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Fernreisen und gesundheitliche Risiken

Eine Untersuchung des gesundheitlichen Risikoverhaltens deutscher Fernreisender unter besonderer Berücksichtigung der Dynamik des Tourismus und Infektionskrankheiten

©2010 Diplomarbeit 136 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der Aufbruch in die Ferne ist ein permanentes Faszinosum, welches die Menschheit seit ihren Anfängen begleitet. Das Begehren des Unbekannten ist ein Bestandteil weltgeschichtlicher Errungenschaften und ließ die Menschen aus verschiedensten Gründen Reisen unternehmen, die sie ins Glück, aber auch ins Unglück führen konnten. Reisen bedeuteten immerzu, sich in mehr oder weniger geographisch und sozial unbekannte Regionen zu begeben und somit seine persönliche Sicherheit zu riskieren.
Die Ferne ist heute nicht mehr unüberwindbar und scheint ebenfalls an Fremdartigkeit verloren zu haben. Die Medien, die gestiegene Mobilität und die Netzwerke der Globalisierung sind Faktoren, welche das gegenwärtige Reisen sowie das Bild ferner Regionen prägen und uns nahe bringen. Das moderne Reisen scheint dennoch nicht an seiner Faszination eingebüßt zu haben. Geschichtlich betrachtet ist die Sicherheitslage hierbei im Prinzip eine völlig andere. Das Reisen ist alltäglich geworden und wird primär nicht mit Gefahren assoziiert. Trotz allem stellt sich die Frage, inwiefern heutige Reisende mit den noch vorhandenen, kalkulierbaren und unkalkulierbaren Risiken umgehen.
Infolge dieser Entwicklung durchlebt der Tourismus einen Paradigmenwechsel. Es steigt nicht nur die Nachfrage an einem vielfältigeren Angebot. Ferner erlauben es die neu gegebenen globalen sozioökonomischen und technischen Strukturen auch Regionen, die bis dato eher schwer für Reisende zugänglich waren, zunehmend ihr touristisches Potential zu nutzen. Fernreiseziele sind zu attraktiven Urlaubsdestinationen geworden und sind für immer breitere Massen an Touristen zugänglich.
Zwischen den Jahren 1996 und 2008 konnten Fernreisen ein Plus von 19,8% aufweisen. Deutschlandreisen verzeichneten im Vergleich hierzu noch ein Plus von 1,9%, die Zahl der Europareisen ging hingegen um 3,7% zurück. Afrika war mit 3,8% im Jahr 2009 das beliebteste Fernreiseziel unter den geplanten Reisen der Deutschen.
Wie bereits angedeutet, ist das heutige Reisen trotz allen Fortschritts nicht völlig risikofrei. Besonders das Verreisen in Fernreiseregionen, wie in viele Gebiete Afrikas, kann gesundheitliche Risiken mit sich bringen. Zum Beispiel beklagt sich die Hälfte deutscher Fernreisetouristen während oder nach ihrer Reise über gesundheitliche Probleme. Die Beschwerden begrenzen sich hierbei nicht nur auf die üblichen Durchfallerkrankungen. Auch schwerwiegendere Krankheiten wie Malaria oder […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Problemstellung und Ziele der Arbeit
2.1. Einordnung in das Fachgebiet und Stand der Forschung
2.2 Fragestellung
2.3 Aufbau der Arbeit

3. Theoretischer Rahmen
3.1 Der internationale Tourismus im Wandel
3.1.1 Technische und ökonomische Veränderungen
3.1.1.1 Gestiegene Mobilität und die Bedeutung des geographischen Raumes
3.1.1.2 Globalisierung und Tourismus
3.1.1.3 Tourismus in Entwicklungsländern
3.1.2 Sozio-kulturelle Veränderungen
3.1.2.1 Die Erlebnisgesellschaft
3.1.2.2 Verändertes Reiseverhalten und neue Reisemotive
3.1.2.3 Fernreisen und der Reiz der Ferne
3.1.2.4 Entwicklung neuer Urlaubsstile
3.1.2.4.1 Abenteuertourismus
3.1.2.4.2 Ökotourismus
3.1.2.5 Urlaub als Embodied Experience und Teil des Alltags
3.1.3 Tourismus - quo vadis ?
3.2 Das gesundheitliche Risiko auf Reisen
3.2.1 Informationsmöglichkeiten und Risikoverhalten
3.2.2 Diffusionszentren und Risikogebiete
3.2.3 Die wichtigsten Tropenkrankheiten im Überblick
3.2.3.1 Malaria
3.2.3.2 Hepatitis A/B
3.2.3.3 Meningokokken-Meningitis
3.2.3.4 Gelbfieber
3.2.3.5 Dengue
3.2.3.6 AIDS (Acquired Immune-Deficiency Syndrom)
3.2.3.7 Andere Krankheiten
3.2.4 Gesundheit - quo vadis ?

4. Vorgehensweise und Methode
4.1 Planung der Datenerhebung
4.2 Das Erhebungsinstrumentarium
4.2.1 Der Fragebogen
4.2.2 Die Experteninterviews
4.3 Durchführung der Erhebung
4.4 Datenauswertung

5. Ergebnisse und Diskussion

6. Fazit

Literatur

Internetquellen

Experteninterviews

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Jährlich durchschnittliches Wachstum touristischer Ankünfte weltweit (eigene Darstellung nach Weaver 1998)

Abbildung 2: Das System Tourismus und seine Subsysteme (eigene Darstellung)

Abbildung 3: Die Dynamik des Tourismus (eigene Darstellung)

Abbildung 4: Reisende im Flugverkehr nach ausgewählten Ländern (eigene Darstellung nach Tefler/Sharpley 2008)

Abbildung 5: Internationale Ankünfte in Entwicklungsländern (eigene Darstellung nach Weaver 1998)

Abbildung 6: Nachhaltige touristische Entwicklung (eigene Darstellung nach Müller in Bieger 2004)

Abbildung 7: Erlebnissphären (eigene Darstellung nach Freyer/Neumann 2006)

Abbildung 8: Bedürfnispyramide nach Maslow (eigene Darstellung nach Bieger 2004)

Abbildung 9: Soziale Ordnung der Moderne (eigene Darstellung nach Wang 2000)

Abbildung 10: Marktanteil außereuropäischer Reisen in Deutschland (Quelle: Krause 2009)

Abbildung 11: Motive der Deutschen für das Sporttreiben (Quelle: Opaschowski 2006)

Abbildung 12: Risikowahrnehmung und -beurteilung (eigene Darstellung nach Glaeßer 2001)

Abbildung 13: Ausgaben für Prävention und Gesundheitsschutz in Deutschland (Quelle: Statistisches Jahrbuch 2009)

Abbildung 14: Herkunft der befragten Personen in Deutschland nach Postleitzahlen (n=96, eigene Darstellung)

Abbildung 15: Reisemotive der befragten Personen

Abbildung 16: Bisherige Erkrankungen der befragten Personen bei Reisen

Abbildung 17: Informationsquellen der befragten Personen

Abbildung 18: Anteil der geimpften Personen unter den befragten Reisenden nach Krankheiten

Abbildung 19: Anteil der informierten Personen nach Risikoquellen

Abbildung 20: Reiseapotheke der Befragten nach mitgeführten Mitteln

Abbildung 21: Persönliche Risikoeinschätzung einer Infektion mit einer Infektionskrankheit während der Reise der befragten Reisenden

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Anteil internationaler Ankünfte nach Regionen (Quelle: Tefler/Sharpley 2008)

Tabelle 2: Zugestiegene Fluggäste an deutschen Flughäfen (Quelle: Statistisches Bundesamt 2007)

Tabelle 3: Gemeldete Fälle von Infektionskrankheiten in Deutschland (Quelle: Robert Koch-Institut 2001-2008)

Tabelle 4: Vergleich Grundgesamtheit und eigene Erhebung

Tabelle 5: Vergleich der Reisedauer der eigenen Erhebung und aller deutscher Reisen

Tabelle 6: Impfstatus der Befragten nach Alter

Tabelle 7: Impfstatus der Befragten nach Bildungsabschluss

Tabelle 8: Impfstatus der Befragten nach Reisedauer

Tabelle 9: Impfstatus der befragten Abenteuerreisenden

Tabelle 10: Malariaprophylaxe nach Reiseorganisation

Tabelle 11: Malariaprophylaxe nach Risikoeinschätzung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Der Aufbruch in die Ferne ist ein permanentes Faszinosum, welches die Menschheit seit ihren Anfängen begleitet. Das Begehren des Unbekannten ist ein Bestandteil weltgeschichtlicher Errungenschaften und ließ die Menschen aus verschiedensten Gründen Reisen unternehmen, die sie ins Glück, aber auch ins Unglück führen konnten. Reisen bedeuteten immerzu, sich in mehr oder weniger geographisch und sozial unbekannte Regionen zu begeben und somit seine persönliche Sicherheit zu riskieren.

Die Ferne ist heute nicht mehr unüberwindbar und scheint ebenfalls an Fremdartigkeit verloren zu haben. Die Medien, die gestiegene Mobilität und die Netzwerke der Globalisierung sind Faktoren, welche das gegenwärtige Reisen sowie das Bild ferner Regionen prägen und uns nahe bringen. Das moderne Reisen scheint dennoch nicht an seiner Faszination eingebüßt zu haben. Geschichtlich betrachtet ist die Sicherheitslage hierbei im Prinzip eine völlig andere. Das Reisen ist alltäglich geworden und wird primär nicht mit Gefahren assoziiert. Trotz allem stellt sich die Frage, inwiefern heutige Reisende mit den noch vorhandenen, kalkulierbaren und unkalkulierbaren Risiken umgehen.

Infolge dieser Entwicklung durchlebt der Tourismus einen Paradigmenwechsel. Es steigt nicht nur die Nachfrage an einem vielfältigeren Angebot. Ferner erlauben es die neu gegebenen globalen sozioökonomischen und technischen Strukturen auch Regionen, die bis dato eher schwer für Reisende zugänglich waren, zunehmend ihr touristisches Potential zu nutzen. Fernreiseziele sind zu attraktiven Urlaubsdestinationen geworden und sind für immer breitere Massen an Touristen zugänglich.

