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Produktsicherheit in globalen Produktionsnetzwerken

Die chinesische Spielzeugindustrie im Fokus

©2010 Bachelorarbeit 55 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Qualität chinesischer Produkte ist seit den Rückrufen des Jahres 2007 ein Thema von öffentlichem Interesse geworden. Diese Rückrufe umfassten verseuchte Tiernahrung, fehlerhafte Autoreifen und Spielzeuge mit bleihaltigen Farben - China exportierte 2007 Spielzeug im Wert von 7,5 Mrd. U.S. Dollar - und haben das Vertrauen der Endkunden in die Marke ‘Made in China’ stark beschädigt.
Trotzdem ist die chinesische Wirtschaft seitdem weiter unaufhaltsam gewachsen. In 2009 ist China zur größten Exportnation der Welt aufgestiegen, mit einer Warenausfuhr im Wert von 1.201 Mrd. U.S. Dollar. Deutschland exportierte im gleichen Jahr Güter im Wert von 1.121 Mrd. U.S. Dollar bzw. umgerechnet 803 Mrd. Euro. Gerade wegen dieses enormen wirtschaftlichen Exporterfolges sind Fragen zur Produktsicherheit und Produktqualität chinesischer Waren so aktuell wie nie zuvor.
Ausgehend von der Rückrufaktion Mattels im Jahr 2007 wird die vorliegende Arbeit die Produktsicherheit in der chinesischen Spielzeugindustrie analysieren und in Kapitel 2 die Gründe für Produktionsfehler und mangelhaftes Qualitätsmanagement nennen. Dabei wird auch die aktuelle Entwicklung in China seit 2007 antizipiert und anhand der europäischen Daten für Spielzeugrückrufe überprüft, ob es Fortschritte bei der Produktsicherheit gegeben hat.
In Kapitel 3 wird die Relevanz der Rückrufaktionen von Mattel für globale Supply Chains (SC) und Produktionsnetzwerke der Spielzeugindustrie aufgezeigt. Vor allem das Qualitätsmanagement (QM) und kulturelle Einflüsse sollen hier eine Berücksichtigung finden. Dabei werden wissenschaftliche Arbeiten thematisiert, die Qualitätsprobleme nicht nur auf mangelhafte Produktqualität chinesischer Produzenten zurückführen, sondern die Verantwortung für sichere Spielzeuge primär in der Produktentwicklung sehen.
In Kapitel 4 werden staatliche Regulierungsfehler in Chinas Politik thematisiert, sowie kulturelle Besonderheiten in Chinas Geschäftswelt und die Schwierigkeiten der Einhaltung von Verhaltenskodizes in lokalen Produktionsbetrieben. Das letzte Kapitel fasst die wesentlichen Erkenntnisse dieser Arbeit zusammen und versucht, Lösungsansätze zu geben, wie die Sicherung der Produktqualität durch unternehmenseigene Anstrengungen und sorgfältigen Aufbau der SC in einem globalen Produktionsnetzwerk gelingen kann.
Im folgenden Text wird mit dem Begriff ‘Produzent’ stets ein chinesischer Lieferant oder Subunternehmer bezeichnet, der im Auftrag des […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gründe der mangelhaften Qualität chinesischer Produkte
2.1 Firmenspezifische Gründe
2.2 Branchenspezifische Gründe
2.3 Regulierungsspezifische Gründe

3. Produktqualität in Supply Chains und globalen Produktionsnetzwerken - ein erfolgskritischer Faktor
3.1 Betriebswirtschaftliche Bedeutung von Produktrückrufen
3.2 Qualitätsmanagement vor dem kulturellen Hintergrund Chinas
3.3 Entwicklung der Spielzeugrückrufe seit 2007
3.3.1 Studie von Paul Beamish und Hari Bapuji
3.3.2 Analyse der europäischen Rapex-Zahlen

4. Besondere Faktoren bei der Anpassung der Produktqualität an globale Standards
4.1 Geistige Eigentumsrechte (intellectual property rights)
4.2 Guanxi, das chinesische Netzwerk persönlicher Beziehungen
4.3 Einhaltung von Verhaltenskodizes

5. Möglichkeiten globaler Produktionsnetzwerke zur Verbesserung der Produktqualität
5.1 Supply Chain Kontrolle durch integriertes Qualitätsmanagement, Nachvollziehbarkeit und Evaluation
5.2 Berücksichtigung kultureller Faktoren in der Supply Chain
5.3 Kooperationen der OEMs bei Qualität und CoC
5.3.1 Das Vorbild des Toyota Netzwerkes
5.3.2 Anpassung der Codes of Conduct

