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Entscheidungen und Emotionen

©2009 Diplomarbeit 92 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘... Wir Torhüter sind speziell. Nicht nur weil wir den Ball in die Hand nehmen dürfen und anders angezogen sind. Wir sind auch im Bereich der Persönlichkeit und Emotion etwas anders. ... Wir erleben das Spiel auf andere Art.’
Torhüter bieten ihrer Mannschaft Rückhalt. Ihre Aufgabe ist es, unvorhersehbare Aktionen ihrer Mit- und Gegenspieler, die sich in Gegentoren niederschlagen können, zu verhindern. Die Offensivleistung einer Mannschaft kann nicht zu einem erfolgreichen Ergebnis führen, wenn die Defensivaufstellung mehr Fehler zulässt, als eigene Erfolge in Form von Toren erzielt werden. Diese Aufstellung ist auf die Mannschaft eines Anlegers, sein Portfolio, übertragbar. Ein ausgewogenes Portfolio setzt sich aus Bestandteilen unterschiedlicher Qualitäten zusammen. Je nach Einstellung werden offensive und defensive Anlagen so aufgestellt, dass am Ende der Spielzeit, der Laufzeit, das gewünschte Ergebnis erzielt wird. Während Aktien und Derivate dazu dienen, Tore in Form guter Renditen zu erzielen, gelten Renten eher als Defensivstrategie, deren Funktion darin besteht, ein Spiel zu kontrollieren oder zumindest nicht zu verlieren. Es gibt einen vergleichsweise jungen Spielertyp, der gemäß seiner unterschiedlichen Stärken in Offensive, Mittelfeld und Defensive gleichermaßen eingesetzt werden kann: Das Zertifikat.
Zertifikate sind ‘Alleskönner’ und in der Lage, jede erdenkliche taktische Ausrichtung eines Portfolios abzubilden. Während der Ertrag klassischer Anlagen prinzipiell von steigenden Basiswerten abhängig ist, eröffnen Zertifikate zusätzlich die Möglichkeit eines Gewinns in seitwärts tendierenden oder fallenden Märkten. Damit kann nicht nur die Timing-Problematik des richtigen Ein- und Ausstiegszeitpunktes gemindert, auch rückläufige Kurse können gewinngenerierend genutzt werden.
Die Torhüter unter den Zertifikaten sind kapitalgarantierte Zertifikate. Ihre Aufgabe ist es, das Risiko einer Anlage zu minimieren. Dafür bieten sie optimale Voraussetzungen, da am Ende ihrer Spielzeit das Ergebnis der Defensivleistung fest steht. Durch die Garantie des eingesetzten Kapitals ist sicher, dass dieser Portfoliobestandteil ohne Gegentreffer bleibt. Daneben kann dieser Zertifikateyp auch Offensivattribute aufweisen. Allein die Mindestverzinsung vieler Garantieprodukte liegt aktuell deutlich über der eines Sparbuches. Sie stellen eine Anlagealternative dar, die daher lohnend in Betracht gezogen werden kann und zusätzlich […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Philipp Morszeck
Entscheidungen und Emotionen
ISBN: 978-3-8366-4946-9
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Universität zu Köln, Köln, Deutschland, Diplomarbeit, 2009
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

II
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis... II
Abbildungsverzeichnis ...IV
1 Einleitung... 5
2 Anlagezertifikate ... 6
2.1
Der Markt für Anlagezertifikate... 6
2.2
Anlagezertifikate: Eine Definition... 8
2.3
Garantiezertifikate: Untersuchungsgegenstand der Arbeit ... 10
2.4
Der Privatanleger: Akteur auf dem Markt für Anlagezertifikate ... 11
3 Der Zusammenhang von Entscheidungen und Emotionen ... 12
3.1
Die Entscheidungssituation... 12
3.2
Traditionelle Modelle rationalen Entscheidens... 13
3.3
Emotionen: Eine Definition... 15
3.4
Integration von Kognitionen und Emotionen: Zwei-System-Betrachtung ... 18
4 Risikowahrnehmung und Risikoverhalten von Anlegern... 21
4.1
Prospect-Theorie ... 22
4.1.1
Gewinne und Verluste als Werttreiber...23
4.1.2
Die Form der Wertfunktion ...24
4.1.3
Knick und Steilheit der Wertfunktion...25
4.1.4
Die unterschiedliche Sensitivität von Wahrscheinlichkeiten ...27
4.1.5
Zusammenfassung und Kritik ...29
4.2
Framing und Mental Accounting ... 30
4.3
Entscheidungsheuristiken ... 35
4.3.1
Attribut-Substitution ...36
4.3.2
Die Verfügbarkeitsheuristik ...37
4.3.3
Die Prototypheuristik...41
4.3.4
Die Affektheuristik ...45
4.3.5
Zusammenfassung und Kritik ...49

III
4.4
Emotionale Selbstorganisation eines Anlegers ... 50
4.4.1
Streben nach Konsonanz ...50
4.4.2
Streben nach Kontrolle ...55
4.4.3
Erwartungen ...60
4.5
Sozialer Herdentrieb... 63
4.5.1
Psychologische Konformität und der Einfluss von Gruppen...63
4.5.2
Einfluss der Medien ...67
4.6
Entwicklung kapitalgarantierter Zertifikate ... 70
5 Diskussion und Ausblick... 76
6 Zusammenfassung ... 80
7 Anhang... 82
7.1
Anlagezertifikate: Grundlagen und Vorstellung der Strukturen ... 82
7.2
Kurzbeschreibung der Aktienstrukturen ... 82
7.2.1
Partizipationsanleihe, Delta 1 Anleihe...83
7.2.2
Aktienkorbanleihe, Basketanleihe ...83
7.3
Kurzbeschreibung der Rentenstrukturen ... 84
7.3.1
Stufenzinsanleihe, Step-Up Callable ...84
7.3.2
Marktzinsanleihe, Floored Floating Rate Note...84
7.3.3
Zinskurvenanleihe, Steepener ...85
8 Literaturverzeichnis ... 86

