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Vertrauensmanagement in der betrieblichen Misstrauenskultur

Ursachen, Effekte und Lösungsansätze des zwischenhierarchischen Misstrauensdilemmas

©2010 Diplomarbeit 160 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Deutsche Führungskräfte und Mitarbeiter befinden sich aktuell in einer komplexen Arbeitsverhältniskrise, in der betrieblichen Kultur des Misstrauens. Ihre Beziehungsstrukturen sind insbesondere im Arbeitsalltag deutscher Großunternehmen zunehmend misstrauensgeprägt. Weltweite Kapitalisierungsvorgänge, organisatorische Wandlungsprozesse und damit einhergehende Restrukturierungsmaßnahmen, verstärkt durch die momentane Wirtschaftskrise, begünstigen die innerbetriebliche Erosion von zwischenhierarchisch-sozialem Vertrauenskapital. Weitere aktuelle Misstrauensursachen liegen in extensiven Kontrollinitiativen und anonymen Überwachungsaktivitäten begründet. So stellten u. a. die Deutsche Bahn AG, Lidl AG und Telekom AG ihre Mitarbeiter bei Bestrebungen zur Korruptionsvorbeugung mittels IT-gestützten Verhaltensüberwachungen sowie der Sammlung und Abgleichung von Daten unter Generalverdacht, ohne sie im Vorhinein darüber zu informieren.
Die Relevanz innerbetrieblicher Vertrauensverhältnisse und die Folgen zwischenhierarchischen Misstrauens für Unternehmen, Mitarbeiter und Vorgesetzte werden von einer Vielzahl wissenschaftlicher und medialer Publikationen mit intensiver Aufmerksamkeit thematisiert. Dies ist laut einiger Vertrauenstheoretiker ein Hinweis darauf, dass in der Praxis deutscher Unternehmenskulturen enorme Vertrauensdefizite bestehen und zwischenhierarchische Vertrauensverhältnisse durch interpersonale Vertrauensverluste deutlich in Schieflage geraten sind.
Forschungsziel und Fragestellung der Arbeit:
Aufgrund der aktuellen Problemrelevanz des Dilemmas von innerbetrieblichen Vertrauensverlusten und gleichzeitigem betrieblichen Vertrauensbedarf sollen die zentralen Ursachen, Wirkungszusammenhänge und Kausaleffekte der zwischenhierarchischen Misstrauenskultur herausgearbeitet werden, um darauf aufbauend mögliche führungsgestützte Lösungsansätze entwickeln zu können. Für die Beantwortung des Forschungsinteresses ist es wichtig, die folgenden spezifischen, forschungsrelevanten Teilfragen intensiv zu behandeln: Auf welchen genauen Ursachen beruht die zwischenhierarchische Misstrauenskultur? Welche komplexen Kausaleffekte bringt Misstrauen individuell und zwischenmenschlich für Mitarbeiter und Führungskräfte mit sich? Welche Persönlichkeitseigenschaften, Kompetenzen und Verhaltensweisen muss eine vertrauenfördernde Mitarbeiterführung (Vertrauensmanagementansatz) beinhalten, um vom Mitarbeiter als vertrauensvoll wahrgenommen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Die Aktualität der betrieblichen Misstrauenskultur
1.1.1. Misstrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern
1.1.2. Öffentlicher Vertrauensverlust von Unternehmen und Managern
1.1.3. Betrieblicher Vertrauensbedarf
1.2. Forschungsziel und Fragestellung der Arbeit
1.3. Forschungsvorgehen und Aufbau der Arbeit

2. Grundlagen der Vertrauenstheorie
2.1. Vertrauensdefinitionen
2.1.1. Vertrauen in der modernen Soziologie
2.1.2. Vertrauen in der Psychologie und Sozialpsychologie
2.1.3. Vertrauen in der Wirtschaftssoziologie und Ökonomie
2.1.3. Vertrauen in der Wirtschaftssoziologie und Ökonomie
2.2. Eigenschaften und Merkmale des Personenvertrauens
2.2.1. Akteursabhängigkeit und Sozialkooperationen
2.2.2. Zukunftsausrichtung, Erwartungshaltung, Ergebnisabhängigkeit
2.2.3. Vertrauen als Risiko
2.2.4. Sicherheitsmechanismus und Komplexitätsreduktion
2.2.5. Vertrauensaufbau: Prozessgebundenheit, Vertrauensfundamente
2.3. Misstrauen
2.3.1. Grundkonzepte und Ursachen
2.3.2. Wirkungseffekte in der Akteursbeziehung
2.3.3. Das theoretische Verhältnis von Vertrauen und Kontrolle
2.3.4. Das praktische Verhältnis von Vertrauen und Kontrolle
2.4. Vertrauen und Misstrauen in der Prinzipal-Agent-Beziehung
2.4.1. Vertrauens- und Misstrauensindikatoren
2.4.2. Vertrauensmechanismus: Platzierung und Annahme
2.4.3. Vertrauen als Rational Choice: Kalküle und Interessenunterschiede
2.4.4. Informationsasymmetrien und Opportunismus
2.4.4.1. Hidden Characteristics und Adverse Selection
2.4.4.2. Hidden Action und Moral Hazard
2.4.4.3. Hidden Information/Knowledge und Moral Hazard
2.4.4.4. Hidden Intention und Hold Up
2.4.5. Abschließende Bewertung

3. Prinzipal und Agent in der betrieblichen Misstrauenskultur
3.1. Der externe Einfluss von Globalisierungseffekten
3.1.1. Makro-Globalisierungseffekte
3.1.2. Meso-Globalisierungseffekte: Strukturwandel der Arbeitswelt
3.2. Der Arbeitskraftunternehmer als unternehmerisches Selbst
3.2.1. Zentrale Bestimmungsgrößen des Arbeitskraftunternehmers
3.2.2. Selbstmanagement von Arbeit
3.2.3. Subjektivierung von Arbeit
3.2.3.1. Flexibilisierung
3.2.3.2. Individualisierung: Doping
3.2.4. Zeitdruck, Erfolgsdruck, Leistungsdruck, Mehrarbeit
3.2.5. Überbelastungen und Gesundheitsrisiken
3.2.6. Unsicherheiten, Ängste, Enttäuschungen und Entgrenzungen
3.2.7. Vertrauensprobleme zwischen Führungskräften und Mitarbeitern
3.3. Die interpersonale Misstrauenskultur im Berufsalltag
3.3.1. Der Homo Ego-nomicus in Aktion
3.3.1.1. Interessenstreben
3.3.1.2. Opportunismus, Machtausübung, Moralverfall
3.3.2. Informations- und Kommunikationsdefizite
3.3.2.1. Unpersönliche Kommunikationsstrukturen
3.3.2.2. Mobbing
3.3.2.3. Kommunikationslücken, Intransparenz, Inkonsistenz
3.3.2.4. Hierarchiedistanz
3.3.3. Zwischenfazit
3.4. Misstrauensintensivierung durch Mitarbeiterkontrollen
3.4.1. Vertrauensbürokratie: Kontroll- und Informationssysteme
3.4.1.1. Entwicklungstendenzen betrieblicher Kontrollsysteme
3.4.1.2. Kontrollintensität und fremdkontrollierte Selbstkontrolle
3.4.1.3. IuK-Technologien zwischen Regulation und Deregulation
3.4.1.4. Die bürokratische Kontrollkultur des Misstrauens
3.4.2. Machtmissbrauch: Die anonyme Überwachungskultur
3.4.2.1. Monitoring
3.4.2.2. Fallbeispiel: Deutsche Bahn AG
3.4.3. Das interpersonale Misstrauensdilemma
3.4.3.1. Misstrauenseffekte anonymer Monitoringaktivitäten
3.4.3.2. Misstrauenseffekte überintensiver Kontrolle
3.4.3.3. Die betriebliche Misstrauensspirale
3.5. Die interpersonale Misstrauenskultur im Überblick
3.5.1. Faktorenmodell der betrieblich-interpersonalen Misstrauenskultur
3.5.2. Modellerklärung und Zusammenfassung bisheriger Ergebnisse
3.5.3. Folgen für die Principal-Agent-Theorie

4. Vertrauensmanagement in der betrieblichen Misstrauenskultur
4.1. Grundlagen des betrieblichen Vertrauensmanagements
4.1.1. Begriffsdefinition und Ziele
4.1.2. Betriebliches Vertrauensmanagement als Führungskonzept
4.1.3. Der Vertrauensmanagementprozess: Einflussfaktoren, Vertrauensebenen
4.2. Interpersonal-zwischenhierarchischer Vertrauensaufbau
4.2.1. Vertrauensinitiative, Vertrauensbereitschaft, Vertrauenswürdigkeit
4.2.2. Personale Vertrauensfaktoren von Führungskräften
4.3. Interpersonales Vertrauensmanagement über Mitarbeiterführung
4.3.1. Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale, Kompetenzen
4.3.1.1. Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale
4.3.1.2. Kompetenzen
4.3.2. Kontrollverhalten
4.3.2.1. Controlling von Kontrolle
4.3.2.2. Echte Selbstkontrolle: Ein „Mehr“ an Vertrauen
4.3.3. Partizipationsverhalten
4.3.3.1. Komponenten eines partizipativen Vertrauensmanagements
4.3.3.2. Vertrauenseffekte
4.3.4. Kommunikations- und Interaktionsverhalten
4.3.4.1. Das Verhältnis von Vertrauen und Kommunikation
4.3.4.2. Zentrale Grundannahmen der Kommunikationstheorie
4.3.4.3. Vier Kommunikationsgrundsätze des Vertrauens
4.3.4.4. Face-To-Face-Kommunikation als Vertrauensmedium
4.3.4.5. Beziehungsorientierung, MA-Gespräche, Metakommunikation

5. Schlussteil
5.1. Herausforderungen und Hindernisse des Vertrauensmanagements
5.2. Lösungs- und Forschungspotentiale des Vertrauensmanagements

6. Literaturverzeichnis

7. Eidesstattliche Erklärung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Vertrauensgeber und Vertrauensnehmer in der Agency-Beziehung

Abbildung 2: Die Misstrauensspirale

Abbildung 3: Übersichtsmodell der interpersonalen, betrieblichen Misstrauenskultur

Abbildung 4: Betriebliches Vertrauensmanagement im Überblick

Abbildung 5: Die zwei Führungskonzepte des betrieblichen Vertrauensmanagements

Abbildung 6: Personale Vertrauensfaktoren von Führungskräften

Abbildung 7: Kompetenzprofil einer modernen Führungskraft

1. Einleitung

1.1. Die Aktualität der betrieblichen Misstrauenskultur

Deutsche Führungskräfte und Mitarbeiter befinden sich aktuell in einer komplexen Arbeitsverhältniskrise, in der betrieblichen Kultur des Misstrauens. Ihre Beziehungsstrukturen sind insbesondere im Arbeitsalltag deutscher Großunternehmen zunehmend misstrauensgeprägt. Weltweite Kapitalisierungsvorgänge, organisatorische Wandlungsprozesse und damit einhergehende Restrukturierungsmaßnahmen, verstärkt durch die momentane Wirtschaftskrise, begünstigen die innerbetriebliche Erosion von zwischenhierarchisch-sozialem Vertrauenskapital (Hartmann 2001: 33; Cordini 2007; Kern 1998; Klaus 2002: 199; Capital 2009). Weitere aktuelle Misstrauensursachen liegen in extensiven Kontrollinitiativen und anonymen Überwachungsaktivitäten begründet. So stellten u. a. die Deutsche Bahn AG, Lidl AG und Telekom AG ihre Mitarbeiter bei Bestrebungen zur Korruptionsvorbeugung mittels IT-gestützten Verhaltensüberwachungen sowie der Sammlung und Abgleichung von Daten unter Generalverdacht, ohne sie im Vorhinein darüber zu informieren[1] (Fokus.de 2009; Stern.de 2009a,b; Tagesschau.de 2009a,b,c,d; Tagesspiegel.de 2009; Zeit.de 2009; Deutsche Bahn AG 2009; FAZ.net 2009; Spiegel.de 2009a,b).

Die Relevanz innerbetrieblicher Vertrauensverhältnisse und die Folgen zwischenhierarchischen Misstrauens für Unternehmen, Mitarbeiter und Vorgesetzte werden von einer Vielzahl wissenschaftlicher[2] und medialer[3] Publikationen mit intensiver Aufmerksamkeit thematisiert. Dies ist laut einiger Vertrauenstheoretiker ein Hinweis darauf, dass in der Praxis deutscher Unternehmenskulturen enorme Vertrauensdefizite bestehen und zwischenhierarchische Vertrauensverhältnisse durch interpersonale Vertrauensverluste deutlich in Schieflage geraten sind (Sprenger 2007: 16ff.; 20ff.; Bunz 2005: 151ff.)[4].

1.1.1.Misstrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern

Die betriebliche Misstrauenskultur zwischen deutschen Führungskräften und Mitarbeitern wird aktuell durch eine Umfrage des Wirtschaftsmagazins „Capital” unter knapp 500 deutschen Angestellten bestätigt. Knapp die Hälfte (45 %) der befragten Fachkräfte misstraut ihren Vorgesetzten und jeder Dritte vermutet, sein direkter Vorgesetzter misstraue ihm ebenso. Ganze 68 % der Befragten verspüren einen verstärkten Leistungsdruck. 40 % haben Angst, Fehler zu machen und jeder Zweite rechnet sogar mit seiner Entlassung in naher Zukunft. Die misstrauensgeprägte Führungs- und Arbeitskultur lähme nicht nur die Loyalität und das Engagement, sondern zerstöre vor allem die Vertrauensbasis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern auf massive Art und Weise (Capital 2009).