6. Ausblick

Literaturverzeichnis

Endnoten

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Spielzeugrückrufe im Vgl. zum Vorjahr (in %)

Abbildung 2: Chinesische Spielzeugrückrufe und ihre Ursache

Abbildung 3: Rückrufe chinesischer Spielzeuge (2006-2010)

Abbildung 4: Rückrufe absolut (Produktions- und Designfehler)

Abbildung 5: Art des Produktionsfehlers (in Prozent)

1. Einleitung

Die Qualität chinesischer Produkte ist seit den Rückrufen des Jahres 2007 ein Thema von öffentlichem Interesse geworden. Diese Rückrufe umfassten verseuchte Tiernahrung, fehlerhafte Autoreifen und Spielzeuge mit bleihaltigen Farben - China exportierte 2007 Spielzeug im Wert von 7,5 Mrd. U.S. Dollar (vgl. Dong 2008, S. 29) - und haben das Vertrauen der Endkunden in die Marke „Made in China“ stark beschädigt.

Trotzdem ist die chinesische Wirtschaft seitdem weiter unaufhaltsam gewachsen. In 2009 ist China zur größten Exportnation der Welt aufgestiegen, mit einer Warenausfuhr im Wert von 1.201 Mrd. U.S. Dollar. Deutschland exportierte im gleichen Jahr Güter im Wert von 1.121 Mrd. U.S. Dollar bzw. umgerechnet 803 Mrd. Euro (vgl. Schwab 2010, S. 1). Gerade wegen dieses enormen wirtschaftlichen Exporterfolges sind Fragen zur Produktsicherheit und Produktqualität chinesischer Waren so aktuell wie nie zuvor.

Ausgehend von der Rückrufaktion Mattels im Jahr 2007 wird die vorliegende Arbeit die Produktsicherheit in der chinesischen Spielzeugindustrie analysieren und in Kapitel 2 die Gründe für Produktionsfehler und mangelhaftes Qualitätsmanagement nennen. Dabei wird auch die aktuelle Entwicklung in China seit 2007 antizipiert und anhand der europäischen Daten für Spielzeugrückrufe überprüft, ob es Fortschritte bei der Produktsicherheit gegeben hat.

In Kapitel 3 wird die Relevanz der Rückrufaktionen von Mattel für globale Supply Chains (SC) und Produktionsnetzwerke der Spielzeugindustrie aufgezeigt. Vor allem das Qualitätsmanagement (QM) und kulturelle Einflüsse sollen hier eine Berücksichtigung finden. Dabei werden wissenschaftliche Arbeiten thematisiert, die Qualitätsprobleme nicht nur auf mangelhafte Produktqualität chinesischer Produzenten zurückführen, sondern die Verantwortung für sichere Spielzeuge primär in der Produktentwicklung sehen.

In Kapitel 4 werden staatliche Regulierungsfehler in Chinas Politik thematisiert, sowie kulturelle Besonderheiten in Chinas Geschäftswelt und die Schwierigkeiten der Einhaltung von Verhaltenskodizes in lokalen Produktionsbetrieben. Das letzte Kapitel fasst die wesentlichen Erkenntnisse dieser Arbeit zusammen und versucht, Lösungsansätze zu geben, wie die Sicherung der Produktqualität durch unternehmenseigene Anstrengungen und sorgfältigen Aufbau der SC in einem globalen Produktionsnetzwerk gelingen kann.

Im folgenden Text wird mit dem Begriff „Produzent“ stets ein chinesischer Lieferant oder Subunternehmer bezeichnet, der im Auftrag des „Herstellers“ – einem Markenhersteller (Original Equipment Manufacturer = OEM) oder multinationalen Konzern wie z.B. Mattel – Spielzeuge produziert. Dieser Begriff soll verdeutlichen, dass diese Produzenten zum Großteil bereits fertige Spielzeuge produzieren und der OEM als Handelsmittler auftritt, der die Produkte unter seiner Marke vertreibt.

2. Gründe der mangelhaften Qualität chinesischer Produkte

Um die genannten Qualitäts- und Sicherheitsmängel zu verstehen, werden in diesem Kapitel zunächst die allgemeinen Rahmenbedingungen der Spielzeugproduktion in China betrachtet.

2.1 Firmenspezifische Gründe

Im Gegensatz zu den meisten Industrieunternehmen in entwickelten Industrieländern wie z.B. Japan, die langfristig orientiert wirtschaften und ihre Priorität auf qualitativ hochwertige Produkte setzen, arbeiten chinesische Produzenten ausschließlich mit dem Ziel, ihren Profit zu maximieren. Bei einem gewöhnlichen Fertigungsvertrag erzielt der Produzent meistens den größten Erfolg dadurch, dass die Produktionskosten durch eine Qualitätsreduzierung des Materials gesenkt werden (vgl. Luo 2008, S. 189). Diese kurzfristig orientierte Abschöpfung von Erträgen steht einem langfristigen Erfolg entgegen.

