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Lebendiges Lernen auf Basis der Themenzentrierten Interaktion

Ein didaktisches Konzept für die Weiterbildung von Langzeitarbeitslosen

©2009 Diplomarbeit 150 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Arbeitslosigkeit gehört seit Ende der 70er Jahre zu den größten sozialen Problemen in Deutschland. Seitdem haben sich die Arbeitslosenzahlen stetig erhöht, und trotz einer Entspannung nach 2006, ist das Problem spätestens mit der aktuellen Wirtschaftskrise wieder in den Vordergrund getreten. Arbeitslosigkeit bedeutet oft eine große Umstellung für die Betroffenen. Sowohl in finanzieller, als auch im sozialer und in psychischer Hinsicht. Besonders mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit spitzen sich die Folgen der Arbeitslosigkeit immer mehr zu, was die Chancen der Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt nicht gerade verbessert. Geht man davon aus, dass mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt abnehmen, so ist es abzusehen, dass gerade Langzeitarbeitslosigkeit ein besonderes Problem darstellt.
Seit vielen Jahren werden in Politik und Wirtschaft stetig neue Programme und Maßnahmen entwickelt, um die Arbeitslosenzahlen zu verringern, in erster Linie also, um Arbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Viele dieser Maßnahmen wenden sich an Langzeitarbeitslose. Eine nicht geringe Anzahl der Betroffenen gelten als schwer- bis schwerstvermittelbar, weil sie mehrere vermittlungshemmende Merkmale (wie gesundheitliche Beeinträchtigungen, ein höheres Lebensalter, einen Migrationshintergrund, einen niedrigen Schulabschluss und/oder einen fehlenden Berufsabschluss) vereinigen und ihnen so der Zugang zu einem regulären Beschäftigungsverhältnis erschwert ist. Das Angebot an Maßnahmen, die die Aussichten auf eine Arbeitsvermittlung verbessern sollen, ist weit gefächert. Neben Ein-Euro-Jobs und beruflichen Umschulungen gehört auch die Zeitarbeit zu diesen Programmen.
Bestandteil aller Weiterbildungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen sind neben dem Fachlichen auch immer ‘Elemente der Allgemein- und Persönlichkeitsbildung [.], d. h. persönliche Stabilisierung, Orientierung und Motivierung der Maßnahmeteilnehmer, wie etwa das Training des Arbeits- und Sozialverhaltens, nicht-agressive Konfliktbewältigungsstrategien, zwischenmenschlicher Umgang, Umgang mit Lob und Kritik, Verarbeitung von Misserfolgen’.
Mit der vorliegenden Arbeit entwerfe ich ein praktikables, didaktisches Konzept für die Weiterbildung Langzeitarbeitsloser im Rahmen einer Zeitarbeitsmaßnahme bei der Firma M., auf Basis der Themenzentrierten Interaktion.
Die Themenzentrierte Interaktion (TZI) ist eine Methode des […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Svenja Streckel
Lebendiges Lernen auf Basis der Themenzentrierten Interaktion
Ein didaktisches Konzept für die Weiterbildung von Langzeitarbeitslosen
ISBN: 978-3-8366-4587-4
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Kiel, Deutschland, Diplomarbeit, 2009
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http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

,,Schränke das Lernen sich auf bloßes Empfangen ein,
so wäre die Wirkung nicht viel besser,
als wenn wir Sätze auf das Wasser schrieben."
(Hegel, In: Ferstl/Scholz/Thiesen 2006, S. 156)