IV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zwei-System-Betrachtung ... 18
Abbildung 2: Prospect-Theorie... 23
Abbildung 3: Verlauf DAX vs. Anteil Garantiezertifikate am Zertifikatemarkt... 71
Abbildung 4: Verlauf DAX vs. Volumen Garantiezertifikate vs. Zertifikatemarkt ... 72
Abbildung 5: Verlauf DAX vs. Anteil Basiswerte von Zertifikaten ... 74

5
1
Einleitung
,,... Wir Torhüter sind speziell. Nicht nur weil wir den Ball in die Hand nehmen dürfen
und anders angezogen sind. Wir sind auch im Bereich der Persönlichkeit und Emo-
tion etwas anders. ... Wir erleben das Spiel auf andere Art." (Faryd Mondragon 2009)
Torhüter bieten ihrer Mannschaft Rückhalt. Ihre Aufgabe ist es, unvorhersehbare Ak-
tionen ihrer Mit- und Gegenspieler, die sich in Gegentoren niederschlagen können,
zu verhindern. Die Offensivleistung einer Mannschaft kann nicht zu einem erfolgrei-
chen Ergebnis führen, wenn die Defensivaufstellung mehr Fehler zulässt, als eigene
Erfolge in Form von Toren erzielt werden. Diese Aufstellung ist auf die Mannschaft
eines Anlegers, sein Portfolio, übertragbar. Ein ausgewogenes Portfolio setzt sich
aus Bestandteilen unterschiedlicher Qualitäten zusammen. Je nach Einstellung wer-
den offensive und defensive Anlagen so aufgestellt, dass am Ende der Spielzeit, der
Laufzeit, das gewünschte Ergebnis erzielt wird. Während Aktien und Derivate dazu
dienen, Tore in Form guter Renditen zu erzielen, gelten Renten eher als Defensiv-
strategie, deren Funktion darin besteht, ein Spiel zu kontrollieren oder zumindest
nicht zu verlieren. Es gibt einen vergleichsweise jungen Spielertyp, der gemäß seiner
unterschiedlichen Stärken in Offensive, Mittelfeld und Defensive gleichermaßen ein-
gesetzt werden kann: Das Zertifikat.
Zertifikate sind ,,Alleskönner" und in der Lage, jede erdenkliche taktische Ausrichtung
eines Portfolios abzubilden. Während der Ertrag klassischer Anlagen prinzipiell von
steigenden Basiswerten abhängig ist, eröffnen Zertifikate zusätzlich die Möglichkeit
eines Gewinns in seitwärts tendierenden oder fallenden Märkten. Damit kann nicht
nur die Timing-Problematik des richtigen Ein- und Ausstiegszeitpunktes gemindert,
auch rückläufige Kurse können gewinngenerierend genutzt werden.
Die Torhüter unter den Zertifikaten sind kapitalgarantierte Zertifikate. Ihre Aufgabe ist
es, das Risiko einer Anlage zu minimieren. Dafür bieten sie optimale Voraussetzun-
gen, da am Ende ihrer Spielzeit das Ergebnis der Defensivleistung fest steht. Durch
die Garantie des eingesetzten Kapitals ist sicher, dass dieser Portfoliobestandteil oh-
ne Gegentreffer bleibt. Daneben kann dieser Zertifikateyp auch Offensivattribute
aufweisen.

6
Allein die Mindestverzinsung vieler Garantieprodukte liegt aktuell deutlich über der
eines Sparbuches. Sie stellen eine Anlagealternative dar, die daher lohnend in Be-
tracht gezogen werden kann und zusätzlich Raum für weiteren Mehrertrag lässt.
Der Verlauf eines Spiels geht häufig mit Emotionen und Stimmungen einher. Angst
kann in einer stürmischen Phase aufkommen, in der der Druck auf die eigene Mann-
schaft so groß ist, dass sich Zweifel hegen, diese Situation schadlos zu überstehen.
Überschwang entsteht, wenn ein scheinbar kontrollierter Spielverlauf zu Nachlässig-
keiten führt. Dies sind Emotionen, wie sie auch mit den Kapitalmärkten verbunden
sind, aber dort nicht von allen Berichterstattern eingefangen werden. Traditionelle
Entscheidungsmodelle sind nicht in der Lage, das Geschehen an der Börse zu erklä-
ren. Sie erfassen den Einfluss menschlicher Emotionen nicht. Die vorliegende Aus-
arbeitung untersucht den Einfluss von Emotionen auf Entscheidungen im Anlagebe-
reich. Grundlage ist eine kurze Beschreibung der Eigenschaften und des Marktes
von Anlagezertifikaten. Bevor sozialpsychologische Konzepte in Bezug auf Risiko-
wahrnehmung und -verhalten dargestellt werden, die Aufschluss und Erklärungen
geben, die traditionelle Entscheidungsmodelle schuldig bleiben, wird der Zusammen-
hang von Entscheidungen und Emotionen geklärt. Abschließend wird die Abhängig-
keit des Zertifikatemarktes vom Indexverlauf des DAX untersucht. Der Fokus der Ar-
beit erfasst die Defensivaufstellung eines Portfolios in Form von Garantiezertifikaten.
Sie sind speziell wie Torhüter, unterscheiden sich hinsichtlich der wahrgenommenen
Emotionen und erleben das Spiel auf andere Art.
2 Anlagezertifikat e
Dieses Kapitel erfasst Gegenstand und Markt von Anlagezertifikaten. Neben der De-
finition der im Folgenden zu erörternden Garantiezertifikaten, erfolgt eine Betrachtung
des Privatanlegers, der als Käufer fokussiert wird.
2.1 De r Ma rkt für Anlag eze rtifikat e
Das erste Anlagezertifikat wird bereits 1990 in Form eines Indexzertifikates auf den
DAX emittiert, der Markt für Anlagezertifikate gewinnt in Bezug auf Anlagevolumen
und Innovation allerdings erst nach Platzen der Internetblase Anfang dieses Jahrtau-
sends an Dynamik. Der Rückgang des deutschen Leitindex für Aktien von über 8.000