Auch der repräsentative GPRA-Vertrauensindex 2009[5], den das Meinungsforschungsinstitut TNS-Emnid zusammen mit dem Wirtschaftsverband der führenden PR-Agenturen GPRA erstellt hat, stellt einen Vertrauensmangel im zwischenhierarchischen Mitarbeiterverhältnis fest. So vertraut nur etwas mehr als die Hälfte aller Deutschen (59 %) ihren Vorgesetzten, jedem vierten Vorgesetzten mangelt es sogar an Glaubwürdigkeit (TNS-Emnid 2009). Weiter bestätigt ein Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 09. März 2009 unter Berufung auf eine Gallup-Umfrage von 1900 Arbeitnehmern die Existenz gravierender zwischenhierarchischer Vertrauensprobleme in deutschen Unternehmen. Demnach fühlen sich knapp 90 % der Beschäftigten ihrem Unternehmen nicht verbunden. Nur 13 % der befragten Mitarbeiter seien mit Engagement bei der Sache. 67 % machen Dienst nach Vorschrift und 20 % haben innerlich schon gekündigt (FAZ 2009). Dementsprechend bewertet der aktuelle „DGB Index Gute Arbeit“, der vom Deutschen Gewerkschaftsbund als Qualitätsmaß für betriebliche Arbeitsbedingungen in der Bundesrepublik etabliert wurde, die Betriebskultur unter Berücksichtigung von Arbeitnehmerurteilen als tendenziell „mäßig“. Auf einer Skala von 1 bis 100 schneidet sie mit 62 Index-Punkten nur durchschnittlich ab. Auch die Führungsqualität liegt mit 64 Punkten im unteren Mittelmaß. Insgesamt beurteilen ganze 33 % der befragten Arbeitnehmer aller Berufsgruppen ihre Arbeitssituation als schlecht, 55 % als mittelmäßig. Nur ein kleiner Anteil der Beschäftigten (12 %) hat gute Arbeitsbedingungen (DGB 2009).

Dass das Mitarbeitervertrauen, als ein die Betriebskultur prägender Wert, in einer Mehrheit deutscher Unternehmen aktuell nur eine untergeordnete Stellung besitzt, demonstriert zudem eine aktuelle Führungskräftebefragung des Vereins „Wertekommission – Initiative Werte Bewusste Führung e. V.“ und des Deutschen Managerverbands. Obwohl Vertrauen von über zwei Drittel der mehr als 500 befragten Führungskräfte als der wichtigste Managementwert beansprucht wird, wird gleichzeitig ein großes Defizit in der vertrauensvollen Mitarbeiterführung bemängelt. Fast 40 % geben sogar an, ihr Unternehmen bezöge sich nur aus Marketinggründen auf Werte. Bei der Umsetzung einer wertverhafteten Vertrauenskultur werden mangelhafte Konzepte, niedrige Ernsthaftigkeit und fehlende Nachhaltigkeit kritisiert (Wertekommission 2009).

„Misstrauen und Entfremdung beherrscht das Verhältnis sowohl der Führenden gegenüber den Geführten wie umgekehrt“ (Sprenger 2007: 18, 23).

Die zunehmende Betriebstendenz Richtung Misstrauenskultur ist in der Bunderepublik kein neues Phänomen: Das Mitarbeitervertrauen in Vorgesetzte liegt schon länger auf einem niedrigen Niveau. In einer 2004 vom FEO durchgeführten Umfrage zur Erfassung des Organisationsklimas in europäischen Klein-, Mittel- und Großbetrieben bewerten deutsche Mitarbeiter ihre Vorgesetzten europaweit mit Abstand am schlechtesten (Götz 2006: 144ff.). 2006 befragte das Wirtschaftsmagazin „Manager Magazin“ insgesamt 350 deutsche Manager und ihre Mitarbeiter zum Betriebsklima innerhalb ihres Unternehmens. Die erschreckenden Ergebnisse: „In jedem dritten Team herrscht keine bedingungslos vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre. […] 21,5 % der Befragten geben an, dass ihr Vertrauen schon oft missbraucht worden ist. 8,6 % haben sogar schon wegen eines schlechten Vertrauensverhältnisses gekündigt“. 67 % der befragten Mitarbeiter glauben, dass ihre Vorgesetzten v. a. aus hoher Unsicherheit, Furcht vor Abhängigkeiten und Machtverlusten misstrauen (Manager Magazin 2006b). Gleichzeitig wird deutlich, dass sie ihr eigenes Verhalten idealisieren und es positiver als ihre Mitarbeiter bewerten (Krystek 1993: 69ff.). Außerdem wurde folgender Zusammenhang festgestellt: „Je größer der Betrieb, desto geringer ist das Vertrauen zum Vorgesetzten und in die Arbeitseinheit“ (Götz 2006: 147).

1.1.2. Öffentlicher Vertrauensverlust von Unternehmen und Managern

Die internen Vertrauensprobleme führen aufgrund einer verstärkt negativen Berichterstattung in den Massenmedien auch zu beträchtlichen externen Imageschäden. Im Zuge von Datenskandalen, Wirtschaftskrise und Restrukturierungsmaßnahmen sinkt das öffentliche Vertrauen in die deutschen Großunternehmen drastisch ab. Das zeigen Daten des Corporate Trust Index (CTI)[6] der PMG Presse Monitor AG und der Universität Leipzig (Manager Magazin 2008e). Wie eine Sondererhebung des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) und des DIW Berlin von knapp 1000 Bundesbürgern belegt, befinden sich die großen deutschen Wirtschaftsunternehmen aktuell in einer öffentlichen Vertrauenskrise. Nur etwa ein Fünftel von ihnen vertraut den Großbetrieben. 55 % haben wenig Vertrauen, 27 % überhaupt kein Vertrauen (DIW 2004). Misstrauensbelege finden sich auch im Xamit-Datenschutzbarometer 2009: Vier von fünf Befragten (82 %) misstrauen den deutschen Unternehmen beim Schutz und im Umgang ihrer persönlichen Daten (Xamit 2009). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine im Januar 2009 durchgeführte repräsentative IfD-Umfrage des Instituts Allensbach von fast 2000 Bundesbürgern[7] (Allensbach 2009).

Eine besonders tiefe Misstrauenshaltung wird gegenüber der deutschen Wirtschaftselite deutlich: Ihr Image als beliebtes Leit- und Identifikationsobjekt ist weitgehend zerstört (Buss 2008: 231ff.). Die Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) von 17.295 Personen in 16 europäischen Ländern sowie den USA zur Bestimmung des internationalen Vertrauensindex 2009 zeigt, dass deutsche Führungskräfte international am wenigsten öffentliches Vertrauen genießen. Nur 15 % der befragten Deutschen vertrauen ihnen (Gfk 2009)[8]. Fast 60 % der deutschen Führungskräfte bestätigen selbst die Ansicht, dass das Unternehmerbild in Deutschland schlecht sei (Buss 2008: 231ff.). 2008 veröffentlichte das „Manager Magazin“ die wichtigsten Ergebnisse des zweiten „International Executive Panels“ von Egon Zehnder International (Manager Magazin 2008a). Die Managerantworten spiegeln die aktuelle Vertrauenskrise deutlich wider: Nur 5 % der 1210 befragten deutschen Führungskräfte sind der Überzeugung, dass ihnen seitens der Gesellschaft Vertrauen entgegengebracht werde (ebd. 2008a). Eine überwältigende Mehrheit von ihnen (68 %) bemerkte bereits 2006 zunehmende öffentliche Akzeptanzprobleme und einen „massiven Vertrauensverlust“ (Manager Magazin 2006a), womit sie sich selbst und ihre deutschen Arbeitskollegen europaweit am kritischsten einstufen. Nur 40 % sehen sich als „integre Persönlichkeiten“, 68 % halten ihre Kollegen für integrer (ebd. 2006a).

1.1.3. Betrieblicher Vertrauensbedarf

Trotz wachsendem Misstrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern und steigenden öffentlichen Vertrauensverlusten von Unternehmen und Managern gewinnt das innerbetriebliche Mitarbeitervertrauen für Unternehmen unter dem konstanten Einfluss von veränderungsstarken Globalisierungs- und Reorganisationsprozessen[9] qualitativ und funktional zunehmend an Bedeutung (Cordini 2007: 83ff.; Meifert 2003; Nauendorf 2004: 117; Willeitner 2002: 315f.; Bohn 2007; Kotthoff 1997: 161ff.). Da Vertrauen soziale Handlungskomplexität reduziert und unsichere Zukunftserwartungen stabilisiert, erhöht sich seine betriebliche Relevanz mit zunehmender Vielschichtigkeit des Sozialsystems (Luhmann 2009: 7ff., 17, 27ff., 31ff., 38, 48, 61, 81; Ripperger 1998: 34ff.; Schweer 1997: 108). Für austauschgeprägte Führungskräft-Mitarbeiter-Beziehungen ist Vertrauen ein effektiver Koordinationsmechanismus, der trotz bestehenden Veränderungen und Zukunftsungewissheiten eine effektive Erweiterung von Entscheidungs- und Reaktionsmechanismen ermöglicht (Endress 2002: 9; Ripperger 1998: 2ff.; Schweer/Thies 2003: 84; Sztompka 1999: 18ff.; Meifert 2003: 113ff.; Bissels 2002: 36; Grüninger 2001: 67)[10].

Der wachsende betriebliche Vertrauensbedarf erschließt sich v. a. für komplexe Betriebe, die Vertrauen benötigen, um entscheidungsfähig zu sein und ökonomisch agieren zu können (Falk 2004, 2005, 2006), auch aus den ökonomischen Vertrauensfunktionen. Vertrauen, als Form von Sozialkapital, gilt als wichtige Unternehmensressource mit positiven Auswirkungen auf zahlreiche betriebliche Transaktions- und Sozialkapitalbildungsprozesse (Ripperger 1998: 165ff., 223ff.; Fuchs 2006: 167; Geramanis 2002: 14f.; Coleman 1991: 127ff.; Hartmann 2001: 166, 295ff.). Beispielsweise senkt es die Kontroll-, Transaktions- und Agencykosten (Zeit, Informationen, Aufwand, Geld) für Handlungen und Interaktionsbeziehungen (Hartmann 2001: 256; Ripperger 1998; Whitener 1998: 520; Kramer 2006; Ratzke 2003: 21f.). Parallel dazu stärkt es die Unternehmensperformance und Produktivität, generiert Wettbewerbsvorteile, garantiert langfristig höhere Profite und erwirkt kontinuierliche Verbesserungen und Lerneffekte. Eine weitere ökonomische Vertrauensfunktion für Unternehmen ist die damit verbundene Steigerung des eigenverantwortlichen Innovations- und Kreativitätspotentials der Beschäftigten (Lane 1998: 91ff., 108; Coleman 1991: 127ff., 252; Fuchs 2006; Geramanis 2002: 21ff.; Ripperger 1998).

Interpersonales Vertrauen stellt zudem einen effektiven Steuerungsmechanismus kooperativer Handlungsaktivitäten und Beziehungsstrukturen innerhalb zwischenhierarchischer Austauschverhältnisse dar, der die betriebliche Zusammenarbeit verbessert. Personenvertrauen im Arbeitsalltag führt beispielsweise zu positiven Kommunikationswirkungen: Es optimiert die Breite und Tiefe des Informationsaustausches und steigert die Bereitschaft, Informationen und Vorgesetztenentscheidungen zu akzeptieren. Ein Klima gegenseitigen Vertrauens begünstigt die Koordination von Arbeitsleistungen, Leistungsbereitschaft und Leistungsproduktivität, die Mitwirkung bei Entscheidungen und die Problemlösungsfähigkeit in Gruppen. Infolgedessen erwirkt es positive Effekte auf das Organisationsklima und unterstützt die soziale Mitarbeiterintegration. Es fördert den sozialen Zusammenhalt und die Generierung gemeinsamer Solidaritäts- und Loyalitätserfahrungen. Dies führt zu einem verbesserten Arbeitsklima und einer Steigerung der Arbeitszufriedenheit (Bissels 2002: 13, 37; Schweer 1997: 108, 131ff.; Nauendorf 2004: 198, 220f.; Krystek 1993: 14ff.; Sztompka 1995: 259ff.; Meifert 2003: 114f.).

1.2. Forschungsziel und Fragestellung der Arbeit

Aufgrund der aktuellen Problemrelevanz des Dilemmas von innerbetrieblichen Vertrauensverlusten und gleichzeitigem betrieblichen Vertrauensbedarf sollen die zentralen Ursachen, Wirkungszusammenhänge und Kausaleffekte der zwischenhierarchischen Misstrauenskultur herausgearbeitet werden, um darauf aufbauend mögliche führungsgestützte Lösungsansätze entwickeln zu können. Für die Beantwortung des Forschungsinteresses ist es wichtig, die folgenden spezifischen, forschungsrelevanten Teilfragen intensiv zu behandeln: Auf welchen genauen Ursachen beruht die zwischenhierarchische Misstrauenskultur? Welche komplexen Kausaleffekte bringt Misstrauen individuell und zwischenmenschlich für Mitarbeiter und Führungskräfte mit sich? Welche Persönlichkeitseigenschaften, Kompetenzen und Verhaltensweisen muss eine vertrauenfördernde Mitarbeiterführung (Vertrauensmanagementansatz) beinhalten, um vom Mitarbeiter als vertrauensvoll wahrgenommen zu werden und langfristig einen Lösungsweg aus der interpersonalen Misstrauenskultur zwischen Führungskräften und Mitarbeitern finden zu können?

