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Vorstellungen von Siebtklässlern zu Bruchzahlen und deren Multiplikation

©2008 Bachelorarbeit 106 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘Und merk dir ein für allemal den wichtigsten von allen Sprüchen: Es liegt dir kein Geheimnis in der Zahl, allein ein großes in den Brüchen’.
Bedenkt man, dass diese Weisheit von keinem Geringeren als Johann Wolfgang von Goethe stammt, so wird erkennbar, dass sich die Bruchrechnung im Vergleich zur Rechnung mit natürlichen oder ganzen Zahlen schon vor langer Zeit als heikles Gebiet herausstellte. Heute greifen Mathematikdidaktiker wie Heinrich Winter Goethes Zitat auf, um aufzuzeigen, dass sich die gegenwärtige Situation in dieser Hinsicht nicht von der damaligen unterscheidet; weiterhin herrscht bei vielen Schülern eine große Verständnislosigkeit beim Übergang von den natürlichen Zahlen in den neuen Zahlbereich der Bruchzahlen. In zahlreichen didaktischen Lehrbüchern und fachdidaktischen Zeitschriftenartikeln zum Thema Bruchrechnung, die als hauptsächliche Literaturquellen dieser Arbeit dienen, weisen Mathematikdidaktiker daher ausdrücklich auf die Notwendigkeit hin, zuallererst ein ausreichend ausgebautes Grundverständnis von Bruchzahlen und deren Rechenoperationen bei den Schülern zu entwickeln, bevor die formalen Algorithmen der Bruchrechnung eingeführt werden, da sonst die Gefahr eines ‘sinnentleerte[n], auswendig gelernte[n], aber letztlich unverstandene[n]’ Rechnens bestehe.
Eine für diese Arbeit durchgeführte empirische Studie soll zeigen, inwieweit ein solches Grundverständnis tatsächlich bei Schülern aufgebaut wird. Die Daten dieser Untersuchung wurden mittels eines Briefwechsels mit drei Siebtklässlern, und somit nach der Vermittlung der wesentlichen Grundlagen zur Bruchrechnung im Unterricht, erhoben. Anhand verschiedener ausgewählter Aufgaben zu Bruchzahlen und insbesondere zur Multiplikation mit Bruchzahlen als Beispiel für eine der vier Grundrechenoperationen wird beobachtet, ob und falls ja, welche dazugehörigen Grundvorstellungen sich hinter den Schülerlösungen verbergen bzw. welche individuellen Vorstellungen erkennbar sind. Außerdem sollen mögliche Fehlvorstellungen der drei Schüler aufgedeckt werden.
Im zweiten Kapitel dieser Arbeit wird zunächst ein theoretisches Fundament zum Thema Bruchrechnung und Grundvorstellungen zu Bruchzahlen und deren Multiplikation geschaffen, auf das sich die empirische Studie der Verfasserin stützt. In Kapitel 3 stehen vordergründig die Beschreibung und Auswertung der Studie, welche den Hauptanteil der Arbeit einnehmen werden, gefolgt von einem abschließenden Fazit in […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Jessica Pilchner
Vorstellungen von Siebtklässlern zu Bruchzahlen und deren Multiplikation
ISBN: 978-3-8366-4702-1
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland, Bachelorarbeit, 2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

2
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung... 3
2 Theoretische Einordnung der empirischen Studie... 4
2.1 Bruchrechnung in den Kernlehrplänen und Bildungsstandards... 4
2.2 Grundlagen der Bruchrechnung... 6
2.2.1 Begriffsklärung: Bruchrechnung, Bruch und Bruchzahl ... 6
2.2.2 Charakteristika gemeiner Brüche ... 6
2.2.3 Darstellungsformen für Bruchzahlen ... 7
2.2.4 Rechenregeln für Brüche... 8
2.3 Grundvorstellungen in der Bruchrechnung ... 9
2.3.1 Was sind Grundvorstellungen? ... 9
2.3.2 Neuer Zahlbereich ­ neue Grundvorstellungen... 10
2.3.3 Grundvorstellungen zu Bruchzahlen... 11
2.3.4 Grundvorstellungen zur Multiplikation mit Bruchzahlen ... 15
2.4 Empirische Befunde zu Schülervorstellungen ... 17
2.4.1 Schülervorstellungen zu Bruchzahlen ... 18
2.4.2 Schülervorstellungen zur Multiplikation mit Bruchzahlen... 18
3 Beschreibung und Auswertung der empirischen Studie ... 21
3.1 Organisation des Briefwechsels... 21
3.2 Methode des Briefwechsels zur Datenerhebung... 22
3.3 Beschreibung der Auswertungsmethode ... 24
3.4 Erster Brief ... 25
3.4.1 Begründung für die Inhalte des ersten Briefs ... 25
3.4.2 Mögliche Lösungen zum ersten Brief ... 27
3.4.3 Einzelfallanalyse Mia ... 29
3.4.4 Einzelfallanalyse Daniel... 30
3.4.5 Einzelfallanalyse Janina ... 31
3.4.6 Zusammenfassung der ersten Antwortbriefe... 32
3.5 Zweiter Brief ... 33
3.5.1 Begründung für die Inhalte des zweiten Briefs ... 33
3.5.2 Mögliche Lösungen zum zweiten Brief ... 35
3.5.3 Einzelfallanalyse Mia ... 35
3.5.4 Einzelfallanalyse Daniel... 37
3.5.5 Einzelfallanalyse Janina ... 38
3.5.6 Zusammenfassung der zweiten Antwortbriefe... 39
3.6 Dritter Brief ... 40
3.6.1 Begründung der Inhalte des dritten Briefs ... 40
3.6.2 Mögliche Lösungen zum dritten Brief ... 42
3.6.3 Einzelfallanalyse Mia ... 44
3.6.4 Einzelfallanalyse Daniel... 46
3.6.5 Einzelfallanalyse Janina ... 47
3.6.6 Zusammenfassung der dritten Antwortbriefe... 48
3.7 Zusammenfassung der Auswertungsergebnisse ... 49
3.7.1 Zusammenfassung der Fallbeispiele Mia und Daniel ... 49
3.7.2 Zusammenfassung des Fallbeispiels Janina ... 50
4 Fazit... 51
Quellenverzeichnis ... 53
Anhang ... 56

3
1 Einleitung
,,Und merk dir ein für allemal den wichtigsten von allen Sprüchen: Es liegt dir kein Geheimnis in der
Zahl, allein ein großes in den Brüchen."
1
Bedenkt man, dass diese Weisheit von keinem Geringeren als Johann Wolfgang von Goethe
stammt, so wird erkennbar, dass sich die Bruchrechnung im Vergleich zur Rechnung mit natürli-
chen oder ganzen Zahlen schon vor langer Zeit als heikles Gebiet herausstellte. Heute greifen Ma-
thematikdidaktiker wie Heinrich Winter Goethes Zitat auf, um aufzuzeigen, dass sich die gegen-
wärtige Situation in dieser Hinsicht nicht von der damaligen unterscheidet; weiterhin herrscht bei
vielen Schülern
2
eine große Verständnislosigkeit beim Übergang von den natürlichen Zahlen in
den neuen Zahlbereich der Bruchzahlen.
3
In zahlreichen didaktischen Lehrbüchern und fachdidak-
tischen Zeitschriftenartikeln zum Thema Bruchrechnung, die als hauptsächliche Literaturquellen
dieser Arbeit dienen, weisen Mathematikdidaktiker daher ausdrücklich auf die Notwendigkeit hin,
zuallererst ein ausreichend ausgebautes Grundverständnis von Bruchzahlen und deren Rechen-
operationen bei den Schülern zu entwickeln, bevor die formalen Algorithmen der Bruchrechnung
eingeführt werden,
4
da sonst die Gefahr eines ,,sinnentleerte[n], auswendig gelernte[n], aber letzt-
lich unverstandene[n]"
5
Rechnens bestehe.
Eine für diese Arbeit durchgeführte empirische Studie soll zeigen, inwieweit ein solches Grundver-
ständnis tatsächlich bei Schülern aufgebaut wird. Die Daten dieser Untersuchung wurden mittels
eines Briefwechsels mit drei Siebtklässlern, und somit nach der Vermittlung der wesentlichen
Grundlagen zur Bruchrechnung im Unterricht, erhoben. Anhand verschiedener ausgewählter Auf-
gaben zu Bruchzahlen und insbesondere zur Multiplikation mit Bruchzahlen als Beispiel für eine
der vier Grundrechenoperationen wird beobachtet, ob und falls ja, welche dazugehörigen Grund-
vorstellungen sich hinter den Schülerlösungen verbergen bzw. welche individuellen Vorstellungen
erkennbar sind. Außerdem sollen mögliche Fehlvorstellungen der drei Schüler aufgedeckt werden.
Im zweiten Kapitel dieser Arbeit wird zunächst ein theoretisches Fundament zum Thema Bruch-
rechnung und Grundvorstellungen zu Bruchzahlen und deren Multiplikation geschaffen, auf das
sich die empirische Studie der Verfasserin stützt. In Kapitel 3 stehen vordergründig die Beschrei-
bung und Auswertung der Studie, welche den Hauptanteil der Arbeit einnehmen werden, gefolgt
von einem abschließenden Fazit in Kapitel 4.
Allgemein sei darauf hingewiesen, dass die Interpretation der Schülerbriefe hauptsächlich der Ein-
zelfallanalyse der drei untersuchten Schüler dient, da das zu geringe Datenmaterial keine allge-
meingültigen Schlüsse zulässt. Das bedeutet, dass mithilfe der Analysen lediglich das Ziel verfolgt
wird, herauszufinden, wie einige Schüler denken können, nicht jedoch, wie Schüler im Allgemeinen
denken.
1
Goethe, Urfaust; zitiert nach Winter (2004), S. 14
2
Die männliche Form schließt im Folgenden die weibliche mit ein.
3
Vgl. Winter (2004), S. 14 ff.; Prediger (2004), S. 10 ff.
4
Vgl. Altevogt (1995), S. 8; Jannack/Koepsell (1995), S. 54; Malle (2004), S. 4; Malle/Huber (2004), S. 22;
Wartha/Vom Hofe (2005), S. 14 f.
5
Malle (2004), S. 4