7
Punkten auf rund 2.220 Punkte, verbunden mit dem gleichzeitigen Rückgang des
Zinsniveaus für festverzinsliche Anlagen, gemessen an der Umlaufrendite 2 bis 3-
jähriger Papiere von 4,8 auf 2,8% (Deutsche Bundesbank 2009), bietet den Nährbo-
den, der Marktvolumen und Innovationsfreude von Anlagezertifikaten sprunghaft
wachsen lässt. Das ausstehende Volumen steigt von 30 Mrd. EUR Ende 2003 in nur
4 Jahren auf über 100 Mrd. EUR (Derivate Forum 2007, Deutscher Derivate Verband
2009a), womit die Zertifikateindustrie zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten der
Investmentfondsbranche aufrückt.
Mit dem steigenden Marktvolumen vergrößert sich die Vielfalt an unterschiedlichen
Zertifikatetypen ebenso beträchtlich. Seit 2008 verzeichnet die Zertifikatebranche je-
doch deutliche Rückgänge im ausstehenden Volumen. Gründe hierfür scheinen in
der seit 2009 in Kraft getretenen Abgeltungssteuer und der damit verbundenen Be-
nachteiligung von Zertifikaten gegenüber Fonds und der Insolvenz der amerikani-
schen Investmentbank Lehman Brothers, die auch als Emittentin für strukturierte
Produkte im Deutschland aktiv war, zu liegen. Diese hat direkt und indirekt für starke
Verunsicherung unter den Investoren für Anlagezertifikate gesorgt. Gleichwohl zei-
gen jüngste Entwicklungen, dass es sich um lediglich eine temporäre Entwicklung
handeln könnte, da die Nettoabsatzzahlen von strukturierten Produkten aktuell wie-
der deutlich zunehmen.
Garantiezertifikaten, die zum Laufzeitende die Rückzahlung des eingesetzten Kapi-
tals sichern, scheint vor diesem Hintergrund eine besondere Bedeutung zuzukom-
men. Ihr Anteil liegt aktuell bei rund 60% des gesamten Zertifikatevolumens (Deu-
tscher Derivate Verband 2009b). Der Zertifikatemarkt mit der starken Ausprägung
kapitalgarantierter Zertifikate ist dabei ein deutsches Phänomen, das ansatzweise
nur im deutschsprachigen Ausland Vergleich findet. Dieses Phänomen scheint der
sprichwörtlichen mangelnden Aktienkultur in Deutschland nahe zu kommen. Der
deutsche Anleger scheut typischerweise Aktienrisiken und hat eine Vorliebe für
Sparbücher. Entsprechend sind ihm risikoaverse Anlagen in Form eines Sparbuches
offensichtlich eher gelegen, als Kapitalrisiken einzugehen. Die bestehende Präferenz
für Kapitalschutzprodukte scheint ähnlich gelagert zu sein. Sie bieten durch die Ga-
rantie des eingesetzten Kapitals eine vergleichbare Sicherheit und darüber hinaus
die Möglichkeit, eine deutliche Mehrrendite zu erzielen.

8
2.2 Anlagezertifikat e: Eine Definition
Da die vorliegende Ausarbeitung das Ziel verfolgt, das Kauf- und Risikoverhalten von
Privatanlegern in Bezug auf Kapitalschutzzertifikate zu untersuchen, liegt der
Schwerpunkt nicht auf der finanztechnischen Strukturierung und Preisfestsetzung
einzelner Zertifikatetypen. Vielmehr werden im Folgenden einige vereinfachende An-
nahmen getroffen, die dem Grundverständnis dienen sollen.
Ein Zertifikat ist ein Wertpapier, das sich aus der Kombination eines Finanzmarktin-
strumentes, zum Beispiel einer Inhaberschuldverschreibung, mit mindestens einem
Derivat zusammensetzt. Die Preisbildung eines Derivats ist maßgeblich an die Ent-
wicklung einer marktabhängigen Bezugsgröße, dem so genannten Basiswert oder
Underlying, gebunden. Als Basiswert können klassische Wertpapiere wie Aktien oder
Anleihen, börsengehandelte Indizes, Zinssätze oder andere Handelsgegenstände
wie Devisen oder Rohstoffe dienen. In der Praxis sind auch exotische Basiswerte wie
Wetter, Inflation oder Farmland vorzufinden sowie Zertifikate, die an die Wertentwick-
lung von Investmentfonds gekoppelt sind.
Die Gruppe der Zertifikate teilt sich in Anlagezertifikate und Hebelprodukte. Ein Anla-
gezertifikat dient in der Regel als Mittel zum Vermögensaufbau und zur Vermögens-
anlage, während so genannte Hebelzertifikate ebenso wie Optionsscheine meist zur
kurzfristigen Spekulation und nur sehr selten risikoreduzierend eingesetzt werden.
Aus diesem Grund konzentriert sich diese Ausarbeitung auf Anlagezertifikate. Im
Gegensatz zu einer Direktanlage in einen Basiswert ist via Anlagezertifikat ­ durch
Kombination unterschiedlicher derivativer Komponenten ­ theoretisch eine fast un-
erschöpfliche Vielfalt verschiedener Auszahlungs- und Risikoprofile darstellbar. Da-
bei muss ein entsprechender Basiswert nicht zwangsläufig steigen, um zu einem In-
vestmenterfolg im Zertifikat zu führen (einen Überblick verschiedener Typen bietet
beispielsweise Deutscher Derivate Verband 2008 oder HSBC Trinkaus 2007).
1
Struk-
turen mit Auszahlungsprofilen, die nicht nur von steigenden Basiswerten, sondern
von einer Seitwärtsbewegung oder sogar fallenden Notierungen profitieren, haben
sich seit längerem am Zertfikatemarkt etabliert. Anlagen, die eine Rückzahlung des
1
Begrifflich werden im Folgenden ,,Zertifikat" sowie ,,Struktur" synonym für die hier zu erörternden ka-
pitalgarantierten Anlagezertifikate verwendet. Im Sprachgebrauch der Praxis wird ,,Zertifikat" für ein
nicht vollständig kapitalgeschütztes Anlagezertifikat sowie ,,strukturierte Anleihe" für ein vollständig ka-
pitalgeschütztes Anlagezertifikat verwendet.