Vorwort
Mitte 2008 begann ich bei der Firma M. in Kiel die pädagogische Schulung ­ in-
nerhalb der Qualifizierung Langzeitarbeitsloser für die Zeitarbeit ­ durchzuführen.
In zwei Tutoren-Lehrgängen zur Themenzentrierten Interaktion an der Christian-
Albrechts-Universität zu Kiel hatte ich gelernt, Seminarinhalte lebendig, aktivie-
rend und teilnehmerorientiert zu gestalten. Da die Schulung bei M. täglich sechs
Stunden (inklusive Pausen) umfasst, erschien es mir unmöglich, diese Zeit ­ wie
sonst üblich ­ mit rein theoretischen Vorträgen und Diskussionen zu füllen. Also
begann ich immer wieder aktivierende Übungen zu suchen, zu entwickeln und
auszuprobieren, sowie auch Interaktionsübungen aus der Erlebnispädagogik ­
die ich mir bei meinem Praktikum bei den Erlebnistagen im Harz angeeignet hatte
­ einzubauen. Die Erfolge mit diesen Methoden und die Motivation der Teilnehmer
bestätigten mir, dass dies der richtige Weg ist.
Es handelte sich hierbei jedoch nur um einzelne Termine, die ich übernahm, so
dass ich nur Bruchstücke ausprobieren und bearbeiten konnte. Als mir dann vor-
geschlagen wurde, ein didaktisches Konzept für eben diese Schulung im Rah-
men meiner Diplomarbeit zu entwickeln, sah ich die Chance, eine Struktur zu
entwickeln, die es den Teilnehmern ermöglichen würde, gemeinsam mit Spaß
Themen zu bearbeiten, Interaktion mit Anderen zu trainieren und so wieder mehr
Aktivität und Initiative zu zeigen und Selbstvertrauen aufzubauen. Die Themen-
zentrierte Interaktion schien mir hierfür die perfekte Basis zu sein.

4
1. Einleitung
8
2. Arbeit und Arbeitslosigkeit
13
2.1 Die Bedeutung von Erwerbsarbeit
13
2.2 Arbeitslosigkeit und ihre Folgen
14
2.2.1 Der Verlauf der Arbeitslosigkeit
16
2.2.2 Die Folgen von Arbeitslosigkeit
17
2.2.2.1 Finanzielle Folgen
18
2.2.2.2 Soziale Folgen
18
2.2.2.3 Veränderte Zeitstruktur
21
2.2.2.4 Gesundheitliche Folgen
24
2.2.3 Die Teufelskreise der Arbeitslosigkeit
28
2.2.4 Die individuelle Bewältigung von Arbeitslosigkeit
30
2.2.5 Der Weg in die Langzeitarbeitslosigkeit
32
3. Themenzentrierte Interaktion in der
Weiterbildung von Langzeitarbeitslosen
34
3.1 Die ethische Grundlage
35
3.1.1 Das existentiell-anthropologische Axiom
35
3.1.2 Das ethisch-soziale Axiom
37
3.1.3 Das pragmatisch-politische Axiom
40
3.2 Die Dreiecksbalance in der Gruppenarbeit
42
3.2.1 Die vier Faktoren des TZI-Dreiecks
42
3.2.1.1 Das ,,Ich"
42
3.2.1.2 Das ,,Wir"
44
3.2.1.3 Das ,,Es"
44
3.2.1.4 Der Globe
46
3.2.2 Die dynamische Balance
46
3.2.3 Das Eisberg-Modell
48
Inhalt

5
3.3 Die Postulate
50
3.3.1 Das Chairperson-Postulat
50
3.3.2 Das Störungs-Postulat
52
3.4 Die Hilfsregeln
55
3.5 Die Rolle der Leitung
56
3.6 Die Entwicklung von Gruppen
58
3.6.1. Ankommen, orientieren, Kontakt aufnehmen
58
3.6.2 Gärung und Klärung
60
3.6.3 Arbeitslust und Produktivität
61
3.6.4 Transfer, Abschluss und Abschied
62
4. Das Konzept zur Weiterbildung Langzeitarbeitsloser
64
4.1 Die Rahmenbedingungen
64
4.1.1 Der personale Aspekt ­ Die Zielgruppe
65
4.1.2 Der räumliche Aspekt
68
4.1.3 Der zeitliche Aspekt
69
4.1.4 Der kognitive Aspekt
71
4.1.5 Der emotionale Aspekt
73
4.1.6 Der gesellschaftliche und politische Aspekt
73
4.2 Die Ziele der Weiterbildung
75
4.2.1 Selbstkompetenz entwickeln
77
4.2.2 Kommunikation bewusst wahrnehmen und einsetzen
80
4.2.3 Teamfähigkeit trainieren
80
4.2.4 Ziele formulieren
81
4.2.5 Anregungen zum ,,Zeitmanagement"
81
4.2.6 Konflikte erkennen und bewältigen
82
4.3 Die Themen der Weiterbildung
82

