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Maladaptive Schemata, Emotionserleben und Emotionsregulierung bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen

©2009 Diplomarbeit 132 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen ist das Selbstwertgefühl stark vermindert. Laut Grawe wurden die Grundbedürfnisse der Betroffenen in Kindheit und Jugend nicht ausreichend befriedigt und diese Niederschläge früherer Beziehungserfahrungen führen laut Young, Klosko und Weishaar zu negativen emotionalen Erlebenszuständen, die sich in Form von negativen emotionalen Schemata manifestieren. Um diese negativen Erlebenszustände zu verhindern, entwickeln Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung dysfunktionale Bewältigungsstrategien, die eine gesunde Selbstwertentwicklung nicht möglich machen. Folglich wird laut Roediger der Selbstwert der Betroffenen durch negative, innere Selbstattributionen sehr belastet. Durch ihre dysfunktionalen Beziehungsinteraktionen sind sie in ihrem Verhalten oft eher wenig kompetent und dies führt wiederum zu negativen Rückmeldungen. Es entsteht ein Teufelskreis. Die negativen sozialen Erfahrungen festigen das bereits beeinträchtigte Selbstwertgefühl und erhalten die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit aufrecht. Gelingt es nicht, die dysfunktionalen Bewältigungsstrategien zu ändern, laufen Betroffene Gefahr, durch Intensivierung der dysfunktionalen Lösungsversuche in manifeste psychische Störungen zu dekompensieren.
Diese Arbeit untersucht das Thema Persönlichkeitsstörungen in Hinblick auf dysfunktionale Schemata, Emotionserleben und Emotionsregulierung. Ziel dieser Arbeit soll es sein, eine klinische Stichprobe mit Persönlichkeitsstörungen und einer Kontrollgruppe auf ihre dysfunktionalen Schemata zu untersuchen und auf ihre Unterschiede im Ausmaß der vorhandenen Schemata, deren Ausprägung und die Art der Emotionsregulation hin zu prüfen.
Die Arbeit wird in verschiedene Abschnitte gegliedert. Zu Beginn des theoretischen Teils werde ich ausführlich auf die Persönlichkeitsstörungen eingehen. Es werden einige grundlegende Begriffe definiert, ein Gesamtbild der Persönlichkeitsstörungen geschaffen und schließlich wird detailliert auf die einzelnen Persönlichkeitsstörungen eingegangen. Darauf folgt der Abschnitt des Modells der Schematherapie, in dem die Entstehung und die verschiedenen dysfunktionalen Schemata beschrieben werden.
Aktuelle Forschungsergebnisse zu diesem Thema liegen derzeit keine vor. Es gibt einige Studien zu dem Thema des Young Schema Questionnaire, aber keine untersucht Zusammenhänge der dysfunktionalen Schemata und der Emotionsregulation bei Patienten mit […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Persönlichkeitsstörungen
2.1. Grundlegende Begriffe
2.1.1. Die Persönlichkeit
2.1.2. Die Persönlichkeitsentwicklung
2.1.3. Definition von Störung
2.1.4. Persönliche Stile
2.1.5. Ich-Syntonie
2.2. DSM-IV Diagnostik
2.3. Die Persönlichkeitsstörungen nach DSM IV
2.3.1. Die Paranoide Persönlichkeitsstörung
2.3.2. Die Schizoide Persönlichkeitsstörung
2.3.3. Die Schizotypische Persönlichkeitsstörung
2.3.4. Die Antisoziale Persönlichkeitsstörung
2.3.5. Die Borderline Persönlichkeitsstörung
2.3.6. Die Histrionische Persönlichkeitsstörung
2.3.7. Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung
2.3.8. Die Vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung
2.3.9. Die Dependente Persönlichkeitsstörung
2.3.10. Die Zwanghafte Persönlichkeitsstörung
2.3.11. Die Negativistische Persönlichkeitsstörung
2.3.12. Die Depressive Persönlichkeitsstörung
2.4. Die Bedeutung von Scham, Schuld und Aggression bei Persönlichkeitsstörungen
2.5. Alexithymie als Dimension von Persönlichkeitsstörung

3. Das Modell der Schematherapie
3.1. Definition Schema
3.1.1. Frühe maladaptive Schemata
3.1.2. Ursprünge der Schemata
3.1.3. Schemadomänen und frühe maladaptive Schemata
3.2. Drei maladaptive Bewältigungsstile
3.2.1 Überkompensation
3.2.2. Vermeiden
3.2.3. Sich-Fügen
3.2.4. Schemata, Bewältigungsreaktionen und Achse-II-Diagnosen
3.3. Schemamodi
3.3.1. Entwicklung des Moduskonzeptes
3.3.2. Zehn Schemamodi

4. Stand der Forschung
4.1 Kritik

5. Fragestellung und Hypothesengenerierung
5.1 Fragestellungen in Bezug auf die dysfunktionalen Schemata
5.2. Fragestellung in Bezug auf das Emotionserleben
5.3. Fragestellungen in Bezug auf die Emotionsregulation
5.4. Fragestellung in Bezug auf Zusammenhänge der Skalen des Young Schema Questionnaire und der Skalen des Fragebogen zu Emotionserleben und Emotionsregulation

6. Untersuchungsmethode
6.1. Durchführung der Untersuchung
6.2. Kriterien für die Aufnahme in die Stichprobe
6.3. Operationalisierung der abhängigen und unabhängigen Variable
6.4. Erhebungsinstrumente
6.4.1. Das Strukturierte Klinische Interview für das DSM-IV (Wittchen, Zaudig und Fydrich, 1997)
6.4.2. Das Young Schema Questionnaire (Berbalk, H., Grutschpalk, J., Parfy, E. & Zarbock, G., 2006)
6.4.3. Der Fragebogen zur Erfassung von Emotionserleben und Emotionsregulation (Benecke, Vogt, Bock, Peham & Koschier)
6.5. Verwendete statistische Verfahren (Signifikanztests)
6.5.1. Der Kolmogorov-Smirnov-Test
6.5.2. Der Produkt-Moment-Korrelations-Koeffizient nach Pearson
6.5.3. Die einfaktorielle Varianzanalyse

7. Ergebnisdarstellung
7.1.1. Beschreibung der Untersuchungsgruppe
7.1.2. Die dysfunktionalen Schemata der untersuchten Stichprobe
7.1.3. Das emotionale Erleben der untersuchten Stichprobe
7.1.4. Die Emotionsregulierung der untersuchten Stichprobe
7.1.5. Zusammenhänge der Skalen zum Emotionserleben des EER und der Skalen des Young Schema Questionnaire (YSQ-S3)
7.1.6. Zusammenhänge der Skalen zur Emotionsregulation des EER und der Skalen des Young Schema Questionnaire (YSQ-S3)

8. Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
8.1. Die dysfunktionalen Schemata der untersuchten Stichprobe
8.1.1. Borderline-Persönlichkeitsstörung versus Kontrollgruppe
8.1.2. Borderline-Persönlichkeitsstörung versus selbstunsichere, zwanghafte und paranoide Persönlichkeitsstörung
8.1.3. Depressive Persönlichkeitsstörung versus Kontrollgruppe
8.1.4. Depressive Persönlichkeitsstörung versus selbstunsichere, zwanghafte und paranoide Persönlichkeitsstörung
8.1.5. Selbstunsichere, zwanghafte und paranoiden Persönlichkeitsstörung versus Kontrollgruppe
8.2. Das emotionale Erleben der untersuchten Stichprobe
8.2.1. Borderline-Persönlichkeitsstörung versus depressive Persönlichkeitsstörung
8.2.2. Borderline-Persönlichkeitsstörungen versus Kontrollgruppe
8.2.3. Depressive Persönlichkeitsstörungen versus Kontrollgruppe
8.2.4. Depressive Persönlichkeitsstörungen versus selbstunsichere, zwanghafte und paranoide Persönlichkeitsstörung
8.2.5. Selbstunsichere, zwanghafte und paranoide Persönlichkeitsstörungen versus Kontrollgruppe
8.3. Die Emotionsregulierung der untersuchten Stichprobe
8.3.1. Borderline-Persönlichkeitsstörung versus depressive Persönlichkeitsstörung
8.3.2. Depressive Persönlichkeitsstörung versus Kontrollgruppe
8.3.3. Depressive Persönlichkeitsstörungen versus selbstunsichere, zwanghafte und paranoide Persönlichkeitsstörungen
8.3.4. Selbstunsicher, zwanghafte und paranoide Persönlichkeitsstörung versus Kontrollgruppe
8.4. Zusammenhänge der Skalen des Fragebogens zu Emotionserleben und Emotionsregulation (EER) und der Skalen des Young Schema Questionnaire (YSQ-S3)

