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9/11 Fiktive Realität

Authentizität und Manipulation im dokumentarischen Film

©2009 Bachelorarbeit 228 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
9/11 - ein Datum oder vielmehr schon ein Symbol aus Zahlen, das mit einem Ereignis verbunden ist, welches viele Dinge auf unserer Welt verändert hat. Ereignisse, an die sich die meisten von uns immer erinnern werden. Vor allem aber die Amerikanischen Bürger. Michael Moore stellt durch seinen Film ‘Fahrenheit 9/11’ den Versuch dar, zu durchleuchten, welche Ereignisse mit dem Tag der Anschläge auf das World Trade Center verbunden sind. Dabei nimmt er in polemisierender Weise George W. Bush unter die Lupe und zeigt Ursache und Wirkung des Irak-Krieges. Moore wollte mit seinem Film in dessen Erscheinungsjahr allerdings mehr als nur Fakten darstellen. Vielmehr erhoffte er sich, einen Beitrag zur Niederlage George W. Bushs, bei den damals anstehenden Präsidentschaftswahlen im Jahr 2004 zu leisten. Die Frage nach dem Ausgang seines Vorhabens wurde durch die Geschichte bereits beantwortet, offen bleibt jedoch, ob dieses Mittel legitim war oder nicht, da Moore sich durch seinen Film, dem Vorwurf von Subjektivität, Manipulation und Propaganda schuldig machte.
Der Titel des Films ‘Fahrenheit 9/11’ bezieht sich auf den Film ‘Fahrenheit 451’ von François Truffaut aus dem Jahr 1966. Fahrenheit 451 ist die Temperatur, bei welcher Papier entflammt. In einem zukünftigen totalitären Staat in dem Bücher verboten sind, werden TV-Apparate zum Mittelpunkt des Alltags und zum Sprachrohr des Regimes, welches die Menschheit unterjocht hat. Was Truffaut als düstere Zukunftsvision bereits 1966 darstellt, ist dabei längst Realität geworden. Die Medien sind allgegenwärtig und geben uns täglich ein Bild von der Welt, von dem wir glauben, es handele sich um die Realität. Auch scheinen sie uns in unserem Denken über diese Welt zu kontrollieren. Daher bleibt auch den Medien der Vorwurf der Manipulation nicht erspart.
Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, zu ergründen, welche Entwicklung das dokumentarische Genre, als Teil der Medien, in seiner Entwicklung durchgemacht hat und welchen Konventionen es unterliegt.
Der Film ‘Fahrenheit 9/11’, welcher dem Format Dokumentarfilm zugeordnet wird, und somit Teil des dokumentarischen Genres ist, scheint sich laut den Vorwürfen, genau derselben Mittel zu bedienen, wie die Medien selbst. Jedoch hat ein Dokumentarfilm im eigentlichen Sinne einen völlig anderen Anspruch. Er soll Wahrheit vermitteln.
Dokumentarfilme sollen laut Literatur die vorgefundene Realität des abgebildeten Objekts möglichst […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Danny Jaksch
9/11 Fiktive Realität
Authentizität und Manipulation im dokumentarischen Film
ISBN: 978-3-8428-0393-0
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Hochschule Bremen (FH), Bremen, Deutschland, Bachelorarbeit, 2009
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

V
ORWORT
Die vorliegende Bachelor-Thesis ist im Studiengang Digitale Medien
der Hochschule Bremen in Kooperation mit der Hochschule für
Künste Bremen und der Hochschule Bremerhaven entstanden.
Mein spezieller Dank gilt meinem Großvater.
Nicht zuletzt danke ich all meinen engsten Freunden dafür, dass sie
mich immer wieder ermutigt und bestärkt haben, nicht aufzugeben
und mir mit Rat zur Seite standen.
Besonders erwähnen möchte ich Chiung-Wen Hsu, Vivien Mast,
Stefanie Blatt, Sonja Wohllaib, sowie Martina und Reinhard
Sonntag.
Danny Jaksch


Abstract
According to literature, documentaries should present reality as closely to
actuality as possible and have a claim to truth in their facticity. That this is
not always the case, is shown with the documentary ,,Fahrenheit 9/11" by
Michael Moore which constitutes the main element of this thesis. The topic
of the film are the events and the impact of the terrorist attacks in New
York on September 11th 2001, as well as the background behind the war on
Iraq. Moore has to face the accusation of having introduced too high a
subjective stance in his film and having made a propaganda tool of it. In his
eyes, he can justify his means with the fact that he wanted to prevent the
re-election of George W. Bush in 2004 at any cost.
By means of a systematic film analysis, it will be examined, whether and to
which extent the accusations of staging, subjectivity, and manipulation can
be justified, or if the film ,,Fahrenheit 9/11" can be assigned truth, and
therefore authenticity, against all criticism. Preceding the analysis, in the
first part of the thesis, the reader will learn the theoretical and historical
background of documentary film, and will thereby gain a basic
understanding of the genre. It will be shown that the documentary film has
always implicated manipulation, and was misused for propaganda,
especially in the two world wars.
The media, and television in particular, can also be accused of staging and
manipulation. Television is ubiquitous in people's everyday life and shows
them a world which they take for real. In this area of tension, the second
part of the thesis analyzes the documentary genre with respect to
manipulative structures in its role as a means of communication in
television. Moreover, the formats of present time documentary television
are portrayed and their function explained.
Finally, in the third part of the thesis, as an example of documentary film as
part of the documentary genre, the film ,,Fahrenheit 9/11" is scrutinized for
its truth and integrated in the line of argument. The systematic film analysis
is opened by an explicit synopsis of the film and complemented with
background information. An accompanying film protocol supplies the

necessary information to infer strategies of authentification, staging, and
manipulation. The results are visualized with charts and explained to the
reader.
From the insights gained by this analysis, answers to the posed questions
can be inferred to complete the thesis. The main question was, whether
Michael Moore has conveyed truth with his film, or whether he has to face
the accusation of manipulation. Since, as the reader has learnt,
construction and subjectivity are inherent in the genre of documentation,
ultimately one has to answer the question, where the line can be drawn
between an authentic and credible portrayal on the one hand, and a purely
subjective, manipulating account on the other hand, and what degree of
subjectivity is ultimately acceptable in a documentary, in order to do justice
to one's commitment to truth.
Michael Moore makes use of blatant manipulation and cannot invalidate
the accusations. For his purpose, these means may seem appropriate, but
he cannot be credited with approval as a documentary film maker,
because, due to his essayistic approach, he cannot produce evidence and
therefore does not adhere to the most fundamental principle of the
documentary. Since his film served the goal of political manipulation, he
also cannot elude the accusation of propaganda. Last, but not least, for the
reasons mentioned above, ,,Fahrenheit 9/11" cannot meet the claim of
being a documentary.
The examination lead to a distinction between the documentary film and
documentary television formats that are subject to construction and serve
the goal of entertainment. The fact that the documentary film uses
elements of design should not be subject to criticism. A modern
documentary film maker should have any freedom of subjectivity in the
design of his films in order to create tension, but when it comes to content,
subjectivity should not be permitted. Subjectivity is thus accepable if it does
not do damage to truth and doesn't lead to the distortion of reality. But
manipulation and propaganda should remain absent.

Zusammenfassung
Dokumentarfilme sollen laut Literatur die vorgefundene Realität des
abgebildeten Objekts möglichst wirklichkeitsnah darstellen und in ihrer
Faktizität einen Wahrheitsanspruch haben. Dass dem nicht immer so ist,
zeigt der Dokumentarfilm ,,Fahrenheit 9/11" von Michael Moore, welcher
das zentrale Element der vorliegenden Thesis darstellt. Thema des Films
sind die Ereignisse und Auswirkungen der Terroranschläge vom 11.
September 2001 in New York, sowie die Hintergründe des Irak-Kriegs.
Moore muss dem Vorwurf entgegentreten, in seinem Film, einen zu großen
subjektiven Einfluss eingebracht und ihn zu einem propagandistischen
Werkzeug gemacht zu haben. Rechtfertigen kann er dieses Mittel in seinen
Augen damit, dass er um jeden Preis eine Wiederwahl George W. Bushs im
Jahr 2004 verhindern wollte.
Mittels einer systematischen Filmanalyse wird untersucht, ob und inwiefern
sich die Vorwürfe von Inszenierung, Subjektivität und Manipulation
rechtfertigen lassen, oder ob dem Film ,,Fahrenheit 9/11", entgegen aller
Kritik, Wahrheit und somit Authentizität zugesprochen werden kann. Im
Vorfeld dazu erfährt der Leser im ersten Teil der Thesis, welcher
theoretische und geschichtliche Hintergrund dem Dokumentarfilm
zukommt und erlangt dadurch ein Grundverständnis für das
dokumentarische Genre. Dabei wird gezeigt, dass der Dokumentarfilm
schon immer die Manipulation implizierte und besonders zu Zeiten der
beiden Weltkriege für Propagandazwecke missbraucht wurde.
Auch den Medien, besonders dem Fernsehen, kann Inszenierung und
Manipulation vorgeworfen werden. Das Fernsehen umgibt den Alltag der
Menschen und zeigt ihnen eine Welt, von der sie glaubt, real zu sein. In
diesem Spannungsfeld wird das dokumentarische Genre im zweiten Teil der
Thesis, in seiner Rolle als Kommunikationsmittel im Fernsehen, auf
manipulative Strukturen hin untersucht. Außerdem werden die Formate
des heutigen dokumentarischen Fernsehens aufgezeigt und in ihrer
Funktion erläutert.