Zwischen den Jahren 1996 und 2008 konnten Fernreisen ein Plus von 19,8% aufweisen. Deutschlandreisen verzeichneten im Vergleich hierzu noch ein Plus von 1,9%, die Zahl der Europareisen ging hingegen um 3,7% zurück. Afrika war mit 3,8% im Jahr 2009 das beliebteste Fernreiseziel unter den geplanten Reisen der Deutschen (vgl. Krause 2009).

Wie bereits angedeutet, ist das heutige Reisen trotz allen Fortschritts nicht völlig risikofrei. Besonders das Verreisen in Fernreiseregionen, wie in viele Gebiete Afrikas, kann gesundheitliche Risiken mit sich bringen. Zum Beispiel beklagt sich die Hälfte deutscher Fernreisetouristen während oder nach ihrer Reise über gesundheitliche Probleme. Die Beschwerden begrenzen sich hierbei nicht nur auf die üblichen Durchfallerkrankungen. Auch schwerwiegendere Krankheiten wie Malaria oder Hepatitis-A-Infektionen können auftreten. Meist können diese Erkrankungen durch rechtzeitige Vorbeugung wie Impfung vermieden werden.

2. Problemstellung und Ziele der Arbeit

Im Jahr 2008 suchten bereits 14,5% der deutschen Urlauber Erholung in der Ferne (vgl. ebd.). Die gegenwärtigen infrastrukturellen Netzwerke ermöglichen es, innerhalb von wenigen Stunden fast jede Region der Erde zu erreichen. Hierdurch ergeben sich neue Möglichkeiten für den Touristen. Die boomende Tourismusbranche lässt zudem trotz Finanzkrise und anderen Problemen einen noch stärkeren Anwuchs der Touristenzahlen erwarten. Auch die Angst vor Terror, Naturkatastrophen und anderen Gefahren scheint keine langfristigen Auswirkungen auf diesen Trend zu haben.

Eine weitere wesentliche Gefahr für den Reisenden, die der Krankheiten, stellte schon immer ein Risiko dar, wurde aber diesbezüglich stets weniger thematisiert als andere Risiken. Leichtfertiger Umgang mit diesem Risiko ist die Folge. In den Statistiken lassen sich diese Fakten bestätigen - die Hälfte aller Fernreisenden klagt über gesundheitliche Probleme. Meist handelt es sich hierbei um vergleichbar harmlose Durchfallerkrankungen; dass die Reisenden aber auch lebensgefährlichen Krankheiten ausgesetzt werden können, scheint ihnen oft nicht hinreichend bewusst zu sein. Fernreisende erkranken an schwerwiegenderen Krankheiten auch erwartungsgemäß häufiger als Nahreisende (16,2%/6,0%) (vgl. Robert Koch-Institut 2003: 301). 2008 wurden allein in Deutschland 547 Malariafälle gemeldet. Die Zahl der Hepatitis-A-Infektionen betrug 1072 (vgl. Robert Koch-Institut 2008).

Die Dimension solcher Krankheiten wird oft erst im globalen Kontext deutlich. Beispielsweise erkranken weltweit insgesamt etwa 300-500 Millionen Menschen jährlich an Malaria, von denen wiederum mehr als 1 Million sterben. Im weltweiten Kontext sind auch andere Krankheiten von hoher Relevanz. Somit ist global eine Ausbreitung der Tuberkulose zu erkennen. Nach Schätzungen der Welt-Gesundheits-Organisation (WHO), trägt fast jeder dritte Weltbürger den Tuberkulose-Erreger in sich. Auch wenn es sich hierbei um eine „Krankheit der Armen“ handelt, nimmt auch die Zahl der Tuberkuloseinfektionen in Europa stetig zu (vgl. Der Fischer Weltalmanach 2008: 29). Die Auswirkungen der AIDS-Pandemie bringen vor allem in Entwicklungsländern schwerwiegende Folgen mit sich.

In Zukunft kann durch verschiedene Faktoren wie den Klimawandel mit einer stärkeren Diffusion der Krankheiten gerechnet werden. Durch die Klimaerwärmung vergrößert sich zum Beispiel das Brutgebiet der Anopheles -Stechmücke, die für die Übertragung der Malaria-Erreger verantwortlich ist. Die Ausbreitung von Krankheiten könnte ebenfalls durch die gestiegene räumliche Mobilität immer unberechenbarer werden. Die Möglichkeit neuer Epidemien oder Pandemien ist demnach trotz medizinischer Fortschritte nicht unwahrscheinlicher geworden. Steigende Armut, Abwasserverschmutzung und schlechte gesundheitliche Infrastruktur sind weitere Gründe für die Ausbreitung von Krankheiten und ein höheres Infektionsrisiko in vielen Regionen der Erde. Durch zunehmende Reisen in Endemiegebiete vieler Krankheiten, wirkt sich dies auch auf den Tourismus und den Touristen aus.

Ergänzend konfrontieren neue Trends im Tourismus die Reisenden immer mehr mit diesen Risiken. Der Reiz der Ferne oder das „Erleben“ spielen in der heutigen westlichen Gesellschaft eine verstärkte Rolle. Die Daseinsgrundfunktion „sich erholen“ gewinnt immer mehr an Bedeutung und nimmt neue Ausmaße an. Egal ob Pyramidentourismus in den Tropen Südamerikas, Safari-Trips durch Afrika oder mit dem Rucksack durch Vietnam – Fernreisen ist „in“ und mit immer geringeren finanziellen Kosten verbunden. Weiterhin steuern Entwicklungen wie der Last-Minute-Trend die Touristen zu mehr Fahrlässigkeit und Unwissen über mögliche Gesundheitsrisiken in den Urlaubsdestinationen.

Ziel dieser Arbeit ist es, dieses Gesundheitsrisiko der Reisenden insbesondere in Bezug auf tropische Infektionskrankheiten zu untersuchen. Es stellt sich hierbei die Frage, inwiefern die Reisenden durch verschiedenste Entwicklungen den Krankheiten ausgesetzt werden und welche Determinanten das Risikobewusstsein beeinflussen. Es wird aufgezeigt, welche Faktoren den Touristen einem stärkeren gesundheitlichen Risiko aussetzen, welche Risiken überhaupt bestehen und wie diese bewertet werden. Des Weiteren wird untersucht, welche Informationsarten es diesbezüglich gibt, inwiefern diese genutzt werden und wie die allgemeine Bereitschaft zur Prophylaxe deutscher Fernreisender letztlich aussieht.

2.1. Einordnung in das Fachgebiet und Stand der Forschung

Die Ausmaße von Infektionskrankheiten sind fortwährend ein ausgedehntes globales Krisenthema. Im Fischer Weltalmanach (2008: 28f) zählen Aids, Malaria und Tuberkulose neben Themen wie Klimawandel, Welthungerkrise, sowie Kriegen und Konflikten zu den wichtigsten Themen der Welt. Der Schwerpunkt dieser Diplomarbeit wird jedoch auf den Bereich des Tourismus und Fernreisen gelegt, da der Reisende den Kernpunkt der Untersuchung bildet. Welche Faktoren, Risiken und andere Einflüsse auf ihn und sein Verhalten wirken, wird hierbei erarbeitet. Dafür werden die Fachgebiete der Geo-, Reise- und Tropenmedizin, vor allem aber der der (Tourismus-) Geographie angewendet.

Die Tourismusforschung ist besonders als Teilbereich der Geographie vom ständigen Wandel geprägt und bildet somit ein dynamisches Forschungsgebiet. Fortwährende Veränderungen und Entwicklungen in dem Bereich des Tourismus, geprägt von ökonomischen und sozialen Umgestaltungen, stellen die Wissenschaftler vor neue Aufgaben und Herausforderungen. Diese Entwicklungen sind durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst, beispielsweise die Veränderungen im Reiseverhalten. Die Entwicklung zum hybriden Touristen, kürzere Reisezeiten und neue Reisearten, sind hier nur einige von vielen Beispielen. Aber auch andere Faktoren beeinflussen den Tourismus erheblich. Viele dieser Faktoren könnten unter dem Dachbegriff der Globalisierung zusammengefasst werden - das globale touristische Netzwerk rückt somit immer mehr ins Blickfeld der Forscher.

Da der Fernreisetourismus erst in jüngster Entwicklung an Bedeutung gewonnen hat, befinden sich die Untersuchungen hierzu in den Grundzügen. In der Literatur sind eher wenige Werke zu finden, die sich mit dem Thema explizit beschäftigen (vgl. u.a. Ludger et al. 2004). Die Bedeutung von Krankheiten bei Fernreisen ist daher auch nur ein Randthema in einigen Forschungsarbeiten - direkte Auseinandersetzungen mit diesem Gegenstand sind in den Bereichen der Tourismusforschung selten. Auch in anderen Bereichen ist der Stand der Forschung mangelhaft. Bei einer Suche unter sozialwissenschaftlichen und medizinischen Datenbanken, die 1997 von Keul (vgl. 1997: 8) durchgeführt wurde, ergaben sich für den Begriff „Tourismus & Gesundheit“ ungenügende Ergebnis. In nur 1,8% aller Arbeiten zum Tourismus wurde Gebrauch von den Begriffen gemacht. Dies soll jedoch nicht heißen, dass der Bereich gänzlich ausgeblendet wird. Im Rahmen der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) in Berlin, findet im Jahr 2010 bereits zum 11. Mal das Forum „Reisen und Gesundheit“ statt, welches sich mit aktuellen Themen des Fachgebiets beschäftigt, organisiert vom Centrum für Reisemedizin (CRM). Die WHO veröffentlicht jährlich das Informationswerk „ International Travel and Health“. Vom US-amerikanischen Centers for Disease Control and Preventation (CDC), erscheint jährlich das „ Traveler`s Health - Yellow Book “. Auch in der Fachliteratur wird diese Thematik erwähnt. Beispielsweise beschreibt Gössling in Page/Connell (vgl. 2008: 173ff) die Bedeutung von Krankheiten für den Tourismus. Lück geht in Freyer/Gross (vgl. 2004: 171ff) genauer auf das Infektionsrisiko bei Reisen ein. Becken/Hay (vgl. 2007: 253) zeigen die Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Krankheit und Tourismus auf. Vom Robert Koch-Institut (RKI), fand im Rahmen des Bundesgesundheitssurvey in den Jahren 1997-1999 eine direkte Untersuchung von Fernreisenden und deren Impfschutz statt. Die Ergebnisse wurden von Altmann et al. (1999) veröffentlicht. Ferner veröffentlichte das Bundesministerium für Gesundheit (vgl. Kleiber/Wilke 1995) eine Studie zum Thema AIDS in Verbindung mit Tourismus.