6
4.4 Die Methoden
84
4.4.1 Faktoren für die Auswahl geeigneter Methoden
85
4.4.2 Integrierte Elemente und Methoden der Erlebnispädagogik
86
4.4.2.1 Das Komfortzonenmodell
87
4.4.2.2 Interaktionsübungen
89
4.4.2.3 Die Reflexion
90
4.5 Der konkrete Entwurf des Seminarplans
90
5. Die Durchführung des Seminars
94
5.1 Reflexion des 1. Tages: Ankommen, Kennenlernen, Wahrnehmung 97
5.2 Reflexion des 2. Tages: Verbale und nonverbale Kommunikation 103
5.3 Reflexion des 3. Tages: Der Umgang mit Konflikten
109
5.4 Reflexion des 4. Tages: Kooperation, Teamwork und Teamfähigkeit 110
5.5 Reflexion des 5. Tages: Selbstwert und Ziele
114
5.6 Zusammenfassung wichtiger Aspekte
121
5.6.1 Das Menschenbild der Leitung
121
5.6.2 Die dynamische Balance beachten
122
5.6.3 Flexibilität in der Struktur
123
5.6.4 Theorie-Einheiten kurz und anregend
123
5.6.5 Aktivierende Übungen Schritt für Schritt einführen
124
5.6.6 Heterogenität der Gruppe beachten und nutzen
124
5.6.7 Relevanz der Themen bewusst machen
125
5.6.8 Klare und einfache Arbeitsanweisungen
125
5.6.9 Abschluss und Ausblick sorgfältig gestalten
125
5.6.10 TZI-Themenformulierung
126
6. Schlussbetrachtung
127
7. Literatur
130
8. Für die Seminardurchführung verwendete Literatur
135

7
Anhang
Feedbackbogen
I
Partnerinterview
II
Ich mache was, was du nicht hörst
III
Bullshit-Bingo
IV
Gruppenarbeit: Vier-Ohren Modell
V
Interaktion: Blinder Mathematiker
VI
Interaktion: Geometrische Formen beschreiben
VII
Interaktion: Gefahrentransport
VIII
Interaktion: Turmbau
IX
Interaktion: Der schwebende Stab
X
Selbstbild / Fremdbild
XI
Die Lebenskurve
XII
Info-Kästen: Zahlen und Fakten (ZuF)
ZuF I: M. und AAE Corporate Training
9
ZuF II: Arbeitslosigkeit heute
15
ZuF III: Die Arbeitslosen von Marienthal
22
ZuF IV: Leiharbeit in Deutschland
38
ZuF V: Weiterbildung von Langzeitarbeitslosen in Deutschland
64
Grafiken:
Abb. 1: Arbeitslose und Arbeitslosenquote
15
Abb. 2: Arbeitslosigkeit
15
Abb. 3: Weniger guter oder schlechter Gesundheitszustand in
Abhängigkeit von Arbeitslosigkeitserfahrungen bei Männern
24
Abb. 4: Krankenhaustage bei Männern
27
Abb. 5: Dauer der Arbeitslosigkeit
33
Abb. 6: Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung in Dtl. und S.-H.
38