4
2 Theoretische Einordnung der empirischen Studie
Dieses Kapitel klärt zunächst, welche Inhalte, Ziele und welcher Zeitpunkt und -umfang für die Be-
handlung des Themengebiets Bruchrechnung im Unterricht vorgesehen werden. Für diese Infor-
mationen werden die aktuellen Bildungsstandards, die Kernlehrpläne für Realschulen des Bundes-
landes NRW, die für die an der empirischen Untersuchung beteiligten Schüler gelten, sowie das
Schulbuch dieser Schüler herangezogen.
Vor diesem Hintergrund wird anschließend ein Überblick über die wesentlichen Begriffe und Re-
chengesetze aus der Bruchrechnung gegeben, die im Unterricht vermittelt werden und auf die die
Aufgaben und Schülerlösungen in den Briefen aufbauen.
Das Hauptanliegen des Kapitels besteht jedoch in der detaillierten Beschreibung und kategori-
schen Einordnung unterschiedlicher Grundvorstellungen in Bezug auf Bruchzahlen und deren Mul-
tiplikation. Die anschließende Darstellung empirischer Befunde zur Bruchrechnung aus ausge-
wählten Literaturquellen zeigt auf, welche dieser Grund-, aber auch welche Fehlvorstellungen
diesbezüglich bei Schülern existieren können. Welche der hier erwähnten Vorstellungen sich ggf.
in den Schülerantworten aus den Briefen wiedererkennen lassen, wird in Kapitel 3 dargelegt.
Es sei noch darauf hingewiesen, dass im gesamten Kapitel keine Unterrichtskonzepte oder -me-
thoden zur Vermittlung der hier genannten mathematischen Inhalte und Vorstellungen zur Bruch-
rechnung thematisiert werden. Obgleich sie zum Teil eng mit einigen Ausführungen in Verbindung
stehen, sind sie für die empirische Studie irrelevant.
2.1 Bruchrechnung in den Kernlehrplänen und Bildungsstandards
Für die Planung, Durchführung und Auswertung der empirischen Studie ist es notwendig, vorab
die Vorgaben zu kennen, nach denen die untersuchten Schüler unterrichtet werden. Nur so kön-
nen der Jahrgangsstufe und Schulform angemessene Aufgabenstellungen formuliert und eine
sinnvolle Beurteilung der Ergebnisse vorgenommen werden. Da die Schüler die siebte Klasse ei-
ner Realschule in NRW besuchen, gelten für sie die Kernlehrpläne für die Realschule in Nordrhein-
Westfalen mit Orientierung an den Bildungsstandards im Fach Mathematik für den Mittleren Schul-
abschluss. Im Folgenden werden daraus die Stellen zitiert, die die von den Schülern erwarteten
Kompetenzen zur Bruchrechnung benennen. Die Auszüge dienen der Begründung für die Inhalte
der nächsten Unterkapitel sowie der Nachvollziehbarkeit der Ausführungen zur empirischen Studie
in Kapitel 3.
In den ,,Bildungsstandards im Fach Mathematik für den Mittleren Schulabschluss"
6
werden unter
der ,,Leitidee Zahl" die folgenden ,,inhaltsbezogenen mathematischen Kompetenzen" zur Bruch-
rechnung genannt: ,,Die Schülerinnen und Schüler nutzen sinntragende Vorstellungen von rationa-
len Zahlen, insbesondere von natürlichen, ganzen und gebrochenen Zahlen entsprechend der
Verwendungsnotwendigkeit" und ,,begründen die Notwendigkeit von Zahlbereichserweiterungen an
Beispielen"
7
. Hier wird der Aufbau von Grundvorstellungen zur Bruchrechnung im Unterricht expli-
zit gefordert. Diese werden ausführlich in Sektion 2.3 behandelt.
6
Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg., 2004)
7
Ebd., S. 10

5
In den aktuellen ,,Kernlehrplänen für die Realschule in NRW"
8
lauten die ,,Kompetenzerwartungen
am Ende der Jahrgangsstufe 6"
9
bzgl. der Bruchrechnung wie folgt: ,,Schülerinnen und Schüler
stellen einfache Bruchteile auf verschiedene Weise dar: handelnd, zeichnerisch an verschiedenen
Objekten, durch Zahlensymbole und als Punkte auf der Zahlengerade", außerdem ,,deuten [sie]
Dezimalzahlen und Prozentzahlen als andere Darstellungsform[en] für Brüche und stellen sie an
der Zahlengerade dar". Ebenso ,,führen [sie] Umwandlungen zwischen Bruch, Dezimalzahl und
Prozentzahl durch". Auf Darstellungsweisen für Bruchzahlen wird in Sektion 2.2.3 eingegangen.
Des Weiteren sollen die Schüler Bruchzahlen ,,als Größen, Operatoren und Verhältnisse" deuten.
Diese Forderung bezieht sich speziell auf die verschiedenen Grundvorstellungen zum Bruchzahl-
begriff, welche in Sektion 2.3.3 detailliert beschrieben werden.
Außerdem soll ,,das Grundprinzip des Kürzens und Erweiterns von Brüchen als Vergröbern bzw.
Verfeinern der Einteilung [genutzt]" und ,,Grundrechenarten [...] (Kopfrechnen und schriftliche Re-
chenverfahren) mit einfachen Brüchen (Addition/Subtraktion)" ausgeführt werden. Die Bruchre-
chenregeln werden kurz in Sektion 2.2.4 angesprochen.
Am Ende der Jahrgangsstufe 8 sollen die Schüler laut der o. g. Kernlehrpläne über folgende Kom-
petenzen verfügen:
10
Sie sollen ,,rationale Zahlen [ordnen und vergleichen]" und ,,Grundrechenar-
ten für rationale Zahlen aus[führen] (Kopfrechnen und schriftliche Rechenverfahren)". Zudem wird
erwartet, dass sie ,,ihre Kenntnisse über rationale Zahlen und einfache lineare Gleichungen zur
Lösung inner- und außermathematischer Probleme" verwenden und ,,außermathematische Gründe
und Beispiele für die Zahlbereichserweiterungen von den natürlichen zu den rationalen Zahlen"
nennen können. Dass die zuletzt genannten Kompetenzen Grundvorstellungen zu Bruchzahlen
und deren Rechenoperationen voraussetzen, wird in den Sektionen 2.3 und 2.4 gezeigt.
Aus dem aktuellen Schulbuch der drei Realschüler, ,,Schnittpunkt", das in Anpassung an die Kern-
lehrpläne in NRW erstellt wurde, wird ersichtlich, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang
die jeweiligen Inhalte in etwa im Unterricht vermittelt werden. Während die Behandlung der Bruch-
rechnung noch vor ca. 15 Jahren ausschließlich für das sechste Schuljahr vorgesehen war und ihr
Anteil in entsprechenden Schulbüchern ca.
2
3
betrug,
11
wird sie in modernen Büchern wie ,,Schnitt-
punkt" durch eine Ausdehnung auf mehrere Schuljahre entzerrt.
12
In ,,Schnittpunkt" werden im
fünften Schuljahr zunächst solche Brüche thematisiert, die an die Alltagserfahrungen der Schüler
anknüpfen wie z. B. Bruchteile von Größen.
13
Im sechsten Schuljahr nimmt die Bruchrechnung mit
ca.
2
5
immer noch einen großen Anteil des Schulbuchs ein.
14
In diesem Jahr werden das Kürzen
und Erweitern sowie das Addieren, Subtrahieren, Vervielfachen (Multiplizieren einer natürlichen
Zahl mit einem Bruch) und Aufteilen (Dividieren eines Bruchs durch eine natürliche Zahl) gemeiner
Brüche
15
behandelt.
16
Zudem wird die Dezimalbruchrechnung in einem separaten Kapitel
vermittelt.
17
Erst im siebten Schuljahr wird das Multiplizieren und Dividieren von Brüchen themati-
8
Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg., 2004)
9
Ebd, S. 20; für die nachfolgenden Auszüge vgl. ebd.
10
Für die nachfolgenden Auszüge vgl. ebd., S. 24
11
Vgl. Griesel/Postel (1993)
12
Vgl. Böttner (2005; 2006 a; 2006 b)
13
Vgl. Böttner (2005), S. 162 ff.
14
Vgl. Böttner (2006 a)
15
Siehe Sektion 2.2.1
16
Vgl. Böttner (2006 a), S. 54 ff.
17
Vgl. ebd., S. 100 ff.

6
siert.
18
Außerdem wird die Bruchrechnung in diesem Schuljahr auf den Bereich der (zusätzlich ne-
gativen) rationalen Zahlen ausgeweitet und in verwandten Themen wie der Prozentrechnung ver-
tieft. Darüber hinaus wird sie bei der Behandlung von Termen und Gleichungen mit Variablen so-
wie in der Wahrscheinlichkeitsrechnung angewandt.
19
2.2 Grundlagen der Bruchrechnung
An dieser Stelle werden einige wichtige Begriffe aus der Bruchrechnung, die zum Verständnis der
folgenden (Unter-)kapitel und als theoretische Grundlage für die Auswertung der empirischen Stu-
die von Nöten sind, definiert und erklärt. Nachdem die wesentlichen Eigenschaften gemeiner Brü-
che genannt worden sind, werden verschiedene Darstellungsarten für Brüche und die grundlegen-
den Bruchrechengesetze ­ das Kürzen und Erweitern und die vier Grundrechenarten ­ kurz be-
schrieben. Die jeweiligen Herleitungen und Beweise bleiben dabei unbeachtet, da diese für die
empirische Studie nicht von Belang sind.
2.2.1 Begriffsklärung: Bruchrechnung, Bruch und Bruchzahl
Die Bruchrechnung bildet den Oberbegriff für das Rechnen mit gemeinen bzw. gewöhnlichen Brü-
chen sowie mit Dezimalbrüchen im Zahlbereich der rationalen Zahlen
. Eine Bruchzahl/rationale
Zahl kann sowohl durch einen gemeinen Bruch als auch durch einen Dezimalbruch dargestellt
werden.
20
Der Zusammenhang zwischen den Begriffen ,,Bruch" und ,,Bruchzahl" besteht darin,
dass ein Bruch die Schreibweise für eine Bruchzahl ist und dass ein und dieselbe Bruchzahl durch
unendlich viele Brüche ausgedrückt werden kann. Die Bruchzahl ,,ein Viertel" kann beispielsweise
durch die gemeinen Brüche
1
4
,
2
8
,
3
12
, etc. (eine Erklärung hierfür wird in Sektion 2.2.4 unter Kür-
zen und Erweitern gegeben) sowie durch die Dezimalbrüche 0,25, 0,250 etc. beschrieben werden.
Da sich die gesamte empirische Untersuchung allerdings nur auf den Bereich der gemeinen Brü-
che bezieht, kann eine weitere Betrachtung der Dezimalbruchrechnung vernachlässigt werden.
Letztere wird deshalb nur selten erwähnt. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden ,,Brüche" als ,,ge-
meine Brüche" definiert, andernfalls wird explizit von ,,Dezimalbrüchen" gesprochen.
Des Weiteren werden im Folgenden die Begriffe ,,Bruch" und ,,Bruchzahl" nicht differenziert, sofern
ihr Unterschied im jeweiligen Zusammenhang nicht von Bedeutung ist. Wenn also ,,durch gemeine
Brüche bezeichnete Bruchzahlen" gemeint sind, kann sowohl lediglich von ,,Brüchen" als auch von
,,Bruchzahlen" die Rede sein.
Ferner werden in der empirischen Studie ausschließlich Vorstellungen zu Brüchen in Form von
positiven rationalen Zahlen erforscht. Aus diesem Grund sei bei der zukünftigen Verwendung der
Begriffe ,,Bruch(zahl)" und ,,Bruchrechnung" nur der positive Zahlbereich angesprochen.
2.2.2 Charakteristika gemeiner Brüche
21
Ein (gemeiner) Bruch ist eine andere Schreibweise für einen Quotienten, bei dem ein Bruchstrich
den Doppelpunkt ersetzt. Über dem Bruchstrich steht der Dividend, welcher als Zähler bezeichnet
wird; unter ihm befindet sich der Divisor, welcher im Bruch Nenner heißt.
18
Vgl. Böttner (2006 b), S. 14 ff.
19
Vgl. Böttner (2006 b)
20
Vgl. Padberg (2002), S. 3
21
Für die folgenden Definitionen vgl. Heynkes (2005)