Der Bereich der Reise- und Tropenmedizin ist hingegen ein weitaus breiter ausgebautes und traditionelles Fachgebiet, welches durch den zunehmenden Ferntourismus und die stärkere Migration auch populärer wird. Diese Teilbereiche der Medizin befassen sich mit der Prophylaxe, Diagnostik und Therapie von Krankheiten in tropischen und subtropischen Regionen, sowie den Gesundheitsrisiken bei Reisen. Obwohl dieser Bereich der Forschung stark ausgebaut ist, werden auch hier ständig neue Entwicklungen aufgezeigt. Neue Krankheiten, sowie neue Behandlungsmethoden prägen diese Entwicklungen. Dieser Teilbereich der Medizin ist jedoch wiederum stark vom Tourismus getrennt und befasst sich per se mit den Krankheiten. Welche Auswirkungen diese auf den Tourismus haben, ist hier beispielsweise nicht Gegenstand der Untersuchung. Die direkten Zusammenhänge zum touristischen Sektor werden demnach ausgeblendet.

Die Geomedizin wiederum ist ein Teilbereich der Geographie, welcher durch geographische Analysen die Entstehung, Ausbreitung und Ausrottung von Krankheiten untersucht. Auch wenn dieser Bereich der Geographie wohlmöglich ein viel älterer ist als man vorerst denken mag, wird dessen Bedeutung wahrscheinlich erst in Zukunft zunehmen. Einen guten Überblick über das Fachgebiet bieten hier Gatrell (2002) und Barrett (2000). Auch in Standardwerken der Geographie, wie in dem vom Haggett (vgl. 2001: 643ff), wird unter dem Punkt „Geographische Spannungen“ auf die Bedeutung von Krankheiten eingegangen.

Die wohl größte Plattform, auf der die meisten und aktuellsten Informationen zum Thema Reise- und Tourismusmedizin zu finden sind, bildet das Internet. Hier können direkt Informationen und Beratungen zu Vorbeugung, Impfung, Risikogruppen etc. herangezogen werden. Des Weiteren werden auch aktuelle Informationen über Infektionsrisiken gegeben[1].

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der allgemeine Forschungstand über die Verbindung Reisen-Tourist-Gesundheit als unzulänglich angesehen wird (vgl. Keul 1997: 8). Daten über Inzidenzen spezifischer Infektionen bei Reisenden, die eine Empfehlung zur Impfprophylaxe begründen, beziehen sich ebenso wie publizierte Schutzraten für Impfungen meist auf einheimische Populationen, während Studien zur tatsächlichen Übertragbarkeit und Nutzung dieser Informationen durch Touristen fehlen. Bei den wenigen vorhandenen Untersuchungen wurde festgestellt, dass die allgemeine Prophylaxe und der Impfstatus von Touristen ungenügend sind (vgl. Oldenburg 1990: 10).

2.2 Fragestellung

Das Untersuchungsgebiet der Arbeit beschränkt sich nicht auf einen bestimmten Bereich. Untersucht werden Fernreisende, die sich in Gebiete begeben, in denen Infektionskrankheiten endemisch sind. Das heißt, dass bei der Auswahl der untersuchten Personen darauf geachtet werden musste, dass diese eine Reise in ein Gebiet antreten, in der ein potentielles Risiko einer Ansteckung mit einer Infektionskrankheit besteht. In der Studie soll das Risiko von Infektionskrankheiten durch das Reisen möglichst holistisch erarbeitet werden und sich nicht auf spezielle Regionen beschränken. Dabei ist zu beachten, dass nicht nur Urlaubsreisende untersucht werden, sondern auch Geschäftsreisende oder Personen, die in den Reisedestinationen wohnen oder arbeiten, mitberücksichtigt werden. Dennoch liegt der Schwerpunkt der Studie im klassischen touristischen Bereich. Fernreisende werden dabei dadurch definiert, dass sie außereuropäische Ziele ansteuern, in denen Tropenkrankheiten endemisch sind (Asien, Afrika, Süd- und Mittelamerika). Hierbei sollte darauf hingewiesen werden, dass wenn die Rede von Infektionskrankheiten ist, der Fokus dabei vor allem auf tropische Infektionskrankheiten gelegt wird. Ist im Text von „dem Reisenden“ die Rede, soll hiermit selbstverständlich auch „die Reisende“ mit einbeschlossen werden.

Für die Arbeit werden keine direkten Hypothesen aufgestellt. Es ergeben sich hingegen einige Leitfragen, die im Folgenden dargestellt werden:

- Welche technischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen haben den Tourismusmarkt, vor allem in Hinsicht auf das damit verbundene Gesundheitsrisiko, beeinflusst?
- Woher bezieht der Fernreisemarkt seine Faszination und was sind die Beweggründe für den Boom dieses Sektors?
- Welche Rolle spielt das Reisen im heutigen Alltag? Beeinflusst dies das Reiseverhalten?
- Welche Entwicklungen im touristischen Sektor setzen Reisende vermehrt gesundheitliche Risiken aus? Welche Rolle spielen dabei „neue“ touristische Produkte wie die Abenteuerreise?
- Wie sind die Reisenden informiert und geschützt? Welche Informationsmöglichkeiten gibt es und wer ist für den Schutz der Reisenden verantwortlich? Ist der Schutzstatus wirklich so schlecht, wie in den vorhandenen Studien behauptet wird?
- Wie ist das Risikobewusstsein der Reisenden? Verhalten sich Reisende zunehmen risikofreudig? Wenn ja, was sind die Gründe hierfür?
- Gibt es Determinanten, die das Risikoverhalten beeinflussen (z.B. Last-Minute Reisen)?

2.3 Aufbau der Arbeit

Die Studie gliedert sich in zwei Hauptbereiche. Der erste Teil der Arbeit umfasst das theoretische Grundlagengerüst für den zweiten Teil der empirischen Untersuchung. Im Theorieteil werden unter 3.1 der internationale Tourismus und dessen Wandel in den letzten Jahrzenten untersucht. 3.1.1 beleuchtet dabei die technischen und ökonomischen Veränderungen. Unter 3.1.1.1 werden die gestiegene Mobilität und die Bedeutung des geographischen Raumes betrachtet. Dabei wird aufgezeigt, wie neue Technologien und Entwicklungen die Gegebenheiten zum schnelleren und einfacheren Reisen ermöglichten. Die wandelnde Bedeutung des Raumes wird in diesem Zusammenhang ebenfalls untersucht. 3.1.1.2 befasst sich mit dem Phänomen der Globalisierung und dessen Auswirkungen auf den internationalen Tourismus. Dabei wird genauer darauf geachtet, die Bedeutung der Globalisierung für den Fernreisemarkt zu erarbeiten. 3.1.1.3 betrachtet die Entwicklung des Tourismus in Entwicklungsländern. Hat sich der internationale Tourismus überwiegend auf die wohlhabenden und entwickelten Regionen der Erde konzentriert, rücken vermehrt auch Entwicklungsländer in die globale Tourismuslandschaft. Darüber hinaus sind Entwicklungsländer die Gebiete, in denen die meisten Krankheiten endemisch sind. In Entwicklungsländern liegt die Quote gesundheitlicher Risiken während einer Reise bis zu 50-mal höher als bei Reisen in entwickelte Regionen (vgl. Richter 2003: 341). Es wird aber auch untersucht, welche Chancen der Fernreisemarkt für Entwicklungsländer bietet und vor welchen Schwierigkeiten er steht.

3.1.2 untersucht die sozio-kulturellen Veränderungen der deutschen und westlichen Gesellschaft, die sich auf den Tourismus und das touristische Verhalten auswirken. 3.1.2.1 befasst sich mit dem Begriff der „Erlebnisgesellschaft“. Hierbei wird vor dem Hintergrund der stärkeren Bedeutung der Daseinsgrundfunktion „sich erholen“ die Bedeutung des Erlebens in der gegenwärtigen Gesellschaft untersucht. Effekte auf den Tourismus werden dabei herausgearbeitet. Unter 3.1.2.2 werden explizit das veränderte Reiseverhalten und neue Reisemotive untersucht. Zentrale Fragestellung ist hier, wie sich Reisende durch neue oder veränderte Motive zu einem geänderten Reiseverhalten anregen lassen. 3.1.2.3 befasst sich direkt mit Fernreisen und dem Reiz der Ferne. Der Ferntourismus hat anscheinend an seiner Anziehungskraft trotz Terroranschlägen und Finanzkrise nicht verloren. Es wird untersucht, was die positiven Erlebnisse sind, welche die negativen überwiegen. 3.1.2.4 stellt die Entstehung neuer Urlaubsstile infolge der bis hier genannten Entwicklungen dar. Dabei werden zwei Nischenprodukte, die des Abenteuertourismus (3.1.2.4.1) und des Ökotourismus (3.1.2.4.2) näher betrachtet und kritisch reflektiert. Diese beiden Produkte gewinnen immer mehr an Bedeutung und spielen besonders bei Fernreisen eine zentrale Rolle. Zudem werden diesen Reisearten größere gesundheitliche Risiken zugesprochen. Viren und Bakterien können durch Kontakt zur Natur und Tieren schneller als beim klassischen Badeurlaub an der Küste übertragen werden. Auf der anderen Seite können Epidemien fatale Auswirkungen auf diese touristischen Produkte haben. Abenteuerreisen waren zudem auch das Schwerpunktthema des 10. Forums für Reisen und Gesundheit im Rahmen der ITB 2009 in Berlin. Punkt 3.1.2.5 befasst sich mit der Rolle des menschlichen Körpers in der postmodernen Gesellschaft und der Frage, ob Reisen die Flucht vom Alltag oder Teil dessen sind. Dabei wird betrachtet, inwiefern das stärkere Körperbewusstsein und die sinnliche Wahrnehmung gesundheitliche Risiken während der Reise mit sich bringen können. Unter 3.1.3 wird der erste Teil des Theorierahmens mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick auf den Tourismus abgeschlossen.

