbereich, dem Progymnasium) und die technisch-naturwissenschaftliche Lyzeen. Diese verlangen eine erhebliche Schulgebühr, genießen allerdings bei der Bevölkerung ein hohes Ansehen, da ihr Unterrichtsspektrum um einiges umfangreicher ist und sie eine bessere Vorbereitung auf den Hochschulbesuch bieten.

Nach dem Vorbild der UdSSR gibt es eine große Anzahl an Spezialschulen für Hochbegabte mit unterschiedlicher fachlicher Fokussierung.

Die Struktur der allgemeinen, staatlichen und somit für die Bürger kostenlosen, Schulen blieb größtenteils unverändert. Sie umfasst drei Stufen: die drei- bzw. vierjährige Grundstufe (je nach Einschulungsalter von sieben oder sechs Jahren), die fünfjährige allgemein bildende Mittelstufe und die darauf folgende zweijährige Oberstufe (www.bqm-handbuch.de). Danach besteht die Möglichkeit eine Berufsausbildung zu absolvieren bzw. eine Universität oder Hochschule zu besuchen. Allerdings ist zu bemerken, dass die berufliche Ausbildung in den GUS-Staaten bezüglich ihrer Struktur in keiner Weise mit dem dualen Ausbildungssystem der Bundesrepublik vergleichbar ist (Dietz/Roll 1998, S. 57).

In der chaotischen Zeit der 90er Jahre befanden sich die Schulen sowie Universitäten in einer ernsthaften finanziellen Misslage, die gebietsweise bis heute ihre Gültigkeit hat und einen erheblichen Mangel an Lehrkräften, Schulräumen und Unterrichtsmitteln verursacht (Schäfer 2002, S. 15).

In der sowjetischen Gesellschaft wurde die Erziehung der jungen Generation zum erheblichen Teil an die öffentlichen Einrichtungen übertragen, da jene aufgrund ihrer professionell ausgebildeten Fachkräfte für diesen Aufgabenbereich als besser geeignet galten. In der heutigen Zeit sind solche Ansichten immer noch weit verbreitet, obwohl zunehmend Versuche unternommen werden, die elterliche Verantwortung stärker zu betonen (Ruttner 2002, S. 88 f.). Folglich kommen die meisten Spätaussiedler aufgrund ihrer Prägung hinsichtlich der öffentlichen Kindererziehung (und natürlich der mangelnden Sprachkenntnisse) mit der deutschen Art der Elternarbeit nur schwer zurecht (Schäfer 2002, S. 58).

2.2.1.2.3 Freizeit

In der Zeit der Sowjetunion waren Kinder und Jugendliche fest in die staatlichen Freizeitorganisationen eingebunden. Es gab zahlreiche kostenlose Angebote in den Bereichen: Musik, Kunst, Tanz, Sport, Handwerk, Wissenschaft etc., die in den Pionier- und Jugendpalästen, der Schule, den Feriencamps oder städtischen Kulturhäusern wahrgenommen werden konnten. Nach dem Zerfall der UdSSR blieben nur wenige dieser Freizeitangebote erhalten. Die meisten davon wurden mit einer Gebühr belegt, so dass nur die finanziell Bessergestellten sich diese leisten konnten. In ländlichen Gegenden verschwanden diese Freizeitangebote fast vollständig, wobei hier auf die Natur bezogene Aktivitäten, wie Angeln, Wandern, Radfahren etc. schon immer dominierten und den Verlust der staatlichen Organisationen abmilderten. In den Städten dagegen entstand diesbezüglich eine Leere (Dietz/Roll 1998, S. 112 f.). Folglich wurden die Strasse, die Innenhöfe der Häuserblocks oder im Winter die Hauseingänge und Keller zu den Treffpunkten der Jugendlichen. In dieser Umgebung geschieht ein wichtiger Austausch mit Gleichaltrigen, wird ein Gefühl der Freiheit erlebt und neue, zum Teil auch negative Erfahrungen, wie Konsum von Alkohol und Drogen werden gemacht. Bestimmungen, dass an manchen Orten ein ruhiges Verhalten erwartet wird oder dass kommunale Anlagen nur zu bestimmten Öffnungszeiten genutzt werden können, werden weitgehend nicht beachtet (Süss 2005, S. 1). Somit ist die Peer Group ein bedeutsamer Ort der Sozialisation für russlanddeutsche Jugendliche, denn trotz des großen Stellenwertes und der orientierungsgebenden Funktion der Familie, bevorzugen nur die Wenigsten ihre Freizeit mit eigenen Familienangehörigen zu verbringen (Ruder 2004c, S. 3).

Sportliche Betätigung war zur Zeit der UdSSR ein wichtiger Teil der Erziehung und behielt ihre Bedeutung für Kinder und Jugendliche auch nach der Gründung der GUS. Allerdings wurden die Sporthallen nicht mehr im ausreichenden Maße gepflegt und mit neuen Utensilien ausgestattet, blieben aber nachmittags für jedermann zur freien Nutzung verfügbar (Süss 2005, S. 1). Diese Sportbegeisterung nimmt bei vielen jungen Russlanddeutschen nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik um Einiges ab. Ursächlich dafür ist vor allem die Tatsache, „dass Sport treiben in Deutschland einfach viel teurer ist und dass die Leute nicht gewöhnt sind, zum Sporttreiben einem Verein beitreten zu müssen“ (Tröster 2003).