9
eingesetzten Nominalkapitals garantieren, gehören dabei seit langem zu den am
meisten nachgefragten Risikoprofilen.
Um eine einfache Systematisierung vorzunehmen, werden folgende Unterschei-
dungskriterien gewählt:
· Vollständiger Kapitalschutz vs. kein Kapitalschutz
· Basiswert
· Laufzeit
· Auszahlungsprofil / Komplexität
Da Artenvielfalt und Innovationsfreude eine Definition des typischen Anlagezertifika-
tes nicht zulassen, werden folgende Rahmenparameter vorausgesetzt:
· Anlagezertifikate werden durch eine Emittentin begeben. Derzeit sind in
Deutschland 34 Emittenten aktiv.
2
Die Rückzahlung des Produktes richtet sich
neben der Entwicklung des Basiswertes auch nach der Zahlungsfähigkeit der
Emittentin. Rein rechtlich betrachtet, handelt es sich bei diesen Produkten um
Inhaberschuldverschreibungen, die der Refinanzierung der begebenden Insti-
tute dienen.
· Ein Anlageprodukt ist immer mit einer festen Maximallaufzeit ausgestattet.
· Während der Laufzeit anfallende Dividenden bei Aktien oder Aktienindizes
werden zur Finanzierung des Auszahlungsprofils eingesetzt und nicht an den
Anleger ausgeschüttet.
· Der faire Wert eines Anlagezertifikates ist jederzeit durch die Summe der
Teilwerte seiner Einzelbestandteile bestimmbar.
Die Kostenstruktur eines Anlagezertifikates unterteilt sich in direkte und indirekte
Kosten. Zu den direkten Kosten gehören eventuelle Ausgabeaufschläge und Ver-
triebsprovisionen, die die Beratungsleistung von Banken und Sparkassen beim An-
leger abgelten. Die indirekten Kosten setzen sich zum einen aus dem Verzicht auf
laufende Auszahlungen über ein direktes Investment in den Basiswert und zum an-
deren aus den Strukturierungskosten zusammen, die einerseits das Auszahlungspro-
2
Nach Auswertung der Zertifikatebörsen Euwax (www.euwax.de) und Scoach (www.scoach.de)
[07.2009].

10
fil finanzieren und dem Anleger andererseits den Zugang zu komplexen Optionsstra-
tegien und Größeneffekten ermöglichen. Die Emittentin kauft in hoher Größenord-
nung Derivatekomponenten ein und verkauft diese in kleiner Stückelung an den Pri-
vatanleger.
2.3 Garanti eze rtifikat e: Unte rsuchungsgeg enstand der Arb eit
Da die strukturelle Kombinationsvielfalt auch unter Berücksichtigung der genannten
Kriterien sehr groß verbleibt, werden weiter folgende Annahmen getroffen. Es erfolgt
eine Konzentration auf Produkte mit vollständigem Kapitalschutz und einem Basis-
wert der Assetklassen Aktien und Renten, einschließlich Indizes und Zinssätzen.
Diese Zertifikate repräsentieren mit einem Anteil von gut 60% des Gesamtvolumens
mehr als die Hälfte des Zertifikatemarktes (Deutscher Derivate Verband 2009b). Dar-
über hinaus wird ein Erwerb von Anlagezertifikaten aus dem Primärmarkt, dem Emis-
sionsgeschäft heraus, betrachtet, da eine Struktur in der Regel nur aus Emission ihr
idealtypisches Auszahlungsprofil aufweist. Ein Verkauf des Produktes während der
Laufzeit ist jederzeit möglich. Als Käufer werden Privatanleger angenommen, die An-
lagezertifikate zur Vermögensanlage erwerben. Die Auszahlungsprofile sollen hinrei-
chend einfach sein und sich an tatsächlich in der Praxis signifikant abgesetzten
Strukturen orientieren. Repräsentativ werden daher im Laufe der Ausarbeitung fol-
gende aktien- und rentenbasierte Typen verwendet, um die theoretischen Zusam-
menhänge für den Markt von Anlagezertifikaten zu verdeutlichen. Die betrachteten
Rentenstrukturen sind: Stufenzinsanleihe (Step-Up Callable), Marktzinsanleihe mit
Mindestzins (Floored Floater) sowie Zinskurvenanleihe (Steepener), die Aktienstruk-
turen setzen sich aus einer Partizipationsanleihe (Delta 1) sowie einer Anleihe, deren
Kuponzahlung von der Entwicklung eines zugrunde liegenden Aktienkorbes abhängt
(Basketanleihe), zusammen. Grundlagen und Kurzbeschreibungen der hier genann-
ten Strukturen finden sich im Anhang.
Neben einer persistent hohen Nachfrage nach Kapitalschutzprodukten scheint es
Phasen zu geben, in denen diese Nachfrage in Abhängigkeit zum Verlauf der
Aktienindizes schwankt: Je schlechter die vorangegangene Entwicklung des DAX ist,
desto höher scheint die Nachfrage nach Kapitalschutz-Strukturen zu sein und um-
gekehrt. Dieser Aspekt wird in Zusammenhang mit Risikowahrnehmung und -
verhalten aufgegriffen, bevor Kapitel 4.6 diese Hypothese aufnimmt, beleuchtet und