Der zweite Teil der Theorie befasst sich unter 3.2 mit dem gesundheitlichen Risiko auf Reisen. 3.2.1 beleuchtet dabei die vorhandenen Informationsmöglichkeiten für Reisende und befasst sich parallel hierzu mit verschiedenen Theorien zum Risiko und dem allgemeinen Risikoverhalten von Reisenden. 3.2.2 betrachtet Diffusionsarten und -zentren von Krankheiten und stellt Risikogebiete, sowie Maßnahmen zur Risikoprävention dar. Unter 3.2.3 wird ein Überblick über die wichtigsten Tropenkrankheiten gegeben. Dabei werden genauer untersucht: Malaria (3.2.3.1), Hepatitis A/B (3.2.3.2), Meningokokken-Meningitis (3.2.3.3), Gelbfieber (3.2.3.4), Dengue (3.2.3.5) und AIDS (3.2.3.6). Unter 3.2.3.7 wird kurz auf andere noch relevante Krankheiten eingegangen. Abgeschlossen wird der zweite Theorieteil unter 3.2.4 ebenfalls mit einem Zwischenfazit und einem Ausblick, bezogen auf die Gesundheit in Verbindung mit Reisen.

Unter Punkt 4 der Arbeit wird die Vorgehensweise und Methode der empirischen Untersuchung erläutert. 4.1 befasst sich mit der Planung der Datenerhebung, 4.2 mit den Erhebungsinstrumentarien - dem Fragebogen (4.2.1) und den Experteninterviews (4.2.2). Unter 4.3 wird die Durchführung der Erhebung und unter 4.4 das Vorgehen bei der Datenauswertung erklärt.

Punkt 5 stellt die Ergebnisse der empirischen Untersuchung dar. Diese werden im Anschluss diskutiert. Dabei wird eine grundlegende Darstellung des Risikoverhaltens vorgestellt und es findet eine Untersuchung verschiedener Hypothesen zum krankheitsprophylaktischen Verhalten der befragten Personen statt.

Abgeschlossen wird die Arbeit unter Punkt 6 mit einem Fazit.

3. Theoretischer Rahmen

Der theoretische Rahmen der Arbeit erstreckt sich über zwei Bereiche und bildet den konzeptionellen Teil der Arbeit. Zum einen wird der Bereich des Tourismus näher betrachtet, zum anderen der Bereich der Gesundheit.

Der erste Theorieteil untersucht die Veränderungen im internationalen Tourismus. Dabei werden technische, ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen betrachtet. Es wird herausgearbeitet, welche Veränderungen die Reisenden mit größeren gesundheitlichen Risiken konfrontieren.

Der zweite Bereich des Theorieteils der Arbeit befasst sich explizit mit dem Gesundheitsrisiko bei Fernreisen. Hier wird das Risiko- und Informationsverhalten untersucht. Es werden auch einige Infektionskrankheiten näher betrachtet.

Der Theorieteil bildet die Grundlage für die empirische Untersuchung der vorliegenden Studie und stellt die Hintergründe für die Risikoanalyse der gesundheitlichen Gefahren für die Fernreisenden dar.

3.1 Der internationale Tourismus im Wandel

Der kulturelle und soziale Wandel der modernen Dienstleistungs- und Industriegesellschaft, sowie technische und ökonomische Innovationen, beispielsweise im Verkehrssystem, führten zu enormen Veränderungen auf der touristischen Nachfrageseite. Aber auch andere Faktoren, wie die gestiegene geopolitische Stabilität und die Öffnung vieler Staatsgrenzen, sind Gründe für einen allseitigen Zuwachs des internationalen Tourismus (vgl. Weaver 1998: 4, Franklin 2003: 8). Trotz eines Gefälles bei den Wachstumsraten, ist der Tourismus einer der global am stärksten wachsenden Märkte (vgl. Abbildung 1). In absoluten Zahlen ausgedrückt, stieg die Zahl der internationalen touristischen Ankünfte von 1950 bis 2004 von 25,3 Millionen auf rund 760 Millionen (Tefler/Sharpley 2008: 17).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Jährlich durchschnittliches Wachstum touristischer Ankünfte weltweit (eigene Darstellung nach Weaver 1998)

Laut der World Tourism Organization (WTO), ist der Tourismus heute nicht nur der weltweit größte Wirtschaftszweig, sondern auch der größte globale Arbeitgeber. Nach Angaben der WTO sind insgesamt 7% der weltweit arbeitenden Bevölkerung im Tourismus beschäftigt (vgl. Pratap/Prasad 2005: 125). Mit Einnahmen von 478 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000, ist der Tourismus auch weltweit der Hauptexportverdiener - vor der Automobil- und Chemieindustrie, sowie dem Erdöl- und Nahrungsmittelhandel (vgl. ebd.: 117f). Schätzungen zu Folge, macht der globale Tourismus direkt und indirekt rund 11% des globalen Bruttosozialprodukts aus (vgl. ebd.: 68).

Ferner avancierte der Tourismus vom Luxus- zu einem Standardkonsumgut in der westlichen Gesellschaft. Es fand eine allgemeine Demokratisierung des Reisens statt. Wer reisen darf und wer nicht, spielt kaum eine Rolle mehr (vgl. Urry 2000: 130). Führten im Jahr 1954 nur 24% der gesamten deutschen Bevölkerung eine Urlaubsreise von mehr als 5 Tagen durch, waren es 2004 bereits 74,4% (vgl. Steinecke 2006: 32). Ein Rückgang des Wachstums ist nicht in Aussicht. 2020 werden nach Angaben der WTO 1,6 Milliarden internationale Touristenankünfte verzeichnet. 7% der Weltbevölkerung und 14% der Europäer werden sich am internationalen Tourismus beteiligen und 2 Billionen US-Dollar dabei ausgeben. Die Reiseziele Asiens, Lateinamerikas und Afrikas werden an Bedeutung gewinnen. Ein erheblicher Zuwachs des Tourismus wird auch in Entwicklungsländern erwartet, da diese im Tourismus doch überwiegend eine „weiße Industrie“ sehen (vgl. Baumgarten et al. 2004: 8). Somit ist ein Trend in der Verlagerung der touristischen Destinationen zu erkennen (vgl. Tabelle 1). Die Region „Ostasien-Pazifik“ hat bereits 2002 erstmals die Destination Amerika bei der Anzahl der Touristeneinkünfte übertroffen. Hier zählen vor allem die Destinationen China, Thailand und Malaysia, neuerdings aber auch Reiseziele wie Vietnam und Kambodscha. Es ist zu erwarten, dass bei einem zunehmenden Eintritt Chinas und Indiens in den internationalen Reisemarkt, Europa wieder als Reiseziel an Bedeutung gewinnt. Vorerst ist hier jedoch ein permanenter Rückgang aufzuzeichnen, vor allem auch weil klassische innereuropäische Ziele wie Spanien oder Griechenland an Attraktivität verlieren (vgl. Tefler/Sharpley 2008: 23).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Anteil internationaler Ankünfte nach Regionen (Quelle: Tefler/Sharpley 2008)

Die Entwicklungen im Tourismus erfolgen bei all den Veränderungen meist Schritt für Schritt und nicht in Revolutionen (vgl. Pratap/Prasad 2005: 12). Weiterhin ist der Tourismus ein bewegtes Ziel und deshalb in der Theorie nie gänzlich zu erfassen (vgl. Franklin 2003: 280) Nach Bieger/Bocksberger (vgl. 2005: 281f) besteht das System des Tourismus aus vier Teilsystemen, die von einer ständigen Dynamik geprägt sind. Die vier Teilsysteme gliedern sich in Destination, Verkehr, Reisemittler und Nachfrage (vgl. Abbildung 2). Das System steht in Interaktion mit seiner Umwelt, vereinfacht dargestellt aus Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Technologie und Ökologie. Jedes Teilsystem besteht des Weiteren aus mehreren kleineren Systemen. Die Destination ist beispielsweise ein Netzwerk aus Unternehmen, Organisationen und Infrastruktur. Die Dynamik des ganzen Systems des Tourismus entsteht dadurch, dass Veränderungen in einem Teilsystem, Veränderungen in den anderen Systemen zur Folge haben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Das System Tourismus und seine Subsysteme (eigene Darstellung)

In dem nun folgenden ersten theoretischen Teil werden die in diesem Kapitel beschriebenen und zusammenhängenden Faktoren, Prozesse und Ereignisse, welche vor allem die Entwicklung von Fernreisen beeinflussen, genauer beleuchtet.

3.1.1 Technische und ökonomische Veränderungen

Die gegenwärtige Gesellschaft ist von ständigen Veränderungen und schnellen Entwicklungen geprägt. Wir befinden uns in einer Welt, in der Schnelligkeit und Quantität eine wichtige Rolle spielen (vgl. Ritzer 1993: 72). Die technischen Entwicklungen benötigen heute immer weniger Zeit, um sich durchzusetzen. Hätte eine Nachricht Mitte des 19. Jahrhunderts noch ca. 100 Tage von San Francisco nach London benötigt, ist Kommunikation heute in Sekundenschnelle realisierbar und sowohl kosten- als auch aufwandsneutral. Hierbei stehen nicht nur die technologischen Fortschritte im Vordergrund, man spricht vielmehr von Veränderungen in der „ Dynamischen Struktur des geographischen Raumes" (vgl. Gould 1991: 6). Außerdem kann behauptet werden, dass Technologien sich sogar schneller als Gewohnheiten ändern (vgl. Opaschowski 2006: 194).

Wie bereits erwähnt, hängen mit dem Tourismus viele Komponenten wie Transportsysteme, Unterkünfte, Verpflegung und benachbarte Services wie das Bankgeschäft, Versicherung, oder das Sicherheitsgewerbe zusammen (vgl. Pratap/Prasad 2005: 1). Durch die digitale Vernetzung dieser Segmente entstehen neue Möglichkeiten für den Tourismus. Der Ausbau von so genannten CRS (Computer-Reservierungssystem) wurde von den großen Fluggesellschaften in den 1960er Jahren mit der Liberalisierung des internationalen Flugverkehrs entwickelt und später auch auf die Reisebüros ausgeweitet (vgl. Steinbach 2003: 194). Die Bedeutung des Internets für den Reisemarkt wird mit folgenden Zahlen deutlich: Im Jahr 2000 gaben die US-Amerikaner 28 Milliarden US-Dollar im Internet aus. Davon wurden für 7,8 Milliarden US-Dollar Flugtickets gebucht. Flugreisen waren somit das größte im Internet erworbene Konsumprodukt, vor Computern und Hotelbuchungen (vgl. Leinbach/Bowen 2004: 305). Bei den so genannten „Billigfliegern“ wie Ryanair oder EasyJet, liegt die Zahl der Internetbuchungen bei über 95% (vgl. Shaw 2006: 38).