Abschließend wird der Dokumentarfilm als Teil des dokumentarischen
Genres am Beispiel des Films ,,Fahrenheit 9/11" im dritten Teil der Arbeit
auf seinen Wahrheitsgehalt hin untersucht und in die Vorwurfskette
integriert. Die systematische Filmanalyse wird dabei durch eine explizite
Inhaltsangabe zu dem Film eröffnet und durch Hintergrundinformationen
ergänzt. Ein begleitendes Filmprotokoll liefert die nötigen Informationen,
um einen Rückschluss auf Authentisierungs-, Inszenierungs- und
Manipulationsstrategien zu geben. Die Ergebnisse werden in
Diagrammform visualisiert und dem Leser entsprechend erläutert.
Aus den gewonnenen Erkenntnissen lassen sich letztendlich Antworten auf
die Fragestellungen ableiten, welche die Thesis abrunden und somit
schließen sollen. Die zentralen Fragen lauteten, ob Michael Moore durch
seinen Film die Wahrheit vermittelt hat, oder ob er sich dem Vorwurf der
Manipulation stellen muss. Da Konstruktion und Subjektivität, wie der Leser
erfahren kann, dem dokumentarischen Genre immanent sind, muss
letztendlich auch beantwortet werden, wo die Grenzen zwischen
authentischer, glaubwürdiger und rein subjektiver, manipulierender
Darstellung verlaufen und wie hoch der Grad an Subjektivität in einem
Dokumentarfilm letztendlich sein darf, um seiner Verpflichtung die
Wahrheit zu vermitteln, gerecht zu bleiben.
Michael Moore bedient sich offensichtlicher Manipulation und kann sich
dem Vorwurf nicht entziehen. Für sein Vorhaben schien dieses Mittel in
seinem Sinn angemessen zu sein, doch kann ihm keine Anerkennung als
Dokumentarfilmer entgegengebracht werden, da er durch seine
essayistische Herangehensweise nicht den Beweis von Wahrheit erbringen
kann und sich somit auch nicht dem grundlegendsten Prinzip des
Dokumentarfilms beugt. Da sein Film dem Zweck diente politische
Manipulation zu erzielen, kann er auch dem Vorwurf von Propaganda nicht
weichen. Nicht zuletzt verliert ,,Fahrenheit 9/11" durch die genannten
Gründe den Anspruch ein Dokumentarfilm zu sein.
Die Betrachtung führte zu einer Abgrenzung des Dokumentarfilms zu den
dokumentarischen Formaten des Fernsehens, die der Konstruktion
unterliegen und der Unterhaltung dienen. Dass der Dokumentarfilm sich

gestalterischer Mittel bedient, kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht
werden. Dem Dokumentarfilmer der heutigen Zeit soll daher jegliche
Subjektivität in der Gestaltung seiner Filme erlaubt sein, um Spannung zu
erzeugen, nicht aber sollte Subjektivität hinsichtlich inhaltlicher Gestaltung
erlaubt sein. Subjektivität ist also in jedem Fall immer dann erlaubt, wenn
sie dem Wahrheitsgehalt nicht schadet und zu keinen Verzerrungen der
Wirklichkeit führt. Manipulation und Propaganda sollten dem Medium
allerdings fremd bleiben.


1
I. INHALTSVERZEICHNIS
I. INHALTSVERZEICHNIS
... 1
II. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
... 5
III. ABBILDUNGSVERZEICHNIS
... 5
1. Einleitung
... 9
1.1. These
... 10
1.2. Gliederung
... 10
2. Theorie, Aufgabe und Historie des Dokumentarfilms
... 13
2.1. Theorie des Dokumentarfilms
... 13
2.1.1. Zeichen, Kodes, Text
... 13
2.1.2. Bild
... 15
2.1.3. Raum und Zeit
... 17
2.1.4. Realität und Wirklichkeit
... 18
2.1.5. Die Realitätsebenen des Dokumentarfilms
... 20
2.1.6. Authentizität
... 21
2.1.7. Fiktion vs. Nonfiktion
... 23
2.1.8. Wahrheit
... 25
2.2. Aufgabe des Dokumentarfilms
... 28
2.2.1. Der Weg vom Kino zum Fernsehen und zurück
... 29
2.2.2. Einflussfaktoren bei der Entstehung eines Dokumentarfilms
... 29
2.3. Historie des Dokumentarfilms
... 32
2.3.1. Die Anfänge
... 32
2.3.2. Propaganda im Zweiten Weltkrieg
... 36

2
2.3.3. Technische Revolution in den 1960ern
... 38
2.3.3.1. Direct Cinema
... 39
2.3.3.2. Cinèma Véritè
... 40
2.3.4. Die Krise des Dokumentarfilms
... 41
2.3.5. Der Dokumentarfilm seit den 1990ern
... 42
3. Das dokumentarische Genre des Fernsehens
... 45
3.1. Der Text des Fernsehens
... 47
3.2. Die Funktionen des Fernsehens
... 48
3.3. Die Konstruktion von Wirklichkeit durch die Medien
... 49
3.4. Gegenwärtige dokumentarische Formate
... 51
3.4.1. Meldung
... 52
3.4.2. Bericht
... 52
3.4.3. Reportage
... 52
3.4.4. Magazinbeitrag
... 53
3.4.5. Doku-Drama
... 54
3.4.6. Fake-Doku
... 54
3.4.7. Reality-TV
... 54
3.4.8. Doku-Soap
... 56
3.5. Dokutainment und Infotainment
... 57
3.6. Manipulation im dokumentarischen Genre
... 59
3.6.1. Fernsehen als Medium der sozialen Manipulation
... 59
3.6.2. Manipulation und Fiktionalisierung im dokumentarischen Film
... 61

3
4. Systematische Analyse des Dokumentarfilms Fahrenheit 9/11
... 69
4.1. Beschreibung der Untersuchung
... 69
Abbildung 3 - Idealmodell der Untersuchungsbereiche
... 70
4.1.1. Filmrealität
... 70
4.1.1.1. Authentisierungsstrategien
... 70
4.1.1.2. Inszenierungsstrategien
... 71
4.1.2. Bedingungsrealität, Bezugsrealität, Wirkungsrealität
... 72
4.1.4. Untersuchungsgegenstand
... 73
4.1.5. Filmprotokoll
... 73
4.2. Explizite Inhaltsangabe des Films
... 75
4.2.1. Filmdaten
... 91
4.2.2. Hintergrundinformationen
... 91
4.2.3. Michael Moore
... 92
4.3. Auswertung der Analyse nach den beschriebenen Verfahren
... 94
4.3.1. Authentisierungsstrategien auf visueller Ebene
... 94
4.3.2. Authentisierungsstrategien auf sprachlicher Ebene
... 100
4.3.3. Inszenierungsstrategien
... 103
4.3.4. Spuren der offensichtlichen Inszenierung und Manipulation
... 109
4.5. Erkenntnisse aus der Analyse
... 114
5. Fazit
... 117
IV. LITERATURVERZEICHNIS
... 125
V. LEGENDE DES FILMPROTOKOLLS
... 130