7
(für alle) a, b
22
ist also
a
b
a : b
=
, wobei a :
=
Zähler/Dividend und b :
=
Nenner/Divisor.
Während der Nenner eines Bruchs aussagt, in wie viele gleichgroße Teile ein Ganzes geteilt wird,
gibt der Zähler die Anzahl dieser Teile an.
Man unterscheidet zwischen echten und unechten Brüchen. Echte Brüche haben einen Wert zwi-
schen 0 und 1. Ihr Zähler ist daher stets kleiner als ihr Nenner. Bei Brüchen >1 (mit Zähler
>
Nen-
ner) spricht man von
unechten Brüchen. Diese können in gemischte Zahlen/gemischte Brüche
umgewandelt werden, die eine Kombination aus einer natürlichen Zahl und einem direkt dahinter
notierten echten Bruch bilden. Die natürliche Zahl ergibt sich dabei aus dem ganzzahligen Ergeb-
nis der Division von Zähler durch Nenner; der echte Bruch setzt sich aus dem Rest dieser Division
als Zähler und dem ursprünglichen Nenner zusammen. Beispielsweise lässt sich der unechte
Bruch
8
3
in die gemischte Zahl 2
2
3
umformen.
Als
Scheinbrüche bezeichnet man Brüche, die gleichzeitig natürliche Zahlen sind, z. B.
6
3
= 2.
23
Stammbrüche sind alle Brüche mit dem Zähler 1.
Mehrere Brüche sind
gleichnamig, wenn ihr Nenner identisch ist.
Bei dem
Kehrwert eines Bruches sind Zähler und Nenner vertauscht. Multipliziert man einen Bruch
mit seinem Kehrwert, erhält man als Ergebnis 1.
Ein Bruch mit dem Zähler 0 hat den Wert 0. Ein Bruch mit dem Nenner 0 existiert nicht, da die Di-
vision durch 0 nicht definiert ist.
2.2.3 Darstellungsformen für Bruchzahlen
Es gibt verschiedene Arten der Darstellung von Bruchzahlen, die sich laut Padberg (2002) in die
Kategorien
Materialien, Bilder, geschriebene Symbole, gesprochene Symbole und Alltags-
/Umweltsituationen einordnen lassen.
24
Da
Materialien, die der Repräsentation von Brüchen dienen, mehr in der Unterrichtspraxis als in
der empirischen Studie Anwendung finden, werden sie hier nicht näher erläutert.
Bilder können in Form von Abbildungen wirklicher Situationen oder Gegenstände, als geometri-
sche Ganze wie Strecken (Zahlenstrahle), Kreise, Kugeln, Rechtecke oder Quader, als diskrete
Ganze wie Mengen oder als kontinuierliche Ganze vorkommen (siehe Abb.1).
25
Darüber hinaus
können diese Ganzen bestimmt, unbestimmt, strukturiert und unstrukturiert sein (siehe Abb. 2).
26
Abbildung 1: Bildliche Darstellungen des Bruchs
1
4
mithilfe von Zahlenstrahl, Kreis, Kugel, Recht-
eck, Quader, diskreter Menge und kontinuierlicher Menge
22
Hier gilt ebenso a, b
. Da die Arbeit jedoch nur von positiven Bruchzahlen handelt, werden folglich Zähler und
Nenner stets als Elemente der natürlichen Zahlen angesehen.
23
Vgl. Padberg (2002), S. 128
24
Vgl. ebd., S. 30
25
Ebd. (2002), S. 39
26
Hefendehl-Hebeker (1996), S. 21

8
Abbildung 2: Bildliche Darstellungen des Bruchs
1
4
in bestimmtem, unbestimmtem, strukturiertem
und unstrukturiertem Ganzen
Die Kategorie geschriebene Symbole spiegelt die verschiedenen Schreibweisen für eine Bruchzahl
wider. Die Bruchzahl
1
4
kann als gemeiner Bruch in ,,reiner Ziffernschreibweise"
27
(
1
4
) oder in
,,quasikardinaler Schreibweise"
28
(1 Viertel) , als Dezimalbruch (0,25) , als Quotient (1: 4 ) oder als
Prozentwert (25%, was nichts anderes als
25
100
bedeutet) geschrieben werden.
29
Die
gesprochenen
Symbole sind für die Empirie nicht relevant, da es sich um einen schriftlichen Austausch handelt.
Bruchdarstellungen durch
Umweltsituationen können mit Handlungen bzw. Darstellungen auf der
enaktiven Ebene, aber auch mit Beschreibungen von Zuständen verbunden sein. So kann der
Bruch
1
4
z. B. durch das Vierteln einer Torte und das Nehmen eines Stückes oder durch die Sta-
tistik ,,Jeder vierte deutsche Haushalt besitzt mindestens ein Haustier."
30
repräsentiert werden.
2.2.4 Rechenregeln für Brüche
31
Kürzen und Erweitern
Enthalten Zähler und Nenner eines Bruches einen gemeinsamen Faktor, so kann der Bruch durch
diesen
gekürzt werden, indem sowohl der Zähler als auch der Nenner durch diesen Faktor dividiert
werden. Der aus dem Vorgang des Kürzens hervorgegangene Bruch hat denselben Wert wie der
Ursprungsbruch, d. h. beide beschreiben dieselbe Bruchzahl.
a, b, c
ist also
a
a : c
b
b : c
=
.
Vollzieht man den Kürzungsprozess in umgekehrter Reihenfolge nach, so
erweitert man. Beim Er-
weitern werden Zähler und Nenner jeweils mit der gleichen Zahl multipliziert, ohne dass sich dabei
der Wert des Bruches ändert. Das Erweitern ist häufig beim Addieren und Subtrahieren von Brü-
chen notwendig.
a, b, c
gilt
a
a c
b
b c
=
Addition und Subtraktion von Brüchen
Zwei gleichnamige Brüche werden addiert bzw. subtrahiert, indem man ihre Zähler addiert bzw.
subtrahiert und den (übereinstimmenden) Nenner beibehält:
a
c
a
c
b
b
b
±
± =
a, b, c
Um gleichnamige Brüche zu erhalten, muss ggf. zunächst auf ein Vielfaches aller Nenner, besten-
falls auf das kleinste gemeinsame Vielfache, erweitert werden.
Formal gilt also
a, b, c, d
a
c
d a
b c
d a ± b c
±
=
±
=
b
d
d b
b d
b d
.
Eine natürliche Zahl und ein Bruch werden addiert bzw. subtrahiert, indem die natürliche Zahl in
einen Bruch mit Nenner 1 umgewandelt wird. Anschließend wird wie bei der Addition bzw. Subtrak-
tion von Brüchen verfahren.
a, b, c, d
gilt
b
c a
b
c a ± b
a ±
=
±
=
c
c
c
c
.
27
Padberg (2002), S. 38
28
Ebd.
29
Vgl. ebd.
30
Aussage frei vom Verfasser erfunden
31
Für die folgenden Regeln vgl. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München, S. 1

9
Werden eine natürliche Zahl und ein echter Bruch addiert (und umgekehrt), kann letzterer auch
direkt hinter die natürliche Zahl geschrieben werden. Auf diese Weise erhält man das Ergebnis in
Form einer gemischten Zahl.
a, b, c, d
,
b < c gilt
b
b
a +
= a
c
c
.
Multiplikation und Division von Brüchen
Man multipliziert zwei Brüche, indem man jeweils ihre Zähler und ihre Nenner miteinander multipli-
ziert.
a, b, c, d
ist
a c
a c
b d
b d
=
.
Eine natürliche Zahl wird mit einem Bruch multipliziert (und umgekehrt), indem die natürliche Zahl
mit dem Zähler multipliziert und der Nenner beibehalten (bzw. mit dem gedachten Nenner 1 der
natürlichen Zahl multipliziert) wird.
a, b, c
gilt
=
=
b
a b
a b
a
c
1 c
c
.
Man dividiert zwei Brüche, indem man den Dividenden mit dem Kehrwert des Divisors multipliziert,
d. h.
a, b, c, d
ist
a
c
a d
a d
:
b
d
b c
b c
=
=
.
Analog zu den natürlichen Zahlen bildet die Subtraktion die Umkehroperation der Addition und die
Division die der Multiplikation. Außerdem gelten auch in
+
das Kommutativ- und das Assoziativ-
gesetz für die Addition und Multiplikation von Bruchzahlen sowie das Distributivgesetz.
32
2.3 Grundvorstellungen in der Bruchrechnung
Nach Auffassung zahlreicher Mathematikdidaktiker ist der Aufbau adäquater Grundvorstellungen
zu mathematischen Begriffen und Zeichen für eine erfolgreiche Bewältigung mathematischer An-
liegen unumgänglich.
33
Dieses Unterkapitel beginnt mit der Beantwortung der Fragen, was Grundvorstellungen sind, wel-
che Funktion sie für das Lernen von Mathematik haben und was sie von individuellen Schülervor-
stellungen unterscheidet. Anschließend wird auf die Notwendigkeit, Grundvorstellungen zur Bruch-
rechnung beim Übergang in den neuen Zahlbereich der Bruchzahlen zu entwickeln, eingegangen,
die mit Diskrepanzen zwischen den Zahlbereichen und
und
+
begründet wird.
Zuletzt werden diverse Grundvorstellungen zu Bruchzahlen und zur Multiplikation mit Bruchzahlen
genannt und ausführlich ­ zum Teil anhand von Beispielen ­ erklärt.
2.3.1 Was sind Grundvorstellungen?
Schüler, die sich über sinnlose Mathematik beklagen, sind oftmals diejenigen, die mathematischen
Symbolen und Begriffen keine passende Bedeutung zuordnen können und deshalb auf das bloße
Auswendiglernen der Zeichen und den damit verbundenen Regeln zurückgreifen, um die schuli-
schen Anforderungen auf irgendeine Weise zu bewältigen.
34
Diese Schüler besitzen keine ange-
messenen Grundvorstellungen zu mathematischen Inhalten.
Unter Grundvorstellungen sind nicht etwa mathematische ,,Definitionen, Sätze oder Regeln zu ver-
stehen, es sind vielmehr Bedeutungen (gedankliche Modelle), die mit den jeweiligen Begriffen ver-
bunden werden"
35
und diese auf inhaltlich-anschaulicher Ebene erklären.
Grundvorstellungen stellen eine Beziehung zwischen mathematischen Inhalten und den alltägli-
chen Erfahrungsbereichen der Schüler her.
36
Damit ermöglichen sie die wechselseitige Überset-
32
Vgl. Padberg (2002), S. 179
33
Vgl. Wartha/Vom Hofe (2005), S. 10 und Malle (2004), S. 4
34
Vgl. Vom Hofe (1996), S. 4
35
Wartha (2007), S.24