8
1. Einleitung
Arbeitslosigkeit gehört seit Ende der 70er Jahre zu den größten sozialen Prob-
lemen in Deutschland. Seitdem haben sich die Arbeitslosenzahlen stetig erhöht,
und trotz einer Entspannung nach 2006 (Bundesagentur für Arbeit, Analytikreport
der Statistik 04/2008), ist das Problem spätestens mit der aktuellen Wirtschafts-
krise wieder in den Vordergrund getreten. Arbeitslosigkeit bedeutet oft eine große
Umstellung für die Betroffenen. Sowohl in finanzieller, als auch im sozialer und
in psychischer Hinsicht. Besonders mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit
spitzen sich die Folgen der Arbeitslosigkeit immer mehr zu, was die Chancen der
Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt nicht gerade verbessert. Geht man davon aus,
dass mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit die Vermittlungschancen auf
dem Arbeitsmarkt abnehmen, so ist es abzusehen, dass gerade Langzeitarbeits-
losigkeit ein besonderes Problem darstellt.
Seit vielen Jahren werden in Politik und Wirtschaft stetig neue Programme und
Maßnahmen entwickelt, um die Arbeitslosenzahlen zu verringern, in erster Linie
also, um Arbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Viele dieser
Maßnahmen wenden sich an Langzeitarbeitslose. Eine nicht geringe Anzahl der
Betroffenen gelten als schwer- bis schwerstvermittelbar, weil sie mehrere ver-
mittlungshemmende Merkmale (wie gesundheitliche Beeinträchtigungen, ein hö-
heres Lebensalter, einen Migrationshintergrund, einen niedrigen Schulabschluss
und/oder einen fehlenden Berufsabschluss) vereinigen und ihnen so der Zugang
zu einem regulären Beschäftigungsverhältnis erschwert ist (Bundesministerium
für Bildung und Forschung, Berufsbildungsbericht, 1997). Das Angebot an Maß-
nahmen, die die Aussichten auf eine Arbeitsvermittlung verbessern sollen, ist weit
gefächert. Neben Ein-Euro-Jobs und beruflichen Umschulungen gehört auch die
Zeitarbeit zu diesen Programmen.
Bestandteil aller Weiterbildungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen sind neben
dem Fachlichen auch immer ,,Elemente der Allgemein- und Persönlichkeits-
bildung [...], d. h. persönliche Stabilisierung, Orientierung und Motivierung der
Maßnahmeteilnehmer, wie etwa das Training des Arbeits- und Sozialverhaltens,

9
nicht-agressive Konfliktbewältigungs-
strategien, zwischenmenschlicher Um-
gang, Umgang mit Lob und Kritik, Verar-
beitung von Misserfolgen" (ebd.).
Mit der vorliegenden Arbeit entwerfe ich
ein praktikables, didaktisches Konzept
für die Weiterbildung Langzeitarbeits-
loser im Rahmen einer Zeitarbeitsmaß-
nahme bei der Firma M., auf Basis der
Themenzentrierten Interaktion.
Die Themenzentrierte Interaktion (TZI)
ist eine Methode des lebendigen Ler-
nens und Lehrens, die individuelle, zwi-
schenmenschliche und sachliche Aspek-
te gleichermaßen berücksichtigt. Ihre
Grundlage bilden drei Axiome, die auf
Ganzheitlichkeit, Freiheit in Entschei-
dungen und Respekt vor allem Leben-
digen beruhen, und so die Wertebasis
für humanes Handeln bilden. Genauer
betrachtet scheint sie die perfekte Ant-
wort auf die Bedürfnisse der Zielgruppe
der Langzeitarbeitslosen zu sein, die in
der Regel viel inhumane Fremdbestim-
mung erlebt haben. Mit ihrer Hilfe behält
die Leitung ­ neben dem zu bearbeiten-
den Thema ­ sowohl die Interaktion der
Gruppe, als auch den einzelnen Teilnehmer mit seinen Bedürfnissen, Hintergrün-
den und Problemen, gleichwertig im Auge. Ebenso scheint der Aspekt des akti-
ven, lebendigen Lernens für eine Zielgruppe ­ die in der Regel wenig Qualifika-
tionen erworben hat und aus Arbeitszweigen mit praktischer, körperlicher Arbeit
Die
M. GmbH bietet den Arbeitsverwaltungen seit über
20 Jahren bundesweit Arbeitsmarktdienstleistungen
an: Berufliche Bildung, Beratung und Coaching, den
Betrieb von Vermittlungsagenturen und die Durch-
führung von unterschiedlichen Integrationsprojek-
ten. Eines dieser Projekte ist die
soziale Zeitarbeit.
,,Marktfähige ALG-II-Kunden" (www.m...de) können
hier befristet sozialversicherungspflichtig eingestellt
werden. Nach einer Phase der Grundqualifizierung
werden sie in ein Kurzpraktikum vermittelt und im An-
schluss dann nach Möglichkeit im Praktikumsbetrieb
vertiefend qualifiziert. ,,Für die produktiven Zeiten im
Betrieb zahlt dieser an M. einen individuell und unter
Marktniveau liegenden Stundenlohn" (www.m...de).
Ziel ist dann eine Direktanstellung in dem jeweiligen
Betrieb.
Die vierwöchige
Grundqualifizierung der Teilnehmer
ist außerdem ein Auswahlverfahren, in dem zunächst
,,marktfähige ALG-II-Kunden" ausgesucht werden, die
anschließend eine Anstellung bekommen sollen. M.
unterrichtet die Teilnehmer z. B. in Arbeitsrecht, Hygie-
nevorschriften am Arbeitsplatz, führt ein Bewerbungs-
training durch oder erarbeitet mit den Teilnehmern,
welche Tätigkeit sie sich vorstellen könnten.
Innerhalb dieser Grundqualifizierung findet eine päda-
gogische Schulung statt. Sie soll die
sozialen Fähig-
keiten der Teilnehmer fördern und beinhaltet Themen
wie Kommunikation und Interaktion mit anderen Men-
schen, Konflikte, Selbstkompetenz u. ä. Diese Einheit
innerhalb der Grundqualifizierung wird von der externen
Firma
AAE Corporate Training durchgeführt, für die
auch ich in diesem Zusammenhang arbeitete. Die päd-
agogische Schulung findet in der Regel jeweils ­ nach
einer Einführung durch einen Mitarbeiter von M. am
ersten Tag ­ die erste Woche von Dienstag bis Freitag
statt und zusätzlich jeden darauf folgenden Mittwoch.
Nähere Informationen zu den Firmen unter:
www.m...de
www.aae-sh.de
Zahlen und Fakten I:
M. GmbH und
AAE Corporate Training