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen ist das Selbstwertgefühl stark vermindert. Laut Grawe (2004) wurden die Grundbedürfnisse der Betroffenen in Kindheit und Jugend nicht ausreichend befriedigt und diese Niederschläge früherer Beziehungserfahrungen führen laut Young, Klosko und Weishaar (2008) zu negativen emotionalen Erlebenszuständen, die sich in Form von negativen emotionalen Schemata manifestieren. Um diese negativen Erlebenszustände zu verhindern, entwickeln Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung dysfunktionale Bewältigungsstrategien, die eine gesunde Selbstwertentwicklung nicht möglich machen. Folglich wird laut Roediger (2007) der Selbstwert der Betroffenen durch negative, innere Selbstattributionen sehr belastet. Durch ihre dysfunktionalen Beziehungsinteraktionen sind sie in ihrem Verhalten oft eher wenig kompetent und dies führt wiederum zu negativen Rückmeldungen. Es entsteht ein Teufelskreis. Die negativen sozialen Erfahrungen festigen das bereits beeinträchtigte Selbstwertgefühl und erhalten die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit aufrecht. Gelingt es nicht, die dysfunktionalen Bewältigungsstrategien zu ändern, laufen Betroffene Gefahr, durch Intensivierung der dysfunktionalen Lösungsversuche in manifeste psychische Störungen zu dekompensieren.

Diese Arbeit untersucht das Thema Persönlichkeitsstörungen in Hinblick auf dysfunktionale Schemata, Emotionserleben und Emotionsregulierung. Ziel dieser Arbeit soll es sein, eine klinische Stichprobe mit Persönlichkeitsstörungen und einer Kontrollgruppe auf ihre dysfunktionalen Schemata zu untersuchen und auf ihre Unterschiede im Ausmaß der vorhandenen Schemata, deren Ausprägung und die Art der Emotionsregulation hin zu prüfen.

Die Arbeit wird in verschiedene Abschnitte gegliedert. Zu Beginn des theoretischen Teils werde ich ausführlich auf die Persönlichkeitsstörungen eingehen. Es werden einige grundlegende Begriffe definiert, ein Gesamtbild der Persönlichkeitsstörungen geschaffen und schließlich wird detailliert auf die einzelnen Persönlichkeitsstörungen eingegangen. Darauf folgt der Abschnitt des Modells der Schematherapie, in dem die Entstehung und die verschiedenen dysfunktionalen Schemata beschrieben werden.

Aktuelle Forschungsergebnisse zu diesem Thema liegen derzeit keine vor. Es gibt einige Studien zu dem Thema des Young Schema Questionnaire, aber keine untersucht Zusammenhänge der dysfunktionalen Schemata und der Emotionsregulation bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen. Es liegt eine Arbeit von Ball und Cecero (2001) vor, die Zusammenhänge zwischen dem klinisch strukturierten Interview (SKID II), Schweregrad und Persönlichkeitseigenschaften, frühe maladaptive Schemata und gemeinsame Symptome der antisozialen, Borderline-, vermeidend-selbstunsicheren und depressiven Persönlichkeitsstörung untersucht. Die Untersuchung zeigte, dass der Schweregrad der einzelnen Persönlichkeitsstörungen mit einem einzigartigen Profil der Symptome zusammenhängt, dem Eigenschaften und Schemata zugrunde liegen. Diese Arbeit ist demnach für die Untersuchung von Bedeutung, da die Patienten alle nach dem klinisch strukturierten Interview SKID I und SKID II diagnostiziert wurden und es nachweislich Zusammenhänge zwischen dem SKID II und psychischer Störungen zugrunde liegender maladaptiver Schemata zu geben scheint.

Im methodischen Teil wird auf die Operationalisierung, den Untersuchungsinstrumenten und den verwendeten inferenzstatistischen Verfahren eingegangen. Die Untersuchung ist hypothesengenerierend. Anschließend wird die Stichprobe beschrieben, die Hypothesen dargestellt und die Ergebnisse der Untersuchung vorgelegt. Den Abschluss der Arbeit bildet die Zusammenfassung der Ergebnisse.

2. Die Persönlichkeitsstörungen

Bevor man sich den Persönlichkeitsstörungen zuwendet, ist es zunächst notwendig Begriffe wie „Persönlichkeit“, „Störung“ und „persönliche Stile“ zu definieren.

2.1. Grundlegende Begriffe

2.1.1. Die Persönlichkeit

Der Begriff der „Persönlichkeit“ wird von vielen Autoren unterschiedlich definiert. Fiedler (2007) gibt folgende Definition:

„Persönlichkeit und Persönlichkeitseigenschaften eines Menschen sind Ausdruck der für ihn charakteristischen Verhaltensweisen und Interaktionsmuster, mit denen er gesellschaftlich-kulturellen Anforderungen und Erwartungen zu entsprechen und seine zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Suche nach einer persönlichen Identität mit Sinn zu füllen versucht. „(Fiedler, 2007. S. 2)

Jeder Mensch hat seine unverwechselbare Art und Weise zu denken, wahrzunehmen, zu fühlen und zu reagieren. Die einzigartige Konstellation von Gefühlen, Verhaltensweisen und Gedanken bezeichnet man als Persönlichkeit. Diese ist es auch, die es dem Menschen gestattet zu wachsen, zu funktionieren und sich an das Leben anzupassen. Bei manchen Menschen ist die Persönlichkeit unflexibel und starr, was sie unglücklich und unerfüllt macht. Es ist den Betroffenen nicht möglich kreativ auf Lebensanforderungen zu reagieren und sind so außerstande ihr Leben befriedigend zu gestalten. Anstatt Persönlichkeitsstile herauszubilden, entstehen laut Fiedler (2000) bei diesen Menschen Persönlichkeitsstörungen.

Fiedler (2007) stellt in seiner Definition jene Merkmale eines Menschen in den Mittelpunkt, die ihn einzigartig machen und ihn somit von anderen unterscheiden. Das sind Handlungsmuster, die durch das Ausmaß ihrer Abweichungen von den sozialen Regeln gekennzeichnet werden können. Er betont, dass Abweichungen nicht sofort als auffällig oder pathologisch anzusehen sind und nicht immer gezwungener Maßen soziale Ausgrenzung mit sich bringen. Abweichungen können sich durchaus positiv äußern. Eine Abweichung nach oben des Merkmals „Kreativität“ ist nicht selten mit einer hohen sozialen Wertigkeit verbunden.

2.1.2. Die Persönlichkeitsentwicklung

Für die Persönlichkeitsentwicklung spielt laut Fiedler (2000) die genetische und biologische Prädisposition eine entscheidende Rolle. Sie ist die Grundlage für die mehr oder weniger stabile Organisation des Temperament, des Intellekts, des Charakters und des Körperbaus, welche eine einzigartige Anpassung an die Umwelt abverlangen. Ob sich diese Vorraussetzungen in Richtung sozial angepasster persönlicher Stil oder in Richtung Persönlichkeitsstörung entwickeln, ist von unterschiedlichen sozialen, entwicklungspsychologischen und gesellschaftlichen Faktoren abhängig. Während man viele Jahre davon ausging, dass die Persönlichkeit und die Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen in der Kindheit geprägt werden und im Laufe des Lebens weitgehend unverändert bleiben, sprechen neue Erkenntnisse dafür, dass die Persönlichkeitsreifung kontinuierlich ist und die Persönlichkeitsentwicklung ein Leben lang weitergeht. Dies betrifft auch die Möglichkeit zur positiven Veränderung von Persönlichkeitsstörungen, welche psychotherapeutische Behandlung sinnvoll werden lässt.

2.1.3. Definition von Störung

Persönlichkeitseigenschaften werden üblicherweise erst dann mit dem Etikett „Persönlichkeitsstörungen“ belegt, wenn sie deutlich in Richtung eines Leidens der Betroffenen oder Devianz auffällig werden. Die Übergänge zwischen sozial akzeptierter und nicht akzeptierter Abweichung ist kontextabhängig und fließend, deshalb erfolgt die Diagnose „Persönlichkeitsstörung“ laut Fiedler (2007) fast zwangsläufig in einem Bereich persönlicher und zwischenmenschlicher, wissenschaftlicher und gesellschaftlich-kultureller Streitfragen und Konfliktzonen.

