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Die Wirksamkeit von körperlicher Aktivität bei depressiven Störungen und der Vorschlag eines Konzeptentwurfs für die Praxis

©2010 Diplomarbeit 210 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Im ersten Teil meiner Diplomarbeit wird das Krankheitsbild der Depression ausführlich dargestellt. Ein Abgrenzungsversuch von gesundem zu krankem Erleben und Verhalten wird durch den Krankheits- und Störungsbegriff unternommen. Im Anschluss daran sollen einige Definitionsversuche den Begriffsumfang der ‚depressiven Störung’ präzisieren. Nach der Untersuchung von Symptomatik, Verlauf und die Prognose der Depression werden aktuelle Standards der Klassifikationssysteme thematisiert. In diesem Zusammenhang werden Methoden der Diagnosestellung und Früherkennung depressiver Störungen aufgegriffen und mögliche Differentialdiagnosen skizziert. Zudem wird ein kurzer Überblick über Häufigkeit, Verbreitung und Formen des Krankheitsbildes dargestellt. Um die zu erörternden Therapieformen der Depression begründen zu können, sollen zunächst gängige Erklärungsmodelle der Entstehung von depressiven Störungen beschrieben werden.
In Teil 2 dieser Arbeit wird die Sport- und Bewegungstherapie als separater Punkt aufgeführt und ausführlich behandelt. Die Wirksamkeit von körperlicher Aktivität auf depressive Störungen soll durch verschiedene mögliche Wirkmechanismen unter Bezugnahme auf die physiologisch-biochemischen, psychisch-emotionalen und sozialen Dimensionen beschrieben werden. Des Weiteren belegen wissenschaftliche Untersuchungen die Wirksamkeit körperlicher Aktivität auf depressive Störungen. In diesem Zusammenhang wird erläutert, wie die Wirksamkeit körperlicher Aktivität auf Depressionen effektiviert werden kann, beziehungsweise welche Komponenten dabei eine Rolle spielen können.
In den Punkten 5 und 7 werden stationäre Angebote der Sport- und Bewegungstherapie am Beispiel der Station P 12 des Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Universitätsklinikums Erlangen-Nürnberg dargestellt und hinterfragt. Zudem wird das Angebotsspektrum ambulanter Sport- und Bewegungsgruppen für psychisch kranke/depressive Menschen im Raum Erlangen/Nürnberg aufgegriffen und näher beleuchtet.
Mit dem Konzeptentwurf ‘Bewegung gegen Depression (BgD)’ in Punkt 6 wurde die theoretische Entwicklung einer Bewegungsgruppe für depressive Menschen versucht. Dieses Sport- und Bewegungskonzept soll sowohl für das stationäre, als auch für das ambulante Setting anwendbar sein. Einen essentiellen Bestandteil des Konzepts bilden die psychoedukativen Elemente. Durch eine möglichst umfassende Betreuung und Aufklärung der Teilnehmer soll eine hohe Nachhaltigkeit […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Christina Custal
Die Wirksamkeit von körperlicher Aktivität bei depressiven Störungen und der
Vorschlag eines Konzeptentwurfs für die Praxis
ISBN: 978-3-8428-0126-4
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg, Nürnberg, Deutschland,
Diplomarbeit, 2010
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

1
Inhalt
1
Einleitung ...4
2
Krankheitsmodell der Depression ...6
2.1
Begriffsbestimmung ... 6
2.1.1
Definition des Krankheitsbegriffes ... 6
2.1.2
Definition des Störungsbegriffes ... 7
2.1.3
Definitionsversuche des Depressionsbegriffs ... 7
2.2
Symptomatik, Verlauf und Prognose... 9
2.2.1
Symptomatik ... 9
2.2.2
Verlauf ... 14
2.2.3
Prognose ... 16
2.3
Diagnostik ... 17
2.3.1
Diagnostik mit ICD-10 ... 17
2.3.2
Syndromale Diagnostik ... 22
2.3.3
Früherkennung ... 23
2.3.4
Differenzialdiagnostik... 25
2.4
Epidemiologie ... 27
2.5
Ätiologie ... 28
2.5.1
Vulnerabilitäts-Stress-Modell ... 29
2.5.2
Biochemische Faktoren ... 30
2.5.3
Psychoanalytischer Ansatz ... 32
2.6
Behandlungsmöglichkeiten bei Depressionen ... 32
2.6.1
Biologische Therapien ... 33
2.6.2
Psychotherapie ... 37
2.6.3
Soziotherapeutische Maßnahmen ... 41
2.6.4
Ergänzende Therapieformen ... 42
3
Sport- und Bewegungstherapie ...44
3.1
Kriterien des Therapiebegriffs ... 44
3.2
Indikationen und Kontraindikationen ... 46
3.3
Ziele
... 47
3.4
Ansätze und Module ... 48
3.5
Compliance ... 49
3.6
Aufbau ... 51
3.7
Unerwünschte Begleiterscheinungen... 52

2
4
Mögliche Wirkmechanismen von körperlicher Aktivität bei depressiven
Störungen ...54
4.1
Physiologisch-biochemische Effekte ... 54
4.1.1
Biochemische Wirkung ... 54
4.1.2
Physische Auswirkungen ... 57
4.2
Psychisch-emotionale Wirkung ... 58
4.2.1
Förderung der Selbstwirksamkeit ... 58
4.2.2
Aufbau eines positiven Selbstbildes... 58
4.2.3
Kognitive Umstrukturierung nach Beck ... 59
4.2.4
Modifikation von Fehlattributionen ... 59
4.2.5
Erweiterung des Ausdrucks ... 60
4.2.6
Verbesserung der Körperwahrnehmung ... 60
4.2.7
Reduktion innerer Spannungszustände ... 61
4.2.8
Verbesserung der Schlafqualität ... 61
4.2.9
Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens und der Genussfähigkeit62
4.2.10
Antriebssteigerung ... 62
4.3
Effekte auf soziale Aspekte... 62
4.4
Untersuchungsergebnisse ... 63
4.4.1
Antidepressiva versus körperliche Aktivität... 63
4.4.2
Verbesserung der Pharmakodynamik... 64
4.5
Potentielle Einflussfaktoren auf die Wirksamkeit... 64
4.5.1
Ausdauertraining versus anaerobe Aktivitäten... 64
4.5.2
Trainingsfrequenz ... 65
4.5.3
Trainingsintensität... 65
4.5.4
Effektstärke in Abhängigkeit der Depressionsformen ... 66
5
Sport und Bewegung im klinischen Alltag am Beispiel der Station P 12 des
Psychiatrischen
und
Psychotherapeutischen
Universitätsklinikums
Erlangen-Nürnberg...67
5.1
Kurzinformation zur Station P 12 ... 67
5.2
Sport- und bewegungstherapeutische Angebote der Station P 12... 69
5.3
Diskussion... 71
6
Vorschlag eines Konzeptentwurfs für die Praxis ...74
6.1
Allgemeine Rahmenbedingungen: ... 74
6.2
Ziele des Konzepts:... 75
6.3
Aufbau und Inhalte des Konzepts ... 76
6.3.1
Kurzanamnese mittels Fragebogen und ADS-K ... 77
6.3.2
Einführungsveranstaltung ... 77

3
6.3.3
Programmablauf ... 78
6.3.4
Gruppensitzung und Aktivitätsmodule... 78
6.3.5
Nachsorgeplanung, Abschlussreflexion und ADS-K ... 82
7
Ambulante Sport- und Bewegungsgruppen im Raum Erlangen-Fürth-
Nürnberg ...84
8
Schlussbemerkung ...94
9
Quellenverzeichnis...96
10
Anhang ...103
11
Erklärungen ...208
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Einteilung der Phasen einer depressiven Störung (Hautzinger, M., 1998,
S. 15) ...15
Abbildung 2: Vulnerabilitäts-Stress-Modell (Zubin, J.; Spring, B., 1977, S. 103) ...29
Abbildung 3: Aufbau des BgD- Konzepts...76
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Symptomatologie depressiver Auffälligkeiten (Hautzinger, M.; Bronisch,
T., 2007, S. 2.)...11
Tabelle 2: Einteilung der affektiven Störungen (F3) und der Restkategorien des
depressiven Syndroms in der ICD-10 (Rothenhäusler, H.-B., 2005, S.8) ...22
Tabelle 3: WHO-(fünf) Fragebogen zum Wohlbefinden...25
Tabelle 4: Differenzialdiagnosen (Rothenhäusler, H.-B., 2005, S. 9)...26
Tabelle 5: Behandlungsmöglichkeiten bei depressiven Störungen...33
Tabelle 6: Bewegungs- und Sportangebote der Psychiatrischen Institutsambulanz
des Klinikums Nürnberg Nord...92
Tabelle 7 Allgemeine Depressionsskala (ADS-K) (Hautzinger, M.; Bailer, M. 1993) ...108

4
1 Einleitung
Im ersten Teil meiner Diplomarbeit wird das Krankheitsbild der Depression
ausführlich dargestellt. Ein Abgrenzungsversuch von gesundem zu krankem
Erleben und Verhalten wird durch den Krankheits- und Störungsbegriff unter-
nommen. Im Anschluss daran sollen einige Definitionsversuche den Begriffsum-
fang der ,depressiven Störung' präzisieren. Nach der Untersuchung von
Symptomatik, Verlauf und die Prognose der Depression werden aktuelle Stan-
dards der Klassifikationssysteme thematisiert. In diesem Zusammenhang
werden Methoden der Diagnosestellung und Früherkennung depressiver Stö-
rungen aufgegriffen und mögliche Differentialdiagnosen skizziert. Zudem wird
ein kurzer Überblick über Häufigkeit, Verbreitung und Formen des Krankheits-
bildes dargestellt. Um die zu erörternden Therapieformen der Depression
begründen zu können, sollen zunächst gängige Erklärungsmodelle der Entste-
hung von depressiven Störungen beschrieben werden.
In Teil 2 dieser Arbeit wird die Sport- und Bewegungstherapie als separater
Punkt aufgeführt und ausführlich behandelt. Die Wirksamkeit von körperlicher
Aktivität auf depressive Störungen soll durch verschiedene mögliche Wirkme-
chanismen unter Bezugnahme auf die physiologisch-biochemischen, psychisch-
emotionalen und sozialen Dimensionen beschrieben werden. Des Weiteren
belegen wissenschaftliche Untersuchungen die Wirksamkeit körperlicher Aktivi-
tät auf depressive Störungen. In diesem Zusammenhang wird erläutert, wie die
Wirksamkeit körperlicher Aktivität auf Depressionen effektiviert werden kann,
beziehungsweise welche Komponenten dabei eine Rolle spielen können.
In den Punkten 5 und 7 werden stationäre Angebote der Sport- und Bewe-
gungstherapie am Beispiel der Station P 12 des Psychiatrischen und Psycho-
therapeutischen Universitätsklinikums Erlangen-Nürnberg dargestellt und
hinterfragt. Zudem wird das Angebotsspektrum ambulanter Sport- und Bewe-
gungsgruppen für psychisch kranke/depressive Menschen im Raum Erlan-
gen/Nürnberg aufgegriffen und näher beleuchtet.
Mit dem Konzeptentwurf ,,Bewegung gegen Depression (BgD)" in Punkt 6
wurde die theoretische Entwicklung einer Bewegungsgruppe für depressive
Menschen versucht. Dieses Sport- und Bewegungskonzept soll sowohl für das
stationäre, als auch für das ambulante Setting anwendbar sein. Einen essentiel-

5
len Bestandteil des Konzepts bilden die psychoedukativen Elemente. Durch
eine möglichst umfassende Betreuung und Aufklärung der Teilnehmer soll eine
hohe Nachhaltigkeit gewährleistet werden. Die Aktivitätsmodule zeichnen sich
durch eine große Vielfalt verschiedenartiger Bewegungsarten aus, so dass eine
möglichst große Bandbreite unterschiedlicher Patienten erreicht werden kann.
Um einen optimalen Lesefluss zu gewährleisten, verzichte ich auf eine
geschlechtsspezifische Trennung.