Bei dieser Qualitätsreduzierung werden oft Materialien genutzt, die bei geringeren Kosten sogar einen besseren Herstellungseffekt erzielen können. Mit Blei angereicherte Farbe führt beispielsweise zu kraftvolleren Farben, sie ist einfacher aufzutragen, vielfältiger einsetzbar und dabei 30% günstiger als herkömmliche Farbe. Ob und in welchem Umfang Bleifarben benutzt werden, hängt dabei auch vom jeweiligen Kunden und seinen Preisvorstellungen ab (vgl. Barboza 2007, S. 1). Dieses Vorgehen, in dem sukzessive minderwertiges Material verarbeitet wird, ist in China weit verbreitet. Um die Produktionsqualität zu reduzieren und bei Kontrollen unentdeckt zu bleiben, variieren chinesische Produzenten häufig die Art der gefälschten oder minderwertigen Ersatzmaterialien. Dadurch führen viele von den Herstellern veranlasste Inspektionen und Produkttests zu keinem validen Ergebnis, weil auf das tatsächlich verwendete Material nicht getestet wird. Auch die Fälschung von Sicherheitstests oder die Verschleierung des Herkunftslandes durch die Verschiffung von Produkten durch Drittländer wurde beobachtet (vgl. Berman & Swani 2010, S. 42). Die sorgfältige Selektion von neuen Lieferanten wird damit zu einer sicherheitsrelevanten Schlüsselqualifikation in der Spielzeugindustrie. Aber auch Vertragsbeziehungen zu langjährigen Partnern sollten ständig neu evaluiert werden, angesichts der Probleme des Original Equipment Manufacturer (OEM) Mattel und dessen drei Rückrufaktionen aus dem Jahre 2007. Hier trug nachweislich ein chinesischer Lieferant die Schuld an bleiverseuchtem Spielzeug, der bereits seit 15 Jahren für Mattel produzierte (vgl. Teagarden 2009, S. 8).

2.2 Branchenspezifische Gründe

Die Produkte der Spielzeugindustrie sind arbeitsintensiv in der Fertigung und erreichen dabei eine geringe Wertschöpfung. Chinesische Firmen verfolgen deshalb aus zwei Gründen eine Strategie der Kostenführerschaft (vgl. Child & Rodrigues 2005, S. 398).

Zum einen wollen multinationale Konzerne (MNK) in China billig produzieren und suchen Produzenten, die dieses Kriterium erfüllen können. Sie wollen den komparativen Kostenvorteil nutzen, der durch maximales Outsourcing und die damit verbundene Senkung der Produktionskosten realisiert werden kann. Durch ihre enorme Machtposition diktieren sie die Preisverhandlungen, wodurch der Kostendruck - der z.B. bei den Einzelhandelsunternehmen herrscht – durch die gesamte SC läuft und schließlich die chinesischen Produzenten erreicht.

Zum anderen werden die Urheberrechte an geistigem Eigentum (im Englischen: intellectual property rights, im Folgenden kurz IPR) nicht ausreichend durch die Regierung geschützt. Die hieraus resultierende Tolerierung gefälschter Produkte durch die örtlichen Behörden zwingt chinesische Produzenten und Hersteller dazu, eine Differenzierungs-strategie abzulehnen, weil damit verbundene Wettbewerbsvorteile nicht dauerhaft realisiert werden können.

Die Konzentration auf eine Strategie der Kostenführerschaft ist problematisch, da alle Wettbewerber auf die gleichen Produktionsfaktoren zurückgreifen und zu ähnlichen Stückkosten produzieren. Damit kann für kein Unternehmen ein Wettbewerbsvorteil entstehen. Zwangsläufig steigt die Wettbewerbs-intensität im chinesischen Spielzeugmarkt (vgl. Barney & Zhang 2008, S. 214). Viele Unternehmen können in dieser Situation nur noch dann Profite generieren, wenn die Qualität der Produkte verringert wird – und damit auch deren Sicherheit für Kinder (vgl. Luo 2008, S. 189).

