Doppelte Parlamentarisierung der EU
Inwieweit stärkt die gleichzeitige Aufwertung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente die demokratische Legitimation Europas?
©2010
Bachelorarbeit
61 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Einleitung:
Im Zuge der zahlreichen Verfassungen der Europäischen Union kam es innerhalb der EU in den letzten zwanzig Jahren zu einem institutionellen Wandel. Die europapolitischen Akteure intendierten mit der Etablierung der EU-Verträge die sukzessive Stärkung des Europäischen Parlaments, sodass ein weitreichender Kompetenztransfer von der nationalen Ebene auf die europäische Ebene erfolgen kann. Infolgedessen ist eine Schwächung der nationalen Parlamente zu konstatieren sowie das Erkennen der mangelnden demokratischen Legitimation der Europäischen Gemeinschaft im Allgemeinen und des EP im Speziellen. Um das in der politikwissenschaftlichen Debatte unbestrittene Demokratiedefizit der EU auszumerzen, wurde ein Strategiewandel der Väter der Verträge nötig, sodass erstmalig mit der Etablierung des Vertrages von Maastricht (1992/1993) die nationalen Parlamente gleichzeitig mit dem EP wieder gestärkt werden. Vor dem Hintergrund der Etablierung des Vertrages von Lissabon (2008/2009) werden in der vorliegenden Arbeit zwei Hauptfragen aufgeworfen und diskutiert. Erstens: Inwieweit ist die Kompetenzerweiterung des Europäischen Parlaments mit einer gleichzeitigen Aufwertung der nationalen Parlamente kompatibel? Zweitens: Kompensieren die gleichzeitige Stärkung und Verknüpfung von Europäischem Parlament und nationalen Parlamenten die wesentlichen Aspekte des Demokratiedefizits der EU? Es ist evident, dass im Verlauf des europäischen Integrationsprozesses das Europäische Parlament sukzessiv durch die EU-Verträge, explizit mit der Einführung der Einheitlichen Europäischen Akte (1986/1987) und der Etablierung des Vertrages von Amsterdam (1997/1999), mit weitreichenden Handlungs- und Entscheidungskompetenzen ausgestattet wurde.
Die europapolitischen Akteure intendierten mit der Kompetenzerweiterung des EP eine erhöhte Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit der EU. Aber explizit mit dem Vertrag von Lissabon werden auch gleichzeitig die nationalen Parlamente aufgewertet. Hier fokussiert mein technisch- instrumentelles Erkenntnisinteresse die Frage, inwiefern man 500 Millionen Bürgern eine gemeinsame politische Basis und Identität sowie ein Mindestmaß an Demokratie suggerieren kann, wenn es zu einer (vermeintlichen) unvereinbaren asymmetrischen institutionellen Entwicklung der Europäischen Union und der Nationalstaaten kommt. Welchen Weg geht die EU? Das Bundesverfassungsgericht spricht sich durch sein Lissabon-Urteil für einen […]
Im Zuge der zahlreichen Verfassungen der Europäischen Union kam es innerhalb der EU in den letzten zwanzig Jahren zu einem institutionellen Wandel. Die europapolitischen Akteure intendierten mit der Etablierung der EU-Verträge die sukzessive Stärkung des Europäischen Parlaments, sodass ein weitreichender Kompetenztransfer von der nationalen Ebene auf die europäische Ebene erfolgen kann. Infolgedessen ist eine Schwächung der nationalen Parlamente zu konstatieren sowie das Erkennen der mangelnden demokratischen Legitimation der Europäischen Gemeinschaft im Allgemeinen und des EP im Speziellen. Um das in der politikwissenschaftlichen Debatte unbestrittene Demokratiedefizit der EU auszumerzen, wurde ein Strategiewandel der Väter der Verträge nötig, sodass erstmalig mit der Etablierung des Vertrages von Maastricht (1992/1993) die nationalen Parlamente gleichzeitig mit dem EP wieder gestärkt werden. Vor dem Hintergrund der Etablierung des Vertrages von Lissabon (2008/2009) werden in der vorliegenden Arbeit zwei Hauptfragen aufgeworfen und diskutiert. Erstens: Inwieweit ist die Kompetenzerweiterung des Europäischen Parlaments mit einer gleichzeitigen Aufwertung der nationalen Parlamente kompatibel? Zweitens: Kompensieren die gleichzeitige Stärkung und Verknüpfung von Europäischem Parlament und nationalen Parlamenten die wesentlichen Aspekte des Demokratiedefizits der EU? Es ist evident, dass im Verlauf des europäischen Integrationsprozesses das Europäische Parlament sukzessiv durch die EU-Verträge, explizit mit der Einführung der Einheitlichen Europäischen Akte (1986/1987) und der Etablierung des Vertrages von Amsterdam (1997/1999), mit weitreichenden Handlungs- und Entscheidungskompetenzen ausgestattet wurde.