10
zung zwischen Realität und Mathematik, nehmen also eine ,,Mittlerrolle"
37
ein. Vom Hofe bezeich-
net sie daher als ,,Objekte der Vermittlung"
38
und als ,,Basis inhaltlichen Denkens"
39
.
Hat ein Schüler eine angemessene Grundvorstellung zu einem mathematischen Begriff aufgebaut,
so bedeutet dies erstens, dass er die von ihm gefundene Bedeutung dieses Begriffs ,,durch An-
knüpfung an bekannte Sach- oder Handlungszusammenhänge"
40
erworben hat. Zweitens heißt es,
dass er den Begriff verinnerlicht hat, dass also eine ,,psychologische [...] Repräsentation [...]"
41
des
Begriffs in seiner Vorstellung existiert, mit der er mental operieren kann. Drittens beinhaltet es,
dass der Schüler den Begriff auf die Realität anzuwenden vermag,
42
welches einem erfolgreichen
Durchlaufen des mathematischen Modellierungskreislaufs
43
gleichkommt: Einerseits ist die Aktivie-
rung von Grundvorstellungen beim Modellieren/Mathematisieren einer Sachsituation erforderlich,
andererseits beim Interpretieren des mathematischen Ergebnisses, um reale Konsequenzen aus
diesem ableiten zu können. Laut Malle gibt es ,,kein Anwenden ohne Grundvorstellungen"
44
.
Schließlich bleibt zu erwähnen, dass die Begriffe ,,Grundvorstellungen" und ,,individuelle Schüler-
vorstellungen" voneinander zu unterscheiden sind:
45
Grundvorstellungen spiegeln den normativen
Aspekt der Deutung mathematischer Inhalte wider, d. h. sie drücken aus, was Schüler sich unter
einem bestimmten mathematischen Inhalt vorstellen sollen. Es handelt sich bei ihnen also um vor-
geschriebene bzw. erwünschte gedankliche Konzepte und um ,,allgemeinverbindliche Leitlinien"
46
,
die über einen Jahrhunderte langen Zeitraum schon seit Anbeginn des Mathematiklehrens und -
lernens von verschiedenen Mathematikdidaktikern für die einzelnen mathematischen Gebiete aus-
gearbeitet, geändert und ergänzt wurden.
47
Anstatt von Grundvorstellungen war im Laufe der Zeit
auch von ,,Verinnerlichungen", ,,Anschauungen" oder ,,Stellvertretervorstellungen" die Rede.
48
Individuelle Schülervorstellungen stellen hingegen den deskriptiven Aspekt dar. Sie geben wieder,
zu welchen Interpretationen der mathematischen Inhalte Schüler tatsächlich gelangt sind. Dazu
gehören auch Fehleinschätzungen, die den Grundvorstellungen widersprechen.
Trotz der scheinbar scharfen Trennung sind beide Sichtweisen nicht unvereinbar, da Schülervor-
stellungen mit den intendierten Grundvorstellungen übereinstimmen oder durch entsprechende
didaktische Maßnahmen entwickelt werden können. Außerdem kann die Feststellung bestimmter
individueller Erklärungsmodelle der Schüler Aufschluss über die Erfahrungswelt der Schüler geben
und ggf. Einfluss auf die Vermittlung von Grundvorstellungen nehmen.
2.3.2 Neuer Zahlbereich ­ neue Grundvorstellungen
Oftmals wird betont, dass gerade die Bruchrechnung ein signifikantes Beispiel für ein Themenge-
biet sei, für dessen Erlernen die Entwicklung tragfähiger Grundvorstellungen dringend erforderlich
36
Vgl. Vom Hofe (1996), S. 6
37
Malle (2004), S. 8
38
Vom Hofe (1996), S. 6
39
Ebd.
40
Ebd.
41
Ebd.
42
Vgl. ebd.
43
Vgl. Prediger (2006), S. 5
44
Malle (2004), S. 8
45
Für die folgende Gegenüberstellung vgl. ebd., S. 5 und Vom Hofe (1996), S. 7 f.
46
Vom Hofe (1996), S. 8
47
Vgl. ebd., S. 4 ff.
48
Vgl. ebd., S. 5

11
sei.
49
Diese Notwendigkeit gründet u. a. auf der von Schülern zu überwindenden ,,Denkhürde"
50
,
die durch die Zahlbereichserweiterung von den natürlichen zu den rationalen Zahlen entsteht:
Manche Schülervorstellungen, die sich beim Operieren mit natürlichen Zahlen stets bewährt und
deshalb verfestigt haben, können bei der Übertragung in den Bereich der Bruchzahlen zu Wider-
sprüchen und Fehlern führen.
51
Um diesen entgegenzuwirken, müssen viele Vorstellungen beim
Übergang in den neuen Zahlbereich kritisch hinterfragt werden, was zur Folge hat, dass einige ggf.
erweitert und andere dagegen verworfen werden müssen.
Einige der Änderungen von den natürlichen zu den Bruchzahlen sollen hier benannt werden:
52
Während eine natürliche Zahl nur die Frage ,,Wie viele?" beantwortet, kann ein Bruch, wie in der
nachfolgenden Sektion 2.3.3 ausführlich gezeigt wird, unter vielen verschiedenen Aspekten gese-
hen werden.
Im Bereich der natürlichen Zahlen liegt ein eineindeutiges Verhältnis zwischen einer Zahl und ihrer
symbolischen Repräsentation vor; bei den rationalen Zahlen gibt es unendlich viele symbolische
Repräsentationen in Form von Brüchen, die dieselbe Bruchzahl bezeichnen.
Ein entscheidender Unterschied der beiden Zahlbereiche ist in Bezug auf die Rechenoperationen
Multiplikation und Division zu beobachten. Während das Multiplizieren bei (von 0 und 1 verschie-
denen) natürlichen Zahlen stets ein Vergrößern bzw. ein ,,,starkes' Vermehren"
53
(da das Produkt
größer als jeder einzelne Faktor ist) und das Dividieren entsprechend ein Verkleinern bedeutet,
kann die Multiplikation bei den Bruchzahlen (außer 0 und 1) sowohl eine Vergrößerung als auch
eine Verkleinerung im Ergebnis bewirken, ebenso die Division. Einige Grundvorstellungen, die die-
ses für viele Schüler widersprüchliche Phänomen plausibel erscheinen lassen, werden in Sektion
2.3.4 beschrieben.
2.3.3 Grundvorstellungen zu Bruchzahlen
Ein und dieselbe Bruchzahl kann in Abhängigkeit des Verwendungsbereichs im Alltag auf unter-
schiedliche Weise interpretiert werden. Daraus ergeben sich mehrere verschiedene Grundvorstel-
lungen zu Bruchzahlen, die laut Malle (2004) ,,jeder Schüler am Ende eines Bruchrechenlehrgan-
ges besitzen sollte"
54
. Sie können in zwei Gruppen eingeteilt werden: Eine entspricht der Anteils-,
die andere der Operatorvorstellung.
55
Die Anteilsvorstellung beinhaltet einen Zustand,
56
bei dem eine Bruchzahl einen feststehenden An-
teil eines Ganzen beschreibt. Oftmals ist bei so interpretierten Bruchzahlen von ,,konkreten Brü-
chen"
57
die Rede, welche selbstständige Größen bilden und sich als Gegenstände in der Umwelt
wiederfinden oder messen lassen (siehe u. a. ,,Bruchzahl als Maßzahl").
Der Bruchzahl als Operator hingegen wird keine ,,Unabhängigkeit" zugeschrieben; sie liegt stets in
Kombination mit anderen Größen oder Zahlen vor, mit denen operiert wird. Da sie die Beziehung
zweier statischer Größen oder Zahlen beschreibt, dient sie als Funktion und besitzt deshalb im
49
Vgl. Malle (2004), S. 4 und Jannack/Koepsell (1995), S. 54
50
Prediger (2004), S. 10
51
Vgl. Wartha/Vom Hofe (2005), S. 10
52
Für die nachfolgenden Ausführungen vgl. Prediger (2006), S. 3
53
Prediger (2004), S. 11
54
Malle (2004), S. 4
55
Vgl. Wartha (2007), S. 24
56
Vgl. ebd.
57
Padberg (2002), S. 18