Zusätzlich wachsen die SCs zu komplexen Produktionsnetzwerken heran, was zu Kontroll- und Qualitätsverlusten führt (vgl. Teagarden 2009, S. 10). Eine typische chinesische Produktionskette ist zwei bis drei Schichten tief und hat unter Umständen mehr Subunternehmer, die sich untereinander Aufträge vermitteln, als mit dem Hersteller vereinbart. Dadurch wird Transparenz und Nachvollziehbarkeit (traceability) der Produkte erschwert und damit die Lokalisierung eines Qualitätsproblems (vgl. Lyles et al. 2008, S. 169).

2.3 Regulierungsspezifische Gründe

Die chinesische Regulierungsbehörde AQSIQ (General Administration of Quality Supervision, Inspection and Quarantine), die unter anderem für die Produktsicherheit zuständig ist, wurde im September 2007 nach den massiven Rückrufen neu besetzt. Die international geforderte Verbesserung der Situation durch eine konsequente Umsetzung der bestehenden Gesetze bleibt aber fragwürdig, da sich die verantwortlichen Behörden auf lokaler Ebene der zentralen Kontrolle leicht entziehen können (mehr dazu in Kapitel 4.1). Es ist Tatsache und Routine, dass Firmen ohne Exportlizenzen als Subunternehmer von lizensierten Produzenten in die SC gelangen. So gelangen auch nur für den lokalen Markt zugelassene Produkte unkontrolliert auf den Weltmarkt. Von ca. 8000 registrierten Spielzeugproduzenten in China besitzen nur ca. 3000 eine Exportlizenz (vgl. Armstrong & Muscat 2007, S. 1). Die bereits erwähnten schweren Produktfehler aus den branchenübergreifenden Rückrufen im Jahr 2007 wurden zudem weder von staatlichen Inspektionen in China, noch von ausländische Testagenturen entdeckt (vgl. Berman & Swani 2010, S. 40).

Chinesische Sicherheitsstandards sind zwar rechtlich auf europäischem Niveau, es mangelt aber an der Durchsetzung der bestehenden Gesetze. China erlaubt nur 90 ppm (parts per million) Blei als Grenzwert in Spielzeugen, so wie es der europäische Standard EN-71 bereits seit 1990 definiert[i]. Die U.S.A. haben diesen Standard erst am 9. August 2009 übernommen (vgl. Clark 2009, S. 2) und damit einen 30 Jahre alten Standard abgeschafft, der bis zu 600 ppm erlaubte (vgl. Barboza 2007, S. 1). Deshalb konnten dort bereits einige Spielzeuge durch das Inspektionsnetz fallen. Die amerikanische Aufsichtsbehörde für Produktsicherheit, die Consumer Product Safety Commission (CPSC), ist außerdem laut Experten mit nur einer Person, für den Zuständigkeitsbereich Spielzeuge, sowohl unterfinanziert als auch unterbesetzt (vgl. Ryan 2007, S. 1). Bis 2008 erfolgten keine Prüfungen auf chemische Grenzwertüberschreitungen, diese wurden den Tests der Importeure überlassen, da sie es sind, die in der Produkthaftung stehen[ii] (vgl. Schmidt 2008, S. A76). Verlässliche Sicherheitstests sind deshalb nicht allein ein Problem Chinas. Dennoch sollte Produktsicherheit bereits in der Wertschöpfungskette des Produktionslandes umgesetzt werden.

3. Produktqualität in Supply Chains und globalen Produktionsnetzwerken - ein erfolgskritischer Faktor

3.1 Betriebswirtschaftliche Bedeutung von Produktrückrufen

Die massiven Rückrufe des Jahres 2007 haben nicht nur das Image des Produktionsstandortes China stark beschädigt. Zwangsläufig ist jedes Unternehmen gefährdet, das in globalen Produktionsnetzwerken organisiert ist und in China produziert. Die Spielzeughersteller sind davon am stärksten betroffen, denn aus China stammen mehr als 70% der Spielzeuge weltweit (vgl. Adams 2007, S. 1).

Eine Umfrage von Reuters/Zogby Ende September 2007 - nachdem der Spielzeughersteller Mattel für Produktrückrufe, Rechts-, Werbungs- und Testkosten ungefähr 110 Millionen US Dollar ausgegeben hatte (vgl Berman & Swani 2010, S. 40) - zeigte, dass 78% der Amerikaner um die Produktsicherheit chinesischer Güter besorgt waren. Insgesamt waren 35% sehr besorgt und 23% gaben sogar an, zukünftig kein Spielzeug „Made in China“ zu kaufen (vgl. Ryan 2007, S. 1).