11
gegriffen, bevor Kapitel 4.6 diese Hypothese aufnimmt, beleuchtet und zusammen-
fassend analysiert.
2.4 De r Privatanl eg er: Akt eu r auf de m M arkt für Anlag eze rtifikat e
Strukturierte Wertpapiere sind bei vielen Marktteilnehmern beliebt. Interessenten die-
ser Anlageform finden sich bei Institutionellen Anlegern wie Fonds und Vermögens-
verwaltungen sowie Privatanlegern gleichermaßen, zudem vervollständigen Emitten-
ten und weiterverkaufende Institute wie Banken und Sparkassen die Akteure auf dem
Markt für Anlagezertifikate. Motive und Fachwissen sind bei jedem dieser Marktteil-
nehmer unterschiedlich, so differieren die Interessenslagen von Emittenten, Banken
und Sparkassen und Privatanlegern. Da der Fokus dieser Arbeit auf einem Privatan-
leger liegt, der Zertifikate zur Vermögensanlage erwirbt, wird der Rahmen seiner Ent-
scheidungssituation kurz skizziert.
Finanzentscheidungen sind per se mit einer großen Abstraktheit verbunden. Wäh-
rend im Jahr 2009 in Zusammenhang mit den Auswirkungen der Finanzkrise der
Umgang mit Verlusten oder Staatsdefiziten in Milliardenhöhe fast alltäglich geworden
zu sein scheint, verbleibt die Vorstellung davon, was diese Größenordnungen bedeu-
ten, für einen ,,Normalbürger" wohl relativ abstrakt. Genauso wie die Komponenten
strukturierter Wertpapiere, insbesondere Derivate, aufgrund der geringen Handha-
bung im Alltag abstrakt bleiben (Fischer und Mörsch 1999). Fischer und Mörsch
(1999) beschreiben darüber hinaus das Anlageverhalten privater Haushalte als typi-
scherweise von geringer Informationssuche sowie hoher Risikoaversion geprägt. Das
Ausmaß der Informationssuche kann zunehmen, wenn es sich nicht um eine Anlage
auf einem Sparbuch, sondern in einer Aktie handelt. Zudem ist das Risikoverhalten
von Privatanlegern von einem Missverständnis aus Risiko und Mehrertrag geprägt.
Ein Mehrertrag wird nämlich nicht zwangsläufig als Prämie für ein eingegangenes Ri-
siko gesehen. Wiswede (2007) verweist in diesem Zusammenhang auf das magi-
sche Dreieck der Geldanlage, dessen Zielkomponenten Risiko, Liquidität und Sicher-
heit, in einem Konflikt stehen und nie gleichermaßen erfüllt werden können. Da es
sich bei kapitalgarantierten Strukturen auf Aktien um eine vermeintliche Zwischen-
form aus Sparbuch und Aktienanlage handelt, erscheint die von Wiswede (2007)
vorgeschlagene Erweiterung des Dreiecks um eine weitere nachgelagerte Determi-
nante, Einfachheit bzw. Bequemlichkeit, zielführend. Diese Variable drückt sich da-

12
durch aus, dass ein Anleger nicht ständig verfolgen muss, wie sich seine Anlage
entwickelt. Ein Attribut, das insbesondere auf Aktienstrukturen zutrifft, da trotz man-
gelnder regelmäßiger Beobachtung kein Kapitalverlust zum Laufzeitende droht. Au-
ßerdem verweist Wiswede (2007) auf die vorrangigen Determinanten des Dreiecks
Rendite und Sicherheit. Bei direktem Vergleich dieser Kriterien dominiert Sicherheit.
Daher könnten kapitalgarantierte Aktienstrukturen ein bedürfnisgerechtes Investiti-
onsziel für Privatanleger darstellen, da auch hier nicht selten eine Dominanz von Si-
cherheit gegenüber Rendite zu beobachten ist.
3 De r Zusammenhang von Entscheidungen und Emotionen
Seit der Antike gibt es gegensätzliche Auffassungen zum Verhältnis von Kognitionen
und Emotionen. Platon ist davon ausgegangen, dass Emotion und Leidenschaft die
Vernunft von rationalem Denken und Verhalten abhalten und daher ausgeblendet
werden müssen (Das neue Duden-Lexikon 1989). Ähnlich verhält es sich mit traditio-
nellen mathematischen Entscheidungsmodellen. Sie unterstellen eine analytische
Kosten-Nutzen-Kalkulation und blenden Emotionen aus. Andere Forschungsgebiete
hingegen belegen nicht nur ein enges Zusammenspiel von Entscheidungen und
Emotionen, sondern betrachten Emotionen sogar als Determinante für eine Ent-
scheidung. Daher wird im Folgenden die Herausforderung eines Entscheidungspro-
zesses beleuchtet, bevor das Paradigma traditioneller Entscheidungsmodelle be-
trachtet wird. Anschließend erfolgt die Klärung des Emotionsbegriffes sowie die Dar-
stellung eines integrativen Modells aus Entscheidungen und Emotionen.
3.1 Die Entscheidungssituation
Was macht das Treffen von Entscheidungen so schwierig? Unabhängig davon, dass
ein Mensch täglich eine Vielzahl von Entscheidungen trifft, machen Eisenführ und
Weber (1999) verschiedene Kriterien aus, die Entscheidungen besonders verkompli-
zieren und die insbesondere auf Anlageentscheidungen übertragbar sind. Einerseits
werden Entscheidungen hier immer unter Unsicherheit getroffen, da es trotz sorgfäl-
tiger Analyse eines Investments keine Sicherheit für die zukünftige positive Entwick-
lung einer Aktie oder Anleihe gibt. Andererseits können auch mehrere Ziele mit einer
Entscheidung verfolgt werden. So kann beispielsweise eine Anlage unter dem Ge-
sichtspunkt, ein möglichst geringes Risiko eingehen zu wollen und dennoch eine

13
Chance auf einen hohen Ertrag zu erhalten, betrachtet werden. Ein Investor möchte
sich nicht die Möglichkeit einer Verdopplung seines eingesetzten Kapitals nehmen
lassen, gleichwohl wird er einen kompletten Kapitalverlust nicht riskieren wollen.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass in der Regel mehrere Entschei-
dungsalternativen vorhanden sind, aus denen eine Wahl getroffen werden muss.
Nicht nur die Anzahl möglicher Aktieninvestments an den Börsen ist sehr hoch. Eine
Anlageentscheidung, welches Zertifikat Ziel einer Investition sein soll, trifft aktuell auf
über 155.000 unterschiedliche Alternativen, die Anzahl von Anlageprodukten, die der
Deutscher Derivate Verband (2009b) insgesamt erfasst. Die Anzahl der aus einer
Emission angebotenen Produkte verbleibt unter der Annahme, dass jede Emittentin
zeitgleich zehn Produkte zur Zeichnung anbietet, bei 34 Emittenten unübersichtlich
hoch. Um eine handhabbare Zahl wählbarer Alternativen zu schaffen, muss ein An-
leger Strategien zur Vorauswahl und Informationseinengung treffen.
Zusätzlich erschwert die Komplexität der Entscheidungssituation die Auswahl. Der
Anleger muss nicht nur bestimmen, welcher Markt mit welchem Risikoprofil für ihn
der aussichtsreichste ist. Es gilt genauso, die Faktoren Gebührenstruktur des Zertifi-
kates, Emittentenbonität und Gesamtportfoliokontext zu berücksichtigen. Während
ein Privatanleger nicht wie ein Händler in Sekundenschnelle entscheiden muss, son-
dern ihm bei denen im Rahmen einer Zeichnungsfrist von in der Regel zwei bis vier
Wochen angebotenen Anlagezertifikaten mehr Zeit verbleibt, sieht er sich doch meh-
reren Aufgaben ausgesetzt. Diese bestehen beispielsweise darin, wie viel Zeit er für
Finanzentscheidungen hat und aufbringen möchte, welche Informationen ihm zu
einer Alternative, einem konkreten Produkt vorliegen und ob er sich realistischerwei-
se einen Überblick über alle am Markt erhältlichen Anlagealternativen bilden kann,
um nur einige zu nennen. Schließlich möchte sich der Anleger mit seiner getroffenen
Entscheidung wohl fühlen.
3.2 Traditionell e Modell e rational en Entscheid ens
Traditionelle Modelle rationalen Entscheidens sind durch ein Paradigma geprägt, das
einen vollkommen rational handelnden Akteur voraussetzt. Die Grundlage dieser
Modelle schafft Daniel Bernoulli, der im Jahr 1738 das Nutzenkonzept entwirft
(Eisenführ und Weber 1999). Demnach steht nicht der Preis eines Gutes im Vorder-
grund, sondern der Nutzen, den es stiftet. Der gestiftete Nutzen hängt dabei von indi-

