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Mädchen und Mathematik

Untersuchungen aktueller Schulbücher zum Mathematikunterricht nach Geschlechtsrollenstereotype

©2010 Masterarbeit 70 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘Was?? Sie studieren Mathematik?
Dann gehören Sie bestimmt in Ihrem Studium zu der Minderheit!’.
Mit dieser Aussage werde ich jedes Mal konfrontiert, wenn ich danach gefragt werde, was ich denn studiere. Viele empfinden, dass Mathematik in unserer heutigen Gesellschaft immer noch Männersache ist. Während meiner eigenen Schulzeit interessierte mich die Geschlechterproblematik im Mathematikunterricht nur sehr wenig. Mädchen und Mathematik, das sollte nicht passen? Mädchen können keine Mathematik?! Von wegen! Davon wollte ich in meiner Schulzeit nichts hören. Mathematik gehörte von Anfang an zu meinen Lieblingsfächern und genau das wollte ich auch studieren, um meine Begeisterung für diese Wissenschaft auch an Andere zu vermitteln. Auf der Realschule hörte ich von meinen Klassenkameradinnen andauernd ihr Desinteresse an diesem unbeliebten Unterrichtsfach. Wozu brauch ich denn das alles, das wäre doch Quälerei! Horrorfach! All so was bekam ich immer wieder zu hören. Ich konnte ihnen nie zustimmen und versuchte oft mit eigener Kraft, die Lust an Mathematik zu wecken. Vergebens. Wenn ich mich jetzt in den Mathematik-Vorlesungen umschaue, fällt auf, dass tatsächlich der größte Teil der Professoren männlich ist. Demzufolge suchte ich nach einem Weg zur Erklärung der Minderheit meines Geschlechtes in der Mathematik und entschloss den Gegenstand näher zu betrachten.
Im Hinblick auf die Unterrepräsentanz von Mädchen und Frauen im Mathematikbereich lassen sich vielfältige, zum Teil miteinander in Zusammenhang stehende Ursachen angeben. Neben den kompletten Sozialisationsprozess in der Gesellschaft werden in diesem Zusammenhang häufig die Schulbücher genannt. So zeigen die bisherigen Analysen der Inhalte von deutschen Schulbüchern, dass sich hier Geschlechterrollenstereotypisierungen niederschlagen. Es schien daher anregend zu überprüfen, wie Frauen und Mädchen in den aktuellen Mathematikbüchern dargestellt werden. Verbunden damit stellt sich die Frage, inwieweit das Mathematikschulbuch Einfluss auf die Entwicklung nehmen kann, ob es sogar als Verstärker von gewissen Verhaltensweisen von Mädchen angesehen werden muss. Im Rahmen dieser Untersuchung kann dieses nicht geklärt werden, aber mit einer Schulbuchanalyse kann eventuell die Grundlage für weitere Untersuchungen gelegt werden und entsprechende Verbesserungsmaßnahmen durchgeführt werden.
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in das Thema, in der gezeigt wird, dass die […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Mihriban Bal
Mädchen und Mathematik
Untersuchungen aktueller Schulbücher zum Mathematikunterricht nach
Geschlechtsrollenstereotype
ISBN: 978-3-8428-0487-6
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Freie Universität Berlin, Berlin, Deutschland, MA-Thesis / Master, 2010
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

2
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ... 3
Tabellenverzeichnis... 4
1.
Einleitung ... 5
2.
Die Bedeutung der kulturellen Geschlechtsrollenstereotype... 6
3.
Bisherige Forschungsergebnisse zu Geschlechtsrollenstereotype...
in
Mathematikschulbüchern ... 8
3.1
Untersuchungen ab 1970 ... 8
3.2
Die Studie von Susanne Thomas ... 9
4.
Methodik der Schulbuchanalyse... 10
4.1
Forschungsfrage und Hypothesen... 10
4.2
Auswahl der Schulbücher ... 13
4.3
Untersuchungsmethode... 13
5.
Untersuchungsergebnisse ... 14
5.1
Ergebnisse der zahlenmäßigen Repräsentation... 16
5.2
Untersuchungsergebnisse der Themenbereiche... 21
5.2.1
Haushalt... 21
5.2.2
Familie... 28
5.2.3
Beruf ... 30
5.2.4
Schule, Wissen, Leistung... 34
5.2.5
Freizeit, Spiel, Hobby... 40
5.2.6
Umgang mit Geldbeträgen... 45
5.2.7
Weitere Auffälligkeiten ... 46
5.3
Interpretation der Ergebnisse ... 48
6.
Fazit ... 52
Anhang ... 54
Literaturverzeichnis... 65

