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Faktoren der Wohnstandortwahl hochqualifizierter Arbeitskräfte

Eine Untersuchung am Beispiel von Absolventen der TU Dortmund

©2009 Diplomarbeit 218 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
„Junge, mobile Eliten können sich ihren Wohnort nach Gutdünken aussuchen und ihn wechseln – was bedeutet, dass die Städte in einem harten Konkurrenzkampf und die Besten stehen. Es ist eine Entwicklung, von der nur die attraktivsten Städte profitieren können“.
Während die Zahl der Arbeitsplätze im produzierenden Sektor in der Bundesrepublik kontinuierlich sinkt, steigt der Anteil der Stellen für hochqualifizierte Arbeitskräfte deutlich an. Im Zeitalter der Wissensgesellschaft und der Tertiärisierung wird die Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften in Deutschland auch in Zukunft weiter wachsen. Um diesem wirtschaftlichen Trend gerecht zu werden und den Bedarf an entsprechenden Arbeitskräften zu decken, benötigt die deutsche Wirtschaft steigende Zahlen an Hochschulabsolventen.
Doch an diesem Punkt besteht ein Problem: Bundesweit fehlt es an gut ausgebildeten Fachkräften, insbesondere mit Hochschulabschluss. Somit kann der steigende Bedarf an hochqualifizierten Kräften nicht gedeckt werden. Dieser Engpass verschärft sich durch den demografischen Wandel: Durch zunehmende Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung nimmt der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Deutschland stetig ab. (vgl. Website Bundesministerium des Innern). Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) prognostiziert für Deutschland einen Rückgang der arbeitsfähigen Bevölkerung bis 2020 um 6,2 %gegenüber 2005.
Vor diesem Hintergrund entwickeln sich junge, hochqualifizierte Arbeitskräfte zu einer verstärkt nachgefragten Zielgruppe für Unternehmen. Für viele wissensbasierte Betriebe ist die Verfügbarkeit gut ausgebildeter Fachkräften zu einem der wichtigsten Standortfaktoren geworden und steht häufig sogar noch vor den „klassischen“ harten Faktoren wie Bodenpreise und Verkehrsanbindung.
Somit hat die Wohnstandortwahl von Hochschulabsolventen maßgeblichen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit von Städten und Regionen. Da Akademiker allgemein ein geringeres Arbeitslosenrisiko haben als andere Arbeitskräfte, sind sie auch aus fiskalischen Gründen für Kommunen besonders interessant. Eine starke Abwanderung junger Akademiker, wie z.B in vielen ostdeutschen Regionen, bedeutet für die Kommunen ein Rückgang von Steuereinnahmen und damit eine Einschränkung von Handlungsspielräumen bei der Stadt- und Regionalplanung. Als Folge bemühen sich die Städte und Regionen darum, möglichst viele junge Akademiker anzuwerben und zu […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Anlass und Problemstellung
1.2 Fragestellung und Ziel der Arbeit
1.3 Aufbau und methodische Vorgehensweise

TEIL A: THEORIE

2. Theoretische Grundlagen der Standortwahl
2.1 Standorttheorien
2.1.1 Theorien der Standortwahl: Traditionelle Ansätze
2.1.2 Standortwahl in der Wissensgesellschaft
2.1.3 Theorien der Standortwahl von (hochqualifizierten) Arbeitskräften
2.1.4 Zwischenfazit
2.2 Theorien der räumlichen Mobilität
2.2.1 Theorien der räumlichen Mobilität von Arbeitskräften
2.2.2 Räumliche Mobilität von Hochschulabsolventen
2.2.3 Zwischenfazit
2.3 Lebensstilforschung
2.3.1. Traditionelle Ansätze der Lebensstilforschung
2.3.2 Jüngere Ansätze der Lebensstilforschung
2.3.3 Zwischenfazit
2.4 Gesamtfazit theoretische Grundlagen
2.5 Herleitung von Hypothesen

TEIL B: EMPIRIE

3. Der Raum Dortmund und die Absolventen der TU Dortmund
3.1 Auswahl und Eingrenzung des Untersuchungsraumes
3.2 Vorstellung des Untersuchungsraumes
3.3 Die TU Dortmund
3.4 Zusammenfassung der Bestandsaufnahme

4. Untersuchung der Standortfaktoren von Absolventen der TU Dortmund
4.1 Schriftliche Absolventenbefragung
4.1.1 Methodisches Vorgehen
4.1.2 Ergebnisse der schriftlichen Absolventenbefragung
4.1.3 Fazit aus den Ergebnissen der schriftlichen Absolventenbefragung
4.2. Qualitative Befragung von Absolventen
4.2.1 Methodisches Vorgehen
4.2.2 Ergebnisse der qualitativen Befragung von Absolventen
4.2.3 Fazit aus den Ergebnissen der qualitativen Befragung von Absolventen
4.3 Experteninterviews
4.3.1 Methodisches Vorgehen
4.3.2 Ergebnisse der Experteninterviews
4.3.3 Fazit aus den Ergebnissen der Experteninterviews
4.4 Gesamtfazit der Untersuchung von Standortfaktoren
4.4.1 Die Standortfaktoren von Absolventen der TU Dortmund
4.4.2 Die Standortfaktoren von (angehenden) Absolventen von außerhalb
4.5 Handlungsfelder zur Anziehung und Bindung von Absolventen im Raum Dortmund

TEIL C: HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN

5. Handlungsempfehlungen für den Raum Dortmund zur Anziehung und Bindung von Absolventen
5.1 Empfehlungen für kommunale Akteure im Raum Dortmund
5.2 Empfehlungen für ansässige Unternehmen und die TU Dortmund

6. Fazit und Ausblick

Quellenverzeichnis

AnhangI

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Aufbau und Methodik der Arbeit

Abbildung 2: Wichtigkeit weicher personenbezogener Standortfaktoren

Abbildung 3: Modelle der Sozialstrukturanalyse

Abbildung 4: Die Sinus-Milieus in Deutschland 2007

Abbildung 5: Räumliche Abgrenzung des Untersuchungsraumes

Abbildung 6: Arbeitslosenquoten nach Qualifikation

Abbildung 7: Methodisches Vorgehen bei der schriftlichen Absolventenbefragung

Abbildung 8: Die Befragten nach Studienrichtung

Abbildung 9: Die Absolventenjahrgänge

Abbildung 10: regionale Herkunft der Befragten

Abbildung 11: Wohnsitze während des Studiums

Abbildung 12: geographische Verteilung von Bewerbungen

Abbildung 13: Formen des Berufseinstiegs

Abbildung 14: Berufseinstieg nach Sitz der Arbeitsstätte

Abbildung 15: Wohnsitze der Umgezogenen (Gesamt)

Abbildung 16: Wohnsitze der Umgezogenen in NRW

Abb. 17a: Verbleib in NRW bei Herkunft in NRW

Abb. 17b: Verbleib in NRW bei Herkunft außerhalb NRWs

Abbildung 18: Die entscheidenden 3 Gründe: 1. Nennung

Abbildung 19: Die entscheidenden 3 Gründe: 2. Nennung

Abbildung 20: Die entscheidenden 3 Gründe: 3. Nennung

Abbildung 21: Harte Standortfaktoren

Abbildung 22: Aspekte der räumlichen Lage

Abbildung 23: Kultur- und Freizeitangebot

Abbildung 24: Imageaspekte

Abbildung 25: Stadt- und Landschaftsqualität

Abbildung 26: Wohn-und Wohnumfeld

Abbildung 27: soziale Aspekte

Abbildung 28: Sonstige Faktoren

Abbildung 29: Familienstand in der Einstiegsphase

Abbildung 30: Bedeutung der Nähe zum Partner nach Familienstand getrennt

Abbildung 31: Einstiegsgehalt

Abbildung 32: Einstiegsgehalt nach Sitz der Arbeitsstätte

Abbildung 33: Die wichtigsten Faktoren: Rang 1 bis 20

Abbildung 34: Hierarchie der wichtigsten Standortfaktoren

Abbildung 35: Hierarchie der Standortfaktoren der Mobilen

Abbildung 36: Hierarchie der Standortfaktoren der Immobilen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: traditionelle Standorttheorien

Tabelle 2: Standorttheorien in der Wissensgesellschaft

Tabelle 3: Zusammenstellung von personenbezogenen Standortfaktoren des Difu

Tabelle 4: die Sinus-Milieus der Hochqualifizierten

Tabelle 5 : Faktoren der Wohnstandortwahl hochqualifizierter Arbeitskräfte

Tabelle 6 : Arbeitsmarkteffekte des dortmund-project

Tabelle 7: Absolventen ausgewählter Studiengänge der TU Dortmund

Tabelle 8: Einstiegsgehälter für Ingenieure 2008

Tabelle 9: Regionale Unterschiede der Einstiegsgehälter für Ingenieure

Tabelle 10: die beliebtesten Arbeitgeber der Informatiker 2008

Tabelle 11: Grundgesamtheit der Internetbefragung

Tabelle 12: Teilnehmer der qualitativen Befragung

Tabelle 13: Handlungsbedarf nach Gruppen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.Einleitung

Junge, mobile Eliten können sich ihren Wohnort nach Gutdünken aussuchen und ihn wechseln – was bedeutet, dass die Städte in einem harten Konkurrenzkampf und die Besten stehen. Es ist eine Entwicklung, von der nur die attraktivsten Städte profitieren können.“

(Landry 2007: 102)

1.1.Anlass und Problemstellung

Während die Zahl der Arbeitsplätze im produzierenden Sektor in der Bundesrepublik kontinuierlich sinkt, steigt der Anteil der Stellen für hochqualifizierte Arbeitskräfte deutlich an (vgl. Fischer/Siebern-Thomas 2004: 38ff; Frankfurter Allgemeine Hochschulanzeiger vom 01.2009).

Im Zeitalter der Wissensgesellschaft und der Tertiärisierung wird die Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften in Deutschland auch in Zukunft weiter wachsen. Um diesem wirtschaftlichen Trend gerecht zu werden und den Bedarf an entsprechenden Arbeitskräften zu decken, benötigt die deutsche Wirtschaft steigende Zahlen an Hochschulabsolventen.

Doch an diesem Punkt besteht ein Problem: Bundesweit fehlt es an gut ausgebildeten Fachkräften, insbesondere mit Hochschulabschluss. Somit kann der steigende Bedarf an hochqualifizierten Kräften nicht gedeckt werden. Dieser Engpass verschärft sich durch den demografischen Wandel: Durch zunehmende Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung nimmt der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter[1] in Deutschland stetig ab. (vgl. Website Bundesministerium des Innern). Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) prognostiziert für Deutschland einen Rückgang der arbeitsfähigen Bevölkerung bis 2020 um 6,2 % gegenüber 2005 (vgl. OECD 2009).

Vor diesem Hintergrund entwickeln sich junge, hochqualifizierte Arbeitskräfte zu einer verstärkt nachgefragten Zielgruppe für Unternehmen. Für viele wissensbasierte Betriebe ist die Verfügbarkeit gut ausgebildeter Fachkräften zu einem der wichtigsten Standortfaktoren geworden und steht häufig sogar noch vor den „klassischen“ harten Faktoren wie Bodenpreise und Verkehrsanbindung (vgl. Grabow et al. 1995).

Somit hat die Wohnstandortwahl von Hochschulabsolventen maßgeblichen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit von Städten und Regionen. Da Akademiker allgemein ein geringeres Arbeitslosenrisiko haben als andere Arbeitskräfte, sind sie auch aus fiskalischen Gründen für Kommunen besonders interessant. Eine starke Abwanderung junger Akademiker, wie z.B.. in vielen ostdeutschen Regionen, bedeutet für die Kommunen ein Rückgang von Steuereinnahmen und damit eine Einschränkung von Handlungsspielräumen bei der Stadt- und Regionalplanung. Als Folge bemühen sich die Städte und Regionen darum, möglichst viele junge Akademiker anzuwerben und zu halten.

Das Ruhrgebiet steht dabei vor einer besonderen Herausforderung. Hier vollzieht durch den Strukturwandel eine rasanten Übergang von einer alten Industrie- zu einer modernen Dienstleistung- und Wissensregion. So hat sich z.B. der Dortmunder Raum mittlerweile zur einem der führenden IT-Standorte Deutschlands entwickelt (vgl. Website Networker-Westfalen). Gerade Branchen wie die Informationstechnologie sind ist in hohem Maße auf akademische Arbeitskräfte angewiesen.

Gleichzeitig ist das Ruhrgebiet stärker vom demographischen Wandel betroffen als andere (westdeutsche) Ballungsräume, die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter ist unterdurchschnittlich (vgl. Website LDS NRW 1). Im zunehmenden Wettbewerb der Regionen um akademische Arbeitskräfte bilden die Ruhr-Hochschulen das zentrale Reservoir für den hochqualifizierten Fachkräftenachwuchs der Region. Zum Wintersemester 2007/2008 studierten insgesamt 155.258 Studenten an den 14 Hochschulen des Ruhrgebiets, davon allein in Dortmund fast 30.000 (vgl. Website RVR- Datenbank 1). Damit hat die Metropole Ruhr mehr Studenten als Berlin[2]. Die Wettbewerbsfähigkeit dieses Raumes hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, die Absolventen ihrer Hochschulen an die Region zu binden.