1.3. Forschungsvorgehen und Aufbau der Arbeit

Die Ausführungen der Forschungsarbeit gliedern sich in fünf Teile: Auf die einleitende Hinführung zum Thema (1.) folgt eine Darstellung theoretischer Vertrauens- und Misstrauensgrundlagen (2.). Dieser Abschnitt definiert den begrifflichen Vertrauenskomplex zuerst interdisziplinär (2.1.) und beschreibt dessen vielfältige Dimensionen. Nach dem Eingehen auf wichtige Eigenschaften und Merkmale des Personenvertrauens (2.2.) wird das Vertrauen dann dem Misstrauen gegenübergestellt (2.3.). In einem weiteren Schritt (2.4.) erfolgt die Absteckung des Theorierahmens mit Hilfe der Prinzipal-Agenten-Theorie, die das vertrauens- und misstrauensgeprägte Austauschverhältnis von Führungskräften und Mitarbeitern im Betriebsalltag beschreibt und erklärt, wie Vertrauen und Misstrauen in der zwischenhierarchischen Akteursbeziehung unter der Einwirkung von Verhaltensrisiken prozessual entstehen. Das Ziel des dritten Kapitels ist, die betriebliche Misstrauenskultur in ihrer ganzen Bandbreite und Komplexität aufzuzeigen (3.). Den Ausgangspunkt hierfür bildet die Identifizierung ihrer Makro- und Meso-Ursachen (3.1.). Anknüpfend an die dadurch gewonnenen Erkenntnisse werden in der Betriebsrealität auftretende individuelle und zwischenhierarchische Mikro-Verhaltenseffekte mit gravierenden Auswirkungen auf das Arbeits- und Beziehungsverhältnis von Führungskräften und Angestellten modelliert (3.2., 3.3.). Der Schwerpunkt dabei liegt auf der Enthüllung des negativen Einflusses von Überkontrolle und anonymer Mitarbeiterüberwachung (3.4.). Anschließend wird das gesamte Misstrauenskonglomerat individueller und zwischenmenschlicher Verhaltenszüge unter Zuhilfenahme theoretischer Impulse in ein interpersonales Misstrauensdilemma aus wechselseitiger Vertrauenserosion und zunehmender Misstrauensintensität zusammengeführt (3.4.3.). Der vierte Teil der Arbeit ist der theoriebasierten Entwicklung führungskraftgestützter Vertrauensstrukturen gewidmet (4.). Da bewährte Steuerungsinstrumente, wie z. B. Kontroll- und Überwachungsmechanismen, angesichts gesellschaftlicher Umbrüche und Umgestaltungsprozesse der betrieblichen Arbeitswelt nicht mehr in vollem Umfang greifen, kommt der Rolle der einzelnen Führungskraft, ihrem Verhalten und ihren Fähigkeiten für die Planbarkeit, Gestaltbarkeit und Steuerung von Vertrauensstrukturen, Vertrauenslevels und Vertrauenskulturen im Unternehmen eine erhöhte Aufmerksamkeit zu. Mittels einer effektiv vertrauenfördernden Mitarbeiterführung soll unter Berücksichtigung von Ursachen und Wirkungen der interpersonalen Misstrauenskultur ein interpersonales, intrinsisch-sozialkooperatives Vertrauensmanagementstrukturkonzept konstruiert werden (4.2.). Dieses differenziert sich in eine Reihe interpersonaler Führungsmaßnahmen aus (4.3.), die die Aufgabe haben, die Vertrauenserosion zu stoppen und die Entstehung von interpersonalem Vertrauen zu begünstigen. Am Schluss der Arbeit (5) werden gewonnene Erkenntnisse analytisch zusammengefasst und bewertet und abschließend persönliche Einschätzungen zur Misstrauensproblematik und zum Vertrauensmanagement in einem Fazit formuliert, das mit zukunftsgerichteten Schlussfolgerungen für die Praxis ergänzt wird.

2. Grundlagen der Vertrauenstheorie

2.1. Vertrauensdefinitionen

Vertrauen ist ein komplexes und vielschichtiges soziales Phänomen, das interdisziplinär seit Mitte des 20. Jahrhunderts von verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen wie Soziologie, Philosophie, Psychologie, Ökonomie und Anthropologie v. a. im angloamerikanischen Raum verstärkt behandelt wird und einer Vielzahl von heterogenen Verständnissen, Theoriekonzepten, Operationalisierungen und Forschungsergebnissen unterliegt. Die Bedeutungs- und Ergebnisvielfalt, Komplexität und Forschungsuniversalität des Vertrauenskonstrukts erschwert die interpretative Gestaltung eines gemeinsamen Forschungsbezugsrahmens und trägt dazu bei, dass keine präzise und allumfassend gültige Vertrauensdefinition existiert. Die genaue Erfassung des Vertrauensphänomens erfordert deshalb zuallererst die Berücksichtigung von Interdisziplinarität. Vertrauen soll nachfolgend aus dem Blickwinkel der Soziologie, Psychologie und Ökonomie definiert werden, jenen Forschungsrichtungen, die sich am intensivsten mit dem Vertrauensthema befasst haben und aus denen die wichtigsten Vertrauensdefinitionen abstammen.

2.1.1. Vertrauen in der modernen Soziologie

In der Soziologie folgt das Thema Vertrauen einer langen Tradition. Zur soziologischen Gründergeneration gehören Emile Durkheim (1858-1917), Georg Simmel (1858-1919) und Max Weber (1864-1920). Der moderne soziologische Vertrauensdiskurs wird durch Beiträge von Niklas Luhmann (1927-1998), James Coleman (1926-1995), Anthony Giddens (*1938) und Piotr Sztompka (*1944) dominiert, die das Vertrauenskonstrukt aus unterschiedlichen soziologischen Theorieperspektiven beleuchten und es dabei als kognitiv-reflexives Phänomen, zwischenmenschliches Verhalten und als Eigenschaft von Beziehungen und Institutionen untersuchen. Der Begriff des Vertrauens wird v. a. als Erklärungshilfe für das Verhalten von Menschen und als Merkmal sowie Funktionsmechanismus von Strukturen verwendet (Endress 2002).

Die aus funktionalistischer Perspektive geführte systemtheoretische Analyse Niklas Luhmanns (Luhmann 1989 bzw. 2009) bildet die wichtigste Grundlage für die moderne Forschungskonjunktur der Vertrauensthematik in der Soziologie. Luhmann definiert Vertrauen als „[…] eine soziale Beziehung, einen [zentralen] sozialen Mechanismus […] (Luhmann 2009: 4), der als „elementarer Tatbestand des sozialen Lebens“ (ebd.: 1) und „Form der Sicherheit“ (ebd.: 13) soziale Komplexität reduziert (ebd.: 8f.) und intuitiv „[…] eine Lösung für spezifische Risikoprobleme“ (Luhmann 2001: 144, 148) darstellt[11]. Da die Wahl der Vertrauenshandlung keine Absicherung gegen möglichen Missbrauch und Enttäuschungen gewährleistet (Luhmann 2001: 148), kennzeichnet die Vertrauenshandlung immer eine Entscheidung unter Unsicherheit und beinhaltet die bewusste Akzeptanz von Risiken. Als generalisierte Erwartungshaltung zukünftiger Vertrauenshandlungen ist Vertrauen das „[…] Problem einer riskanten Vorleistung“ (Luhmann 2009: 23), welches gegenwartsgestützt gewonnen und erhalten wird (ebd.: 13-14). Die Vertrautheit, Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit und Authentizität einer Person werden damit zur wichtigen Vertrauensgrundlage (ebd.: 19, 33)[12].

Auch der amerikanische Soziologe James Coleman stellt den Risikoaspekt in den Mittelpunkt seiner Vertrauenskonzeption. In seinem Werk über die Grundlagen der Sozialtheorie (Coleman 1991) definiert er die Vertrauensbeziehung zwischen Treugeber (entscheidet, ob er Vertrauen vergibt oder nicht) und Treuhänder (entscheidet, ob er das in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertigt oder enttäuscht) als eine „[…] enge Beziehung, die einem hohen Verlustrisiko unterliegt“ (Coleman 1991: 132f.), Vertrauenssituationen als „problematische Risikosituationen“ (ebd.: 115) ohne Handlungskontrollmöglichkeit, infolgedessen sich jede Seite der Vertrauensbeziehung gegenüber der anderen Seite verwundbar mache (ebd.: 126)[13]. In Weiterführung der Gedanken Luhmanns untersucht Coleman die Funktionalität von Vertrauensbeziehungen aber aus der Perspektive eines strategisch-kalkulativen Rational Choice Ansatzes[14], indem er eine rationale Präferenz-, Nutzen- und Erwartungsgebundenheit des Vertrauens in den Fokus seiner Beobachtungen stellt (ebd.: 99, 126)[15]. Coleman definiert Vertrauen als „Marktphänomen“ (Endress 2002: 35), und zwar spieltheoretisch unter dem Aspekt der Berechenbarkeit von Risiken und opportunistischem Verhaltens[16]. Die Vertrauensvergabe und die Entscheidung, vertrauenswürdig zu handeln, kennzeichnen jeweils eine aus Eigeninteresse erfolgende rationale „Nutzenmaximierung unter Risiko“ (Coleman 1991: 125), die nur dann eingegangen wird, wenn die Akteure über genügend Anreize verfügen, kooperativ mit dem Gegenüber zu interagieren (ebd.: 396ff.; Müller/Schmidt 1998). Colemans Tauschmodell, nach dem Vertrauensentscheidungen v. a. situativ erklärbar sind, definiert Vertrauen mit der Wahrscheinlichkeit „p-G>(1-p)V [G = mögl. Gewinn, V = mögl. Verlust; p = Gewinnchance, wenn Interaktionspartner vertrauenswürdig; (1-p): Verlustchance bei Vertrauensbruch]“ (Coleman 1991: 126):

„Individuen vergeben [als rationale Akteure] auf rationale Weise Vertrauen, wenn das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit, dass der [Vertrauensnehmer] das Vertrauen rechtfertigt [Gewinnchance], zu der Wahrscheinlichkeit, dass er es nicht tut [Verlustchance], größer ist als das Verhältnis des möglichen Verlustes zum möglichen Gewinn“ (Coleman 1991: 126, 132)[17].

Anthony Giddens Vertrauensverständnis wird im Zuge von Untersuchungen über soziale und politische Konsequenzen der Entwicklung moderner Gesellschaften konzipiert (Giddens 1997, 1999), in denen er einen wachsenden Bedarf an Vertrauen feststellt (ebd.: 17ff., 54, 80, 83, 87f.). Seine Analyse erfolgt aus strukturationstheoretischer Perspektive und beleuchtet die institutionelle Abstützung des Vertrauens. Sie fokussiert auf gesellschaftsintegrative Vertrauensfunktionen (Endress 2002: 40ff.). Giddens definiert Vertrauen als einen „kontinuierlichen Zustand“ und Form von „[…] Glauben an die Richtigkeit von Grundsätzen, die man selbst nicht kennt“ (Giddens 1999: 33ff., 42ff.), sowie „[…] als [bestimmte Art von, aber ein mehr an – Giddens 1999: 27ff., 47] Zutrauen[18] zur Zuverlässigkeit einer Person oder eines Systems im Hinblick auf eine gegebene Menge von Erlebnissen oder Ereignissen, wobei dieses Zutrauen einen Glauben an die Redlichkeit oder Zuneigung [Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit, Vertrauenswürdigkeit] einer anderen Person bzw. an die Richtigkeit abstrakter Prinzipien (technischen Wissens) zum Ausdruck bringt“ (Giddens 1999: 49). Aufgrund der Informationsunvollständigkeit und Risikogebundenheit (Giddens 1999: 27ff., 48, 33, 88) sei Vertrauen immer ein „blindes Vertrauen“, das sich nichtzweifelnd auf das Gegenüber verlasse (Giddens 1999: 27ff.).

Der polnische Soziologe Piotr Sztompka entwickelt seine Vertrauenstheorie systematisch auf der Basis von Untersuchungen zu politischen Rahmenbedingungen in mittelosteuropäischen Ländern (Sztompka 1999). Er nimmt eine makrosoziologisch-strukturelle und -komparative Perspektive ein (Endress 2002: 28). Sztompkas Vertrauensdefinition ist durch einen amorphen Fokus auf ökonomische und kulturelle Aspekte gekennzeichnet. Einerseits betont er die integrative Funktion und den sozialen Aspekt des Vertrauens: Vertrauen kennzeichne ein Sozialverhältnis und beziehe sich auf das soziale Handeln anderer Personen (Sztompka 1999: 19ff., 26, 41, 46, 65). Es sei eine „weiche Variable sozialen Handelns“ und eine „[…] kulturelle Ressource, die für die Realisierung des Handlungspotenzials […] unerlässlich ist“ (Sztompka 1999: 2f., 7f.). Andererseits erläutert Sztompka ökonomische, kalkulativ-rationale Verhaltensaspekte des Vertrauens, indem Vertrauen eine „[…] Wette [sei], die den zukünftigen kontingenten Handlungen anderer“ gelte (Sztompka 1999: 25, 46, 66, 69).

2.1.2. Vertrauen in der Psychologie und Sozialpsychologie

Wichtige Vertrauensforscher in der Psychologie und Sozialpsychologie sind Julian B. Rotter und Morton Deutsch. Ihre Untersuchungen fokussieren primär auf Verhaltensaspekte, Persönlichkeitsmerkmale, Kontext- und Situationsvariablen als wichtige Voraussetzungen einer zwischenmenschlichen Vertrauensbeziehung.

Die Psychologie Rotters (1981 – Theorie des sozialen Lernens) betrachtet Vertrauen bzw. das Eingehen vertrauensvoller zwischenmenschlicher Verhältnisse als eine spezifische, stabile Persönlichkeitseigenschaft und vorrangig personenabhängige Einstellung, die innerhalb eines kontinuierlichen Lernprozesses über die Sammlung von vergangenen Erfahrungen konstruiert wird und bestimmte Erwartungshaltungen erzeugt, auf deren Basis der Einzelne sein Handeln in neuartigen, komplexen Situationen ausrichtet (Rotter 1971, 1981: 23). Rotter definiert Vertrauen als eine „[…] generalisierte Erwartungshaltung, die beinhaltet, dass man sich auf das Wort, die Äußerung und das Versprechen anderer Personen verlassen kann“ (Rotter 1954: 664, 1981: 1, 23). Die Verlässlichkeit von individuellen und kollektiven Aussagen markiert für ihn ein Maß für die generelle zwischenmenschliche Vertrauensbereitschaft von Personen (Rotter 1971). Auf dieser Annahme entwickelt er das Konstrukt des interpersonalen Vertrauens (Rotter 1954: 664) und die sog. Interpersonale Trust-Scala (ITS) zur Messung des interpersonellen Vertrauens (Rotter 1967, 1981: 24).

Ähnlich der Soziologie ergänzt die Sozialpsychologie die Persönlichkeitsgebundenheit des Vertrauens in der Psychologie durch situations- und kontextspezifische, erfahrungs- und objektgebundene Ansätze. Vertrauensvolles Verhalten ist hier eher von sozialen, risikobehafteten Situationen und vertrauenswirksamen Rahmenbedingungen als von Personen selbst abhängig. Prinzipiell wird zwischen austauschtheoretischen (Deutsch 1958, 1976) und attributionstheoretischen Ansätzen (Bissels 2002)[19] unterschieden. Innerhalb von austauschtheoretischen Ansätzen wird Vertrauen sowohl als Erwartungshaltung im Kontext von Zweierbeziehungen oder Gruppen behandelt als auch aus beziehungsbezogenen Kosten- und Nutzenüberlegungen heraus definiert. Ein sozialer und symbolischer Austausch wird nur dann riskiert, wenn damit eine positive soziale Konsequenz (z. B. Liebe oder Zuwendung als beziehungsbezogener Nutzen) verbunden wird. Deutsch versteht Vertrauen als ein riskantes beobachtbares Verhalten in einer unsicheren Situation, da vertrauensvolles Handeln die Gefahr der persönlichen Verletzlichkeit in Form des Vertrauensmissbrauchs beinhaltet (Deutsch 1958: 266). Diese Definition deutet auf das Risiko und die Verlustgefahr von vertrauensvollem Handeln hin (vgl. Deutsch 1976: 136).