Auch die allgemeinen Rahmenbedingungen, wie die Entwicklung des Zahlungsverkehrs und Ausarbeitung des internationalen Finanzierungs- und Kreditsystems, die Etablierung des Reiserechts und Entwicklung der Reiseversicherung, begünstigten das Wachstum und die Stabilisierung des touristischen Sektors und dessen Sicherheit (vgl. Storbeck 1992a: 89f).

Ziel neuer Technologien ist laut Wilbanks (vgl. 2004: 3) die Existenz der Gesellschaft aufrecht zu erhalten und die Qualität des Lebens zu verbessern. Diese Entwicklungen haben selbstverständlich Auswirkungen auf das Reiseverhalten der Touristen. Man könnte sogar behaupten, der heutige Tourist ist ein Produkt des technologischen Fortschritts (vgl. Wang 2000: 72).

Das Reisen ist im Grunde einfacher geworden. Die Mobilität ist gestiegen, die technischen Voraussetzungen für die Globalisierung sind somit gegeben und das Erschließen von neuen Fernreisezielen in Entwicklungsländern ist möglich. Diese Punkte werden im Folgenden näher betrachtet.

3.1.1.1 Gestiegene Mobilität und die Bedeutung des geographischen Raumes

Der heutige Tourismus und die mit ihm verbundene Mobilität stellen die historischen Völkerwanderungen in den Schatten. Dabei spielt die Entwicklung der Geschwindigkeit bei der Fortbewegung eine bedeutende Rolle. Man kann sagen, dass sich seit den Anfängen der Menschheit die Geschwindigkeit, mit der sich der Mensch fortbewegt, bis zum 19. Jahrhundert nicht verändert hat (vgl. Krusche 1989: 171). Schnelligkeit ist ein Phänomen der Moderne und durchzieht sich dabei durch die ganze Gesellschaft. Zeit ist hierbei ein kostbares Gut. Willms (vgl. 2006: 218f) schreibt sogar über eine vom „Tempo-Virus“ infizierten Gesellschaft, gekennzeichnet von neuen elektronischen Informationstechnologien, Supraleitern und Nanotechniken. Freizeit in Form von Freeclimbing, Tauchen, Wellness oder Nordic Walking, ist dabei eine Art Gegenmittel zur Entschleunigung.

Aber auch Fernreisen sind eine Erscheinung der (Post-) Moderne, bei welcher der eigentliche Weg zum Ziel im Vergleich zu früheren Reisearten an Bedeutung verloren hat (vgl. Baumgarten/Leuthold 2004: 183). Dies ist vor allem den Entwicklungen im Luftverkehr zu verdanken. Technologische Innovationen im Flugverkehr ermöglichten größere Passagier- und Ladekapazitäten, sowie größere Reisegeschwindigkeiten und höhere Reichweiten (vgl. Steinbach 2003: 281f). Die Zahl der internationalen Luftpassagiere nahm in den Jahren 1972 bis 1994 von 88 Millionen auf 344 Millionen zu (vgl. Pratap/Prasad 2005: 91). Bereits 2002 wurden weltweit insgesamt 1,6 Milliarden Luftpassagiere gezählt (vgl. Leinbach/Bowen 2004: 286). Heute finden 30% aller internationalen touristischen Interaktionen über den Flugverkehr statt (vgl. Steinbach 2003: 280). In Deutschland hat sich die Zahl der zugestiegenen Fluggäste zwischen 1990 und 2000 fast verdoppelt (vgl. Tabelle 2).

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Tabelle 2: Zugestiegene Fluggäste an deutschen Flughäfen (Quelle: Statistisches Bundesamt 2007)

Der Luftverkehr ist dennoch ein sehr labiler Wirtschaftssektor. 2002 wurden nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington beim Flugzeugbauer Boeing 16.000 Arbeitsplätze gestrichen. Lufthansa musste kurzfristig 28 Maschinen stilllegen, da sie Umsatzeinbüßen von 50 Millionen Euro zu verzeichnen hatte (vgl. Kreilkamp 2005: 30). Weltweit wurden rund 1000 kommerziell genutzte Flugzeuge ruhig gestellt, was einen Anteil von 6% der gesamten kommerziell genutzten Flugzeuge weltweit entspricht. Auch die Entwicklung neuer Technologien im Flugsektor verlangsamte sich (vgl. Leinbach/Bowen 2004: 292ff). Trotz solchen permanenten Rückschlägen ist der Luftverkehr das dynamischste Element im globalen Verkehrssystem. Langfristig wird hier mit einem jährlichen Zuwachs von 3-7% gerechnet (vgl. Bieger 2004: 222).

Die Mobilität und der mit ihr verbundene Tourismus ist darüber Hinaus ein Zeichen von Freiheit, Demokratie, Erreichbarkeit und Wahl (vgl. Franklin 2003: 10). Franklin (vgl. ebd.: 79) behauptet auch, dass durch die gestiegene Mobilität die Grenzen zwischen Arbeit, Urlaub und Zuhause immer weiter verschwimmen und ineinander überlaufen. Der Raum verliert dabei an Bedeutung. Des Weiteren heißt es (vgl. ebd.: 10), dass der heutige Tourismus die entfernten Räume verlassen hat und die Destinationen immer näher kommen. Die Räume laufen durch die gestiegene Mobilität ineinander über und die Distanzen schrumpfen. Gemeint ist damit aber auch, dass man mit dem Tourismus täglich konfrontiert wird und er zum Alltag dazu gehört, selbst wenn man dabei nicht persönlich verreist.

Auch das Internet ermöglicht utopische Visionen einer digitalen und raumlosen Gesellschaft (vgl. Zook 2004: 156ff). Kreisel (vgl. 2004: 81) spricht von einem Tourismus ohne Raum. Selbst Gebiete der Peripherie können dadurch ins globale Netzwerk mit eingebunden werden, ohne dass die Distanz dabei eine Rolle spielt, oder eine Hürde darstellt. In der Tat wird hier ein neuer, digitaler Raum geschaffen - der „ Cyberspace “.

Zusammenfassend kann behauptet werden, dass die Menschen im 21. Jahrhundert sich an der Mobilität begeistern. Teilweise fällt in der Literatur sogar der Begriff des „ Homo mobilis “ (vgl. Gleich 1998: 9). Mobilität wird heute in der westlichen Kultur mit Reichtum, Freiheit und Neugier assoziiert. Sie steht für Horizonterweiterung, neue Chancen, Wissenstransfer, sowie Völkerverständigung und ist Grundstein für den Globalisierungsprozess. Man könnte als Folge der Globalisierung, der hohen Mobilität und Flexibilität, sogar von einem Ende der Sesshaftigkeit in der westlichen Welt sprechen (vgl. Graf 2002: 31).

Dieses Bild wird jedoch auch zunehmend von negativen ökologischen und sozialen Folgen getrübt. Mit zunehmender Mobilität und dem immer kürzeren und häufigeren Verreisen in weiter entfernte Gebiete, steigt die Umweltbelastung. Alleine die Luftfahrt in Deutschland verbraucht jährlich 6 Milliarden Liter Kraftstoff (vgl. Gleich 1998: 94). Luftverschmutzung, touristische Exzesse und Massenmigration wären hier nur einige Beispiele, die verstärkt an eine verträglichere Mobilität im 21. Jahrhundert appellieren.

3.1.1.2 Globalisierung und Tourismus

Für Franklin (vgl. 2003: 38ff) war der Vorgang der Nationenbildung ein wichtiger Faktor zur Ausweitung des globalen Tourismus. Der Ausdruck von Nationalismus kann auch als natürliche Vermarktung von Reisezielen gesehen werden. Die Bildung von Museen, Nationalparks etc., machte viele Menschen erst auf Reiseziele aufmerksam. Ferner helfen Nationen zur Orientierung - man weiß de facto wo sich etwas befindet und wie man dort hingelangt.

Heute spielt die Globalisierung, ein Prozess, der die Nationen der Welt miteinander verschmelzen lässt, eine bedeutende Rolle für die Entwicklung des internationalen Tourismus. Inländische touristische Entwicklungen jeglicher Art haben heute immer auch etwas mit Entwicklungen in anderen Ländern gemeinsam (vgl. Urry 1990: 48).

Wie zuvor erwähnt wurde, muss der Tourismus als System gesehen werden, als eine Gesamtheit von Elementen, zwischen denen Beziehungen bestehen oder hergestellt werden können. Die Dynamik in diesem System ist von Veränderungen abhängig, beispielsweise in der soziokulturellen, ökologischen, ökonomischen, politischen und technologischen Umwelt (vgl. Abbildung 3). Diese Veränderungen haben wiederum Auswirkungen auf die Subsysteme des Tourismus, wie die Destination oder Unternehmen (z.B. Hotels) (vgl. Bieger 2004: 67ff). Viele dieser Veränderungen können auch als Auswirkungen der Globalisierung aufgefasst werden.

Zwischen dem System Tourismus und der Globalisierung findet vielmehr eine Interaktion statt. Nach Schröder (vgl. 2006: 109) beschleunigt der Tourismus die Globalisierung und die ökonomische, soziale und kulturelle Vernetzung der Welt. Der heutige Kulturbegriff ist dabei nicht mehr an Raum gebunden (vgl. Meethan 2001: 120). Der Tourismus ist mitverantwortlich für die Verbreitung von Konsummustern, Bedürfnisstrukturen und Werten. Der Abbau der Sprachbarriere und die Etablierung der englischen Sprache als internationales Verständigungsmittel, begleiten das Phänomen der Globalisierung und vereinfachen das touristische Leben (vgl. Storbeck 1992a: 95).