Es gibt mittlerweile, vor allem in den Großstädten, etliche Kinos, Cafes, Bars und Diskotheken (Klubs), deren Besuch allerdings mit hohen Kosten verbunden ist und deshalb nur von ca. einem Drittel der Jugendlichen wahrgenommen werden kann.

Ungefähr 40% bevorzugen in ihrer Freizeit das Lesen von Büchern und Zeitschriften, ca. 60% dagegen das Fernsehen, Musik hören und Videos anschauen (Ritzmann 2008).

„Einen großen Stellenwert nimmt die moderne Technik im Freizeitverhalten der jungen Russen ein. Etwa jeder Dritte sitzt zur Erholung oder auch zur Unterhaltung am Computer. (…) Die Anzahl derjenigen, die heutzutage in irgendeiner Form surfen, programmieren, chatten, tippen oder spielen, hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdreifacht. 54% der 18- bis 24-Jährigen und 39% der 25- bis 34-Jährigen gelten entsprechend einer Studie der ‚Public Opinion Foundation’ als Internetnutzer“ (Ritzmann 2008).

Ohne die strikte Kontrolle von Seiten des Staates konnten sich nach dem Vorbild des Westens subkulturelle Gruppen, wie z.B. die Technoanhänger, Punks aber auch ausländerfeindlich gestimmte Skinheads entwickeln (Schäfer 2002, S. 16 f.).

2.2.1.3 Übersiedlung nach Deutschland

Die Gründe für die Übersiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung der heutigen GUS-Staaten haben sich im Laufe der Zeit bedeutsam verändert. Im Zeitraum von 1950 bis 1990 bestand die Motivation der Aussiedler für die Ausreise aus der UdSSR größtenteils in ihrer historischen Abstammung. Sie wollten in das Heimatland ihrer Vorfahren zurückkehren. Dabei mussten sie oftmals große Hürden der sowjetischen Behörden überwinden. Mit dem Zerfall der UdSSR löste sich der größte Teil dieser Hürden auf. Zusätzlich wuchs die Ausreisemotivation dieser Bevölkerungsgruppe aufgrund der zunehmenden Verschlechterung der politischen und ökonomischen Bedingungen in den neu entstandenen Staaten (Dietz 2003, S. 20 f.). Außerdem wollten die Betroffenen ihren bereits ausgewanderten Familienangehörigen folgen oder den zunehmenden ethnischen Diskriminierungen in den Herkunftsländern entfliehen (Schäfer 2002, S. 19). Nicht selten wird die Sicherung einer „besseren Zukunft“ für die Kinder als Auswanderungsgrund angegeben. Auch wenn die Ausreiseentscheidung in langen, intensiven, manchmal auch Konflikt behafteten, familieninternen Diskussionen entschieden wird, bleibt meist der minderjährige Nachwuchst diesbezüglich unbefragt (Dietz 2003, S. 21). Dabei werden in den Fachkreisen die Stimmen immer lauter, die die jungen Russlanddeutschen als die „mitgenommene Generation“ betiteln. Allerdings ist an dieser Stelle zu bemerken, dass die wissenschaftlichen Studien in ihren Ergebnissen darüber oft auseinander gehen. Nichtsdestotrotz steht die positive Wirkung der Freiwilligkeit bei der Einreise in die Bundesrepublik auf die Integration und allgemeine Wohlbefindlichkeit der Kinder und Jugendlichen außer Frage (Schmitt-Rodermund/Silbereisen/Wiesner 1996 zit. n. Dietz 2003, S. 21).

Die Altersstruktur der Spätaussiedler unterscheidet sich erheblich von der der Deutschen. So waren im Jahr 2000 44% aller in Deutschland Ankommenden aus der GUS jünger als 25 Jahre. In dieser Zeit betrug der Anteil dieser Altersgruppe unter der gesamtdeutschen Bevölkerung nur 26%. Folglich könnte sich die Einwanderung von Russlanddeutschen positiv auf die Überalterungsproblematik der Bundesrepublik auswirken. Allerdings ist dies nur unter der Voraussetzung der erfolgreichen (vor allem beruflichen) Integration dieser Bevölkerungsgruppe möglich (Dietz 2003, S. 20).