Die europapolitischen Akteure intendierten mit der Kompetenzerweiterung des EP eine erhöhte Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit der EU. Aber explizit mit dem Vertrag von Lissabon werden auch gleichzeitig die nationalen Parlamente aufgewertet. Hier fokussiert mein technisch- instrumentelles Erkenntnisinteresse die Frage, inwiefern man 500 Millionen Bürgern eine gemeinsame politische Basis und Identität sowie ein Mindestmaß an Demokratie suggerieren kann, wenn es zu einer (vermeintlichen) unvereinbaren asymmetrischen institutionellen Entwicklung der Europäischen Union und der Nationalstaaten kommt. Welchen Weg geht die EU? Das Bundesverfassungsgericht spricht sich durch sein Lissabon-Urteil für einen […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Tatjana Fabriciu
Doppelte Parlamentarisierung der EU
Inwieweit stärkt die gleichzeitige Aufwertung des Europäischen Parlaments und der
nationalen Parlamente die demokratische Legitimation Europas?
ISBN: 978-3-8428-0182-0
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. FernUniversität Hagen, Hagen, Deutschland, Bachelorarbeit, 2010
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http://www.diplomica.de, Hamburg 2010
Inhalt
1. Einleitung
1
2. Geschichte der Europäischen Integration
5
2.1 Historie der EU-Verträge 5
2.2 Institutionelle Ausgestaltung der EU 9
2.3 Das demokratische Defizit in der Europäischen Union 11
2.4 Misstrauen der Bürger in die EU 14
2.5 Zwischenfazit 17
3. Europäisches Parlament - vom ,,Alibi-Parlament"
zum dynamischen Politikgestalter
18
3.1 Machtaufstieg des EP 18
3.2 Funktionen und Kompetenzen des EP 23
3.2.1 Politikgestaltungsfunktion 25
3.2.2 Wahlfunktion 26
3.2.3 Kontrollfunktion 27
3.2.4 Systemgestaltungsfunktion 28
3.3 Kompetenzenerweiterung durch den Vertrag von Lissabon 29
3.3.1 Wahl- und Kontrollfunktion 30
3.3.2 Gesetzgebung 31
3.3.3 Haushaltskompetenzen 32
3.4 Zwischenfazit 33
I
4. Stärkung der nationalen Parlamente -
zugunsten der EU?
33
4.1 Deparlamentarisierung der nationalen Parlamente 33
4.2 Dilemma der nationalen Parlamente 35
4.2.1 Der Multi-Level Governance-Ansatz 36
4.3 Reparlamentarisierung der nationalen Parlamente 39
4.3.1 Kompetenzenerweiterung durch den Vertrag von Lissabon 40
4.3.2 Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag 41
4.4 Zwischenfazit 43
5. Zwei Demokratiestrategien - ein Ziel?
44
5.1 Mehrebenenparlamentarismus 44
5.1.1 Das BVerfG als ,,Bremser" des europäischen Integrationsprozesses? 45
5.2 ,,Roll-back" zugunsten des Nationalismus? 47
6. Fazit
48
A. Literaturverzeichnis 51
II
1. Einleitung
,,In Vielfalt geeint"
1
Im Zuge der zahlreichen ,,Verfassungen" der Europäischen Union
kam es innerhalb der EU in den letzten zwanzig Jahren zu einem in-
stitutionellen Wandel. Die europapolitischen Akteure intendierten mit
der Etablierung der EU-Verträge die sukzessive Stärkung des Euro-
päischen Parlaments, sodass ein weitreichender Kompetenztransfer
von der nationalen Ebene auf die europäische Ebene erfolgen kann.
Infolgedessen ist eine Schwächung der nationalen Parlamente zu
konstatieren sowie das Erkennen der mangelnden demokratischen
Legitimation der Europäischen Gemeinschaft im Allgemeinen und
des EP im Speziellen. Um das in der politikwissenschaftlichen Debat-
te unbestrittene Demokratiedefizit der EU auszumerzen, wurde ein
Strategiewandel der ,,Väter der Verträge" nötig, sodass erstmalig mit
der Etablierung des Vertrages von Maastricht (1992/1993)
2
die natio-
nalen Parlamente gleichzeitig mit dem EP wieder gestärkt werden.