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Abbildung 3: Die Dynamik des Tourismus (eigene Darstellung)

Die Verbindung zwischen dem Tourismus und der Globalisierung ist auch für einen zunehmenden internationalen Wettbewerb verantwortlich. Der Tourismus ist auf einem globalen Geflecht aus Services und Informationen aufgebaut. Die Globalisierung führt somit zu einer Zunahme des internationalen Wettbewerbs bei Anbietern, Produkten und Dienstleistungen. Touristische Destinationen stehen heute weltweit miteinander in Konkurrenz (vgl. Schröder 2006: 113). Für Urry (vgl. 2000: 23) heißt der mit der Globalisierung verbundene Wegfall von Grenzen somit nicht zwangsläufig, dass der Raum an Bedeutung verliert. Urry ist vielmehr der Meinung, dass der Raum durch die größer werdende Konkurrenz zwischen den Regionen sogar an Bedeutung gewinnen kann - auch im touristischen Sinne.

Im ökonomischen Zusammenhang ermöglicht die Globalisierung Zusammenschlüsse und Kooperationen von verschiedenen internationalen Akteuren. Neue Kommunikationstechniken haben darüber hinaus die Vielzahl der Distributionswege ausgebaut (vgl. Bieger 2005: 199). Wichtiger Antreiber auf der Angebotsseite des Tourismus ist vor allem der Ausbau des internationalen Flugverkehrs und die Bildung internationaler Hotelketten mit berechenbarer Qualität der Unterkünfte und internationalen Reservierungssystemen (vgl. ebd.: 51). Die Liberalisierung der Luftverkehrsindustrie und die Bildung von Allianzen sind Folgen globaler Vernetzung (vgl. Leinbach/Bowen 2004: 296). Beispielsweise ist der europäische Flugmarkt heute von drei Allianzen um drei große Fluggesellschaften herum aufgeteilt: Star Alliance (Lufthansa), Skyteam (Air France) und Oneworld (British Airways) (vgl. Bieger 2005: 223). Netzwerke wie die IATA (International Air Transport Association), in der 95% der Airlines des gesamten globalen geplanten Flugverkehrs Mitglied sind, oder die IH&RA (International Hotel & Restaurant Association) in Paris, welche rund 700.000 Gästehäuser in über 150 Ländern repräsentiert, aber auch NGOs (Non- Govermental-Organization) wie die Weltbank[2], verkörpern Instanzen der Globalisierung (vgl. ebd.: 292, Pratap/Prasad 2005: 212, Hawkins/Mann 2007: 348ff).

Eine weitere Folge der Globalisierung ist die von Ritzer hergeleitete Theorie der McDonaldisierung. Sie folgt der Behauptung (nach dem Prinzip des „ Bic Mac “), dass vermehrt Produkte vereinheitlicht werden und an jedem Ort der Welt zu erwerben sind. Conrad Hilton, der Begründer der Hotelkette Hilton, behauptete „ Each of our hotels…is a little America” (Ritzer 1993: 90). In der Tat sind die Hilton Hotels nicht nur in jedem Teil der Erde Repräsentanten Amerikas, sondern stellen auch stets einen gleichen Standard voraus. Es gibt immer noch Gegenden, die der McDonaldisierung, oder der Ideologie der amerikanischen Gesellschaft entlaufen oder gar dagegen steuern. Diese Zahl wird jedoch immer kleiner (vgl. ebd.: 15f).

Zusammenfassend stellt Ritzer (vgl. ebd.: 158) bei seiner Theorie fest, dass die McDonaldisierung von zwei Trends gekennzeichnet ist: einer starken Rationalisierung, aber auch einer Effizienz und verbraucherorientierten Qualitätssteigerung. Dabei seien beide Trends richtig und co-existent – sie gehen miteinander einher. Dies macht sich, wie im weiteren Verlauf der Arbeit noch gezeigt wird, auch im Reisemarkt erkennbar.

Welchen Trend die Globalisierung in Zukunft annehmen wird, ist unklar. Großkonzerne wie die TUI AG expandieren täglich, haben aber auch hohe Verschuldungen aufzuzeigen. Die TUI AG hatte im Jahr 2003 eine Nettoverschuldung von rund 3 Milliarden Euro. Die Gewinne reichen aus, um allein die Zinslast auszugleichen (vgl. Kreilkamp 2005: 34).

Haggett (vgl. 2004: 617) befürchtet gar ein Ende der Geographie in Folge der Globalisierung. Alle Orte fangen an sich zu ähneln und die Dimensionen Zeit und Raum werden komprimiert. Gleichzeitig liefert er Gegenargumente und schreibt, dass die Kräfte des Kapitalismus schon im 19. Jahrhundert diese Befürchtungen aufbrachten. Darüber hinaus sei der größer werdende Drang zur Regionalisierung ein starkes Gegenargument der Vereinheitlichung der Globalisierung (vgl. Meethan 2001: 114ff).

Meethan (vgl. ebd.: 136) sieht in der Globalisierung keine schlichte Homogenisierung. So kann die Globalisierung - vor allem beim Reisen - auch Unterschiede, beispielsweise zwischen dem Authentischen und Unauthentischen, Exotischen und Familiären, oder zwischen Arbeit und Freizeit, stärker ins Bewusstsein rufen und verdeutlichen. Es werden, gegen die klassische Globalisierungstheorie, mehr Ungleichheiten generiert.

Der Tourismus muss immer in Interaktion und Zusammenarbeit mit Regierungen, NGOs, lokalen Autoritäten, nationalen und internationalen Handelsgesellschaften, den Medien und der Gesellschaft stehen. Die Tourismusbranche muss außerdem immer flexibel sein, sich anpassen und verändern können - um Entwicklungen in Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft Stand halten zu können (vgl. Cooper et al. 2008: 1). Ob die Globalisierung, wie von Smeral (vgl. 2005: 294) behauptet, langfristig sogar die regionalen Marktanteile im Welttourismus ausgleichen wird, bleibt abzuwarten.

3.1.1.3 Tourismus in Entwicklungsländern

Das Reiseziel ist heute von einer pluralistischen Gesellschaft geprägt. Die Komplexität dieses Gebildes ist für die Vielfältigkeit des touristischen Angebots verantwortlich (vgl. Graf 2002: 35). Die Sehnsucht nach dem Exotischen, Unberührten, fremder Natur und Völkern, wird immer größer (vgl. Vorlaufer 1992: 603). Durch die gestiegene Mobilität und die Strukturen der Globalisierung, sind die Voraussetzungen für die touristische Erschließung solcher Regionen gegeben und immer mehr Entwicklungsländer werden vom globalen Tourismus erfasst. Die Reisedestinationen Afrikas und Asiens gewinnen vermehrt an Bedeutung (vgl. Abbildung 4).

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Abbildung 4: Reisende im Flugverkehr nach ausgewählten Ländern (eigene Darstellung nach Tefler/Sharpley 2008)

Wichtigste Charakteristika von Entwicklungsländern sind die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Landwirtschaftssektor, der niedrige Lebensstandard, ein hohes Bevölkerungswachstum, die hohe Arbeitslosigkeit, die wirtschaftliche Fragilität und die unstabilen sozio-politischen Strukturen (vgl. Tefler/Sharpley 2008: 9f). Viele Entwicklungsländer stehen vor der Aufgabe, sich in die globale Wirtschaft zu integrieren und die eigene zu liberalisieren. Ebenso steht vielen Entwicklungsländern der Übergang von einer landwirtschaftbasierenden, zu einer industrie- und serviceorientierten Wirtschaft bevor (vgl. Pratap/Prasad 2005: 145f).

Immer mehr Entwicklungsländer mit wenig natürlichen Ressourcen haben den Tourismus als eine Schubkraft für ihre Wirtschaft entdeckt. In Gambia ist die Arbeitskraft zu 30% direkt oder indirekt vom Tourismus abhängig, auf Jamaika zu 34%. In kleineren Inselstaaten, wie den Malediven, liegt diese Abhängigkeit sogar bei über 80% (vgl. ebd.: 122). Der Tourismus wird oft als eine saubere und erneuerbare Industrie gesehen, welche die vorhandenen natürlichen Ressourcen wie Natur, Kultur und Geschichte nutzt. Ferner ist er mit vielen Multiplikator- oder Spill-Over -Effekten verbunden und kann zum Erhalt der genannten Ressourcen führen (vgl. Weaver 1998: 45).

2004 gab es bereits 25 Länder weltweit, in denen der Tourismus mehr als 25% des Bruttoinlandsprodukts ausmachte, von denen alle den Status eines Entwicklungslandes hatten. Zwischen den Jahren 1995 und 2002 wuchs in über 30 Ländern der Tourismus mehr als doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt an. Auch hier handelte es sich ausschließlich um Entwicklungsländer (vgl. Tefler/Sharpley 2008: 24). Um diese Zahlen mit einem Beispiel zu verdeutlichen: Die Eröffnung des internationalen Flughafens auf den Seychellen im Jahre 1971 brachte einen schnellen Ausbau des Tourismus mit sich. Bereits 1979 hatten die Besucherzahlen die Bevölkerungszahl des Inselstaates überschritten. Die stark entstandene wirtschaftliche Abhängigkeit vom Tourismus führte jedoch in den Jahren 1979-82, infolge wirtschaftlicher Rezession in den Industrieländern und inländischer politischer Instabilität, zu gravierenden Folgen für die Volkswirtschaft des Landes (vgl. Vorlaufer 1984: 35). An dieser Darstellung wird deutlich, dass sich Entwicklungsländer im Tourismus als weltweit bedeutendster Wirtschaftszweig einen Wegweiser zum Wohlstand erhoffen. Die Labilität des Sektors kann jedoch fatale Folgen haben. Durch die Komplexität und Sensibilität des Sektors, ist eine vollständige Vermeidung des Risikos unmöglich (vgl. Glaeßer 2001: 19ff). Eine Abhängigkeit vom Tourismus ist deshalb für viele Länder eine äußerst riskante Angelegenheit.

Trotzdem entwickelt eine große Anzahl von Entwicklungsländern in kürzester Zeit eine vielfältige touristische Infrastruktur. Sie entfalten sich regelrecht von einem weißen Fleck auf der Karte, zur vollwertigen Destination. Beste Beispiele dafür sind Thailand und Vietnam, die Rekordzahlen in touristischen Zuwachsraten aufweisen (vgl. Herdin 2004: 214ff). 1994 fanden bereits 23,2% der internationalen Ankünfte in Entwicklungsländern statt (vgl. Abbildung 5). Auch in Zukunft wird hier ein Wachstumsmarkt erwartet. Schon heute machen Reisen in Entwicklungsländer einen Anteil von etwa 60% des Fernreisemarktes aus (vgl. Steinecke 2006: 62). Die Zahl der internationalen touristischen Ankünfte in Afrika soll sich in den Jahren 1995 bis 2020 auf 77 Millionen vervierfachen (vgl. Steinbach 2003: 368).