3
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Art der verrichteten Hausarbeiten in Schnittpunkt 5 und 6 des
Klett-Verlages differenziert nach Alter und Geschlecht
S.22
Abbildung 2: Art der verrichteten Hausarbeiten in Welt der Zahl 5 und 6 des
Schroedel- Verlages differenziert nach Alter und Geschlecht
S.23
Abbildung 3: Art der verrichteten Hausarbeiten in Mathematik plus 5 und 6
des Cornelsen- Verlages differenziert nach Alter und Geschlecht
S.25
Abbildung 4: Art der verrichteten Hausarbeiten in Mathematik 5 und 6 des
Westermann- Verlages differenziert nach Alter und Geschlecht
S.26
Abbildung 5: absolute Anteil der Personen in familiärer Rolle
(Gesamtstichprobe)
S.28
Abbildung 6: Berufstätigkeit der Frauen und Männer- Anzahl und prozentuale
Anteil
S.30
Abbildung 7: Anzahl der ,,guten" Leistungen von Mädchen und Jungen S.34
Abbildung 8: Anzahl der ,,schlechten" Leistungen von Mädchen und Jungen
S.34
Abbildung 9: Art der Freizeitbeschäftigungen von Mädchen und Jungen im
Klett-Verlag
S.40
Abbildung 10: Art der Freizeitbeschäftigungen von Mädchen und Jungen im
Schroedel-Verlag
S.41
Abbildung 11: Art der Freizeitbeschäftigungen von Mädchen und Jungen im
Cornelsen-Verlag
S.42
Abbildung 12: Art der Freizeitbeschäftigungen von Mädchen und Jungen im
Westermann-Verlag
S.43

4
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Verhältnis der Autorinnen und Autoren nach Verlag
S.15
Tabelle 2: Anzahl der weiblichen und männlichen Abbildungen auf dem
Buchumschlag
S.15
Tabelle 3: absolute und prozentuale Verhältnis der im Text aufgetretenen
Jugendlichen differenziert nach Geschlecht
S.16
Tabelle 4: absolute und prozentuale Verhältnis der im Text aufgetretenen
Erwachsenen differenziert nach Geschlecht
S.17
Tabelle 5: absolute und prozentuale Verhältnis der im Text aufgetretenen
Personen differenziert nach Geschlecht
S.18
Tabelle 6: absolute und prozentuale Verhältnis der im Bildmaterial
aufgetretenen Personen differenziert nach Geschlecht
S.19
Tabelle 7: Verhältnis der im Bildmaterial aufgetretenen Erwachsenen
und Jugendlichen differenziert
nach
Geschlecht
S.20
Tabelle 8: absolute und prozentuale Beteiligung der weiblichen und
männlichen Personen an haushaltsbezogenen Tätigkeiten
S.21
Tabelle 9: absolute und prozentuale Verhältnis der weiblichen und
männlichen Personen im Freizeitkontext differenziert nach Geschlecht
und
Alter
S.39