Vor dem Hintergrund der Etablierung des Vertrages von Lissabon
(2008/2009)
3
werden in der vorliegenden Arbeit zwei Hauptfragen
aufgeworfen und diskutiert. Erstens: Inwieweit ist die Kompetenzer-
weiterung des Europäischen Parlaments mit einer gleichzeitigen
Aufwertung der nationalen Parlamente kompatibel? Zweitens: Kom-
pensieren die gleichzeitige Stärkung und Verknüpfung von Europäi-
schem Parlament und nationalen Parlamenten die wesentlichen As-
pekte des Demokratiedefizits der EU? Es ist evident, dass im Verlauf
des europäischen Integrationsprozesses das Europäische Parlament
sukzessiv durch die EU-Verträge, explizit mit der Einführung der Ein-
heitlichen Europäischen Akte (1986/1987) und der Etablierung des
Vertrages von Amsterdam (1997/1999), mit weitreichenden Hand-
1
1
Das ,,Europamotto", welches im Jahre 2000 von Schülern aus den 15 Mit-
gliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft kreiert wurde.
2
Fortlaufend steht die erste Jahreszahl für die Unterzeichnung des Vertrages
und die zweite Jahreszahl für das Inkrafttreten des Vertrages.
3
Am 1.12.2009 in Kraft getreten.
lungs- und Entscheidungskompetenzen ausgestattet wurde. Die eu-
ropapolitischen Akteure intendierten mit der Kompetenzerweiterung
des EP eine erhöhte Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit der EU.
Aber explizit mit dem Vertrag von Lissabon werden auch gleichzeitig
die nationalen Parlamente aufgewertet. Hier fokussiert mein tech-
nisch-instrumentelles Erkenntnisinteresse die Frage, inwiefern man
500 Millionen Bürgern eine gemeinsame politische ,,Basis" und ,,Iden-
tität" sowie ein Mindestmaß an Demokratie suggerieren kann, wenn
es zu einer (vermeintlichen) unvereinbaren asymmetrischen instituti-
onellen Entwicklung der Europäischen Union und der Nationalstaa-
ten kommt. Welchen Weg geht die EU? Das Bundesverfassungsge-
richt spricht sich durch sein Lissabon-Urteil für einen ,,Mehrebenen-
parlamentarismus" aus. Fraglich ist, inwieweit die demokratische Le-
gitimation Europas gestärkt wird, wenn das Europäische Parlament
seine ,,erkämpfte" Position als ein veritables Machtzentrum der EU in
puncto Entscheidungs- und Handlungskompetenzen mit den nationa-
len Parlamenten teilen muss. Die vorliegende Studie stellt sich dieser
Problematik, indem in sechs Kapiteln die Entwicklung der Parlamen-
te im europäischen Integrationsprozess beschrieben, explizit die
Kompetenz- und Funktionsverteilung der Parlamente herausgearbei-
tet und deren Ergebnisse vor dem Hintergrund der Frage, inwieweit
die gleichzeitige Aufwertung der Parlamente die EU demokratisch
legitimieren kann, erklärt und bewertet werden. Im ersten Kapitel wird
die Problemstellung und deren Bearbeitung skizziert (1.). Das zweite
Kapitel expliziert die Geschichte der Europäischen Integration (2.).
Die vier Teilschritte dieses Kapitels stellen die Etablierung der EU-
Verträge heraus (2.1), beleuchten die institutionelle Ausgestaltung
der EU (2.2) und zeigen das Demokratiedefizit der EU auf (2.3). In
Bezug auf die Frage, aus welchen Gründen das Misstrauen der Bür-
ger in die EU resultiert (2.4), bieten die vorangegangenen Teilschritte
eine adäquate Ausgangsposition für deren Beantwortung. Der histo-
rische Überblick des europäischen Integrationsprozesses im zweiten
Kapitel ist für die vorliegende Arbeit insoweit wichtig, als die Proble-
matik und der Prozess der sukzessiven Entmachtung der nationalen
Parlamente, die unzureichende Machtausstattung der europäischen
2
Institutionen sowie die mangelnde Wahrnehmung und Akzeptanz der
Bürger in die EU im Verlauf des Integrationsprozesses aufgezeigt
werden sollen. Die europapolitischen Akteure wollten schon in den
Anfangsjahren des europäischen Integrationsprozesses die genann-
ten Defizite der EU mit der Etablierung eines handlungsfähigen su-
pranationalen Organs kompensieren. Bereits mit der Einrichtung des
Europäischen Parlaments
4
(1952) wurde den Bürgern der EG ein
supranationales Organ präsentiert, welches ihnen ein hohes Maß an
Demokratie suggerieren sollte. Aber explizit das Europäische Parla-
ment steht seit seiner Gründung bis dato massiv in der Kritik, sodass
eine weitreichende Ausstattung des EP mit Entscheidungs- und
Handlungskompetenzen über die Verträge der EU notwendig wurde.