2.1.4. Persönliche Stile

Nach Fiedler (2000) gehören Persönlichkeitseigenarten und auch die Persönlichkeitsstörungen als persönliche Stile zur Person dazu. Deshalb kann man nicht erwarten, dass sich eine Person selbst die Diagnose einer Persönlichkeit zuschreibt. Auch wenn der Betroffene unter den Folgen von mitverursachten Interaktionsschwierigkeiten leidet, erlaubt nur die Außenperspektive eines Diagnostikers oder zunächst auch die einer Bezugsperson die Schlussfolgerung einer „gestörten“ Persönlichkeit. Der Unterschied zwischen Persönlichkeitsstil und Persönlichkeitsstörung ist eine Frage des Ausprägungsgrades. Gewisse Persönlichkeitsstile haben bestimmte Merkmale der Persönlichkeitsstörungen gemeinsam. Persönliche Stile sind jedoch weniger stark und extrem ausgeprägt.

2.1.5. Ich-Syntonie

Bei Personen mit Persönlichkeitsstörungen werden gemäß Fiedler (2007) die abweichenden Muster selten als störend, abweichend oder normverletzend wahrgenommen. Deshalb wird von den Betroffenen kaum eine „gestörte Persönlichkeit“ selbst diagnostiziert. Das bezeichnet man als Ich-Syntonie. Ganz im Unterschied dazu werden viele andere psychische Störungen und Syndrome als „ich-dyston“ erlebt. Die Betroffenen empfinden die Störungen als nicht zu sich zugehörig und möchten sich deshalb wieder davon frei machen. Während die Ich-Syntonie der Persönlichkeitsstörungen auf Beurteilung von Verhaltensabweichungen aus der Außenperspektive beruhen. Für die Betroffenen werden Interaktionsprobleme erst durch Kritik und Rückmeldung anderer sichtbar und nicht immer als unangemessen und änderungsbedürftig wahrgenommen.

2.2. DSM-IV Diagnostik

In beiden Systemen DSM-IV (APA, 1995) und ICD-10 (WHO, 1993) finden sich typologische Systematisierungen. Diese Prototypenperspektive stellt folgende Anforderungen an eine Klassifikation psychischer Störungen (vgl. Fiedler, 1998a, zitiert nach Fiedler, 2000):

- Akzeptanz von Mehrfachdiagnosen bei ein und derselben Person;
- Auf eine Person braucht jeweils nur ein Teil der Kriterien für eine Diagnosevergabe zuzutreffen;
- Die Kriterien sollten qualitativ gewichtet sein (und damit eine Dimensionierung der Schwere der Störung ermöglichen
- Es sollten prototypische Merkmale benannt sein, die für das jeweilige Störungsbild als besondere Markierungspunkte gelten.

Das DSM-IV (Saß, Wittichen, Zaudig & Houben, 2003) versucht die Komplexität und Differenziertheit psychischer Störungen durch eine multitaxiale Diagnosestellung zu erfassen:

- Achse I: klinische Störungen und Syndrome
- Achse II: Persönlichkeitsstörungen und geistige Behinderungen
- Achse III: körperliche Störungen und Zustände
- Achse IV: psychosoziale und kontextuelle Belastungsfaktoren
- Achse V: Globalbeurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus

Laut Fiedler (2007) werden die Persönlichkeitsstörungen auf Achse II kodiert, um sie von den Achse I – Störungen und von den Achse III – Störungen gesondert betrachten zu können. Wie bei den meisten Achse I Syndromdiagnosen, sind auch auf Achse II Mehrfachdiagnosen möglich, wenn die Betroffenen die Kriterien erfüllen.

Die derzeitigen diagnostischen Klassifikationsmanuale ICD-10 und DSM-IV sehen davon ab, eine Persönlichkeitsstörungsdiagnose vor dem 17. Lebensjahr zu vergeben, da man aufgrund von Entwicklungsprozessen erst am Ende des Jugendalters von einem überdauernden stabilen Muster von Verhaltensmerkmalen ausgehen kann. Laut Krischer, Stippel und Sevecke (2007) stellen neuere empirische Erkenntnisse selbst die Stabilität von Persönlichkeitsstörungen selbst im Erwachsenenalter in Frage und schlagen vor, Persönlichkeitsstörungen zumindest ab dem frühen Jungendalter zu diagnostizieren. Von dem DSM-IV ausdrücklich ausgenommen von einer Diagnose vor dem 18. Lebensjahr wird die Antisoziale Persönlichkeitsstörung. Zwar werden auffällige Verhaltensweisen vor dem 10. und 15. Lebensjahr in den Kriterienkatalog aufgenommen, diagnostiziert werden kann die aber erst ab dem Alter von 18 Jahren.

Im DSM-IV werden im Kapitel über Persönlichkeitsstörungen zehn verschiedene Persönlichkeitsstörungen beschrieben:

1. Die Paranoide Persönlichkeitsstörung ist durch ein Muster von Misstrauen und Argwohn bestimmt. Den anderen wird in ihren Motiven Bosheit unterstellt.
2. Die Schizoide Persönlichkeitsstörung ist durch ein Muster von Distanziertheit in sozialer Hinsicht und von einer eingeschränkten emotionalen Bandbreite emotionaler Ausdrucksmöglichkeiten bestimmt.
3. Die Schizotypische Persönlichkeitsstörung ist durch ein Muster starken Unbehagens in nahen Beziehungen, von Verzerrung des Denkens und der Wahrnehmung und von Eigentümlichkeiten des Verhaltens gekennzeichnet.
4. Die Antisoziale Persönlichkeitsstörung ist durch ein Muster von Missachtung und Verletzung der Rechte anderer gekennzeichnet.
5. Die Borderline Persönlichkeitsstörung ist durch Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie in der Impulskontrolle gekennzeichnet.
6. Die Histrionische Persönlichkeitsstörung ist durch ein Muster von Emotionalität und Heischen nach Aufmerksamkeit bestimmt.
7. Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung ist durch ein Muster von Großartigkeitsgefühlen, einem Bedürfnis nach Bewundertwerden sowie mangelnder Empathie bestimmt.
8. Die Vermeidend-Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung ist durch ein Muster von sozialer Hemmung, Unzulänglichkeit und Überempfindlichkeit gegenüber negativer Bewertung gekennzeichnet.
9. Die Dependente Persönlichkeitsstörung ist durch ein Muster von unterwürfigem und anklammerndem Verhalten, das in Beziehungen zu einem übermäßigen Bedürfnis nach Umsorgtwerden führt, gekennzeichnet.
10. Die Zwanghafte Persönlichkeitsstörung ist durch ein Muster von ständiger Beschäftigung mit Ordnung, Perfektionismus und Kontrolle gekennzeichnet.
11. Die Nicht Näher Bezeichnete Persönlichkeitsstörung darf in zwei Fällen codiert werden: wenn der Betroffene Kriterien mehrerer Persönlichkeitsstörungen, aber nicht die Kriterien irgendeiner spezifischen Persönlichkeitsstörung erfüllt und wenn das gegebene Persönlichkeitsmuster die Kriterien einer Persönlichkeitsstörung erfüllt, die Form aber nicht im Manual klassifiziert ist (z.B. die passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung).

Das DSM-IV unterteilt die Persönlichkeitsstörungen in drei Cluster, in denen deskriptiv ähnliche Persönlichkeitsstörungen zusammengefasst werden:

- Cluster A: die Paranoide, die Schizoide und die Schizotypische Persönlichkeitsstörung. Die Betroffenen erscheinen exzentrisch und sonderbar.
- Cluster B: die Antisoziale, die Borderline, die Histrionische und die Narzisstische Persönlichkeitsstörung. Die Betroffenen erscheinen oft dramatisch, emotional oder launisch.
- Cluster C: die Vermeidend-Selbstunsichere, die Dependente und die Zwanghafte Persönlichkeitsstörung. Die Betroffenen erscheinen oft ängstlich oder furchtsam.

Cluster sind lediglich eine künstliche Einteilung der Persönlichkeitsstörungen, deshalb ist es möglich, dass Personen Kriterien erfüllen, die zwei verschiedenen Clustern angehören.