6
2 Krankheitsmodell der Depression
2.1 Begriffsbestimmung
Grundsätzlich sind den meisten Menschen depressive Gefühlszustände aus
eigener Erfahrung bekannt und gehören bis zu einem gewissen Grad zu einem
normalen Gefühlsleben. Zu fragen gilt es, wann der Zustand erreicht ist, bei
dem es sich um eine behandlungsbedürftige, depressive Störung handelt. Um
eine präzisere Abgrenzung zwischen psychischer Gesundheit und einer de-
pressiven Störung bestimmen zu können, ist im Vorfeld zu erläutern, wie die
Begriffe ,Krankheit' und ,Störung' im Allgemeinen definiert sind. Wie lässt sich
das Krankheitsbild ,depressive Störung' von psychischen Stimmungstiefs ab-
grenzen? Ab wann spricht man von einer Krankheit und wie kann der Störungs-
begriff adäquat eingesetzt werden?
2.1.1 Definition des Krankheitsbegriffes
Der allgemeine Krankheitsbegriff kann, wie im Folgenden beschrieben wird, aus
unterschiedlichen Perspektiven gesehen werden: Aus der Perspektive der
,Krankheit', des ,Krankseins' und der ,Krankenrolle'.
Der Begriff ,Krankheit' wird im Allgemeinen für Zustände verwendet, die nicht
mehr als normal angesehen werden und deshalb erklärungsbedürftig sind. ,,Bei
einer Krankheit handelt es sich um beobachtbare oder drohende Veränderun-
gen im Wohlbefinden (vor allem Schmerzen), im Verhalten und in der Leis-
tungsfähigkeit einer Person, die normalerweise nicht zu erwarten sind"
(Baumann, U.; Perrez, M., 1998, S.19). Als ,Kranksein' bezeichnet man die
durch die Krankheit ausgelösten subjektiven Empfindungen, die der Betroffene
äußert. Zudem deklariert sich der Betroffene selbst als krank. ,Krankenverhal-
ten' nennt man das Verhalten des Kranken, das die Umwelt als verändert
wahrnimmt. Die Umwelt interpretiert das ,Krankenverhalten' als direkte Konse-
quenz der Krankheit des Betroffenen. Der Kranke erfährt von seiner Umwelt
Mitleid und Hilfe, er ist weitgehend von alltäglichen Pflichten befreit. Nach
Parson entwickelt sich die so genannte ,,Krankenrolle". In der ,,Krankenrolle"
modifizieren sich die bisherigen Pflichten des Kranken. Eine veränderte Pflicht

7
für den Kranken besteht beispielsweise darin, schnell wieder gesund zu werden
(Parson, T., 1971, S.71).
2.1.2 Definition des Störungsbegriffes
Betrachtet man den Störungsbegriff im gesellschaftlichen Diskurs, kommt die
Frage auf, wer bestimmt, was gestörtes Verhalten sei. Letztlich ist die Definition
einer psychischen Störung abhängig von gesamtgesellschaftlichen Definitions-
prozessen. Jede Gesellschaft und jedes Zeitalter formuliert ihre eigene Normali-
tät und bildet subjektive Störungsdefinitionen heraus. Beispielsweise wurde
Homosexualität im Gegensatz zur heutigen ICD-10 Einordnung bis Anfang der
90er Jahre noch als Krankheit im ICD- 9 klassifiziert (Fiedler, P., 2004, S.6). Die
Frage nach gestörtem und normalem Verhalten kann demnach nicht endgültig
beantwortet werden, es kann lediglich eine Annäherung stattfinden.
Für die Zulässigkeit der Behandlung einer Depression wird im Vorfeld eine
Diagnosestellung benötigt. Um eine psychische Störung zu diagnostizieren,
müssen drei Kriterien erfüllt sein:
Leidensdruck
In wieweit leidet der Betroffene unter seinem Zustand?
Gefährdung
Gefährdet der Betroffene sich selbst und / oder seine Umwelt?
Beeinträchtigung
Fühlt sich der Betroffene in Routine- und Alltagsaufgaben beeinträchtigt? Ist
eine adäquate Bewältigung der Alltagsaufgaben möglich?
Werden diese Kriterien erfüllt und liegen darüber hinaus die störungsspezifi-
schen Symptome vor, spricht man von einer psychischen Störung (Comer, R.
J., 1995, S.4­6). Auf die genaue Klassifizierung des Krankheitsbildes der De-
pression nach ICD-10 wird in Punkt 2.3 genauer eingegangen.
2.1.3 Definitionsversuche des Depressionsbegriffs
Die Unterscheidung zwischen einer Depression und einem vorübergehend
gedrückten Stimmungsbild stellt auch für Psychotherapeuten und Psychiater

8
eine komplexe Herausforderung dar. Wie in Punkt 2.3 noch ausführlicher be-
schrieben wird, gibt es im Vergleich zur somatischen Medizin keine eindeutigen
diagnostischen Instrumente, die eine Diagnose prägnant sichern können.
,,Während es auf der einen Seite depressive Zustände gibt, die auf Grund
ihrer Symptomatik und Funktionseinschränkung eindeutigen Krankheits-
wert haben und auf der anderen Seite depressiv getönte Stimmungsla-
gen, die eindeutig zum Gesunden gehören, existiert dazwischen ein
breites Feld, in dem die Abgrenzung krank und gesund fließend ist und
damit letztendlich reine Definitionssache" (Bramesfeld, A.; Stoppe, G.;
Schwartz, F.-W., 2006, S.4).
Nicht nur die Definition der Extrempunkte ­ nämlich der Krankheit oder Störung
und der Gesundheit ­ stellt sich demnach als problematisch dar. Auch die
Frage nach der Interpretation und Umgangsweise mit der Grauzone zwischen
diesen Punkten ist schwer zu beantworten. Auch im folgenden Zitat wird die
Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen gesundem Verhalten und psychischer
Störung deutlich:
,,Bis heute ist umstritten, ob psychische Krankheiten und psychische Stö-
rungen einfach Abweichungen, sozusagen ,,etwas mehr" von z. B. Trau-
rigkeit sind oder ob es einen qualitativen Sprung gibt, der normales
psychisches Erleben von psychischer Krankheit trennt. In der Tat scheint
es Übergangsformen von der Trauer über die Depressivität bis zur De-
pression zu geben. Betroffene bringen häufig ein sehr starkes Gefühl der
Überlastung, Ohnmacht zum Ausdruck. Ferner ist der an einer Depressi-
on erkrankte Mensch in seiner Gesamtheit von der Depression bedroht
und erfasst. Im Einzelnen kann es zu Beeinträchtigung seiner körperli-
chen und seelischen Empfindungen, seinem Denken und Handeln füh-
ren" (Wolfersdorf, M., 1995, S. 1 f).
Es gibt weitere Definitionsversuche über die Beschreibung der Symptomatik. So
ist etwa in der Definition von Hautzinger und Bronisch eine depressive Störung
durch klassische Symptome einer Minussymptomatik gekennzeichnet:
,,Depressionen sind psychische Störungen, bei denen die Beeinträchti-
gung der Stimmung, Niedergeschlagenheit, Verlust der Freude, emotio-
nale
Leere,
Antriebslosigkeit,
Interessenverlust
und
zahlreiche

9
körperliche Beschwerden wesentliche Merkmale sind. Andere psychi-
sche Störungen, bei denen auch das affektive Erleben beeinträchtigt ist
und im Mittelpunkt der Symptomatik steht, sind neben den Depressionen
Manien, Persönlichkeitsauffälligkeiten, Ängste, Furcht- und Trauerreakti-
onen" (Hautzinger, M.; Bronisch, T., 2007, S.1).
Möchte man die Erkrankung der Depression umfassend begreifen, ist es sicher-
lich wichtig, sich über unterschiedliche Begriffserklärungen aus der Fachliteratur
zu informieren und sich auf diese Weise dem Thema der Depression anzunä-
hern. Des Weiteren sind auch die oben genannten Merkmale einer Krankheit
und die Kriterien einer psychischen Störung bei der Annäherung an das Krank-
heitsbild der Depression mit einzubeziehen. Dennoch bleibt fraglich, ob man die
Depression in einer Definition prägnant erfassen und eine eindeutige Abgren-
zung zu depressiven Schwankungen eines gesunden Menschen vornehmen
kann. Um eine depressive Störung erkennen und diagnostizieren zu können,
sind fundierte Kenntnisse zur charakteristischen Symptomatik, zu Verlaufsfor-
men und Prognosefaktoren unabdingbar.
2.2 Symptomatik, Verlauf und Prognose
2.2.1 Symptomatik
Die Symptomatologie der depressiven Störung umfasst einen umfangreichen
Komplex an depressiven Symptomen, die in unterschiedlichen Mustern und
Ausprägungsformen auftreten können. Häufig sind somatische und psychische
Symptome gleichzeitig zu beobachten. Die folgende Tabelle zeigt die wesentli-
chen Symptome einer depressiven Störung. Es wird in dieser Tabelle durch die
Zuordnung psychologischer Ebenen, in diesem Fall der emotionalen, motivatio-
nalen, kognitiven, vegetativ-somatischen, motorisch-behavioralen und interakti-
onellen Ebenen, eine Symptomdifferenzierung vorgenommen. Die Komplexität
der Symptomatik erfordert eine sorgfältige Untersuchung, um Fehldiagnosen zu
vermeiden und potentielle depressive Störungen möglichst zeitnah behandeln
zu können.

10
Verhalten/
Motorik/
Erscheinungsbild
Körperhaltung: kraftlos, gebeugt, spannungsleer;
Verlangsamung der Bewegungen; Agitiertheit; nervöse,
zappelige Unruhe.
Gesichtsausdruck: traurig, weinerlich, besorgt; herab-
gezogene Mundwinkel, vertiefte Falten; maskenhaft
erstarrte, manchmal auch nervöse, wechselnde Mimik.
Sprache: leise, monoton, langsam
Aktivitätsverminderung bis zum Stupor, wenig Ab-
wechslung, eingeschränkter Bewegungsradius, Prob-
leme bei der praktischen Bewältigung alltäglicher
Anforderungen.
Emotional
Gefühle von Niedergeschlagenheit, Hilflosigkeit, Trauer,
Hoffnungslosigkeit, Verlust, Verlassenheit, Einsamkeit,
innerer Leere, Unzufriedenheit, Schuld, Feindseligkeit,
Angst und
Sorgen, Gefühl der Gefühllosigkeit und Distanz zur Umwelt.
Physiologisch-
vegetativ
Innere Unruhe, Erregung, Spannung, Reizbarkeit, Weinen,
Ermüdung, Schwäche, Schlafstörungen, tageszeitliche und
jahreszeitliche Schwankungen im Empfinden, Wetterfühlig-
keit, Appetit- und Gewichtsverlust, Libidoverlust, allgemeine
vegetative Beschwerden (u. a. Kopfdruck, Magenbeschwer-
den, Verdauungsbeschwerden); zu achten ist bei der Diag-
nose auf: Blutdruck, Blutzuckerspiegel, Kalziummangel,
Eisenwerte, Serotonin-/Adrenalinmangel bzw. Überschuss.
Imaginativ-
kognitiv
Negative Einstellung gegenüber sich selbst (als Person, den
eigenen Fähigkeiten und dem Erscheinungsbild) aus der
Zukunft (z. B. imaginierte Vorstellung von Sackgasse,
schwarzem Loch); Pessimismus, permanente Selbstkritik,
Selbstunsicherheit, Hypochondrie, Einfallsarmut, mühsames
Denken, Konzentrationsprobleme, zirkuläres Grübeln,
Erwartung von Strafen oder Katastrophen, Wahnvorstellun-
gen (z. B. Versündigungs-, Insuffizienz- und Verarmungs-
vorstellungen; rigides Anspruchsniveau, nihilistische Ideen