In allen Universitätsstädten des Ruhrgebiets besteht ein positives Wanderungssaldo bei den 20 bis 25-Jährigen, aber ein negatives Wanderungssaldo bei den 25 bis 30 Jährigen (vgl. Website LDS NRW 2). Diese Statistik deutet darauf hin, dass bei den Absolventen der Ruhr-Hochschulen ein Trend zur Abwanderung besteht[3]. Auch Prossek (1999) spricht von einem anhaltenden „Abwandern kreativer, hochausgebildeter, künstlerischer Menschen aus einer Region[…]“ (Prossek 1999: 4).

Dies wiederrum verschärft den oben erwähnten Fachkräftemangel sowie die demografische Schieflage im Rhein-Ruhr Raum, wie einige Statistiken belegen (vgl. Website LDS NRW 3 und Website RVR-Datenbank 2). Eine weitere Folge des Abwanderungstrends ist die vergleichsweise geringe Unternehmensgründungsaktivität und die relativ schwache Erfindertätigkeit. All dies trägt dazu bei, dass dem Ruhrgebiet trotz enormer Bemühungen, Innovationen, Unternehmen und gut ausgebildete Fachkräfte anzuziehen, im nationalen Wettbewerb der Regionen auch heute als „Schwundregion“ gilt, während die wachstumsstarken Ballungsräume Süddeutschlands ihren Wettbewerbsvorsprung weiter ausbauen können (Kröhnert et al. 2006: 5ff.). Auch in den nächsten Jahren wird in den Kernstädten des Ruhrgebiets mit einem weiteren Bevölkerungsrückgang gerechnet (vgl. BBR 2006: 24).

Als Handlungsbedarf lässt sich ableiten: das Ruhrgebiet muss als Wohnstandort der kreativen und hochqualifizierten Leistungsträger der Gesellschaft attraktiver werden. Es braucht mehr Menschen, die erfinden, entwickeln, kreieren, schaffen und gründen können, Menschen mit kreativen Ideen und potentielle Unternehmensgründer. Um das zu erreichen, muss man sich zunächst fragen, was solche Menschen in einer Region eigentlich vorfinden möchten, um sich dort niederzulassen. Was muss das Ruhrgebiet und hier vor allem der Raum Dortmund tun, um für sie als Wohnstandort interessanter zu werden?

1.2 Fragestellung und Ziel der Arbeit

Das zentrale Ziel dieser Arbeit besteht darin, Faktoren der Wohnstandortwahl von hochqualifizierten Arbeitskräften zu ermitteln. Dies geschieht am Beispiel ausgewählter Absolventen der TU Dortmund.[4]

Wohnstandort im Sinne dieser Arbeit meint dabei nicht das Quartier oder die Stadt bzw. Gemeinde, sondern die gesamte Region, innerhalb derer enge Berufspendlerverflechtungen bestehen wie z.B. das Ruhrgebiet oder das Rhein-Main-Gebiet. Dementsprechend untersucht diese Diplomarbeit nicht die intraregionale oder lokale sondern die interregionale Standortwahl: nicht die Stadt-Umland-Wanderung, sondern die Wanderung über die Grenzen der Region hinaus stehen im Mittelpunkt.

Auf der Grundlage dieser Untersuchung sollen im zweiten Schritt, so weit wie möglich, Ansätze für allgemeine Handlungsempfehlungen in der Beispielregion abgeleitet werden, um mehr Absolventen zu halten bzw. anzuziehen.

Dabei sollen folgende zentrale Forschungsfragen beantwortet werden:

1. Welche Faktoren spielen bei der Wohnstandortwahl von Hochschulabsolventen beim Übergang zwischen Studium und Beruf eine wichtige Rolle?
2. Welches Gewicht haben die einzelnen Standortfaktoren? Haben harte Faktoren mehr Gewicht als weiche[5] ?

Aus diesen zentralen Forschungsfragen lässt sich eine Reihe von ergänzenden Unterfragestellungen ableiten:

-Welche Ansprüche stellt die Untersuchungsgruppe konkret an die Kultur- und Freizeitausstat- tung einer Region?
- Besteht bei der Untersuchungsgruppe eine Tendenz zur Abwanderung aus der Region?

Da anzunehmen ist, dass die regionale Herkunft einer Person ihre Standortpräferenzen beeinflusst und somit Einheimische ein anderes Standortwahlverhalten haben als Zugereiste, soll ebenso die folgenden Frage betrachtet werden:

-Inwiefern unterscheidet sich die Wohnstandortwahl der aus dem Ruhrgebiet stammenden Absolventen von jenen, die aus anderen Regionen zum Studium nach Dortmund zugezogen sind?

Und welchen Einfluss hat die Herkunftsregion der Absolventen auf ihre Standortpräferenzen?

Wie die dargestellten Ziele methodisch erreicht werden sollen und wie die Arbeit insgesamt aufgebaut ist, soll im folgenden Kapitel genauer erläutert werden.

1.2 Aufbau und methodische Vorgehensweise

Aufbau

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Abschnitte: Teil A bilden die theoretischen Grundlagen, Teil B die empirische Analyse und Teil C die Handlungsempfehlungen für den Betrachtungsraum (siehe Abbildung 1).

Kapitel 2 liefert das theoretische Fundament der Diplomarbeit. Um die Wohnstandortwahl von Individuen erklären zu können, ist es erforderlich, sich mit unterschiedlichen Standorttheorien, mit Migrationstheorien sowie mit der Lebensstilforschung zu beschäftigen. Die Vorgehensweise bei der Darstellung der jeweiligen Theorie ist deduktiv: Jeder der drei theoretischen Abschnitte wird zunächst allgemein eingeleitet und dann auf den Untersuchungsgegenstand– die hochqualifizierten Arbeitskräfte fokussiert. Des Weiteren soll die Relevanz von Hochqualifizierten für den Standortwettbewerb erläutert werden, um so die Wahl des zentralen Untersuchungsgegenstands zu begründen.

In Kapitel 3 erfolgt eine Bestandsaufnahme des Untersuchungsraumes. Dieses Kapitel ist notwendig, um die Ausgangssituation und die Problematik des Untersuchungsraumes im Groben zu begreifen. Es dient zudem der Auswahl und Abgrenzung des Untersuchungsraumes sowie der Zielgruppe für die empirische Untersuchung. Dadurch bereitet dieses Kapitel die nachfolgende Untersuchung vor und ist Bestandteil der Empirie.

In Kapitel 4 findet der Hauptteil der empirischen Analyse der Arbeit statt. Methodisch untergliedert sich diese in eine quantitative Absolventenbefragung sowie in qualitative Interviews mit Absolventen und Experten. Zuerst wird die jeweilige Methodik der Untersuchung erläutert, im nächsten Schritt erfolgt die Vorstellung der Untersuchungsergebnisse. Am Ende jedes Methodenkapitels werden die entsprechenden Ergebnisse kurz zusammengefasst und ein Fazit für das darauf folgende Kapitel gezogen.

Aufbauend auf den Ergebnissen aus der Empirie werden in Kapitel 5 mögliche Handlungsempfehlungen für den Untersuchungsraum abgeleitet, wie Absolventen gehalten bzw. angezogen werden können. Diese richten sich zum einen an kommunalpolitische Akteure des Betrachtungsraums und zum anderen an ansässige Unternehmen, die auf die untersuchten Hochschulabsolventen angewiesen sind, sowie an die TU Dortmund.

Mit einem Fazit und einem Ausblick in Kapitel 6 wird die Arbeit abgeschlossen.

Methodisches Vorgehen

Die theoretischen Grundlagen können aufgrund der großen Anzahl unterschiedlicher themenrelevanter Theorien erst mithilfe eines umfangreichen Literaturstudiums erschlossen werden. Aufgrund der hohen Aktualität der Thematik und vieler neuer Veröffentlichungen sind zahlreiche Quellen nur im Internet verfügbar. Somit machen Internetrecherchen neben den Literaturrecherchen einen nicht unerheblichen Teil der Gesamtrecherchen aus.

Neben diesen Methoden dienen formlose, explorative Gespräche mit Experten sowie mit Studierenden der TU Dortmund dazu, wichtige Informationen für die Beschreibung der Problemstellung und somit für das Einleitungskapitel zu gewinnen[6]. Viele der dadurch gewonnen Angaben dienen auch der späteren Gestaltung der Absolventenbefragung und der Experteninterviews.

Für die Bestandsaufnahme des Untersuchungsraumes werden einige sekundärstatistische Analysen durchgeführt – dazu gehören u.a. Absolventenstatistiken der TU Dortmund, Bevölkerungsstatistiken sowie Arbeitsmarktsstatistiken. Die Ergebnisse der Bestandsaufnahmen fließen zum Teil in die Vorbereitung und Gestaltung der angewandten Methoden des Analysekapitels ein – also in die Absolventenbefragung und in die Interviews. Sie dienen aber vor allem der exakten Abgrenzung der Untersuchungsgruppe. Schließlich bildet die Bestandsaufnahme auch eine Datengrundlage für den Vergleich des Ist-Zustandes im Raum Dortmund mit den ermittelten Standortpräferenzen der Absolventen (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Aufbau und Methodik der Arbeit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung

TEIL A: THEORIE

2.Theoretische Grundlagen der Standortwahl

Dieses Kapitel liefert einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu der Thematik. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Faktoren der Wohnstandortwahl von hochqualifizierten Arbeitskräften sich aus der Theorie ableiten lassen. Die methodische Vorgehensweise, die dabei gewählt wurde, ist deduktiv (siehe Kapitel 1.2).

Bislang gibt es kaum wissenschaftliche Untersuchungen, die sich primär den Standortfaktoren von Arbeitskräften widmen und somit keine Untersuchungen, die die Standortwahl der hochqualifizierten Arbeitskräfte in den Mittelpunkt stellten. Disziplinen, die sich im weiteren Sinne mit der Standortwahl von Humankapital beschäftigen, sind die Standortforschung, die Migrationsforschung und die Lebensstilforschung (vgl. Helbrecht/Meister 2007). Des Weiteren geht die vergleichsweise junge Disziplin der Berufsforschung auf die Faktoren der Standortwahl von Arbeitskräften ein, wobei die Standortfaktoren auch hier nur am Rande behandelt werden (vgl. Rolfes 1996). Für ein grundlegendes Verständnis der Standortwahl von Arbeitskräften müssen alle der genannten Theoriefelder vorgestellt werden. Das geschieht in den folgenden Kapiteln.

2.1 Standorttheorien

Woll (2008) definiert Standorttheorie als „Teil der Regionalwissenschaft, der sich vor allem um Erklärungen der einzelwirtschaftlichen Standortentscheidungen bemüht. Kernproblem ist die Bestimmung des optimalen Standorts […]“ (Woll 2008: 713-714).

Nach Schätzl (2008) ist die Standorttheorie eines der Bestandteile der Raumwirtschaftstheorie, welche wiederum eine Komponente der Wirtschaftsgeographie darstellt. Standorttheorien „[…] fragen nach dem optimalen Standort für einen zusätzlichen Einzelbetrieb der Landwirtschaft, der Industrie oder des Dienstleistungsgewerbes (Theorie der unternehmerischen Standortwahl) oder nach der optimalen Verteilung aller Standorte innerhalb eines Raumsystems sowie der Veränderung der Standortstruktur in der Zeit (Standortstrukturtheorien)“ (Schätzl 2008: 25).

Aufgrund der großen Anzahl unterschiedlicher Ansätze sowie des begrenzten Rahmen der vorliegenden Arbeit erhebt die folgende Darstellung der Standorttheorien keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr werden die wichtigsten Erklärungsansätze und Modelle kurz vorgestellt, aus denen sich Aussagen zu Faktoren der (Wohn)Standortwahl ableiten lassen. Zur besseren Übersicht werden diese in chronologischer Reihenfolge abgebildet.

2.1.1. Theorien der Standortwahl: Traditionelle Ansätze

Tabelle 1 bietet einen Überblick über die traditionellen Ansätze der Standortwahl, welche in diesem Kapitel vorgestellt werden.

Tabelle 1: traditionelle Standorttheorien

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung

Die erste Standorttheorie geht zurück auf Johann Heinrich von Thünen (1826). Von Thünen entwickelte eine Theorie der optimalen Raumnutzung am Beispiel der landwirtschaftlichen Nutzung um eine Stadt.

Sein idealtypisches Modell geht von einem isolierten Staat aus, in dem es nur eine einzige Stadt und somit einen einzigen Absatzmarkt gibt. Die Stadt liegt in einer fruchtbaren, agrarisch überall gleichermaßen nutzbaren Ebene ohne Flüsse, Berge oder sonstige physischen Faktoren, die zu einer Ungleichheit des Raumes führen könnten.

Unter solchen Voraussetzungen werden die Produkte in der Nähe zu der Stadt angebaut, die im Verhältnis zu ihrem Wert (Marktpreis) besonders hohe Transportkosten aufweisen, so dass ein Anbau dieser Erzeugnisse in weiterer Entfernung zu der Stadt zu unwirtschaftlich ist. In dieser Zone müssen außerdem auch die leicht verderblichen Produkte, die einen schnellen Transport zum Absatzmarkt erfordern, angebaut werden. Mit zunehmender Entfernung von der Stadt werden genau die Produkte erzeugt, die im Verhältnis zu ihrem Wert geringere Transportkosten verursachen. Nach dieser Logik bilden sich um die Stadt klar abgegrenzte konzentrischen Kreise mit jeweils unterschiedlichen landwirtschaftlichen Kulturen – die sogenannten „Thünen`schen Ringe“ (vgl. von Thünen: 1826).