Saß et al. (2003) definieren Persönlichkeitszüge als überdauernde Muster des Wahrnehmens, der Beziehungsgestaltung und des Denkens über die Umwelt und sich selbst. Nur wenn diese unflexibel und unangepasst sind und zu Beeinträchtigungen verschiedener Funktionen oder zu subjektiven Leiden führen, bilden sie eine Persönlichkeitsstörung. Das wesentliche Merkmal einer Persönlichkeitsstörung ist gemäß Saß et al. (2003) ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten, das von den soziokulturellen Vorstellungen und Erwartungen deutlich abweicht und sich in mindestens in zwei der folgenden Bereiche bemerkbar macht: Denken, Affektivität, Beziehungsgestaltung und Impulskontrolle. Die Muster müssen überdauernd sein, weitgehend in persönlichen und sozialen Situationen auftreten und rigide sein. Es muss in klinisch bedeutsamer Weise zu Leiden oder zu Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen kommen. Das Muster ist stabil und lang andauernd und kann bis ins frühe Erwachsenenalter zurückverfolgt werden. Das Muster darf nicht besser durch die Folgeerscheinung einer andern psychischen Störung erklärt werden und nicht auf die Wirkung einer Substanz oder eines medizinischen Krankheitsfaktor zurückgeführt werden. Im DSM-IV wird darauf hingewiesen, dass bei der Diagnosestellung unbedingt der soziale und kulturelle Hindergrund beachtet werden muss. Persönlichkeitsstörungen dürfen nicht mit soziokulturellen Anpassungsversuchen, wie sie zum Beispiel bei Einwanderung der Fall sind, verwechselt werden (Saß et al., 2003).

Laut Spitzer und Barnow (2005) sollte die Somatisierung als eigenständige Dimension bei den Persönlichkeitsstörungen in Betracht gezogen werden. Obwohl somatoforme Symptome historisch eng mit der Hysterie und der Histrionischen Persönlichkeitsstörung verbunden sind, stellen sie im Klassifikationssystem ICD-10 und DSM-IV kein diagnostisches Kriterium bei den Persönlichkeitsstörungen dar. Aus psychoanalytisch-psychodynamischer Perspektive sind bei der Somatisierung und auch bei Persönlichkeitsstörungen zentrale Ich-Funktionen gestört, was sich entwicklungspsychologisch erklären lässt. Dies ist auch aus kognitiv-behavioraler Sicht bedeutend, da das Modelllernen und dysfunktionale Bewertungsprozesse bei der Somatisierung eine wichtige Rolle spielen. Nach Spitzer und Barnow (2005) haben Somatisierungsstörungen und Persönlichkeitsstörungen eine hohe Komorbiditätsrate.

Walter und Dammann (2006) sehen bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen häufig die Beziehungsproblematik und Beziehungsschwierigkeiten im Vordergrund. Deshalb sind sie bei den verschiedenen Persönlichkeitsstörungen bereits als diagnostische Kriterien im ICD-10 und DSM-IV aufgenommen. Den Autoren zufolge ist der interpersonelle Ansatz von Sullivan (1953) für das Verstehen der Beziehungsproblematik bei Persönlichkeitsstörungen von großer Bedeutung. Anders als die Psychoanalyse, die von inneren Objektbeziehungen ausgeht, stellt die interpersonelle Theorie die Beziehungsproblematik und –störung in der situativen Interaktion selbst in das Zentrum der Psychopathologie von Persönlichkeitsstörungen. Die Theorie betont die Beziehungen und deren Auswirkung auf die Entwicklung des Selbst-Systems. Für Sullivan gibt es grundsätzlich zwei Dynamismen: sie sind entweder konjunktiv (z.B. Intimitätsbedürfnis) und führen zu Spannungsreduktion oder disjunktiv (vor allem durch Spannungsangst) und führen zur Desintegration. Demzufolge verhindert Angst die Integration einer Situation. Eine Entspannung von dieser Angst ist die Erfahrung interpersoneller Sicherheit. Das Selbst-System ist hauptsächlich auf Angstvermeidung und –minimierung ausgerichtet. Eine besondere Bedeutung für Beziehungen und Beziehungsgestaltung scheinen dabei die zentralen charakteristischen Affekte der Persönlichkeitsstörungen zu haben. Beispielsweise sind bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung die affektive Instabilität und die Impulsivität wesentlich, bei der Antisozialen Persönlichkeitsstörung die Aggressivität. In einer Studie von Daley et al. (2000, zit. nach Walter & Dammann, 2006) wurden Cluster-A-, Cluster-B- und Cluster-C- Persönlichkeitsstörungen getrennt ausgewertet. Bei Persönlichkeitsstörungen des Cluster B (Histrionische PS, Narzisstische PS, Borderline PS und Antisoziale PS) waren die positive Korrelation mit Disstress und die negative Korrelation mit Zufriedenheit in der Partnerschaft am stärksten.

Nach Maier, Linz und Hawellek (2000) unterliegen Persönlichkeitsdimensionen und auch deren Extremvarianten, die Persönlichkeitsstörungen unter genetischem Einfluss. Genetische Varianten beeinflussen doch lediglich das Erkrankungsrisiko und haben keine kausale Wirkung auf die Manifestation der Störung. Den stärksten genetischen Effekt konnte man bisher bei der Antisozialen Persönlichkeitsstörung feststellen. Spezifische Gene, die einen deutlichen ätiologischen Beitrag zur Persönlichkeitsstörung leisten, sind laut Maier et al. (2000) nicht bekannt, man fand jedoch seltene spezifische Mutationen, die Normabweichungen in der Persönlichkeit hervorrufen.

2.3. Die Persönlichkeitsstörungen nach DSM IV

2.3.1. Die Paranoide Persönlichkeitsstörung

Das Störungsbild kennzeichnet sich durch fanatisches, querulatorisches und rechthaberisches Verhalten. Paranoide Persönlichkeiten sind überempfindlich gegenüber Kritik und haben ein tiefgreifendes Misstrauen und Argwohn gegenüber anderen. Sie fühlen sich extrem ausgenutzt und benachteiligt. Einige neigen zu Fanatismus und sind oft im Rechtsstreit mit anderen. Im Beruf wird die Loyalität von Kollegen häufig in Zweifel gezogen.

Diagnostische Kriterien DSM-IV-TR:

A: Tiefgreifendes Misstrauen und Argwohn gegenüber anderen, sodass deren Motive als böswillig ausgelegt werden. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter und zeigt sich in verschiedenen Situationen. Mindestens vier der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

1. verdächtigt andere ohne ausreichenden Grund, ihn/sie auszunutzen, zu schädigen oder zu täuschen,
2. ist stark eingenommen von ungerechtfertigten Zweifeln an der Loyalität und Vertrauenswürdigkeit von Freunden oder Partnern,
3. vertraut sich nur zögernd anderen Menschen an, aus ungerechtfertigter Angst, die Informationen könnten in böswilliger Weise gegen ihn/sie verwendet werden,
4. liest in harmlose Bemerkungen oder Vorkommnisse eine versteckte, abwertende oder bedrohliche Bedeutung hinein,
5. ist lange nachtragend, d.h. verzeiht Kränkungen, Verletzungen oder Herabsetzungen nicht,
6. nimmt Angriffe auf die eigene Person oder das Ansehen wahr, die anderen nicht so vorkommen, und reagiert schnell zornig oder startet einen Gegenangriff,
7. verdächtigt wiederholt ohne jede Berechtigung den Ehe- oder Sexualpartner der Untreue.

B. Tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer Schizophrenie, einer Affektiven Störung mit Psychotischen Eigenarten oder einer anderen Psychotischen Störung auf und geht nicht auf die direkte Wirkung eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück.

Beachte: Wenn die Kriterien vor dem Auftreten einer Schizophrenie erfüllt waren, ist „Prämorbid“ hinzuzufügen. Beispiel: „Paranoide Persönlichkeitsstörung (Prämorbid)“.

Zitiert gemäß DSM-IV-TR der APA (2000; dt. Version: 2003, S. 758f.).

Erklärungsansätze

In psychoanalytischen Erklärungsversuchen wird laut Fiedler (2007) die Auffassung vertreten, dass es sich bei der paranoiden Charakterstörung ähnlich wie bei der Paranoia um eine Äußerungsform der Abwehrneurose handelt, deren Abwehrmechanismus die Projektion sei. So werden eigene aggressive Impulse in eine andere Person hineinprojiziert, um eine Entlastung herbeizuführen. Die projektive Wahnbildung stellt deshalb (z.B. Menzos, 1982, zit. nach Fiedler, 2007) eine wichtige Form der Konfliktabwehr und des Selbstschutzes dar.