14
viduellen Faktoren ab. Beispielsweise ergibt sich ein unterschiedlicher Nutzen aus
der Menge eines Gutes, das sich bereits im Besitz befindet. Ein Gut mit einem nied-
rigeren Preis kann damit einen höheren Nutzen stiften als ein höherpreisiges Gut, da
mit steigender Menge eines in Besitz befindlichen Gutes der zusätzliche Nutzen einer
weiteren Einheit dieses Gutes sinkt. Hiermit legt Bernoulli nicht nur die Basis für das
Konzept des abnehmenden Grenznutzens, sondern auch die Grundlage für die heu-
tigen Nutzenmaximierungsmodelle, bei denen Akteure Entscheidungen durch die
Maximierung von Nutzen bzw. Erwartungswert treffen.
Das bis heute führende Modell stellt das durch von Neumann und Morgenstern 1947
entworfene Erwartungs-Nutzen-Theorem dar (Eisenführ und Weber 1999). In einer
Entscheidungssituation werden verschiedene Alternativen dahingehend betrachtet,
wie hoch ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten sind und welche Ergebnisqualität, die sich
aus der Höhe eines Ergebnisses ergibt, sich einstellt. Die Bewertung der unter-
schiedlichen Alternativen wird durch die Analyse des Erwartungswertes vorgenom-
men. Der Erwartungswert einer Alternative ergibt sich durch multiplikative Verknüp-
fung von Eintrittswahrscheinlichkeit und Ergebnishöhe. Rational handelt der, der den
Erwartungswert jeder möglichen Alternative ermittelt und daraus diejenige Alternative
wählt, die den höchsten Erwartungsnutzen bietet. Damit setzt dieses Modell voraus,
dass in einer Entscheidungssituation sowohl die Eintrittswahrscheinlichkeit als auch
die Ergebnishöhe jeder möglichen Alternative ex ante vorliegt.
Traditionelle ökonomische Entscheidungsmodelle vereinen das Paradigma vollkom-
mener Rationalität. Das bedeutet, dass auch alle Marktteilnehmer an den Finanz-
märkten bei der Informationsverarbeitung stets bekannte statistische Verfahren an-
wenden. Neben diesen exakten Informationsverarbeitungsstrategien beinhaltet dies
auch ausreichend Informationen und Wissen über die Struktur der Märkte, genauso
wie die Annahme, alle Entscheidungen werden optimal zur Erreichung persönlicher
Ziele getroffen. Modelle, wie die Portfoliotheorie von Markowitz liefern einen normati-
ven Ansatz für die optimale Risikoallokation durch Diversifikation einzelner Anlagen.
Ein Anleger kann durch Analyse von Ertrags- und Risikoeigenschaften seiner Portfo-
liobestandteile eine optimale Gesamtallokation erreichen. Solche Modelle implizieren
eine Informationseffizienz von Marktpreisen. Ökonomen beschreiben einen effizien-
ten Markt häufig als einen, auf dem Marktpreise zu jeder Zeit jegliche verfügbare In-
formation korrekt reflektieren. Letztendlich handelt es sich um ein Gleichgewicht rati-

15
onaler Erwartungen. Dies beinhaltet richtige Prognosen. Diese Erwartungen werden
damit nicht als konsistent verzerrt angenommen und beinhalten außerdem das Ler-
nen aus Fehlern (Oberlechner 2004).
Obwohl das von Neumann und Morgenstern-Theorem und das Modell von Markowitz
bis heute durchschlagend, zudem einfach und übersichtlich sind, können sie die Rea-
lität nicht vollkommen zu erfassen. Tatsächlich belegt das Entscheidungsverhalten
eines individuellen Investors sowie dessen Aggregat auf Marktebene, das sich bei-
spielsweise durch Über- und Untertreibungsphasen an den Börsen spiegelt, kein ra-
tionales Kalkül im Sinne dieses Erwartungs-Nutzen-Theorems. Auf Entscheidungen
haben offensichtlich andere und weitere Faktoren Einfluss, als von diesem und ande-
ren Modellen beschriebene.
3.3 Emotionen: Ein e Definition
"My father will sit down and give you theories to explain why he does this or that. But
I remember seeing it as a kid and thinking...at least half of this is bull_ _ _ _. I mean,
you know the reason he changes his position on the market or whatever is because
his back starts killing him. It has nothing to do with reason. He literally goes into a
spasm, and its this early warning sign." (Kaufman 2002, S. 140)
So fasst Robert seine Beobachtungen über das Verhalten seines Vaters George
Soros zusammen. Damit wird deutlich, dass an den Finanzmärkten herausragende
Investoren nicht nur aufgrund rein rational nachvollziehbaren Kalküls handeln. Begrif-
fe wie Gier und Angst werden häufig mit der Börse in Verbindung gebracht. Der fol-
gende Abschnitt zeigt den Unterschied zwischen Emotionen sowie Affekten und
Stimmungen auf und stellt den Einfluss von Emotionen auf Entscheidungen und dar.
In einem viel beachteten Beitrag über Emotionen und Kognitionen weist Zajonc
(1980) darauf hin, dass Emotionen zu Unrecht gegenüber Kognitionen vernachlässigt
werden. Entgegen der breit vertretenen Auffassung seiner Zeit beschreibt er Emotio-
nen als Basisreaktion des Körpers, die nicht erst nach Gedankenoperationen auftre-
ten, sondern ein intuitives Urteil darüber erlauben, ob ein Stimulus als angenehm
oder unangenehm empfunden wird. Diese affektiven Reaktionen erfolgen sicherer
und schneller als gedankenbasierte Urteile. Zajonc geht davon aus, dass Emotion
und Denken in unterschiedlichen Systemen ablaufen, die teilweise unabhängig von-