Wie schon geschildert, wurde die Übersiedlung Anfang der 90er Jahre von Seiten der ehemaligen Sowjetunion in vieler Hinsicht erleichtert. Folglich stiegen die Einreisendenzahlen nach Deutschland zu dieser Zeit drastisch an (siehe Anhang A). So wurden in den darauf folgenden Jahren seitens der Bundesrepublik immer strengere Aufnahmebedingungen geschaffen, um den Aussiedlerfluss unter Kontrolle zu halten (Dietz 2003, S. 21). Gleich am 01.07.1990 trat das „Aussiedleraufnahmegesetz“ in Kraft, laut dem alle potenziellen Aussiedler ihre Einwanderung nach Deutschland noch in ihren Herkunftsländern förmlich beantragen und dort auf einen Aufnahme- bzw. Ablehnungsbescheid warten müssen (Schäfer 2002, S. 22). Die Wartezeit konnte einige Jahre betragen. Wobei diese Zeitperiode nicht selten für die Betroffene mit Instabilitäts-, Besorgnis- und Kränkungsgefühlen, Misstrauen und Verzweifelung verbunden war (Lakizyuk 2006, S. 135). Des Weiteren konnten seit dem 01.01.1993 fast nur die Deutschstämmigen aus den GUS-Staaten in die Bundesrepublik einreisen. Ausschlaggebend dafür war das „Kriegsfolgenbereinigungsgesetz“ mit seiner Bestimmung, dass alle Antragsteller aus anderen Teilen Osteuropas als der GUS Nachweise erbringen müssen, laut welchen sie in ihren Heimatländern aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ernsthaft benachteiligt werden (vgl. Schäfer 2002, S. 22; Haug/Sauer 2007, S. 18). Ebenfalls im Jahr 1993 wurde die Aufnahme von Russlanddeutschen zunächst auf maximal 225.000 und ab Jahr 1999 dann auf 103.080 Personen pro Jahr (mit zugestandener zehnprozentiger Abweichung) begrenzt (Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, S. 28). Die deutsche Volkszugehörigkeit der Spätaussiedlerbewerber muss nach § 6 BVFG durch ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum bestätigt sein. Um dies zu überprüfen, wurde seit 1996 in den Herkunftsländern vor der Übersiedlung ein mündlicher Sprachtest zur Pflicht. Mit dem Nichtbestehen dieses Tests wird die Einreisegenehmigung für die ganze Familie verwehrt (Dietz 2003, S. 20). „Mit Inkrafttreten der Änderungen des Zuwanderungsgesetzes ab 2005 wurden die Aufnahmevoraussetzungen für Spätaussiedler weiter verschärft. Danach müssen im Gegensatz zu früher, auch die Ehegatten und Abkömmlinge (…) Grundkenntnisse der deutschen Sprache nachweisen, um in den Aufnahmebescheid einbezogen werden zu können. Andernfalls ist eine Übersiedlung für sie nur noch unter den engen Voraussetzungen des Ausländerrechts möglich. Es ist für die Zukunft von einem weiteren Rückgang der jährlichen Spätaussiedlerzahl auszugehen“ (Haug/Sauer 2007, S. 21).

[...]


[1] Das Subsidiaritätsprinzips im Rahmen des JGG „besagt, daß nur dann angeklagt werden soll, wenn ein informelles Vorgehen der Staatsanwaltschaft – insbes. auf der Basis von § 45 JGG – nicht ausreicht und daß ggf. im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens nur dann mit formellen Sanktionen reagiert werden soll, wenn dies unabdingbar ist“ (Streng 2003, S. 88).

[2] Täter-Opfer-Ausgleich ist ein Verfahren außergerichtlicher Konfliktlösung bzw. Konfliktschlichtung. Hierbei werden mit Hilfe eines professnellen Vermittlers (Mediator) Täter und Opfer darin unterstützt, eine für beide Seiten akzeptable materielle sowie immaterielle Wiedergutmachung, des infolge einer Straftat entstandenen Schadens zu erreichen (Streng 2003, S. 93 f.).

[3] Erziehungsregister ist ein Teil des Bundeszentralregisters. Eingetragen werden erzieherische Maßnahmen der Vormundschafts- und Jugendgerichte, Jugendstrafe ausgenommen. Eintragungen im Erziehungsregister werden mit der Vollendung des 23. Lebensjahres, solange keine Einträge im Strafregister bestehen, entfernt (Günzel 2001, S. 173).

[4] Es wird zwischen einem behördlichen Führungszeugnis und einem privaten Führungszeugnis (z.B. zur Vorlage beim Arbeitgeber) unterschieden. Das private Führungszeugnis enthält überwiegend keine Entscheidungen nach dem JGG. Demzufolge kann die Stigmatisierung der betroffenen jungen Menschen weitgehend vermieden werden, denn trotz einer Vorstrafe im juristischen Sinne, erhalten sie ein „sauberes“ Führungszeugnis und dürfen sich somit als unbestraft bezeichnen (Laubenthal/Baier 2006, S. 358).

[5] In Erziehungscampsmit einem therapeutischen Gesamtkonzept leben die Jugendlichen für eine gewisse Zeit zusammen mit Betreuern sowie anderen Jugendlichen. Zielsetzung solcher Erziehungscamps besteht darin, den jungen Straftätern ein Leben mit fester Struktur und Respekt vor Anderen beizubringen. Die gesetzten Ziele werden durch strenge Regeln, Sport, Disziplin, Arbeit und Verhaltenstraining umgesetzt (Pruin 2008, S. 7).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783842806245
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg – Sozialwesen, Soziale Arbeit
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
kriminalität zucht jugendstrafe lebenshintergrund identität
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Titel: Härtere Strafen versus ambulante Maßnahmen
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