Von Thünens Theorie ist eine reine Kostentheorie, die davon ausgeht, dass jedes Individuum ein Homo Economicus ist, der sein Handeln ausschließlich nach dem Grundsatz der Kostenminimierung ausrichtet. Dabei differenziert sein Modell nicht zwischen Betrieben und Arbeitskräften. Bezogen auf die Standortwahl von Arbeitskräften trifft von Thünen keine explizite Aussage.

Auch Launhardt (1882) und Weber (1909) treffen in ihren einander ähnlichen Theorien keine speziellen Aussagen zur Standortwahl von Arbeitskräften. Beide entwickelten Theorien, mit denen der optimale Standort von Industrieunternehmen erklärt werden soll. Exemplarisch soll nun das bekanntere Modell von Weber kurz skizziert werden. Weber geht anders als von Thünen (1826) davon aus, dass der Herstellungsort des Produktes weder an den Fundort der Materialien noch an ein städtisches Zentrum gebunden ist. Unter der Prämisse, dass der Standort der Rohmaterialien und die Konsumorte bekannt und gegeben sind, und dass die Transportkosten bei einem einheitlichen System eine Funktion aus Gewicht und Entfernung darstellen sowie unter Annahme weiterer Prämissen definiert Weber drei Standortfaktoren, die die industrielle Standortwahl beeinflussen:

Die Transportkosten, die Arbeitskosten und die Agglomerationswirkungen. Demnach berechnet Weber folgendermaßen den optimalen Standort eines Industriebetriebes: Im ersten Schritt wird der Standort minimaler Transportkosten berechnet und im weiteren Schritt verschiebt er den optimalen Standort in Abhängigkeit von den übrigen beiden Einflussgrößen Arbeitskosten und Agglomerationsvorteile. Die Wohnstandortwahl von Arbeitskräften spielt in dem Modell Webers keine Rolle da er davon ausgeht, dass sie immobil und außerdem bei einer gegebenen Lohnhöhe unbegrenzt verfügbar sind. Dies wird in der Fachliteratur vielfach kritisiert und als realitätsfern angesehen, da die quantitative und qualitative Verfügbarkeit von Arbeitskräften ein bedeutender Standortfaktor bei der Standortwahl vor allem von nicht standortgebundenen Industrieunternehmen ist (vgl. Schätzl 2008: 47).

Die Theorie der zentralen Orte von Christaller (1933) sowie die Theorie der Marktnetze von Lösch (1940) sind weitere bedeutende Standorttheorien. Sie gehören nach Schätzl (2008) in die Kategorie der Standortstrukturtheorien, weil sie nach einer optimalen Verteilung aller Standorte innerhalb eines Raumsystems fragen. Im Unterschied zu von Thünen und Weber beschränkten sich beide Theorien nicht nur auf die unternehmerische Standortwahl. Beide versuchen, die Standortwahl sowohl von Anbietern als auch von Nachfragern nach Gütern und Dienstleistungen zu erklären. Ihre Modelle versuchen u.a., den optimalen Standort für Absatzmärkte zu bestimmen. Aus diesen Modellen lassen sich folgende Standortfaktoren ableiten: Transportkosten, Informationskosten, Agglomerationsvorteile, sowie die Größe der Absatzmärkte (vgl. Niebuhr; Stiller 2004:235). Auch diese beiden Theorien treffen keine expliziten Aussagen über die Standortfaktoren von Arbeitskräften. Es geht lediglich um Anbieter und Nachfrager von Gütern.

Eine explizitere Behandlung der Standortfaktoren von Arbeitskräften erfolgt erst in den deutlich später entwickelten Theorien der Standortwahl in der Wissensgesellschaft, welche im nächsten Kapitel vorgestellt werden.

2.1.2 Theorien der Standortwahl in der Wissensgesellschaft

Die traditionellen Standorttheorien verlieren im Zeitalter der Tertiärisierung und Wissens-orientierung der Gesellschaft zunehmend an Bedeutung (vgl. Thießen et al. 2005 und Grabow et al. 1995). In einer neuen Ära der Wissensgesellschaft, in der das stärkste Wachstum in den wissens- und technologieorientierten Wirtschaftszweigen stattfindet, wird die Frage nach der Bedeutung von traditionellen, harten Standortfaktoren neu aufgeworfen(vgl. Helbrecht/Meister 2007).

Die traditionellen Theorien mögen zwar die Standortwahl von klassischen Industriebetrieben erklären, nicht aber die Standortwahl von wissensbasierten und forschungsintensiven Unternehmen, welche immer stärker auf hochqualifizierte Arbeitskräfte angewiesen sind. Seit Anfang der 1990er Jahre sind in diesem Zusammenhang eine Reihe von neuen Theorien der Standortwahl entwickelt worden, die sich diesen deutlichen Veränderungen der Wirtschaftsstruktur angepasst haben. Tabelle 2 zeigt eine Auswahl an relevanten Theorien bzw. empirischen Befunden.

Tabelle 2: Standorttheorien in der Wissensgesellschaft

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung

Der von Paul Krugman geprägte Begriff der „New Economic Geography“ stellt einen Oberbegriff für eine Vielzahl von neuen Theorien dar, welche sich den Erfordernissen einer Wissensgesellschaft angepasst haben. Die New Economic Geography „analysiert den Zusammenhang zwischen dem durch technischen Fortschritt verursachten Strukturwandel der Wirtschaft und der Raumentwicklung“ (Schätzl: 2008: 202).

Im Folgenden werden einige ausgewählte Modelle der New Economic Geography skizziert, welche u.a. auch die Standortwahl von Arbeitskräften behandeln.

Paul Romer (1990) hebt in seinem Innovationsmodell die Bedeutung der Produktionsfaktoren Humankapital und Wissen hervor (vgl. Schätzl 2008; Niebuhr/Stiller 2004). Demnach wird das wirtschaftliche Wachstum einer Volkswirtschaft durch technischen Fortschritt erzeugt. Dieser hängt entscheidend von Humankapital und Wissen ab. Mit Humankapital meint Romer die in Personen gebundenen Kenntnisse und Fähigkeiten. Unter Wissen versteht er nicht personengebundene Kenntnisse wie z.B. Publikationen (vgl. Schätzl 2008: 203-204). Somit ist die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften, die über spezielle, nicht übertragbare Kenntnisse oder Fähigkeiten verfügen für Wirtschaftswachstum und Wettbewerb unabdingbar. Über die Standortfaktoren von Arbeitskräften sagt Romer in seinem weiterentwickelten Modell für die Außenwirtschaft, dass ein Lohnanstieg zu einer Verlagerung von Humankapital führt (Schätzl 2008: 206ff.). Dadurch wird in der Literatur erstmals explizit ein Standortfaktor von Arbeitskräften genannt: Lohnniveau.

Auch Krugman (1991) geht in seinem Zentrum-Peripherie-Modell davon aus, dass Arbeitskräfte in Regionen mit höheren Realeinkommen wandern. Ziel des Modells ist es zu erläutern, unter welchen Bedingungen sich ein stabiles Gleichgewicht zwischen zwei ungleich entwickelten Regionen einstellt. Das Reallohnniveau ist in ökonomisch besser entwickelten Regionen höher und zieht daher Arbeitskräfte dahin (vgl. Schätzl 2008: 207ff.).

Bei den bisher dargestellten Theorien werden Standortfaktoren von Arbeitskräften nur am Rande behandelt und spielen keine große Rolle. Seit Mitte der 1990er Jahre rückten im Zuge der zunehmenden Wissensorientierung der Wirtschaft und des wachsenden Fachkräftemangel die Standortanforderungen von Arbeitskräften immer stärker in das Interesse der Standortforschung. Als Folge wurde eine Reihe von Studien zu diesem Thema publiziert, welche sich deutlich ausführlicher als die bisherigen Ansätze mit den Standortfaktoren von Arbeitern auseinandersetzen. Diese werden im folgenden Kapitel vorgestellt.

2.1.3. Theorien der Standortwahl von (hochqualifizierten) Arbeitskräften

Überblick

Mit der zunehmenden Veränderung von Produktionsstrukturen der Industrie und dem Übergang zur Wissensgesellschaft gewinnt das Humankapital als Standortfaktor für Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Für technologieintensive Betriebe gilt die Verfügbarkeit von hochqualifizierten Arbeitskräften als wichtigster Standortfaktor, wie neue Studien empirisch gezeigt haben (vgl. Helbrecht/Meister: 2007) Bereits 1995 wies das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) in einer Unternehmensumfrage die große Bedeutung des Standortfaktors Arbeitsmarkt für Betriebe in Deutschland nach (vgl. Grabow et al. 1995: 227ff.). Folglich ist die Standortwahl solcher Unternehmen immer stärker auch von den Standortansprüchen der Arbeitskräfte abhängig, die sie nachfragen. Aus diesem Grund wird in der aktuellen Literatur die zentrale Bedeutung von weichen Standortfaktoren für Firmen hervorgehoben – denn sie sind für die Anwerbung hochqualifizierter Arbeitskräfte relevant (vgl. Niebuhr/Stiller: 2004). Diese Arbeitskräfte legen besonders viel Wert auf weiche Faktoren wie Freizeit- und Kulturangebot einer Region (vgl. Diller 1991). Als Beispiel für die Relevanz weicher Standortfaktoren wird der Raum München genannt: Zahlreiche Betriebe der Elektronikindustrie ließen sich hier in den 1990er Jahren nieder, obwohl dieser Unternehmensstandort einer der teuersten in Deutschland und somit aus Kostensicht eigentlich unattraktiv war. Diese Standortentscheidung wurde mit dem Flair und der Lebensqualität Münchens begründet (vgl. Thießen et al. 2005: 19). Eine genaue Abgrenzung von harten und weichen Standortfaktoren ist für die Beantwortung der zentralen Forschungsfragen unumgänglich. Deshalb wird im folgenden Abschnitt darauf eingegangen.

Abgrenzung von harten und weichen Standortfaktoren

Seit den 1980er Jahren wird in der Diskussion über Standortfaktoren allgemein zwischen harten und weichen Faktoren unterschieden (vgl. Diller 1991: 25). Ihre definitorische Abgrenzung wurde vor allem durch Diller (1991) und Grabow et al. (1995) vorgenommen. Die Grenzen zwischen harten und weichen Faktoren sind fließend und hängen ganz vom jeweiligen Betrachtungszusammengang ab. Dadurch ist eine eindeutige und allgemeingültige Abgrenzung nicht möglich (vgl. Grabow et al. 1995: 63ff.). Obwohl weiche und harte Faktoren ein Kontinuum ohne klare Grenzen bilden, gibt es dennoch grobe Unterscheidungsmerkmale nach denen eine tendenzielle Abgrenzung vorgenommen werden kann. Allgemein werden jene Faktoren als hart eingestuft, welche eine eher unmittelbare Relevanz für den Standortentscheider haben und eher gut messbar sind. Hingegen haben weiche Faktoren eine eher indirekte Relevanz für den Entscheider und sind eher weniger gut messbar. So werden bei der unternehmerischen Standortwahl Faktoren wie „Flächenverfügbarkeit“ oder „Steuern“ eher zu den harten Faktoren gezählt, die Mentalität der Bevölkerung oder der Freizeitwert eher zu den weichen (vgl. Grabow et al. 1995: 65).

Ferner können beide Kategorien nach dem Objektivitätsgrad abgegrenzt werden: Harte Faktoren werden als objektive Motive der Standortwahl betrachtet, während weiche Faktoren eher die subjektiven, persönlichen Präferenzen des Standortentscheiders darstellen (vgl. Diller 1991: 26ff.).

personenbezogene Standortfaktoren

Die empirische Untersuchung des Difu von Grabow et. al. (1995) über die Relevanz weicher Standortfaktoren liefert nicht nur wertvolle Ergebnisse über die Bedeutungen einzelner Faktoren der betrieblichen Standortwahl. Sie fragt auch nach personenbezogenen weichen Standortfaktoren der Beschäftigten aus Unternehmersicht. Somit können aus dieser Studie auch Standortfaktoren von Arbeitskräften direkt abgeleitet werden. Deshalb soll im Folgenden näher auf sie eingegangen werden.

Der Studie liegt eine 1993 durchgeführte repräsentative Umfrage von über 2000 Unternehmen zu Grunde. Ziel der Umfrage war es, die Bedeutung weicher Standortfaktoren für die Entscheider bei den Unternehmen zu ermitteln. Es wurden dabei lediglich ausgewählte Unternehmen der Branchen befragt, bei denen weiche Standortfaktoren eine Rolle spielen könnten. Die Grundgesamtheit der Betriebe, auf die sich die Befragung bezieht, umfasst dadurch nur rund 5 % aller Arbeitsstätten und 30 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland. Es wurde nur Betriebe mit über 10 Beschäftigten befragt (vgl. Grabow et al. 1995: 54ff.). Folglich kann davon ausgegangen werden, dass auch die Standortanforderungen der Arbeitnehmer für die befragten Standortentscheider in den Unternehmen eine gewisse Rolle spielen muss.