5
1.
Einleitung
,,Was?? Sie studieren Mathematik?
Dann gehören Sie bestimmt in Ihrem Studium zu der Minderheit!"
Mit dieser Aussage werde ich jedes Mal konfrontiert, wenn ich danach gefragt
werde, was ich denn studiere. Viele empfinden, dass Mathematik in unserer
heutigen Gesellschaft immer noch Männersache ist. Während meiner eigenen
Schulzeit interessierte mich die Geschlechterproblematik im
Mathematikunterricht nur sehr wenig. Mädchen und Mathematik, das sollte nicht
passen? Mädchen können keine Mathematik?! Von wegen! Davon wollte ich in
meiner Schulzeit nichts hören. Mathematik gehörte von Anfang an zu meinen
Lieblingsfächern und genau das wollte ich auch studieren, um meine Begeisterung
für diese Wissenschaft auch an Andere zu vermitteln. Auf der Realschule hörte
ich von meinen Klassenkameradinnen andauernd ihr Desinteresse an diesem
unbeliebten Unterrichtsfach. Wozu brauch ich denn das alles, das wäre doch
Quälerei! Horrorfach! All so was bekam ich immer wieder zu hören. Ich konnte
ihnen nie zustimmen und versuchte oft mit eigener Kraft, die Lust an Mathematik
zu wecken. Vergebens. Wenn ich mich jetzt in den Mathematik-Vorlesungen
umschaue, fällt auf, dass tatsächlich der größte Teil der Professoren männlich ist.
Demzufolge suchte ich nach einem Weg zur Erklärung der Minderheit meines
Geschlechtes in der Mathematik und entschloss den Gegenstand näher zu
betrachten.
Im Hinblick auf die Unterrepräsentanz von Mädchen und Frauen im
Mathematikbereich lassen sich vielfältige, zum Teil miteinander in
Zusammenhang stehende Ursachen angeben. Neben den kompletten
Sozialisationsprozess in der Gesellschaft werden in diesem Zusammenhang häufig
die Schulbücher genannt. So zeigen die bisherigen Analysen der Inhalte von
deutschen Schulbüchern, dass sich hier Geschlechterrollenstereotypisierungen
niederschlagen. Es schien daher anregend zu überprüfen, wie Frauen und
Mädchen in den aktuellen Mathematikbüchern dargestellt werden. Verbunden
damit stellt sich die Frage, inwieweit das Mathematikschulbuch Einfluss auf die
Entwicklung nehmen kann, ob es sogar als Verstärker von gewissen

6
Verhaltensweisen von Mädchen angesehen werden muss. Im Rahmen dieser
Untersuchung kann dieses nicht geklärt werden, aber mit einer Schulbuchanalyse
kann eventuell die Grundlage für weitere Untersuchungen gelegt werden und
entsprechende Verbesserungsmaßnahmen durchgeführt werden.
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in das Thema, in der gezeigt wird, dass
die bereits für die heutige Zeit nachgewiesene Benachteiligung der Frauen eine
lange kulturelle Vergangenheit hat, die als Grund dafür angesehen werden kann,
dass Mädchen im Mathematikbereich unterrepräsentiert sind. Dieser Teil erfüllt
vor allem den Zweck, die Notwendigkeit der anschließenden Untersuchung
deutlich zu machen. Es folgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse bisheriger
Schulbuchanalysen. Die Grundlage der eigenen Untersuchung bildet die Studie
von Susanne Thomas, die sich im Zeitraum von 1989 bis 1998 erstreckt. Für
diesen bedeutenden Teil der Arbeit stellt sich zunächst die Frage, was sich seit der
geäußerten Kritik von Susanne Thomas geändert hat. Zuerst werden die
Forschungsfragen und Hypothesen erläutert und anschließend die Auswahl der
Schulbücher begründet. Nach der Erläuterung der Untersuchungsmethode erfolgt
die Ergebnisdarstellung. Daran schließt sich eine Interpretation der Ergebnisse an,
sowie ein abschließendes Fazit.
2. Die Bedeutung der kulturellen Geschlechtsrollenstereotype
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts erhielten die Mädchen im Rahmen ihrer
Schulausbildung nicht die Möglichkeit, sich mit dem Unterrichtsfach Mathematik
auseinanderzusetzen, unter anderem mit der Begründung, dass Frauen eine
geringere mathematische Begabung haben.
Trotz der Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Preußen im Jahr 1717, die
für Mädchen und Jungen galt, hatten die Mädchen kaum Zugang zu
Schulunterricht. Die höhere Schulbildung war den Jungen vorbehalten.
1
In den
später gegründeten ,,Höheren Töchterschulen" war bloß vorgesehen, dass
Mädchen nur elementaren Rechenunterricht erhalten, damit sie ein Haushaltsbuch
führen konnten. Das bescheidene Bildungsangebot im Bezug auf
1
Vgl. Srocke, 1989, S. 228