Der politische ,,Aufstieg" des EP und dessen Weg vom ,,Alibi-Parla-
ment" zum dynamischen Gestalter der EU wird im dritten Kapitel der
vorliegenden Arbeit herausgearbeitet (3.). Der von den europapoliti-
schen Akteuren intendierte und von dem Organ Europäisches Par-
lament gewollte ,,erkämpfte" Machtaufstieg wird im ersten Schritt die-
ses Kapitels untersucht (3.1). Die Europäische Gemeinschaft legiti-
mierte sich selbst bis zur Einführung der einheitlichen Europäischen
Akte (1986/1987) über die ,,doppelte Demokratie". Doch die Strategie
der Legitimierung über den mittelbar gewählten Rat und das unmit-
telbar gewählte EP sollte nicht in ein demokratisches Fundament
münden. Zum besseren Verständnis des Entscheidungs- und Gestal-
tungsablaufs des EP werden anhand der Gesetzgebungs-, Wahl-,
Kontroll- und Systemgestaltungsfunktion die Funktionen und Kompe-
tenzen des EP herausgearbeitet (3.2, ..., 3.2.3), um anschließend vor
dem Hintergrund des Lissabon-Vertrages die Kompetenzerweiterung
in den Bereichen Kontrolle, Gesetzgebung und Haushaltbefugnisse
zu skizzieren, die für einen Strategiewechsel - hin zur verstärkten
Parlamentarisierung - stehen (3.3, ..., 3.3.3). Doch augenscheinlich
soll die Demokratiestrategie der Aufwertung des Europäischen Par-
laments nicht für sich allein stehen, vielmehr werden nach der Etab-
lierung des Vertrages von Maastricht auch die nationalen Parlamente
3
4
Das EP hieß zu diesem Zeitpunkt noch ,,Parlamentarische Versammlung" und
bestand aus den Vertretern der nationalen Parlamente.
von einem Strategiewandel tangiert. Infolgedessen wird im vierten
Kapitel der vorliegenden Arbeit die Entwicklung der nationalen Par-
lamente im europäischen Integrationsprozess expliziert. Dieses Kapi-
tel impliziert die ,,schleichende" Deparlamentarisierung der nationalen
Parlamente bis zur Etablierung des Vertrages von Maastricht (4.1).
Des Weiteren wird die Dilemma-Situation (4.2) der nationalen Parla-
mente dargestellt, die mit dem theoretischen Analyserahmen des
Multi-Level-Governance-Ansatzes (4.2.1) diskutiert wird, um eine
Antwort auf die Frage zu finden, inwieweit die nationalen Parlamente
ihre Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von den europapoliti-
schen Akteuren zurückerhalten können, ohne dass diese eine Stag-
nation des europäischen Integrationsprozesses riskieren. Infolge-
dessen wird in der vorliegenden Studie die sogenannte Reparlamen-
tarisierung, die im Zuge der sukzessiven Kompetenz- und Funktions-
erweiterung der nationalen Parlamente seit der Etablierung des
Maastrichter Vertrages (4.3) und explizit vor dem Hintergrund des
Vertrages von Lissabon erfolgte (4.3.1), betrachtet. Im anschließen-
den Schritt (4.3.2) wird das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts diskutiert. Der Fokus liegt hier auf der (vermeintlichen) Di-
vergenz in der Karlsruher Aussage, dass auf der einen Seite der Ver-
trag von Lissabon als verfassungskonform eingestuft wird und auf
der anderen Seite das BVerfG die nationalen Organe im europäi-
schen Entscheidungs- und Gestaltungsprozess stärkt. Infolgedessen
wird im fünften Kapitel der vorliegenden Arbeit die Richtung, in die
sich der europäische Integrationsprozess bewegt, diskutiert. Zur Be-
antwortung dieser Frage wird der vom Bundesverfassungsgericht
präferierte Mehrebenenparlamentarismus betrachtet (5.1), wobei hier
der Fokus auf der Haltung des Bundesverfassungsgerichts gegen-
über dem europäischen Integrationsprozess liegt (5.1.1). Und auf der
anderen Seite wird der Frage nachgegangen, inwieweit das Bundes-
verfassungsgericht mit seinem Lissabon-Urteil die Zeichen für einen
,,Roll-back" zugunsten eines Nationalismus gesetzt hat (5.2). Im
sechsten Kapitel werden die herausgearbeiteten Punkte zusammen-
gefasst und im Kontext zu der Fragestellung resümiert und evaluiert.