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einander agieren und sich gegenseitig beeinflussen (dieses Phänomen wird in Kapi-
tel 3.4 genauer betrachtet).
Fischer und Wiswede (2009) fassen unterschiedliche Definitionen von Emotionen in
der Literatur in Hinblick auf folgende Merkmale als konsistent zusammen: Qualität,
Objektausrichtung, Intensität und Dauer. Die Qualität einer Emotion drückt sich durch
die Art der Bewertung wie z.B. Freude oder Ärger aus. Die Objektausrichtung deutet
auf die Orientierung einer Emotion an realen Objekten. Dabei führt selbst eine sub-
jektive Überzeugung des Vorhandenseins eines Objektes zu Emotionen, unabhängig
davon, ob es real vorhanden ist. Ein Differenzierungsmerkmal ist zudem die Intensi-
tät einer Emotion, die schwach oder stark sein kann, und daher mit unterschiedli-
chem Erregungsgrad verbunden sind. Emotionen unterscheiden sich dazu in ihrer
Dauer. Sie können als angenehm oder unangenehm empfunden werden und sind
eng mit Bedürfnissen des Menschen, auch Grundbedürfnissen wie Hunger und Durst
verbunden. Die Empfindung von Hunger aktiviert eine Handlung um dieses Zustand
zu ändern. Gefühle können aber auch selbst Motivation sein, etwas Bestimmtes zu
unternehmen. Wenn durch eine Handlung ein positiver Verstärkerreiz oder ein ange-
nehmes Gefühl erreichbar ist, kann diese Handlung bewusst herbeigeführt werden.
Elster (1998) differenziert Emotionen, die aus sozialer Interaktion entstehen, wie
Schuld, Hass, Bewunderung, Stolz oder Mögen, von solchen, die durch Gedanken,
was hätte geschehen können, aber tatsächlich passiert ist, wie Bedauern oder Ent-
täuschung, hervorgerufen werden. Angst und Hoffnung erkeimen bei dem Gedanken
daran, welche Konsequenz oder welche Erwartung mit einer Entscheidung auftreten
könnte genauso wie das Gefühl von Freude oder Schmerz nachdem sich etwas Posi-
tives oder Negatives ereignet hat.
Ein Gefühl als Substanz einer Emotion hat demnach starken evaluativen Charakter,
ist nicht nur ein rein körperliches Phänomen und erlaubt jedem Individuum einzu-
schätzen, ob ein bestimmtes Objekt oder Zustand als gut oder schlecht eingeschätzt
wird. Dies sind entsprechend positive oder negative Valenzen, die ein kontinuierli-
ches Spektrum von Unwohl- bis Wohlsein darstellen. Am Beispiel des Bedauerns
lassen sich Gefühle in der Welt von Finanzentscheidungen anhand folgender Krite-
rien abgrenzen (Elster 1998 sowie Ackert, Church und Deaves 2003):

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1. Kognitive Abstammung: Emotionen werden durch Überzeugungen ausgelöst.
Bei einem schlecht performanden Investment kann Bedauern aufkommen,
wenn die Überzeugung vorhanden ist, dass das negative Ergebnis vermeidbar
war und man nur aufgrund schlechter Entscheidung verloren hat.
2. Beabsichtigtes Objekt: Emotionen haben einen Ursprung und können aus
kognitiver Abstammung heraus entstehen. Die bisher schlechte Anlage ist das
Objekt eines bedauernden Investors.
3. Physiologische Aktivierung: Emotionen können mit Veränderungen des Hor-
monhaushaltes und dem zentralen Nervensystem einhergehen. Der bedau-
ernde Investor kann Magenschmerzen und Depressionen erleben.
4. Physiologische Reaktion: Ein fahler Gesichtsausdruck, eine gedrückte Stimm-
lage oder eine gedrückte Körperhaltung können Reaktionen auf eine schlechte
Anlageentscheidung sein.
5. Valenz: Besonders der Kontrast zwischen Emotionen wie Freude und
Schmerz intensiviert das jeweilige Erlebnis einer Entscheidung.
6. Verhaltenstendenzen: Emotionen und Verhaltenstendenzen sind miteinander
verbunden. Eine schlechte Anlage möchte der Investor bei der nächsten Ent-
scheidung vermeiden.
Zu differenzieren sind weiter Stimmungen und Affekte von Emotionen. Während
Emotionen eher kurzzeitige Reaktionen auf einen Stimulus darstellen, drücken sich
Stimmungen und affektive Zustände in einem wesentlich globaleren und länger an-
dauernden Zustand aus. Im Gegensatz zu Emotionen sind sie nicht auf ein bestimm-
tes Objekt gerichtet. Stimmungen drücken sich als Zustand von Wohlsein oder Un-
wohlsein aus und dienen als Rahmen, in dem konkrete Kognitionen und Emotionen
erlebt werden. Stimmung und Affekt hat direkte Auswirkung auf die Informationsver-
arbeitung, und übt damit Einfluss auf das Entscheidungsverhalten aus. Schwarz hebt
hervor, dass Stimmung im Sinne der Fragestellung ,,Wie fühle ich mich damit" selbst
Informationsgehalt zukommt (Fischer und Wiswede 2009). In guter Stimmung läuft
ein Urteilsprozess laxer ab und es kommt tendenziell zu risikofreudigeren Entschei-
dungen und umgekehrt. Einige Studien belegen sogar den Zusammenhang zwischen
Wetter und Aktienrenditen. Da gutes Wetter stimmungssteigernd wirkt und Risikoent-
scheidungen unter diesem Einfluss leichter vorgenommen werden, lässt sich empi-