11
der Ausweglosigkeit und Zwecklosigkeit des eigenen Le-
bens, Suizidideen.
Motivational
Misserfolgsorientierung, Rückzugs- bzw. Vermeidungshal-
tung, Flucht und Vermeidung von Verantwortung, Erleben
von Nicht-Kontrolle und Hilflosigkeit, Interessenverlust,
Verstärkerverlust, Antriebslosigkeit, Entschlussunfähigkeit,
Gefühl des Überfordertseins, Rückzug bis zum Suizid oder
Zunahme der Abhängigkeit von anderen.
Tabelle 1: Symptomatologie depressiver Auffälligkeiten
(Hautzinger, M.; Bronisch, T., 2007, S. 2.)
Die Symptome einer depressiven Störung schlagen sich im Wesentlichen auf
der Stimmungsebene, auf der kognitiven, der somatischen und der psychomo-
torischen Ebene nieder. Depressive Menschen zeigen häufig ein gedrücktes
Stimmungsbild, das in Abhängigkeit vom Schweregrad der Depression unter-
schiedlich ausgeprägt sein kann. Ein schwer depressiver Mensch ist häufig
nicht mehr in der Lage, Gefühle zu empfinden ­ weder Freude noch Traurigkeit.
Diesen Menschen fällt es schwer, Gefühle von Trauer zu äußern. Die Betroffe-
nen beschreiben häufig ein Gefühl der Gefühllosigkeit, welches sie unfähig
macht, etwas zu genießen. Beispielsweise werden Verliebtheitsgefühle zum
Partner häufig stark reduziert wahrgenommen. Ferner kommt häufig noch ein
mangelndes Verständnis der Mitmenschen hinzu, die sich auf Grund fehlender
Kenntnisse oft schlecht in die Situation des Betroffenen hineinversetzten kön-
nen. Eine andere Variante der Symptomausprägung zeigen Menschen, deren
Schwingungsfähigkeit vorhanden ist, die aber dennoch einen hohen Leidens-
druck durch mangelnde Affektregulation verspüren. Das kann sich in Gefühlen
der Verzweiflung, Weinkrämpfen oder auch Erregungszuständen gegenüber
Mitmenschen äußern, die verständnislos auf die Erkrankung reagieren. Ebenso
charakteristisch für diese Variante sind globale Ängste, die häufig das alltägli-
che Leben betreffen und in Form von Zukunfts-, Versagens-, und Verlustängs-
ten zu Tage treten. Das für depressive Menschen charakteristische eingeengte
Denken führt zu einer Reihe von negativen Selbstattributionen.

12
,,Das Denken ist bei depressiven Menschen häufig auf nur wenige The-
men beschränkt, wobei es sich meist um negative Gedanken handelt, die
immer wieder um sich selbst kreisen. Insuffizienzgefühle, Versagens-
und Minderwertigkeitsgefühle, Schuldgefühle gegenüber anderen, über-
steigerte Sorge um die körperliche Befindlichkeit, was als Hypochondrie
bezeichnet wird, oder auch Schuldgefühle gegenüber religiösen Normen
(religiöses Schuldgefühl, Versündigungsideen) sind die Hauptthemen
depressiv kranker Menschen" (Wolfersdorf, M., 1995, S. 25).
Misserfolgserlebnisse werden auf Grund eines ungünstigen Attributionsstils
negativ verarbeitet und verstärken die Versagensgefühle des depressiven
Menschen zusätzlich. Zudem empfinden sich die Betroffenen häufig als hand-
lungsunfähig, hilflos und abhängig von äußeren Faktoren. Alltägliche Aufgaben,
die für einen gesunden Menschen kein Problem darstellen, werden für den
Betroffenen zu unkontrollierbaren Situationen, in denen er das Gefühl hat, nicht
agieren zu können (Seligman, M., 1999, S.8). Er ist beeinträchtigt durch Grü-
belgedanken, die unaufhörlich um ein Thema kreisen sowie mangelnde Krativi-
tät auf Grund eines Leeregefühls im Kopf. Aktivitäten, die früher ausgleichend
und entlastend wirkten, erscheinen nicht mehr durchführbar. Hinter einer verzö-
gerten, monotonen Sprechweise steht häufig eine Verlangsamung des Den-
kens, weshalb die Konzentrations- und Merkfähigkeit oftmals massiv reduziert
ist.
Im Rahmen einer schweren depressiven Episode können wahnhafte Gedanken
auftreten, häufig in Form von übersteigerten Schuldgefühlen und Verarmungs-
wahn. Selbst wenn in der Realität keinerlei Gründe für derartige Gedanken
bestehen, leidet der Betroffene massiv unter den Wahngedanken. Außerdem
fühlt sich der depressive Mensch für die von ihm als real erlebten Gefahren
allein verantwortlich, empfindet sich häufig als Last für seine Mitmenschen. In
diesem Kontext sollte durch diagnostische Gespräche mit dem Betroffenen eine
mögliche Suizidgefahr abgeklärt werden. Auf Grund des hohen Leidensdrucks,
den ein depressiver Mensch im Verlauf seiner Erkrankung erfahren muss,
treten nicht selten lebensüberdrüssige Gedanken auf. Bei der Depression,
derjenigen psychischen Erkrankung mit den meisten Suiziden, beläuft sich das
Suizidrisiko auf 15 Prozent. Angehörige, behandelnde Therapeuten und Ärzte
von depressiven Patienten sollten entsprechend hellhörig bezüglich Suizidäu-

13
ßerungen sein, gerade wenn es sich um eine depressive Episode mit einem
schweren Verlauf handelt. Suizidäußerungen sollten prinzipiell ernst genommen
werden. Bestehen bereits Suizidgedanken, sollte abgeklärt werden, ob auch
Suizidpläne vorhanden sind. Bei akuter Suizidalität kann die Einweisung in eine
stationäre Einrichtung notwendig werden, die häufig über den ambulanten
Hausarzt oder den Psychiater veranlasst wird.
Eine Reihe von psychosomatischen Beschwerden, etwa allgemeine Erschöp-
fungszustände, Vitalitätsverlust, aber auch organische Beschwerden können im
Zusammenhang mit einer Depression stehen. Auch Symptome wie Ein- und
Durchschlafstörungen sind charakteristisch für ein depressives Störungsbild.
Besonders häufig sind in diesem Kontext auch Symptome wie morgendliches
Früherwachen zwischen 2 und 4 Uhr. Auch Tagesschwankungen wie das
Morgentief in Verbindung mit der Stimmungsaufhellung am Abend sind für eine
depressive Störung charakteristisch. Appetitlosigkeit oder sogar Ekelgefühle vor
Nahrungsmitteln sind ebenso wie Obstipation und Funktionsstörungen des
Magen-Darm-Traktes häufige psychosomatische Symptome. Körpermissemp-
findungen wie beispielsweise das so genannte Helmgefühl, ein Druckgefühl
hinter den Augen und an den Schläfen, oder unspezifische Spannungs- und
Druckgefühle treten ebenfalls des Öfteren auf.
Die Betroffenen beschreiben eine Kraft- und Lustlosigkeit, die aus einem um-
fassenden Antriebsmangel resultiert. Im Gegensatz dazu steht eine umtriebige
Überaktivität, die sich in unstrukturierten Handlungsabläufen äußert, welche
häufig nicht zu Ende geführt werden. Das frequentierte, ziellose Umherlaufen,
welches auch als psychomotorische Agitiertheit bezeichnet wird, ist häufig mit
einem Affekt der Angst verbunden.
Starre Mimik und Gestik, verzögerte Reaktionsfähigkeit, verlangsamtes Sprach-
und Denkvermögen und eine kaum vorhandene Schwingungsfähigkeit sind
Zeichen einer gehemmten Psychomotorik. Der depressive Stupor (Starrezu-
stand des Körpers) ist häufig von Mutismus und Amimie (aufgehobener Mimik)
begleitet und beschreibt ein Zustandsbild der extremsten Form psychomotori-
scher Hemmung. Betroffene können auf Umweltreize kaum oder gar nicht
reagieren. Das Bewusstsein ist nicht beeinträchtigt, so dass nachfolgend in der
Regel keine Amnesie auftritt. (Wolfersdorf, M., 1995, S. 21 ff).

14
2.2.2 Verlauf
Die depressive Störung tritt nicht akut auf, sondern entwickelt sich schleichend
über einen Zeitraum von Wochen und Monaten hinweg. Meist treten zu Beginn
leichte Symptome einer depressiven Störung auf, die häufig den Antrieb, die
Schlafqualität, die allgemeine Leistungsfähigkeit und das Sozialverhalten betref-
fen (ebd., S. 19).
In allen Verlaufsstudien kommt man zu dem Schluss, dass die Verläufe von
depressiven Syndromen eine große individuelle Variabilität aufweisen. Tenden-
ziell lässt sich sagen, dass die depressive Störung einen episodenhaften oder
chronischen Verlauf nimmt. Die Rezidivrate nach einer depressiven Episode
liegt bei 60-75 Prozent. Durchschnittlich kommt es bei rezidivierenden depres-
siven Störungen innerhalb einer Lebenszeit zu sechs depressive Episoden
(Wittchen, H.-U.; Jacobi, F., 2006, S. 24). Sowohl vor als auch nach akuten
depressiven Episoden kommt es zu Charakterstörungen, Residualsymptomen
(Restsymptome) und anderen Beeinträchtigungen. (Bemporad, J.; Romano, S.,
S. 301). Depressive Störungen sind im Hinblick auf Verlaufsform und Beein-
trächtigung mit chronischen, internistischen Krankheiten wie beispielsweise
Diabetes mellitus oder Asthma bronchiale vergleichbar. In diesem Kontext lässt
sich ableiten, dass die depressive Störung entsprechend langfristig angelegte
therapeutische Strategien erfordert, um für den Betroffenen einen nachhaltigen
Effekt zu erzielen und einem Rezidiv und einer Chronifizierung vorzubeugen
(Wolfersdorf, M., 1995, S. 81). Auf Grund der unterschiedlichen Verlaufsformen
ist von den Fachgesellschaften die Einteilung in verschiedene depressive
Episoden vorgeschlagen worden. Die nachfolgende Kurve spiegelt die große
Variabilität anhand einer Verlaufskurve wider.