Grabow et al. unterteilen weiche Standortfaktoren in zwei Kategorien: Weiche unternehmensbezogene Standortfaktoren und Weiche personenbezogene Standortfaktoren. Weiche Unternehmensbezogene Faktoren sind Standortfaktoren, die „von unmittelbarer Wirksamkeit für die Unternehmens- oder Betriebstätigkeit sind, z.B. das Verhalten der öffentlichen Verwaltung oder politischer Entscheidungsträger, die Arbeitsmentalität oder das Wirtschaftsklima“ (Thießen et al. 2005: 38). Weiche personenbezogenen Faktoren umfassen persönliche Präferenzen der Entscheider bei den Unternehmen und auch die Präferenzen der Beschäftigten. Es sind subjektive Einschätzungen über die Lebens- und Arbeitsbedingungen in einer Region z.B. im Bereich der Landschafts- und Stadtqualität , Kultur oder Wohnen und dadurch schwer messbar[7]. Das Difu geht davon aus, dass die subjektiven Ansichten der Standortentscheider von den Präferenzen der Firmenbeschäftigten mitbestimmt werden. Dadurch können die Standortpräferenzen der Arbeitnehmer bei Standortentscheidungen von Unternehmern eine wichtige Rolle spielen (vgl. Grabow et al. 1995: 67).

Für die Fragestellung dieser Arbeit ist besonders der letztgenannte Abschnitt – „personenbezogene Standortfaktoren“ interessant. Deshalb soll dieser nun ausführlicher vorgestellt werden. Das Difu entwickelte im Vorfeld der vorgestellten empirischen Untersuchung einen Katalog aller möglichen Standortfaktoren, die bei betrieblichen Standortentscheidungen eine Rolle spielen können. Die folgende Tabelle liefert einen Überblick über alle dort aufgeführten personenbezogenen weichen Standortfaktoren. Die linke Spalte zeigt dabei die vom Difu definierten Themenbereiche, die rechte die einzelnen personenbezogenen weichen Faktoren, die dem jeweiligen Bereich zugeordnet wurden.

Tabelle 3: Zusammenstellung von personenbezogenen Standortfaktoren des Difu

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung nach Grabow et al. 1995: 68-69

Tabelle 3 stellt ein breites Spektrum von Faktoren dar, die für die Wohnstandortwahl von Arbeitskräften- und damit auch für die der Hochschulabsolventen relevant sein können. Es werden sowohl leicht messbare und damit eher harte Standortfaktoren genannt wie z.B. die Arbeits- und Karrieremöglichkeiten als auch schwer messbare, eher weiche Faktoren wie die Mentalität oder das Image genannt.

Es stellt sich die Frage, wie wichtig die hier aufgeführten Standortfaktoren für die befragten Akteure sind. Die Antwort hierauf steht bei Abbildung 2. Unternehmer mussten bei der Befragung die Wichtigkeit aller vorgegebenen Faktoren auf einer Skala von 1 für „sehr wichtig“ bis 4 für „völlig unwichtig“ bewerten. Bei der Darstellung in Abbildung 2 werden nur Engpassfaktoren präsentiert, also nur Faktoren, die besonders häufig mit „sehr wichtig“ und „eher wichtig“ benotet wurden. Die Bezeichnung der Faktoren unterscheidet sich vom ursprünglichen Faktorenkatalog. Es handelt sich hierbei um zu Oberbegriffen zusammengefasste Standortfaktoren, die nach anderen Kriterien zusammengefasst wurden als in der oberen Tabelle.

Abbildung 2: Wichtigkeit weicher personenbezogener Standortfaktoren

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Ausschnitt aus Grabow et al. 1995: 227

In Abbildung 2 ist erkennbar, dass die Bereiche Wohnen und Wohnumfeld sowie Umweltqualität die mit Abstand wichtigsten personenbezogenen Faktoren sind. Andere Faktoren folgen, wie der Faktor Schule/ Ausbildung oder Freizeitwert folgen erst mit Abstand. Die Standortfaktoren, die sich auf kulturelle Aspekte beziehen, befinden sich auf den letzen Plätzen. Dies ist vor dem Hintergrund der bundesweit geführten aktuellen Debatte um die stärkere Förderung von Kultur und Kreativität in den Städten sehr überraschend. Thießen et. al. ziehen daraus den Schluss, dass die Bedeutung von Kultur als Standortfaktor häufig überbewertet wird (vgl. Thießen et al. 2005).

Richard Florida

In der jüngeren Literatur stellt das Konzept des amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Richard Florida den bekanntesten Ansatz dar, um die Standortwahl von Arbeitskräften zu erklären. Florida gehört zu den ersten Wissenschaftlern, der in seiner Theorie die Standortfaktoren hochqualifizierter Arbeitskräfte in den Mittelpunkt rückt.

Kern seiner Theorie ist die Überlegung, dass regionales Wachstum nicht von traditionellen Kostenargumenten, sondern von den Standortentscheidungen des Humankapitals abhängt. Dort, wo sich hochqualifizierte, kreative Köpfe vermehrt ansiedeln, erfolgt Wirtschafswachstum, entstehen neue Unternehmen und Arbeitsplätze. Der ökonomische Erfolg einer Region ist für Florida an ihre Fähigkeit geknüpft, diese Gruppe anzuziehen und zu halten. Er bezeichnet sie als Creative Class. Mit diesem Begriff definiert er alle Berufsgruppen, „whose workers productive output depends rather on thinking than doing“ - daher alle Beschäftigten, die auf ihrer Arbeit hauptsächlich intellektuellen, kreativen Tätigkeiten nachgehen (Stolarick in: Thießen et al. 2005: 74). Florida unterteilt die Creative Class in einen Creative Core sowie in Creative Professionals. Zu der ersten Gruppe zählt er alle Beschäftigte, die ausschließlich kreativ, intellektuell tätig sind und den größten Beitrag zur Neuentwicklung oder Erfindung von Produkten und Dienstleistungen leisten, wie z.B. Professoren, Schriftsteller, Künstler, Architekten, Designer und Ingenieure. Mit Creative Professionals meint er alle Beschäftigten, die aufgrund ihrer beruflichen Aufgaben nicht ausschließlich, aber zu einem größeren Teil kreativ und intellektuell tätig sind und komplexere Probleme eigenständig lösen müssen. Dazu rechnet er unter anderem das obere Firmenmanagement, Beschäftigte im Finanzsektor, Anwälte und Ärzte (vgl. Florida:2002: 68ff und Stolarick in: Thießen et al. 2005: 74).

Man kann erkennen, dass es sich um Berufe handelt, für deren Ausübung meist ein Hochschulabschluss benötigt wird. Floridas Theorie behandelt somit vor allem Akademiker.

In seinem vielbeachteten Werk „The Rise of the Creative Class“ versucht Florida herauszufinden, welche Standortfaktoren diese Kreativen besonders anzieht, daher nach welchen Kriterien sie ihren Wohnstandort aussuchen. Dazu stellte er Untersuchungen von Daten aus 49 Metropolregionen der USA an (vgl. Florida 2002: 236ff.).

Florida kam zu wichtigen Erkenntnissen, was die Relevanz weicher Standortfaktoren für die „Creative Class“ angeht: Er stellte fest, dass bei der Wohnstandortwahl der Hochqualifizierten die Lebensqualität eine wichtige Rolle spielt: je höher die Lebensqualität einer Region, desto wahrscheinlicher sind dort Industrien mit einem hohen Anteil an hochqualifizierten Arbeitnehmern, also der Creative Class anzutreffen (vgl. Florida 2002: 223ff. und 249ff.).

Für Florida ist die Lebensqualität, die er als „Quality of Place“ bezeichnet, aus drei Dimensionen zusammengesetzt: „What´s there, who´s there, what´s going on . What´s there ist eine Kombination aus gebauter und natürlicher Umwelt einer Stadt; Who´s there bezeichnet diverse Menschen in einer Stadt; What´s going on umfasst die verschiedenen Freizeitmöglichkeiten: das Nachtleben, die Café-Kultur, die Kunst und- Musikszene, und die Outdoor-Aktivitäten, die in einer Stadt praktiziert werden (vgl. Florida 2002: 231ff.).

Florida vertritt die Ansicht, dass sich alle Mitglieder der Creative Class in ihrem Lebensstil ähneln: sie sind erlebnisorientiert, ziehen aktive, teilnehmende Freizeitaktivitäten den gewöhnlichen „big-ticket-events“ und „vorgefertigten“ Unterhaltungsformen vor und möchten aufgrund ihrer sehr flexiblen Arbeitszeiten jederzeit und spontan an vielfältigen Freizeitaktivitäten teilnehmen können. Dabei wollen sie nicht auf Abwechslung verzichten. Zusätzliche hebt Florida die besondere Bedeutung von Wasser als Freizeitort für die Kreativen hervor. Dadurch ergeben sich die folgenden Ansprüche an den Standort (vgl. Florida 2002: 223ff.):

- Vielfältige Freizeitaktivitäten
- Vielfältiges Nachtleben
- Vielfältige Breitenkultur im Quartier/“Straßenszene“
- Leichte, ständige Zugänglichkeit von Aktivitäten
- Unverwechselbarkeit
- Zugang zu Wasser und zu Freizeitaktivitäten am Wasser

Daneben wird „thick labour market“, also ein breiter Arbeitsmarkt als Standortfaktor genannt. Die Kreativen bevorzugen Standorte, die einen breiten Arbeitsmarkt anbieten, so dass sie eine große Auswahl an diversen Jobangeboten haben. Denn sie wechseln karrierebedingt häufig ihren Arbeitsgeber. An Orten mit einer großen Ballung von Stellen für Hochqualifizierte wird ein Jobwechsel und damit eine Realisierung von Karrierewünschen erleichtert (vgl. Florida 2002: 223ff.).

Schließlich unterstreicht Florida die besondere Bedeutung von Offenheit und Toleranz für die Kreative Klasse. Um ihre Kreativität und ihre äußerst vielfältige Hobbies ausleben zu können, brauchen die Kreativen ein offenes und tolerantes Umfeld, welches Ihnen alle Freiheiten lässt, die sie gerne hätten (vgl. Florida 2002: 226ff. und 249ff.).

Ein zentraler Aspekt des Konzeptes von Florida ist die Unterstellung, dass die Creative Class sich ihren Wohnstandort nicht nach Jobangeboten, sondern nach persönlichen Präferenzen aussuchen. Demnach zögen sie nicht wegen eines Jobs in eine bestimmte Region, sondern gehen dorthin, weil sie dort wohnen möchten und suchten erst dann in dieser Region nach Arbeit. Häufig führten ihre Standortentscheidung dazu, dass Arbeitsplätze in solche Regionen folgen bzw. erst durch Ihre Standortwahl entstehen („jobs follow people“)(vgl. Florida 2002: 217ff.). Dies sei möglich, weil Florida der Creative Class eine hohe räumliche Mobilitätsbereitschaft unterstellt: So würden Mitglieder der Kreativen Klasse ihren Wohnstandort relativ frei aussuchen können, weil sie räumlich hochmobil seien. (vgl. Florida/Tinagli 2004:12)

Diese Thesen sind für die Fragestellung dieser Arbeit besonders relevant, da sie unterstellen, dass harte Standortfaktoren wie das Jobangebot einer Region bei der Wohnstandortwahl von hochqualifizierten Arbeitskräften keine Rolle spielen und dass sie die Region allein oder vor allem nach weichen Faktoren auswählen. Um die zentralen Forschungsfragen beantworten zu können, muss also geklärt werden, ob diese Annahmen auf die zu untersuchenden Absolventen zutrifft.

Floridas Ansatz ist in der Literatur sehr umstritten. Vor allem seine sehr breit gefasste, berufsgruppenübergreifende Definition der kreativen Klasse wird häufig kritisiert. So könne man nicht erwarten, dass Rechtsanwälte die gleichen Standortansprüche und Hobbies hätten wie Schriftsteller oder Designer. Darüber hinaus wird Florida vorgeworfen, all jene zu ignorieren, die der Kreativen Klasse nicht angehören. Stadt- und Regionalplanung müsse auf die Belange aller Bevölkerungsgruppen gleichermaßen eingehen (vgl. Krätke 2008; Lange 2006).

Weitere Autoren

Neben Florida gibt es weitere Forscher, die die besondere Bedeutung weicher Standortfaktoren für die Anziehung von Hochqualifizierten hervorheben.

Lloyd/Clark (2001) sowie Lloyd (2001) vertreten die These, dass gebaute, städtische Annehmlichkeiten wie z.B. Museen, Opern oder Cafés („urban amenities“) einen Anziehungsfaktor für Menschen darstellen und so die Regionalentwicklung ankurbeln. Auch Kotkin (2001) und Glaeser/Kolko/Saiz (2001) unterstreichen die Bedeutung von Standortfaktoren, die man unter dem Oberbegriff Lebensqualität zusammenfassen kann.

Helbrecht (1999) führt eine empirische Studie über die Wohnstandortwahl von kreativen Dienstleistern durch. Sie stellt fest, dass für diese Berufsgruppe die atmosphärischen Qualitäten eines Standortes einen wichtigen Faktor der Wohnstandortwahl darstellen. Diesen Faktor bezeichnet sie als „Look and Feel“.

Ähnlich wie Richard Florida unterstellt Landry (2007), dass nachgefragte hochqualifizierte Arbeitskräfte ihren Wohnstandort relativ frei aussuchen können und so theoretisch in jede denkbare Stadt ziehen könnten (siehe S. 1). Unter dieser Prämisse würden sie ihren Wohnort vor allem nach der Attraktivität einer Stadt auswählen. Damit meint Landry in erster Linie die weichen Faktoren. Dabei hebt er die Bedeutung des Faktors Image hervor. So müsse eine Stadt stets Aufmerksamkeit erregen und als attraktiver Standort international auffallen, um das Interesse der Hochqualifizierten zu erwecken (vgl. Landry 2007: 102). Inwiefern bestimmte akademische Arbeitskräfte ihren Wohnstandort tatsächlich frei und unabhängig von der Region auswählen können, ist in der Literatur bislang nicht empirisch untersucht worden. Um die Wohnstandortwahl der zu untersuchende Absolventen erklären zu können, ist es wichtig, diese von Landry und Florida vertretene These zu überprüfen (vgl. Kapitel 2.5).