„An individual may be said to have trust in the occurrence of an event if he expects its occurrence and his expectation leads to behaviour which he perceives to have greater negative motivational consequences if the expectation is not confirmed than positive motivational consequences if it is confirmed” (Deutsch 1958: 266).

2.1.3. Vertrauen in der Wirtschaftssoziologie und Ökonomie

Auch in Wirtschaftssoziologie und Ökonomie finden sich große Uneinheitlichkeiten in den Definitionen und Verwendungen des Vertrauensbegriffs. Es dominieren jedoch austauschtheoretische Ansätze, die kalkulative Überlegungen sowie situativ-bedingte und abwägende Verhaltensentscheidungen in den Untersuchungsfokus stellen und das Vertrauenskonstrukt unter kostenwirksamen Funktionen erforschen. Vertrauen wird vorrangig als elementares Organisationsprinzip zwischenmenschlicher Austauschbeziehungen erklärt (siehe v. a. Ripperger 1998). Bekannte moderne Vertreter einer ökonomisch orientierten Vertrauenstheorie sind Tanja Ripperger, Guido Möllering und Jens Beckert.

Ripperger (1998) sieht Vertrauen ökonomisch betrachtet zuallererst als einen ökonomischen Mechanismus zur Bildung von Austauschbeziehungen. Die Vertrauensentscheidung kennzeichne einen rationalen Prozess, der erfahrungsbasiert auf Erwartungs-, Risiko-, Nutzen- und Kostenabwägungen beruhe. Ripperger betont insbesondere dessen situative Bedingtheit. Die sog. „Ökonomik des Vertrauens“ (Ripperger 1998), die Funktionsweise des Vertrauensmechanismus, das Entscheidungsverhalten der Vertrauensakteure und die austauschgeprägte Vertrauensbeziehung von Vertrauensgeber und Vertrauensnehmer werden mittels der Prinzipal-Agent-Theorie in einer Prinzipal-Agent-Beziehung dargestellt und analysiert (Ripperger 1998: 68ff., 94ff., 129, 133)[20]. Nach Ripperger ist Vertrauen ein „[…] effizienter Steuerungsmechanismus für kooperatives Verhalten innerhalb von Prinzipal-Agent-Beziehungen“ und hat das Ziel, unsichere Erwartungen zu minimieren, Verhaltensrisiken des Gegenübers, Unsicherheiten in Entscheidungssituationen und Handlungskomplexitäten zu reduzieren (Ripperger 1998: 38ff., 40). Ripperger definiert Vertrauen als „[…] freiwillige Erbringung einer riskanten Vorleistung unter Verzicht auf explizite vertragliche Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen gegen opportunistisches Verhalten, in der Erwartung, dass der Vertrauensnehmer motiviert ist, freiwillig auf opportunistisches Verhalten zu verzichten“ (Ripperger 1998: 45, 134).

Auf die Wichtigkeit eines unsicherheitsreduzierenden Beitrags des Vertrauensnehmers in Prinzipal-Agent-Beziehungen für das Zustandekommen vertrauensvoller Austauschbeziehungen fokussiert Jens Beckerts Vertrauensdefinition, die aus der Sicht des Vertrauensgebers formuliert ist (Beckert 2002: 27ff., 2007):

„Vertrauen ist die Erwartung des Vertrauensgebers, dass seine einseitige Vorleistung in der Tauschbeziehung vom Vertrauensnehmer nicht ausgebeutet wird, obwohl dieser durch die Wahl der Ausbeutungsstrategie einen höheren Nutzen erreichen könnte“ (Beckert 2002: 28).

Guido Möllering (2002, et passim) vertritt eine im Vergleich zu Ripperger weiter gefasste, nicht nur auf rationalen Vertrauenselementen beruhende Vertrauensdefinition, die sich sowohl auf personengebundene als auch auf situative Vertrauenselemente stützt. Er versucht Vertrauen interdisziplinär zu deuten und erläutert es als eine soziale, auf Erfahrung und Kontinuität gegründete „[…] positive Erwartungshaltung eines individuellen oder kollektiven Akteurs gegenüber dem Handeln und den Intentionen anderer Akteure“, die eine soziale Akteurseinbettung und das Aufheben von Ungewissheit voraussetzt (Möllering 2002: 81f.). Indem Vertrauen positive Erwartungen auf die Handlungen und Absichten eines mehr oder weniger spezifischen Gegenübers impliziere, sei es ein reflexiver Prozess, der sich auf Vernunft, Routinen und Erfahrung stütze (Möllering 2006b; Möllering 2006: 356, 2007: 75). Zugleich werde es mit sozialer Verwundbarkeit, Unsicherheit und Risiken in Verbindung gebracht (Vertrauensambivalenz) (Möllering 2006: 356; 2007: 78), so dass eine erfolgreiche Vertrauensbeziehung immer von einem auf Interpretation basierenden Vertrauenssprung („leap of faith“) des Vertrauensgebers abhänge (Möllering 2005).

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die Vielfalt der zahlreichen unscharfen und uneinheitlichen Vertrauensdefinitionen (Begriffsreflexivität) und Ergebnisdimensionen verdeutlicht, dass das Vertrauensphänomen äußerst breit und komplex ist. Dass kein allgemein gültiges, interdisziplinäres Vertrauenskonzept existiert, gestaltet eine Bewertung und Interpretation der Forschungsergebnisse als sehr schwierig. Den Begriffsdefinitionen aus Soziologie, Psychologie und Ökonomie liegen unterschiedliche Vertrauensformen, Paradigmen und Forschungsinteressen zu Grunde[21]: Vertrauen wird u. a. als ökonomische Variable, Risikobereitschaft, Kooperationsbereitschaft, zwischenmenschliches Phänomen, Eigenschaft und Folge sozialer Beziehungen, Merkmal und Qualitätskriterium der Persönlichkeit, wohlwollendes Motiv oder Absicht diskutiert (Luhmann 2009; Hartmann 2001; Coleman 1990; Giddens 1999; Sztompka 1999; Rotter 1954 et passim; Deutsch 1958, 1976; Ripperger 1998; Gambetta 2001; Beckert 2002, 2007; Möllering 2002 et passim). Einige wichtige Elemente dieses vielschichtigen Vertrauensfundaments müssen aufgrund der disziplinübergreifenden Fragestellung unweigerlich in die Forschungsarbeit einfließen.

2.2. Eigenschaften und Merkmale des Personenvertrauens

Um diesem Dilemma sinnvoll zu begegnen, wird versucht, die begriffsverbindenden inhaltlichen Schnittmengen der verschiedenen Vertrauensdefinitionen sinnvoll in den Forschungsprozess einzubinden. Hierfür sollen nun wesentliche Vertrauenseigenschaften und -merkmale zusammengetragen werden. Zur Vereinfachung der Untersuchungsmaterie wird der Fokus der vorliegenden Forschungsarbeit ausschließlich auf das Personenvertrauen eingegrenzt, obwohl auch Kollektiven und Systemen ein Vertrauen ausgesprochen werden kann[22]. Diese Spezialisierung bedeutet ausdrücklich nicht, dass das Systemvertrauen keine zentrale Schlüsselgröße für eine erfolgreiche innerbetriebliche Zusammenarbeit im zwischenmenschlichen Vertrauensprozess darstellt[23]. Sie resultiert lediglich aus der Thematisierung des individuellen Subjektbezugs und zwischenmenschlichen Beziehungsaspekts (Vertrauen als zwischenmenschliche Variable im Beziehungskontext) des Vertrauens. Im Rahmen der qualitativen organisationssoziologischen Vertrauensperspektive dieser Untersuchung wird personales Vertrauen als wesentliche Vorbedingung für ein stabiles Vertrauen in das komplexe Sozialsystem Unternehmen angesehen. Dies entspricht durchaus der Sichtweise Anthony Giddens, der dem institutionell verankerten Systemvertrauen in seiner Strukturationstheorie (Giddens 1999) zwar eine übergeordnete Stellung zur Vertrauensbildung einräumt und das Vorhandensein von Personenvertrauen als Ausdruck von Strukturmerkmalen betrachtet, den Aufbau von interpersonalen Vertrauensbeziehungen jedoch an das Vorhandensein und die Funktionsfähigkeit sog. systemischer „Zugangspunkte“ (Vertrauensakteure und ihre Sozialinteraktionen) knüpft (Giddens 1999: 34, 42, 47, 49). Auf diese Weise kann das interpersonale Vertrauen von Mitarbeitern in Handlungen, Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften des Gegenübers als relevant für ein effektives Vertrauen in Systeme angesehen werden, vor allem dann, wenn Systemvertrauen im Unternehmen nur marginal vorhanden ist (Giddens 1997, 1999: 34, 49; Luhmann 2009: 57, 96ff.; Cordini 2007; Schumann 2007: 33)[24].

2.2.1. Akteursabhängigkeit und Sozialkooperationen

Personales Vertrauen ist durch eine grundsätzlich vertrauensvolle Haltung zwischen miteinander interagierenden Kooperationspartnern charakterisiert (Neubauer 1997: 117; Endress 2002: 57ff.; Luhmann 2009: 122). Das Vertrauen in Personen kann als abhängige oder unabhängige Variable untersucht werden[25]. Als abhängig zu erklärende Variable (Luhmann 2009: 81) bildet es sich „ex post“ (Grüninger 2001: 90) als ein „Nebenprodukt“ (Schweer 1997: 128) sozialer Aktivitäten und interaktives Ergebnis vorteilhafter Kooperationsbeziehungen heraus[26]. Es wird durch geglückte Vertrauenserweise aktiviert und mit zunehmender Anwendung verstärkt (Coleman 1990: 394; Geramanis 2002: 14; Luhmann 2009: 84; Grüninger 2001: 22, 90, 96, 207; Bissels 2002). Klassisch erfordert personales Vertrauen die Involvierung einer interagierenden Vertrauensdyade, da es ein Vertrauensverhältnis zwischen einem Vertrauensgeber (die Person, die Vertrauen schenkt) und einem Vertrauensnehmer (die Person, die Vertrauen erhält), aber auch einen wechselseitigen, intimen Prozess der Vertrauensplatzierung und der Vertrauensannahme (Auer-Rizzi 2007: 118; Ripperger 1998: 10; Giddens 1999: 143) beschreibt[27]. Ein Praxisbeispiel für interpersonell-zwischenmenschliches oder relationales Vertrauen ist ein vertrauensvolles Beziehungskonstrukt von Mitarbeitern und Vorgesetzen im betrieblichen Arbeitsalltag.

Grundlegend für die Entstehung und Festigung von persönlichem Vertrauen ist die soziale Verankerung der Vertrauenssubjekte in wechselseitige Beziehungsgeflechte (Luhmann 1984, 2009: 80; Giddens 1999: 112f.; Coleman 1991: 137ff., 225ff.)[28]. Beste Rahmenbedingungen für personale Vertrauensbeziehungen bieten sich für Luhmann in sozialen Zusammenhängen, die durch eine relativ lange Dauer, starke interdependente Abhängigkeit (Reziprozität) und Unvorhersehbarkeit charakterisiert sind (Luhmann 2009: 46; 1984: 31). In solchen Zusammenhängen „[…] herrscht das Gesetz des Wiedersehens: Die Beteiligten müssen einander immer wieder in die Augen blicken können“ (Luhmann 1984: 39; 2009: 46). Durch ein „Gerüst von Indizien“ auf der Basis vergangener Interaktionserfahrungen und die soziale Verankerung werden die Vertrauenspartner darüber informiert, ob ihr Vertrauen gerechtfertigt ist oder nicht (ebd.: 31; Grüninger 2001: 22). Zudem können rein funktionale Vertrauensbezüge personal ergänzt, wechselseitige Einsichten erreicht, Informationen ausgetauscht, fremde Erwartungen integriert und verbindliche Zuverlässigkeiten erwartet werden (Schweer 1997: 232; Luhmann 1984: 39).

„Grundlage allen Vertrauens ist die Darstellung des eigenen Selbst als einer sozialen, sich in Interaktionen aufbauenden, mit der Umwelt korrespondierenden Identität. […] Wer sich Vertrauen erwerben will, muss am sozialen Leben teilnehmen und in der Lage sein, fremde Erwartungen in die eigene Selbstdarstellung einzubauen“ (Luhmann 2009: 80).

Ein durch soziale Beziehungszusammenhänge interpersonal bedingtes Personenvertrauen gründet auf der Vertrautheit[29] und dem Zutrauen in die Verlässlichkeit anderer (Luhmann 2001: 144f., 151; 2009: 17ff., 95; Giddens 1999: 42ff.). Subjektivität und Akteursabhängigkeit des personalen Vertrauens kommen in individuell-qualitativen Eigenschaften (akteursgebundene Sozialkompetenzen), „Facework Commitments“ oder „Indizien“ der Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit (reputationsartige Vertrauensbeweise) zum Ausdruck (Schweer 1997: 222; Giddens 1995: 48; Grüninger 2001: 69f.)[30].

Obwohl personales Vertrauen das Resultat interaktiver Sozialbeziehungen darstellt, muss es als unabhängige Variable aber auch als Voraussetzung für soziale Kooperationen erklärt werden. Vertrauen ist ein Mechanismus, der soziale Interaktionen überhaupt erst ermöglicht (Geramanis 2002: 14). Insbesondere in Form von Vertrauensbeziehungen (nach Coleman „Systeme gegenseitigen Vertrauens“) verkörpert es als „Grundlage“ und „Form“ einer sozialen Ordnung“ (ebd. 2002: 17; Ratzke 2003: 15) eine Ressource im Sinne von sozialem Kapital[31] (Coleman 1990: 394, 396ff.) und damit ein „kollektives Gut“ des sozialen Handelns (Geramanis 2002: 17; Schweer 1997: 128). Die regelmäßig wiederkehrende Verhaltensform erweist sich im Optimalfall als eine qualitativ-beziehungsförderliche, instrumentalisierende und „prosoziale“ Verhaltensform (Ratzke 2003: 15). Deshalb bezeichnet Piotr Sztompka Vertrauen als interdependentes „Merkmal sozialen Handelns“, das eine Sozialbeziehung zum Ausdruck bringt (Sztompka 1995: 258). Auch für Piwinger und Bissels ist Personenvertrauen konstitutiver Bestandteil einer sozialen Beziehung (Piwinger 2007: 186; Bissels 2002).