10
stammt ­ geeigneter, als theoretische Vorträge, die in den mir bekannten Kursen
in der Regel vorherrschten.
Dieses Konzept soll grundsätzliche Überlegungen zur TZI in der Weiterbildung
von Langzeitarbeitslosen beinhalten, anhand derer anschließend ein konkre-
ter Seminarplan für eine reelle Schulung ausgearbeitet und erprobt wird. Diese
Durchführung liefert ohne weiterführende Forschung natürlich kein repräsentati-
ves Ergebnis für den Erfolg oder Misserfolg dieses Konzeptes. Dennoch werde
ich meine Eindrücke hier darstellen, reflektieren und anschließend einige wich-
tige Aspekte zusammenstellen. Ziel ist es, einen Eindruck davon zu bekommen,
ob lebendiges Lernen nach den Grundsätzen der TZI der richtige Ansatz für die
Weiterbildung von Langzeitarbeitslosen ist.
Bevor aber dieser Plan entworfen werden kann, beschäftigt sich das
zweite Ka-
pitel dieser Arbeit mit der Bedeutung von Erwerbsarbeit für den Einzelnen, so-
wie mit dem Verlauf von Arbeitslosigkeit und den möglichen Folgen, wenn die
Arbeitsstelle für den Betroffenen wegfällt. Dieses Kapitel soll einen Einblick in
die Lebenswelt der Teilnehmer geben und sie mit ihren Problemen, Sorgen und
Hoffnungen, so gut es geht, abbilden.
Kapitel drei geht auf verschiedene Elemente der Themenzentrierten Interaktion
ein, die mir für die Arbeit mit den Langzeitarbeitslosen als relevant erscheinen.
Das vorliegende Konzept soll von grundsätzlichen Überlegungen zur Weiterbil-
dung Langzeitarbeitsloser auf Basis der Themenzentrierten Interaktion ausge-
hen. Die TZI ist jedoch ein Modell, das sehr nah an den Teilnehmern und deren
Lebenswelt, den äußeren Gegebenheiten der Lernsituation sowie auch an der
Persönlichkeit des Leiters arbeitet. Insofern ist es unumgänglich für ein durch-
führbares Projekt, die konkrete Situation so genau wie möglich zu betrachten.
Ein übergreifendes Konzept, das für die Arbeit mit Langzeitarbeitslosen im Allge-
meinen Gültigkeit findet, würde der Individualität der TZI nicht gerecht werden.
Deshalb werden in diesem Kapitel die Elemente der TZI zunächst kurz vorgestellt
und anschließend mit der Zielgruppe und der Situation der Weiterbildung bei in
Verbindung gesetzt. Außerdem sind in diesem Kapitel die Phasen der Gruppen-