Zum Abschluss muss betont werden, dass abgesehen von Florida, in der Literatur Einigkeit darüber besteht, dass nicht alle hochqualifizierten Arbeitskräfte die gleichen Standortanforderungen haben und den einzelnen Faktoren die gleiche Bedeutung beimessen. Daher wird in der jüngeren Literatur darauf hingewiesen, Untersuchungen über die Faktoren Wohnstandortwahl nach einzelnen Berufsgruppen differenziert durchzuführen (vgl. Helbrecht/Meister 2007: 21). Bislang wurden solche Studien bis auf Helbrecht (1999) und Markusen (2004) kaum vorgenommen. Die Forschung der Standortwahl von hochqualifizierten Arbeitskräften befindet sich somit noch erst am Angang[8].

Es folgt nun ein Zwischenfazit für das gesamte Kapitel 2.1. Es fasst die wichtigsten Ergebnisse der dargestellten Standorttheorien bezogen auf die Fragestellung der Arbeit kurz zusammen.

2.1.4. Zwischenfazit

Aus den Standorttheorien konnten viele Faktoren der Wohnstandortwahl der Hochqualifizierten abgeleitet werden. In den älteren Theorien von Thünen, Weber, Christaller und Lösch finden Standortfaktoren von Arbeitskräften keine Beachtung. In den Ansätzen der neuen ökonomischen Geographie wird das Humankapital zwar als wichtiger Produktionsfaktor erkannt, über ihre Standortansprüche wird aber nur soviel gesagt, dass Arbeitskräfte in die Regionen wandern, in denen ein höheres Lohn- und Gehaltsniveau herrscht. Erst in den 1990er Jahren rücken Standortanforderungen von Arbeitskräften in den Mittelpunkt der Diskussion. Mit einer empirischen Studie des Difu 1995 werden die Standortfaktoren von Beschäftigten erstmals ausführlich untersucht. Zentrales Ergebnis der Studie ist die nachgewiesene wachsende Bedeutung von weichen Standortfaktoren für die Standortwahl und die Erkenntnisse über die Wichtigkeit einzelner weicher Faktoren. Die sehr differenzierte Darstellung der einzelnen personenbezogenen Standortfaktoren bietet praktische Hinweise für die inhaltliche Gestaltung des Fragebogens dieser Arbeit. Spätere Ansätze von Florida, Helbrecht und anderen bestätigen die Relevanz weicher Standortfaktoren und ergänzen die Befunde des Difu um weitere differenzierte Aussagen über die Standortfaktoren von Arbeitskräften. Diese Ansätze ist befassen sich erstmals explizit mit den Standortansprüchen von hochqualifizierten Arbeitskräften.

Folgende Standortfaktoren können aus den Standorttheorien abgeleitet werden:

- Lohn- und Gehaltsniveau
- Arbeitsmarkt
- Räumliche Lage (u.a. Wassernähe)
- Kontakte vor Ort
- Mentalität der Bewohner
- Images, Bilder
- Kultur/ Freizeit
- Stadt- und Landschaftsqualität
- Umweltqualität
- Wohn- und Wohnumfeldqualität
- Atmosphärische Qualitäten
- Unverwechselbarkeit
- Toleranz und Offenheit

Im nächsten Kapitel wird eine weitere Forschungsdisziplin, die Standortfaktoren von Arbeitskräften behandelt, vorgestellt - die Migrationsforschung. Dabei wird vor allem auf ihre Teildisziplin räumliche Mobilität eingegangen.

2.2. Theorien der räumlichen Mobilität

Das Forschungsfeld der Migrationsforschung ist so interdisziplinar und vielfältig, dass im Rahmen dieser Arbeit nur ein kleiner Teilbereich davon vorgestellt werden kann. Im Mittelpunkt des Interesses dieser Arbeit stehen nur die Theorien der räumlichen Mobilität. Diese stellen einen wichtigen Bestandteil innerhalb der Migrationsforschung dar. Zunächst erfolgt eine Definition und Abgrenzung der zentralen Begriffe „Mobilität“ und „räumliche Mobilität“.

Der Mobilitätbegriff wird je nach Wissenschaftsdisziplin unterschiedlich verwendet. Die Sozialwissenschaften begreifen Mobilität als „die Bewegung von Individuen bzw. Gruppen oder Kategorien von Individuen zwischen definierten Einheiten eines Systems“ (Killisch 1979: 2). Diese Bewegungen können zwischen sozialen Postionen, Kategorien oder (räumlichen) Lagen stattfinden. (vgl. Berger 1998: 514).

In der Literatur wird die Mobilität allgemein in soziale und räumliche Mobilität unterteilt (vgl. Killisch 1979: 2; Berger 1998: 514). Die Soziale Mobilität umfasst alle Bewegungen oder Wechsel zwischen beruflichen oder sozialen Positionen bzw. Lagen und Klassen wie z.B. ein beruflicher Aufstieg im Betrieb. Räumliche Mobilität bezeichnet allgemein „alle Bewegungsvorgänge eines oder mehrerer Individuen im Raum […]“(Zimmermann 1998: 514). Diese Definition ist sehr ungenau, weil ein räumlicher Bezugsrahmen fehlt, in dem die Mobilitätsbewegung erfolgt.

Makensen et al. (1975) definieren räumliche Mobilität als „Positionswechsel innerhalb eines räumlich definierten Systems“ (Mackensen et al. 1975: 7ff., zitiert nach Killisch 1979: 3). Je nachdem, wie groß oder klein dieser geographisch definierte Raum abgegrenzt wird, sind unterschiedliche Mobilitätsbewegungen zu beobachten. Räumliche Mobilität wird auch als „geographische“ oder als „regionale“ Mobilität bezeichnet (vgl. Zimmermann 1998; Rolfes 1996). Zur besseren Verständlichkeit wird in dieser Arbeit der Begriff „räumliche Mobilität“ verwendet, wenn von einer geographischen Lageveränderung oder Wanderung die Rede ist.

Killisch (1979) definiert in seiner Theorie die Mobilität als „[…]die Bereitschaft und/oder Fähigkeit und/oder Veranlagung zu einem menschlichen Verhalten, das eine Ortsveränderung bedeutet“ (Killisch 1979: 54). Somit ist die Mobilität die Bereitschaft oder auch die Fähigkeit von Menschen für eine Ortsveränderung. Dabei wird jede mögliche Ortsveränderung mit eingeschlossen. Auf diese Weise umfasst der Mobilitätsbegriff sowohl einen Wohnsitzwechsel als auch z.B. eine einkaufs- oder freizeitbedingte Ortsveränderung (vgl. Killisch 1979: 54).

Daraus ergeben sich zwei grundlegende Arten der räumlichen Mobilität. In der Mobilitätsforschung spricht man allgemein von residentieller Moblität und von zirkulärer Mobilität (vgl. Berger 1998: 515). Residentielle Mobilität bezeichnet jede Ortsveränderung, bei der der Wohnsitz gewechselt wird. Zirkuläre Mobilität meint alle Ortsveränderungen, bei denen kein Wohnsitzwechsel erfolgt z.B. eine Urlaubsreise, eine Einkaufsfahrt oder das tägliche Pendeln zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (vgl. Zimmermann 1998: 515ff.). Das Verlegen eines Wohnstandortes, also das Umziehen in eine andere Stadt oder Region von Hochschulabsolventen in Sinne dieser Diplomarbeit gehört somit in die Kategorie der residentiellen Mobilität. Deshalb wird im Folgenden näher auf diese Mobilitätsform eingegangen.

In der Bevölkerungsstatistik und im Bereich der Demographie wird synonym für den Begriff der räumlichen Mobilität der Ausdruck „Wanderung“ verwendet (vgl. Zimmermann 1998: 515). Die statistischen Jahrbücher der Bundesrepublik verstehen unter Wanderung jede Wohnsitzverlagerung über die politischen Gemeindegrenzen hinweg. Demnach wäre ein Umzug von Dortmund in eine benachbarte Umlandsgemeinde bereits eine Wanderung im Sinne der Bevölkerungsstatistik, auch wenn es sich nur um Suburbanisierer handelt, die ihren Arbeitsplatz in der Kernstadt Dortmund behalten haben. Hingegen sind Wohnungswechsel innerhalb der Gemeindegrenzen keine Wanderungen nach dieser amtlichen Definition. Neben der räumlichen Definition muss eine räumliche Mobilität auch zeitlich klar abgegrenzt werden. In der Literatur besteht keine Einigkeit darüber, ab wann von Wanderung oder räumlicher Mobilität gesprochen werden sollte. Die einen verstehen jede Wohnsitzverlagerung unabhängig von der Wohndauer als Wanderung, die anderen zählen zeitlich befristete Umzüge (z.B. Praktikanten oder Saisonarbeiter) nicht mehr zur räumlichen Mobilität. Die amtlichen Statistiken der Meldebehörden legen sich nicht auf eine Mindestwohndauer fest. Für sie liegt immer dann eine räumliche Mobilität vor, wenn der Hauptwohnsitz über die Gemeindegrenzen hinweg verlegt wird. Diese Definition ist für diese Arbeit insofern problematisch, als ein Umzug eines Absolventen in eine andere Kommune nicht zwangsläufig eine Verlegung des Hauptwohnsitzes bedeuten muss. Dieser Umstand ist bei der Gestaltung des Fragebogens für die Absolventenbefragung zu berücksichtigen (vgl. Kapitel 4.1.1).

Es können unterschiedliche räumliche Dimensionen der räumlichen Mobilität definiert werden. Die Literatur differenziert allgemein zwischen Binnenwanderungen (innerstaatliche Wanderung) und Außenwanderungen über staatliche Grenzen hinweg (internationale Wanderung) (vgl. Berger: 1998). Da anzunehmen ist, dass die meisten Absolventen der TU Dortmund ihren Berufseinstieg in Deutschland machen, ist für diese Arbeit insbesondere die Binnenwanderung von Interesse.

Darüber hinaus wird in der Migrationsforschung auf der Grundlage administrativer Regionsabgrenzungen zwischen Nah-und Fernwanderung unterschieden (vgl. Rolfes 1996: 27ff.). Nahwanderungen meinen dann Wanderungen innerhalb einer definierten Region und Fernwanderung Bewegungen, die zwischen den Regionen stattfinden.

Franz (1984) spricht in diesem Zusammenhang von regionaler Mobilität (Wanderung zwischen definierten Einheiten) und von intraregionaler Mobilität (Wanderung innerhalb definierter Einheiten) (vgl. Franz 1984: 24ff.). Die Abgrenzung zwischen Nah- und Fernmobilität kann auch durch räumliche Distanz der Wanderungsbewegung vorgenommen werden (vgl. Kapitel 2.2.2).

Nachdem die für diese Arbeit zentralen Begriffe der Migrationsforschung erläutert wurden, werden nun einige theoretische Modelle dieser Wissenschaftsdisziplin vorgestellt.

Ähnliche wie bei dem Standorttheorienkapitel werden dabei nur diejenigen Theorien präsentiert, welche die Standortfaktoren von Arbeitskräften behandeln und so einen Beitrag zum Ziel dieser Arbeit leisten können. Eine vollständige Aufzählung der Ansätze ist aufgrund des Umfangs nicht möglich.

2.2.1 Theorien der räumlichen Mobilität von Arbeitskräften

Wichtige theoretische Ansätze innerhalb der Migrationsforschung, die sich mit Wanderungsmotiven von Arbeitskräften beschäftigen, werden unter dem Begriff Arbeitsmarkttheorien zusammengefasst. Arbeitsmarkttheorien erforschen das Verhalten und Handeln von Individuen auf den Arbeitsmärkten oder Funktionsweisen von Arbeitsmärkten auf aggregierter Ebene (vgl. Janssen 2000: 23). Dabei behandeln sie auch die Frage nach den Determinanten der räumlichen Mobilität von Arbeitskräften und liefern dadurch auch Hinweise auf die Faktoren ihrer Wohnstandortwahl.

Abbildung 2: Arbeitsmarkttheorien im Überblick

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung nach Janssen 2000: 75

Gemäß den Neoklassichen Arbeitsmarktmodellen wird die Arbeitskraft als Gut auf dem Arbeitsmarkt gehandelt. Auf diesem Markt treten Arbeitskräfte als rationale Nutzenmaximierer auf. Demnach treffen Arbeitskräfte alle Entscheidungen nach dem Prinzip der individuellen Nutzenmaximierung. Unter der Prämisse einer vollkommenden Mobilität, vollkommenden Markttransparenz sowie einer Homogenität aller Arbeitskräfte wählen sie einen Arbeitsplatz, der ihnen die größten Nettovorteile[9] bietet, also die höchsten Löhne oder den höchsten beruflichen Status (vgl. Janssen 2000: 84ff.). Somit sind das Lohnniveau und die Berufsaussichten (Angebot an adäquaten Stellen) die einzigen Standortfaktoren, die die Wohnstandortwahl von Arbeitskräften bestimmen. Eine spezielle Aussage über hochqualifizierte Arbeitskräfte treffen die neoklassischen Arbeitsmarkttheorien nicht, da Arbeitskräfte nicht weiter untergliedert werden (vgl. Janssen 2000: 84ff.).