7
Mathematikunterricht wurde damit begründet, dass Frauen nicht über die
notwendigen Kompetenzen, unter anderem das logische Denken, das
Abstraktionsvermögen und ganz allgemein die Intelligenz verfügten und nur zu
gefühlsbetonter Arbeit fähig seien. In den 1880er Jahren begannen die
Auseinandersetzungen um den Zugang der Mädchen zur Abiturprüfung, womit
auch die Diskussion über den Mathematikunterricht für Mädchen aktuell wurde.
Erst als zwischen 1900 und 1909 in den deutschen Ländern den Frauen die
Zulassung zur Immatrikulation gewährt wurde und von 1909 bis 1919
Mathematik bei der Studienfachwahl weiblicher Studierender an dritter Stelle
stand -womit an den höheren Mädchenschulen die Voraussetzungen für das
Studium geschaffen werden mussten -, begann in Preußen 1908 die Neuordnung
des höheren Mädchenschulwesens. Diese erbrachte erstmals ein den
Jungenschulen vergleichbares Niveau in Mathematik und Naturwissenschaften.
Letztlich wurde in der Riechertschen Schulreform von 1924 das Jungen- und
Mädchenschulwesen sowohl organisatorisch als auch vom Fächerkanon her nach
den gleichen Kriterien geregelt.
2
Trotz der Gleichberechtigung im Schulbereich lief die Diskussion um eine
mögliche geringere mathematische Begabung der Mädchen noch weiter an. So
wurden immer noch zahlreiche Untersuchungen zu geschlechtsspezifischen
intellektuellen Fähigkeiten, insbesondere zu mathematischen Fähigkeiten,
durchgeführt. Es ist festzuhalten, dass eine biologische Bedingtheit von
besonderer mathematischer Begabung bisher nicht nachgewiesen werden konnte.
OECD-Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Jungen nur in Gesellschaften besser
sind, in dem der Geschlechterunterschied besonders betont wird. Mädchen können
genauso hohe mathematische Leistungen erzielen wie Jungen, wenn sie ebenso
gefördert werden und weibliche Vorbilder haben.
3
Mädchen und Jungen in der Grundschule sind im Mathematikunterricht gleich
interessiert und leistungsstark. Der verhängnisvolle Umschwung zu Lasten der
2
Vgl. Kinski, 1993, S. 165
3
Hier wird die OECD-Studie gemeint, in der eine Metaanalyse mit den Daten der 2003
veröffentlichen internationaler Studien, der Trends in International Mathematics and Science
(TIMSS)-Studie und des Programme for International Student Assessment (PISA), die in 69
Ländern an insgesamt 493 495 Schülern im Alter von vierzehn bis sechzehn Jahren durchgeführt
wurden, erfolgte.

8
Mädchen beginnt am Ende der Grundschulzeit. ,,Man kann daher vermuten, dass
der Geschlechtsrollendruck in der Pubertät die Interessenentwicklungen, die
Motivation und die Identifikation mit dem Sachgegenstand besonders stark
beeinflussen".
4
So sind in Deutschland Jungen viel stärker davon überzeugt, dass
es sich für die eigenen Berufs- und Zukunftsaussichten lohnt, Anstrengungen in
das Fach Mathematik zu investieren. Mädchen bzw. Frauen sind demnach in
mathematisch-naturwissenschaftlichen Leistungskursen der Sekundarstufe II im
Vergleich zu Jungen bzw. Männern unterrepräsentiert und legen sich auch bei der
Studien- und Berufswahl eher auf ,,typisch" Frauenberufe fest, ,,die zum Teil
erheblich schlechtere soziale Chancen bieten, als solche im naturwissenschaftlich-
technischen Bereich".
5
Entsprechend fasst auch Jahnke-Klein zusammen, dass der gegenwärtige
Forschungsstand nicht auf eine ,,naturgegebene" fehlende Eignung der Mädchen
für Mathematik schließen lässt, und hebt hervor, dass die Unterschiede in den
Mathematikleistungen zwischen den Individuen deutlich größer sind als zwischen
den Geschlechtern. Trotz dieser Befunde wird die Mathematik bis in die heutige
Zeit als männlich stereotypisiert. Dies schließt kulturelle Vorstellungen und
Zuschreibungen von ,,typisch männlichen" und ,,typisch weiblichen" Berufen und
Tätigkeitsfeldern ein.
3. Bisherige Forschungsergebnisse zu
Geschlechtsrollenstereotype in Mathematikschulbüchern
3.1 Untersuchungen ab 1970
Seit Anfang der 1970er Jahren werden verschiedene Inhaltsanalysen gängiger
Mathematikschulbücher veröffentlicht, darunter sind jedoch wenige Analysen mit
einem sozialkritischen Schwerpunkt zu finden. Diese werden in unregelmäßigen
Abständen erstellt, da davon ausgegangen wird, dass in der Mathematik in erster
4
Vgl. Beermann, 1992, S.48
5
Vgl. Conrads, 1992, S.9