Zur Bearbeitung der vorliegenden Arbeit wird die Methode der Aus-
4
wertung von Sekundärmaterial von verschiedenen Autoren in Form
von Büchern, Zeitungen, Zeitschriftenartikeln sowie Texten im Inter-
net angewendet.
2. Geschichte der Europäischen Integrati-
on
2.1 Historie der EU-Verträge
Die verheerenden Folgen des Zweiten Weltkrieges sollten der Idee
der freiwilligen politischen Vereinigung Europas Taten folgen lassen.
Die Gemeinschaft, bestehend aus den sechs Gründungsmitgliedern
- Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxem-
burg und die Niederlande - präsentierte sich zu Beginn primär als
Friedensmacht. ,,Mit der Methode der Integration sollte die Grundlage
geschaffen werden, dass sich Krieg und Völkermord auf dem euro-
päischen Kontinent nicht wiederholen."
5
Zu diesem Zweck wurde der
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und
Stahl (EGKS) (1951/1952) unterzeichnet. Primär wurde von den
,,Gründungsvätern" die Intention verfolgt, die französisch-deutsche
Kohle- und Stahlproduktion unter eine Aufsichtsbehörde zu stellen,
um einen zukünftigen Krieg der beiden Länder zu verhindern. Die
Verfahrensgrundlage der EGKS war auf wenige Politikfelder be-
grenzt und sollte der dominanten Stellung der Hohen Behörde un-
terstellt sein.
6
Die EGKS ist die Keimzelle der heutigen EU und be-
stand von 1952 bis 2002. Mit der Unterzeichnung der Römischen
Verträge
7
(1957/1958) sollte ein weiterer Schritt Richtung europäi-
sche Einigung unternommen werden. Es wurden die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemein-
schaft (EAG) etabliert, die für eine Ausweitung der Politikfelder und
5
5
Vgl. Knelangen, Wilhelm/Varwick, Johannes: Einführung: Neues Europa-
alte EU? Fragen an den europäischen Integrationsprozess. Leske + Budrich,
Opladen: 2004, S. 13.
6
Vgl. Maurer, Andreas: Parlamentarische Demokratie in der Europäischen
Union. Der Beitrag des Europäischen Parlaments und der nationalen Parla-
mente. Nomos Verlag, Baden-Baden: 2002, S. 74.
7
Die sechs Länder, die den EGKS-Vertrag unterzeichnet haben.
eine Ausdifferenzierung in der Verfahrensart stehen. Die EG wandel-
te sich von einer Wirtschaftsgemeinschaft zu einem dynamischen
politischen System ,,sui generis", welches durch seine ,,Einzigartig-
keit" im Gefüge der internationalen Organisationen hervorsticht. Um
die Dynamik dieses Systems zu unterstreichen, wurde durch den
französischen Planungskommissar Jean Monnet
8
bewusst keine Fi-
nalität vorgegeben. Zu einer ersten Bewährungsprobe und Stagnati-
on der europäischen Integration sollte es durch die ,,Politik des lee-
ren Stuhls"
9
des französischen Staatschefs de Gaulle 1965 kommen.
Infolgedessen wurde der ,,Luxemburger Kompromiss" als ein Instru-
ment der Einigung am 29. Januar 1966 etabliert und sollte darüber
hinaus die Entscheidungsfindung der 6 EWG-Mitgliedstaaten positiv
beeinflussen. Doch erwies sich dieses Instrument eher als ,,Bremser"
der EG, da bis 1982 keine Mehrheitsabstimmung mehr durchgeführt
wurde.