15
Abbildung 1: Einteilung der Phasen einer depressiven Störung (Hautzinger, M., 1998, S.
15)
,Remission': ,,Kurze Zeitstrecke der (vollständigen oder partiellen) Besserung
depressiver Symptomatik."
,Genesung' (Recovery) ist eine vollständige Remission über eine längere
Zeitstrecke (je nach Kriterium nach 2 bis 6 Monaten), dabei ist der Bezugspunkt
die aktuelle depressive Episode.
,Rückfall' (Relapse) ist das Wiederauftreten von depressiven Symptomen
während der Remission, bevor Recovery erreicht und damit die aktuelle de-
pressive Episode abgeschlossen ist.
,Wiedererkrankung' (Recurrence) ist das Auftreten einer neuen depressiven
Episode nach Recovery (vollständiger Gesundung), was voraussetzt, dass die
Diagnosekriterien einer unipolaren Depression erfüllt sind (Hautzinger, M.,
1998, S. 15 f).
Die Therapie von depressiven Störungen orientiert sich auch an der bisherigen
Verlaufsform. Die therapeutischen Maßnahmen zielen bei einer akut aufgetre-
tenden depressiven Störung auf Symptombekämpfung ab. Erhaltungstherapien
werden in der Remissionsphase angewendet, um ein Rezidiv zu vermeiden.
Weitere Parameter, die im Zusammenhang mit dem Verlauf einer depressiven

16
Störung stehen, sind Ersterkrankungsalter, Phasenanzahl, Phasendauer,
Phasenintensität, Dauer und Ausmaß der beschwerdefreien Intervalle, sowie
Zykluslänge und Zustand während der Eingangsuntersuchung.
2.2.3 Prognose
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf M. Hautzinger (1998, S. 17 f),
der sich in seinem Werk mit der Prognose von depressiven Störungen intensi-
ver befasst.
Auf Grund der vielen individuellen Verlaufsformen bei depressiven Störungen
ergeben sich im Bereich der Prognosestellung lediglich Schätzwerte. Etwa die
Hälfte bis zwei Drittel der depressiven Patienten genesen so weit, dass sie zu
ihrer durchschnittlichen Leistungsfähigkeit und zu ihrem früheren Selbst zurück-
finden. In vielen Fällen bleiben wenige Restsymptome weiter bestehen, die den
Betroffenen in seiner Alltagsbewältigung aber nicht weiter einschränken. Zur
Einschätzung der Heilungschancen repräsentiert die Länge des rückfallfreien
Zeitraums (Katamnese) einen aussagekräftigen Wert. Eine Katamnese von fünf
Jahren wurde bei 42 Prozent der Patienten mit depressiven Störungen festge-
stellt. Die Chronifizierungsrate liegt bei 10-20 Prozent. Man spricht von einer
Chronizifierung, wenn der Zeitraum der Erkrankung eine Minimaldauer von zwei
Jahren bemisst. Ältere depressive Menschen neigen im Vergleich zu jungen
Menschen dabei häufiger zu einem chronischen Verlauf, vor allem in Verbin-
dung mit gleichzeitig auftretenden körperlichen Erkrankungen.
Das Risiko an einer erneuten depressiven Episode nach Remission zu erkran-
ken, erhöht sich durch die Anzahl der bereits vorangegangenen depressiven
Episoden, die depressive Symptomatik, sowie beim weiblichen Geschlecht.
Untersuchungen bezüglich der Remissionsverläufe zeigen, dass drei Viertel der
depressiven Episoden bereits innerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten wieder
abgeklungen sind. Ferner erstrecken sich etwa 50 Prozent der depressiven
Episoden über einen Zeitraum von lediglich drei Monaten.
Depressive Patienten weisen vor allem in Verbindung mit Altersdepressionen
im Vergleich zu nicht-depressiven Menschen eine erhöhte Mortalitätsrate für
körperliche Erkrankungen auf. Das Erkrankungsrisiko bei depressiven Patienten
steigt für folgende Erkrankungen:

17
Arteriosklerotische Herzerkrankungen
Vaskuläre Läsionen des Zentralennervensystems
Asthmabronchiale
Heuschnupfen (Allergien)
Ulcus pepticum (Schleimhautgeschwür im Verdauungstrakt)
Diabetes mellitus
Infektionserkrankungen
Letztlich wird durch eine unbehandelte depressive Störung die Entstehung einer
körperlichen Erkrankung begünstig. Außerdem ist das Auftreten einer körperli-
chen Erkrankung, vor allem in Verbindung mit einem hohen Lebensalter, wie-
derum als Risikofaktor für einen chronischen Verlauf zu werten.
Ein frühzeitiger Behandlungsbeginn ist letztlich nur möglich, wenn eine depres-
sive Störung rechtzeitig durch einen Psychiater oder Psychotherapeuten er-
kannt und diagnostiziert wurde und somit eine Chronifizierung verhindert wird.
Die Diagnostik ist aus diesem Grund ein wichtiges Mittel, um einerseits eine
dem Krankheitsbild entsprechende Therapiemethode anzuwenden und ande-
rerseits die Kostenübernahme der psychiatrischen oder psychotherapeutischen
Intervention durch die Krankenkasse zu gewährleisten. Einblicke in die Diagno-
sekriterien der gängigen Klassifikationssysteme wie ICD-10 und DSM-VI, sowie
der syndromalen Diagnostik werden im folgenden Punkt 2.3. gegeben.
2.3 Diagnostik
2.3.1 Diagnostik mit ICD-10
Um in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Praxis psychische Er-
krankungen diagnostizieren zu können, werden im Rahmen der kategorialen
Diagnostik bestimmte Klassifikationssysteme angewendet. In Deutschland,
Österreich und der Schweiz ist die Anwendung des ICD-10 (International Clas-
sification of Diseases) üblich. Das Manual wurde 1977 von der Weltgesund-
heitsorganisation (WHO) als ICD-9 eingeführt, 1992 überarbeitet und als ICD-
10 herausgegeben. Durch die Gruppierung von Erkrankungen rechtfertigt das

18
Manual den Leistungsbezug mittels Kostenübernahme einer ärztlichen oder
therapeutischen Behandlung durch die Krankenkassen. Vor Allem aber wird
sich bei der weiterführenden Behandlung an der Diagnosestellung orientiert.
Als Alternative zu ICD-10 ist das DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of
Mental Disorders) zu erwähnen, das in den USA als gängiges Manual zur
Klassifikation psychiatrischer Erkrankungen dient. Im Unterschied zu DSM-VI
umfasst das ICD-10 nicht nur psychiatrische, sondern auch körperliche Erkran-
kungen. Das DSM-IV wurde von der American Psychiatric Association (APA)
1980 entwickelt. 1887 wurde bereits das Komorbiditätsprinzip mit dem DSM-III
verbindlich eingeführt, welches letztlich auch bei der Konzeption des ICD-10 mit
berücksichtigt wurde. ,,Unter Komorbidität versteht man das Vorhandensein
mehrerer Störungen zum gleichen Zeitpunkt" (Zimbardo P. G.; Gerrig, R. J.,
2008, S. 736). Laut der Epidemiological Catchment Area Study lässt sich bei 77
Prozent der Patienten mit depressiven Störungen mindestens eine weitere
psychiatrische Diagnose nachweisen. Angststörungen treten am häufigsten in
Verbindung mit depressiven Störungen auf, gefolgt von substanzinduzierten
Abhängigkeiten und somatoformen Störungen. Die Frage nach der Primärer-
krankung wird von 60-80 Prozent der Betroffenen damit beantwortet, dass die
Depression nicht die Primärerkrankung gewesen wäre, sondern nachfolgend
aufgetreten sei (Hautzinger, M., 1998, S. 18).
In der Darstellung der depressiven Episode bezieht sich diese Arbeit auf die
Informationen aus dem ICD-Code der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von
2010. Die affektiven Störungen werden im ICD-10 wie folgt dargestellt und
hinsichtlich der Verlaufsform, des Vorliegens somatischer oder psychotischer
Symptome sowie des Schweregrades operationalisiert:
Die depressive Episode sollte mindestens 2 Wochen andauern.
In der Anamnese gibt es keine Symptome, die schwer genug waren, die
Kriterien für eine manische oder hypomanische Episode (F30) zu erfüllen.
Häufigstes Ausschlusskriterium: Die Episode ist nicht auf einen Missbrauch
psychotroper Substanzen (F1) oder auf eine organische psychische Störung
(F0) zurückzuführen.
Mindestens 2 der folgenden drei Hauptsymptome liegen vor:

19
o
anhaltende depressive Stimmung,
o
Interessen- oder Freudeverlust an Aktivitäten, die normalerweise an-
genehm waren,
o
verminderter Antrieb oder gesteigerte Ermüdbarkeit.
Es besteht eines oder mehr zusätzliche der folgenden Zusatzsymptome:
o
Verlust des Selbstvertrauens oder des Selbstwertgefühls,
o
unbegründete Selbstvorwürfe oder unangemessene Schuldgefühle,
wiederkehrende Gedanken an Tod oder Suizid, suizidales Verhalten,
vermindertes Denk- oder Konzentrationsvermögen, Unschlüssigkeit,
o
psychomotorische Agitiertheit oder Hemmung, Schlafstörungen,
o
Appetitverlust oder gesteigerter Appetit mit entsprechender Ge-
wichtsveränderung.
Schweregrad: Es wird zwischen
o
leichter (mindestens 2 Hauptsymptome und 2 Zusatzsymptome)
o
mittelgradiger (mindestens 2 Hauptsymptome und 3 - 4 Zusatzsym-
ptomen) und
o
schwerer (3 Hauptsymptome und 4 oder mehr Zusatzsymptome) de-
pressiver Episode unterschieden.
Des Weiteren wurde als ein zusätzlicher Schweregradindikator das so genannte
,somatische Syndrom` definiert (Rothenhäusler, H.-B., 2005, S. 6). Das somati-
sche Syndrom ist nur dann zusätzlich zu diagnostizieren, wenn mindestens 4
der folgenden Symptome nachweisbar sind:
o
deutlicher Interessenverlust oder Verlust der Freude an normalerwei-
se angenehmen Aktivitäten,
o
mangelnde Fähigkeit, auf Ereignisse oder Aktivitäten emotional zu
reagieren, auf die normalerweise reagiert wurde,
o
frühes Erwachen, 2 Stunden oder mehr vor der gewohnten Zeit,
o
Morgentief,

20
o
objektivierter Befund einer ausgeprägten psychomotorischen Hem-
mung oder Agitiertheit,
o
deutlicher Appetitverlust,
o
Gewichtsverlust (5 Prozent oder mehr des Körpergewichts im voran-
gegangenen Monat),
o
deutlicher Libidoverlust.
In der folgenden Tabelle 2 sind die gesamten affektiven Störungen nach ICD-10
mit den dazugehörenden Merkmalen dargestellt. In der vorliegenden Diplomar-
beit werden die Diagnosen der depressiven Episode (F31) und die rezidivieren-
de depressive Störung (F32) behandelt. Von der Bezugnahme auf weitere
affektive Störungen mit depressiven Anteilen, wie beispielsweise der Dysthymia
(F34.1), wird auf Grund des gesetzten Schwerpunktes abgesehen.
Störungen
Merkmale
F30 Manische Episode
Dauer von mindestens 1 Woche
F31 Bipolare affektive Störung
F31.0 gegenwärtige hypomanische
Episode
F31.1 gegenwärtig manische Episode
ohne psychotische Symptome
F31.2 gegenwärtig manische Episode
mit psychotischen Symptomen
F31.3 gegenwärtig mittelgradige oder
leichte depressive Episode
F31.4 gegenwärtig schwere depressive
Episode ohne psychotische Symptome
F31.5 gegenwärtig schwere depressive
Episode mit psychotischen Symptomen
F31.6 gegenwärtig gemischte depressive
Episode
F31.7 gegenwärtig remittiert
F31.8 sonstige bipolare affektive
Störungen
bipolar I: nur manische Episoden
bipolar II: nur hypomane Episoden
sonstige Verläufe: Rapid Cycler mit
oder mehr Episoden pro Jahr
Mischung: manische, hypomanische
und depressive Symptome im
raschen Wechsel oder vermischt
vorhanden