9
Linie die Vermittlung von Fachwissen und didaktisch- methodische
Gesichtspunkte stehen.
6
Die mir bekannten ersten Untersuchungen stammen von Glötzner (1974, 1982).
7
Er analysierte bayrische Mathematikbücher aus den 1960er und 1970er Jahren
und stellte fest, dass die weiblichen Personen sowohl in den Textaufgaben als
auch in den Illustrationen unterrepräsentiert sind. Während Frauen und Mädchen
hauptsächlich in haushaltsbezogene Tätigkeiten vorkommen, treten Männer und
Jungen in anderen interessanten, anspruchsvollen Tätigkeiten auf, wie z.B.
Fahrradtouren, lösen Denkspiele oder erfinden Zahlensortiermaschine.
8
Zugleich
sind sie aktiv, wissenschaftlich und technisch interessiert und wissend dargestellt.
Frauen werden fast gänzlich ignoriert und erhalten wesentlich wenige berufliche
Identifikationsangebote. Männer hingegen üben eine breite Palette von Berufen
aus. Zu diesen Ergebnissen kommen auch andere Untersuchungen von
Schulbüchern aus den 1970er Jahren, wie z.B. Lopatecki & Lüking (1989).
Neuere Inhaltsanalysen aus den 1980er Jahren zeigen, dass sich trotz vehementer
Kritik an der Darstellung der Frauen und Mädchen im Schulbuch nicht viel
geändert hat. Dieses zeigt unter anderem Glötzner in seiner Untersuchung
bayrischer Schulbücher, die im Jahre 1988/89 erschienen sind. Zwar kann in den
meisten Texten zumindest aus Grundschulbüchern eine extreme
Unterrepräsentation von Mädchen und Frauen nicht mehr nachgewiesen werden,
wohl aber eine immer noch stark an gängigen Klischeevorstellungen orientierte
Darstellung, die die Schülerinnen nach wie vor fast ausschließlich zu späteren
Hausfrauen und Müttern formen will.
9
Zusätzlich werden überwiegend männliche
Wortformen benutzt.
3.2 Die Studie von Susanne Thomas
Während Schulbücher in den 1970er und 1980er Jahren noch sehr stark
Geschlechterrollenstereotype transportierten, haben sich diejenigen aus den
1990er Jahren in Bezug darauf verbessert. Zu diesem Ergebnis kommt auch
6
Vgl. Thomas, 1999, S.10
7
Vgl. Kaiser-Messmer, 1994, S.171
8
Vgl. Lindner & Lukesch, 1994, S.56
9
Vgl. Meyer & Jorden, 1984, S.60f. in Linder & Lukesch, 1994, S.56