Die Humankapitaltheorie stellt eine Erweiterung der traditionellen neoklassischen Arbeitsmarkttheorie dar. Im Unterschied zur traditionellen Theorie hebt die Humankapitaltheorie die Prämisse der Homogenität aller Arbeitskräfte auf und nimmt an, dass Arbeitskräfte unterschiedlich qualifiziert sind. Die unterschiedliche Qualifikation ist das Ergebnis einer unterschiedlich starken Investition in den Humankapitalstock. Der Wert des Humankapitalstocks bestimmt dann die Produktivität und somit auch die Lohnhöhe der Arbeitskräfte. Auch Arbeitsplätze werden nun differenziert nach dem erforderten Qualifikationsniveau. Doch auch in diesem Modell werden für die Wohnstandortwahl von Arbeitskräften die gleichen Standortfaktoren angenommen- das Lohnniveau wird als entscheidender Faktor für die Mobilität von Arbeitskräften betrachtet.

Die Job Search Theorie (Suchtheorie) nimmt im Gegensatz zu den zuvor genannten Modellen an, dass es auf dem Arbeitsmarkt keine vollständige Markttransparenz und Information gibt. Jeder arbeitsuchende Arbeitsnehmer muss sich zunächst Informationen über Erwerbsmöglichkeiten und den Arbeitsmarkt beschaffen. Diese Theorie stellt die Arbeitsplatzsuche und die damit verbundene Informationsbeschaffung in den Vordergrund. Information wird als knappes Gut angesehen, dessen Beschaffung mit Kosten verbunden ist. Beschäftigte sind auch in diesem Modell Nutzenmaximierer. Sie suchen Arbeitsplätze nach dem Kriterium des höchsten Lohnniveaus aus. Erneut tritt Lohnniveau als Standortfaktor auf (vgl. Janssen 2000: 113ff.).

Die Segmentationstheorien bilden nach Janssen (2000) die zweite Säule der Arbeitsmarkttheorien (siehe Abbildung 2). Sie teilen den Arbeitsmarkt in zwei Segmente: ein primäres Segment mit wenig Wettbewerb, guter Entlohnung, sicheren Arbeitsplätzen und ein sekundäres Segment, in dem viel Wettbewerb und schlechte Arbeitsbedingungen herrschen. Zwischen den beiden Segmenten bestehen praktisch unüberwindbare Mobilitätsbarrieren, innerhalb der Segmente ist das Gegenteil der Fall. Der Einstieg in das attraktivere primäre Segment ist gemäß diesen Modellen nicht so sehr vom Humankapital der Arbeitskräfte abhängig sondern von den durch den Arbeitgeber festgelegte Normen wie Geschlecht, Alter, formale Qualifikationen und der Nationalität. Dadurch werden alle Bewerber, die diesen Normen nicht entsprechen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Als Folge ist Ihre berufliche wie auch räumliche Mobilität mehr oder weniger deutlich eingeschränkt. Die mobilitäts- bestimmenden Standortfaktoren dieser Theorien liegen ausschließlich bei den Arbeitsplatzbedingungen wie Lohnhöhe, Arbeitsplatzsicherheit und Aufstiegschancen (vgl. Janssen 2000: 125ff.)

Die Kontaktnetztheorie stellt die Bedeutung von sozialen Kontakten als Erklärung die Arbeitskräftemobilität in den Vordergrund. Sie geht davon aus, dass die für den Arbeitnehmer relevanten Informationen über attraktive Stellenangebote primär über informelle und persönliche Kontakte und weniger über formelle Suchstrategien gewonnen werden. In der Literatur wird die Verfügbarkeit solcher Kontakte bei den Arbeitnehmern auch als „soziales Kapital“ bezeichnet (vgl. Rolfes 1996: 48ff.). Diese theoretischen Annahmen sind empirisch bestätigt worden. So stellte man fest, „dass die Mehrzahl beruflicher und sozialer Mobilitätvorgänge […]ohne eigene Suchaktivität des potentiellen Stelleninhabers besetzt wurden“ (Rolfes 1996: 49). Auch die aktuelle Absolventenbefragung der Hochschul-Informations-System-GmbH (HIS) belegt, dass persönliche Beziehungen für den erfolgreichen Berufseinstieg eine wachsende Rolle spielen (vgl. Briedis 2007: 160).

Bezogen auf die Faktoren der Wohnstandortwahl kann man aus der Kontaktnetztheorie indirekt ableiten, dass informelle Kontakte vor Ort die Standortwahl der Arbeitskräfte entscheidend beeinflussen können. Man nehme einmal an, ein Bewerber hat in 2 Städten zwei gleichwertige Stellenangebote, auf die er sich bewerben kann. Das Angebot 1 in Stadt A ist eine Stelle bei einer Firma, zu der keinerlei persönliche Kontakte bestehen. Angebot 2 in Stadt B ist eine Stelle bei einer Firma, zu der aufgrund eines Praktikums persönliche Kontakte aufgebaut wurden. In dieser Situation ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Bewerber das Angebot 2 bei der Stadt B annimmt, deutlich höher, weil bei der Stadt B der persönliche Kontakt zu der Firma die Aussicht auf eine Einstellung erhöhen wird. An diesem Beispiel wird deutlich, dass persönliche Kontakte durchaus als ein relevanter Standortfaktor angesehen werden können. Das Entstehen solcher Kontakte kann wiederum durch die regionale Herkunft des Bewerbers begünstigt werden: Ein Bewerber hat in seiner Heimatregion bedingt durch seine Ortskenntnisse und bereits vorhandene familiäre und sonstige Kontakte in aller Regel bessere Chancen, personelle Kontakte zur Arbeitsgebern aufzubauen. Dadurch kann die regionale Herkunft seine Standortentscheidung beeinflussen.

Die oben genannten Modelle verweisen ausschließlich auf ökonomische Standortfaktoren wie Lohnniveau oder Karriereaussichten, also auf die harten Standortfaktoren.

Soziologische Migrationstheorien hingegen betrachten Standortentscheidungen als das Ergebnis zahlreicher ökonomischer wie auch außerökonomischer Determinanten. Als Beispiel soll das sogenannte Push and Pull Modell kurz vorgestellt werden, welches in Anlehnung an das Gravitationsmodell von Ravenstein (1885) entwickelt wurde.

Das Push and Pull Modell erklärt menschliche Wanderungsentscheidungen durch die Einflüße von Push-und-Pullfaktroren von Herkunfts- und Zielregionen (vgl. Rohr-Zänker 1998: 40). Unter Push-Faktoren (Druckfaktoren) werden alle Faktoren einer Herkunftsregion zusammengefasst, die deren Bewohner zur Auswanderung bewegen. Unter Pull-Faktoren (Sogfaktoren) werden alle Faktoren der Zielregion verstanden, die diese Bewohner zur Einwanderung anreizen (vgl. Han 2000: 13-14). Push- und Pullfaktoren können äußerst vielfältig sein. In der Literatur werden unter anderem politische Gegebenheiten, die Versorgungslage, Verdienstmöglichkeiten, Umweltbelastungen, Ausbildungschancen, die Infrastrukturausstattung aber auch viele weiche Faktoren wie kulturelle Einrichtungen oder die Freizeitmöglichkeiten sowie persönliche Kontakte vor Ort als mögliche Push- bzw. Pullfaktoren genannt (vgl. Han 2000: 13ff.; Niebuhr/Stiller 2004: 240ff.) Die Push- und Pull- Theorie hebt hervor, dass Wanderungsentscheidungen nur durch das Zusammenspiel zahlreicher Einflussfaktoren getroffen werden. Sie sehen die Ursachen für Wanderungsbewegungen sowohl als das Ergebnis von objektiv begründbaren als auch von subjektiv unterschiedlich begründeten Entscheidungen (vgl. Han 2000: 13). Daher können persönlichen Präferenzen für eine bestimmte Region objektive Standortentscheidungen mitbestimmen. Insgesamt muss also hervorgehoben werden, dass subjektive, weiche Faktoren in dieser Theorie für die Standortwahl von Arbeitskräften eine ebenso große Rolle spielen wie harte, ökonomische Faktoren.

In diesem Kapitel wurde eine Reihe von Migrationstheorien vorgestellt, welche die Standortwahl von Arbeitskräften ausführlich behandelte. Es ließen sich eine Reihe von Standortfaktoren ableiten. Jedoch ging keiner der theoretischen Ansätze explizit auf die Standortwahl von Hochqualifizierten ein. Da das Hauptinteresse dieser Arbeit bei den Hochschulabsolventen liegt, widmet sich das folgende Kapitel speziell dieser Gruppe.

2.2.2 Räumliche Mobilität von Hochschulabsolventen

Da Hochschulabsolventen den zentralen Gegenstand dieser Untersuchung bilden, wird dieser Begriff zunächst eindeutig definiert, um Unklarheiten zu vermeiden. Als Hochschulabsolventen werden im Sinne dieser Arbeit alle Personen verstanden, die einen Hochschulabschluss erworben haben. Dabei sind die Absolventen aller Hochschulen gemeint, daher Absolventen sowohl von Universitäten als auch von Fachhochschulen und sonstigen Bildungseinrichtungen, die einen akademischen Abschluss ermöglichen, wie z.B. Kunsthochschulen oder Hochschuleinrichtungen. Im Gegensatz zu dem im Kontext der Wissensgesellschaft häufig verwendeten Begriffe der „Kreativen“ oder Richard Floridas „Kreative Klasse“ kann man Hochschulabsolventen statistisch klar erfassen: Jede Hochschule führt eine Absolventenstatistik. Ein weiterer Vorteil für die Wahl von Hochschulabsolventen als Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit besteht in der relativen Homogenität ihres Lebenslaufs. Die akademische Ausbildung von Studenten beginnt in Deutschland zumeist im Alter zwischen 19 und 21 Jahren. Der Erwerb des ersten Hochschulabschlusses erfolgt bei Diplomabschlüssen (Universität) in den meisten Fällen zwischen 25 und 30 Jahren (vgl. Feuer-stein 2008: 607-608). Berufseinstieg folgt im Regelfall, zumindest bei Absolventen der Ingenieurwissenschaften und Informatikern 3 bis 12 Monate nach dem Abschluss (vgl. Briedis 2007: 105ff.).

Es existieren in der Migrationstheorie keine Modelle, die sich speziell mit der räumlichen Mobilität von Hochschulabsolventen beschäftigen. Jedoch kann gesagt werden kann, dass junge und höher qualifizierte Personen verglichen mit anderen Bevölkerungsgruppen überdurchschnittlich häufig wandern. Zu dieser Feststellung kommen die Modelle des Lebenszyklus. Diese Modelle beschreiben insbesondere Wanderungshäufigkeiten für bestimmte Merkmalstypen im Lebenszyklus. Sie untersuchen, welche Zusammenhänge zwischen bestimmten Lebensphasen einer nach bestimmten sozio-demographischen Merkmalen definierten Gruppe und ihrer Wanderungshäufigkeit bestehen (vgl. Janssen 2000: 76). So stellt Birg (1993) empirisch fest, dass die Wanderungshäufigkeit in der Altersgruppe 18 bis 24 Jahre am höchsten ist. Die Ursache hierführt sieht er in der häufigen Aufnahme einer Ausbildung in diesem Lebensabschnitt (vgl. Birg 1993: 241ff.). Wagner (1987) weist nach, dass hochqualifizierte Personen insgesamt häufiger wandern als der Durchschnitt (vgl. Wagner 1987: 97ff.). Man kann also festhalten, dass 18- bis 24jährige mit einem höheren Bildungsabschluss die mobilste Personengruppe in Deutschland ist. Janssen (2000) schließt daraus, dass es sich hierbei um Abiturienten handelt, die zur Aufnahme einer Ausbildung oder eines Studiums häufig ihren Wohnsitz wechseln müssen. Er verweist auch auf eine überdurchschnittlich hohe räumliche Mobilität bei 25- bis 30-jährigen Hochqualifizierten im Zusammenhang mit der Aufnahme der ersten beruflichen Tätigkeit. Im höheren Alter nehme die Wanderungsaktivität bedingt durch die berufliche Konsolidierung und Familiengründung immer weiter ab (vgl. Janssen 2000: 77-78).

Killisch (1979)und andere Migrationsforscher bestätigen diese Aussage (vgl. Janssen 2000: 76ff.).

Mincer (1978) stellt fest, dass neben dem Alter und der Qualifikation auch familiäre Bindungen die Wanderungshäufigkeit beeinflussen. Personen mit einem (Ehe)Partner und Personen mit Kindern sind deutlich weniger mobil als Personen, die nicht über solche Bindungen verfügen.

Für die Abgrenzung der zu untersuchenden Zielgruppe kann also Folgendes festgehalten werden: Die häufigsten räumlichen Mobilitätsbewegungen finden bei 25- bis 30 jährigen Absolventen im Zuge des beruflichen Ersteintritts statt. Dabei sind kinderlose und partnerlose Absolventen besonders mobil. Daraus lässt sich schließen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Ortswechsels nach dem beruflichen Ersteinstieg im Lebensverlauf stetig abnimmt. Diese Annahme wird verstärkt durch die Tatsache, dass das durchschnittliche Heiratsalter in Deutschland derzeit bei rund 30 Jahren liegt. (vgl. Website Statistisches Bundesamt). Somit erfolgt eine familiäre Bindung an einen Ehepartner und an Kinder in den meisten Fällen erst nach dem Berufseintritt der Absolventen. Anders ausgedrückt wird ein Absolvent in der Region des beruflichen Ersteinstiegs mit hoher Wahrscheinlichkeit auch seine Familie gründen und wechselt dann für längere Zeit tendenziell nicht mehr seinen Wohnsitz. Für die Fragestellung dieser Arbeit kann man Folgendes hervorheben: Die Wohnstandortwahl von Absolventen ist häufig an den beruflichen Ersteinstieg geknüpft. Für die Absolventenbefragung ergeben sich daraus folgende Hinweise: sie sollte untersuchen, in welcher Region der berufliche Ersteintritt erfolgte und aus welchen Gründen er gerade dort erfolgte.