12
Gegensatz zur Bruchzahl als Anteil einen ,,dynamischen Charakter"
58
. Dass die Operatorvorstel-
lung bei Bruchzahlen besonders bei der Multiplikation mit Brüchen benötigt wird, wird noch in Sek-
tion 2.2.4 eingehend erläutert.
In den folgenden Ausführungen der einzelnen zu Kategorien zusammengefassten Grundvorstel-
lungen zu Bruchzahlen, auch ,,Bruchzahlaspekte"
59
genannt, wird deutlich gemacht, welcher der
beiden Gruppen sie jeweils angehören.
Bruchzahl als Teil vom Ganzen
Die wahrscheinlich wichtigste und bekannteste Grundvorstellung zum Bruchzahlbegriff ist die
Bruchzahl als ,,Teil vom Ganzen"
60
. Sie wird nochmals in die zwei Aspekte ,,Bruch als Teil eines
Ganzen"
61
, also
a
b
von 1
a, b
und a
b
<
, und ,,Bruch als Teil mehrerer Ganzer"
62
, formal
a
b
von c
a, b, c
, a
b
<
und c
1
>
, aufgeteilt.
Ersterer Teilaspekt kann also als Sonderfall des zweiten betrachtet werden. Ein Unterschied be-
steht jedoch darin, dass der Teil eines Ganzen, bei dem das Ganze ein Objekt oder eine Größe
repräsentiert, ,,selbst den Charakter eines eigenständigen Objekts"
63
hat, wie z. B. eine Dreiviertel-
stunde oder eine Achtelnote.
Der Teil mehrerer Ganzer wird hingegen nur als
relativer Anteil aufgefasst
64
, der von der Anzahl
der Ganzen abhängt, wie z. B.
4
5
von 30 Euro. Es wird also deutlich, dass der Teilaspekt ,,Teil ei-
nes Ganzen" der Gruppe ,,Bruchzahl als Anteil" zugeordnet werden kann, während der Teil mehre-
rer Ganzer ­ trotz des Namens ­ unter ,,Bruchzahl als Operator" fällt, da mit dem Bruch erst ope-
riert (multipliziert) werden muss um vom relativen auf den absoluten Anteil schließen zu können.
Ein und derselbe Bruch kann, falls es sich
nicht um einen Stammbruch handelt, sowohl durch den
Aspekt ,,Teil eines Ganzen" als auch durch ,,Teil mehrerer Ganzer" repräsentiert werden. Jeder
Teilaspekt drückt dabei jedoch seinen eigenen Herstellungsakt des Teils vom Ganzen aus.
65
Dies
kann anhand eines Beispiels demonstriert werden, welches noch im empirischen Teil dieser Arbeit
von Bedeutung sein wird:
Wenn ein Bauer
2
3
ha Land bekommen soll, so kann die Teilung auf zwei Wege geschehen, die je
auf einer der beiden Grundvorstellungen beruhen: Entweder wird ein 1ha großes Feld in 3 gleich-
große Flächen unterteilt, von denen dem Bauern 2 zustehen, er bekommt also
2
3
von 1 ha Land.
Dies entspräche der Vorstellung ,,Teil eines Ganzen". Der Rechenweg beinhaltet dabei zuerst die
Teilung durch 3 und danach die Multiplikation mit 2, also 1ha
:3
1
3
ha
2
2
3
ha.
Oder aber 2 benachbarte 1ha große Felder werden in 3 flächengleiche Felder zerteilt, von denen
dem Bauern dann 1 zukommt; er erhält somit
1
3
von 2ha, welches durch die Vorstellung ,,Teil
mehrerer Ganzer" und den Rechenweg 1 ha
2
2ha
:3
2
3
ha beschrieben wird.
Somit wird deutlich, dass die beiden Rechenwege sich nur in der Reihenfolge des Vervielfachens
und Teilens, nicht aber in den durchzuführenden Rechenoperationen an sich unterscheiden und
aufgrund ihrer Vertauschbarkeit zum gleichen Ergebnis führen.
58
Wartha (2007), S. 25, Hervorhebungen vom Verfasser
59
Padberg (2002), S. 35
60
Ebd.
61
Ebd., Hervorhebungen im Original
62
Ebd., Hervorhebungen im Original
63
Malle (2004), S. 4
64
Vgl. ebd.
65
Vgl. Padberg (2002), S. 35

13
Bruchzahl als Quotient
Die Vorstellung ,,Bruchzahl als Quotient" beinhaltet, dass ein Bruch
a
b
a, b
das Resultat
einer Division a : b
a, b
ausdrückt; entweder im Sinne des Verteilens, bei dem jede Person
a
b
erhält, wenn a Gegenstände ,,restlos und gerecht"
66
an b Personen verteilt werden, oder im
Sinne des Enthaltenseins, bei dem a in b genau
a
b
-mal enthalten ist.
67
Bei dieser Vorstellung kommt offenbar wieder sowohl die Anteils- als auch die Operatorvorstellung
zum Tragen: Im Ergebnis ,,
a
b
pro Person" beim Dividieren im Sinne des Verteilens ist die Anteils-
vorstellung erkennbar, während die Division im Sinne des Enthaltenseins auf die Operatorvorstel-
lung zurückgreift, da der Bruch
a
b
die Beziehung zwischen den Zahlen a und b ausdrückt.
Bruchzahl als Maßzahl
Die Vorstellung ,,Bruchzahl als Maßzahl" deckt sich zum Teil mit dem vorhin beschriebenen Teilas-
pekt ,,Bruchzahl als Teil eines Ganzen", jedoch kann ein Bruch
a
b
a, b
auch größer als 1
sein. Sie bezieht sich auf konkrete Brüche und gehört damit ebenfalls der Gruppe ,,Bruchzahl als
Anteil" an.
Allerdings bezeichnet ein Bruch hier stets eine messbare Größe mit einer Maßeinheit, von der letz-
tere das Ganze repräsentiert. Beispiele sind Längen wie 1
1
2
m, Gewichte wie
3
4
kg, Volumina wie
2
5
l, usw.
68
Häufig findet man Bruchzahlen, die eine Maßzahl darstellen, in der Dezimalschreibwei-
se vor,
69
die so einfacher in kleinere Einheiten umzuwandeln sind. Die obigen Beispiele würde man
dann durch 1,5m
15dm
150cm
=
=
,
0,75kg
750g
=
und
0, 4l
400ml
=
ersetzen.
Da diese Grundvorstellung unmittelbar mit dem täglichen Leben der Schüler verbunden ist, beruht
das Vorwissen über Brüche zum größten Teil auf ihr und somit eignet sie sich für eine anschauli-
che Erklärung von Gesetzen und Rechenregeln in der Bruchrechnung.
70
Bruchzahl als Skalenwert
Die Grundvorstellung ,,Bruchzahl als Skalenwert" beinhaltet, dass eine Bruchzahl einen Punkt P
auf einer Skala, z. B. auf einem Zahlenstrahl, exakt beschreibt,
71
wobei jedem Skalenpunkt genau
eine Bruchzahl entspricht und umgekehrt. Der Skalenwert von P ist dabei die Länge der Strecke,
die bei 0 beginnt und in P endet.
72
Dieser Aspekt beruht ebenfalls auf der Vorstellung vom Bruch als Anteil: Um einen Bruch
a
b
a,
b
auf einer Skala zu erhalten, müssen a Teile der b Unterteilungen einer Einheit betrachtet
werden.
73
Diese Vorgehensweise findet sich im Teilaspekt ,,Teil eines Ganzen" wieder.
Darüber hinaus hängt dieser Bruchzahlaspekt eng mit dem zuvor aufgeführten Maßzahlaspekt zu-
sammen, da viele Größen auf Skalen, z. B. Längen auf Linealen und Volumina auf Messbechern,
abgebildet werden.
66
Padberg (2002), S. 36
67
Vgl. ebd.
68
Vgl. ebd.
69
Vgl. Wartha (2007), S. 24
70
Vgl. Padberg (2002), S. 18 und S. 38
71
Vgl. ebd., S. 36
72
Vgl. Postel (1981), S. 19
73
Vgl. Wartha (2007), S. 25

14
Bruchzahl als Quasikardinalzahl
Wird ein Bruch
a
b
a, b
quasikardinal aufgefasst, so wird er als eigenständige Größe mit
dem Zähler a als Maßzahl und
1
b
als Größeneinheit verstanden. Diese Merkmale deuten eindeutig
darauf hin, die Vorstellung ,,Bruchzahl als Quasikardinalzahl" zur Anteilsvorstellung zu zählen.
Zur Hervorhebung der Einheit können z. B.
2
3
mithilfe der Schreibweise ,,2 Drittel" dargestellt wer-
den. Auf diese Weise wird eine Analogie zwischen Bruchzahlen und natürlichen Zahlen in Form
von Kardinalzahlen erkennbar und folglich kann mit Brüchen z. T. wie mit natürlichen Zahlen ge-
rechnet werden. Möchte man z. B. Brüche mit gleichem Nenner addieren, so brauchen lediglich
die Zähler addiert zu werden, während jeder Nenner ebenso wie eine Einheit unverändert beibe-
halten wird.
Einen Spezialfall dieser Grundvorstellung bilden Brüche mit der Einheit ,,Hundertstel", da
1
100
auch
als % (Prozent=,,pro Hundert") geschrieben werden kann. Quasikardinale Zahlen mit dieser Einheit
bilden die Grundlage der Prozentrechnung, auf welche hier aber nicht weiter eingegangen wird.
Bruchzahl als Quasiordinalzahl
Liegt ein Bruch in Form eines Stammbruchs
1
a
a
vor, so kann man ihn mithilfe des Aus-
drucks ,,jeder a-te" umschreiben. Dieser lässt sich auf zwei verschiedene Arten deuten: ,,Im strikten
Sinn"
74
bedeutet beispielsweise die Aussage ,,Jedes a-te Spiel der Fußball-EM 2008 geht unent-
schieden aus.", dass auf a-1 Spiele, aus denen je eine Mannschaft als Sieger hervorgeht, stets ein
Spiel folgt, das unentschieden endet. ,,Im statistischen Sinn"
75
hingegen bedeutet der Satz ledig-
lich, dass ­ ungeachtet der Reihenfolge ­ ein a-tel aller Spiele unentschieden ausgeht, d. h. es
können auch mehrere Spiele hintereinander unentschieden sein, welches im strikten Fall nicht
möglich ist. In beiden Fällen kommt die Anteilsvorstellung zum Tragen.
Bruchzahl als absoluter Anteil
Bei der Grundvorstellung ,,Bruchzahl als absoluter Anteil"
76
bedeutet
a
b
a, b
nichts anderes
als ,,a von b". Sie ist praxisnah und findet besonders in der Statistik Verwendung. Allerdings bietet
sie keine guten Erklärungsansätze für die Bruchrechenregeln.
77
Der Name ,,absoluter Anteil" impliziert bereits, dass hier die Anteilsvorstellung benötigt wird.
Bruchzahl als Vergleichsoperator
Bei der Vorstellung ,,Bruchzahl als Vergleichsoperator" ist der Bruch kein konkretes Objekt, son-
dern ein ,,Instrument" zum Vergleich zweier Objekte. Hier wird also die Operatorvorstellung ge-
braucht.
In der Aussage ,,c ist
a
b
mal so groß wie d", bildet der Bruch
a
b
a, b
den Vergleichsoperator.
Sie meint dasselbe wie: ,,Die Größe von c beträgt
a
b
von der Größe von d" bzw. ,,das
a
b
-fache der
Größe von d".
78
Die offensichtliche Gleichheit der Wörter ,,von" und ,,mal" wird noch im Unterkapitel
2.2.4 eine Rolle spielen, wenn es um den ,,Von-Ansatz" in Bezug auf Vorstellungen zur Multiplika-
tion mit Bruchzahlen geht.
74
Malle (2004), S. 5
75
Ebd.
76
Ebd.
77
Vgl. ebd.
78
Vgl. Hefendehl-Hebeker (1996), S. 22