Die Sicherheit chinesischer Produkte hängt aber nicht allein von der Überprüfung der Produktqualität durch staatliche Institutionen ab. Auch die Hersteller selbst können mit einem funktionsfähigen Total Quality Management früher eingreifen. Westliche Hersteller wie Mattel, die schon seit 20 Jahren in China produzieren, haben zwar Qualitätsmaßnahmen in die Produktionskette implementiert, diese konnten jedoch nachweislich im Jahr 2007 massiv unterlaufen werden. Somit ist die Qualitätssicherung in China trotz entsprechender Maßnahmen sehr fragwürdig.

3.2 Qualitätsmanagement vor dem kulturellen Hintergrund Chinas

Die Schwierigkeiten der Umsetzung von Qualitätsmanagement sind vielfältig. In diesem Teil der Arbeit wird der Fokus auf kulturelle Eigenschaften gelegt, um zu verstehen, aus welchen Perspektiven QM in China betrachtet werden muss.

Kull und Wacker haben in ihrer „Quality management effectiveness“ - Studie gezeigt, dass spezifische kulturelle Dimensionen statistisch signifikant mit der Effektivität von QM zusammenhängen[1]. Dabei haben sich zwei Variablen als sehr einflussreich erwiesen: Unsicherheitsvermeidung (uncertainty avoidance) und individuelle Selbstbehauptung (assertiveness). Letztere hatte in der Studie die höchste statistische Signifikanz.

Unsicherheitsvermeidung hat einen positiven Einfluss auf die Effektivität von QM. Dies impliziert, dass Mitarbeiter in einer Kultur die Verlässlichkeit und Gesetzmäßigkeit bevorzugt, eher motiviert sein werden, QM-Praktiken regelmäßig anzuwenden. In Organisationen, die eine hohe Unsicherheitsvermeidung umsetzen, werden die Mitarbeiter deshalb die Standards besser erfüllen als die Mitarbeiter in Firmen, die dies noch nicht erreicht haben. China, Südkorea und Taiwan erzielten weitaus höhere - und damit bessere - Werte in der Kategorie Unsicherheitsvermeidung im Vergleich zu den übrigen in dieser Studie untersuchten Kulturen.

Anders als in Südkorea und Taiwan hat in China die Variable „Selbstbehauptung“ (assertiveness) den entscheidenden negativen Einfluss auf die Effektivität von QM. Unternehmen, in denen eine hohe Selbstbehauptungs-Kultur vorherrscht, tendieren dazu, Probleme nicht systemisch bedingt zu sehen. Einzelne Individuen stehen bei dieser Sichtweise im Fokus. Sie sollen die externen Kräfte kontrollieren und beherrschen. Deshalb sind Mitarbeiter in einer Kultur mit hoher Selbstbehauptung davon überzeugt, dass Fehler nicht mangelhaften Systemen geschuldet sind, sondern individueller Ignoranz und Inkompetenz.

Manager in einer Kultur mit ausgeprägter individueller Selbstbehauptung erfahren, wie schwer es ist, die richtige Anwendung von QM-Praktiken zu vermitteln, da die Strukturen der Mitarbeiter-beziehungen stark durch opportunistisches Verhalten geprägt sind. Chinesische Manager tendieren außerdem dazu, eine langfristige Managementorientierung zu vernachlässigen und kurzfristig zu wirtschaften.

Zusammenfassend zeigt diese Studie, dass Länder, die für regelbasiertes Management (hohe Unsicherheitsvermeidung) und System-Denken (geringe Selbstbehauptung Einzelner) empfänglich sind, in hohem Maße effektive QM-Systeme haben werden. China besitzt insgesamt - im Vergleich zu anderen Kulturen - das ineffektivste QM und weist für die Variable „Selbstbehauptung“ unter allen untersuchten Ländern die höchste Quote bzw. Wertschätzung auf. Im direkten Gegensatz dazu ist die QM-Effektivität in Taiwan weit höher, da dort der Faktor Selbstbehauptung bewusst abgewertet wird. Eine starke Wertschätzung dieser Variable führt zu einer Überbewertung von Wettbewerb und Vorherrschaft, was einem funktionierenden QM, das systemische Verantwortung und kollektive Belohnung favorisiert, entgegenwirkt.

Das QM und damit verbunden die Produktqualität kann schnell zur entscheidenden Schwachstelle in einer SC werden, die den gesamten Unternehmenserfolg gefährdet. Eine Wertschöpfungskette ist nur so stark wie ihre schwächste Komponente und sollte deshalb vor allem in diesen erfolgskritischen Faktoren ständig optimiert werden.

3.3 Entwicklung der Spielzeugrückrufe seit 2007

Seit den Rückrufen des Spielzeugherstellers Mattel sind zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht worden, die das Qualitätsmanagement und Supply Chain Management in China thematisieren[2]. Dabei haben zwei Wissenschaftler eine viel beachtete Studie durchgeführt, die in den chinesischen Produzenten nur teilweise die Verursacher der größten Qualitätsprobleme sieht.