21
F32 Depressive Episode
F32.0 leichte depressive Episode
F32.1 mittelgradige depressive Episode
F32.2 schwere depressive Episode ohne
psychotische Symptome
F32.3 schwere depressive Episode mit
psychotischen Symptomen
F32.8 sonstige depressive Episoden
Dauer von mindestens 2 Wochen
Psychotische Symptome Wahnideen,
Halluzinationen oder depressiver
Stupor
sonstige Episoden: atypische
Depression, larvierte Depression
F33 Rezidivierende depressive Störung
F33.0 gegenwärtig leichte Episode
F33.1 gegenwärtig mittelgradige Episode
F33.2 gegenwärtig schwere Episode
ohne psychotische Symptome
F33.3 gegenwärtig schwere Episode mit
psychotischen Symptomen
F33.4 gegenwärtig remittiert
rezidivierend: mindestens 2 Episoden
innerhalb von 5 Jahren
einzelne Episoden dauern zwischen 3
und 12 Monaten
Unterscheide: mit/ohne somatischem
Syndrom
F34 Anhaltende affektive Störungen
F34.0 Zyklothymia
F34.1 Dysthymia
mindestens 2 Jahre anhaltende
Verstimmungszustände, die nicht dem
Vollbild depressiver oder bipolarer
Verstimmungen entsprechen
doppelte Depression: Dysthymia, die
durch depressive Episoden kompliziert
wird
F38 Sonstige affektive Störungen
F38.10 rezidiverende kurze depressive
Störung
F38.8 sonstige näher bezeichnete affek-
tive Störungen
2-3 Tage andauernde depressive
Verstimmungen im Monatsrhythmus
über mindestens 1 Jahr
sonstige Störungen: unterschwellige
Episoden oder ,,Subthreshold"-
Diagnosen
F06.32 Organische depressive Störung
Organische Ursache muss belegt sein
F43.20 Anpassungsstörung mit kurzer
depressiver Reaktion
F43.21 Anpassungsstörung mit längerer
depressiver Reaktion
F43.22 Angst und depressive Reaktion,
gemischt
Kriterien für die leichte depressive
Episode nicht erfüllt
kurz: nicht länger als 1 Monat
andauernd

22
F41.2 Angst und depressive Störung,
gemischt
Vorhandensein von Angst und
Depression in leichter oder mittlerer
Ausprägung ohne Vorherrschen des
eine oder anderen
Tabelle 2: Einteilung der affektiven Störungen (F3) und der Restkategorien des depressi-
ven Syndroms in der ICD-10 (Rothenhäusler, H.-B., 2005, S.8)
2.3.2 Syndromale Diagnostik
Die syndromale Diagnostik funktioniert prinzipiell durch standardisierte Messin-
strumente, die in Form von Selbstbeurteilungs- oder Fremdbeurteilungsfrage-
bögen den Schweregrad und Verlauf einer depressiven Störung präzisieren.
Einfache Sätze, welche depressive Symptome (siehe Punkt 2.2) beschreiben,
sollen mit Punkten von 0 (nicht vorhanden) bis 3 (stark ausgeprägt) von den
Betroffenen bewertet werden. So können Punktwerte zwischen 0 und 63 er-
reicht werden, wobei Werte unter 11 als unauffällig angesehen werden. Werte
von 11 bis 17 werden als mäßige depressive Symptomatologie bewertet. Be-
troffene mit Punktwerten ab 18 werden als behandlungsbedürftig angesehen.
Die Fremdbeurteilungsskala MADRS (Montgomery-Asberg Depression Rating
Scale) enthält 10 Items (Begriffe), die ein Psychiater oder Psychologe im Ver-
lauf eines Interviews mit einem Patienten mit Punkten von 0 (keine Ausprä-
gung) und 6 (stark ausgeprägt) bewertet. Die Punkteskala reicht von 0 bis 60,
wobei Personen mit Werten unter 13 als unauffällig betrachtet werden. Bei
Personen, die bei dem Test mindestens 29 Punkte erreichen, wird die Diagnose
,,depressives Syndrom" gestellt.
In einem diagnostischen Gespräch zwischen Therapeut und Patient werden die
Kernsymptome und Zusatzsymptome der depressiven Episode nach ICD-10
abgefragt. Zudem sind Informationen über Verlauf und Schweregrad des Vor-
liegens von psychotischen und somatischen Symptomen zu erfassen. Wichtige
Auskünfte in den Bereichen familiäre Vorbelastung, soziales Umfeld, soziale
Aktivitäten, berufliche und finanzielle Situation werden vom Therapeuten gezielt
erfragt. Darüber hinaus gehört der Ausschluss der Suizidalität ebenfalls zum
diagnostischen Gespräch. Angehörige sollten, wenn möglich, zusätzlich befragt
werden, denn Menschen mit einer depressiven Störung neigen häufig zu einer

23
verzerrten Beurteilung (Baur, N., Stand 2008, Aufgerufen am 06.01.2010). Zum
Aufbau einer Vertrauensbasis begegnet der Therapeut dem Patienten mit einer
positiven und verständnisvollen Grundhaltung, die durch Empathie, Wertschät-
zung und Echtheit gekennzeichnet ist (Rogers, C., 1990, S. 20). Auf diese
Weise fällt es dem Patienten leichter, sich dem Therapeuten gegenüber zu
öffnen und im Rahmen des Therapeutengesprächs aktuelle Probleme und
Befindlichkeiten anzusprechen. Der Therapeut ist in der Lage verbale oder
nonverbale Signale, wie beispielsweise ausdruckslose Mimik zu beobachten
und zu hinterfragen. Es ist jedoch auch möglich, dass der Patient auf Grund
einer glaubwürdig wirkenden Fassade ein heiteres Stimmungsbild vortäuscht
und seine depressive Befindlichkeit überspielt (Rothäusler, H.-B., 2005, S. 4f).
Um in einem diagnostischen Gespräch eine depressive Symptomatik sichern zu
können, ist eine sorgfältige Vorgehensweise in einem entsprechenden zeitli-
chen Rahmen erforderlich.
2.3.3 Früherkennung
Ein weiteres wichtiges Instrument der Diagnostik ist die Früherkennung, die vor
allem in der Primärversorgung durch Hausärzte im Verdachtsfall angewendet
werden kann. Etwa 70 Prozent der Patienten, die an einer depressiven Störung
leiden, wenden sich wegen somatischer Beschwerden an ihren Arzt (Simon, G.;
Von Korf, M.; Piccinelli, M., 1999, S. 1329 f). Nicht nur durch fehlerhafte Diag-
nosestellung kann eine depressive Störung unerkannt bleiben, auch mangelnde
Fachkompetenz im Bereich der Primärversorgung, wie es beispielsweise im
allgemeinärztlichen Sektor möglich ist, führt zu Fehldiagnosen mit möglicher-
weise lebensbedrohlichen Konsequenzen:
,,Epidemiologischen Studien in Allgemeinarztpraxen zufolge leidet jeder
zehnte bis fünfte Patient, der von seinem Hausarzt behandelt wird, an ei-
ner Depression unterschiedlichen Schweregrades. In Anbetracht der
Tatsache, dass bis zu 70 Prozent der Menschen, die Suizid begehen, vor
ihrem Tod depressiv krank sind, und dass fast 40 Prozent der Suizidver-
sucher noch eine Woche vor dem Ereignis ihren Hausarzt aufsuchen,
kommt dem rechtzeitigen Erkennen einer Depression durch den Arzt der
Primärversorgung eine entscheidende Bedeutung zu (Rothenhäusler,
H.-B. 2005, S. 4).

24
Des Weiteren mangelt es vielen Allgemeinärzten nicht nur bei dem Erkennen
einer depressiven Störung an psychiatrischer und psychotherapeutischer Fach-
kompetenz, sondern auch bei der Durchführung einer adäquaten Behandlung
der Depression. ,,Bei nur 15 Prozent in der Allgemeinarztpraxis als depressiv
diagnostizierten Patienten werden Antidepressiva vom Hausarzt verordnet, die
jedoch bei über 90 Prozent der behandelten Patienten nicht angemessen hoch
dosiert bzw. nicht ausreichend lang gegeben werden" (Rothenhäusler, H.-B.,
2005, S. 4). Auf Grund der hohen Prävalenz depressiver Patienten in Hausarzt-
praxen ist der Einsatz von Screeninguntersuchungen zur Früherkennung von
Depressionen gerade in diesem primärärztlichen Sektor besonders wichtig
(Wittchen, H.; Pittrow D., 2002, S. 1).
Das Depressionsscreening der WHO gilt als ein adäquates Mittel, um einen
ersten Hinweis in Richtung depressive Störungen zu erhalten. Werden 14
Punkte unterschritten, dann sollte der Hausarzt die Kernsymptome der depres-
siven Störung abfragen, um durch diagnostische Spezifizierung eine potentielle
Depression sichern zu können. Die 5 kurzen Fragen, die im Rahmen des De-
pressionsscreenings gestellt werden, sind auch im Rahmen kurzer Sprechzei-
ten leicht durchführbar. Erreicht der Betroffene weniger als 14 Punkte, liegt
möglicherweise eine Depression vor. Zur weiteren Abklärung sollte der Haus-
arzt den Betroffenen an einen Nervenarzt oder einen Psychotherapeuten über-
weisen.
In
den
letzten
Wochen
Die ganze
Zeit
Meistens
Über
die
Hälfte der
Zeit
Weniger
als
die
Hälfte der
Zeit
Zu keinem
Zeitpunkt
1. Ich war froh und
guter Laune
5
4
3
2
1
2. Ich habe mich
ruhig und entspannt
gefühlt
5
4
3
2
1
3. Ich habe mich
aktiv
und
voller
Energie gefühlt
5
4
3
2
1

25
4. Beim Aufwachen
habe ich mich frisch
und
ausgeruht
gefühlt
5
4
3
2
1
5. Mein Alltag war
voller
Dinge,
die
mich interessieren
5
4
3
2
1
Tabelle 3: WHO-(fünf) Fragebogen zum Wohlbefinden
2.3.4 Differenzialdiagnostik
Der von einer depressiven Störung Betroffene sollte zunächst organisch abge-
klärt werden, denn hinter einer Depression kann eine Vielzahl somatischer
Ursachen stecken. Aus diesem Grund sind entsprechende Untersuchungen
vorzunehmen, um differenzialdiagnostische Faktoren abzuklären. Es kann
beispielsweise eine Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) zugrunde liegen,
die ein depressives Syndrom verursacht. An der Psychiatrischen Klinik des
Uniklinikums Erlangen-Nürnberg gehört die Untersuchung der Schilddrüsen-
hormone TSH-basal, F3 und F4 zur Standarddiagnostik bei der Neuaufnahme
eines depressiven Patienten, um auf diese Weise eine Hypothyreose auszu-
schließen. Zudem werden eine internistisch-neurologische Untersuchung sowie
ein Elektroenzephalogramm (EEG) und ein Elektrokardiogramm (EKG) durch-
geführt. ,,Die Behandlung orientiert sich dann aber an der Grunderkrankung
unter Einbeziehung der depressiven Verstimmung und nicht allein am depressi-
ven Symptom" (Wolfersdorf, M., 1995, S. 20). Durch Behandlung der Hypothy-
reose erfährt der Betroffene im Normalfall eine Besserung seiner depressiven
Symptomatik. Auch andere Erkrankungen der Schilddrüse wie Hyperthyreose
(Schilddrüsenüberfunktion) und Erkrankungen der Nebenschilddrüse können
als Ursache einer Depression in Frage kommen. Mögliche Differenzialdiagno-
sen, die bei der Diagnostik einer depressiven Störung berücksichtigt werden
sollten, sind in der Tabelle 4 aufgeführt:

26
Beispielsweise kann also die Einnahme psychotroper Substanzen eine Depres-
sion auslösen. Auch andere psychische Störungen können als Primärerkran-
kung eine depressive Störung nach sich ziehen.
Somatische
Erkrankungen
Endokrinopathien:
Hypo-, Hyperthyreo-
se;
Erkrankungen
der
Nebenschilddrüse;
Cushing Syndrom;
Morbus Addison;
Neurologische
Erkrankungen:
Epilepsie;
Morbus Parkinson;
Multiple Sklerose
Kanzerogene
Er-
krankungen:
Pankreaskarzinom
Bronchialkarzinom
Psychische Erkran-
kungen
Psychotische Störun-
gen:
Schizoaffektive
Störungen;
Postschizophrene
Episoden;
Schizophrene Störun-
gen
Angsterkrankungen
Demenzielle
Erkran-
kungen
Psychotrope
Substanzen
Medikamente:
Beta-Blocker;
Steroide;
Antihypertensiva;
Antihystaminika
Antiepileptika;
Sulfonamide;
Interferonpräparate
Drogen:
Alkohol;
Kokain;
Amphetamine
Tabelle 4: Differenzialdiagnosen (Rothenhäusler, H.-B., 2005, S. 9)