Absolventenbefragung der HIS GmbH

Den Lebenszyklusmodellen liegt eine Reihe von empirischen Studien über unterschiedliche Personengruppen zu Grunde. Über die Mobilität von Hochschulabsolventen im deutschsprachigen Raum gibt es, abgesehen von einigen wenigen, nicht repräsentativen Alumni-Befragungen einzelner Hochschulen bislang kaum empirische Untersuchungen. Die einzige bekannte bundesweite Untersuchung ist die Absolventenbefragung der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS). Die HIS führt im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) seit 1989 regelmäßig Befragung von Hochschulabsolventen aller Fachbereiche durch. Dabei werden die Absolventen in repräsentativen Längsschnittuntersuchungen zu zwei Zeitpunkten befragt: Das erste Mal 1,5 Jahre und das zweite Mal 5 Jahre nach dem Studienabschluss. Ziel der Befragungen sind differenzierte Analysen der Studienbedingungen sowie des Überganges von Absolventen ins Berufsleben und ihres beruflichen Verbleibes. Die jüngste veröffentlichte Absolventenbefragung bezieht sich auf den Absolventenjahrgang 2005. Zuvor wurden die Jahrgänge 1989, 1993, 1997 und 2001 befragt (vgl. Website HIS).

Tabelle 3 liefert einen Überblick über alle durchgeführten Befragungen durch das HIS. Es handelt sich jeweils um die erste Befragungswelle 1,5 Jahre nach Studienabschluss.

Die räumlichen Aspekte des Berufseintritts- und Verbleibes von Absolventen wurden bei diesen HIS-Befragungen jedoch nicht analysiert. Henricke Mohr (2002) hat auf der Grundlage der Studien zu den Jahrgängen 1989, 1993 und 1997 erstmals auch die räumliche Mobilität von Absolventen untersucht. Ihre Ergebnisse sind im Sinne dieser Arbeit sehr aufschlussreich und sollen aus diesem Grunde im Folgenden kurz dargelegt werden.

Ziel der Untersuchung von Mohr war es herauszufinden „inwieweit Absolventen in Deutschland nach Abschluss des Studiums durch räumliche Mobilität auf die Arbeitsmarktanforderungen bzw. auf die Arbeitsmarktungleichgewichte reagieren“ (Mohr 2002: 249).

Die im Sinne dieser Arbeit relevanten Ergebnissen gliedern sich in 3 Themenfelder: erstens wurden die Mobilitätsgrade untersucht, zweitens die Mobilitätsrichtungen und drittens die Mobilitätsmotive und -Hemmnisse. Die Erkenntnisse sind insofern interessant, als dass die Absolventen sowohl in Ihrer Gesamtheit als auch nach einzelnen Fachrichtungen differenziert betrachtet werden und so Unterschiede im Wanderungsverhalten herausgestellt werden können.

1.Mobilitätsgrade

Hierbei sollte das Ausmaß der räumlichen Mobilität der Absolventen ermittelt werden. Als Maßstab wurde die räumliche Distanz zwischen Studien- und Arbeitsort der bereits regulär berufstätigen Absolventen herangezogen. Mohr bildete vier Kategorien der Mobilität: Entfernungen bis 50 km wurden als Nichtmobilität, Entfernungen zwischen 50 und 200 km als Nahmobilität und Entfernungen über 200 km als Fernmobilität eingestuft. Das Ausland als Arbeitsort bildete schließlich die vierte und damit die höchste Mobilitätsstufe (vgl. Mohr 2002: 251-252).

Der Vergleich der untersuchten Jahrgänge ergab, dass das Ausmaß der räumlichen Mobilität zwischen 1989 und 1997 stetig gestiegen ist, bedingt durch den wachsenden Anteil der Fernmobilität. So betrug 1989 der Anteil der „fernmobilen“ Absolventen 12,7 %, acht Jahre später waren es fast 20 %. Auch der Anteil der Absolventen, die eine Stelle im Ausland annahmen, hat in diesem Zeitraum deutlich zugenommen (vgl. Mohr 2002: 252). Es ist zu vermuten, dass dieser Trend zur zunehmenden Fernmobilität von Absolventen vor dem Hintergrund der fortschreitenden Globalisierung und Internationalisierung weiter anhält.

Ein Vergleich der Mobilitätsgrade von Universitäts-, Fachhochschul und – Staatsexamensabsolventen zeigte, dass die Universitätsabsolventen die räumlich mobilste Gruppe unter allen Absolventen darstellen. Ferner wurde ein Vergleich der Mobilitätsgrade von unterschiedlichen Fachrichtungen durchgeführt. Die in dieser Arbeit zu untersuchenden Universitätsabsolventen der Fachrichtungen Mathematik/ Informatik sowie der Fachrichtungen Maschinenbau/ Elektrotechnik sind bei der Fernmobilität verglichen mit anderen Fachrichtungen besonders mobil, was sich in dem überdurchschnittlichen Anteil der Fernmobilität widerspiegelt (vgl. Mohr 2002: 253ff.).

2.Mobilitätsrichtungen

Hier sollte untersucht werden, in welche Richtungen die Mobilitätsbewegungen stattfinden. Dazu wurde die Studien- und Arbeitsorte der Absolventen zu drei großen Regionen zusammengefasst:

Eine „Region Nord“, (Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen); Eine „Region Süd“ Baden Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Hessen); Eine Region Ost (neue Bundesländer einschließlich Berlin).

Die Räumliche Mobilität wurde zum einen nach Studienorten und zum anderen nach Arbeitsorten der Absolventen gemessen. Die Entfernungen zwischen Studien- und Arbeitsort bildeten genau wie bei den Mobilitätsgraden (s.o.)die Bemessungsgrundlage vgl. Mohr 2002: 258ff.).

Bei beiden Messungen ergaben sich deutliche Unterschiede zwischen den Regionen. Bei der Erfassung ausgehend von Studienort stellte man bei den Absolventen aus den neuen Bundesländern eine höhere Fernmobilität fest als in den beiden Regionen des alten Bundesgebiets. Dies kann vor allem auf die starke Abwanderung von Hochqualifizieren aus Ostdeutschland in die wirtschaftlich besser entwickelten Teile der alten Bundesländer zurückgeführt werden. So haben sich unter den Ingenieuren und Informatikern aus der Region Ost fast 40 % über 200 km von ihrem Studienort entfernt. Eine starke Zunahme der Fernmobilität konnte in allen 3 Regionen verzeichnet werden. Ingenieure und Informatiker weisen in allen drei Regionen die höchsten Anteile an Fernmobilität auf (vgl. Mohr 2002: 259).

Bei der Messung der Mobilität ausgehend vom Arbeitsort der Absolventen ergibt sich ein umgekehrtes Bild: Absolventen mit einer Anstellung in Süddeutschland haben eine deutlich stärker ausgeprägte Fernmobilität. Dies kann mit den überdurchschnittlich guten Karrieremöglichkeiten und dem hohen Lohnniveau in den südlichen Bundesländern erklärt werden, was dazu führt, dass der Anteil von Absolventen aus weit entfernten Regionen in Süddeutschland höher ist als im übrigen Bundesgebiet. So hatte 1997 fast jeder dritte in der Region Süd beschäftigte Absolvent einen Arbeitsplatz, der über 200 km von seinem Studienort entfernt war (vgl. Mohr 2002: 260).

Mohr hat darüber hinaus die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Raumkategorien und der räumlichem Mobilität untersucht. Hierfür wurden alle Studienorte der untersuchten Absolventen entsprechend den siedlungsstrukturellen Gebietstypen des BBR in 3 Regionstypen zusammengefasst: Agglomerationsräume, verstädterte Räume und ländliche Räume. Es zeigte sich, dass die Fernmobilität in den Agglomerationsräumen am geringsten und in ländlichen Räumen am höchsten war. Eine kontinuierliche Zunahme der Fernmobilität von 1989 bis 1997 war in allen Raumkategorien zu beobachten (vgl. Mohr 2002: 261ff.).

3.Mobilitätsmotive und –hemmnisse

In diesem Abschnitt wurden die möglichen Motive und Hemmnisse der räumlichen Mobilität anhand von beruflichen und persönlichen Merkmalen der Absolventen erfasst.

Diesmal wurde nicht nach Fachrichtungen differenziert, die Ergebnisse wurden nur für den Absolventenjahrgang 1997 abgebildet. Es konnten drei zentrale Motive ermittelt werden, die Absolventen zur räumlichen Mobilität anreizen.

Als erstes Motiv wurde die Einkommenssteigerung herausgestellt. Mohr fand heraus, dass Absolventen mit höheren Monatseinkommen räumlich mobiler sind als Absolventen mit geringeren Einkommen. Auch andere Studien haben einen klaren Zusammenhang zwischen räumlicher Mobilität und Einkommensniveau belegt (vgl. Rolfes 1996: 201ff.). Somit wurden die Aussagen der vorgestellten Migrationstheorien empirisch nachgewiesen: Unter der Prämisse, dass es regionale Unterschiede gibt, wandern Arbeitskräfte in Regionen mit einem höheren Lohnniveau. Um sein Einkommen deutlich zu steigern, ist also räumliche Mobilität erforderlich. Diese Prämisse ist in Deutschland, einem Land mit zum Teil erheblichen regionalen Lohn- und Gehaltsunterschieden gegeben (vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 2006: 143ff.).

Das zweite Motiv ist die Beschäftigungsadäquanz. Damit wird die Angemessenheit der beruflichen Position sowie des Niveaus der beruflichen Aufgaben und der fachlichen Qualifikation bezeichnet. Die Beschäftigungsadäquanz wurde durch die Selbsteinschätzung der Absolventen ermittelt. Besonders die Adäquanz der beruflichen Stellung und die die Adäquanz des Aufgabenniveaus sind Determinanten für eine höhere räumliche Mobilität: Die Befragung ergab, dass die Fernmobilität bei denjenigen Absolventen am höchsten war, die ihre berufliche Position und das Niveau der beruflichen Aufgaben als angemessen einschätzten. Dies lässt den Schluss zu, dass Absolventen nicht in allen Räumen adäquate Arbeitsplätze finden können, was sie folglich zum Wohnsitzwechsel veranlasst. Wahrscheinlich ist bei diesem Wanderungsmotiv das Angebot und vor allem die räumliche Ballung bzw. Auswahl von entsprechenden Arbeitsplätzen für Hochqualifizierte in einer Region entscheidend, ob und wohin gewandert wird. In Ballungsräumen steigt mit der höheren Auswahl an Arbeitsplätzen die Chance, darunter eine adäquate Anstellung zu finden. Das erklärt die in der Literatur häufig angedeutete Attraktivität von großen Metropolen für Akademiker (vgl. Fritsch 2006; Noller/Georg 1994; et al.). In der Migrationstheorie wurde in diesem Zusammenhang vom Standortfaktor „Arbeitsplatzangebot“ gesprochen (siehe Kapitel 2.2.1.).

Als drittes Motiv wurden die beruflichen Zukunftsperspektiven ermittelt. Damit sind die von Absolventen selbst eingeschätzte Beschäftigungssicherheit sowie die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten (Karrierechancen) gemeint. Bei Absolventen, die ihre beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten positiv einschätzen, ist die Fernmobilität besonders stark ausgeprägt. Auch dieser Faktor ist im weiteren Sinne Bestandteil des in der Migrationstheorie definierten Standortfaktors „Arbeitsplatzbedingungen“ bzw. „Berufsaussichten“.

Neben Wanderungsmotiven wurden bei Mohr (2002) auch Wanderungshemmnisse erfasst.

Wanderungshemmnisse sind insbesondere die familiären Bindungen der Absolventen. Mohr stellte heraus, dass partnerlose und kinderlose Absolventen den höchsten Mobilitätsgrad aufwiesen. An einen Partner (Ehegatte, Lebensgefährte etc.) gebundene Absolventen sind räumlich deutlich weniger mobil. Am immobilsten sind Absolventen mit Kind bzw. Kindern, wobei partnerlose Absolventen mit Kindern noch immobiler sind als Absolventen mit Partner und mit Kindern. Daran wird klar, dass eine Familiengründung ein deutliches Mobilitätshemmnis darstellt. Diese Ergebnisse wurden bereits durch Janssen (2000) empirisch bestätigt. An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass weibliche Absolventen weniger mobil sind als männliche. Das ist damit zu erklären, dass die Familiengründung die räumliche Mobilität von Frauen stärker hemmt als die von Männern (vgl. Mohr 2002: 267).

Zum Abschluss werden die wichtigsten Resultate in einem Zwischenfazit kurz zusammengefasst.