4

5
II. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
f. folgende
ff. fortfolgende
S.
Seite
u.s.w.
und so weiter
Vgl. Vergleiche
z.B. zum
Beispiel
ca. circa
bzw.
beziehungsweise
etc. et
cetera
III. ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1 - Ausschnitt aus dem Film Nanook of the North
... 34
Abbildung 2 - Riefenstahl mit Hitler während der Dreharbeiten
... 37
Abbildung 3 - Idealmodell der Untersuchungsbereiche
... 70
Abbildung 4 - Lila Lipscomb und ihr Mann
... 107
Abbildung 5 - Michael Moore mit Polizist vor der Botschaft
... 108
Abbildung 6 - Bush vor der Kindergartengruppe
... 112

6

7
,,Die Lüge erfordert Erfindung, Verstellung
und Gedächtnis, sie setzt mehr Kenntnisse
und Fähigkeiten voraus als die Wahrheit."
(Friedrich Nietzsche)

8

9
1. Einleitung
9/11 - ein Datum oder vielmehr schon ein Symbol aus Zahlen, das mit
einem Ereignis verbunden ist, welches viele Dinge auf unserer Welt
verändert hat. Ereignisse, an die sich die meisten von uns immer erinnern
werden. Vor allem aber die Amerikanischen Bürger. Michael Moore stellt
durch seinen Film ,,Fahrenheit 9/11" den Versuch dar, zu durchleuchten,
welche Ereignisse mit dem Tag der Anschläge auf das World Trade Center
verbunden sind. Dabei nimmt er in polemisierender Weise George W. Bush
unter die Lupe und zeigt Ursache und Wirkung des Irak-Krieges. Moore
wollte mit seinem Film in dessen Erscheinungsjahr allerdings mehr als nur
Fakten darstellen. Vielmehr erhoffte er sich, einen Beitrag zur Niederlage
George W. Bushs, bei den damals anstehenden Präsidentschaftswahlen im
Jahr 2004 zu leisten. Die Frage nach dem Ausgang seines Vorhabens wurde
durch die Geschichte bereits beantwortet, offen bleibt jedoch, ob dieses
Mittel legitim war oder nicht, da Moore sich durch seinen Film, dem
Vorwurf von Subjektivität, Manipulation und Propaganda schuldig machte.
Der Titel des Films ,,Fahrenheit 9/11" bezieht sich auf den Film "Fahrenheit
451" von François Truffaut aus dem Jahr 1966. Fahrenheit 451 ist die
Temperatur, bei welcher Papier entflammt. In einem zukünftigen
totalitären Staat in dem Bücher verboten sind, werden TV-Apparate zum
Mittelpunkt des Alltags und zum Sprachrohr des Regimes, welches die
Menschheit unterjocht hat. Was Truffaut als düstere Zukunftsvision bereits
1966 darstellt, ist dabei längst Realität geworden. Die Medien sind
allgegenwärtig und geben uns täglich ein Bild von der Welt, von dem wir
glauben, es handele sich um die Realität. Auch scheinen sie uns in unserem
Denken über diese Welt zu kontrollieren. Daher bleibt auch den Medien der
Vorwurf der Manipulation nicht erspart.
Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, zu ergründen, welche
Entwicklung das dokumentarische Genre, als Teil der Medien, in seiner
Entwicklung durchgemacht hat und welchen Konventionen es unterliegt.

10
Der Film ,,Fahrenheit 9/11", welcher dem Format Dokumentarfilm
zugeordnet wird, und somit Teil des dokumentarischen Genres ist, scheint
sich laut den Vorwürfen, genau derselben Mittel zu bedienen, wie die
Medien selbst. Jedoch hat ein Dokumentarfilm im eigentlichen Sinne einen
völlig anderen Anspruch. Er soll Wahrheit vermitteln.
1.1. These
Die zentrale Frage der vorliegenden Arbeit muss daher lauten, ob Michael
Moore durch seinen Film die Wahrheit vermittelt hat, oder ob er sich dem
Vorwurf der Manipulation stellen muss! Da Konstruktion und Subjektivität,
wie der Leser noch erfahren wird, dem dokumentarischen Genre immanent
sind, muss letztendlich auch beantwortet werden, wo die Grenzen zwischen
authentischer, glaubwürdiger und rein subjektiver, manipulierender Dar-
stellung verlaufen und wie hoch der Grad an Subjektivität in einem
Dokumentarfilm letztendlich sein darf, um seiner Verpflichtung die
Wahrheit zu vermitteln, gerecht zu bleiben.
1.2. Gliederung
Die theoretische Herangehensweise soll im ersten Teil der Arbeit zunächst
einen Überblick über das Wesen des Dokumentarfilms verschaffen und
dem Leser ein Grundverständnis über das dokumentarische Genre und die
filmische Sprache geben. Der Dokumentarfilm selbst, soll dabei immer
wieder in den Fokus gerückt werden. Daran anschließend, wird sich die
geschichtliche Entwicklung des Dokumentarfilms aufschlüsseln und die
verschiedenen Verständnistheorien aufzeigen.
Im zweiten Teil der Arbeit, soll das dokumentarische Genre in seiner
Wirkungsumgebung näher betrachtet werden - dem Fernsehen. Das
Fernsehen selbst stellt dabei eine mächtige Institution dar, die einen
großen Einfluss auf das dokumentarische Genre hinsichtlich dessen
Gestaltung hat und es nach seinen eigenen Regeln formt. Hier soll der
Vorwurf der Manipulation zum Tragen kommen und näher betrachtet

11
werden. Die Analyse gegenwärtiger dokumentarischer Formate und des
Konstruktionsverhaltens des Fernsehens verspricht dabei Aufklärung.
Der dritte und letzte Teil der Arbeit soll die zentrale Frage der Arbeit
beantworten. Dabei wird der Film ,,Fahrenheit 9/11" innerhalb einer
Filmanalyse auf Authentisierungs-, Inszenierungs- und Manipulations-
strategien hin untersucht. Ein detailliertes Filmprotokoll, welches auch im
Anhang dieser Arbeit zu finden sein wird, soll systematisch der
Erkenntnisgewinnung beitragen. Die Arbeit schließt mit einer
Zusammenfassung der gewonnen Kenntnisse und einer Beantwortung der
Fragestellungen.

12

13
2. Theorie, Aufgabe und Historie des Dokumentarfilms
Schon Nietzsche sagte, dass ,,etwas Neues sein Wesen niemals zu Beginn
offenbaren kann, sondern sich dass, was es von Anfang an war, nur auf
einem Umweg seiner Entwicklung zu erweisen vermag."
(Deleuze 1991, S. 63)
2.1. Theorie des Dokumentarfilms
Die Diskussion über den Dokumentarfilm ist so alt wie das Genre selbst.
Diese oder eine ähnliche Aussage wird man in fast jeder Abhandlung über
eben jenes Genre finden und tatsächlich haben sich seit Bestehen des
Dokumentarfilms unzählige Theorien darüber entwickelt, was den
Dokumentarfilm eigentlich ausmacht. Die wohl üblichste Definition ist
dabei die Gegenüberstellung des fiktionalen und des nichtfiktionalen Films.
Dem fiktionalen Film wird dabei der Spielfilm und dem nichtfiktionalen Film
der Dokumentarfilm zugeordnet. Doch ist diese Gegenüberstellung
ungenau und oberflächlich. Auch die Unterscheidung in narrativ und
nichtnarrativ ist hinfällig, da sehr viele Dokumentarfilme auf einen
zentralen Konflikt hinsteuern, welcher am Ende des Films gelöst wird. Fakt
ist, dass man die Konstruktion eines Spielfilms durch einen Regisseur
voraussetzen kann, der Dokumentarfilm hingegen soll etwas
dokumentieren oder gar beweisen.
Um dem Leser das Verstehen dieser Arbeit zu erleichtern, soll zunächst ein
Grundverständnis der filmischen Begriffe und Konventionen in Bezug auf
das dokumentarische Genre vermittelt werden. Daran anschließend soll
untersucht werden, welche Aufgaben dem Dokumentarfilm zukommen und
wie dessen geschichtliche Entwicklung verlief.
2.1.1. Zeichen, Kodes, Text
Kommunikation findet immer und überall statt. Werden dabei Medien zur
Kommunikation genutzt, so werden deren Inhalte mit Zuhilfenahme von
Elementen vermittelt. In ihrer kleinsten Form kennen wir diese als Zeichen.
Das Zeichen ist dabei ein Stellvertreter für etwas, es steht also nicht nur für