10
Erst mit der Erweiterung der EG durch den Beitritt von
Großbritannien, Irland und Dänemark 1973, der Vertiefung durch die
Etablierung des halbjährlich tagenden Europäischen Rates 1974 so-
wie der Einführung eines Europäischen Währungssystems 1978 soll-
te erneut eine Dynamik entfacht werden, die sich explizit in den
1980er Jahren entfaltete. Die stete Erweiterung der EG und die weit-
reichenden Schritte der wirtschaftlichen und politischen Vertiefung
führten zur Etablierung der Einheitlichen Europäischen Akte (1986/
1987). Dieser Vertrag setzte sich primär als Ziel, einen Binnenmarkt
bis zum 31. Dezember 1992 zu schaffen. Mit der Etablierung der
EEA wurde erstmals eine vertragliche Grundlage geschaffen und da-
rüber hinaus stellte diese einen ,,substantiellen Integrationsfort-
schritt"
11
der Europäischen Gemeinschaft dar. Zu diesem Zeitpunkt
6
8
,,Methode Monnet", siehe hierzu auch Wallace, Hellen 2003: Die Dynamik des
EU-Institutionengefüges. In: Jachtenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate
(Hrsg.): Europäische Integration. Leske + Budrich, Opladen, S. 259-262.
9
General de Gaulle ließ es zur ersten großen Krise in der EWG kommen, in-
dem er den französischen Vertreter aus dem Ministerrat zurückzog, um eine
umstrittene Finanzierung der Agrarpolitik zu verhindern.
10
Siehe List, Martin: BAUSTELLE EUROPA. Einführung in die Analyse
europäischer Kooperation und Integration. Leske + Budrich, Opladen:1999,
S. 33.
11
Kleger, Heinz/Karolewski, Ireneusz Pawel/Munke, Mattias 2004: Europäische
Verfassung. Zum Stand der europäischen Demokratie im Zuge der Osterwei-
terung. Zum Verständnis der Europäischen Union. LIT Verlag Münster, S. 68.
,,(...) wurden die hiermit deutlich werdenden Kompetenztransfers
durch eine wesentliche Anhebung der Mitwirkungsoptionen des EP
kompensiert".
12
Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges konnten die
oben benannten Verträge nur in Westeuropa etabliert werden, somit
wurde ,,die Hoffnung auf eine gesamteuropäische Zusammenarbeit,
die dem Wiederaufbau des vom Krieg zerstörten Europa dienen
würde, (...) mit der Eskalation der sowjetisch-westlichen Interessen-
divergenzen zum Kalten Krieg zu Grabe getragen".
13
Nach dem
Mauerfall (1989) und dem Zusammenbruch des Sozialismus wurde
mit dem Vertrag von Maastricht (1992/1993) eine ,,Europäische Uni-
on" geschaffen. Die EU dient als ,,Dach" für die drei Säulen der EG
14
,
der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie der
gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik (ZJI). Der Vertrag von
Maastricht erhöhte ,,die institutionelle und prozessuale Vielfalt der
EU"
15
, sodass es notwendig wurde, die EU durch die Verträge von
Amsterdam (1997/1999) und Nizza (2001/2003) erweiterungs- und
handlungsfähiger zu gestalten. Während der Vertrag von Amsterdam
die Säulen zwei und drei stärkt und die Sozialcharta einführt, sollte
der Vertrag von Nizza die Europäische Union auf die EU-Osterweite-
rung vorbereiten. Doch die von den europapolitischen Akteuren in-
tendierte Vereinfachung und Transparenz der europäischen Ent-
scheidungsabläufe, um diese handlungsfähiger und demokratischer
zu gestalten, sollten sich mit den genannten Verträgen nicht einstel-
len. Vielmehr mehrten sich die Stimmen derjenigen, die sich für die
Konstituierung einer EU-Verfassung aussprachen. Dem wurde ent-
sprochen und der 2-jährige Ratifikationsprozess
16
der europäischen
Verfassung sollte 2004 beginnen. Der Ratifikationsprozess kann von
den Mitgliedstaaten selbst gestaltet werden, indem sich die Mitglieds-
7
12
Vgl. Maurer, Andreas 2002. Ebenda, S. 19.
13
Vgl. Kohler-Koch, Beate/Conzelmann, Thomas/Knodt, Michèle:
Europäische Integration - Europäisches Regieren. FernUniversität in Hagen,
Fachbereich Kultur- und Sozialwissenschaften, 2002, S. 32.
14
Bestehend aus den drei supranationalen Gemeinschaften EG, EGKS und
EAG.