3.3.1 Studie von Paul Beamish und Hari Bapuji

Die Rückrufe des Jahres 2007 haben schwerwiegende Mängel in der chinesischen Produktsicherheit aufgedeckt. Bleiverseuchte Spielzeuge avancierten - neben anderen Produkten (siehe Kapitel 1) - medial zu einem der größten Skandale in der chinesischen Wirtschaft, weshalb neun Millionen Spielzeuge zurückgerufen wurden. Dies entspricht 0,3% der in diesem Zeitraum in die USA exportierten Spielzeuge[3] (vgl. Dong 2008, S. 29) und verdeutlicht die relativ hohe Aufmerksamkeit, welche die Presse dem Thema schenkte.

Im selben Jahr untersuchten Beamish & Bapuji die Rückrufzahlen der letzten Jahrzehnte, um herauszufinden, welchen Einfluss Produktions-fehler wie z.B. der Einsatz von mit Blei angereicherter Farbe bei den vergangenen Rückrufen hatten. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass von insgesamt 550 Rückrufen der Jahre 1988 bis 2007 nur 10% (oder 54) auf Produktionsfehler wie schlechte Verarbeitung, giftige Farbe oder schlechte Materialien zurückzuführen waren (vgl. Bapuji & Beamish 2007, S. 4). In den Jahren von 2006 bis 2007 gab es den stärksten Anstieg auf 20% bei den Produktionsfehlern. Die Studie schließt mit dem Fazit, dass sich die Zahlen für Spielzeugrückrufe insgesamt nicht allein aufgrund der Produktionsverlagerung nach China erhöht haben, da Design- und Produktionsfehler parallel angestiegen sind (vgl. Beamish & Bapuji 2008, S. 202 ff.).

Ende September 2007 entschuldigte sich der Vorstand von Mattel bei der chinesischen Regierung für die Kommunikationsfehler, die bei der Berichterstattung um bleiverseuchtes Spielzeug geschehen waren und suchte die Schuld nicht allein in fehlerhaften Produktionsmethoden (vgl. Dong 2008, S. 29). Der zweite Rückruf nach dem Blei-Skandal hatte demnach nichts mit Problemen bei der „manufacturing quality“ zu tun, sondern lag - noch früher in der Wertschöpfungskette begründet - bei Designproblemen[iii] (vgl. Lyles 2008, S. 466). Damit gab sich Mattel als am Produktdesign beteiligter Hersteller eine Mitschuld.

Es sollte hier aber erwähnt werden, dass die chinesischen Firmen selbst eine immer größere Rolle bei der Designentwicklung von Spielzeugen übernehmen (vgl. Berman & Swani 2010, S. 40). Mattel selbst hat in den letzten fünf bis zehn Jahren damit begonnen, das Produktdesign direkt vor Ort in China durchzuführen, in den Bereichen Konstruktion und Entwicklung geschah dies noch früher (vgl. Lyles 2008, S. 464). Beamish & Bapuji sind dagegen der Ansicht, dass chinesische Produzenten nur auf der Produktionsseite involviert sind, nicht aber am Design (vgl. Beamish & Bapuji 2008, S. 202). Chinesische Firmen erkennen zunehmend, dass sie die Fähigkeiten besitzen, U.S. amerikanischen Firmen SC-Aktivitäten abzunehmen, die sie selbst - durch geographische Nähe und technologischen Fortschritt - schneller und effizienter durchführen können. Daher konkurrieren sie um Bereiche wie Design, Forschung und Entwicklung (vgl. Strutton 2009, S. 34). Diese Informationen sind wichtig für die Betrachtung der folgenden Analyse. Denn trotz der medialen Aufmerksamkeit für die Fehler, die auf Design- und Produktionsebene begangen worden sind, hat sich keine Trendwende bei Produktrückrufen aus China abgezeichnet, wie die folgenden Zahlen belegen.