15
Bruchzahl als Verhältnis
Wenn eine Bruchzahl
a
b
a, b
als Verhältnis angesehen wird, drückt der Bruchstrich nicht
wie im üblichen Sinn eine Division, sondern eine Proportion aus, bei der a Teile b Teilen gegen-
übergestellt werden. Man sagt hier also nicht ,,a durch b" oder ,,a von b", sondern ,,a zu b".
79
Die Schreibweise des Bruches ,,
a
b
" ist weniger üblich für die Darstellung eines Verhältnisses als
,,a:b". Letztere begegnet den Schülern häufig im Alltag, u. a. ,,bei Wahrscheinlichkeiten, Maßstä-
ben, Spielergebnissen [...oder] Formatangaben"
80
. Bei diesen Beispielen sowie bei den meisten
Verhältnisangaben handelt es sich um das ,,innere Teilverhältnis"
81
a:b. Das etwas seltener benutz-
te ,,äußere Teilverhältnis"
82
a
b
:
a
b
a
b
+
+
kommt bei Aussagen wie ,,Die Erdoberfläche besteht zu ca.
2
3
aus Wasser (und zu
1
3
aus Land)."
83
zum Vorschein.
Da der Bruch auch hier nichts Konkretes, sondern eine Relation zwischen zwei Objekten aus-
drückt, ist die Operatorvorstellung nahe liegend, wenngleich ein der Operator in diesem Fall eher
statischen als dynamischen Charakters ist, da er einen Zustand beschreibt.
84
2.3.4 Grundvorstellungen zur Multiplikation mit Bruchzahlen
Denkt man an die Aussage ,,Multiplikation vergrößert" zurück (vgl. Sektion 2.2.2), die sich zwar im
Rahmen der natürlichen Zahlen als gültig erweist, von vielen Schülern jedoch wie selbstverständ-
lich auf den Bereich der rationalen Zahlen übertragen wird, so wird deutlich, dass neue Grundvor-
stellungen zur Multiplikation mit Bruchzahlen zum Tragen kommen müssen. Werden sie nicht auf-
gebaut, können Fehlvorstellungen wie die obige nicht beseitigt und ersetzt werden.
Daher werden an dieser Stelle die wichtigsten Grundvorstellungen zur Multiplikation mit Bruchzah-
len genannt, welche sich in die drei Fälle ,,natürliche Zahl mal Bruchzahl", ,,Bruchzahl mal natürli-
che Zahl" und ,,Bruchzahl mal Bruchzahl" unterscheiden lassen. Obwohl die ersten beiden Fälle
aufgrund der Kommutativität der Multiplikation mit derselben Vorstellung veranschaulicht werden
könnten, wird der Einsatz des Vertauschungsgesetzes hier vernachlässigt, da es auch von Schü-
lern im neuen Zahlbereich der rationalen Zahlen nicht einfach vorausgesetzt werden kann, son-
dern erst entwickelt werden muss.
85
Stattdessen wird das Augenmerk auf die unterschiedlichen
Funktionen von Operator bzw. Multiplikator und Operand bzw. Multiplikand innerhalb eines Pro-
dukts gelenkt: Während der Operand als feste Größe behandelt wird, nimmt der Operator die Rolle
einer mathematischen Funktion ein, die auf den Operanden angewandt wird. In den folgenden
Ausführungen steht der Operator stets vorne und der Operand dahinter.
Natürliche Zahl mal Bruchzahl
Wird eine natürliche Zahl n mit einer Bruchzahl
a
b
für alle a, b
multipliziert, so kann die Vor-
stellung ,,Multiplikation als abgekürzte Addition"
86
verwendet werden, d. h. ,,
a
n
b
" wird als Summe
,,
a
a
a
...
b
b
b
+ + +
" mit n Summanden gedeutet.
79
Vgl. ebd.
80
Padberg (2002), S. 35
81
Ebd., S. 36; Hervorhebungen im Original
82
Ebd.; Hervorhebungen im Original
83
Vgl. Koullen (2001), S. 195
84
Vgl. Postel (1981), S. 19
85
Vgl. Padberg (2002), S. 127 und Malle (2004), S. 6
86
Malle (2004), S. 6

16
Da diese Vorstellung bereits im Bereich der natürlichen Zahlen eingesetzt wird, um Vielfache von
Größen zu erklären, ist sie nichts Neues für die Schüler. Auch hier vergrößert der Operator (in die-
sem Fall die natürliche Zahl) den Operanden (die Bruchzahl) durch eine Multiplikation, sofern er
ungleich 1 und der Operand ungleich 0 ist. Interpretiert man die Aussage ,,Multiplikation vergrö-
ßert" allerdings so, dass das Produkt größer als jeder Faktor ist (wie bei den natürlichen Zahlen),
so trifft dies im hier betrachteten Fall nicht immer zu: Das Produkt ist zwar stets größer als der
Bruch, kann aber kleiner als die natürliche Zahl sein, wenn sie mit einem echten Bruch (
a
b
<1)
multpliziert wird.
Um den Fall
a
n
b
am Zahlenstrahl darzustellen, würde man die Einheit zunächst b-teln und mit O-
rientierung an dieser neuen Unterteilung n a-er-Sprünge nach rechts vornehmen. Letzterer Schritt
ist wiederum von der Darstellung der Einmaleinsreihen am Zahlenstrahl her bekannt.
Bruchzahl mal natürliche Zahl
Im Fall Bruchzahl mal natürliche Zahl scheitert die Vorstellung der Multiplikation als abgekürzte
Addition, da die natürliche Zahl n nicht
a
b
-mal addiert werden kann, sofern a
c b
für alle a, b, c
. Stattdessen kommen andere Grundvorstellungen von Bruchzahlen zum Tragen, die schon in
der vorherigen Sektion 2.2.3 angesprochen wurden.
Eine besonders gängige Deutung des Ausdrucks ist der sogenannte ,,Von-Ansatz"
87
, mit dem
,,
a
n
b
" als ,,
a
b
von n" ­ also als ,,das a-fache des b-ten Teils von n" ­ interpretiert wird.
Umgekehrt ist die Modellierung von ,,von" mit ,,mal" nicht immer passend, da das Wort ,,von" in an-
deren Kontexten andere Rechenoperationen als die Multiplikation hervorruft. Ein unreflektiertes
Übersetzen kann dementsprechend zu Fehlern führen. Insbesondere wird dies am Beispiel der
beiden sich minimal voneinander unterscheidenden Sachaufgaben ,,Von 8kg Obst wurden
3
4
ge-
gessen. Wie viel kg sind das?" und ,,Von 8kg Obst wurden
3
4
kg gegessen. Wie viel kg sind noch
übrig?" deutlich. Während erstere tatsächlich eine Multiplikation erfordert und die Rechnung
3
4
8kg
=
6kg beinhaltet, beruht die zweite dagegen auf der Subtraktion 8kg
3
4
-
kg
=
7
1
4
kg. Ersetzt
man den Bruch durch eine natürliche Zahl m, so kann der Ausdruck ,,m von n" je nach Kontext und
Fragestellung außer ,, m
n
-
" auch ,, m : n ", nicht jedoch ,,
m n
" bedeuten. Z. B. verbirgt sich hinter
der Aufgabe ,,8 von den 20 Kindern einer Klasse haben ihre Hausaufgaben vergessen. Welcher
Anteil der Klasse ist das?" die Division 8 : 20
=
8
2
20
5
=
.
88
Dass das Wort ,,von" aber auch im Bereich der natürlichen Zahlen eine Multiplikation beinhalten
kann, wird durch die Formulierung ,,das m-fache von n" deutlich, welche zweifellos symbolisch
durch ,,
m n
" zu beschreiben ist. Analog zum m-fachen von n kann auch ,,das
a
b
-fache von n"
betrachtet werden, was wiederum in der deutschen Sprache ein Synonym für ,,
a
b
von n" ist. Durch
diese Verkettung erhält man schließlich aus ,,
a
n
b
" die Bedeutung ,,
a
b
von n".
89
Da die Übersetzung von ,,
a
b
von n" nach ,,
a
n
b
", wie oben gezeigt wurde, nicht immer selbstver-
ständlich ist, besteht Bedarf an weiteren anschaulichen Vorstellungen zu ,,
a
n
b
"
. Eine von ihnen ist
die des ,,Streckens bzw. Stauchens"
90
, bei der man sich die Größe n auf das
a
b
-fache Format ver-
größert bzw. verkleinert vorstellt. Während bei dem Term
m n
das m-fache von n durch das
87
Padberg (2002), S. 127
88
Vgl. Sektion 2.3.3, Bruchzahl als absoluter Anteil
89
Vgl. Padberg (2002), S. 129
90
Wartha (2007), S. 25

17
mehrfache Aneinandersetzen von m Ausführungen der Größe n ­ einfacher ausgedrückt: durch
Vervielfachen ­ veranschaulicht werden kann, kann man sich n nicht
a
b
-mal aneinandergereiht
vorstellen. Deswegen muss diese ,,additiv[e]" und ,,gegenstandsfixiert[e]"
91
Vorstellung des Dupli-
zierens gegen die mehr funktionsbetonte Vorstellung des Streckens und Stauchens ersetzt wer-
den. Diese ist sowohl in
als auch in
+
tragfähig. Sie bietet eine anschauliche Erklärung dafür,
dass die Multiplikation einer Bruchzahl (außer 1) mit einer natürlichen Zahl letztere sowohl vergrö-
ßern als auch verkleinern kann.
Eine weitere anschauliche Vorstellung, die auch in
angewandt wird, ist die des Flächeninhalts
eines Rechtecks mit den Maßen
a
b
×
n.
92
Darüber hinaus bietet die Deutung des Bruchs als Vergleichsoperator eine Vorstellung zum Aus-
druck ,,
a
b
n" im Sinne von ,,
a
b
-mal so viel bzw. so groß bzw. so schwer usw. wie n".
93
Bei allen genannten Vorstellungen ­ bis auf die des Flächeninhalts ­ wird der Bruch
a
b
mit der O-
peratorgrundvorstellung aufgefasst.
Bruchzahl mal Bruchzahl
Im Falle Bruchzahl mal Bruchzahl erweisen sich analog zum Fall ,,Bruchzahl mal natürliche Zahl"
die Von-, die Streckungs- bzw. Stauchungs-, die Flächeninhalts- und die Vergleichsvorstellung als
sinnvoll.
a, b, c, d
kann ,,
a c
b d
" also als ,,
a
b
von
c
d
", ,,
c
d
auf die
a
b
-fache Größe vergrößert bzw.
verkleinert", ,,Flächeninhalt eines
a
c
b
d
×
-Rechtecks" und ,,
a
b
-mal so viel wie
c
d
" interpretiert wer-
den. Außer bei der Flächeninhaltsvorstellung sollte jeder der beiden Brüche mit einer anderen
Grundvorstellung von Bruchzahlen gedeutet werden: Der erste (
a
b
) mit der Operatorvorstellung,
welche schon durch seine Position im Produkt offensichtlich ist, und der zweite (
c
d
) mit der Anteil-
vorstellung, da er eine feste Größe in Form eines Anteils vom Ganzen beschreibt.
2.4 Empirische Befunde zu Schülervorstellungen
Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass deutsche Schüler im Vergleich zu anderen Län-
dern im Umgang mit rechnerischen Standardverfahren relativ sicher sind, im Gegensatz dazu aber
große Schwierigkeiten ,,bei der Anwendung von Mathematik auf inner- oder außermathematische
Kontexte"
94
haben.
95
Das bedeutet, dass sie sowohl zwischen verschiedenen mathematischen Be-
reichen als auch zwischen realen Situationen und mathematischen Inhalten oft keine Zusammen-
hänge erkennen, sie deshalb nicht in Beziehung setzen und nicht von einer Ebene auf die andere
übersetzen können. Die Diskrepanz zwischen den rechnerisch-formalen und den anwendungsbe-
zogenen Kompetenzen weist auf eine mangelnde Ausbildung von Grundvorstellungen hin.
96
Im Folgenden wird Aufschluss über diese Vermutung gegeben. Anhand einiger Daten aus exem-
plarisch ausgewählten Studien zur Bruchrechnung werden Defizite bzgl. der Entwicklung von
Grundvorstellungen belegt und einige der häufigsten empirisch nachgewiesenen Schülervorstel-
lungen und intuitiven Regelbildungen zu Bruchzahlen und deren Multiplikation aufgezeigt. Diese
91
Vom Hofe (1996), S. 7
92
Vgl. Prediger (2006), S. 14
93
Vgl. Sektion 2.3.3, Bruchzahl als Vergleichsoperator
94
Wartha/Vom Hofe (2005), S. 10
95
Vgl. ebd.
96
Vgl. ebd.