2.2.2. Zukunftsausrichtung, Erwartungshaltung, Ergebnisabhängigkeit

Vertrauen ist auf zukünftige Handlungen anderer ausgerichtet und mit einer positiven Vertrauenserwartung verbunden, die auf die Bestätigung der Vertrauensvorleistung durch Gegenleistungen im Zeitprozess abzielt (Whitener 1998: 513). Die sich aus Erfahrungen und Informationen generierende Vertrauenserwartung des Vertrauensgebers impliziert, dass der Vertrauensnehmer sich in sog. zukünftigen Vertrauenssituationen freiwillig mittels eines Vertrauensbeweises als vertrauenswürdig erweist und auf opportunistisches Verhalten verzichtet (Geramanis 2002: 19; Ripperger 1998: 43). Mittels des Vertrauens als „[…] Ressource zur Bewältigung von Zukunft“ (Sztompka 1995: 255) überwindet der Vertrauende Zeitdifferenzen und „[…] legt seine gegenwärtige Zukunft auf eine künftige Gegenwart fest“ (Luhmann 2009: 20), was die Erwartungssicherheit zukünftiger Verhaltensweisen des Vertrauensnehmers steigert (ebd.: 26; Sztompka 1995: 255).

Der Vertrauensgeber erwartet von seinem Interaktionspartner ein bemühendes, wohlwollendes und verlässliches Vertrauensverhalten, das ihn vor Schäden bewahrt (Sztompka 1995: 257; 45; Laucken 2001: 20; Rotter 1967, 1971). Entscheidet er sich dazu seinem Gegenüber zu vertrauen, begibt er sich in eine Art Ergebnisabhängigkeit, die an ein nutzengebundenes Kooperationsverhalten und die Ressourcen (z. B. Wissen, Kompetenzen) des Vertrauensnehmers gebunden ist (Whitener 1998: 513). Das Verhalten und die Kompetenzen des Vertrauensnehmers entzieht sich einer vollständigen persönlichen Kontrolle, so dass sich die Verwundbarkeit des Vertrauensgebers steigert (Götz 2006: 120).

2.2.3. Vertrauen als Risiko

Ein weiteres markantes Vertrauensmerkmal ist seine Risikobehaftung. In der Vertrauensforschung herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass ein Vertrauensbedarf nur an Situationen gekoppelt ist, die einem Risiko (allgemein, z. B. die Möglichkeit von Handlungsalternativen – speziell, z. B. der Vertrauensbruch) unterliegen und der Bereitschaft des Vertrauensgebers bedürfen, in einer unsicheren Situation ein Risiko einzugehen (Luhmann 2009: 23; Coleman 1990: 115; Giddens 1999: 50; Ripperger 1998: 45; Gambetta 2001: 212)[32]. Tanja Ripperger betont, dass Vertrauen ein „Mechanismus zur Stabilisierung unsicherer Erwartungen“ ist (Ripperger 1998: 13). Für Guido Möllering und Niklas Luhmann gleicht die Vertrauensvergabe als Risikoentscheidung einem Vertrauenssprung (leap of faith) in eine „begrenzte und strukturierte Ungewissheit“ (Luhmann 2009: 23, 34; Möllering 2007: 76). Wäre in einer Entscheidungssituation kein Risiko, keine Wahlfreiheit zum Treuebruch, keine Enttäuschungsgefahr und kein Informationsdefizit vorhanden, müsste der Vertrauende dem Vertrauenspartner nicht vertrauen (Luhmann 2009: 40, 58; Möllering 2007: 76; Auer-Rizzi 2007: 118). Erst durch die Erwartungsunsicherheit über die Handlungsabsicht des Gegenübers wird die notwendige Vorraussetzung für personales Vertrauen begründet (Ripperger 1998: 41; Sztompka 1995: 255). Auch Luhmann betont: „Vertrauen beruht auf Täuschung. Eigentlich ist nicht so viel Information gegeben, wie man braucht, um erfolgssicher handeln zu können“ (Luhmann 2009: 33). Vertrauen sei eine „einseitige Vor- und Willensleistung“ des Vertrauensgebers (ebd.: 33). Es komme „[…] durch Überziehen vorhandener Informationen“ zustande (ebd.: 26) und verkörpere eine „Selbstbindung“ an eine risikobehaftete Situation „begrenzter Rationalität“ (ebd.: 27), was eine „Steigerung tragbarer Unsicherheit“ (ebd.: 88) zur Folge habe.

„Wer also weiß, braucht eigentlich nicht zu vertrauen, wer gar nichts weiß, kann nicht vertrauen“ (Geramanis 2002: 30). “[…] trust involves a willingness to be vulnerable and a risk that the other party may not fulfill that expectation” (Whitener 1998: 513).

Die risikogeprägte Unsicherheit einer interaktiven Vertrauensbeziehung resultiert vorrangig aus endogenen Verhaltensrisiken (Ripperger 1998: 38), aus mangelnden oder unvollständigen Informationen über die Handlungsabsichten des Gegenübers (z. B. Täuschungsmöglichkeit aufgrund von Informationsabstinenz), der Entscheidungsfreiheit des Vertrauensnehmers zur Wahl opportunistischer Verhaltensweisen und einem Zeitrisiko, das auf vertrauensvolle Handlungen des Vertrauensnehmers in der Zukunft spekuliert (Coleman 1990: 122; Ripperger 1998; Giddens 1999: 48, 103; Sztompka 1995: 255). In der Austauschbeziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ist die Existenz risikobehafteter Verhaltensunsicherheiten besonders relevant. Die Gefahr von Opportunismus, Vertragsbruch und Eigennutz sowie daraus erwachsende Schäden verkörpern konstitutive Elemente einer Vertrauenssituation am Arbeitsplatz (Ripperger 1998: 40, 42f.). Die wechselseitige Entscheidungsmöglichkeit der Vertrauensakteure für oder gegen eine Vertrauenshandlung ist eine freiwillige Wahlhandlung. Sie verdeutlicht die Akteursgebundenheit und eine „doppelte Kontingenz“ des Vertrauens (Luhmann 2009: 48, 2001, 1984; Deutsch 1960: 124; Geramanis 2002: 97, 213)[33].

2.2.4. Sicherheitsmechanismus und Komplexitätsreduktion

Obwohl Vertrauen als Risikoentscheidung einen bewussten Sicherheits- und Informationsverzicht impliziert, ist es gleichzeitig ein sicherheitstiftendes Hilfsmittel, welches den Informationsmangel durch sich selbst kompensiert und unsicheres Akteursverhalten überbrückt (Luhmann 2009: 13, 27, 85ff.; Gambetta 2001; Giddens 1999: 114; Ripperger 1998: 49). Diese wesentliche Vertrauenseigenschaft liegt in den verpflichtenden Verhaltensansprüchen der Vertrauensvergabe (positive Erwartungshaltung des Vertrauensgebers an den Vertrauensnehmer) und der Gefahr der Folgekosten des Vertrauensbruchs (Ausschluss aus der Vertrauensgemeinschaft, Verlust des Reputationskapitals, Gefahr von Sanktionen) begründet. Die Gefahr des Verlusts der Reputation minimiert das Risiko opportunistischen Verhaltens und überträgt dem Vertrauen die Funktion eines akteurbindenden, sekundären Kontroll- und Sicherheitsmechanismus (Luhmann 2009: 126; Misztal 1998: 121; Ripperger 1998: 153ff.; Gambetta 2001: 234; Langusch 2002: 209; Fiedler 2001: 584; Grüninger 2001: 206; Schweer 1997: 22, 132f.; Sprenger 2005, 2006, 2007). Das Ansehens- oder Reputationskapital des Vertrauensnehmers „[…] signalisiert, wie vertrauenswürdig [und verlässlich] sich ein Kooperationspartner in der Vergangenheit gegenüber anderen Kooperationspartnern verhalten hat“ (Klaus 2002: 255). Es gründet auf der Transparenz, dem Vorhandensein und dem Austausch von Informationen, direkten, positiven zwischenmenschlichen Interaktionserfahrungen und ihrer Einbettung in soziale Beziehungen (Klaus 2002: 255f.; Schweer 1997: 133; Ripperger 1998: 190).

Weiterhin ist Vertrauen eine subjektive Leistung. Es erfasst und reduziert soziale Komplexität und verarbeitet Risiken. Laut Luhmann überfordere die unvermeidbar gegebene Vielschichtigkeit, Informationsmasse, Risikobehaftung und Offenheit der modernen Welt den Menschen und verlange nach einem Reduktionsmechanismus, der mittels Selektion den Zeithorizont erweitert, zweckgerichtete Handlungsfähigkeit, innere Sicherheit, Zukunftsgewissheit, Integrität und Sinnbildung gewährleistet (Luhmann 2009: 5ff., 30ff., 32, 38)[34]. Vertrauensprozesse tragen zur Vereinfachung und Stabilität des Sozialsystems bei, indem sie mittels Vertrautheit Erwartungen generalisieren, Erfahrungen verallgemeinern und Symbolbilder der Vertrauenswürdigkeit konstruieren (ebd.: 19ff., 26, 31ff., 36).

2.2.5. Vertrauensaufbau: Prozessgebundenheit, Vertrauensfundamente

Das zwischenmenschliche Vertrauen entspricht keinem fertig vorhandenen Konstrukt. Sein Aufbau und seine Entwicklung erfolgt in kleinen Schritten in einem zeitbedingten, wechselseitigen Prozess, der durch eine Parallelität von auftretenden Handlungen und existierenden Strukturen bedingt ist (Giddens 1997, 1999; Luhmann 2009: 56ff.; Gabarro 1987). Interaktiv ist es in selbstverstärkende und selbststabilisierende Prozesszirkel rationaler und irrationaler Art eingebunden und auf das permanente Vorhandensein von Signalen der Vertrauenswürdigkeit oder positiven Erfahrungen angewiesen (Schweer 1997: 21ff.; Bissels 2002: 39f.). Im Optimalfall führt die rekursive Vertrauensvergabe dazu, dass langfristig eine immer tiefere und stabilere Vertrauensvergabe erfolgt, so dass sich die Qualität der vertrauensvollen Beziehung mit zunehmender Dauer und Intensität verändert. So kann eine sich selbstverstärkende Vertrauensspirale erwachsen (Schweer/Thies 2003: 60; Coleman 1990: 252; Herzog 2006: 132; Krystek 1993: 8; Bissels 2002: 40).

Im interaktiv- und strukturbedingten Vertrauensentwicklungsprozess kann zwischenmenschliches Vertrauen auf unterschiedlichen Fundamenten basieren. Im kalkulatorischen Ansatz stehen die kognitiven Informations-, Verarbeitungs- und Entscheidungsprozesse der Vertrauensakteure im Vordergrund. Vertrauen fundiert hier auf individuellen, akteursspezifischen und rationalen Kosten-Nutzen-Kalkülen, Interessen und Präferenzen (Ripperger 1998; Coleman 1990; Deutsch 1958, 1997; Gambetta 2001). „Nach diesem Verständnis ist Vertrauen einer Wette ähnlich, ein kalkuliertes Risiko mit positivem Erwartungswert“ (Möllering 2007: 75, 2006: 357). Ein Personenvertrauens, dass durch ein Kosten-Nutzen Abwägen der Vor- und Nachteile einer Vertrauensbeziehung gekennzeichnet ist, wird als kalkulatives Vertrauen (calculative trust) bezeichnet und findet sich vorrangig in der sog. „Orientierungsphase“ (Gabarro 1987), am Beginn von interessengebundenen betrieblichen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen im Unternehmen (Schumann 2007: 21f.; Lewicki/Bunker 1996). Da das interessengebundene Vertrauen das Ergebnis bestimmter sozialer Austauschsituationen ist, wird es auch als situationsbasiertes Vertrauen bezeichnet (Deutsch 1973)[35]. Für Lewicki und Bunker (1996) besitzt es zwar die geringste Vertrauensqualität – für die Zukunft der Austauschbeziehung stellt es aber den Ausgangspunkt für die Entwicklung tieferer Vertrauensformen dar (Lewicki/Bunker 1996: 120).

Personenvertrauen folgt keineswegs nur einer rein rationalen, interessenbasierten Ausrichtung, sondern ist im Verlauf dichter Interaktionen zunehmend sozial, affektiv und moralisch eingebettet (Münch 1998: 86f.; Lewicki/Bunker 1996: 120ff.). Der sog. „komplexitätstheoretische Ansatz“ geht von einer begrenzten Rationalität aus (Luhmann 2009; Giddens 1999; Möllering 2002, et passim; Endress 2002: 39ff., 68ff., Hartmann 2001: 25ff., 70). Er konzentriert sich auf die Unvorhersagbarkeit unvollständig bewusster Entscheidungen und Entwicklungen, akzeptiert viel stärker bestehende Risiken und Unsicherheiten. Mit zunehmender Dauer und Intensität der Interaktion basiert das zwischenmenschliche Vertrauen immer mehr auf einer bewussten Risikoausblendung, sozialen Einbettungsmechanismen (soziales Vertrauen) und der Gegebenheit von Vertrauenswürdigkeit. Erfahrungsgestütztes Vertrauen ist das Ergebnis von reflexiven Interaktions- und Lernprozessen und dabei an einen bestimmten Interaktionspartner gebunden. Es basiert a) entweder auf Eigenschaften oder b) auf Identifikation (Lewicki/Bunker 1996: 120ff.; Möllering 2007: 75f.) und stützt sich auf kognitive Vertrauenskomponenten (Wissen über den Interaktionspartner, z. B. über bestimmte Fachkenntnisse), affektive Vertrauenskomponenten (positive Gefühle, wie z. B. affektive Nähe, Identifikation) oder behaviorale Vertrauenskomponenten (das offene Verhalten des Interaktionspartners) (Schweer 2008: 15).