2.2.3 Zwischenfazit

Viele migrationstheoretische Ansätze beschäftigen sich mit der Wohnstandortwahl von Arbeitskräften. Insbesondere bei den Arbeitsmarkttheorien stehen die Wanderungsmotive im Vordergrund. Die Erklärung der räumlichen Mobilität beschränkt sich in den Arbeitsmarkttheorien überwiegend auf die ökonomischen „harten“ Standortfaktoren wie z.B. das Lohnniveau und das Arbeitsplatzangebot. Die Kontaktnetzttheorie führt einen neuen Standortfaktor ein – die informellen Kontakte vor Ort.

In den soziologischen Migrationstheorien werden Wanderungen von Arbeitskräften durch einen breit gefächerten Mix aus harten und weichen Standortfaktoren erklärt.

Die Modelle des Lebenszyklus zeigten, dass Absolventen überdurchschnittlich häufig wandern. Im Lebensverlauf ist die Wanderungshäufigkeit von Abiturienten sowie die berufsbedingte Wanderung von Absolventen die höchste aller Lebensphasen. Nach dem Berufseintritt und der Familiengründung treten Wohnsitzwechsel immer seltener auf.

Letztlich muss gesagt werden, dass aus allen Theorien nur die möglichen Faktoren, nicht aber ihr tatsächliches Gewicht bei der Wohnstandortwahl ersichtlich werden. Ebenso kann die Frage, ob wirklich alle genannten Faktoren im Standortentscheidungsprozess eine Rolle spielen, nicht beantwortet werden.

Mit einer Untersuchung über die räumliche Mobilität von Absolventen in Deutschland durch Mohr (2002) auf der Grundlage der Absolventenbefragung der HIS konnten einige Standortfaktoren

erstmals auch empirisch nachgewiesen werden. Zum einen wurde herausgestellt, dass die räumliche Mobilität bei Absolventen eine beträchtliche Rolle spielt. Absolventen sind deutlich mobiler als der (deutsche) Bevölkerungsdurchschnitt, wobei ihre räumliche Mobilität im Betrachtungszeitraum 1989 bis 1997 kontinuierlich gestiegen ist.

Das Ausmaß der räumlichen Mobilität ist bei Universitätsabsolventen höher als bei Absolventen von Fachhochschulen. Dabei sind Ingenieure und Informatiker im besonders hohen Maße mobil. Die süddeutschen Bundesländer bilden bei der berufsbedingten Wanderung von Absolventen eine dominante Zielrichtung insbesondere von Ingenieuren. Absolventen, die in Ballungsräumen studiert haben, sind räumlich immobiler als Absolventen die ihren Studienort in ländlichen Räumen hatten.

Mohr stellte ferner heraus, dass die Bindung an Kinder und / oder einen Partner die räumliche Mobilität von Absolventen hemmt. Das erklärt, warum die Absolventen mit zunehmendem Alter immer seltener den Wohnsitz wechseln.

Zusammenfassend wurden bei Mohr die folgenden Wanderungsmotive von Absolventen nachgewiesen: Einkommenssteigerung, Beschäftigungsadäquanz sowie berufliche Zukunftsperspektiven. Daraus lassen sich im Sinne dieser Arbeit entsprechend drei Faktoren der Wohnstandortwahl ableiten:

- das Einkommensniveau,
- die Verfügbarkeit von den eigenen Vorstellungen entsprechenden bzw. geeigneten Arbeitsplätzen
- die Arbeitsplatzsicherheit und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten
Hinzu kommt ein vierter, aus der Kontaktnetztheorie abgeleiteter Faktor (s.o.):
- informelle Kontakte vor Ort

Nun kann der dritte und letzte Theorieabschnitt vorgestellt werden – die Lebensstilforschung.

2.3 Lebensstilforschung

Die Lebensstilforschung ist Bestandteil der Sozialstrukturforschung[10]. Zusammen mit weiteren soziologischen Theorien versucht die Lebensstilforschung, die soziale Struktur der Gesellschaft zu gliedern und zu untersuchen. In der Sozialstrukturforschung werden im Wesentlichen zwei theoretische Ansätze unterschieden: die traditionellen Klassen- und Schichtentheorien und die neueren Modelle der sozialen Lagen sowie die Konzepte der Lebensstile und der sozialen Milieus (vgl. Geißler 2006: 93).

Lebensstilkonzepte stellen nur einen der vielen Ansätze der Sozialstrukturanalyse dar. Lebensstile werden zudem auch in älteren Konzepten der Sozialstrukturanalyse behandelt. Für eine bessere Orientierung soll daher zunächst ein kurzer Überblick über die wichtigsten Theorien dieser Wissenschaftsdisziplin erfolgen, um in weiteren Schritt ausführlicher auf die Konzepte der Lebensstile und der sozialen Milieus einzugehen. Abbildung 3 veranschaulicht die unterschiedlichen theoretischen Ansätze der Sozialstrukturanalyse.

Abbildung 3: Modelle der Sozialstrukturanalyse

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung nach Geißler 2006: 93ff.

2.3.1 Traditionellen Ansätze der Lebensstilforschung

Traditionelle Ansätze sind in erster Linie als Modelle der Sozialstrukturanalyse zu verstehen. Lebensstile spielen darin keine zentrale Rolle, da die Gesellschaft hierbei nach anderen Kriterien gruppiert wird. Zur besseren Verständlichkeit des Gesamtkontexts werden sie dennoch kurz skizziert.

Das Konzept der sozialen Klassen wurde vor allem durch Karl Marx (1818-1883) geprägt. In der Klassentheorie wird eine Gesellschaft allein anhand ökonomischer Merkmale unterteilt (Stellung im Wirtschafts- und Produktionsprozess z.B. Arbeitnehmer vs. Arbeitgeber (vgl. Geißler2006: 94).

Schichtenmodelle teilen das Gefüge einer Gesellschaft vor allem nach dem Merkmal der beruflichen Stellung ein. Unter der Vielzahl von Schichtenmodellen gilt das so genannte Zwiebel-Modell von Karl Martin Bolte als eines der bekannteren Schichtenkonzepte. Darin wird die westdeutsche Bevölkerung grob in eine Oberschicht, eine Mittelschicht, eine Unterschicht sowie in sozial Verachtete untergliedert (vgl. Geißler 2006: 97ff.).

Die Gemeinsamkeit von Klassen- und Schichtkonzepten besteht darin, dass sie Menschen in ähnlichen sozioökonomischen Lagen zusammenfassen. Beide Ansätze nehmen an, dass die sozioökomische Lage die Lebenserfahrung der Menschen und dadurch die Persönlichkeitsmerkmale der Menschen bestimmt. Demnach sind der berufliche Status, das Einkommen, der Besitz usw. ausschlaggebend für die Zuordnung zu bestimmten Verhaltensmustern, Einstellungen, Wertorientierungen und auch Lebensstilen. Diese traditionellen Ansätze betrachten nur die vertikale Dimension der sozialen Ungleichheit. Eine horizontale Differenzierung der Gesellschaft wie z.B. Ungleichheiten nach Geschlecht, Alter, Generation, privater Lebensform usw. wird nicht vorgenommen.

Bezogen auf Lebensstile wird lediglich soviel gesagt, dass die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Lebensstil in den traditionellen Modellen vor allem durch den Beruf und die berufliche Position determiniert wird. Über die Standortpräferenzen der einzelnen Klassen bzw. Schichten treffen diese Konzepte jedoch keine Aussage. Die sozialräumliche Komponente der eingeteilten Gruppen wird in der Literatur kaum behandelt.

Erst in den neueren Ansätzen der Sozialstrukturforschung kommt ein Interesse nach der Verräum-lichung der unterschiedlichen soziostrukturellen Kategorien auf. Impulsgeber hierfür sind unter anderem Wohnungsanbieter, die eine zunehmende Diskrepanz zwischen vorhandenen Wohnungsangeboten und den Wohnbedürfnissen der Nachfrager feststellen. Sie konstatieren, dass man die unterschiedlichen Wohnbedürfnisse heutzutage nicht mehr durch die herkömmlichen Klasse- und Schichtenmodelle abschätzen kann (ausführlicher hierzu vgl. Schneider/Spellenberg 1999).

Durch die zunehmende Pluralisierung und Individualisierung der modernen Gesellschaft wurden in der Sozialstrukturforschung insbesondere seit den 1980er Jahren neue Ansätze zur Strukturierung der Gesellschaft entwickelt: Die Modelle der sozialen Lage, und die einander ähnelnden Konzepte der Lebensstile und der sozialen Milieus. Diese werden im folgenden Kapitel präsentiert.

2.3.2 Jüngere Ansätze der Lebensstilforschung

Lagemodelle

Lagemodelle erweitern die Klassen- und Schichtkonzepte um die horizontale Dimension. Sie teilen die Gesellschaft sowohl vertikal nach den traditionellen Merkmalen wie Beruf/Qualifikation als auch horizontal nach Geschlecht, Alter, Region, ethnischer Herkunft usw. ein (vgl. Geißler 2006: 104). Ausgangspunkt für das Lagemodell ist die Auffassung, dass die soziale Ungleichheit nicht als die ökonomisch erzeugte Ungleichheit der Bevölkerung definiert wird, sondern als „gesellschaftlich hervorgebrachte, relativ dauerhafte Lebensbedingungen, die es bestimmten Menschen besser und anderen schlechter erlauben, so zu handeln, dass allgemein anerkannte Lebensziele für sie in Erfüllung gehen“ (Hradil 1987: 9). Dadurch treten neben der vertikalen ökonomischen Ungleichsdimension weitere Dimensionen auf, die die Lebensbedingungen und somit ihre Chancen zur Erreichung der Lebensziele bestimmen: Die soziale Sicherheit, die Arbeits, Freizeit- und Wohnbedingungen, die Partizipationschancen, die integrierenden oder isolierenden sozialen Rollen sowie die Diskriminierung und Privilegien im Alltag (vgl. Hradil 1987: 9ff.). Durch diese Differenzierung kann die Bevölkerung in zahlreiche soziale Lagen eingeteilt werden, wobei vor allem nach bevorzugten und benachteiligten sozialen Lagen unterschieden wird. Einige Lagemodelle verorten die einzelnen Soziallagen. Da aber die formale Bildung hierbei nur ein Merkmal unter vielen ist, kann aus diesen Modellen nur wenig über die Wohnortpräferenzen von Hochqualifizierten abgeleitet werden (vgl. Geißler 2006: 104ff.).

Lebensstilkonzept

Ein Lebensstil wird definiert als „ein relativ stabiles, regelmäßig wiederkehrendes Muster der alltäglichen Lebensführung“ (Geißler 2006: 106). Er wird auch als sozialstrukturelle Kategorie zur Einteilung der erwachsenen Bevölkerung in homogene Gruppen bezeichnet (vgl. Schneider/ Spellenberg 1999:78). Somit beinhalten Lebensstile den Anspruch, ein soziostrukturelles Gliederungsinstrument zu sein. Geißler weist Lebensstilen vier wesentliche Merkmale zu. Erstens sind sie lebensbereichsübergreifend, wobei ihr Schwerpunkt im Freizeit- und Konsumbereich liegt. Zweitens beziehen sich Lebensstile auf die bewusste Selbstdarstellung der Individuen in Fragen des Geschmacks und der kulturellen Interessen. Drittens haben Lebensstile einen ganzheitlichen und sinnhaften Charakter. Viertens stiften Lebensstile individuelle oder kollektive Identität und wirken dadurch abgrenzend (vgl. Geißler 2006: 106-107).

[...]


[1] Als Personen im erwerbsfähigen Alter gelten in der Bundesrepublik Deutschland alle Personen von 15 bis unter 65 Jahren (vgl. Website Bundesagentur für Arbeit 1).

[2] Im Land Berlin waren Im Wintersemester 2005/2006 136.717 Studenten eingeschrieben (vgl. Website Statistisches Landesamt Berlin).

[3] Die Mehrzahl aller deutschen Hochschulabsolventen (Prüfungsjahr 2006) befand sich nach Erhebungen des statistischen Bundesamtes im Alter zwischen 25 und 30 Jahren. Ihr Altersdurschnitt lag bei 27,2 Jahren (Frauen) und 28,0 Jahren (Männer)( vgl. Feuerstein 2008: 607-608).

[4] Eine genaue Beschreibung und Abgrenzung der Untersuchungsgruppe erfolgt im empirischen Teil dieser

Arbeit (siehe Kapitel 4).

[5] Die Definition und Abgrenzung von harten und weichen Standortfaktoren erfolgt in Kapitel 2.1.3

[6] Neben den formlosen Gesprächen wurde in diesem Zusammenhang auch ein Experteninterview mit B., einem Mitarbeiter des „dortmund-project“ geführt. Aufgrund seiner Relevanz wurde dieses Interview transkribiert und als eigene Quelle in der Arbeit verwendet (siehe Anhang 7).

[7] Eine genauere Erläuterung dieser Bereich erfolgt in Tabelle 3.

[8] Nicht zuletzt deshalb bat sich dieses Thema als Gegenstand einer Diplomarbeit an

[9] Eine ausführlichere Definition von Nettovorteilen erfolgt bei Schumann (1992)

[10] In der Soziologie wird Sozialstrukturforschung häufig als Sozialstrukturanalyse oder Analyse sozialer Ungleichheit bezeichnet (vgl. Hradil 1987;Hradil 2001; Otte 2004 etc.)

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836648141
DOI
10.3239/9783836648141
Dateigröße
3.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Dortmund – Fakultät Raumplanung
Erscheinungsdatum
2010 (Juni)
Note
1,7
Schlagworte
humankapital standortfaktoren mobilität wanderung absolventenbefragung
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Titel: Faktoren der Wohnstandortwahl hochqualifizierter Arbeitskräfte
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