18
Vorstellungen können sich mit den Grundvorstellungen aus Sektion 2.3 decken, es kann sich aber
auch um individuelle, noch nicht benannte Vorstellungen einschließlich Fehlvorstellungen handeln.
Es sollen nur solche Studien genannt werden, deren Inhalte und Forschungsziele mit denen der in
Kapitel 3 dargestellten empirischen Studie in Verbindung stehen.
2.4.1 Schülervorstellungen zu Bruchzahlen
Ein auffälliges Schülerverhalten beim Umgang mit Brüchen besteht darin, auf ein Rechnen mit na-
türlichen Zahlen oder Dezimalbrüchen auszuweichen, da es vielen schwerfällt, Brüche als eigen-
ständige Zahlen zu sehen.
97
Eine von Padberg und Bienert (2000) durchgeführte Studie zur Bruchrechnung
98
, die in Form von
schriftlichen Tests mit sechs siebten Realschulklassen erhoben wurde, weist eine hohe Lösungs-
quote bei Umwandlungsaufgaben wie ,,Schreibe in Minuten [...] eine viertel Stunde = ... Minuten"
99
auf. Diese Aufgabe wurde von ca. 93% der beteiligten Schüler korrekt gelöst. Umgekehrt lagen die
die Lösungsquoten bei der Umwandlung von Minuten in Stunden im Schnitt bei ca. 62%. Dass die
starke Orientierung an natürlichen Zahlen (hier insbesondere an Uhrzeiten) oftmals zur Übergene-
ralisierung führt, wird bei der darauffolgenden Aufgabe ,,Und wie viel ist dreiviertel größer als ein
Halb?"
100
deutlich, da ca. 20% die Antwort 15 gaben.
101
Besteht zu einer Bruchzahl keine direkte Assoziation mit einer anderen Zahl, führt dies bei man-
chen Schülern zu unumgänglichen Schwierigkeiten. In einem Interview der von Wartha, Vom Hofe
et al. (2005) realisierten Längsschnittstudie PALMA
102
, die Fünft- bis Zehntklässler hinsichtlich ih-
rer mathematischen Leistungsentwicklung untersucht und nach Ursachen für Defizite forscht, sollte
ein Junge am Ende der sechsten Jahrgangsstufe
3
5
von 10 Schokoladenstücken berechnen. Die
Aussage des Jungen ,,Ich müsste halt dann wissen, wie viel ungefähr drei Fünftel ist."
103
lässt dar-
auf schließen, dass der Junge keine Operatorgrundvorstellung zu Brüchen besitzt und sich eben-
sowenig unter
3
5
als Anteil vorstellen kann. Er sucht nach einer Möglichkeit, den Bruch in eine
Zahl umzuwandeln, die ihm Auskunft über die Größenordnung gibt, in der sich der Bruch befindet,
weiß aber nicht, wie er dies bewerkstelligen soll.
Ein Mädchen versucht, die Aufgabe durch Umwandlung des Bruchs
3
5
in den Dezimalbruch 0,6 zu
lösen. Auch sie weicht offenbar auf die andere Schreibweise aus, um sich etwas unter dem Bruch
vorstellen können. Ihr ist nicht bewusst, dass sie sich die Anteilbildung durch diese Umwandlung
nur erschwert hat.
104
2.4.2 Schülervorstellungen zur Multiplikation mit Bruchzahlen
Da die Multiplikation mit Brüchen einfachen Rechenregeln unterliegt (siehe 2.2.3) und daher von
Schülern oft richtig gelöst wird, bemerken viele Lehrer nicht die Defizite ihrer Schüler auf der Vor-
stellungsebene.
105
Die Probleme werden erst bei der Anwendung auf Sachkontexte sichtbar.
97
Vgl. Malle (2004), S. 5
98
Vgl. Padberg/Bienert (2000)
99
Ebd., S. 26
100
Ebd., S. 27
101
Vgl. ebd.
102
Projekt zur Analyse der Leistungsentwicklung in Mathematik; vgl. Wartha/Vom Hofe (2005)
103
Ebd., S. 11
104
Vgl. ebd., S. 12
105
Vgl. Altevogt et al. (1995), S. 8

19
Modellierung von Von-Kontexten
Ein häufig auftretender Schülerfehler bzgl. der Vorstellung zur Multiplikation mit Bruchzahlen ist die
Wahl der falschen Rechenoperation bei der Modellierung von Sachkontexten, die eine Multiplikati-
on erfordern.
106
Insbesondere ist dies bei ,,Von-Situationen" zu beobachten.
In der o.g. Langzeitstudie PALMA lautete eine Aufgabe zur Bruchrechnung für die Jahrgangsstufe
7: ,,Herr Brinkmeier hat bei einer Fernsehlotterie gewonnen. Er möchte ein Sechstel seines Ge-
winns einem Kinderheim spenden. Sein Gewinn beträgt 2400. Wie viel Geld spendet er? Schrei-
be auf, wie du gerechnet hast."
107
Diese elementare Bruchrechenaufgabe wurde von nur 53,3%
der untersuchten Realschüler korrekt gelöst, die durchschnittliche Lösungshäufigkeit der geteste-
ten Siebtklässler in Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen lag bei 58,6%.
108
Von allen fal-
schen Bearbeitungen war der Großteil auf die Wahl falscher Strategien zurückzuführen. Die mit
27% der falschen Lösungen am häufigsten gewählte Fehlstrategie war die Verwendung der Divisi-
on (2400
:
1
6
), 8% war der Anteil der Subtraktion (2400
-
1
6
). 23% der falschen Lösungen wichen
auf die Prozentrechnung aus.
109
Unrealistische Ergebnisse aufgrund von falschen Strategien wur-
den teils nicht hinterfragt, teils willkürlich so abgeändert, dass sie realistisch erschienen.
110
Beson-
ders auffällig ist der Vergleich der Lösungshäufigkeiten dieser und einer bereits in der fünften
Klasse gestellten Aufgabe, die sich bis auf die Formulierung ,,den sechsten Teil" anstatt von ,,ein
Sechstel" nicht von der eben genannten unterschied. Dennoch wurde diese zur obigen äquivalente
Aufgabe von 81,1% der Realschüler bzw. 75,7% der Schüler aller Schulformen in der Jahrgangs-
stufe 5, also vor der systematischen Behandlung der Bruchrechnung im Unterricht, korrekt ge-
löst.
111
Während ,,der sechste Teil" eine einfache von Fünftklässlern durchzuführende Division
ausdrückt, veranlasst ,,ein Sechstel" viele Schüler zu einer Operation mit einem Bruch, zu der of-
fensichtlich bei vielen noch keine ausreichenden Grundvorstellungen existieren.
Die oben bereits erwähnte Studie von Padberg und Bienert (2000)
112
enthält die Aufgabe ,,Wie viel
sind zwei Drittel von 36 Äpfeln? Wie rechnest du dies?"
113
. Von den untersuchten Siebtklässlern
lösten nur knapp 50% die Aufgabe richtig. Falsche Lösungswege waren u. a. ,,
2
:
3
36" oder
,,36
2
:
3
".
114
,,Von" könnte hierbei also entweder als absoluter Anteil gedeutet worden sein, oder die
Division wurde unter Verwendung der zur Multiplikation analogen falschen Regel ,,Division verklei-
nert immer" ausgewählt, mit der Bewusstheit darüber, dass das Ergebnis in jedem Fall kleiner als
36 sein muss.
Eine ähnliche, etwas komplexere Aufgabe aus derselben Studie lautete: ,,Eine 120DM teure Jeans
wird im Sommerschlussverkauf zunächst auf dreiviertel ihres Preises heruntergesetzt. Als auch
dies nichts nützt, wird sie anschließend nochmals kräftig auf ein Drittel dieses neuen Preises her-
untergesetzt. Wie teuer ist sie jetzt? Erkläre kurz deine Rechnung! Bruchteil des ursprünglichen
Preises?"
115
Während es nur weniger als 10% der Schüler gelingt, die Aufgabe richtig zu lösen
106
Vgl. Malle (2004), S. 8
107
Wartha (2007), S. 25
108
Vgl. ebd.
109
Vgl. ebd., S. 26
110
Vgl. Wartha (2007), S. 43
111
Ebd., S. 25
112
Vgl. Padberg/Bienert (2000)
113
Ebd., S. 30
114
Vgl. ebd.
115
Ebd., S. 33