14
sich selbst. Da alle Zeichen in Relationen zueinander stehen, muss das
Lesen und Verstehen von Zeichen erlernt werden, um im kulturellen
Kontext Gebrauch von ihnen machen zu können. Zeichen werden
differenziert in primäre Zeichen, die nur als Zeichen existent sind
(Buchstaben, Ziffern, Abbildungen) und in sekundäre Zeichen, die
unabhängig von einer Zeichenfunktion auch noch reale Dinge und
Sachverhalte sein können.
(vgl. Hickethier 2003, S. 59f.)
Semiotisch gesehen, lassen sich die Zeichen, nach dem Sprachwissen-
schaftler Ferdinand de Saussures aus dem Signifikant, dem Bezeichner und
aus dem Signifikat, also dem bezeichneten Gegenstand oder der Idee
zusammensetzen, um mit ihnen den Kommunikationsvorgang in einem Film
oder dem Fernsehen zu beschreiben. So ist das geschriebene Wort ,,Auto"
der Signifikant und die Idee eines Autos das Signifikat. Das Zeichen umfasst
schließlich beides, das tatsächliche Auto wird dabei zum Referenten des
Zeichens.
(vgl. Monaco 2006, S. 147ff.)
Für den Gebrauch der Zeichen gilt, dass die
Dinge welche sie bezeichnen nicht anwesend sein müssen, dies aber auch
nicht ausgeschlossen wird.
Kodes sind die syntaktischen und semantischen Regeln für den Umgang mit
Zeichen. Diese Regeln werden häufig auch Konventionen genannt. Sie
entstehen durch Vereinbarungen zwischen den Zeichenbenutzern und
existieren sowohl für symbolische als auch für ikonische Zeichen. Die
Verwendung des Zeichenbegriffs weist im Bereich der visuellen Zeichen
Probleme auf. Während wir beim Gebrauch der Sprache relativ eindeutig
aus dem Fluss der Laute einzelne Zeichen isolieren können, gibt es für die
meisten ikonischen Zeichen innerhalb der visuellen Zeichen keine
eindeutige Zuordnung zu einer Bedeutung. Der Kontext muss dabei
miteinbezogen werden. Dinge werden uns erst dann innerhalb unserer
Umgebung als Zeichen isolierbar, wenn wir sie als Figur vor einem
Hintergrund erkennen und wahrnehmen.
(vgl. Hickethier 2003, S.66f.)
In der Zeichenhaftigkeit der Fotografie haben sich bestimmte Aufnahme-
und Darstellungsformen durchgesetzt. Daher sind diese vor allem auf
spezifische Gestaltungsbedingungen hin zu untersuchen. Das filmische
Zeichen stellt das Vielfache eines fotografischen Zeichens dar und muss

15
deshalb eine Erweiterung von Kodes erhalten. Zum einen sind das die
filmischen Kodes, sprich alle Kodes die im Film vorkommen, aber nicht
unbedingt nur im Film vertreten sind, und zum anderen die
kinematografischen Kodes (Schnitt, Montage, Kameraoperationen) welche
nur im Film vorkommen.
(vgl. Hickethier 2003, S. 71f.)
Die Verbindung mehrerer Zeichen wird Text genannt. Dieser Begriff ist nicht
nur für schriftliche Formen anwendbar, sondern auf alle Kommunika-
tionsformen, die auditiv, visuell, audiovisuell, räumlich erfahrbar und
raumzeitlich erlebbar sind. Wegen des zunehmenden Bildgebrauchs in den
Medien wird der Textbegriff also auch für Bilder und Medienproduktionen
verwendet. Bilder sind jedoch heterogen zu den sprachlichen Texten
organisiert und können deshalb auch nicht gänzlich durch Beschreibungen
in Sprache übersetzt werden. Die gegenwärtige Vorstellung von Film als
Text ist heute maßgebend für die Filmanalyse. Diese Verfahren
unterscheiden sich zwar von der reinen Textanalyse, dennoch kommen sie
ihnen nahe. Von diesem Verfahren soll in dieser Arbeit später noch
Gebrauch gemacht werden. Ein prinzipielles literarisches Literatur-
verständnis wird in jedem Fall gefordert, da auch Filme eine zeitlich-lineare
Abfolge besitzen. Wie die Bilder interpretiert werden, ist dabei von den
kulturellen Traditionen und Konventionen abhängig.
(vgl. Hickethier 2003, S.
101ff.)
2.1.2. Bild
Das wahre Erkennen eines Gegenstandes ist laut Merleau-Ponty allein dem
Geiste vorbehalten. So geht er davon aus, dass ein Gegenstand, welcher
sich hinter dem Rücken befindet, selbst dann existiert, wenn man ihn nicht
sieht. Genauso verhält es sich beispielsweise bei einem Würfel. Man kann
nur die vorderen perspektivisch verzerrten Flächen erkennen. Die Rückseite
bleibt immer verborgen. Dennoch wissen wir, dass sie existiert, da wir sie
uns denken können.
(vgl. Edthofer 2008, S. 63)

16
,,Bilder sind Projektionen der Empfindung, sie versinnbildlichen unsere
Vorstellungen und Gefühle, geben uns eine Idee der geschauten und
gedachten Welt."
(Partenheimer In: Edthofer 2008, S. 64)
Das Bild galt lange Zeit als Nachahmung der Natur, als etwas Wunderbares,
etwas Göttliches. Im 18. Jahrhundert verband man schließlich die
Darstellung der Welt im Bild auch mit der Inspiration des Künstlers, welcher
darin seine Gefühle und schöpferische Kraft zum Ausdruck bringen wollte.
Heute sind wir durch Fotografie, Film und Fernsehen, sowie durch das
Internet von einer wahren Bilderflut umgeben, welche unseren Alltag
durchsetzen und dadurch selbst alltäglich geworden sind.
(vgl. Hickethier 2003,
S. 81f.)
Bilder benötigen eine Begrenzung um damit eine Bildfläche zu
schaffen und das Bild als solches zu definieren. Außerdem schafft dies
Raum für eine Figur auf einem Hintergrund, die den kompositorischen
Gestaltungsmerkmalen unterliegt, um Spannung zu erzeugen.
Das filmische Bild selbst endet inhaltlich nicht an seinem Bildrand, sondern
verweist auch über dessen Grenzen hinaus.
(vgl. Edthofer 2008, S. 68)
Wir wissen
demnach, dass beispielsweise ein Gebäude nicht am Bildrand endet,
sondern dessen Mauern in der Realität am Schnittpunkt weiter verlaufen.
Für den Film bedeutet dies, dass eine Person, die den Bildrand verlässt
nicht verschwunden ist, sondern im imaginären Raum weiterlebt. In der
Fotografie hingegen ,,stirbt" alles, was den Bildrand verlässt.
Den Bildern kann oft eine größere Direktheit als der Sprache oder der
Schrift zugesprochen werden. Bilder sind ebenso Konstrukte. Sie entstehen
erst im Gehirn des Betrachters, wenn sich dessen visuellen Eindrücke und
vorhandenen Informationen verschmelzen. Allerdings setzt das Verstehen
von Bildern die Kenntnis kultureller Konventionen voraus. Eine Erschließung
des Inhalts (des Gemeinten und Gezeigten) kann deshalb erst nach der
Kenntnis des bildlichen Codes bzw. durch die explizite Erklärung des Bildes
erfolgen.
(vgl. Hickethier 2003, S. 83f.)
Heutzutage erkennen wir dies durch
Pressefotos mit einer Bildunterschrift oder durch den erklärenden
Kommentar des Reportes in einer Reportage.