11
entwicklung beschrieben. Auch wenn diese nicht direkt zur TZI gehören, werden
sie in ihrem Zusammenhang doch stets erwähnt und sind für die hier beschriebe-
ne Schulungssituation unbedingt zu beachten.
Ebenso ist das Vorgehen in
Kapitel vier. Es beinhaltet Ausführungen zu den
Rahmenbedingungen, Zielen, Themen und Methoden eines Seminars zunächst
im Allgemeinen, dann im Speziellen für die hier betrachtete Schulung. Zu den Me-
thoden sind in diesem Kapitel noch einige Elemente der Erlebnispädagogik bei-
gefügt, die in den Kurs integriert werden. Die Erlebnispädagogik arbeitet nah an
den Grundsätzen der TZI und zitiert diese häufig für die Arbeit mit Gruppen. Ein-
zelne Elemente und Methoden erscheinen mir hilfreich für die Kursgestaltung.
Diese Ausführungen bilden die Basis, den ,,Roten Faden", für die Entwicklung
eines konkreten Seminarplans. Dieser wird am Ende des vierten Kapitels als
Übersicht in Form einer Tabelle vorgestellt. Genauere Ausführungen zu Themen
und Übungen beinhaltet die anschließende Reflexion.
Bei
Kapitel fünf handelt es sich schließlich um die Beschreibung und Reflexion
des von mir erprobten Kurses nach dem vorliegenden Konzept. Außerdem folgt
eine Zusammenfassung der mir am wichtigsten erscheinenden Aspekte, die es
bei der Weiterbildung von Langzeitarbeitslosen zu berücksichtigen gilt.
Im
Anhang befinden sich sämtliche Übungen und Interaktionen, die ich im Kurs-
geschehen vorgesehen oder verwendet habe.

12
An dieser Stelle soll vorab noch auf Folgendes hingewiesen werden:
- Auch wenn meine Erfahrungen in diesem Bereich der Erwachsenenbildung
noch nicht sehr weitreichend sind, so habe ich doch aus vorherigen Kursen durch
gezieltes Fragen ein Bild von einigen Schulungssituationen und über die Situa-
tion der Teilnehmer bekommen können. Diese persönlichen Anmerkungen über
Erlebnisse und Erkenntnisse aus vorherigen Kursen sollen in dieser Arbeit eben-
so aufgeführt werden und sind im weiteren Verlauf kursiv geschrieben.
- Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit lediglich die männli-
che Form genutzt. Selbstverständlich ist damit das weibliche Geschlecht einbe-
zogen. Die weibliche Form wird lediglich verwendet, wenn es sich um konkrete
Beispiele handelt.
- Der Begriff ,,Maßnahme" wird in dieser Arbeit ausschließlich für die Instrumente
des Arbeitsamtes zur Wiedereingliederung und Weiterbildung Arbeitsloser ver-
wendet (wie Weiterbildungen, Zeitarbeit, 1-Euro-Jobs, o. Ä.). Um die pädagogi-
sche Einheit, innerhalb der Zeitarbeits-Maßnahme von M., für die dieses Konzept
entworfen wurde, sprachlich abzugrenzen, werden hierfür die Begriffe ,,Seminar",
,,Kurs" oder ,,Schulung" verwendet.