Ausgehend von regelmäßigen situations- und personenspezifischen, kommunikationsbasierten Interaktionserfahrungen stützt sich das sog. eigenschaftsbasierte Vertrauen (oder auch „kognitive / wissensbasierte Vertrauen“) auf die Kenntnis bestimmter vertrauensrelevanter Verhaltensmerkmale der am Interaktionsprozess partizipierenden Vertrauenspersonen (Schweer/Thies 2003: 80; Schumann 2007: 23; Piwinger 2007: 192; Osterloh 2006: 57ff.). Die zunehmende Bekanntheit der sog. kognitiven Faktoren der Vertrauenswürdigkeit[36] im fortschreitenden Interaktionsprozess verstärkt das direkte und indirekte Wissen des Vertrauensgebers über den Vertrauensnehmer. Auf der Basis personaler Eigenschaften können im Zuge der wissensbasierten Vertrauensbildung mit zunehmender Erfahrung vorhersagbare Erwartungen für zukünftige vertrauensvolle Handlungsschemata in der Akteursbeziehung entstehen und ein tiefergehendes Verständnis des Gegenübers entwickelt werden (Schumann 2007: 23ff.; Piwinger 2007: 192; Osterloh 2006: 57ff.).

Das sog. „identifikationsbasierte Vertrauen“ (Lewicki/Bunker 1996: 122; Gabarro 1978) kennzeichnet die höchste, stabilste und intimste zwischenmenschliche Vertrauensebene (Franken 2007: 135; Tabak 2005: 184; Lewicki/Bunker 1996: 122). Da hier die Gemeinschaft der Vertrauenden im Vordergrund steht, gründet es im Vergleich zum eigenschaftsbasierten Vertrauen noch stärker auf dauerhaften, intensiven Erfahrungen in spezifischen Interaktionssituationen, intimen Kenntnissen der Vertrauenspartner und einem relationalen Verhalten in konkreten Beziehungskontexten (Piwinger 2007: 192; Bissels 2002: 32f., 37ff.; Schweer1997). Am Arbeitsplatz beinhaltet es die gegenseitige Berücksichtigung und Verinnerlichung der Werte, Normen, Ziele, Interessen und Bedürfnisse des Gegenübers. Seine Grundlage fußt auf positiven Beziehungsmotiven, maximaler Mitarbeiterpartizipation, langjähriger Zusammenarbeit, gemeinsamen Zielen, Aufgaben und Denkweisen und erfolgreicher Zielerreichung (Lewicki/Bunker 1996: 122ff.; Franken 2007: 135; Tabak 2005: 184; Schumann 2007: 27f.). Die Stabilität des identifikationsbasierten Vertrauens beruht auf einer normintrinsischen, nicht-instrumentellen Motivationsgrundlage. Es wirkt über eine kollektive Identität, eine emotionale Bindung, Sympathie und ein gegenseitiges Verständnis von wohlwollenden Absichten und Wünschen an der Herstellung einer integrativen Gemeinschaft, ohne die Erwartung einer Gegenleistung (Lewicki/Bunker 1996: 122ff.; Bissels 2002: 41ff.; Franken 2007: 135; Piwinger 2007: 192f.; Osterloh 2006: 63f.; Schumann 2007: 27f.). Aufgrund der von Vertrauensnehmer und Vertrauensgeber gemeinsam geteilten moralischen Verpflichtungen sowie intrinsischen Wertgrundlage und Gefühlsbasis wird das identifikationsbasierte Vertrauen in der Soziologie auch mit dem Begriff des werte- und normbasierten Vertrauens (value-based trust)[37] oder des emotionsbasierten Vertrauens (affect-based trust) bezeichnet (Schumann 2007: 27f.). „Die Bildung dieser Vertrauensqualität braucht Zeit und tritt im ökonomischen Kontext erst in einer gewissen Reifephase der Kooperation auf“ (ebd.: 28).

2.3. Misstrauen

2.3.1. Grundkonzepte und Ursachen

Misstrauen oder auch Argwohn kennzeichnet eine negative, gefühlsbetonte und zugespitzte Erwartungshaltung und eine das Handeln lenkende zukunftsbezogene Strategie der Vorsicht eines Akteurs gegenüber einem anderen Handlungspartner, dem die Bereitschaft zur Kooperation abgesprochen wird (Hartmann 2001: 33; Geramanis 2002: 58; Luhmann 2009; Endress 2002: 76). Als ein nur sehr gering ausgeprägtes bis vollständig fehlendes Vertrauen (fundamentaler Verlust der Vertrauensfähigkeit und des „Vertrauen-Könnens“ – Hartmann 2001: 176), impliziert der Misstrauende mit einem bestimmten Grad an subjektiver Wahrscheinlichkeit, dass die Handlungsbereitschaft, Intentionen und Motive eines potentiellen Vertrauensnehmers vorsätzlich auf Unehrlichkeit, Intransparenz, Opportunismus und Erwartungsdiskonformität (defektives und böswilliges Verhalten: z. B. Interessenegoismus, Schädigung des Vertrauensgebers) beruhen (Claus Offe, In: Hartmann 2001, 249; Ripperger 1998: 44; Gambetta 2001: 211; Luhmann 2009: 95, 103; Lewicki/Bunker 1996: 446; Kramer 1999, 2006; Neubauer 1997; Götz 2006: 42)[38]. Erreicht das Misstrauen einen bestimmten Grad, kann der Vertrauensgeber es sich nicht leisten, sich auf den potentiellen Vertrauensnehmer einzulassen (Hartmann 2001: 176)[39].

Misstrauen, das in Abhängigkeit der Ursachen in verschiedenen Arten und Formen der Ausprägung vorliegen kann[40], ist äußerst schwer mess- und erfassbar[41]. Es basiert vorrangig auf der Grundlage negativer Interaktionserfahrungen (Hartmann 2001: 25, 157; Luhmann 2009: 95) als Folge von Vertrauensbrüchen, gestörten oder nicht verwirklichten Vertrauensverhältnissen (Sztompka 1995: 260; Giddens 1999: 126f.), Enttäuschungen (Sztompka 1995: 260; Meifert 2003: 86), risikobehafteter Erwartungsunsicherheit (Laucken 2001: 42; Ratzke 2003: 28f.) oder Verletzungen (Hartmann 2001: 176; Ratzke 2003: 29) im lokalen Umfeld. Eine weitere Misstrauensursache beruht auf untauglichen Aktivversuchen zur Vertrauensbildung (Claus Offe, In: Hartmann 2001, 243f.; Herzog 2006: 131), die aufgrund mangelnder Vertrauenswürdigkeit eine kontraproduktive Wirkung hervorrufen (sog. „Misstrauen ins Vertrauen“: Götz 2006: 32)[42] und zu einer Selbstverstärkung des Misstrauens beitragen (Luhmann 2009: 82, 98; Gambetta 2001: 235)[43].

2.3.2. Wirkungseffekte in der Akteursbeziehung

Die Wirkungseffekte von Misstrauen werden in der Forschungsliteratur unter verschiedenen Perspektiven betrachtet[44]. Diese Arbeit folgt aufgrund des interpersonalen Forschungsschwerpunkts einer dysfunktionalen Perspektive und betrachtet Misstrauen in erster Linie als ein vertrauenshinderliches Konstrukt, dessen inhaltliche Charakteristiken[45] sich als kontraproduktiv für den Nutzen, die Qualität und Entwicklung von dynamisch-komplexen Interaktionsbeziehungen, das Handlungspotential ihrer Interaktionspartner und die Zuschreibung von Vertrauenswürdigkeit erweisen können (Sztompka 1995: 260; Ratzke 2003: 27, 29; Hartmann 2001: 319; Coleman 1990: 252; Götz 2006: 13)[46]. Während Vertrauen (abhängig von Form, Konsistenz und Intensität) langfristig Beziehungen aufbaut (Götz 2006: 13, 26), erschwert, verhindert oder zerstört personales Misstrauen den Aufbau von Vertrauensbeziehungen (Hartmann 2001: 298; Ratzke 2003: 30; Coleman 1990:252).

Neben den Misstrauensmaßnahmen des Vertrauensgebers stellt die Fähigkeit des Misstrauens zur Reproduktion (Misstrauen erzeugt Misstrauen) ein besonders gravierendes Vertrauensentwicklungshindernis in der Akteursbeziehung dar. So erfolgt die Zunahme von interpersonalem Misstrauen zwischenmenschlich in negativ-selbstverstärkenden Prozesszirkeln, der sog. „Spirale des Misstrauens“ (Luhmann 2009: 82, 98ff.; Coleman 1990: 253; Sztompka 1995: 260). Insbesondere dauerhaft und stark platzierte Misstrauensinhalte und aus ihr hervorgehende demoralisierende und zusammenarbeitsbelastende Wirkungseffekte werden vom Vertrauensnehmer i. d. R. als Zeichen mangelnden Vertrauens interpretiert (Luhmann 2002: 94, 98ff.; Schumann 2007: 37f.). Daraus erwachsende Reaktions- und Gegenreaktionsmechanismen können die Führungsbeziehung zwischen einem Prinzipal und einem Agenten durch Lern- und Imitationsprozesse langfristig in eine rigide, auf Rationalität beruhende Misstrauensbeziehung verhärten (Luhmann 2009: 99; Kramer 1999, 2006; Götz 2006: 12; Gambetta 2001: 235f.).

Starkes Misstrauen kann „[…] eine Realität erzeugen, die mit sich selbst übereinstimmt: Jeder Anlass kann dann als Ursache des Misstrauens interpretiert werden und wird die Wahrnehmung des Misstrauenden beeinflussen, so dass das Bewusstsein des Misstrauens verloren gehen kann und es sich parallel dazu als Routine verstärkt und verselbständigt“ (Gambetta 2001: 235).

Natürlich münden nicht alle abweichenden Handlungen und Vertrauensverluste automatisch in die Entwicklung von prinzipiellem Misstrauen oder die Destruktion der Interaktionsbeziehung (Baba 1999; Endress 2002: 76). Der Übergang von Vertrauen zu Misstrauen hängt vom Kontext der Beziehungssituation, aber auch vom Vertrauenskredit und den Interaktionserfahrungen zwischen den Akteuren ab (Luhmann 1984: 180; Endress 2002: 76). Gambetta geht davon aus, dass Vertrauen und Misstrauen Schwellenwerte in Form von Wahrscheinlichkeitsverteilungen allgemeiner Erwartungen darstellen, deren Dominanz erst ab bestimmten Levels wirkungsvoll zum Ausdruck kommen kann (Gambetta 2001: 211). Nach seinem Verständnis können diese Erwartungen Werte zwischen vollkommenem Misstrauen (0), blindem Vertrauen oder vollkommenem Vertrauen (1) und einem neutralen Mittelwert (0,5) annehmen, der Unsicherheit, Nicht-Vertrauen, Gleichgültigkeit oder Indifferenz anzeigt (Gambetta 2001: 211; Endress 2002: 75; Schweer/Thies 2003: 47)[47]. Die sog. „Ambivalenz“ des Vertrauens beinhaltet, dass Vertrauen und Misstrauen in der Akteursbeziehung nebeneinander bis zu einem gewissen Grad immer in Form eines „Mehr“ oder „Weniger“ existieren und ein Nicht-Vertrauen (0,5) in Form eines neutralen „Nicht-Treffens“ einer risikoreichen Entscheidung (Indifferenz) nicht automatisch mit Misstrauen gleichgesetzt werden kann. Gleichzeitig sind Vertrauen und Misstrauen nie vollkommen (als Extremwerte) vorhanden oder nicht vorhanden (Gambetta 2001: 211ff.; Giddens 1999: 114; Lewicki/Bunker 1996: 448; Hartmann 2001: 33, 168). Um Missverständnisse zu vermeiden muss jedoch betont werden, dass der jeweilige Vertrauensgeber in der konkreten Entscheidungssituation zwangsweise zwischen Vertrauen und Misstrauen wählen muss. Seine Entscheidung berücksichtigt zwar den in der Akteursbeziehung vorhandenen Misstrauens-/Vertrauenslevel; die Parallelität von Vertrauens- und Misstrauensschwellen gilt aber nicht für die individuelle Vergabe von persönlichem Vertrauen. Hier können miteinander interagierende Akteure Vertrauen und Misstrauen nicht gleichzeitig wählen. Es besteht ein wechselseitiges Ausschlussverhältnis, eine „entweder-oder-Wahl“ (Ripperger 1998: 87; Luhmann 2001: 78, 2009: 122; Giddens 1999: 126f.).

2.3.3. Das theoretische Verhältnis von Vertrauen und Kontrolle

Der Problemhintergrund der Fragestellung dieser Arbeit erfordert eine kurze Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Vertrauen und Kontrolle. Hierzu werden in der wissenschaftlichen Diskussion je nach Forschungsperspektive unterschiedliche Standpunkte vertreten. Einige Studien betonen, dass Vertrauen und Kontrolle sich ergänzen (Möllering 2005, 2005b; Krystek 1993; Geramanis 2002; Kramer 1999; Giddens 1999; Luhmann 2009; Lewicki/Bunker 1996; Sprenger 2005, 2007), andere, dass sie sich mehrheitlich ausschließen (Ratzke 2003; Reed 2001; Bissels 2002; Falk 2004, 2006)[48].

Das Ziel dieser Arbeit ist nicht, diese Dualitätsproblematik vollständig zu lösen. Um die gegensätzlich scheinenden Theorieperspektiven aber sinnvoll und widerspruchsfrei in die weiteren Ausführungen zu integrieren, ist es jedoch hilfreich, die Thematik mittels einer Trennung von Theorie und Praxis zu beleuchten. Dabei soll nicht auf etwaige Wirkungskonsequenzen kontrollbehafteter Misstrauensstrategien für die interpersonale Akteursbeziehung eingegangen, sondern die theoretische und praktische Relevanz des prekären Verhältnisses von Vertrauen und Kontrolle beleuchtet werden.

Viele Forscher, die die Vertrauensproblematik vorrangig aus der theoretischen Risikoperspektive und reaktiven Akteurssicht betrachten, gehen davon aus, dass sich Vertrauen und Kontrolle gegenseitig ersetzen. Armin Falk hat in einer Studie herausgefunden, dass Kontrolle den Ausdruck von Misstrauen impliziert und Vertrauensgeber, die kontrollieren, in der Mehrheit eine dem Mitarbeiter gegenüber niedrigere Erwartungshaltung aufweisen als solche, die nicht kontrollieren. Mangelndes Vertrauen erhöhe notwendigerweise den Bedarf an Kontrollen (Falk 2004: 14, 22f.; Falk 2006: 1628). Die Implizierung von Kontrolle als Form, Ausdruck oder Anlass von Misstrauen wird von vielen anderen Vertrauensforschern bestätigt, die in der Allokation verhaltenssichernder Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen das Bestehen von misstrauischen Negativerwartungen (z. B. Annahme von opportunistischem Mitarbeiterverhalten) erkennen. Allgemein wird geschlussfolgert, dass Kontrolle eine Vertrauensbeziehung gar nicht erst entstehen lässt oder einer bestehenden Vertrauensbeziehung schrittweise die Grundlage entzieht[49].