15
Vgl. Immenfall, Stefan: Europa - Politisches Einigungswerk und gesell-
schaftliche Entwicklung. Eine Einführung. VS Verlag Sozialwissenschaften/
GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden: 2006, S. 31.
16
Alle damaligen 25 Mitgliedstaaten hätten die Verfassung ratifizieren müssen,
damit die Verfassung hatte in Kraft treten können.
taaten für die Ratifizierung ausschließlich über die Parlamente, das
konsultative Referendum oder das ,,reine" Referendum entschieden.
Da die Referenden in Frankreich und in den Niederlanden 2005
scheiterten, konnte die Verfassung nicht in Kraft treten. Die Reform
des Verfassungsvertrages der EU mündete in den Vertrag von Lis-
sabon. Dieser besteht zu 90 % aus den Statuten des Vorgängerver-
trages. Erneut konnten die Mitgliedstaaten sich für die Art der Ratifi-
zierung des Vertrages entscheiden. Während die meisten Mitglieds-
taaten sich für eine parlamentarische Ratifizierung aussprachen, soll-
te Irland erneut die Ratifizierung über ein Referendum wählen. Die-
ses endete im ersten ,,Anlauf" mit einem ,,No". Erst vor dem Hinter-
grund der schwerwiegenden Folgen der globalen Finanz- und Wirt-
schaftskrise 2008 und nach erheblichen Zugeständnissen von der
EU sollte sich Irland im zweiten Referendum für den Vertrag von Lis-
sabon aussprechen. Polen, Tschechien und Großbritannien hielten
sich in puncto Ratifizierung noch bedeckt und orientierten sich an
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, welches
vom CSU-Politiker Peter Gauweiler angerufen wurde zwecks Über-
prüfung, ob der Vertrag von Lissabon mit dem Grundgesetz kompati-
bel ist. Das Bundesverfassungsgericht urteilte am 30. Juni 2009,
dass der Vertrag von Lissabon mit dem Grundgesetz konform geht,
doch wurde das zuvor verabschiedete Begleitgesetz wegen unzurei-
chender Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat gekippt.
Infolgedessen wurden vier neue Begleitgesetze von Bundestag und
Bundesrat ausgearbeitet, die die demokratischen Rechte der natio-
nalen Gesetzgebungsorgane höher bewerten. Der Vertrag von Lis-
sabon wurde letztendlich von den nun 27 Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union ratifiziert und trat mit dem 1.12.2009 in Kraft.
17
Es ist
evident, dass die zahlreichen EU-Verträge in den letzten fünfzig Jah-
ren einen institutionellen Wandel innerhalb sowie außerhalb der EU
bewirkt haben. Infolgedessen wurde aber auch die mangelnde de-
mokratische Legitimation der Europäischen Gemeinschaft, implizit
deren institutionelle Ausgestaltung, sichtbar. Im nachfolgenden
8
17
Wobei Polen, Tschechien und Irland einen Sonderstatus in Bezug auf die Sta-
tuten ihrer Verfassung einnehmen.
Schritt werde ich mich aufgrund der Komplexität der 6 Organe der
EU explizit auf das ,,institutionelle Dreieck"
18
konzentrieren.
2.2 Institutionelle Ausgestaltung der Europäischen Union
Jean Monnet`s Zitat ,,Nothing is possible without individuals, nothing
is durable without institutions"
19
steht für die Funktionsweise der Eu-
ropäischen Union. Institutionen stehen für Regelhaftigkeit und Erwar-
tungssicherheit und sind auf Dauer angelegt. ,,Sie stehen über den
individuellen Akteuren und geben Normen, Rollen und soziale Re-
geln vor, nach denen die Akteure ihr Handeln organisieren."