27
2.4 Epidemiologie
Da sich H.-U. Wittchen und F. Jacobi ausführlich mit dem Thema Epidemiologie
von Depressionen beschäftigt haben, beziehen sich die Informationen zu Punkt
2.4 auf deren fachliterarische Ausführungen (2006 S.15 f). Aufgrund unter-
schiedlicher Definitionskriterien und der damit verbundenen Vielzahl an Ein-
und Ausschlusskriterien liegt in der Fachliteratur eine große Variationsbreite an
epidemiologischen Daten bezüglich depressiver Erkrankungen vor. Aus diesem
Grund sind die nachfolgenden Zahlen lediglich als Anhaltspunkt zu werten.
Folgende Ergebnisse ergaben sich aus Stichprobenstudien, die seit 1980 in der
Allgemeinbevölkerung durchgeführt wurden:
Die 12-Monatsprävalenz für die Major Depression, die nach dem ICD-10 der
schweren depressiven Episode entspricht, beläuft sich in der erwachsenen
Durchschnittsbevölkerung (Alter 18-65 Jahre) in den europäischen Ländern auf
6,9 Prozent. Das Lebenszeitrisiko an einer Depression zu erkranken wird auf
einen Wert von ungefähr 14 Prozent geschätzt. In Zahlen bedeutet das für
Deutschland, dass ungefähr 5-6 Millionen Bürger pro Jahr von einer Depression
betroffen sind. In Gesamteuropa geht man von etwa 20 Millionen Betroffenen
aus. Betrachtet man die Ergebnisse sämtlicher Untersuchungen ergeben sich
folgende Übereinstimmungen:
Im Hinblick auf die Prävalenz depressiver Erkrankungen lassen sich keine
ausgeprägten Unterschiede bezüglich der Region und Kultur feststellen
Unterschiede zwischen 1-, 6-, 12- Monats- und Lifetime-Raten bestätigen
erneut die charakteristische Verlaufsform depressiver Störung in Episoden
Neue Untersuchungen weisen höhere Prävalenzen auf als ältere Untersu-
chungen
Einige Autoren sprechen generell von einer Zunahme depressiver Störun-
gen in der Bevölkerung innerhalb der letzten Jahre
Des Weiteren sind folgende Risikofaktoren für eine depressive Störung zu
nennen, die sich zum Teil mit den Prognosefaktoren von Punkt 2.2 überschnei-
den:

28
Einen Anstieg des Erkrankungsrisikos findet man vor allem ab dem 15. Lebens-
jahr und im frühen Erwachsenenalter. Zudem ist ein Anstieg des kumulierten
Erkrankungsrisikos ab der 5. Lebensdekade zu verzeichnen, wobei das Risiko
im Anschluss deutlich abfällt. Außerdem ist bei Frauen das Risiko, an einer
depressiven Störung zu erkranken mit durchschnittlich 14,2 Prozent ungefähr
doppelt so hoch wie bei Männern, deren Erkrankungsrisiko bei 7,6 Prozent liegt.
Diskutiert werden soziale und biologische Faktoren, die als verstärkende Fakto-
ren für ein höheres Erkrankungsrisiko bei dem weiblichen Geschlecht herange-
zogen werden. Der Familienstand in Kombination mit Geschlecht, Anzahl der
Kinder und beruflicher Situation kann als weiterer Faktor bei der Entstehung
einer depressiven Störung eine Rolle spielen. Die höchsten Erkrankungsraten
findet man bei verheirateten Frauen mit Kindern und ohne Berufstätigkeit, wobei
die Gruppe der verheirateten Männer die niedrigste Krankheitsrate bezüglich
einer depressiven Störung aufweist. Auch der sozioökonomische Status kann
sich auf die Entwicklung einer depressiven Störung auswirken. Ergebnissen aus
Meta-Analysen zufolge findet man in weniger privilegierten Bevölkerungsgrup-
pen eine höhere Prävalenz depressiver Störungsbilder. Unabhängige Assozia-
tionen mit einer erhöhten Krankheitsrate findet man bei Menschen ohne
Berufstätigkeit mit geringem Ausbildungsstand und unzureichenden materiellen
Ressourcen. Keine signifikanten Unterscheide finden sich im Hinblick auf so-
zioökonomischem Status im Stadt-Land-Vergleich. Kritische Lebensereignisse
sind besonders in Verbindung mit ungenügenden Unterstützungsressourcen
ebenfalls als Risikofaktoren für depressive Störungen zu werten. Des Weiteren
gelten in diesem Zusammenhang folgende Faktoren als depressionsbegünsti-
gend: Körperliche Morbidität, psychische Multimorbidität, im Besonderen
Angsterkrankungen, Substanzabhängigkeit und somatoforme Erkrankung.
2.5 Ätiologie
Unter der Ätiologie versteht man endogene oder exogene Faktoren, die Ursa-
chen oder Verstärker einer bestimmten Erkrankung, in diesem Fall der depres-
siven Störung, sind. Die Frage nach der Ursache ist nicht nur für die Wahl einer
adäquaten Behandlungsmethode von großer Bedeutung. Gerade die von einer
depressiven Episode betroffenen Menschen suchen häufig nach einem Auslö-
ser, der für das Auftreten der Erkrankung verantwortlich sein könnte. Allgemein

29
geht man aktuell jedoch nicht von einem monokausalen Erklärungsmodell aus,
sondern sieht die Entstehung einer depressiven Episode in einem multifaktoriel-
len Ursachenzusammenhang begründet. Wie im Punkt 2.5.2 ausführlicher
erläutert wird, sehen Vertreter des biochemischen Erklärungsmodells die de-
pressive Störung als Folge einer Disbalance von Neurotransmittern im mensch-
lichen Gehirn an. Als Gegensatz dazu wird auch die psychoanalytische
Sichtweise der Ätiologie depressiver Störung näher erläutert.
2.5.1 Vulnerabilitäts-Stress-Modell
Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell nach Zubin und Spring wurde ursprünglich als
Erklärungsmodell für Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis
entwickelt. In der heutigen psychiatrischen und psychotherapeutischen Praxis
wird es als gängiges Erklärungsmodell für psychiatrische Erkrankungen ver-
wendet.
Abbildung 2: Vulnerabilitäts-Stress-Modell (Zubin, J.; Spring, B., 1977, S. 103)
In diesem Modell wird von einem Zusammenwirken mehrer Faktoren ausge-
gangen, die einander wechselseitig beeinflussen. Das Zusammenspiel von

30
genetisch disponierter Anfälligkeit (Vulnerabilität) für depressive Störungen mit
dem Auftreten von Stressfaktoren kann zum Ausbruch einer Depression führen.
Soziale Netzwerke und adäquate Bewältigungsmöglichkeiten können eine
Ressource für den depressiven Patienten darstellen (Zubin, J.; Spring, B., 1977,
S. 103 ff). Unter der bei Zubin und Spring 1977 beschriebenen Vulnerabilität
versteht man eine genetisch bedingte Anfälligkeit für eine bestimmte Erkran-
kung. Der genetische Einfluss, der bei der Entstehung depressiver Störungen
mitverantwortlich ist, lässt sich durch Ergebnisse aus Zwillings- und Familien-
studien belegen. So besteht etwa bei eineiigen Zwillingen für den einen Zwilling
eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, depressiv zu werden, wenn der andere
Zwilling an einer schweren depressiven Störung erkrankt ist. Bei zweieiigen
Zwillingen minimiert sich das Erkrankungsrisiko bei der Erkrankung eines
Zwillings an einer depressiven Störung für den anderen Zwilling um die Hälfte.
Sind beide Elternteile an einer depressiven Störung erkrankt, liegt das Erkran-
kungsrisiko des Kindes bei über 50 Prozent (Wolpert, L., 2008, S. 83).
Der Begriff ,Stress' umfasst in diesem Kontext eine Vielzahl von belastenden
Lebensereignissen, deren Belastungsgrad abhängig vom Schweregrad des
Ereignisses und den vorhandenen Ressourcen, wie beispielsweise Bewälti-
gungsstrategien oder das Vorhandensein eines stabilen soziales Netzes, unter-
schiedlich empfunden wird. Vertreter des Vulnerabilität-Stress-Modells
beziehen sich in ihrer Behandlungsweise depressiver Patienten sowohl auf
biologische als auch auf psychosoziale Faktoren. Auch der Einsatz von körper-
licher Aktivität als stressreduzierende therapeutische Maßnahme ist in diesem
Kontext hervorzuheben.
2.5.2 Biochemische Faktoren
Vertreter des biochemischen Erklärungsansatzes von depressiven Störungen
legen den Fokus ihrer Behandlung vor allem auf die medikamentöse Therapie.
Wie in Punkt 2.7.1 noch ausführlicher beschrieben wird, setzt die körperliche
Aktivität als therapeutische Maßnahme ebenfalls auf eine Reduktion bezie-
hungsweise Eliminierung der depressiven Symptomatik in Folge biochemischer
Veränderungsprozesse. Im Punkt 2.5.2 beziehe ich mich in meinen Ausführun-
gen auf die Fachliteratur von R. Schandry (2006, S. 432).

31
Die These beschreibt ein biochemisches Ungleichgewicht der Monoamine als
Ursache einer depressiven Störung. Die Monoamine, Serotonin, Noradrenalin,
Adrenalin und Dopamin gehören zu den Neurotransmittern und nehmen Ein-
fluss auf unsere Gedanken, Gefühle und Körperfunktionen. Serotonin wird im
menschlichen Körper aus der Aminosäure L-Tryptophan gebildet und durch das
Enzym Monoamino-oxidase (MAO) abgebaut. Serotonin beeinflusst eine Viel-
zahl von Steuerungsprozessen für psychische und physiologische Reaktionen
und wirkt sich auf die Stimmungslage und Stressreaktion im Körper aus. Des
Weiteren spielt Serotonin bei der Regulation der Körpertemperatur und des
Schlafes eine große Rolle. Auch sexuelle Aktivität und Aggression stehen in
Zusammenhang mit dem serotonergen System. Bei der Depression konnte eine
reduzierte Aktivität des serotonergen Systems beobachtet werden. Allerdings
müssen auch andere Regulationssysteme, wie das noradrenerge und das
dopaminerge System vor allem bei depressiven Störungen mit wahnhafter
Komponente bei der Behandlung mitberücksichtigt werden. Noradrenalin gehört
zusammen mit Adrenalin und Dopamin zur Gruppe der Katecholamine. Auch im
noradrenergen System scheint es bei depressiven Störungen Abweichungen
vom Normalzustand zu geben. In der medikamentösen Therapie erzielt man
häufig mit selektiv wirkenden Noradrenalinagonisten eine für den Patienten
positive Wirkung, wobei bei diesen Patienten die Einnahme von Serotoninago-
nisten häufig keine Wirkung erzielt. Somit lässt sich die Ursache der depressi-
ven Störung nicht in einer Unterfunktion eines einzelnen Transmittersystems
finden. Das Zusammenspiel mehrerer Transmittersysteme beeinflusst unsere
psychische Befindlichkeit und ist als Ursache einer depressiven Störung zu
werten (ebd., S. 423 f). Darüber hinaus werden auch kognitive Fähigkeiten wie
Konzentration, Gedächtnisleistungen, Durchhaltevermögen und Kreativität von
den genannten Neurotransmittern beeinflusst.
Sieglinde Modell, Forscherin am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München
fand anhand einer Forschungsarbeit heraus, dass der Cortisolspiegel bei Men-
schen mit depressiven Störungen erhöht sei. Demzufolge begünstige CRH
(Corticotropin Releasing Hormone) die Entstehung einer Depression (Beck-
mann, F., Stand 20.09.2009, aufgerufen am 14.11.2009). Des Weiteren bele-
gen besagte Untersuchungen, dass bei depressiven Patienten eine Störung des
Kontrollsystems der Stresshormone vorliegt. Darüber hinaus weisen zahlreiche