„Wer hingegen Ressourcen in explizite vertragliche Schutzmaßnahmen gegen opportunistisches Handeln investiert, der tut dies in Antizipation ebensolchen Handelns; er vertraut folglich nicht, sondern er misstraut“ (Ripperger 1998: 44). „Misstrauen basiert auf der Erwartung opportunistischen Verhaltens […]“. Es „[…] führt zu und manifestiert sich in der Allokation von Ressourcen in explizite Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen. Wer hingegen vertraut, der investiert keine Ressourcen in Schutzmaßnahmen gegen opportunistisches Verhalten, da er nicht mit einem Verhalten rechnet, welches solche Maßnahmen rechtfertigen würde“ (Ripperger 1998: 44, 60).

Besonders betont wird, dass eine vertrauensvolle Handlung in einer Vertrauenssituation eines freiwilligen Kontroll- und Überwachungsverzichts (neutral: der Abwesenheit von Kontrolle) bzw. des Gewährens von Freiräumen bedarf, was mit einem bewussten Informationsverzicht oder der Akzeptanz einer unsicheren, risikoreichen Informationslage gleichzusetzen ist. Im Gegensatz dazu wird die Anwendung von Kontrollaktivitäten als alternative Handlungsmöglichkeit des Misstrauens aufgefasst, bei der in die Beschaffung zusätzlicher Informationen investiert wird, um sich in einer unsicheren Situation via Informationssicherheit abzusichern (Ripperger 1998: 45, 47ff.; Meifert 2003: 33f.; Luhmann 2009: 26; Cordini 2009: 87; Götz 2006: 12; Lewicki/Bunker 1996: 446; Schumann 2007: 38). Aus dieser Risikoperspektive erscheint Vertrauen als ein der Kontrolle funktionales Substitut im Umgang mit Unsicherheit: Es setzt auf Seiten des Treugebers das Vorhandensein und die Akzeptanz von Risiko, Verletzlichkeit, Kontrollverlust und die Möglichkeit der Enttäuschung voraus. Im Vergleich dazu übt ein misstrauender Akteur Aktivitäten aus, um bestehende Risiken und Unsicherheiten der Akteursbeziehung durch Schutzmaßnahmen zu minimieren und agiert risikoscheu (Sprenger 2005: 100; Geramanis 2002: 108f., 111, 179ff.; Beckert 1998, Möllering 2002; Meifert 2003: 107; Luhmann 2009: 180).

[...]


[1] Nähere Informationen hierzu finden sich unter Gliederungspunkt 3.4.2.2.

[2] Siehe u. a. Münch 2009; Schweer 2008; Zülsdorf 2008; Klumpp 2008; Bohn 2007; Cordini 2007; Schumann 2007; Healey 2007; Iseke 2007; Pinnow 2007; Sprenger 2005, 2007; Falk 2006; Götz 2006; Henke 2006; Reina 2006; Bijlsma-Frankema 2005; Ratzke 2003; Endress 2002; Willeitner 2002; Beckert 1998; Sztompka 1995; TNS-Emdnid 2009; Allensbach 2009; GBI 2009; GfK 2009; DGB 2009; Symanthek 2009; Xamit 2009; Wertekommission 2009. Im Fokus der Auseinandersetzung steht insbesondere eine vertrauenfördernde Führung. – Hierzu siehe u. a. Voß/Pongratz et passim; Sprenger et passim; Lane 1998; Langusch 2004; Meifert 2003; Cordini 2007; Franken 2007; Faust 2000; Grüninger 2001; Nauendorf 2004; Thürmer 1998; Jehle 2001; Steinheuser 2006; Wilkens 2004; Pinnow 2006.

[3] Siehe u. a. Tagesschau.de 2009, a,b,c,d; Sueddeutsche.de 2009,a,b; Zeit.de 2009,a; Spiegel.de 2009,a,b; Manager Magazin 2006a,b,c, 2008a,b,c,d,e, 2009,a,b; Capital.de 2009; Financial Times Deutschland.de 2009; Fokus.de 2009; Stern.de 2009.

[4] Ein Beispiel zur Vertrauensaktualität in der betrieblichen Arbeitswelt findet sich in der erst kürzlich erfolgten Konstruktion und Einführung des Corporate Trust Index (CTI) durch die Universität Leipzig und das „Manager-Magazin“ (Manager Magazin 2009a).

[5] „Der GPRA-Vertrauensindex leistet im Rahmen einer repräsentativen CAPI-Befragung viermal pro Jahr eine Quartalsbetrachtung der Vertrauenswerte von deutschen Unternehmen und Institutionen in den folgenden acht ausgewählten, repräsentativen Branchen: Gesundheitsbranche, Automobilbranche, Energie- und Wasserversorger, Informationstechnologie, Finanzbranche, Lebensmittelindustrie, Chemische Industrie sowie Verkehrs- und Transportunternehmen. Der ermittelte Indexwert setzt sich zusammen aus den gewichteten Teilergebnissen der vier Vertrauensdimensionen Ehrlichkeit der Aussagen, gesellschaftliche Teilhabe der Branchen, Umgang mit eigenen Mitarbeitern und Umgang mit Kunden und repräsentiert das Vertrauensniveau der arbeitenden Bevölkerung“ (TNS Emnid 2009).

[6] Der Corporate Trust Index (CTI) wird im Auftrag des Manager-Magazins in Kooperation mit dem PMG Presse-Monitor und der Universität Leipzig erstellt. Er ist das Ergebnis einer Inhaltsanalyse. Auf Basis von Quantität und Qualität der Medienberichterstattung großer Medien wie „Financial Times Deutschland", „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Focus“, „Handelsblatt“, „Manager Magazin“, „Süddeutsche Zeitung“, „Spiegel“, u. v. a. m., ordnet der CTI die Dax-30-Unternehmen der Bundesrepublik auf einer Skala von +100 bis -150 an. Der sog. CTI-Wert enthält eine fachspezifische, ethische und kommunikative Vertrauensdimension. Er ist ein Indikator für mögliche Vertrauensgewinne oder -verluste der jeweiligen Unternehmen aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit (Manager Magazin 2009a).

[7] Nur 8 % der Deutschen vertrauen den Unternehmen beim Datenschutz, während ihnen 82 % diesbezüglich misstrauen (Allensbach 2009).

[8] Schon im Frühjahr 2006 wird der gesellschaftliche Ruf nach einer „neuen“, wertorientierten „Leistungselite“ immer lauter (Pinnow 2007: 86-96). Eine Umfrage der „Welt am Sonntag“ ergab, dass ganze drei Viertel (76 %) der deutschen Öffentlichkeit den deutschen Führungskräften nicht vertrauen (zit. in Pinnow 2007: 69).

[9] Z. B. schwindende Vertrautheit, steigende Komplexität, hoher Zeitbedarf aber geringe Reaktionszeit, Umstrukturierung interner Prozesse und Regeln, wachsende Dynamisierung, zunehmender Wandlungs- und Anpassungsdruck.

[10] Die Vertrauensvergabe führt zu einer Mobilisierung von sozialem Handlungspotential für Vertrauensempfänger, ermöglicht Planungen und langfristige Zielsetzungen (Coleman 1991: 253; Sztompka 1995: 255, 260; Luhmann 2009: 25-26; 49-50, 117; Nauendorf 2004: 201).

[11] Probleme auf der Sachdimension, wie z. B. Informationsdefizite, Risiken, Unsicherheiten, Komplexität, begrenzte Fähigkeit der rationalen Abwägung von Informationen und auf der Zeitdimension, wie z. B. Sequenzialität und Zeitmangel – siehe Endress 2002: 34.

[12] Der wesentlichste Bestandteil von Luhmanns Vertrauenskonzept markiert die Differenzierung des Vertrauenskonstrukts von den Begriffen Zuversicht (confidence) und Vertrautheit (familiarity) (Luhmann 2000, 2009). Für nähere Informationen hierzu siehe Luhmann 2009: 17ff., 95, 2001: 144f., 147, 149, 151, 153, 156ff.

[13] Diese Gegebenheit definiert Coleman als sog. Vertrauensproblem, das aus dem fehlenden Wissen über das Verhalten und die Vertrauenswürdigkeit des Handlungspartners, zeitlichen Asymmetrien und Interessenagonien resultiert (Coleman 1991: 121, 194ff., 199f.).

[14] Aus Sicht einer Rational Choice Perspektive ist Vertrauen das Wissen oder die Überzeugung, dass der Vertrauensempfänger einen Anreiz haben wird, das zu tun, was er zu tun beabsichtigt (nach Hartmann 2001: 25).

[15] „The elements confronting the potential trustor are nothing more or less than the considerations a rational actor applies in deciding whether to place a bet” (Coleman 1990: 126).

[16] Hierfür ist der Begriff kalkulatives Vertrauen vorgesehen (Coleman 1990; Geramanis 2002).

[17] Ähnlich argumentiert Diego Gambetta (2001): „Vertrauen ist ein bestimmter Grad der subjektiven Wahrscheinlichkeit, mit der ein Akteur annimmt, dass eine bestimmte Handlung durch einen anderen Akteur ausgeführt wird, und zwar sowohl bevor er eine solche Handlung beobachten kann (oder unabhängig von seiner Fähigkeit, sie jemals beobachten zu können) als auch in einem Kontext, in dem sie Auswirkungen auf seine eigene Handlung hat. Wenn wir sagen, dass wir jemandem vertrauen oder dass jemand vertrauenswürdig ist, dann meinen wir implizit, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der er eine Handlung ausführen wird, die für uns vorteilhaft oder zumindest nicht schädlich ist, hoch genug ist, so dass wir in Erwägung ziehen, uns auf eine Art von Kooperation mit ihm einzulassen. Wenn wir sagen, jemand sei nicht vertrauenswürdig, dann meinen wir entsprechend, diese Wahrscheinlichkeit sei niedrig genug, um uns daran zu hindern, eine derartige Kooperation in Erwägung zu ziehen“ (Gambetta 2001: 211).

[18] Das Eingehen des „akzeptablen Risikos“ der Vertrauensentscheidung benennt Giddens mit dem Begriff des „Zutrauens“ (confidence) (Giddens 1999: 27ff.). Das Zutrauen ist für Giddens nicht vom Vertrauen trennbar. Es bezieht sich auf die Kompetenzen eines Akteurs, auf deren Basis Erwartungen des Zutrauens zur Erbringung bestimmter Leistungen entstehen (Giddens 1999: 43ff.).

[19] „Attributionstheorien der Sozialpsychologie gehen davon aus, dass man aufgrund von Verhaltensbeobachtungen, Absichten, Motiven und Persönlichkeitseigenschaften die Vertrauenswürdigkeit und Glaubwürdigkeit einer Person ableitet“ (Bissels 2002: 24, i. A. an Neuberger 1994).

[20] Die Austauschbeziehung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine unterschiedliche Interessen- und Risikoorientierung und eine asymmetrische Informationsverteilung aufweist.

[21] Definitionsunterschiede existieren v. a. deshalb, weil sie unterschiedlichen Forschungsfokussen unterliegen, z. B. der Erforschung von kognitiven oder affektiven Vertrauensprozessen, personalen, systemischen oder situativen Vertrauenskontexten, Entstehungsbedingungen oder Wirkungen des Vertrauens.

[22] Die Unterscheidung von Personen- und Systemvertrauen geht auf Luhmann und Giddens zurück (Luhmann 2001: 23, 2009: 26; Giddens 1999: 107) und taucht in vielen Vertrauenstheorien in leicht modifizierter Form auf. Beim Systemvertrauen basiert das intersubjektiv geteilte Vertrauen der Akteure nicht auf Personen und persönlichen Vertrauensverhältnissen, sondern auf der Gegebenheit, Verlässlichkeit, Stabilität und Funktionsfähigkeit institutionell-abstrakter Sozialsysteme (z. B. „Expertensysteme“ oder „symbolische Zeichen“ – Giddens 1997, 1999: 33ff., 40f.) oder Institutionen (wie z. B. Unternehmen und Betriebskontexten), ihren festgeschriebenen Regeln, Strukturen, Werten und Normen. Für nähere Informationen siehe z. B. Luhmann 1984, 2001, 2009; Giddens 1997: 81ff., 1999; Ripperger 1998; Endress 2002: 28ff., 57ff., 67ff.; Auer-Rizzi 2007: 119.

[23] Im Gegenteil: Grade für das Funktionieren sozioökonomischer Systeme (z. B. Betriebskontexte) besitzt das Systemvertrauen, in Form stabiler institutioneller Strukturmechanismen, Regeln und Normen eine dem personalen Vertrauen vorgeschaltete Funktion (Giddens 1999; Auer Rizzi 2007: 120). So stützt sich die Konstitution von Personenvertrauen (insbesondere am Anfang einer betrieblichen Vertrauensbeziehung) entscheidend auf eine institutionalisierte, strukturelle Absicherung und ermöglicht die intersubjektive Übertragung von bestehenden organisatorischen Vertrauenskomponenten (z. B. Normen, Handlungsweisen, Verfahrensabläufe, etc.) auf die Vertrauensakteure, die mittels vertrauensvoller Handlungen in sozialen Interaktionen reproduziert werden müssen (Luhmann 1984: 180, 2001, 2009: 36ff., 51; Meifert 2003: 116f.; Götz 2006: 75; Schumann 2007: 32f.). Auch ist die Wirkungsreichweite des personalen Vertrauens aufgrund von Modernisierungs- und Differenzierungsprozessen in komplexen sozioökonomischen Sozialsystemen, wie z. B. Unternehmen, heutzutage nicht mehr allein ausreichend, um stabile Vertrauenskulturen zu erzeugen und zwischenmenschliche Austauschbeziehungen effektiv zu koordinieren. Zusätzlich werden komplementäre systemische und institutionell verankerte Vertrauensformen (Systemvertrauen) benötigt (Giddens 1999; Misztal 1998; Luhmann 2001, 2009).