20
Ihre
Funktion ist handlungsorientiert, aber sie selbst sind nicht handlungs-
fähig. Handlungsfähig werden sie erst durch ihre Organe. In der vor-
liegenden Arbeit wird sich vorzugsweise mit der Institution ,,Parla-
ment" beschäftigt, doch wäre es aus politikwissenschaftlicher Sicht
fahrlässig, ausschließlich dieses zu beleuchten, da die Gründe für
das Demokratiedefizit in mehreren Ursachen zu finden sind sowie
mehrere Ebenen und Institutionen tangieren. Die europapolitischen
Akteure intendierten mit der Schaffung der Gründungsverträge, eine
institutionelle Balance zwischen den Gemeinschaftsinteressen und
den nationalen Interessen der Mitgliedstaaten zu schaffen, wobei die
Gemeinschaftsinteressen von der Europäischen Kommission und die
nationalen Eigeninteressen vom Rat der EU getragen werden. Die
beiden Organe wurden bewusst so ausgerichtet, dass sie einander
bedingen müssen, um eine gemeinschaftliche Handlungsfähigkeit
der Europäischen Gemeinschaft herzustellen, die auf Dauer angelegt
ist und darüber hinaus auch noch befriedigende Politikentscheidun-
gen produzieren soll. In der politikwissenschaftlichen Analyse steht
der Vergleich des ,,Tandem" stellvertretend für die bedingende
Konstellation von Rat und Kommission.
21
Die Europäische Kommis-
sion wurde als supranationales Organ der EG etabliert, welche in vol-
ler Unabhängigkeit von den Partikularinteressen der Mitgliedstaaten
9
18
Involviert Rat, Kommission und Europäisches Parlament.
19
Vgl. Monnet, Jean 1976: Memoires, Paris: Farad.
20
Siehe Kohler-Koch, Beate/Conzelmann, Thomas/Knodt, Michèle
(2002): Ebenda, S. 93.
21
Ebenda, S. 98.
zum Gemeinwohl der Gemeinschaft agieren soll. Sie wurde mit ei-
nem exklusiven Initiativrecht für europäische Rechtsakte ausgestat-
tet, sodass diese im Rahmen der Verträge die notwendigen Gesetz-
gebungsmaßnahmen in Gang setzen kann. Mit diesem Machtmono-
pol inne avancierte die Europäische Kommission zur ,,Hüterin der
Verträge" und zum ,,Motor der Integration". Doch die Europäische
Kommission muss sich erstens im Rahmen der Verträge bewegen
und sie ist zweitens auf die Mehrheit im Rat bzw. bei der Anwendung
des Mitentscheidungsverfahrens
22
auf die Mehrheit im Europäischen
Parlament angewiesen. Der Rat
23
, der 70 bis 80 Mal jährlich in Brüs-
sel tagt, übt in der EU die Legislativfunktion aus. Dieses Organ wird
mittelbar gewählt und ist nach wie vor eine Schlüsselinstanz in der
europäischen Gesetzgebung. De facto stellt der Rat eine Versamm-
lung von den national gewählten Ministern der Mitgliedstaaten dar,
die je nach Thema in 9 unterschiedlichen fachlichen Zusammenset-
zungen zusammentreten. Der wichtigste Rat ist der ,,Rat für Allge-
meine Angelegenheiten", der einem Außenminister gleichkommt. Der
Vorsitz - Ratspräsidentschaft - rotiert ½-jährlich und hat die Kompe-
tenz der Rechtsetzung und der Be- und Ernennungsrechte für die
Kommission, die Generalsekretäre des Rates und die Vertreter für
die GASP inne. Darüber hinaus ist der Rat unter anderem für den
Entwurf des Haushaltsplanes und die Festlegung der Reihenfolge
der Ratspräsidentschaft zuständig. Der Rat war in den Anfängen der
Europäischen Integration der alleinige Gesetzgeber. Aber durch die
zahlreichen Verträge der Europäischen Union wurde das Europäi-
sche Parlament
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in den letzten Jahren sukzessiv mit einem größe-
ren Mitspracherecht ausgestattet, sodass der Rat in Zukunft nur mit
diesem zusammen ein zentrales Entscheidungsorgan der Europäi-
schen Union sein kann. Mit dem Europäischen Parlament sollte 1952
ein supranationales Organ der EG etabliert werden, welches primär
als Kontrollorgan gegenüber der ,,Hohen Behörde" dienen sollte.
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Auf die Verfahrensarten wird im Kapitel ,,3." näher eingegangen.
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Nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat, der zweimal jährlich zusam-
menkommenden Versammlung der Staats- und Regierungschefs.
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Ursprünglich geht das Europäische Parlament aus einer Versammlung von
Delegierten der nationalen Parlamente hervor.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2010
- ISBN (eBook)
- 9783842801820
- Dateigröße
- 628 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- FernUniversität Hagen – Kultur- und Sozialwissenschaften, Politik- und Verwaltungswissenschaften
- Erscheinungsdatum
- 2014 (April)
- Schlagworte
- europäische union demokratiedefizit lissabon-vertrag kompetenz mehrebenensystem
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