32
Versuche darauf hin, dass ein erhöhter CRH - Spiegel tatsächlich Verhaltens-
änderungen hervorruft, die den Symptomen einer Depression entsprechen.
Beispielsweise verstärkt eine erhöhte Konzentration von CRH Angstsymptome,
beeinträchtigt kognitive Prozesse und reduziert den Appetit, die Schlafqualität
sowie die Libido (Depression-Therapie-Forschung, Stand 09.09.2008, aufgeru-
fen am 12.12.2009).
2.5.3 Psychoanalytischer Ansatz
Eine der psychoanalytischen Grundannahmen lautet, dass psychische Störun-
gen des Erwachsenenalters in frühkindlichen Erfahrungen begründet sind und
mit pathogenen Verarbeitungen zusammenhängen (Will, H., 2008, S. 75 ff).
Auch die depressive Störung, sofern sie nicht durch körperliche Prozesse
ausgelöst wurde, ist auf prägende Erfahrungen in der Kindheit zurückzuführen.
Welche Erfahrungen sind nun bedeutend für die Entwicklung einer depressiven
Störung im Erwachsenenalter? Folgende Merkmale einer groß angelegten
Studie wurden von der überwiegenden Mehrheit depressiver Patienten im
Hinblick auf ihre Kindheit getroffen:
Die Eltern zeigten häufig eine spezielle Mischung von mütterlicher Überbehü-
tung und gleichzeitig reduzierter elterlicher Anteilnahme. Parallel dazu berichte-
ten vor allem die an einer Dysthymia erkrankten Personen von Situationen aus
ihrer Kindheit, die von einer gefühlsarmen Kontrolle geprägt waren (ebd.). Die
aus Entwicklungsstörungen resultierenden Persönlichkeitszüge können eine
Prädisposition für eine depressive Störung darstellen. In psychoanalytischen
Sitzungen gilt es deshalb unter anderem jene Erfahrungen der Kindheit, die zu
Dysfunktionaliäten im Verhalten des Erwachsenen führten, mittels tiefenpsycho-
logischen Techniken aufzuarbeiten und zu modifizieren. Welche therapeuti-
schen Methoden heutzutage bei depressiven Störungen darüber hinaus noch
angewendet werden, wird auf den folgenden Textseiten erläutert.
2.6 Behandlungsmöglichkeiten bei Depressionen
Da die in Punkt 2.6 beschriebene Behandlungsmöglichkeiten äußerst vielfältig
sind, gibt die Tabelle 5 einen Überblick über die verschiedenen Bereiche.

33
Biologische
Thera-
pien
Psychotherapie
Soziotherapeutische
Maßnahmen
Ergänzende
Therapieformen
Phakmakotherapie
Elektrokrampftherapie
Lichttherapie
Repetitive transkraniel-
le Magnetstimulation
Kognitive Verhaltens-
therapie
Interpersonelle
Psychotherapie
Psychoedukation
Compliance
Activities
of
daily
Living
Schulung
kognitiver
Fähigkeiten
Einbeziehung
der
Familie
Förderung der sozia-
len
Integration
und
Stabilität
Kunsttherapie
Musiktherapie
Ergotherapie
Sport- und Bewe-
gungstherapie
Tabelle 5: Behandlungsmöglichkeiten bei depressiven Störungen
Die Tabelle 5 zeigt die gängigen Behandlungsmethoden bei Depressionen,
welche die folgenden Ausführungen der Punkte 2.6.1 bis 2.6.7 stichpunktartig
abbildet. Die Auswahl der Behandlungsmethoden bezieht sich auf den klini-
schen Alltag der Station P 12 und stellt allgemein gängige Behandlungsformen
depressiver Störungen der psychiatrischen Medizin in Deutschland dar.
2.6.1 Biologische Therapien
Pharmakotherapie
Die Informationen zum einführenden Abschnitt der Pharmakotherapie auf Seite
beziehen sich auf die Quelle von T. Haenel (2008, S. 137 f). Die medikamentö-
se Therapie mittels Psychopharmaka nimmt in der heutigen Behandlungsweise

34
von depressiven Störungen eine führende Position ein. Seit ungefähr fünfzig
Jahren wird die Behandlung von depressiven Störungen durch moderne Psy-
chopharmaka begleitet. Bei mittelschweren und schweren Depressionen sollte
eine medikamentöse Therapie parallel zur Psychotherapie erfolgen, da die
Pharmakotherapie schneller wirksam wird als die langfristig angelegte Psycho-
therapie.
Die Wirkungsweise der Antidepressiva kann je nach Präparat unterschiedlich
sein. Antidepressiva können eine stimmungsaufhellende, antriebssteigernde,
beruhigende, angstlösende und/oder schlaffördernde Wirkung erzielen. Das
Präparat wird abhängig von der Symptomatik der depressiven Störung ausge-
wählt. Zudem werden Kriterien wie Alter und Vorerkrankungen bei der Auswahl
des Antidepressivas im Hinblick auf die unerwünschten Begleiterscheinungen
mit berücksichtigt. In der Regel wirken Antidepressiva über die Regulation des
Hirnstoffwechsels durch die Neurotransmitter Noradrenalin und Serotonin.
Somit bestätigt die Wirksamkeit der Pharmakotherapie das bereits in Punkt
2.5.2 erläuterte biochemische Erklärungsmodell. Mögliche Nebenwirkungen bei
der Einnahme von Antidepressiva können vor allem vegetative Symptome wie
Mundtrockenheit, Schwindel, Müdigkeit, vermehrtes Schwitzen, Obstipation,
Herabsetzung der Libido, Tremor und Gewichtszunahme sein. Ferner kann es
jedoch auch zu schweren bis lebensbedrohlichen Nebenwirkungen wie Kram-
panfällen, dem deliranten Syndrom, Blutbildveränderungen oder Kardiomyo-
pathien kommen. Im Wesentlichen hängt die Intensität der Nebenwirkungen
von der Dosierung ab. Wie in Punkt 3 und 4 noch ausführlicher erwähnt wird, ist
regelmäßige körperliche Aktivität nicht nur als geeignetes Mittel einsetzbar, die
Dosis der Medikation so gering wie möglich zu halten, sondern dient auch zur
Reduktion der unerwünschten Begleiterscheinungen (Pitschel-Walz, G., 2003,
S. 26 f).
Die weiteren Ausführungen zu Phytopharmaka, Antipsychotika, Tranquilizer und
Sedativa orientieren sich an Pitschel-Walz, G. (2003). Ein relativ bekanntes
Phytopharmaka ist beispielsweise das Johanniskraut (Wirkstoff: Jarsin). Die-
ses Mittel kann bei leichten bis mittelschweren Depressionen eingesetzt wer-
den. Obwohl es sich bei diesen Präparaten um pflanzliche Medikamente
handelt, können dennoch unerwünschte Begleiterscheinungen wie beispiels-
weise übermäßige Lichtempfindlichkeit oder Pigmentverschiebung der Haut

35
auftreten. Ferner treten in manchen Fällen Wechselwirkungen mit anderen
Medikamenten auf.
Den Inhalt des folgenden Absatzes beziehe ich aus meiner Praxiserfahrung als
Krankenschwester. Typischerweise werden Antipsychotika hauptsächlich bei
der Behandlung von Symptomen akuter oder chronischer Psychosen wie Er-
krankungen aus dem schizophrenen Formenkreis verabreicht. Antipsychotika
blockieren eine überschüssige Dopaminausschüttung. Die Nebenwirkungen
sind je nach Wirkstoff ähnlich wie bei den Antidepressiva. Bei der Behandlung
depressiver Störungen mit psychotischen Symptomen wird meist eine Kombina-
tionstherapie mit einem Antidepressivum und einem Antipsychotikum durchge-
führt. Psychotische Symptome können bei depressiven Störungen wie bereits in
Punkt 2.2.1 beschrieben als wahnhafte Überzeugung zu Tage treten.
Wie bereits im einleitenden Abschnitt erwähnt, werden Tranquilizer und Seda-
tiva meist zu Beginn einer medikamentösen Therapie gegeben, bis die Antide-
pressiva ihre volle Wirkung entfalten. Tranquilizer und Sedativa wirken
anxiolytisch, vermindern Unruhezustände und fördern die Schlafqualität. Der
große Nachteil dieser Medikamentengruppe ist der Abhängigkeitsfaktor, der bei
regelmäßiger Einnahme, je nach Präparat und Dosierung, bereits nach wenigen
Wochen eintreten kann.
Viele Laien assoziieren mit der elektrokonvulsiven Behandlung (EKT) re-
pressive Maßnahmen, die bei schlecht führbaren Psychiatriepatienten in frühe-
ren Zeiten angewendet wurden. Sind auch heutzutage gewisse Vorbehalte
gegenüber der EKT berechtigt? Die Informationen zur EKT beziehen sich auf
meine klinischen Erfahrungen am Psychiatrischen und Psychotherapeutischen
Universitätsklinikum Erlangen-Nürnberg, sofern keine anderen Quellen ange-
geben sind. Die Behandlung findet unter einer kurzweiligen Vollnarkose statt,
die selbst von älteren Patienten gut vertragen wird. Viele Patienten, die einige
EKT- Behandlungen erhalten haben, fühlen sich nach eigener Aussage bezüg-
lich ihrer depressiven Symptomatik deutlich besser. Einige Patienten berichte-
ten unmittelbar nach der Behandlung von kleineren Nebenwirkungen wie
Kopfschmerzen und versiblen Gedächtnislücken. In der Regel werden zehn
Serien der EKT, normalerweise drei Serien pro Woche durchgeführt, da sich
erfahrungsgemäß häufig erst nach der fünften oder sechsten Serie eine spürba-

36
re Besserung der Symptomatik einstellt. Um Rezidiven der depressiven Störung
vorzubeugen, kommen die Patienten ungefähr drei Monate nach dem ersten
Behandlungskomplex für einen Tag zur Erhaltungs- EKT in die Klinik. Hinsicht-
lich der Wirkmechanismus der EKT-Behandlung geht man davon aus, dass
durch die Behandlung des Gehirns mit Elektrizität mehrere Neurotransmitter-
systeme und zahlreiche Hormone aktiviert werden, die eine antidepressive
Wirkung erzielen können. Durch eine Vielzahl von Untersuchungen konnte
nachgewiesen werden, dass die EKT-Behandlung eine schützende, zellwachs-
tumsfördernde Wirkung auf Gehirnzellen ausübt und somit dem degenerativen
Abbauprozess von Gehirnzellen entgegenwirkt. (Geretsegger, C., 2005, S.61).
Die Erfolgsquote nach einer EKT-Behandlung liegt im Durchschnitt bei 50-80
Prozent. Die Behandlung schlägt vor allem bei therapieresistenten depressiven
Patienten mit psychotischer Symptomatik besonders gut an (Haenel, T., 2008,
S. 164). Bei sach- und fachgemäßer Durchführung der EKT kann durch die
nebenwirkungsarme Behandlungsmethode, gerade bei schweren depressiven
Störungen, eine positive und nachhaltige Wirkung erzielt werden.
Die folgenden Ausführungen zur Lichttherapie orientieren sich and der Fachli-
teratur von D. Winkler und E. Pjrek (2005, S.48 f). Die Lichttherapie, im Engli-
schen 'Bright Light Therapy' genannt, kommt seit Anfang der 1980er Jahre bei
depressiven Störungen zum Einsatz. Vor Allem bei der saisonal abhängigen
Depression (SAD) werden durch die lichttherapeutische Behandlung, beson-
ders in Verbindung mit selektiven serotonergen Antidepressiva, meiner Erfah-
rung nach gute Erfolge verzeichnet. Die Nebenwirkungen der Lichttherapie sind
äußerst gering und nur in wenigen Fällen beschrieben. Als Begleiterscheinung
kann es zu Augenbrennen, Kopfschmerzen oder Übelkeit kommen. Laut der
Photochemischen Hypothese wird eine antidepressive Wirkung wird über das
Auge ausgelöst. Der Patient blickt mit seinen Augen direkt in die Lichtquelle.
Die Lichtimpulse werden über das Auge aufgenommen, über die Retina in
Nervenimpulse transformiert und wahrscheinlich über den Tractus retinohy-
pothamalicus an das Gehirn weitergegeben. Die Melatoninausschüttung wird
über Licht gesteuert, entsprechend gering ist der Melatoninspiegel bei Tag,
nachts lässt sich ein maximaler Melatoninspiegel nachweisen. Gemäß der
Melathoninhypothese beeinflusst Melatonin als Neurotransmitter die zirkadia-
nen Rhythmen im Zentralnervensystem des Menschen und bewirkt eine positi-