10
Susanne Thomas (1999) in ihrer Untersuchung, in der sie weniger die
Diskriminierung des weiblichen Geschlechts betonen will, sondern konkret nach
neuen Maßstäben und Entwicklungen sucht.
10
Um alle Gesichtspunkte zu
erfassen, ist die Verfasserin gemäß der quantitativen und qualitativen
Inhaltsanalyse vorangegangen. Sie untersuchte 18 Mathematikschulbücher
11
der
Jahrgangsstufe 5 bis 10, die jeweils einzeln nach einem einheitlichen
Kriterienraster vorstellt werden. Dabei erfolgte die Auswertung grundsätzlich
getrennt nach Jugendliche und Erwachsene in den ausgewählten Kategorien
Freizeit, Geld, Beruf, Familie, Haushalt, Sozialverhalten, Schule und Sonstiges
12
.
Susanne Thomas kommt zu dem Ergebnis, dass zwar auf der quantitativen Ebene
eine zahlenmäßig ausgewogene Darstellung von Frauen/Mädchen und
Männer/Jungen erkennbar ist, dennoch im dem qualitativen Teil der Analyse
einige Differenzen sichtbar sind. So stellt sie fest, dass berufstätige Frauen in
neueren Büchern häufiger vorkommen, aber dagegen die Männer in sehr viel
differenzierten Berufen und in einem viel größeren Umfang darstellen werden. Zu
den Erfolgen der Schulbuchdebatte gehört, dass Frauen in Verbindung mit
Geldgeschäften präsentiert werden und auch einen größeren Finanzvolumen
besitzen. Zu den Kritikpunkten nennt die Verfasserin, dass Männer in
Zusammenhang zu Hausarbeit nur zweimal geschildert werden. Frauen werden in
diesem Bereich öfters dargestellt.
4. Methodik der Schulbuchanalyse
4.1 Forschungsfrage und Hypothesen
Ausgehend von den soeben angeführten Ergebnissen der Untersuchung von
Susanne Thomas, die im Jahre 1999 durchgeführt wurde und ihre Schulbücher aus
dem Zeitraum von 1989 bis 1998 sind, erscheint es interessant, die Gültigkeit der
10
Vgl. Thomas, 1999, S.5
11
Bei der Bücherwahl entscheidet sich die Verfasserin für die ortsansässigen Verlage
Westermann, Klett, Cornelsen und Schroedel.
12
In die Kategorie ,,Sonstiges" wurden alle anderen Auffälligkeiten, die in keinen der anderen
Kategorien zugeordnet werden konnten, zusammengefasst.

11
Ergebnisse jener Untersuchung zu überprüfen. Zum einen soll untersucht werden,
ob in den aktuellen Schulbüchern eine Geschlechtsstereotypisierung zu erkennen
ist, und zum anderen, ob eine Entwicklungstendenz im Bezug zu den Ergebnissen
von Susanne Thomas feststellbar ist. Demnach besteht die wichtigste
Forschungsfrage in der Frage, ob in den von Susanne Thomas herausgestellten
Themenbereichen die Geschlechtsstereotypisierung und Diskriminierung
weiterhin existiert.
Als Lösungsentwürfe für das Forschungsproblem werden Hypothesen gebildet,
die im Forschungsprozess selbst überprüft werden.
13
In der Arbeit bedeutet dieses,
je mehr die Darstellung von weiblichen und männlichen Personen den
Hypothesen entspricht, desto ,,geschlechtsrollenstereotyper" wird sie bezeichnet.
14
Damit sind folgende Hypothesen zu überprüfen:
15
Zahlenmäßige Repräsentation der Personen
Weibliche Personen sind im Vergleich zu männlichen Personen im Text und
Bildmaterial unterpräsentiert.
Haushalt: Mädchen und Frauen verrichten häufiger Hausarbeit als Jungen und
Männer, zum Beispiel Kuchen backen, Getränke mischen, abwaschen, aufräumen,
Tisch decken, Wäsche waschen, Blumen einkaufen und pflegen, Lebensmittel
einkaufen. Jungen und Männer verrichten eher Hilfshandgriffe als
eigenverantwortliche Arbeiten im Haushalt, wie zum Beispiel körperlich schwere
Gartenarbeit, Umgestaltungsarbeiten im Haus und Garten,
Renovierungsmaßnahmen, Einkauf von Getränken, Baumaßnahmen.
Familie: Es sind mehr Mütter vorhanden als Väter. Außerdem werden sie in
Interaktionen mit Kindern häufiger dargestellt als Männer. Hierbei sind sie eher
fürsorglich und versorgend; Männer spielen mit den Kindern oder helfen bei den
13
Vgl. Pfeiffer & Püttmann, 2006, S.36
14
Vgl. Lindner & Lukesch, 1994, S. 61 ff.
15
Bei der Hypothesenbildung wurde vor allem die Untersuchung von Lindner & Lukesch (vgl. S.
62 ff.) und Susanne Thomas (vgl. S.15 ff.) herangezogen. Die Kriterien wurden ausgewählt, weil
sie nahezu alle Bereiche des alltäglichen Lebens abdecken.