In verhaltenstherapeutischen Erklärungsversuchen wird das Diathese-Stress-Modell (Millon, 1996a, zit. nach Fiedler, 2007) als eine Möglichkeit betrachtet, die zwischenmenschlichen Schwierigkeiten und Normabweichungen persönlichkeitsgestörter Personen zu erklären. Die Persönlichkeitsstörungen werden von einer sog. „Vulnerabilität“ abhängig gesehen. Damit ist eine besondere dispositionelle Empfindlichkeit, Labilität oder Verletzlichkeit der Person gegenüber sozialen Anforderungen und Stress gemeint. Das Modell impliziert, die paranoide Persönlichkeitsstörung als individuelle Kompetenz aufzufassen, auf Krisen und Konflikte mit Selbstschutz zu reagieren. Die von Betroffenen gewählten Verhaltensweisen z.B. die aggressive Abwehr von Kritik oder beharrliches Bestehen auf Rechtspositionen sind aber von Bezugspersonen nicht als Schutz vor Verletzung verstehbar und fassen diese als Verletzung auf. So fordern Betroffene im Sinne eines Circulus vitiosus, Ablehnung, Kritik und Feindseligkeit, von denen sie sich zu schützen versuchen, geradezu heraus.

Dazugehörige Merkmale und Störungen:

Im Vergleich zu anderen Persönlichkeitsstörungen weisen die paranoiden Persönlichkeitsstörungen die höchsten Komorbiditätsraten mit anderen Persönlichkeitsstörungen auf (vgl. Bernstein et al., 1993, zit. nach Fiedler, 2007). Häufig tritt sie zusammen mit der narzisstischen (2-75%), der Borderline- (0-100%), der ängstlich-vermeidenden (8-86%) und der passiv-aggressiven (17-53%) Persönlichkeitsstörung auf. Die kritisierende und anklagende Art der Betroffenen geht mit sozialer Isolierung und Ausgrenzung einher. Diese führt nicht selten zu einer zunehmenden Fantasietätigkeit, in der sie sich hineinsteigern. Durch das fehlende Vertrauen zu Mitmenschen und der geringen Bereitschaft Kompromisse einzugehen, ist es für diese PatientInnen schwierig befriedigende Beziehungen aufzubauen.

Laut Fiedler (2007) bleibt im Übergang zur Normalität die Neigung Absichten anderer zu verzerren und sich abzugrenzen, bestehen. Sie bleiben misstrauisch und scharfsinnig. Die eigenen Intentionen werden deutlich erlebt und die anderer ausgiebig ergründet. Es werden oft Berufe gewählt, die genaues Denken, wie beispielsweise Jurisprudenz und Kriminalistik, erfordern.

Prävalenz:

In der Allgemeinbevölkerung tritt die paranoide Persönlichkeitsstörung bei 0,5 – 2,5

Prozent auf; in klinischen Stichproben 10 bis 30 Prozent bei stationären PatientInnen und 2 bis 10 Prozent bei ambulanten Patienten (Saß et al., 2003). Felduntersuchungen mit nichtpsychiatrischen Patienten verweisen auf ein Vorkommen von ca. 1,4 Prozent (Range = 0,5 bis 2,3 Prozent; vlg. Bernstein et al., 1993, zit. nach Fiedler, 2007). Konermann, Hammerstein, Zaudig und Tritt (2006) zeigen in einer klinischen Stichprobe 0,4 Prozent und Zimmerman, Rothschild und Chelminski (2005) bei einer ambulanten psychiatrischen Stichprobe 4,2 Prozent Prävalenz. Die Diagnose wird laut Fiedler (2007) bei Männern häufiger gestellt.

2.3.2. Die Schizoide Persönlichkeitsstörung

Das Störungsbild ist gekennzeichnet durch soziale Isolation und Einsamkeit. Distanziertheit in sozialen Beziehungen und eingeschränkte Bandbreite des Gefühlsausdrucks sind zentrale Bestandteile. Betroffene haben keine engen Freunde und in ihrer Neigung zur Zurückgezogenheit werden sie stark angegriffen, was zu Zornausbrüchen ihrerseits führen kann.

Diagnostische Kriterien nach DSM-IV-TR:

A: Ein tiefgreifendes Muster, das durch Distanziertheit in sozialen Beziehungen und eine eingeschränkte Bandbreite des Gefühlsausdrucks im zwischenmenschlichen Bereich gekennzeichnet ist. Die Störung beginnt im frühen Erwachsenenalter und tritt in den verschiedensten Situationen auf. Mindestens vier der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

1. hat weder den Wunsch nach engen Beziehungen noch Freude daran, einschließlich der Tatsache, Teil einer Familie zu sein,
2. wählt fast immer einzelgängerische Unternehmungen,
3. hat, wenn überhaupt, wenig Interesse an sexuellen Erfahrungen mit einem anderen Menschen,
4. wenn überhaupt, dann bereiten nur wenige Tätigkeiten Freude,
5. hat keine engen Freunde oder Vertraute, außer Verwandten ersten Grades,
6. erscheint gleichgültig gegenüber Lob und Kritik vonseiten anderer,
7. zeigt emotionale Kälte, Distanziertheit oder eingeschränkte Affektivität.

B. Tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer Schizophrenie, einer Affektiven Störung mit Psychotischen Merkmalen, einer anderen Psychotischen Störung oder einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung auf und geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück.

Beachte: Falls die Kriterien vor Beginn einer Schizophrenie erfüllt waren, ist „Prämorbid“ hinzuzufügen, z.B. „Schizoide Persönlichkeitsstörung (Prämorbid)“.

Zitiert gemäß DSM-IV-TR der APA (2000; dt. Version: 2003, S. 762f.).

Erklärungsansätze:

Aus psychoanalytischer Sicht erklärt sich die Neigung zu sozialer Selbstisolation als Form der Abwehr gegen nahe und intime Beziehungen. Hinter dieser Abwehr durch Kontaktvermeidung verberge sich laut Mentzos (1982, zit. nach Fiedler, 2007) eine starke Empfindsamkeit. Andere Autoren, so Fiedler (2007), vermuten eine spezifische Schwierigkeit, Ärger und Feindseligkeit auszudrücken, obwohl Ärger und Wut vorhanden seien und auch erlebt würden. Das Fehlen ärgertypischer Übertragungsmuster wurde als „Pseudocompliance“ (Khan, 1983, zit. nach Fiedler, 2007) bezeichnet. Diese wird auf mögliche Störungen der sehr frühen (symbiotischen) Mutter-Kind-Interaktion, in der das Kind Erfahrungen von Intimität, Zuneigung und Liebe nicht oder nicht vollständig erfahren hat, zurückgeführt.

Ähnlich wie bei den Borderline- Persönlichkeitsstörungen sind bei schizoiden Persönlichkeiten die internalisierten Objektbeziehungen in „gut“ und „böse“ gespalten. Daraus resultiert nach Fairbairn (1954, zit. nach Kernberg, 2006) eine Verarmung der Beziehungen zu anderen. Als Form der Abwehr werden diese durch überzogenes Fantasieleben ersetzt. Laut Kernberg (2006) birgt sich hinter dem Mangel an Affekt ein schwerer Abspaltungsmechanismus bis hin zur Fragmentierung affektiver Erfahrungen. Die Folge ist eine Leere im Beziehungsleben.

Verhaltens- und lerntheoretische Erklärungsversuche betonen ein mögliches Kompetenzdefizit im Umgang mit zwischenmenschlichen gefühlvollen Beziehungen. Im Gegensatz zur psychodynamischen Auffassung muss sich das Kompetenzdefizit nicht nur auf Angst vor intimen Beziehungen beschränken. Auch Verwöhnsituationen und früh gelernte Vermeidung interpersoneller Konflikte können laut Millon (1981, zit. nach Fiedler, 2007) Kompetenzdefizite begünstigen. Auch hier gelten Circulus-vitiosus-Bedingungen. Die schroffen Verhaltensmuster schizoider Persönlichkeiten provozieren Kritik oder Ablehnung und führen zu Ausgrenzung, welche die Bedingungen, Schritte aus der Selbstisolierung und Vereinsamung zu unternehmen, erschweren.