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Abbildung 5: Internationale Ankünfte in Entwicklungsländern (eigene Darstellung nach Weaver 1998)

Nicht nur die wirtschaftliche Abhängigkeit kann negative Auswirkungen mit sich bringen. Weitere Nachteile des Tourismus in Entwicklungsländern können sein (vgl. Tefler/Sharpley 2005: 119):

- Der Verbrauch von wichtigen Ressourcen wie Wasser
- Die Bildung von Wohlstandsinseln inmitten von Armut, was zu sozialen Spannungen führen kann
- Die Annahme von touristischen Verhalten auf Kosten von traditionellen Werten
- Die Kommerzialisierung von Kultur
- Kontrolle durch ausländische Investoren, örtlichen Eliten, oder transnationalen Firmen

Der Ressourcenverbrauch ist mit dem Tourismus permanent verbunden. Dem Tourismus werden zwar weniger ökologische Folgen, als beispielsweise der intensiven Landwirtschaft oder der Industrialisierung zugesprochen, dennoch ist er keinesfalls eine rein „weiße Industrie“ (vgl. Gleich 1998: 95). Der Verbrauch von natürlichen Ressourcen ist vielmehr immer mit Folgen für die natürliche Umwelt verbunden. Obgleich der Tourismus Retter und nicht nur Gegner der Natur sein kann (vgl. Franklin 2003: 39), kann selbst die Errichtung von Schutzfunktionen wie Nationalparks, Einschnitte in die Lebensweise von ethnischen Gruppen haben. Diesen werden hierdurch zum Beispiel Jagdgebiete genommen (vgl. Vorlaufer 1984: 226ff). Oftmals entsteht dadurch ein Dilemma, da auch der Verlust einer reichen Biodiversität, den Verlust von touristischem Potential bedeuten kann. Negative Auswirkungen auf die Biodiversität folgen, wenn die touristische Nutzung größer ist, als die Tragbarkeit der Umwelt. Luftverschmutzung, Salzerosion, Wasserverschmutzung, Verlust des natürlichen Habitats und die Ausrottung von Tierarten können Nachwirkungen dessen sein (vgl. Pratap/Prasad 2005: 89). Dies kann zu einem Zusammenbruch des Ökosystems führen und eine höhere Anfälligkeit gegenüber Naturkatastrophen und dem Klimawandel auslösen (vgl. ebd.: 97).

Negative Auswirkungen des Tourismus werden auch der gesellschaftlichen Ebene zugesprochen. Der erhoffte Wirtschaftsaufschwung ist, wenn es denn dazu kommt, ein langwieriger Prozess. Entstehen touristische Standorte in einem Land, profitiert hiervon in der Regel zuerst die Region um den Standort herum. Dies kann zur Bildung von „Wohlstandsinseln“ innerhalb einer wirtschaftlich schwachen Region führen. Wollen Touristen nun auch Kultur, Land und Leute kennen lernen, ist es üblich, diese „Wohlstandsinseln“ zu verlassen. Das von Touristen somit verursachte Nebeneinander von Arm und Reich, Elend und Luxus, kann zu sozialen Spannungen führen. Steigende Kriminalität oder Prostitution könnten folgen. Auf Seiten der Touristen kann der Reiz der Ferne so schnell an Attraktivität verlieren (vgl. Vorlaufer 1984: 219).

Durch den Tourismus in Entwicklungsländern werden schließlich in kürzester Zeit westliche Normen, Wertesysteme und Verhaltensmuster in überwiegend traditionelle, agrarisch geprägte Muster transferiert (vgl. ebd.: 14). Die eigene Lebensweise erscheint den Einheimischen im Vergleich zu der Lebensart der Touristen oft unterprivilegiert und durch Arbeit, Mühen und Repression gekennzeichnet. Dies kann zur Auflösung von Traditionen, aber auch zur Stärkung von Vorurteilen und Gegensätzen führen, vor allem wenn die Touristen in großen Zahlen auftreten (vgl. ebd.: 61f).

Laut Vorlaufer (ebd.: 53f) beschleunigt der Tourismus jedoch nur einen in den Entwicklungsländern unabhängig davon stattfindenden Wertewandel. Religiöse Vorstellung, Bildung und Erziehung, aber auch technische und wirtschaftliche Verfahrens- und Produktionsweisen, führen durch den Kontakt von Touristen mit der einheimischen Bevölkerung zu einer beschleunigten Akkulturation und einem exogenen Wandel der Gesellschaft. Bewusste Maßnahmen hiergegen wären die Konzentration des Tourismus auf spezielle Zentren und die Bildung so genannter „Touristenghettos“. Als Beispiel hierfür können die Malediven aufgeführt werden, auf denen sich der Tourismus auf nur einige der 1200, größtenteils unbewohnten Inseln, konzentriert. Dieser Vorgang ist jedoch abhängig von der Reiseart und den Motiven der Touristen, fördert die Bildung der bereits angesprochenen „Wohlstandsinseln“ und gilt auch sonst als sehr strittig.

Ein Widerstand gegen die eben angesprochene „westliche Überfremdung“ ist nicht selten und oft mit gewalttätigen Auseinandersetzungen und terroristischen Anschlägen verbunden. Hierbei besitzt für ein einträchtiges Verhältnis zwischen Reisenden und Bereisten das Benehmen der Touristen, ebenso wie die Aufklärung der einheimischen Bevölkerung über die Vorteile des Tourismus, ein hohes Maß an Bedeutung. Das Hervorheben von positiven Eigenschaften ist dabei wichtig. Früher wurden beispielsweise die Berggorillas in den afrikanischen Tropen wahllos von Wilderern und Jägern erlegt. Heute werden diese vom Staat durch kontrollierten Gorilla-Tourismus geschützt. Es ergibt sich somit ein Vorteil für Staat und die Biodiversität des Landes (vgl. Gleich 1998: 96). Oft sind solche Tatsachen der indigenen Bevölkerung nicht bewusst und müssen erst durch aktive Bekanntmachung öffentlich gemacht werden.

Imitationseffekte beziehungsweise Demonstrationseffekte werden vor allem von jungen Leuten befürchtet, welche die offene Kultur der Touristen als erstrebenswert ansehen (vgl. Bieger 2004: 247). Viele Entwicklungsländer befürchten hierdurch einen kulturellen Kollaps. Sie sind der Meinung, dass Objekte wie Artefakte und Kunststücke durch billige Reproduktion und dem Verkauf als Souvenirs über die Generationen ihren Wert verlieren. Am Ende gibt es hierbei keine wirklichen Gewinner, da die Besuchten ihre kulturelle Identität verlieren und die Besucher im Glauben lassen, sie bekommen das Wahre und Originale zu sehen (vgl. Meethan 2001: 92f). Souvenirs können aber auch als Form eines kulturellen Austausches gesehen werden (vgl. Franklin 2003: 58). Nach Vorlaufer (1992: 629) können sogar soziokulturelle Vorteile und Stolz auf die eigene Kultur entstehen. Vor allem müsse aber der wirtschaftliche Faktor beachtetet werden. Beispielsweise seien für manche Kritiker kitschig wirkende Souvenirs, wichtige wirtschaftliche Faktoren vieler Entwicklungsländer, da sie meist nicht importiert und handwerklich hergestellt werden. Traditionelle Handwerke können infolgedessen sogar wiederbelebt werden (vgl. Vorlaufer 1984: 129f).

Der wirtschaftliche Nutzen steht bei vielen touristischen Projekten in Entwicklungsländern außer Frage. Bereits 1964 erkannte Christaller die Bedeutung von touristischen Investitionen als Wachstumspole von unterentwickelten Regionen, besonders aufgrund der durch die touristischen Versorgungsnetze bedingten Multiplikationseffekte (vgl. Steinbach 2003: 248). Die Abhängigkeit des Tourismus von außenwirtschaftlichen Faktoren macht ihn besonders krisenanfällig. Viele Länder stehen jedoch unter dem Druck, möglichst kurzfristig schnelles Wachstum zu schaffen (vgl. Vorlaufer 1984: 118ff). In den meisten Entwicklungsländern ist der Ausbau des touristischen Sektors ohne ausländische Investoren nicht möglich, da man vor dem Konflikt „viel Arbeitskraft, wenig Kapital“ steht (vgl. ebd.: 94). Für Kritiker ist der Tourismus in Entwicklungsländern deshalb nur für ausländische Investoren oder lokale Eliten profitabel. Zudem wird eine neue Abhängigkeit von Industriestaaten befürchtet (vgl. Tefler/Sharpley 2008: 115). In Costa Rica gehören beispielsweise 65% der Hotels ausländischen Investoren, welche ihre Einnahmen wieder ins Ausland überführen (vgl. Pratap/Prasad 2005: 121). In Thailand verlassen 70% des durch Touristen ausgegebenen Geldes wieder das Land. Im Schnitt verbleiben in Entwicklungsländern von 100 ausgegebenen US-Dollar nur 5 Dollar in der Wirtschaft des Landes (vgl. ebd.: 118). Des Weiteren fehlt in vielen Ländern das agrarische Potential zur Herstellung bestimmter Lebensmittel, die dem Standard vieler Hotels entsprechen, was hohe Importkosten mit sich bringt und zu Devisenabflüssen führt. Um diese Sickerrate, die sich in vielen Ländern bei über 30% befindet, zu senken, müssen synchron mit der touristischen Entwicklung auch andere Produktionsbereiche ausgebaut werden (vgl. Vorlaufer 1984: 89, Pratap/Prasad 2005: 119).