12
Mathematikhausaufgaben. Söhne treten mit dem Vater auf, Töchter mit der
Mutter.
Beruf: Frauen sind wesentlich seltener berufstätig als Männer. Die männlichen
Berufe sind differenzierter als Frauenberufe. Frauen werden in ,,typisch
weibliche" Berufe (sozial-pflegerische Berufe, Verkäuferin, Friseurin, sonstige-
nicht-akademische Berufe) und Männer in ,,typisch männliche" Berufe dargestellt
(Arzt, Polizist, jeglicher Fahrer, sonstige akademische Berufe, wie Ingenieur).
Schule, Wissen und Leistung: Mädchen können bzw. wissen weniger, machen
häufiger etwas falsch, verlieren beim Spielen öfter als Jungen. Jungen werden mit
besseren Schulleistungen dargestellt und werden öfters als Klassensprecher
gewählt.
Freizeit: Mädchen und Frauen werden in diesem Themenbereich seltener
dargestellt als Jungen und Männer. Mädchen und Frauen werden eher bei
besinnlich- kreativer Beschäftigung oder auch dem Konsum als
Freizeitbeschäftigung dargestellt. Mädchen verbringen ihre Freizeit meist mit
einer einzelnen Freundin oder der Familie. Männer und Jungen haben
verschiedene Hobbies, wie Besuch von Sportanlagen, eigene sportliche Tätigkeit,
Beschäftigung mit Autos, das Fahren eines Autos, etwas zu bauen oder angeln.
Geld: Jungen und Männer werden häufiger in Zusammenhang mit Geld erwähnt
als Mädchen und Frauen. Männer verfügen über die größere Liquidität. Frauen
werden seltener mit eigenem Einkommensgehalt dargestellt. Die Zahlungen, die
das tägliche Leben bestimmen, werden öfters von Männern getätigt.
Weitere Auffälligkeiten
Die Sprache enthält frauendiskriminierende ausschließliche Maskulina, wie zum
Beispiel ,,Liebe Schüler!", ,,Spiel mit deinem Nachbarn" oder ,,Sie ist Bäcker".
Zudem werden kaum oder selten berühmte und erfolgreiche Frauen aus der
Vergangenheit oder Gegenwart erwähnt.

13
4.2 Auswahl der Schulbücher
In dieser Untersuchung werden vier Schulbuchreihen analysiert: Mathematik plus,
Schnittpunkt, Welt der Zahl und Mathematik. Diese Auswahl begründet sich
dadurch, dass Lehrwerke von unterschiedlichen Verlagen analysiert werden sollte,
die in Berliner Grundschulen repräsentativ sind. Von jeder Schulbuchreihe
wurden die Schulbücher für den 5. und 6. Jahrgang untersucht, da gerade in dieser
Phase des Sozialisationsprozesses von den Schulkindern eine einerseits noch hohe
Formbarkeit, andererseits das geringste Kritikbewusstsein erwartet werden.
16
Wie schon erwähnt, erschreckt sich Susanne Thomas Untersuchung von 1989
einschließlich 1998. Da diese Verlage Neuauflagen ihrer Unterrichtsreihen auf
den Markt gebracht haben, wird dadurch eine erneute kritische
Auseinandersetzung gerechtfertigt. Im Folgenden sind die Schullehrwerke nach
Verlagen aufgelistet:
Verlag Unterrichtswerk
Erscheinungsjahr
Schnittpunkt 5
2008
Klett
Schnittpunkt 6
2008
Welt der Zahl 5
2005
Schroedel
Welt der Zahl 6
2005
Mathematik plus 5
2004
Cornelsen
Mathematik plus 6
2005
Mathematik 5
2004
Westermann
Mathematik 6
2004
4.3 Untersuchungsmethode
Um die Forschungsfragen zu klären und die Hypothesen zu überprüfen, wurde
eine Inhaltsanalyse durchgeführt. Nach Mertens Definition ist die Inhaltsanalyse
,,[...] eine Methode zur Erhebung sozialer Wirklichkeit, bei der von Merkmalen
16
Vgl. Silbermann & Krüger, 1971, S.53 in Lindner & Lukesch, 1994, S.53