37
ve therapeutische Wirkweise von Melatoninrezeptoragonisten bei SAD. Die bei
SAD gestörte Ausschüttung von Melathonin lässt sich laut Studienergebnissen
durch die lichttherapeutische Behandlung wieder ausgleichen.
Die Ausführungen von W. Aichhorn (2005, S. 38 ff) sind Grundlage der folgen-
den Erläuterungen. Im Bereich der Neuropsychiatrie haben Barker und Jalinous
erstmalig 1985 in Sheffield die erste Stimulation durch die repetive transkra-
nielle Magnetstimulation (rTMS) bei einem depressiven Patienten durchge-
führt. Man geht davon aus, dass sich der Bereich der Depression im linken
dorsolateralen präfrontalen Kortex des Gehirns befindet. Diese Gehirnregion
wird mittels elektromagnetischer Induktion durch die rTMS beeinflusst. Die
rTMS fördert nachweislich die Durchblutung und den Metabolismus des linken
dorsolateralen präfrontalen Kortex. Durch die rTMS, wie auch bei der elektro-
konvulsiven Therapie, ist eine Aktivierung der Neurogenese möglich. Die anti-
depressive Wirkung der rTMS hängt mit der erhöhten Freisetzung der
Neurotransmitter Dopamin, Serotonin und Noradrenalin zusammen. Grundsätz-
lich bestehen durch die Anwendung der rTMS nur geringfügige gesundheitliche
Risiken. Bei Epilepsiepatienten und Patienten mit Schädel-Hirn-Traumen sollte
bei der Anwendung jedoch mit Vorsicht durchgeführt werden, da durch die
Anwendung epileptische Anfälle ausgelöst werden können. Kurzzeitige Kopf-
schmerzen, Zuckungen im Bereich des Anwendungsgebietes sind unmittelbar
nach der rTMS möglich. Die Anwendungsfrequenz liegt bei etwa zehn Sitzun-
gen innerhalb von zwei Wochen.
2.6.2 Psychotherapie
Insgesamt werden für die Behandlung unterschiedlicher psychischer Störungen
nicht weniger als 200 Arten von Psychotherapien gezählt. Der Ursprung aller
psychotherapeutischen Verfahren liegt in der psychoanalytischen Theorie nach
Sigmund Freud. Um sich in der Vielzahl der psychotherapeutischen Angebote
zurechtzufinden, sollten sich Betroffene im Vorfeld ausführlich über die aner-
kannten Therapiemethoden informieren. In Deutschland werden die Behand-
lungskosten bei einem Psychotherapeuten mit Kassenzulassung von den
Krankenkassen übernommen. (Kassenärztliche Vereinigung Bayern, Stand
2009, aufgerufen am 20.01.2010). Zu den anerkannten Verfahren gehören in
Deutschland die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT), die Interpersonelle Psy-

38
chotherapie (IPT), die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die
analytische Psychotherapie (Hegerl, U.; Althaus, D.; Reiners, H., 2006, S. 134).
Zur Behandlung der depressiven Störung haben sich vor allem die IPT und die
KVT etabliert (Hautzinger, M., 1998, S. 49). Andere psychotherapeutische
Therapiemodelle wie zum Beispiel die klientenzentrierte Therapie nach Rogers
oder die Systemische Therapie fallen ebenfalls in den psychotherapeutischen
Behandlungsbereich der depressiven Störungen, werden jedoch im Vergleich
zu den Verfahren der IPT und KVT weniger häufig eingesetzt (Lehofer, M.,
2005, S. 20). Durch meine Erfahrung im klinischen Alltag ist mir bekannt, dass
sich Psychotherapeuten häufig einer Kombination aus verschiedenen psycho-
therapeutischen Behandlungsmethoden bedienen. Ferner ist in der Praxis
parallel zur Psychotherapie eine medikamentöse Therapie bei mittelgradigen
und schweren depressiven Störungen üblich um die Symptomatik der Erkran-
kung zu lindern und damit die Voraussetzung für effektive Therapiesitzungen zu
schaffen. Im Folgenden werden die anerkannten psychotherapeutischen Ver-
fahren lediglich kurz erläutert, da der Schwerpunkt der Arbeit auf der körperli-
chen Aktivität als Therapiemethode bei depressiven Störungen liegt. Für
interessierte Leser, die sich ausführlicher zum Thema Psychotherapie bei
Depressionen informieren möchte, empfehle ich die Fachliteratur von Schauen-
burg und Hofmann (2007).
Kognitive Verhaltenstherapie
Bei dieser Therapiemethode geht es um eine Veränderung von Verhalten und
Kognition durch die Modifikation dysfunktionaler Denkmuster. Die Ursache für
die Depression wird in früheren Lernprozessen gesehen. In den Therapiesit-
zungen werden, abgesehen von den therapeutischen Gesprächen, Übungen
besprochen, die der Patient in seinem Umfeld einsetzen soll, um eine langfristi-
ge Modifikation destruktiver Denk- und Verhaltensmuster herzustellen. Die
veränderten Verhaltensmuster zielen auf eine positive Verstärkung der Umwelt
ab und wirken sich somit direkt auf das Leben des Patienten aus (Wolpert, L.,
2008, S. 233). Viele depressive Patienten neigen dazu, sich durch dysfunktio-
nale Gedanken selbst abzuwerten und verstärken auf diese Weise die depres-
sive
Symptomatik.
Der
Einsatz
von
Kommunikationsübungen
oder
Rollenspielen zielt auf eine Erweiterung des Erkenntnisprozesses im Hinblick

39
auf problematische Denk- und Verhaltensmuster ab (Wolfersdorf, M., 1995, S.
128). Auch Verhaltenstherapie gehört, genauso wie die Interpersonelle Thera-
pie, zu den Kurzzeitbehandlungen und umfasst bis zu 20 Stunden in einem
Zeitraum von drei bis vier Monaten. Als anerkannte Therapiemethode ist die
Kostenübernahme durch die Krankenkassen für die therapeutischen Sitzungen
gesichert. Die Verhaltenstherapie gilt als die wissenschaftlich am häufigsten
untersuchte Psychotherapiemethode und erzielt im Hinblick auf ihre Wirksam-
keit durchgehend sehr gute Ergebnisse (Lehofer, M., 2005 S. 23).
Psychoanalytische Therapie
Soweit keine weiteren Angaben verzeichnet sind, entnehme ich die folgenden
Ausführungen zur psychoanalytischen Therapie aus M. Lehofer (2005, S. 19 f).
Wie bereits in Punkt 2.5.3 erwähnt, vertreten Anhänger des psychoanalytischen
Erklärungsmodells die Annahme, dass psychische Störungen, so auch die
Depression, auf Grund von ungelöste Konflikten und Traumata in der Kindheit
entstehen. Durch die Betonung der Einflussgröße der Ich-Funktionen sowie des
Selbstkonzepts fand eine positive Weiterentwicklung des Konzepts von Freud
(1890) durch Sullivan und Mahler statt. Auf Grund dieser unbewussten Konflikte
entwickeln sich nicht bewusste Impulse, die wegen bestehender sozialer Nor-
men nicht ausgelebt werden können. Durch diese Ambivalenz kommt es zur
Symptombildung, die wiederum zum Lösungsversuch des Konflikts mittels
insuffizienter Maßnahmen führt. Das Hauptziel der psychoanalytischen Thera-
pie ist es, den biographischen Bezug der gegenwärtigen Depression zur le-
bensgeschichtlichen Entwicklung zu beleuchten, aufzuhellen, zu bearbeiten
(Wolfersdorf, M., 1995, S. 127). In den einzelnen therapeutischen Sitzungen
werden konfliktreiche Situationen der frühen Kindheit bearbeitet und reflektiert.
Zudem werden aktuell belastende Situationen, Ereignisse oder Beziehungen
aufgegriffen und die depressive Reaktion des Patienten hinterfragt. Ein weiteres
Ziel der psychoanalytischen Verfahren ist das Erkennen der eigenen Persön-
lichkeitsstruktur. Durch die therapeutische Beziehung zwischen Patient und
Therapeuten werden verdrängte Gefühle aus der Kindheit aktualisiert. Der
Therapeut nimmt die Rolle eines Interpreten ein und wirkt als positive Bezugs-
person auf den Patienten ein. Weitere psychoanalytische Therapieverfahren
sind:

40
Freie Assoziation
Widerstandsanalyse
Traumanalyse
Die psychoanalytische Therapie wird traditioneller Weise als Langzeittherapie
angeboten und umfasst einen Umfang von 160 bis 240 Stunden. Wie bei der
tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie werden die Kosten von der
Krankenkasse übernommen.
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
Die Theorie und die Behandlungstechniken psychischer Störungen orientieren
sich an der psychoanalytischen Psychotherapie, wobei die tiefenpsychologische
fundierte Psychotherapie weniger auf frühkindliche Konflikte eingeht, sondern
vielmehr aktuelle Problematiken behandelt. Die Behandlungsdauer der tiefen-
psychologisch fundierten Psychotherapie umfasst eine Anzahl von 50 bis zu 80
Stunden. Studien aus den USA haben ergeben, dass bei einer Kurzzeitbehand-
lung von 20 Therapiestunden die Rezidivquoten stark ansteigen. Die Wirksam-
keit der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie bei depressiven
Störungen ist nicht gut belegt, was nicht automatisch bedeutet, dass diese
Therapieform bei Depressionen wirkungslos ist (Schauenburg, H.; Hofmann, B.,
2007, S. 45 ff).
Interpersonelle Therapie
Die Wirksamkeit der Interpersonellen Therapie (IPT) ist besonders im Hinblick
auf depressive Störungen durch empirische Untersuchungen bewiesen. Sie ist
eine schulenübergreifende Therapiemethode, die sich nicht einer einzigen
Richtung zuordnen lässt. Bei der IPT handelt es sich um eine Kurzzeitbehand-
lung, die auf sich in der Regel auf einen Zeitraum zwischen 12 und 20 Wochen
beläuft und bis zu 20 Therapiesitzungen umfasst. Die IPT ist bei ambulanten
Patienten mit leichten bis mittelgradigen Depressionen sehr gut anwendbar und
wird, ein wenig modifiziert, auch im klinischen Bereich eingesetzt. Je nach
Schweregrad der Depression ist gegebenenfalls eine medikamentöse Therapie
parallel zur IPT indiziert. Die primäre Vorgehensweise liegt in der Fokussierung
auf aktuelle interpersonelle Problembereiche, die im Kontext zur depressiven

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783842801264
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg – Sozialwissenschaften, Soziale Arbeit
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
depression bewegung sport therapie konzept
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Titel: Die Wirksamkeit von körperlicher Aktivität bei depressiven Störungen und der Vorschlag eines Konzeptentwurfs für die Praxis
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