[24] Die hohe Bedeutung des Personenvertrauens für den innerbetrieblichen Vertrauensprozess wird zudem durch die wechselseitige Bedingtheit und Überlagerung von System- und Personenvertrauen verdeutlicht (Giddens 1997, 1999; Schumann 2007: 32; Auer Rizzi 2007: 120). Das Zusammenspiel von interpersonalem und systemischem Vertrauen bezeichnet Giddens als „Parallelität von Handlung und Struktur“ (Giddens 1999: 30, 80). Der personale Vertrauensaufbau beinhalte (auch in der Unternehmung) das gleichzeitige Wirken sozialer Beziehungen und sozialer Akteurspraktiken (auf Interaktionen, persönlichen Fähigkeiten und Strukturmerkmalen beruhende „Vertrauensverhältnisse“) sowie Vertrauen erhaltender Systeme (auf Strukturen, Werte und Normen beruhende „abstrakte Vertrauenssysteme“ und Systemkontexte) (Giddens 1997: 14ff., 81; 1999: 30, 80, 83ff., 88).

[25] Die Vertrauensforschung unterscheidet zwischen Ursachen und Wirkungen des Vertrauens. Dies zeigt sich daran, dass manche Begriffsdefinitionen Vertrauen als Resultat, andere als unverzichtbare Voraussetzung kooperativer Sozialbeziehungen bestimmen.

[26] Luhmann bezeichnet Vertrauen sogar als „[…] soziale Beziehung, die eigenen Gesetzlichkeiten unterliegt“ (Luhmann 2009: 4).

[27] „Die Rollen von Vertrauensgeber und -nehmer sind in vielen Situationen an beide beteiligten Personen vergeben, dann, wenn es sich um gegenseitiges Vertrauen handelt. Beide sind Vertrauensgeber und -nehmer zur gleichen Zeit und beide erwarten gegenseitig, dass der andere keine nachteilige Handlung setzen wird“ (Auer-Rizzi 2007: 118).

[28] Markantes Merkmal persönlicher Vertrauensbeziehungen ist, „[…] dass menschliches Handeln überhaupt als persönlich bedingtes Handeln sichtbar wird“ (Luhmann 2009: 51). Interpersonales Vertrauen existiert genau dann, wenn die Vertrauensakteure ihre individuelle Persönlichkeit in wechselseitigen Interaktionsprozessen erfolgreich als vertrauensvoll selbstoffenbart haben. Die Integration fremder Erwartungen ist dabei ein vertrauenverstärkender Faktor (Luhmann 1984: 429; 2009: 59, 82ff.; Giddens 1999: 152).

[29] Vertrautheit (familiarity) bezieht sich auf die persönlichen Beziehungen zwischen Individuen. Sie ist eine unbewusste Subjektgegebenheit und „unvermeidbare Tatsache des Lebens“ (Luhmann 2001: 144), die auf die soziale Akteursumgebung des Individuums fußt. Sie ermöglicht ein „sicheres Erwarten“ und absorbiert Risiken, indem sie sich grundsätzlich auf die Vergangenheit bezieht und unterstellt, dass das Vertraute sich in die Zukunft hinein fortsetzt. Dadurch schafft sie die notwendige Voraussetzung für die Entstehung von Vertrauen. Vertrautheit ist subjektgebunden (personale Vertrautheit) kann aber auch kontextgebunden (institutionelle Vertrautheit) sein. Einerseits gründet sie sich auf Erfahrungswissen hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit (z. B. Redlichkeit und Integrität) anderer Personen, andererseits berücksichtigt sie ihr Verhalten in spezifischen institutionellen Kontexten. Für nähere Informationen hierzu siehe Luhmann 2009: 17ff., 95, 2001: 144f., 151, 153). Einige Vertrauenstheoretiker mildern die Wirkung der Vertrautheit in der Gegenwart ab (Giddens 1999). In der Moderne sei die Bindung von Vertrauen an Vertrautheit insbesondere aufgrund von zeitlichen und räumlichen Systemgrenzen verhältnismäßig gering ausgeprägt. Unter den Bekanntschaften überwiege die Fremdheit in Form systematischer, unpersönlicher und instabiler Interdependenzen. Die soziale Integration gründe in der arbeitsteiligen Moderne stark auf der Trennung von Person und Funktion (und damit eher auf Systemen, z. B. auf Funktionsmechanismen und Rollenträgern) und weniger auf der Persönlichkeit (Giddens 1999: 145, 149ff.; Schweer 1997: 220f.). Jedoch machen die Steigerung der Komplexität und die Differenzierung von systemischer und sozialer Integration Vertrauen trotzdem notwendig und erhöhen die Anforderungen an dessen Funktionsnotwendigkeiten.

[30] Nach Giddens, Meifert und Sztompka gelten Personen v. a. dann als vertrauenswürdig, wenn sie sich durch Konsistenz (Berechenbarkeit, Verlässlichkeit, Treue), individuelle Kompetenz (fachlich, sozial), Integrität (Ehrenhaftigkeit, Redlichkeit, Ehrlichkeit, Zuneigung), Offenheit (Informationsweitergabe, Selbstenthüllung) und Wohlwollen (Fairness, Loyalität, Respekt, Großzügigkeit) auszeichnen (Sztompka 1995: 258; Giddens 1995: 48, 1999: 143ff.; Meifert 2003).

[31] Nach Bourdieu entspricht das soziale Kapital der „Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind; es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen“ (Bourdieu 1983: 190).

[32] Da Vertrauen auf guten Erwartungsgründen aber nicht auf Gewissheit beruht und stets enttäuscht werden kann, ist es in gewisser Hinsicht immer „naiv“ (Möllering 2002, et passim).

[33] Bereits Coleman (1990) machte auf die Wahlmöglichkeiten des Treuhänders bei der Vertrauensvergabe aufmerksam, bei der dieser die vom Treugeber anvertrauten Ressourcen opportunistisch zu seinem eigenen Profit (den Treugeber also enttäuschen), zum Profit des Treugebers oder zum Gewinn beider einsetzen (die Erwartungen des Treugebers erfüllen) kann (Coleman 1990: 122; 396ff.). Auch Luhmann bezieht sich auf die Entscheidungsfreiheit der Vertrauensentscheidung, indem er Vertrauen als Mittel bezeichnet, um mit der Freiheit des anderen zurechtzukommen (Luhmann 2009: 32).

[34] Vertrauen erweitert das Handlungspotential und den reaktiven Zeithorizont der Vertrauenden innerhalb eines sozialen Systems. Es ermöglicht neue Verhaltensweisen und Zeitzugewinne (Luhmann 2009: 10, 48ff., 74ff., 101, 117; Langusch 2002: 65). Die große Reduktionsbedeutung des Vertrauens unterstreichen auch Rotter (1971) und Laucken (2001): “The more complex society, the greater the dependence on others. If trust weakens, the social order collapses“ (Rotter 1971: 443). „Der Handelnde muss die Zahl bedachter Handlungen für sich einschränken, um sie für sich überschaubar zu halten“ (Laucken 2001: 441).

[35] Situationsbasiertes Vertrauen zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass die riskante Vorleistung durch eine der Austauschsituation vorangegangene und unter extrinsischen Motivationsmotiven vorgenommene Risikokalkulation ersetzt ist. Dementsprechend wird es in der Vertrauenstheorie i. d. R. als „unechtes“ Vertrauen behandelt (Piwinger 2007: 192; Osterloh 2006: 50ff.).

[36] Vertrauensrelevante personale Merkmale des Vertrauensnehmers wie Alter, Geschlecht, Nationalität, aber v. a. Verhaltensmuster wie z. B. Integrität, Zuverlässigkeit, Loyalität, Kompetenz, Konsistenz, Offenheit, Respekt, etc. (Bissels 2002: 34).

[37] Value-based trust basiert auf Routinen. Der Vertrauensgeber orientiert sich in seiner Vertrauensentscheidung an allgemein bekannten Regeln und gültigen Rollenverständnissen, ohne diese zu hinterfragen. Er geht davon aus, dass sich sein Vertrauenspartner den gültigen Verhaltensmustern entsprechend angemessen und regelmäßig vertrauensvoll verhalten wird (Möllering 2007: 75f.). Value-based trust benötigt eine institutionelle Vertrauensgrundlage (die formelle Festschreibung allgemein gültiger Werte und Normen) (Grüninger 2003: 122, 145).

[38] Dem Handlungspartner wird keine Vertrauenswürdigkeit zugeschrieben: „Von Menschen, denen wir misstrauen, erwarten wir, dass sie nicht die Wahrheit sagen, dass sie uns zu täuschen versuchen, um uns betrügen zu können“ (Laucken 2001: 42).

[39] Aus Perspektive der Zweckrationalität ist die Misstrauensstrategie eine rationale Akteursentscheidung, die unter der Berücksichtigung komplexer Erwartungen dazu führt, dass eine bestimmte Handlung unterlassen wird (Coleman 1990; Luhmann 2009: 78ff.).

[40] Misstrauen kann sich wie Vertrauen auf Personen oder Systeme beziehen (Luhmann 1984, 2001, 2009). Es wird verschieden differenziert: Luhmann trennt „abwesendes Vertrauen“ vom Misstrauen (Luhmann 2009). Endress unterscheidet „partiell fehlendes“ von „enttäuschtem Vertrauen“ und „generellem Misstrauen“ (Endress 2002: 76), Hartmann „hohes“ und „vollkommenes“ Misstrauen (Hartmann 2001: 319). Die Ausführungen Kramers klassifizieren „rationales“ und „irrationales“ Misstrauen (Kramer 1999, 2006). Auch Götz trennt „gesundes“ (rationales) Misstrauen von „blankem, pathologischem“ (krankhaftem) Misstrauen (Götz 2006: 26ff.).

[41] Unterlassene Handlungen, die Anzahl der von einer Person als vertrauensunwürdig eingeschätzten Akteure und beobachtbar gesteigerte Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen sind einige Indizien für die Abwesenheit von Vertrauen (Claus Offe, In: Hartmann 2001, 248f.).

[42] Als wirkungsvolle „[…] Mechanismen, die verhindern, dass Misstrauen überhand nimmt, dass es zurückgegeben wird oder sich durch Prozesse wechselseitiger Steigerung ins Zerstörerische wendet, dienen vor allem gewisse Formen der Darstellung oder der nachträglichen Erläuterung von Misstrauensakten als unfreiwillige Handlungen, als sachlich interessierte Interventionen, als Fehler, als extern bedingte Störungen oder als aufgetragene Rollenpflichten – also Auslegungen, welche die Durchführung von misstrauischen Handlungen ermöglichen, aber das Misstrauen als Einstellung wegfingieren“ (Luhmann 2009: 100).

[43] In der wissenschaftlichen Literatur finden sich noch weitere potentielle Misstrauensursachen, auf die im Speziellen nicht weiter eingegangen werden kann. So erklärt Kerstin Ratzke Misstrauen z. B. als Resultat von weitreichenden Individualisierungs- und Modernisierungsprozessen als Folge sich verändernder Lebensbedingungen und Formen des sozialen Miteinanders (Ratzke 2003).

[44] Generell finden sich in der Wissenschaft funktionale und dysfunktionale Schwerpunkte. Nach Auffassung einiger Wissenschafter ist das Misstrauen dem Vertrauen funktional nicht generell entgegengesetzt, v. a. nicht dann, wenn sein spezifischer Mechanismus der Komplexitätsreduktion im Mittelpunkt des Akteurshandeln steht. Die Funktionalität des Misstrauens betont v. a. Luhmann, indem er Misstrauen aus systemischen und akteursspezifischen Gesichtspunkten neutral als „Äquivalent“ zum Vertrauen auffasst, das wie Vertrauen, Komplexität reduziere (Luhmann 2009: 78, 92). Rein subjektiv kann persönliches Misstrauen in bestimmten Situationen für den Akteur oder ein ganzes Sozialsystem funktional sinnvoll sein, da es via taktischen Nutzenmöglichkeiten zur Instrumentalisierung von Sozialbeziehungen und persönlichen Zielerreichung verwendet werden kann (Schumann 2007: 37; Geramanis 2002: 60; Götz 2006: 13; Tiberius 2003: 194). Auch Endress verweist auf die strukturelle Neutralität von Misstrauen in normativer Hinsicht (Endress 2002: 75).

[45] Misstrauen äußert sich in Form von Gefühlen der Distanz, Reserviertheit, Abwertung, Argwohn, Verschlossenheit, Verunsicherung, Perspektivlosigkeit, Stress, Panik und Angst (Götz 2006: 13; Meifert 2003: 53ff., 57).

[46] Dazu verstärkt es den Bedarf und die Abhängigkeit der Akteure von Informationen (Coleman 19990: 252; Luhmann 2009: 93).

[47] „Erst wenn der Schwellenwert des sinkenden Vertrauens unter 0,5 liegt herrscht [dominierendes] Misstrauen“ (Gambetta 2001: 219).

[48] Die Ursachen hierfür beruhen teilweise darin, dass Vertrauens-/Misstrauenstheorien und die tatsächliche Praxis weit auseinanderklaffen. Zum anderen sind die Differenzen in konträren Auffassungen über mögliche Arten und Ausprägungen von Vertrauen und Misstrauen begründet. Weitere Unterschiede ergeben sich aus systemischen und personalen Untersuchungsfokussen des Misstrauensphänomens. Entscheidend für konträre Ergebnisthesen ist auch, ob sich Studien auf die Untersuchung der interpersonalen Vertrauens-/Misstrauensbeziehung, ihre Akteure und Mechanismen konzentrieren oder ausschließlich auf das Theoriekonstrukt.

[49] Z. B. Götz 2006: 12, 14, 40, 44f., 68, 78, 199, 247; Ripperger 1998: 44f., 60; Singelnstein 2008: 88; Schweer 1997: 22, 105f., 110, 114; Meifert 2003: 107f., 309; Klaus 2002: 119, 142; Nippa 2006: 22; Ratzke 2003: 29; Lewicki/Bunker 1996: 446.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783836648653
DOI
10.3239/9783836648653
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg – Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Soziologie
Erscheinungsdatum
2010 (Juli)
Note
1,7
Schlagworte
mitarbeiterführung misstrauenskultur vertrauensaufbau mitarbeiterkontrollen prinzipal-agent-theorie
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Titel: Vertrauensmanagement in der betrieblichen Misstrauenskultur
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