17
Letztlich kann sich der Betrachter eines Bildes bewusst entscheiden, ob er
es als eine Illusion des Raumes sehen will, oder ob er sich der Illusion
entziehen möchte und das Bild flächig sieht. Anders beim Film, denn ab
einem bestimmten Tempo sieht man eine Bewegung, ob man will oder
nicht. Das Sehen von Einzelbildern ist nun nicht mehr möglich.
(vgl. Edthofer
2008, S. 66)
Bewegungsbilder sind im Gegensatz zu stehenden Bildern von der
Zeit abhängig. Sie verändern sich von Bild zu Bild und gewinnen erst durch
die Bewegung selbst ihre Form. Weiterhin ist das bewegte Bild in seiner
Zeitdimension auch mit einem Ton verknüpft, wodurch ein mehrsinniges
Objekt entsteht.
(vgl. Hickethier 2003, S. 95f.)
Wird also ein Bild im Kino mit 24 Bildern pro Sekunde (im Fernsehen mit 25
Bildern bzw. 50 Halbbildern pro Sekunde) gezeigt, empfindet der Zuschauer
einen natürlichen Bewegungsablauf und ein Eindruck von Realität entsteht.
Dieser Realitätseindruck wird durch den Ton, welcher mit den Bildern
verbunden ist, zusätzlich verstärkt. Durch diese Kombination des
Audiovisuellen können die vom Sender (dem Filmregisseur) codierten
Informationen vom Empfänger (dem Zuschauer) decodiert werden
. (vgl.
Grassl 2007, S. 12ff.)
Die akustischen Zeichen unterscheiden sich in gesprochener und ge-
sungener Sprache, in der Musik und den verwendeten Geräuschen, welche
allesamt nur in einer zeitlichen Ausdehnung denkbar sind. Da diese Zeichen
mechanisch, elektronisch oder heute digital hergestellt werden, hat der
Hörer kaum die Möglichkeit deren Echtheit zu überprüfen. So ist das
nachgestellte Klappern von Pferdehufen durch das aneinander schlagen
von Kokosnüssen keine Täuschung, sondern ebenso ein Zeichen
. (vgl.
Hickethier 2003, S. 74f.)
2.1.3. Raum und Zeit
Im Film lässt sich zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit unterscheiden,
wobei unter erzählter Zeit die in der Geschichte vergangene Zeit gemeint ist
und unter Erzählzeit die genaue Länge des Films. Zeit spielt für den Film vor
allem dann eine Rolle, wenn er geschichtsgebunden ist, so wie die meisten

18
Dokumentarfilme. Heute noch vermitteln sie Wahrheit über einen
Gegenstand oder Sachverhalt, in 20 Jahren jedoch, wirken sie lächerlich und
die Wirklichkeit sieht dann ganz anders aus, weil es den Gegenstand real
gar nicht mehr gibt, was folgendes Zitat von Hohenberger bekräftigt.
(vgl.
Edthofer 2008, S. 125)
,,Mit dem Dokumentarfilm produziert das Reale im Moment seiner Existenz
schon seine zukünftige Erinnerung an sich, es hebt sich also schon zu
Lebzeiten als Geschichte auf."
(Hohenberger In: Edthofer 2008, S. 126)
Von einer narrativen Struktur kann gesprochen werden, wenn eine Abfolge
von Handlungen eine Geschichte entstehen lässt. Die Rolle des Zuschauers
ist es, diese Abfolge in ihrer Bedeutung zu entschlüsseln und das Gezeigte
selbständig in Gedanken in Relation zu bringen. So kann der Zuschauer
beispielsweise auch entschlüsseln, wenn in der an sich chronologischen
Erzählung in der Zeitachse gesprungen wird. Ebenso kann er sich durch das
Zusammenfügen der im Film gezeigten Raumsegmente eine Vorstellung des
Gesamtbildes der Räumlichkeiten machen.
(vgl. Edthofer 2008, S. 201ff.)
Interessant wird es für den Zuschauer dann, wenn er über die real
existierenden Räumlichkeiten bescheid weiß und anhand der Bilder
identifizieren kann, dass die filmische Raumwelt nicht der realen Welt
entspricht, obwohl diese den Eindruck erwecken sollte. Dies kann unter
Umständen zu Verwirrung und Ablenkung führen. Für den fiktionalen Film
mag diese Einschätzung trivial sein, nicht aber für den Dokumentarfilm der
verspricht die Wirklichkeit abzubilden.
2.1.4. Realität und Wirklichkeit
Realität w. (lat. Realitas, von res ,,Ding") auch ,,Wirklichkeit",
,,Gegebenheit", ,,Tatsache".
(Fremdwörterlexikon 2006, S. 320)
Mit dem Begriff Realität oder auch Wirklichkeit, bezeichnet man im
Allgemeinen die Gesamtheit des Realen, sprich all das, was außerhalb des

19
,,nur Gedachten" existent ist. Die Philosophie unterscheidet zudem die
Realität in einer Vielzahl von Auslegungen.
Im ontologischen Realismus existiert eine Außenwelt grundsätzlich auch
ohne ein erkennendes Subjekt. Der Erkenntnistheoretische Realismus
nimmt an, dass es grundsätzlich eine existierende Wirklichkeit gibt, die in
irgendeiner Art auch erkannt werden kann. Die Idee des Konstruktivismus
ist die Frage danach, ob die Welt, welche wir als solche wahrnehmen,
sprich die Realität, unabhängig von uns Menschen existiert, oder ob diese
erst durch unsere Sinneswahrnehmung konstruiert wird.
Auf genannte und weitere philosophische Theorien soll an dieser Stelle
allerdings nicht näher eingegangen werden, sondern vielmehr untersucht
werden, wie wir Realität und Medienrealität wahrnehmen.
Die Wahrnehmung von Realität ist für uns Menschen abhängig von unseren
Wahrnehmungsinstrumenten, sprich unseren Sinnen. Als Realität kann
deshalb nur das wahrgenommen werden, wofür wir ein
Wahrnehmungsorgan besitzen. Ein blinder Mensch empfindet deshalb eine
ganz andere Realität, da er sich seine Umwelt nur über seine übrigen
Sinnesorgane vor seinem geistigen Auge aufbauen kann. Das Gehirn filtert
sämtliche Impulse, vergleicht mit den bereits gespeicherten Informationen
und konstruiert schließlich einen Gesamteindruck der Welt. Diese
Konstruktion von Realität passiert ständig und wird unbewusst im
Hintergrund ausgeführt. Betrachtet man die Weltkonstruktion des
Menschen mit seinen Wahrnehmungsorganen als System, welches
ausschließlich nach eigenen Regeln funktioniert, lässt sich dieses System
auch auf andere kulturelle und soziale Organisationen übertragen.
Medien beispielsweise sind Systeme, die ihre Umwelt über spezifische
Sensoren wahrnehmen und daraus ein eigenes Bild der Wirklichkeit
konstruieren, welches meist gegensätzlich zur eigenen Wirklichkeit eines
jeweiligen Individuums erfahren wird.
(vgl. Hickthier 2003, S. 33f.)

20
2.1.5. Die Realitätsebenen des Dokumentarfilms
Gehen viele Theorien über das dokumentarische Genre von der einen
wirklichen Realität aus, unterscheidet Eva Hohenberger mehrere filmische
Realitätsebenen, auf welchen ein Dokumentarfilm kommuniziert. So
beschreibt die nichtfilmische Realität die Ebenen, welche zeitlich und
räumlich vor der Planung und den Dreharbeiten eines Films liegen. Die
vorfilmische Realität ist der Teil der nichtfilmischen Realität, für welchen
sich der Filmemacher letztendlich entschieden hat und zum Sujet seines
Films macht. Die Realität Film beschreibt die Bedingungen unter denen ein
Film in seinen Herstellungsprozessen entsteht und die filmische Realität die
gezeigte Realität im Film, sprich den fertigen Film. Letztlich beschreibt
Hohenberger die nachfilmische Realität. Dabei handelt es sich um die
nichtfilmische Realität auf der Rezipientenseite. In diesem Prozess nimmt
der Zuschauer die gezeigte Realität auf und vergleicht sie mit seinem
eigenen Weltbild und ändert dadurch möglicherweise seine eigene Realität.
(vgl. Grassl 2007, S. 120ff.)
,,Ein Dokumentarfilm ist ein Ausschnitt der Realität, gesehen durch die
Augen eines fühlenden Menschen, denn jeder Dokumentarfilm betrachtet
die Wirklichkeit aus der Perspektive eines Individuums."
(Rabiger 2000, S. 16)
Aus diesen Gegebenheiten lässt sich der Hohenberg'sche Unterschied
zwischen einem Spielfilm und einem Dokumentarfilm ableiten. Der
Dokumentarfilm verlangt, dass er auf der Realität basiert und einen
Wahrheitsanspruch hat. Geht in einem Film demnach die vorfilmische
Realität auf die nichtfilmische Realität zurück und ist die filmische Realität
der nichtfilmischen Realität ähnlich, wäre diese Bedingung erfüllt und man
kann von einem Dokumentarfilm sprechen.
Auch Heller deutet auf das hin, was im Bild abwesend erscheint und ebenso
wie Hohenberger, von ihm als außer- oder vorfilmische Realität bezeichnet
wird. So kommt er zu dem Schluss, dass jene Filme einen dokumen-
tarischen Charakter besitzen, die einen ,,Mehrwert an referentiellen