3.3.2 Analyse der europäischen Rapex-Zahlen

Um Beamish & Bapujis Studie zu verifizieren und die Entwicklung der Produktsicherheit seit 2007 nachzuvollziehen, wurden für diese Arbeit die Daten des Schnellwarnsystems RAPEX des europäischen Verbraucherschutzes ausgewertet[4]. Die europäischen Daten wurden denen der amerikanischen CPSC vorgezogen, da die chinesischen Grenzwerte für Blei exakt den europäischen Standards entsprechen, was die Vergleichbarkeit erhöht (siehe Kapitel 2.2 für nähere Informationen zu Grenzwerten bei Blei). Zudem sind die RAPEX Daten insgesamt detaillierter und umfangreicher, was sowohl die Ausführlichkeit der bei einem Rückruf aufgetretenen Art der Chemikalien, als auch die exakte Ermittlung der Grenzwert-überschreitungen betrifft. Die EU hat im Gegensatz zu den U.S.A. auch chemische Weichmacher im Fokus, die von der CPSC nicht erfasst werden (nur ein Treffer für Suchwort „Softener“ in allen Daten der Kategorie „Toys“ seit 1974)[iv]. Weiter konnten bei RAPEX für das Gesamtjahr 2007 327 Rückrufe (Design- & Produktionsfehler) für Spielzeuge ermittelt werden, was die Gesamtstichprobe im Vergleich zur CPSC deutlich erhöht, die im selben Jahr kumuliert bis August nur 40 Rückrufe vermeldet (vgl. Bapuji & Beamish 2007, S. 2). Dieser große Unterschied kann in strengeren Grenzwerten der Europäer bei Blei und chemischen Weichmachern begründet sein, als auch in der vermeintlich besseren personellen Ausstattung von 27 Mitgliedstaaten der EU mit ihren jeweiligen nationalen Sicherheitsbehörden (Personalprobleme der CPSC: siehe Kapitel 2.3 und Endnote B).

Um die europäischen Daten dennoch mit denen der U.S.A. vergleichbar zu machen, wurden die Daten der RAPEX nach Definition von Bapuji & Beamish eingeteilt (vgl. Bapuji & Beamish 2007, S. 3). So sind bei dieser Auswertung unter „Produktionsfehler“ folgende Eigenschaften gefallen: chemische und giftige Stoffe wie z.B. Weichmacher, Blei oder PVC (Polyvinylchlorid). „Designfehler“ ergeben sich für folgenden Kategorien: Verschlucken (Choke); Verletzungen (Injury) wie z.B. Schnittverletzungen, Verbrennungen, Schädigung des Augenlichts; Schädigung des Gehörs (Hearing) und Erstickungsgefahr durch z.B. zu lange Seile (Suffocation)[v]. In die Datenbank aufgenommen wurden ausschließlich Produkte, die von der RAPEX explizit als „Toy“ bezeichnet wurden. Unter dem Begriff Chemisch/andere sind Chemikalien gesammelt wie Formaldehyd, Benzole, Barium, PVC, Cadmium, Azetophenon.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Spielzeugrückrufe im Vgl. zum Vorjahr (in %)

Die RAPEX Daten (Abbildung 1) zeigen in Europa für das Jahr 2007 erwartungsgemäß einen extremen Anstieg der Produktionsfehler im prozentualen Vergleich zum Vorjahr (Produktionsfehler: Q1 +300%, Q2 +400%, Q3 +450%, Q4 +372%; Designfehler: Q1 +90%, Q2 +40%, Q3 +100%, Q4 +70%).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Chinesische Spielzeugrückrufe und ihre Ursache [vi]

Abbildung 2 dokumentiert die deutliche Bleibelastung chinesischer Spielzeuge in 2007 (20,49%). Falsch verwendete chemische Stoffe machten insgesamt über ein Drittel (37,31%) der Fehler aus, die zu Produktrückrufen geführt haben. Deutlich wird in diesem Jahr bereits die Problematik von Weichmachern in Spielzeugen (64,75%) die von der CPSC zwar nicht wahrgenommen wird, aus Sicht der europäischen Sicherheitsbehörden aber ein relevantes Gesundheits-risiko für Kinder darstellt.

Designfehler haben auch in Europa den größten Anteil an Produktrückrufen (62,69%). Die Gefahr, Kleinteile zu verschlucken (Choke), die zu leicht vom Spielzeug entfernt werden können oder von Anfang an enthalten sind (wie z.B. die als für zu klein befundenen Magnete des 2. Mattel-Rückrufs), war im untersuchten Zeitraum von 2006 bis 2010 stets die größte Kategorie (2007: 37,31%, 2008: 34,98%, 2009: 29,82%, 1. Hj. 2010: 34,62%).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Rückrufe chinesischer Spielzeuge (2006-2010)

In 2008 mussten, bedingt durch die Wirtschaftskrise, knapp die Hälfte der Spielzeugfirmen, die über Exportlizenzen verfügten, Insolvenz anmelden (vgl. Pomfret 2008, S. 1). Darunter auch Chinas größter Spielzeughersteller Smart Union (vgl. AFP 2008, S. 1).