Dazugehörige Merkmale und Störungen:

Laut Fiedler (2007) haben selbst auf direkte Provokation hin, schizoide Persönlichkeiten große Schwierigkeiten Wut auszudrücken und deshalb wirken sie gefühlsarm. Das Leben schizoider Persönlichkeiten scheint oft richtungslos, als ob sie sich treiben lassen würden. Selten sind sie verheiratet. Im beruflichen Leben können sie gut sein, wenn Leistungen in Isolation gefordert sind. Unter Stress können sehr kurz psychotische Episoden auftreten. Unter Umständen ist die paranoide Persönlichkeitsstörung ein Vorläufer einer wahnhaften Störung oder Schizophrenie und manchmal mit Depressionen verbunden. Sind sie beruflich oder privat zu zwischenmenschlichen Tätigkeiten gezwungen und entwickeln oft soziale Angst oder Phobien. Bei zunehmender Isolation kann es zu Entfremdung und zunehmender Derealisation führen.

Im Übergang zu Normalität sind schizoide Persönlichkeiten gleichgültig gegenüber Lob und Kritik, sie bevorzugen Tätigkeiten, die sie alleine ausüben können und sind durch nüchterne Sachlichkeit gekennzeichnet. Intuitives Verhalten und Spontaneität sind verlangsamt und Offenheit für neue Erfahrungen ist eher selten. Viele leben als Single und wählen Berufe, die sie selbständig und alleine ausüben können, z. B. Taxifahrer und Schichtarbeiter (Fiedler 2007).

Prävalenz:

Die schizoide Persönlichkeitsstörung kommt im klinischen Bereich laut Saß et al. (2003) selten vor. Auch Fiedler (2007) spricht von einer Prävalenz weit unter einem Prozent. Grund dafür könnte seiner Meinung nach sein, dass das Leben als Single in der heutigen Zeit mit hoher Wertigkeit belegt ist und deshalb dieser Persönlichkeitsstil sogar Anerkennung und Wertschätzung erhält. Zimmerman et al. (2005) finden in einer klinischen Stichprobe 1,4 Prozent und Konermann et al. (2006) sprechen von 0,6 Prozent.

2.3.3. Die Schizotypische Persönlichkeitsstörung

Das Störungsbild ist gekennzeichnet durch Verzerrungen im Wahrnehmen und im Denken und durch soziales Unbehagen. Menschen mit einer schizotypischen Persönlichkeitsstörung haben geringe Fähigkeit, enge Beziehungen aufzubauen und zu halten.

Diagnostische Kriterien DSM-IV-TR:

A: Ein tiefgreifendes Muster sozialer und zwischenmenschlicher Defizite, das durch akutes Unbehagen in und mangelnde Fähigkeit zu engen Beziehungen gekennzeichnet ist. Weiterhin treten Verzerrungen der Wahrnehmung oder des Denkens und eigentümliches Verhalten auf. Die Störung beginnt im frühen Erwachsenenalter und zeigt sich in verschiedenen Situationen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

1. Beziehungsideen (jedoch kein Beziehungswahn);
2. seltsame Überzeugungen oder magische Denkinhalte, die das Verhalten beeinflussen und nicht mit den Normen der jeweiligen subkulturellen Gruppe übereinstimmen (wie z.B. Aberglaube, Glaube an Hellseherei, Telepathie oder an den „sechsten Sinn“; bei Kindern und Heranwachsenden bizarre Fantasien und Beschäftigungen);
3. ungewöhnliche Wahrnehmungserfahrungen einschließlich körperbezogene Illusionen;
4. seltsame Denk- und Sprechweise (vage, umständlich, metaphorisch, übergenau, stereotyp);
5. Argwohn und paranoide Vorstellungen;
6. inadäquater oder eingeschränkter Affekt;
7. Verhalten oder äußere Erscheinung sind seltsam, exzentrisch oder merkwürdig;
8. Mangel an engen Freunden oder Vertrauten außer Verwandten ersten Grades;
9. ausgeprägte soziale Angst, die nicht mit zunehmender Vertrautheit abnimmt und die eher mit paranoiden Befürchtungen als mit negativer Selbstbeurteilung zusammenhängt.

B: Tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer Schizophrenie, einer Affektiven Störung mit Psychotischen Merkmalen, einer anderen Psychotischen Störung oder einer teifgreifenden Entwicklungsstörung auf.

Beachte: Falls die Kriterien vor dem Beginn einer Schizophrenie erfüllt waren, ist „Prämorbid“ hinzuzufügen, z.B. „Schizotypische Persönlichkeitsstörung („Prämorbid“).

Zitiert gemäß DSM-IV-TR der APA (2000; dt. Version: 2003, S. 767).

Erklärungsansätze:

Laut Fiedler (2007) gibt es Hinweise, dass für die schizotype Persönlichkeitsstörung, ähnlich wie bei der Schizophrenie, ein erhöhtes genetisches Risiko vorliegt. Auch hier liegt das Diathese-Stress-Modell im Mittelpunkt. Die subschizophrenen kognitiven Störungen nehmen, ähnlich wie bei der Schizophrenie, mit subjektiver Belastung zu, sodass sie bei steigenden sozialen Leistungsanforderungen und bei zwischenmenschlichen Konflikten virulent, also ansteckend werden. So könnte man die schizotypische Persönlichkeitsstörung teils als Reaktion auf Belastungen, beispielsweise soziale Angst, teils als spezifischer Bewältigungsversuch zum Schutz vor Belastung, beispielsweise sozialer Rückzug, sehen.

Dazugehörige Merkmale und Störungen:

Laut Fiedler (2007) ist bei den aktuellen Kriterien eine Abgrenzung zwischen der schizotypischen Persönlichkeitsstörung und der Borderline-Persönlichkeitsstörung schwierig. Bei Borderline-Persönlichkeiten sind allerdings selten sozialer Rückzug und das Vermeiden enger Freundschaften zu beobachten. Personen mit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung meiden laut Fiedler (2007) Situationen, in denen sie starke Gefühle vermuten. Affektiv aufwühlende Erfahrungen versuchen sie zu vermeiden. Diese Vermeidung führt auf lange Sicht zu einer Unsicherheit Erlebnisse emotional richtig einzuordnen. Wenn sich Betroffene in Behandlung begeben, dann meist wegen depressiver Verstimmung oder sozialer Angst. Bei somatoformen Störungen dominiert meistens die Angst vor einer Erkrankung. Der Auslöser für eigene körperliche Störungen wird oft bei anderen gesucht. Bei Belastungen können vorübergehende psychotische Episoden auftauchen.

Im Übergang zur Normalität sind Betroffene ahnungsvoll und sensibel. Auch im Normalbereich des Persönlichkeitsstils erhalten viele Gegenstände, Ereignisse und Personen eine emotionale Bedeutung, die über den rationalen Inhalt hinausgeht. In zwischenmenschlichen Beziehungen sind sie sehr empfindsam, was sie zu Einzelgängern macht. Viele wählen künstlerische Berufe.

Prävalenz:

Die Prävalenz in der Gesamtbevölkerung liegt laut Saß et al. (2003) bei 3 Prozent. Konermann et al. (2006) finden in einer klinischen Stichprobe 0,4 Prozent und Zimmerman et al. (2005) 0,6 Prozent.

2.3.4. Die Antisoziale Persönlichkeitsstörung

Das Störungsbild ist gekennzeichnet durch fehlende Schuldgefühle und Störungen der Impulskontrolle.

Diagnostische Kriterien DSM-IV-TR:

A: Es besteht ein tiefgreifendes Muster von Missachtung und Verletzung der Rechte anderer, das seit dem 15. Lebensjahr auftritt: Mindestens drei der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

1. Versagen, sich in Bezug auf gesetzmäßiges Verhalten gesellschaftlichen Normen anzupassen, was sich in wiederholtem Begehen von Handlungen äußert, die einen Grund für eine Festnahme darstellen,
2. Falschheit, die sich in wiederholtem Lügen, dem Gebrauch von Decknamen oder dem Betrügen anderer zum persönlichen Vorteil oder Vergnügen äußert,
3. Impulsivität oder Versagen, vorausschauend zu planen,
4. Reizbarkeit und Aggressivität, die sich in wiederholten Schlägereien oder Überfällen äußert,
5. rücksichtslose Missachtung der eigenen Sicherheit bzw. der Sicherheit anderer,
6. durchgängige Verantwortungslosigkeit, die sich im wiederholten Versagen zeigt, eine dauerhafte Tätigkeit auszuüben oder finanziellen Verpflichtungen nachzukommen,
7. fehlende Reue, die sich in Gleichgültigkeit oder Rationalisierungen äußert, wenn die Person andere Menschen gekränkt, misshandelt oder bestohlen hat.