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risch ein Zusammenhang aus gutem Wetter und positiven Aktienrenditen zeigen
(Hirshleifer und Shumway 2003). Peterson (2007) führt zusammenfassend zudem
den Einfluss von Jahreszeiten, und damit Unterschiede in der Länge des Tages-
lichtes, und geomagnetischen Einflüssen auf, die Auswirkungen auf Gefühl sowie Ri-
sikoverhalten und Aktienrenditen ausüben auf. Emotionen und deren Einfluss wirken
oft unbewusst, wie ein Parfum, das man intuitiv mag oder gleichermaßen ablehnt.
3.4 Integration von Kognitionen und Emotionen: Zwei-Syste m-
Bet rachtung
Um den Wirkungszusammenhang zwischen Kognitionen und Emotionen zu beleuch-
ten, sind psychologisch integrierte Modelle hilfreich, die eine Zwei-Prozess- bzw.
Zwei-System-Betrachtung vorschlagen. Ein so genanntes System trägt hier die Be-
deutung eines Oberbegriffes für Prozesse, die sich bzgl. Geschwindigkeit, Kontrol-
lierbarkeit und Inhalten unterscheiden lassen. Aufgrund dieser Kriterien wirken zwei
unterschiedliche Modi anhand derer Einstellungen determiniert und Entscheidungen
getroffen werden. System 1 ist an eine intuitive Entscheidungsfindung angelehnt und
erfasst somit auch Emotionen. System 2 hingegen basiert auf kognitiven Prozessen
und operiert analytisch, soweit kognitive Fähigkeiten und Kapazitäten vorhanden
sind.
Die folgende Abbildung gibt einen Überblick hinsichtlich prozessualer und inhaltlicher
Charakteristika, auf denen beide Systeme basieren:
Intuition
System 1
Reflektion
System 2
automatisch
kontrolliert
schnell, parallel
langsam, seriell
verbindend
schlussfolgernd
mühelos
mühevoll
prozessunklar
selbstaufmerksam
Prozess-
eigenschaften
geübtes Vorgehen
Regelanwendung
affektiv
neutral
Kausalketten
Statistiken
konkret, spezifisch
abstrakt
Inhalts-
eigenschaften
Prototypen, Muster
Satzreihen
Abbildung 1: Zwei-System-Betrachtung
Darstellung in Anlehnung an Kahneman und Frederick 2002

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Ein Zwei-System-Modell zeigt, unter welcher Voraussetzung welches System zum
Einsatz kommt, wann ein Austausch zwischen beiden stattfindet und wie Intuition von
Reflektion, ausführlichem Denken, differenziert werden kann. Charakteristika von
System 1 liegen denen der Perzeption, der Wahrnehmung, sehr nahe und laufen
schnell, automatisch und mühelos ab. Während Perzeption an die Weiterleitung ge-
genwärtiger Stimuli und damit stimulusgebunden ist, können beide Systeme Vergan-
genheit, Gegenwart und Zukunft erfassen und durch Sprache hervorgerufen werden.
Das Wahrnehmungssystem 1 generiert dabei Eindrücke der Attribute perzipierter Ob-
jekte und Gedanken, die weder beabsichtigt noch verbal explizit sein müssen. Im
Gegensatz dazu sind Urteile immer explizit und intentional, unabhängig davon, ob sie
offen zum Ausdruck kommen (Kahneman und Frederick 2002). System 1, das Chen
und Chaiken (1999) als heuristischen Modus kennzeichnen, verarbeitet Informatio-
nen durch die Anwendung von so genannten Heuristiken, vereinfachenden Daumen-
regeln, die eine im Gedächtnis gespeicherte, gelernte, erklärende oder prozeduale
Wissensstruktur darstellen und somit weniger kognitiven Aufwand verursachen als
eine ausführliche Analyse von System 2. Voraussetzung für die heuristische Informa-
tionsverarbeitung ist die Verfügbarkeit entscheidungsrelevanter Heuristiken, die Zu-
gänglichkeit der vorliegenden Information sowie die Anwendbarkeit der verfügbaren
Heuristiken, und damit die Aktivierung des gespeicherten Wissens. Das Potential zur
Aktivierung ist abhängig von internalen Faktoren, wie regelmäßigem Gebrauch und
externalen Faktoren, die sich beispielsweise aus Anschaulichkeit (vividness) und Sa-
lienz, der Auffälligkeit, einer Information bzw. Aufgabe ergeben.
Chen und Chaiken weisen (1999) zudem darauf hin, dass beide Systeme nicht un-
abhängig voneinander arbeiten, sondern sich durch ein Zusammenspiel auszeich-
nen. Unterscheiden kann man dabei zwischen aufeinander folgender und gleichzeiti-
ger Interaktion beider Systeme. Bei einer sequentiellen Interaktion wirkt der Einfluss
eines Systems auf das andere in beide Richtungen. Zu differenzieren ist aber die
Wirkung von System 1 auf System 2, da System 2 im Sinne einer Ex-Post-
Rationalisierung auf ein Intuitivurteil wirkt, das intuitiv bleibt aber kognitiv zurecht ar-
gumentiert wird. Da sich private wie professionelle Investoren einer unübersichtlichen
Zahl potentieller Informationen ausgesetzt finden, operieren die beiden Modi nach
einem Ausreichend-Prinzip, das beschränkte Informationsbearbeitungskapazitäten
sowie Effizienzgesichtspunkte berücksichtigt. Daher dominiert System 1 das System

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836649469
DOI
10.3239/9783836649469
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität zu Köln – Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Betriebswirtschaftslehre
Erscheinungsdatum
2010 (Juli)
Note
1,7
Schlagworte
behavioural finance wirtschaftspsychologie anlegerverhalten zertifikate finanzmarkt
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Titel: Entscheidungen und Emotionen
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