Bemerkenswert bei der Betrachtung der Zahlen in Abbildung 3 ist die Tatsache, dass die Design- und Produktionsfehler in diesem Zeitraum weiter anstiegen. So waren die im 1. Hj. 2010 gemeldeten Produktionsfehler sogar fast wieder auf dem Stand des 2. Hj. 2007, als aufgrund der öffentlichen Berichterstattung schärfer kontrolliert wurde. Designfehler stiegen im 1. Hj. 2007 auf Rekordniveau und die Trendlinie ist weiter ansteigend.

[...]


[1] Das Folgende nach Kull & Wacker 2010, S. 223ff.

[2] z.B. Berman & Swani (2010), Barney & Zhang (2008), Krueger (2008), Lyles et al. (2008), Teagarden (2009).

[3] Alle Hersteller inklusive Mattel, Gesamtvolumen an Spielzeugen im Jahre 2007: drei Milliarden Stück.

[4] http://ec.europa.eu/consumers/safety/rapex/index_en.htm (August 2010)

[i] Die Angabe ppm bedeutet "parts per million" ("Teile von einer Million"). Ein Millionstel Gramm pro Liter ist ein Mikrogramm µg/l. Eine Vergiftung besteht dann, wenn die Bleispiegel 700 µg/l erreichen (Quelle: Giftinformationszentrum Erfurt).

[ii] In 2008 kontrollierten 15 CPSC Inspekteure 300 U.S. Häfen. Im selben Jahr hat der amerikanische Kongress das Budget von 63 auf 80 Mio. U.S. Dollar erhöht. Damit wird eine 22 Mrd. U.S. Dollar Spielzeugindustrie überwacht, die jährlich 3 Mrd. Spielzeuge verkauft. Die Anzahl der Mitarbeiter insgesamt ist von 1973 bis 2008 von 890 auf 400 gesunken (vgl. Schmidt 2008).

[iii] Der zweite Rückruf von Mattel in 2007 war auf kleine Magneten zurückzuführen, die sich in Spielzeugen befanden und von Kleinkindern verschluckt werden konnten. Tödlich verlief ein Fall, in dem ein Kind zwei Magneten nacheinander verschluckte und sich diese im Körper unglücklich wieder zusammenfanden.

[iv] Der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) ist das Risiko des Weichmachers DEHP bekannt. Bereits 2001 hat eine von der FDA in Auftrag gegebene Studie die gesundheitsgefährdende Wirkung für Kleinkinder bestätigt. Allerdings wurden primär die Auswirkungen von Weichmachern auf den menschlichen Körper durch medizinische Geräte in Krankenhäusern thematisiert. http://www.fda.gov/downloads/MedicalDevices/DeviceRegulationandGuidance/GuidanceDocuments/UCM080457.pdf

[v] Diese Einteilung ist auch kritisch zu sehen. Wie ist der Fehler zu bewerten, wenn Kleinteile (beispielsweise die Knopfaugen eines Teddybärs) mit zu leichter Kraft vom Spielzeug entfernt werden können? Diese Fälle machen zwar einen zu vernachlässigenden Prozentsatz aus und werden in dieser Auswertung unter „Designfehlern“ geführt, obwohl aber auch eine fehlerhafte Produktion die Ursache sein könnte. Ähnlich verhält es sich mit dem Designfehler „Schädigung des Gehörs“ durch Überschreitung der Dezibel-Grenzwerte. Auch hier könnte sowohl die Entwicklungsabteilung –durch schlechtes Design- als auch die Produktion –durch schlechtes oder fehlerhaftes Material den technischen Fehler verursacht haben (2007: 3,36% aller Fehler; von 2008 bis 1.Hj 2010 jeweils > 7%).

[vi] Die Kategorie Chemical wurde unterteilt in Blei, Weichmacher und Andere. Da einige Merkmale auch gemeinsam auftreten können (Blei und Weichmacher), kann es so aussehen, als ob es mehr Rückrufe gegeben hat, als in der Zeile „Chemical“ erscheinen. Beispiel: In Q4 sind 52 Rückrufe auf Chemical zurückzuführen, bei Summierung der Unterkategorien sind es aber scheinbar 61 Fehler gewesen, die gemeldet wurden. Diese Unterkategorien wurden aber lediglich prozentual auf „Chemical“ umgerechnet, ihre absolute Zahl kann deshalb von den Rückrufen insgesamt abweichen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783842804715
DOI
10.3239/9783842804715
Dateigröße
653 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Freie Universität Berlin – Wirtschaftswissenschaften, Management
Erscheinungsdatum
2010 (Oktober)
Note
1,3
Schlagworte
produktqualität chinesisches spielzeug supply chain kontrolle codes conduct produktrückruf
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