21
Bezügen zur außerfilmischen Wirklichkeit" besitzen.
(vgl. Edthofer 2008, S. 183)
Der Spielfilm kann diese Bedingungen im Übrigen nicht erfüllen und hat
damit einen fiktiven Charakter.
Letztendlich muss dem Zuschauer klar sein, dass die filmische Realität eine
eigene Realität ist und nicht unbedingt der nichtfilmischen Realität ent-
spricht, da die Realität Film die nichtfilmische Realität verändert. Wenn der
Zuschauer über die Herstellungsprozesse eines Dokumentarfilms, also die
Realität Film bescheid weiß und die dargestellte Realität als wahr einstuft,
kann dem Dokumentarfilm dadurch Authentizität zukommen.
,,Das Dumme am Realismus ist, dass es sich hierbei um die Wirklichkeit
handelt und dass er immer bestrebt sein muss, nicht schön, sondern echt zu
sein."
(Grierson 1998, S. 115)
2.1.6. Authentizität
,,Glaubwürdigkeit, Echtheit, Zuverlässigkeit, Stimmigkeit. Bei authentischen
Personen wirkt die gesamte Erscheinung authentisch, wenn rationale und
emotionale, verbale und nonverbale, sichtbare und nicht sichtbare Signale
und Informationen übereinstimmen."
(Die Akademie der Führungskräfte 2009)
Die lateinische Form ,,authenticus" wurde von den Geistlichen des
Mittelalters als Adjektiv zu ,,auctoritas" Autorität verwendet. Weiterhin
wurde das ,,authenticum" in der Rechtssprache als Bezeichnung für das
Original einer Handschrift benutzt. Im deutschen Sprachgebrauch kam dem
Wort ,,authentisch" ebenfalls eine juristische Bedeutung zu. So wurde im
16. Jahrhundert die notarielle Beglaubigung eines Textes ,,Authentisierung"
genannt.
Hattendorf unterscheidet in der filmästhetischen Diskussion zwischen den
Begriffen ,,Authentisch" und ,,Authentizität" wobei die ,,Authentizität" seine
Definition von ,,Authentisch" einschließen kann, eine Umkehrung dessen
aber ausgeschlossen wird. Hat demnach ein Ereignis so stattgefunden, ohne
dass eine filmische Aufnahme den Prozess des Ereignisses beeinflusst hat,

22
kann man von einer ,,objektiven Echtheit" des gefilmten Ereignisses
sprechen. Es ist demnach ,,Authentisch". ,,Authentizität" hingegen beruht
auf der Bearbeitung eines Films. Werden filmische Ereignisse im Augenblick
der Rezeption für den Zuschauer glaubwürdig, haben die gestalterischen
Strategien (sprachliche Gestaltung, Ton, Musik, Kamerahandlung, Montage
etc.) des Filmemachers ,,Authentizität" erzeugt.
(vgl. Hattendorf 1999, S. 67)
Nun wird auch deutlich, warum die Definition von ,,Authentisch" die
folgende der ,,Authentizität" ausschließt, denn hier wird der filmische
Bearbeitungsprozess völlig außer Acht gelassen. Der filmische Be-
arbeitungsprozess ist allerdings immer gegeben, denke man nur an die
Auswahl der Kameraperspektive oder die Eingrenzung des Bildfeldes durch
das Kameraobjektiv.
Selbst scheinbar ungeformtes, rohes Material, wie etwa der in einer
einzigen Einstellung gedrehte achtstündige Film ,,Empire" von Andy Warhol
unterliegt der filmischen Gestaltung, denn auch hier wurde zumindest eine
Einstellungslänge und die Verweildauer des Bildes festgelegt.
(vgl. Hattendorf
1999, S. 170)
Jedes Filmbild ist der Prüfung des Zuschauers ausgesetzt. Dies beginnt bei
dem Vergleich, ob die abgebildete nichtfilmische Wirklichkeit und das in
diesem Zusammenhang stehende Ereignis dem inneren Bild des Zuschauers
entspricht, auch wenn der Zuschauer sicherlich nicht die Möglichkeit hat
jedem realen Ereignis beizuwohnen. Dennoch hat er meist eine gewisse
Vorstellung davon. Außerdem ordnet der Zuschauer sehr schnell ein, ob es
sich bei den Darstellern um Schauspieler handelt oder nicht.
Authentizität wird beim Zuschauer meist dadurch erreicht, dass die
Echtheit der dargestellten Ereignisse zu Beginn des Films durch einen
entsprechenden Kommentar oder durch einen Text signalisiert wird. Eine
große Rolle kommt auch dem Ton und der Sprache zu, wenn diese einen
wiedererkennbaren Echtheitscharakter besitzen. So erzeugen beispiels-
weise Darsteller mit Dialekt hohe Glaubwürdigkeit. Originalton erzeugt
ebenfalls Authentizität, jedoch darf angezweifelt werden, ob es sich
wirklich um einen Originalton handelt, oder um eine bearbeitete
Endmischung in der Tonmontage. Letztendlich entscheidet auch hier der

23
Rezeptionsvorgang über den Erfolg der filmischen Strategie.
(vgl. Hattendorf
1999, S. 175)
Die zentrale Authentizitätskraft liegt beim Dokumentarfilm als audio-
visuelles Medien allerdings nach wie vor auf der Ebene der Bilder:
,,Man kann dem Dokumentarfilm seinen Ton, nicht aber seine Bilder
nehmen, ohne ihn dabei gänzlich aufzuheben."
(Hattendorf 1999, S. 74)
Andernfalls würde es sich schließlich um ein Hörspiel handeln.
2.1.7. Fiktion vs. Nonfiktion
Fiktion [lateinisch] die, allgemein: etwas, das nur in der Vorstellung existiert,
etwas Erdachtes.
(vgl. Meyers Lexikon Online 2009)
In der englischsprachigen Filmtheorie werden die Begriff Documentary und
Nonfiction Film oftmals synonym verwendet.
(vgl. Arriens 1999, S. 36 f.)
Auch im
allgemeinen Sprachgebrauch wird, wie eingangs erwähnt, mit einem
fiktionalen Film der Spielfilm und mit einem nichtfiktionalen Film der
Dokumentarfilm assoziiert.
Im deutschen Sprachgebrauch hingegen kann die Fiktion sowohl etwas
Fiktionales, als auch etwas Fiktives beinhalten. Das Wort Fiktion, von dem
lateinischen Wort ,,fingere" abgeleitet, bedeutet soviel wie gestalten,
formen, sich etwas ausdenken und bezeichnet die Schaffung einer eigenen
Welt durch die Literatur, den Film oder die Malerei etc. Alles was sich
innerhalb dieser erfundenen Welt befindet, wird als fiktiv bezeichnet.
(vgl.
Wikipedia 2009)
Das Erfundene kann zwar durch Zufall der Wahrheit
entsprechen, ist jedoch für das Fiktive völlig belanglos. Die Fiktion erhebt
also nicht den Anspruch, dass ihre Aussage der Wahrheit entspricht.
Lediglich das Nichtfiktive kann deshalb als wahrheitsfähig angesehen
werden.
Im Gegensatz dazu beschreibt die Fiktionalität die gestalterischen
Merkmale dieser erfundenen Welt. Nichtfiktionalität bedeutet also den

24
Ausschluss gestalterischer Mittel, während die Fiktionalität für den Einsatz
kinematographischer Mittel steht.
(vgl. Grassl 2007, S. 19f.)
Filme mit schauspielerischer Leistung und narrativer Struktur verweisen
tatsächlich auf Fiktionalisierung. Der Dokumentarfilm im Gegenzug findet
seine Gegenstände vor und erfindet sie nicht, wird demnach also dem
nichtfiktionalen Film zugeordnet.
(vgl. Edthofer 2008, S. 122f.)
Diese Annahme basiert jedoch auf einem grundlegenden Irrtum, denn die
Grenzen zwischen einem fiktionalen und einem nichtfiktionalen Film
können nicht genau gezogen werden, sie verschwimmen, was unzählige
Beispiele an Dokumentarfilmen beweisen. Allein durch die Wahl der
Thematik, den Einsatz von bestimmten Kameraperspektiven, der
Lichtsetzung oder der Bildkomposition durch den Schnitt, wird sich, auch im
dokumentarischen Film, künstlerischer Mittel bedient, welche dem
Verständnis von Nichtfiktionalität widersprechen.
Für gewöhnlich widerspricht kaum ein Dokumentarfilmer dem Vorwurf
kreative Arbeit geleistet und sich nicht an die Regeln der Genrevorgaben
von Fiktionalität bzw. Nichtfiktionalität gehalten zu haben. Nicht einmal
Pioniere wie Flaherty und Grierson haben sich bemüht, Fiktionales von
ihren Filmen fernzuhalten.
Selbst die ersten einfachen Dokumentarfilme, die so genannten Single
Shots, welche lediglich aus einer ungeschnittenen Einstellung bestanden,
können nicht dem Vorwurf der Fiktionalität weichen. Die kreative
Beeinflussung ließe sich hier womöglich durch die subjektive
Kameraführung erklären. Womöglich passt laut den Kriterien des
Nichtfiktionalen kein einziger Dokumentarfilm in dieses Raster.
(vgl. Arriens
1999, S. 36f.)
Die nichtfiktionalen Filme unterscheiden sich von den Spielfilmen
deswegen eher durch ihre soziale Bestimmung und ihren faktischen Inhalt
als durch ihre sprachlichen Verfahren, welche sowohl im fiktionalen Film,
als auch im Dokumentarfilm angewandt werden.
(vgl. Grassl 2007, S. 19f.)