B: Die Person ist mindestens 18 Jahre alt.

C: Eine Störung des Sozialverhaltens war bereits vor Vollendung des 15.

Lebensjahres erkennbar.

D: Das antisoziale Verhalten tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer Schizophrenie oder einer manischen Episode auf.

Zitiert gemäß DSM-IV-TR der APA (2000; dt. Version: 2003, S. 772).

Erklärungsansätze:

Eine Reihe von Zwillings- und Adoptionsstudien lassen vermuten, dass die Entwicklung antisozialer Persönlichkeitsstörungen teils genetisch bedingt ist. Studien von Cadoret und Cain (1980, 1981, zit. nach Fiedler, 2007) legen nahe, dass auch spezifische familiäre Bedingungen wie z. B. Scheidung oder Unterbrechungen in der Kontinuität der frühen Mutter-Kind-Beziehung fördernden Einfluss auf die Entwicklung einer antisozialen Persönlichkeitsstörung bei Männern, kaum jedoch bei Frauen haben. Wie groß der jeweilige Anteil von Erb- und Umwelteinflüssen auf die Entwicklung einer antisozialen Persönlichkeitsstörung ist und ob er additiv oder interaktiv wirkt, lässt sich laut Amelang (1986, zit. nach Fiedler, 2007) zu diesem Zeitpunkt nicht beantworten. Weiteres gibt es Annahmen, dass antisoziale Persönlichkeitsmerkmale mit einem allgemein erniedrigten Aktivationsniveau zusammenhängen könnten. So wird vermutet, dass Menschen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung genetisch dazu prädestiniert sind, in reizarmen und ermüdenden Situationen nach Anreizen, die neu, nicht voraussagbar, gefährlich und tollkühn sind, zu entwickeln (Hare & Cox, 1978, zit. nach Fiedler, 2007). Auch inkonsistente oder fehlende Orientierung, zu strenge Disziplinierung und antisoziales Verhalten beim Vater scheinen bedeutsame Prädikatoren zu sein (Cadoret, 1978, Robins, 1978, zit. nach Fiedler, 2007). Laut Eysenk & Eysenk (1985, zit. nach Fiedler, 2007) scheint die schlechte Konditionierbarkeit ein zentraler Mechanismus zur Entwicklung antisozialer Neigungen zu sein. Sie unterscheiden zwischen der primären Psychopathie (niedriges Angstniveau, fehlende Schuldgefühle und hohe Risikobereitschaft) und der sekundären Psychopathie (fehlende Gewissenshemmung wegen hoher Extraversion und gleichzeitige Ängstlichkeit, Schuldgefühle und innere Konflikte mit zugleich wenig hemmenden Einflüssen auf delinquentes Handeln wegen erhöhtem Neurotizismus). Millons (1981, zit. nach Fiedler, 2007) weist auf drei Umgebungsfaktoren, welche die Entwicklung einer antisozialer Persönlichkeitsstörung beeinflussen: selbst erlebte elterliche Gewalt, fehlende elterliche Modelle für sozial akzeptierbare Normorientierung und ein wenig strukturiertes Erziehungsumfeld für das Erlernen eines grundlegendes zwischenmenschlichen Misstrauens.

Dazugehörige Merkmale und Störungen:

Bei Menschen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung lässt sich ein Mangel an Empathie und an Angst beobachten. Betroffene setzen ihre Ziele rücksichtslos durch und lassen sich von spontanem Verhalten leiten, auch wenn andere dadurch verletzt werden. Sie sind nicht in der Lage vorausschauend zu planen, die hohe Risikobereitschaft lässt sich auf den Mangel an Angst zurückführen. Diese Menschen suchen ständig nach neuen Herausforderungen und Risiken, die oft über die Kriminalität hinausgehen. Laut Fiedler (2007) sind gelegentlich besonders erfolgreiche Sportler, Abenteurer und Politiker dissoziale Persönlichkeiten.

In aktuellen Komorbiditätsstudien (Morey, 1988, Widiger et al., 1986, zitiert nach Fiedler, 2007) finden sich Überlappungen oder Kodiagnosen zwischen antisozialer, Borderline- ,narzisstischer, histrionischer und passiv-aggressiver Persönlichkeitsstörung. Häufig sind zusätzliche gesundheitliche und soziale Probleme durch Missbrauch von Alkohol und Drogen vorhanden. Devianz und Delinquenz ist oft schon im Kindesalter zu beobachten. Antisoziale Persönlichkeiten haben unter Umständen ein ausgeprägtes dysphorisches Erleben und sind unfähig Langeweile zu ertragen und somit erhöht sich das Risiko affektive Störungen (z.B. Angststörung und Depression) zu entwickeln. Bei Kindern werden oft Hyperaktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen beobachtet.

Ichiyama et al. (1996, zit. nach Walter & Dammann, 2006) konnten in ihrer Studie zeigen, dass Patienten mit antisozialer Persönlichkeitsstörung und Alkoholabhängigkeit, im Unterschied zu Alkoholabhängigen ohne Persönlichkeitsstörung rücksichtsloser mit sich selbst umgehen, andere häufiger beschuldigen und weniger vertrauensvoll im zwischenmenschlichen Kontrakt sind.

Fals-Stewart et al. (2005, zit. nach Walter & Dammann, 2006) konnten feststellen, dass sich die Gewalttätigkeit in der Partnerschaft unter Alkoholeinfluss bei vorliegender antisozialer Persönlichkeitsstörung erhöht.

Eine Untersuchung von Galboud du Fort et al. (2002, zit. nach Walter & Dammann, 2006) an Ehepaaren zeigte, dass es bei den Ehepartnern eine starke Gemeinsamkeit für antisoziales Verhalten gibt.

Im Übergang zur Normalität sind Betroffene abenteuerlich und risikofreudig. Sie wirken sehr selbstbestimmt und kompetent, vor allem wo schnelles Handeln gefordert ist.

Prävalenz:

Laut Carmen, Rieker & Mills (1984, zit. nach Lobbestael, Arntz & Sieswerda, 2005) liegt die Prävalenz von antisozialen Persönlichkeiten bei Männern höher als bei Frauen, da sie mehr dazu neigen, Copingstile zu externalisieren. Laut Fiedler (2007) liegt in der Allgemeinbevölkerung die Prävalenz bei Frauen bei 1 Prozent und bei Männern bei 3 Prozent. In klinischen Stichproben finden Konermann et al. (2006) eine Prävalenz von 0,1 Prozent, Saß et al. (2003) 3-30 Prozent und Zimmerman et al. (2005) 3,6 Prozent.

2.3.5. Die Borderline Persönlichkeitsstörung

Das Störungsbild ist gekennzeichnet durch instabile zwischenmenschliche Beziehungen, Impulsivität, Störungen der Regulation des Affekterlebens, Instabilität im Selbstbild und in den Affekten.

Diagnostische Kriterien DSM-IV-TR:

Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie deutliche Impulsivität. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter und manifestiert sich in verschiedenen Lebensbereichen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Alleinsein zu vermeiden. Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.
2. Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
3. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.
4. Impulsivität bei mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (z.B. Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Fressanfälle“). Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.
5. Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder –drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.
6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z.B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).
7. Chronisches Gefühl der Leere.
8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z.B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).
9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.

Zitiert gemäß DSM-IV-TR der APA (2000; dt. Version: 2003, S. 739).

Zum Vergleich:

Tabelle 1:Diagnostische Kriterien für die Borderline-Persönlichkeitsstörung nach dem DSM-IV und jeweils relevante Schemamodi (Young et al., 2008)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In dieser Tabelle sind die diagnostischen Kriterien für Borderline-Persönlichkeitsstörungen aufgelistet und werden zu den relevanten Schemamodi in Beziehung gesetzt. Dabei werden die Modi „das verlassene Kind“, „das verärgerte Kind“, „der strafende Elternteil“ und „der distanzierte Beschützer“ berücksichtigt.