20
(nur 2 Schüler geben den richtigen Bruchteil an), wird sie von knapp 55% falsch gelöst und von ca.
35% nicht bearbeitet. In den meisten falschen Bearbeitungen wurde wieder auf die Division zu-
rückgegriffen, wie z. B. in dem falschen Lösungsansatz ,,120DM :
3
4
=
:
1
3
=
".
116
Diese Beispiele lassen vermuten, dass die falsche Modellierung von Sachaufgaben wie den obi-
gen eng mit der für Bruchzahlen unbrauchbaren Grundvorstellung ,,Multiplikation vervielfacht" und
der daraus resultierenden, übergeneralisierten Regel ,,Multiplikation vergrößert" zusammenhän-
gen. Damit scheidet bei diesen Aufgaben die Multiplikation als passende Rechenoperation für
Schüler aus, die diese Vorstellung bzw. Regel verinnerlicht und nicht dem Bereich der rationalen
Zahlen angepasst haben. Dies belegt u. a. die Erklärung einer Schülerin aus einem Interview von
PALMA, warum sie (irrtümlicherweise) nicht mit einem Bruch multipliziert, sondern dividiert: ,,Ja
weil, dann wär's ja mehr und das muss ja weniger werden"
117
.
Individuelle Schülervorstellungen zur Bruchmultiplikation
Zuvor wurde von Studien berichtet, die anhand von Lösungswegen zu vorgegebenen Textaufga-
ben erforschen, ob Schüler Grundvorstellungen zur Multiplikation mit Bruchzahlen besitzen. Um-
gekehrt wird nun anhand dieser Studie gezeigt, ob und welche Sachzusammenhänge Schüler mit
der Multiplikation von Brüchen verbinden und welche individuellen Schülervorstellungen zur Multi-
plikation sich darin erkennen lassen.
Prediger (2006) forderte 81 Siebtklässler eines Gymnasiums in einem schriftlichen Test dazu auf,
eine Textaufgabe zu erfinden, die mit der Gleichung
3 1
1
4 3
4
=
gelöst werden kann.
118
Aus allen Antworten bildete sie Kategorien bzgl. der Art und der Angemessenheit der jeweils ver-
wendeten individuellen Schülervorstellung zur Bruchmultiplikation. Von allen beteiligten Schülern
schafften es nur knapp 15% (12 Schüler), Textaufgaben, die eine angemessene Vorstellung der
Multiplikation zweier Brüche beinhalteten, korrekt zu formulieren.
119
Von diesen Schülern be-
schrieb die Hälfte je eine Von-Situation. Die andere Hälfte benutzte teils die Vorstellung des Stau-
chens, indem sie ,,
1
3
" durch die Betrachtung eines Gegenstands durch eine Verkleinerungslinse
interpretierten; teils wurde mit dem Ausdruck ,,ein Drittel soviel" die Vorstellung der Bruchzahl als
Vergleichsoperator verwendet.
Von allen Schülern ließen 17,3% einen richtigen Ansatz erkennen, der aber nicht konsequent zu
Ende geführt wurde, oder der auf die Division durch 3 auswich. Weitere 21% zeigten eine falsche
Vorstellung zur Bruchmultiplikation, von denen die meisten eine Sachsituation formulierten, die ei-
ner Addition zweier Brüche entsprach. Der Großteil von 32,1% aller befragten Siebtklässler gab
jedoch nur eine scheinbare Sachsituation an, die nichts anderes als eine wörtliche Umschreibung
der gegebenen Gleichung war und der somit keine Vorstellung zugrunde lag, wie z. B. ,,Ich bin
3
4
m
groß und mein Freund ist
1
3
m groß. Wie groß sind wir, wenn wir unsere Größen multiplizieren?"
120
14,8% bearbeiteten die Aufgabe nicht.
Diese drei erwähnten Studien sollen nur stellvertretend für viele weitere stehen, die deutlich er-
kennbare Defizite hinsichtlich des Verständnisses der Multiplikation mit Bruchzahlen belegen.
116
Vgl. ebd., S.34
117
Wartha/Vom Hofe (2005), S. 12
118
Vgl. Prediger (2006), S. 7
119
Für die weiteren Ergebnisse dieser Studie vgl. ebd., S. 8 f.
120
Vgl. ebd., S. 8

21
Abschließend sollen nun einige von Prediger verallgemeinerte, aus diversen empirischen Studien
gewonnene Erkenntnisse aufgeführt werden, die Zusammenhänge zwischen Kenntnissen, Re-
chen- und Modellierungsfertigkeiten, intuitiven Gesetzen und individuellen Schülervorstellungen
zur Multiplikation mit Bruchzahlen beschreiben:
121
Prediger (2006) sagt, dass gute Bruchrechenfä-
higkeiten auf rein algorithmischer Ebene Schüler nicht automatisch zur Modellierung von Sachkon-
texten befähigen und dass die Kompetenzen bzgl. der Anwendung der Bruchmultiplikation auf rea-
le Situationen im Allgemeinen niedrig sind. Ein wesentlicher Grund hierfür sei die intuitive Regel
,,Multiplikation vergrößert", welche die Entwicklung von Fehlvorstellungen zur Multiplikation mit
Brüchen zu begünstigen scheine. Eine weitere Ursache sei zudem eine Beschränkung auf die An-
teilsgrundvorstellung von Bruchzahlen als Teil eines Ganzen, die aufgrund der fehlenden Opera-
torgrundvorstellung den Aufbau adäquater Modelle zur Bruchmultiplikation verhindere.
Dieses Hintergrundwissen wird zur Auswertung der im nachfolgenden Kapitel beschriebenen Stu-
die genutzt um eventuelle Parallelen aufzeigen zu können und um ggf. Besonderheiten und neu-
gewonnene Erkenntnisse von den anderen Studien abzugrenzen.
3 Beschreibung und Auswertung der empirischen Studie
Dieses Kapitel beinhaltet eine ausführliche Darstellung der auf einem Briefwechsel basierenden
empirischen Studie zu ,,Vorstellungen von Siebtklässlern zu Bruchzahlen und deren Multiplikation"
sowie die Evaluation der aus ihm gewonnenen Daten.
Zu Beginn werden die Rahmenbedingungen geschildert, in denen die Untersuchung stattfand. An-
schließend wird auf den Briefaustausch als Methode der Datenerhebung in der mathematikdidakti-
schen Forschung eingegangen und seine Vor- und Nachteile diskutiert.
Daraufhin wird die Vorgehensweise bei der nachfolgenden Auswertung der Schülerbriefe be-
schrieben und mit bestehenden, in einer ausgewählten Literaturquelle definierten Textinterpretati-
onsverfahren verglichen.
Es folgt die detaillierte Beschreibung und Analyse des dreiteiligen Briefwechsels, wobei alle ersten,
zweiten und dritten Briefe
122
getrennt voneinander betrachtet werden. Jedes Mal werden zuerst die
Inhalte des Briefs der Autorin an die Schüler begründet und Lösungsskizzen vorgestellt, bevor eine
detaillierte Analyse der einzelnen Schülerbriefe im Hinblick auf ihren möglichen Sinngehalt und ein
anschließender Vergleich der Briefe erfolgen.
Zuletzt wird eine Zusammenfassung der zentralen Analyseergebnisse der einzelnen Fallbeispiele
gegeben, die zugleich die Beantwortung der Forschungsfrage bildet.
3.1 Organisation des Briefwechsels
Die Planung und Durchführung der empirischen Studie fand im Rahmen des Seminars ,,Schülerin-
nen und Schüler reflektieren in Briefen über Mathematik" unter der Leitung von Frau Dr. Nicole
Wellensiek an der Universität Bielefeld statt. Wie der Seminartitel bereits andeutet, erfolgte die
Studie in Form eines Briefwechsels mit Schülern. Die Methode der Datenerhebung war also nicht
frei wählbar, sondern vorgegeben.
121
Für die folgenden Ausführungen vgl. ebd., S. 12 f.
122
,,Alle ersten Briefe" umfasst den ersten Brief der Autorin und die ersten Antwortbriefe der Schüler.

22
Jedem Seminarteilnehmer wurden drei Schüler zugeteilt, mit denen er sich per Brief über selbst
gewählte mathematische Inhalte bzw. Mathematik im Allgemeinen austauschen sollte. An der hier
beschriebenen empirischen Untersuchung waren die drei Siebtklässler Janina, Mia und Daniel
123
beteiligt, die seinerzeit alle dieselbe Realschulklasse in NRW besuchten.
Fest stand außerdem, dass jeweils abwechselnd vier Briefe von Studentenseite an die Schüler
und drei Antwortbriefe von den Schülern an die Studenten verfasst werden sollten. Nach jedem
Erhalt der Schülerantworten hatten die Seminarteilnehmer ca. zehn Tage Zeit, einen neuen Auf-
gabenbrief zu formulieren. Der vierte Brief an die Schüler sollte nur der Verabschiedung dienen
und musste deshalb keine neuen Aufgaben oder Fragen enthalten.
Die Beantwortung der Studentenbriefe fand meistens in einem zweiwöchigen Abstand statt. Dazu
war jeweils eine 90-minütige Einzelarbeitsphase im Klassenraum vorgesehen, die von der Mathe-
matiklehrerin beaufsichtigt und betreut wurde. Da die gesamte Klasse am Briefwechsel mit den
Studenten teilnahm, war in diesen Doppelstunden jeder Schüler mit dem Schreiben seines eige-
nen Briefs beschäftigt. Für diese Studie wurden absichtlich drei Schüler ausgewählt, die im Klas-
senraum ausreichend weit voneinander entfernte Sitzplätze hatten. Dies war notwendig, weil die
drei Schüler zumeist die gleichen Aufgaben erhielten (wie u. a. in 3.2.1 gezeigt wird) und eine Zu-
sammenarbeit ausgeschlossen werden sollte, um unverfälschte Ergebnisse von jedem Schüler zu
erhalten.
Um die Siebtklässler mit dem Vorhaben des Seminars vertraut zu machen, stellte die Seminarleite-
rin sich in der Klasse persönlich vor, und erklärte den Schülern die Organisation und die Ziele des
Briefwechsels.
3.2 Methode des Briefwechsels zur Datenerhebung
Die Methode des Briefwechsels, die für die Datenerhebung dieser empirischen Studie vorausge-
setzt wurde, ist eine im Vergleich zu anderen bisher selten eingesetzte und noch nicht eingehend
untersuchte Methode in der mathematikdidaktischen Forschung. Dies wird durch die sehr geringe
Auswahl an Literatur zu dieser Methode deutlich, wie beim Ersichten des Materials für diese Arbeit
auffiel. Häufiger werden zum gleichen Zweck Interviews, schriftliche Tests oder Fragebögen mit
vorgegebenen Antwortmöglichkeiten durchgeführt.
124
Die meistverwendete Variante bildet eine
Kombination aus schriftlichen Tests mit anschließenden Einzelinterviews.
Im Folgenden sollen einige mögliche Vor- und Nachteile der Methode ­ auch in Bezug auf andere
Methoden zur Datengewinnung ­ geschildert werden, die im Laufe der Evaluation der Schülerbrie-
fe bestätigt, relativiert oder ergänzt werden können.
Vorteile
Ein besonderer Vorteil eines Briefwechsels zur Datenerhebung gegenüber anderen Methoden in
der mathematikdidaktischen Forschung besteht darin, dass für den Schüler ein Partner existiert,
der zum Mitteilen der eigenen Gedanken motiviert. Durch dessen individuelle Beantwortung der
Schülerbriefe und den beidseitigen Austausch privater Informationen (wie persönliche Meinungen,
Interessen, etc.) kann eine persönliche Beziehung hergestellt werden, in der sich der Schüler als
Person beachtet und respektiert fühlt. Zwar ist auch bei Interviews ein Partner vorhanden, jedoch
123
Alle drei Namen wurden aus Datenschutzgründen geändert.
124
Siehe Sektion 2.4

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836647021
DOI
10.3239/9783836647021
Dateigröße
3.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bielefeld – Fakultät für Mathematik, Didaktik der Mathematik
Erscheinungsdatum
2010 (Mai)
Note
1,3
Schlagworte
didaktik mathematik grundvorstellungen bruchzahlen multiplikation siebtklässler
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Titel: Vorstellungen von Siebtklässlern zu Bruchzahlen und deren Multiplikation
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