25
2.1.8. Wahrheit
Der Begriff Wahrheit hat seinen Ursprung im lateinischen "veritas", dem
wirklichen Sachverhalt. Der Begriff Wahrheit und die Frage danach,
gehören zu deren zentralen Problemen der Philosophie und wurden schon
von den verschiedensten Denkern beantwortet.
Die in den Theorien über den Dokumentarfilm wohl am häufigsten
definierte Funktion ist die der Repräsentation von Wirklichkeit. So nimmt
der Dokumentarfilm zum einen referentiell auf die Welt Bezug und zum
anderen hat er als Sinngebilde mit Wahrheitsanspruch selbst einen
Wahrheitswert. Dabei kommt es aber nicht nur auf Wahrheit, sondern auf
gesicherte Wahrheit an, was laut Arriens in der Bestimmung des
Dokumentarfilms als Genre nicht vertreten ist, denn das Filmgenre ist eher
durch seine gestalterischen Merkmale gekennzeichnet. Der Dokumentar-
film kann deshalb nicht mit dem, wenn auch umgangssprachlich üblichen
Begriff Nonfiction Film gleichgesetzt werden, da sich der nichtfiktionale
Film, wie bereits gezeigt wurde, nicht dadurch auszeichnet, ein Film ohne
künstlerischen Eingriff zu sein. Daher wird vom Dokumentarfilm der
Anspruch auf Wahrheit erhoben. Gesicherte Wahrheit bedeutet in diesem
Zusammenhang, dass die dargestellte Behauptung, welche als wahr
ausgegeben wird, durch die Darstellung selbst abgesichert werden muss.
Die Wahrheit des Dokumentarfilms kann dabei immer nur in Bezug zum
allgemeinen Weltwissen der Zuschauer und zum tatsächlichen Zustand der
Welt wahr sein. Lediglich der Anspruch auf Wahrheit macht einen Film noch
längst nicht wahr. Die Darstellung wird also erst wahr, wenn es sich
tatsächlich so verhält, wie es im Film behauptet wurde.
(vgl. Arriens 1999, S.
104ff.)
Im gegenwärtigen Medienzeitalter soll sich die Wahrheit vor allem einer
objektiven Wahrheit annähern und auch Journalisten und Berichterstatter
sollten stets um die Wahrheit bemüht sein. Dies lässt sich jedoch nicht so
leicht bewältigen, denn Menschen sind nicht unfehlbar. Sie alle unterliegen
bestimmten Meinungen und oftmals auch Irrtümern. Deshalb muss der
Begriff ,,Wahrheit" laut Edthofer pragmatisch und differenziert gesehen

26
werden. ,,Vollständigkeit", ,,Richtigkeit", ,,Sachlichkeit" und ,,Neutralität"
gehen in dem Begriff ,,Wahrheit" auf. Kriterien die auch auf jede Nachricht
in den Medien zutreffen sollten. ,,Glaubwürdigkeit", welche ebenfalls zum
zentralen Maßstab in der Medienberichterstattung wird und ,,Wahrhaftig-
keit", welche eine Übereinstimmung der Rede mit der Überzeugung des
Redners meint, sollen die Oberbegriffe sein.
Eine universelle Wahrhaftigkeit gibt es laut Edthofer nicht, da jeder Mensch
unter bestimmten Vorraussetzungen immer nur einen Teil der Wirklichkeit
als solche wahrnehmen kann. Auch wenn wir im Alltagsgespräch den Sach-
verhalt des Redners hinerfragen, können wir den Sachverhalt bestenfalls
nur für wahr halten, allerdings nicht feststellen, ob es sich dabei um die
Wahrheit handelt. Auch scheint es keine wirklich objektive Wahrheit in den
Medien zu geben, da sich diese immer mehr ihrer Macht bedienen und
gezielt Meinungen lenken und Vorurteile produzieren.
(vgl. Edthofer 2008, S.
104ff.)
Da demnach nicht die objektive Wahrheit, sondern die Glaubwürdigkeit
eine große Bedeutung für die Entscheidung hat, ob einem Film
Authentizität zugesprochen werden kann, wird laut Hattendorf die Frage
nach der Authentizität in seinem Kommunikationsmodell an fünf
Bedingungen geknüpft.
(vgl. Hattendorf 1999, S. 19)
1.
Die Echtheit des Ereignisses oder der Sache, auf die sich die
Kommunikation bezieht.
2.
Die Glaubwürdigkeit des Autors
3.
Die Glaubwürdigkeit der Vermittlung (Gestaltung)
4.
Die Akzeptanz beim Rezipienten (Wirkung)
5.
Die Rezeptionsbedingungen (Kontext)
Schließt man also die Objektivität in einem Dokumentarfilm gänzlich aus
und verlangt zudem den Verzicht auf Subjektivität und Einflussnahme, ließe
sich letztendlich die Existenz des Dokumentarfilms verleugnen, da sich
jeder Dokumentarfilm dieser Mittel bedient. Ein gewissen Grad von
Objektivität lässt sich aber dennoch erreichen, wenn sich Filmemacher

27
bewusst machen, dass die Technologie eine Deformation der Wirklichkeit
hervorruft, das Medium Film immer subjektiven Gestaltungskriterien unter-
worfen ist und Selektion als auch Manipulation dem Medium eigen sind.
(vgl. Schillemann 1995, S. 19f.)

28
2.2. Aufgabe des Dokumentarfilms
Der Dokumentarfilm unterscheidet sich vom Spielfilm, abgesehen von
seinem Wirklichkeitsbezug, zunächst durch die weitestgehende Nicht-
fiktionalität seines Materials und seinen Realitätsbezug, also seine
Darstellung über die reale Welt. Dabei hat er einen Anspruch auf
Aufklärung und Wissen über diese real existierende Welt.
(vgl. Hohenberger
1998, S. 20f)
Der Dokumentarfilm verpflichtet sich also der Aufgabe Ereignisse
die tatsächlich stattfinden bzw. stattgefunden haben festzuhalten, deren
Ursache und Auswirkungen zu ergründen und den Spuren die sie hinter-
lassen haben zu folgen.
(vgl. Hohenberger 2003, S. 8)
Der Fotograf Boleslas Matuszewski sah bereits 1898 die Möglichkeit mit
Hilfe historischer Filme die Vergangenheit studieren zu können und schlug
daher deren Aufbewahrung in Museen, Bibliotheken und Archiven vor.
Weiterhin sah er durch die technischen Eigenschaften der Filmwerkzeuge
die Möglichkeit einer präzisen und authentischen Abbildung von Wahrheit,
welche aufgrund der Vielzahl von Bildern, im Gegensatz zum fotografischen
Einzelbild, nicht retuschiert werden kann. Dadurch erhält für ihn der Film
den Status einer "bevorrechtigten Quelle der Geschichte".
(vgl. Hohenberger
2003, S. 9)
Dass dem nicht so ist, hat sich im Laufe der
Dokumentarfilmgeschichte mehrfach bewiesen. Dennoch kommen dem
Dokumentarfilm einige eindeutige Funktionen zu.
Zum einen werden in ihnen Sachverhalte der Gegenwart oder der
Vergangenheit vermittelt, aber auch zukünftige Ereignisse, wie der Film
,,Armageddon - Der Einschlag" aus dem Jahr 2007, eine dramatische
Dokumentation über die Zerstörung der Erde durch verschiedenste
Naturkatastrophen, eindrucksvoll darstellt. Auch der Dokumentarfilm ,,Eine
unbequeme Wahrheit" von Al Gore aus dem Jahr 2006, welcher auf die
Folgen der globalen Erderwärmung aus wissenschaftlicher und politischer
Sicht hinweist, stellt ein solches zukünftiges Ereignis dar.
Weiterhin basieren die meisten Dokumentarfilme auf einer guten
Geschichte, die mit narrativen Mitteln Spannung erzeugt wird und von
interessanten Darstellern lebt. Dabei kann ein Dokumentarfilm strengen