Erklärungsansätze:

Die Psychoanalyse erklärt das Konzept der Borderline-Störung mittels Objekt-Beziehungs-Theorie, in der so genannte internalisierte Objekt-Beziehungen, d.h. die intrapsychische Repräsentation der gefühlsmäßigen Beziehungen von Patienten zu ihren Bezugspersonen, eine wichtige Rolle spielen. Diese beinhaltet „Selbstpräsentanzen“, das ist die affektiv-kognitive Struktur von Erfahrungen der eigenen Person in Beziehungen und die „Objektpräsentanzen“, die kognitiv-affektiven Beziehungserfahrungen mit relevanten Bezugspersonen. Selbst- und Objektrepräsentanzen bilden sich einseitig oder unzureichend aus, wenn die Entwicklung des intrapsychischen Selbstwertssystems behindert wird. Nach Kernberg (2006) weisen Borderline-Patienten aufgrund früher traumatisierender Objekt-Beziehungen eine Unfähigkeit zur Affektregulation in zwischenmenschlichen Beziehungen auf. Aus diesem Grund bleiben aus dieser Zeit konflikthafte oder affektiv-diffuse Selbst-Objektrepräsentanzen erhalten und bleiben als typische Form des Selbstschutzes als persönliches Grundmuster der Beziehungsregulierung bestimmend. Diese Form innerpsychischer Abwehr nennt Kernberg als „Spaltung“. Auf diese Weise erklären sich die typischen affektiven Instabilitäten, die schwankenden Symptombildungen, der zeitweise Verlust der Impulskontrolle und die abrupten Einstellungsverschiebungen. So werden verletzende Beziehungserfahrungen, für die kein ausdifferenziertes Selbstwertsystem als Reaktionsbasis vorhanden ist, abgespalten. Das auffällige Denken bei Borderline-Patienten in „Gut/Böse“, führt in zwischenmenschlichen Beziehungen immer wieder zu einem abrupten Wechsel zwischen Zuneigung und Ablehnung, zwischen Liebe und Hass.

Kernberg (2006) glaubt auch, dass es zu einer Theorie der Motivation, die nur auf den Affekten beruht, immer noch eine Triebtheorie braucht, um die unzähligen positiven und negativen Affekte, die den dominanten Objekten der frühen Kindheit entgegengebracht werden, zu berücksichtigen. So kann man abschätzen, wie psychische Traumata, physischer Schmerz und schwere Störungen der frühen Objektbeziehungen zur Intensivierung der Aggression als Trieb beitragen: Sie lösen heftige negative Affekte aus. Die Borderline-Persönlichkeitsorganisation ist die Ausbildung einer unangemessen starken Aggression in Zusammenhang mit einer psychopathologischen Manifestation des aggressiven Affekts.

Die Sexualität wird laut Kernberg (2006) meist mit Aggression verbunden. Sexuelle Interaktion wird eng mit aggressiven Zielen gekoppelt, sodass sexuelle Intimität verzerrt und jeder Form von Liebesbeziehung enge Grenzen gesetzt werden. Sie sind häufig unfähig, zärtliche und sexuelle Gefühle zu integrieren. Forschungsergebnisse von Paris (1994b, zit. nach Kernberg, 2006) bestätigen die Bedeutung von sexuellem Missbrauch in der Biographie von Borderline-Patienten sowie deren Tendenz zu dissoziativen Reaktionen.

Eines der bekanntesten verhaltenstherapeutischen Erklärungsmodelle stammt von Linehan (1989a, a; 1993a, b, zit. nach Fiedler, 2007). Sie vertritt ein „affektives Vulnerabilitätskonzept“. Das zentrale Symptom der Borderline-Patienten ist demnach die selbstdestruktive Impulsivität, welche Ausdruck einer gelernten Problemlösungsstrategie zur Reduktion einer unakzeptierbar erlebten Dysphorie ist. Wie Kernberg geht auch Linehan davon aus, dass bei Borderline-Patienten primär eine unangemessene Affektregulation besteht. Typisch für diese Affektdysregulation sind hohe Sensitivität gegenüber emotionalen Stimuli, starke Reaktionen schon auf schwache Reize und eine sehr langsame Rückkehr zum Ausgangsniveau. Ausschlaggebend für die Entwicklung von Borderline-Merkmalen nennt Linehan die invalidierende Umgebung. Diese ist von Menschen geprägt, die dazu neigen emotionale, besonders negative Erfahrungen zu missachten, die Schwierigkeiten bei der Lösung größerer Probleme herunterspielen und viel Wert auf positives Denken legen. Vor allem bei physischem und sexuellem Missbrauch tragen invalidierende Familien zur Entwicklung der Fehlregulation bei und versäumen es, dem Kind zu zeigen, wie man Erregung richtig benennen, regulieren und emotionale Belastungen aushalten kann. Folglich neigen Borderline-Patienten zu dichotomem Denken und halten an inneren Ambivalenzen oder Gegensätzlichkeiten fest. Linehan beschreibt vier Pole: Aktive Passivität (passive und hilflose Herangehensweise an Probleme und aktive Forderung von Bezugspersonen diese zu lösen), Scheinbare Inkompetenz (vermitteln täuschend kompetenten Eindruck, der extremen Schwankungen unterworfen ist), Permanente Krise (gekennzeichnet durch scheinbar nie endende persönliche Krisen und die Unfähigkeit auf ein stabiles Grundniveau zurückkehren zu können) und Gehemmte Trauer (drückt sich in Spannungen aus, die auf fehlende Lernerfahrungen im Umgang mit Krisen und traumatischen Erfahrungen zurückzuführen sind. Hinter der Aufrechterhaltung von Ambivalenz vermutet Linehan eine Sperre im Mechanismus der Trauerarbeit, die verhindert traumatische Erfahrungen zu durchleben und zu integrieren).

Young et al. (2008) nennen konstitutionelle Faktoren und Umgebungsfaktoren als Ursprünge der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die starken Emotionen und ein wechselhaftes Temperament könnten auf eine biologische Prädisposition hinweisen. Dreiviertel der Patienten mit BPS sind Frauen. Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass Frauen generell ein starkes und wechselhaftes Temperament haben, aber es kann auch mit Umgebungsfaktoren zusammenhängen. Mädchen werden häufiger unterdrückt und gehindert, Ärger auszudrücken. Auch Missbrauchserlebnisse tauchen in den Kindheitsgeschichten von Frauen häufiger als bei Männer auf (Herman, Perry & van der Kolk, 1989, zit. nach Young et al., 2008). Männer haben häufig ein aggressiveres Temperament, sie sind eher dominant als gefügig, sodass bei ihnen eher eine narzisstische oder antisoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wird (Gabbart, 1994, zit. nach Young et al. 2008). Als Umgebungsfaktoren nennen die Autoren ähnlich wie Linehan eine unsichere und instabile familiäre Umgebung, eine familiäre Umgebung, die wenig aufbauend ist, ein Umgang in der familiären Umgebung, der durch harte Bestrafung und durch Zurückweisungen gekennzeichnet ist und letztlich eine familiäre Umgebung, die zur Unterordnung und Unterwerfung zwingt.

Dazugehörige Merkmale und Störungen:

Typisch ist laut Fiedler (2007) eine Störung in der Regulation des Affekterlebens. Neben unangemessener Wut und aggressiven Ausbrüchen sind autoaggressive Impulse sehr oft beobachtbar. Diese sind teils schwere Selbstverletzungen und parasuizidale Handlungen.

Experimentelle Studien von Ludäscher, Bohus und Schmahl (2006) zeigten bei Borderline-Patienten durchgehend eine reduzierte Schmerzsensitivität, eine Korrelation zwischen Schmerzwahrnehmung, der Ausprägung des subjektiv erlebten Stresses sowie der Ausprägung des dissoziativen Erlebens. Die sensorisch-diskriminative Schmerzverarbeitung erscheint bei Betroffenen nicht gestört. Neurofunktionelle Studien zur Schmerzverarbeitung ergaben laut Ludäscher et al. (2006) jedoch Hinweise auf eine Störung der affektiv-motivationalen und der kognitiven Schmerzkomponente.

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836649544
DOI
10.3239/9783836649544
Dateigröße
6.8 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck – Psychologie
Erscheinungsdatum
2010 (Juli)
Note
2,0
Schlagworte
dysfunktionale schemata schematherapie psychologie borderline depression
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Titel: Maladaptive Schemata, Emotionserleben und Emotionsregulierung bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen
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