Um den negativen Auswirkungen des Tourismus auszuweichen, ist es demzufolge wichtig, eine nachhaltige Tourismuslandschaft zu schaffen. Als klassisches Beispiel für den Erfolg und die Etablierung des Tourismus zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor in einem Entwicklungsland, gilt Mexiko. In den 1980er Jahren wurde Mexiko vor allem durch ausländische Investitionen zu einer internationalen Massentourismusdestination. Enorme negative Auswirkungen konnten jedoch auch hier nicht vermieden werden. Durch fehlendes Startkapital hatten die Mexikaner keinen direkten Einfluss auf den Markt (vgl. Meethan 2001: 54). Zudem stieg beispielsweise die Einwohnerzahl Acapulcos in den Jahren 1930 bis 1978 von 6.500 auf 600.000 Einwohner. Schnell entstanden Raumnutzungsprobleme, durch nicht vorhandene stadtplanerische Gestaltung. Fatale Auswirkungen auf die Umwelt waren die Folge (vgl. Vorlaufer 1984: 222). Der hier beschriebene Massentourismus ist durch Schnelligkeit, Maximierung und Planungsmängel gekennzeichnet. Nachhaltiger Tourismus findet hingegen langsam und langfristig planend statt, ist kontrolliert und wird unter Einplanung der lokalen Bevölkerung und Infrastruktur durchgeführt (vgl. Tefler/Sharpley 2008: 39). Richtlinien und Agenden für einen nachhaltigen Tourismus werden von WWF (World Wildelife Fund), WTO oder WTTC (World Travel and Tourism Council) vorgegeben (vgl. ebd.: 50). Bieger (vgl. 2004: 273) definiert Nachhaltigkeit als eine „[…] Entwicklung, die die Bedürfnisse der heutigen Generation zufrieden stellt, ohne die Fähigkeit der nächsten Generation zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse einzuengen". Diese Entwicklung wird aufgeteilt in (vgl. ebd.: 280):

- Wirtschaftliche Nachhaltigkeit (langfristige Steigerung der wirtschaftlichen Substanz)
- Gesellschaftliche Nachhaltigkeit (langfristiger Erhalt der eigenen Identität)
- Ökologische Nachhaltigkeit (langfristiger Erhalt der Natur)

Die nachhaltige touristische Entwicklung nach Müller besitzt fünf Ebenen (vgl. Abbildung 6).

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Abbildung 6: Nachhaltige touristische Entwicklung (eigene Darstellung nach Müller in Bieger 2004)

Bewegungen wie der Pro-Poor-Tourism liefern gute Chancen zur Armutsbekämpfung und basieren auf diesen Konzepten (vgl. Baumgarten et al. 2004: 16). Ein weiteres Beispiel wäre der Community-based Tourismus. Dabei handelt es sich um ein Konzept, bei dem die lokale Bevölkerung eine Rolle in der Planung, Umsetzung und Finanzierung der Tourismusprojekte übernimmt. Soziale Nachhaltigkeit ist dabei von großer Bedeutung. Das Hauptziel vom Community-based Tourismus ist es, die Akteure so früh wie möglich in die Projekte zu integrieren und deren Interessen und Identität stärker in die geplanten Aktionen mit einzubeziehen Der Community-based Tourismus ist ein klassischer Gegensatz zum konventionellen Massentourismus, bei dem die lokale Bevölkerung nur durch wenig bezahlte und keine fähigkeitsgebundene Jobs mit einbezogen wird (vgl. Tefler/Sharpley 2008: 124). Oft ist der Community-based Tourismus jedoch mit starken Finanzierungsrisiken verbunden (vgl. Häusler 2004: 147ff). Kritiker werfen Projekten wie dem Community-based Tourismus vor, eine Barriere für die Entwicklung zu sein. Das aufgezwungene „Kultur bewahren“ des nachhaltigen Tourismus, wird allgemein oft mit dem Einsperren der einheimischen Bevölkerung in eine Art Reservat verglichen (vgl. Kramer 2004: 11).

Der Tourismus ist besonders anfällig gegenüber Veränderungen allgemeiner Rahmenbedingungen wie wirtschaftlicher Depressionen, politischer Instabilität, Veränderungen des ökologischen Systems, beispielsweise durch den Klimawandel, oder gesellschaftlichen Umbrüchen. Hinzugefügt können schlechte Infrastruktur und Produktqualität, untrainierte Servicekräfte, unterste Hygienestandards, sowie eine mangelhafte Informationsverbreitung den Ausbau des Tourismus in Entwicklungsländern hemmen (vgl. Pratap/Prasad 2005: 298). Eine intakte Infrastruktur, wie die Wasser- und Energieversorgung, sowie Mülldeponie und Telekommunikation, sollte vorhanden sein, bevor ein Gebiet touristisch erschlossen werden kann.

Ein Vorteil des (nachhaltigen) Tourismus ist es, dass er wirtschaftlich nicht anders nutzbare Orte der Peripherie in Wert setzen kann. Dabei handelt es sich vor allem um ökologisch intakte Räume, wie einsame Küstenregionen oder unberührte Naturlandschaften (vgl. Vorlaufer 1984: 160). Tourismus kann ferner Auswanderung stoppen, transferiert Wissen und Technologien (vgl. Bieger 2004: 242). Des Weiteren würden viele Regionen der Welt ohne Tourismus erst gar nicht in Erscheinung treten (vgl. Franklin 2003: 61).

Ziel der Entwicklungsländer muss es sein, die positive Wirkung des Tourismus zu maximieren und die negativen Auswirkungen zu minimieren. Eine diversifizierte Wirtschaft ist nötig, um die Abhängigkeit vom Tourismus gering zu halten. Dabei ist zu beachten, dass die Anpassung an die Rahmenbedingungen von Land zu Land unterschiedlich sein können (vgl. Vorlaufer 1992: 630). Was in einem Land funktioniert, muss nicht zwangsläufig auf andere Destinationen übertragbar sein. Oft stoßen hierbei die in der westlichen Welt erarbeiteten Theorien, Modelle und Konzepte bei der Umsetzung auf operationale, kulturelle und strukturelle Barrieren. Diese hängen mit sozio-politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Strukturen der Destinationen zusammen. Beispiele hierfür sind Informationsmangel bei der indigenen Bevölkerung, Koordinationsschwierigkeiten zwischen den verantwortlichen Parteien, legislative und institutionelle Hürden, Finanzierungsprobleme, Expertenmangel, oder fehlendes Humankapital (vgl. Tefler/Sharpley 2008: 129).

Bei einer nachhaltigen Entwicklung muss vor allem die Tragfähigkeit des Raumes beachtet werden, ebenso wie die gleichmäßige Verteilung touristischer Standorte. Eine Konzentration auf beispielsweise Küsten sollte vermieden werden. Ebenfalls zu beachten ist, dass der Tourismus schneller als andere wirtschaftliche Aktivitäten Einfluss auf die sozio-strukturellen Strukturen und die Identitäten der Gesellschaft haben kann (vgl. Vorlaufer 1992: 606). Beim Tourismus treffen stets drei Kulturarten aufeinander: die Kultur der Destination, die Kultur des Herkunftsortes der Besucher und die touristische Kultur, die wiederum ein Produkt aus verschiedenen Kulturen ist, welche Gemeinsamkeiten während des Urlaubs teilen (vgl. Tefler/Sharpley 2008: 117). Dies kann zu Spannungen führen und eventuelle Vorurteile verstärken, aber auch die Möglichkeit für Dialog und Interaktion schaffen. Urlauber befinden sich des Weiteren oft in touristischen Enklaven, fernab von der Bevölkerung in Gebieten, die zum Beispiel nicht landwirtschaftlich nutzbar sind. Von der inländischen Lage und Problemen wie Kriminalität, Drogenhandel, Armut oder Prostitution, erfahren sie auf diesem Wege wenig (vgl. Steinbach 2003: 36f). Deshalb sind Informationen auf beiden Seiten, der Seite der Bereisten und der Reisenden, über den Nutzen des Tourismus und die Kultur des Anderen notwendig. Ergänzend wird Tourismus besser geduldet, wenn er weniger offensichtlich im alltäglichen Leben auftritt. Massentourismus ist hier das klassische Negativbeispiel (vgl. Bieger 2004: 247).

Da die Grundlage für eine stabile touristische Infrastruktur in vielen Ländern fehlt, müssen darüber hinaus internationale Entwicklungsprogramme, wie das UN Millennium Project, das sich bis 2015 acht verschiedene Ziele gesetzt hat, in Zukunft vermehrt gefördert werden. Das Ziel des UN Millennium Projects ist es, Armut, Hunger und Sterblichkeit zu verringern. Beim Erreichen dieser Ziele sollen künftig 500 Millionen Menschen nicht mehr in Armut leben und weitere 250 Millionen nicht weiter unter Hunger leiden. In erster Linie sollen wirtschaftliche Entwicklung, Gleichberechtigung, Bildung, aber auch die Eindämmung der Ausbreitung von AIDS und Malaria, sowie anderen belangreichen Krankheiten zur Umsetzung der Ziele beitragen[3]. Durch die Förderung solcher Initiativen kann die Abhängigkeit vom Tourismus reduziert und die Basis für eine weitere Entwicklung geschaffen werden. Diese stellt auch die Grundlage für eine bessere gesundheitliche Infrastruktur der Länder dar, die nicht nur das gesundheitliche Risiko der Bevölkerung, sondern auch das der Touristen mindert.

3.1.2 Sozio-kulturelle Veränderungen

Früher besaß das Reisen einen vor allem instrumentellen Wert – man reiste nicht, wenn man nicht musste. Heute ist das Reisen ein Kulturgut, das sich durch fast alle Bevölkerungskreise zieht (vgl. Kiefl 2004: 300). Touristen sind heute zudem Konsumenten, da kein Service profitieren kann, solange der Tourist ihn nicht in Anspruch nimmt (vgl. Tefler/Sharpley 2008: 147f).

Wurden in 3.1.1 die allgemeinen globalen Rahmenbedingungen für die Etablierung des Fernreisemarktes im Hinblick auf ökonomische und technische Veränderungen dargestellt und kritisch reflektiert, werden nun die gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen in Deutschland und in der allgemeinen westlichen Kultur näher betrachtet.

[...]


[1] Beispieladressen: http://www.mediscon.de/, http://www.frm-web.de/, http://www.fit-for-travel.de/index.jsp, http://www.rki.de/, http://www.bueger.de/, http://www.netdoktor.de/Gesund-Leben/Reisemedizin/

[2] [2] welche auch den Tourismus in Entwicklungsländern fördert

[3] vgl. http://www.un.org/millenniumgoals/

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783842802049
Dateigröße
3.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen – Geowissenschaften und Geographie, Geographisches Institut
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
tourismus fernreisen infektionskrankheiten geographie risikoverhalten
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Titel: Fernreisen und gesundheitliche Risiken
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