14
eines manifesten Textes auf Merkmale eines nichtmanifesten Kontextes
geschlossen wird."
17
Es werden sowohl qualitative wie auch quantitative
Methoden vorgenommen. Isolierte Methoden würden bei einem komplexen
Forschungsgegenstand, wie hier die Schulbücher, nur begrenzte Erkenntnisse
hervorbringen. Bei der quantitativen Analyse werden alle Nennungen,
grundsätzlich unterschieden nach Frauen, Mädchen, Männer und Jungen gezählt.
Jedoch sind Gruppen, wie z.B. 13 Mädchen und 11 Jungen
18
, in den Zählungen
nicht mit eingeschlossen. Den direkten Vergleich mehrerer Schulbücher wird
durch die Verwendung eines einheitlichen Kategorienschemas ermöglicht, dass
speziell für die Erhebung von Geschlechtsstereotypen entwickelt wurde.
19
Wichtig ist dabei, dass die Kategorien intersubjektiv mittelbar, also objektiv und
reliabel erfassbar sind. Es müssen logische Abgrenzungen gefunden werden, die
trennscharf sind.
20
Die einzelnen Kategorien werden hier nicht noch einmal
aufgeführt, da sie schon unter 1.2 aufgelistet sind. Für jede der acht Schulbücher
wurde der komplette Kategorienbogen (siehe Anhang) einmal ausgefüllt.
5. Untersuchungsergebnisse
Auf der Grundlage des Kategoriensystems wurde die Auswertung durchgeführt,
so dass nun die Ergebnisse der Untersuchung dargelegt werden können. Es
wurden acht Schulbücher mit insgesamt 1612 Seiten geprüft.
Als erstes ist festzuhalten, dass unter den Autorinnen und Autoren die Frauen im
Vergleich zu Männern unterrepräsentiert sind. Tabelle 1 enthält die Verteilung der
weiblichen und männlichen Autoren nach Verlag.
17
Vgl. Merten 1995, S.59
18
Beispiel aus Mathematik 5 (Westermann), S.45 Nr. 7
19
Das Kategoriensystem wurde auf der Grundlage der von Lindner entwickelten
inhaltsanalytischen Kategorienschemas erstellt. Jedoch basiert dieses ausschließlich auf der
quantitativen Analyse. Für den qualitativen Teil ließ ich genügend Platz für Bemerkungen und
Beispiele. Außerdem ist das Kategorienschema für diese Untersuchung viel zu detailliert, so dass
nur die Kategorien erfasst wurden, die auch in Susanne Thomas Untersuchung wieder zu erkennen
waren.
20
Vgl. Merten 1995, S. 150

15
Autorinnen Autoren
Verlag
absolut % absolut %
Klett
0 0 16
100
Schroedel
0 0 5 100
Cornelsen
10 34,48 19 100
Westermann
0 0 6 100
Gesamt
10 17,9 46 82,1
Tabelle 1: Verhältnis der Autorinnen und Autoren nach Verlag
Es werden insgesamt 56 Personen namentlich erwähnt, darunter befinden sich 10
Frauen (17,9%) und 46 Männer (82,1%). Aus der Tabelle ist klar erkennbar, dass
keines der aufgeführten Verlage, mit Ausnahme von Cornelsen, weibliche
Autoren beschäftigen. Dieses Ergebnis entspricht der aus bisherigen Studien
erkennbaren Tendenz, dass das weibliche Geschlecht unter den Autorinnen und
Autoren einen geringen Anteil annimmt.
Als nächstes wird kurz auf die Gestaltung des Einbandes der Schulbücher
eingegangen. Diese Kategorie wurde schon in der Untersuchung von Lindner&
Lukesch aufgeführt, da Titel und Umschlagsillustrationen den Schülerinnen und
Schülern besonders ins Auge fallen. Aus dem Grund, dass in keinem der
analysierten Schulbücher männlich oder weiblich bezogene Titel vorkommen,
bezieht sich die nächststehende Tabelle nur auf die Umschlagsgestaltung.
Verlag weiblich
männlich
kein
Bezug
Klett
2 0 1
Schroedel
0 0 2
Cornelsen
0 0 2
Westermann
1 1 0
Gesamt
3 1 4
Tabelle 2: Anzahl der weiblichen und männlichen Abbildungen auf dem
Buchumschlag

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783842804876
DOI
10.3239/9783842804876
Dateigröße
4.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Freie Universität Berlin – Erziehungswissenschaft und Psychologie, Grundschulpädagogik
Erscheinungsdatum
2010 (Oktober)
Note
1,1
Schlagworte
mathematikschulbücher mädchen hobby schule familie
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Titel: Mädchen und Mathematik
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