29
Regeln in seinem Aufbau folgen, er kann aber auch spontan und
überraschend oder impressionistisch sein. Das Grundprinzip ist aber seine
Lebenswirklichkeit.
(vgl. Rabiger 2000, S. 16ff.)
2.2.1. Der Weg vom Kino zum Fernsehen und zurück
Im Laufe seiner Geschichte hat der Dokumentarfilm seinen Hauptort der
Präsentation, das Kino, auf das Fernsehen verlegt. Dennoch war er nie ganz
aus dem Kino verschwunden, erfreut sich heute sogar wieder wachsender
Beliebtheit. Gerade in den vergangenen Jahren haben es Filme wie ,,Die
Reise der Pinguine" oder ,,Bowling for Columbine" geschafft, die gleichen
Zuschauerzahlen zu erreichen, wie die großen Hollywoodspielfilme.
Die Rezeption eines Dokumentarfilms im Kino unterscheidet sich von der
Rezeption im Fernsehen im Wesentlichen dadurch, dass der Zuschauer für
eine bestimmte Zeit von der Außenwelt isoliert ist und keine großartige
Ablenkung finden kann. Auch hat er nicht die Möglichkeit den Film
auszuschalten oder das Programm zu wechseln. Außerdem hat sich der
Zuschauer im Kino meist für den Dokumentarfilm entschieden und geht mit
einer bestimmten Erwartungshaltung an den Film heran. Nicht zuletzt
erwartet er auch eine weit aus größere Qualität der Optik und des Tons.
Dies alles trifft auf die Rezeption vor dem Fernseher nicht zu. Die
Präsentationsfläche ist wesentlich kleiner und der Ton nicht so eindringlich.
Vor allem aber ist der Fernsehzuschauer nicht von seiner Umgebung
abgeschirmt und der ständigen Ablenkung erlegen. Außerdem besitzt das
Fernsehbild eine viel geringe Suggestivkraft und die Informationen müssen
wiederholt und erklärend gezeigt werden.
2.2.2. Einflussfaktoren bei der Entstehung eines Dokumentarfilms
Für die Aussage eines Dokumentarfilms kommen verschiedene Faktoren
zusammen. Besonders entscheidend sind dabei soziale Strukturzusammen-
hänge, ökonomische und politische Einflüsse und Interessen, aber auch die
Arbeits- und Lebenssituation des Filmregisseurs selbst, seine Werte-

30
vorstellungen, Regeln und Normen, sowie seine eigene politische,
ideologische und kulturelle Haltung. Auch spielt es eine große Rolle, in
welcher Zeitperiode ein Film entsteht und welcher Zusammenhang für
dessen Entstehung bedeutend war. Nicht zuletzt unterliegt ein Film aber
den Intentionen und Absichten eines Filmregisseurs, welcher mit diesem
seine Vorstellung von Wirklichkeit realisieren will.
(vgl. Edthofer 2008, S. 196f.)
Da
jeder Mensch jedoch seine ganz eigene Vorstellung von der Wirklichkeit hat
und jeder diese unterschiedlich interpretiert und wahrnimmt, kann man
davon ausgehen, dass es ebenso viele Darstellungen ein und desselben
Sachverhaltes geben könnte, wie es Individuen auf dieser Welt gibt.
,,Der Regisseur kann in jedem Fall zeigen, sowohl im Spielfilm als auch in
anderen Genres, was er für die Wirklichkeit hält, was er in die Wirklichkeit
hineinliest und was er von der Wirklichkeit wahrnimmt. Er verwandelt
lebendige Wirklichkeit in ihr Gegenteil: in filmisch produzierte Wirklichkeit."
(Edthofer 2008, S. 198)
Daher muss sich der Dokumentarfilmer über seine persönliche Einstellung
zu dem von ihm gewählten Sachverhalt bewusst sein. Seine Aufgabe ist es
die vorgefundene Wirklichkeit so neutral wie möglich darzustellen und
gegensätzliche Kulturverständnisse möglichst objektiv zu betrachten.
Subjektive Stellungnahme ist ihm immer dann erlaubt, wenn die Stellen
subjektiven Einflusses kenntlich gemacht werden und eine eventuelle
ideologische oder kulturelle Diskrepanz zwischen Filmemacher und
Gefilmtem offen gelegt wird.
Wie ein Film letztendlich gesehen wird, hängt von der Art seiner Gestaltung
ab. Wichtige Faktoren die hier zu nennen wären sind die Kameraführung,
die Lichtgestaltung, das Erzähltempo, aber auch der Schnitt. Allesamt geben
sie dem Film eine persönliche Note des Filmregisseurs. Bevor ein
Filmregisseur jedoch seine Dreharbeiten beginnt, sollte er sich über sein
Publikum im Klaren sein. Geht er beispielsweise davon aus, dass seine
späteren Zuschauer mit dem Thema vertraut sind, so kann er in seiner

31
Umsetzung tiefer ins Detail gehen und erhält gleichzeitig mehr
künstlerischen Spielraum.
(vgl. Edthofer 2008, S. 200)

32
2.3. Historie des Dokumentarfilms
Zu Beginn der Filmgeschichte, welche 1895 mit den ersten
Filmaufführungen begann, war das Kino nicht mehr als ein Spielort, ähnlich
einem Zirkus, indem die Illusionisten ihr Künste darboten. Film und Illusion
lagen in den Anfangsjahren sehr nah beieinander und man sprach deshalb
von filmischer Illusion. Illusionen, die die Zuschauer dazu brachten, die
Bilder mit offenen Mündern zu bestaunen oder sie schreiend aus dem Kino
rennen ließen, da sie annahmen, die Eisenbahn auf der Leinwand würde
tatsächlich auf sie zufahren.
2.3.1. Die Anfänge
Die Brüder Lumiére, welche die Ankunft eines solchen Zuges auf dem
Bahnhof von Ciotat in einem ihrer Filme darstellten, gelten als Pioniere des
Dokumentarfilms, denn sie sahen in ihren Filmen erstmals die Möglichkeit,
die Realität festzuhalten und diese ohne Erzählung irgendeiner Geschichte
wiederzugeben. Zu Beginn war es für den Dokumentarfilm noch
unerheblich, ob eine vorgefundene Realität abgefilmt oder diese lediglich
inszeniert wurde.
(vgl. Edthofer 2008, S. 165f.)
Nichtfiktionale Filme bestanden
dabei, wie auch die der Gebrüder Lumiere, aus einer einzigen Einstellung.
Erst ab 1900 wurde schließlich die Montage eingeführt, welche zu einem
Zusammenschnitt der dargestellten realen Zeit führte, die Filmzeit also
nicht mehr der Realzeit entsprach.
(vgl. Beller 2007, S. 120)
Die ersten
Dokumentarfilmemacher zeigten ihrem Publikum somit erstmals Bilder von
Ereignissen und Orten an denen es selbst nicht sein konnte im Überblick.
Die Authentizität bei diesen Bildern wurde dabei nicht diskutiert, sondern
einfach vorausgesetzt.
(vgl. Hohenberger 1998, S. 9)
Zwischen 1900 und 1908 kam es zu einer ersten Wende für die
Filmentwicklung, da die Wanderkinos von festen Kinohäusern abgelöst
wurden. Dies hatte zur Folge, dass fortan immer das gleiche Publikum in
das gleiche Kino ging und dieses selbstverständlich nach Abwechslung
suchte. Infolgedessen sank auch der Anteil dokumentarischer Filme von

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783842803930
DOI
10.3239/9783842803930
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Bremen – Elektrotechnik une Informatik, Studiengang Digitale Medien
Erscheinungsdatum
2010 (September)
Note
1,1
Schlagworte
dokumentarfilm michael moore authentizität manipulation
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Titel: 9/11  Fiktive Realität
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