13
2. Arbeit und Arbeitslosigkeit
2.1 Die Bedeutung von Erwerbsarbeit
Erwerbsarbeit hat in Deutschland noch immer einen zentralen Stellenwert im
gesellschaftlichen und individuellen Leben. ,,Unbestritten wird Arbeit als Haupt-
quelle zur Sicherung des Lebensunterhalts gesehen. Nicht minder wichtig ist die
Bedeutung, die der ausgeübte Beruf und die berufliche Stellung für das Selbst-
verständnis jedes Einzelnen und seine gesellschaftliche Position haben. Für viele
ist Arbeit ein wichtiger Teil der persönlichen Selbstentfaltung" (Datenreport 2008,
S.100). Erwerbsarbeit hat außerdem eine zentrale Bedeutung für das psychische
und physische Wohlbefinden (vgl. Resetka/Liepmann/Frank 1996, S. 19). Im Fol-
genden sollen einige wichtige Funktionen von Erwerbsarbeit aufgeführt werden:
Die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz bieten ein
wichtiges soziales Kon-
taktfeld, um Menschen, außerhalb des engeren privaten sozialen Netzwer-
kes der Familie, kennen zu lernen. Insbesondere für Menschen mit Kontakt-
schwierigkeiten bietet der Arbeitsplatz einen gesicherten Rahmen mit geregelten
Beziehungen, aus denen auch Freundschaften entstehen können. Kollektive Ziel-
setzungen und das Gefühl, in einer Gruppe integriert und geschätzt zu sein sind
weitere wichtige soziale Funktionen der Arbeit. Ebenso die soziale Erfahrung der
Auseinandersetzung mit anderen Meinungen und der eigenen Stellungnahme.
Sie bilden notwendige Voraussetzungen für die
Entwicklung der Persönlichkeit
(vgl. ebd., S.19 f).
Erwerbsarbeit bietet dem Arbeitenden die Möglichkeit, sich als ,,nützlich, wertvoll
und wirkend" zu erfahren. Die Bestätigung durch äußere Anerkennung, aber auch
der Stolz auf die eigenen Leistungen dienen der
Aufrechterhaltung des Kompe-
tenzgefühls. Arbeit schafft einen Rahmen, um die eigenen Fähigkeiten zu erpro-
ben und so individuelle Möglichkeiten und Grenzen zu erleben. Grunderfahrungen
im Hinblick auf Autonomie und Abhängigkeit, Kompetenz und Selbstständigkeit
werden hier ermöglicht (vgl. Strehmel/Ulich, In: Oerter/Montada, S. 1088).

14
Eine zentrale Bedeutung hat Erwerbsarbeit außerdem für den
sozialen Status
und die
Identität des Menschen. Der soziale Status ergibt sich heute nicht mehr
durch die Geburt, sondern durch die Tätigkeit, die der Mensch ausübt. Durch
harte Arbeit und Ausbildung ist ein sozialer Aufstieg in der Regel möglich. Die
stetig wachsenden Anforderungen an Fachwissen, Eigenverantwortlichkeit und
individuelle Urteils- und Interpretationsfähigkeit sowie immer längere Bildungs-
zeiten binden die Arbeit immer stärker an die Persönlichkeit des Erwerbstätigen.
Die steigende Identifikation mit dem Beruf prägt das Selbstbild in hohem Maße
und hat so einen großen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Meh-
lich 2005, S. 53 f).
Nicht zu vernachlässigen ist der Aspekt der
zeitlichen Struktur, die die Erwerbs-
arbeit bietet. Sie bestimmt maßgeblich die Zeiteinteilung im Alltag und bietet eine
feste, als sinnvoll empfundene Zeitstruktur. Der gesamte gesellschaftliche Rhyth-
mus ist eingeteilt in Arbeitszeit und Freizeit, in Werks- Urlaubs- und Feiertage
(vgl. ebd., S. 54).
2.2 Arbeitslosigkeit und ihre Folgen
Fällt die Erwerbsarbeit für einen Menschen, der seine Arbeitsstelle verloren hat
­ aus welchen Gründen auch immer ­ weg, gehen auch die oben genannten
wichtigen Aspekte der Arbeit damit verloren. Er wird zur Neuorganisation und
Umstrukturierung seiner gewohnten Lebenssituation und zur Neuorientierung sei-
nes Lebensgefühls gezwungen. Gewohnte Handlungsmuster sind nicht mehr an-
wendbar und die eigene Identität sowie seine Rolle in der Gesellschaft sind nicht
länger durch die Arbeit definiert (vgl. Resetka/Liepmann/Frank 1996, S.19).
In den folgenden Kapiteln sollen die möglichen Veränderungen und Folgen der
Arbeitslosigkeit betrachtet werden, die der Arbeitsplatzverlust mit sich bringt. So-
wohl unmittelbar danach als auch mit anhaltender Arbeitslosigkeit.

15
Das Problem der Arbeitslosigkeit ist in Deutschland
schon seit der Weltwirtschaftskrise 1929/30 bekannt.
Seit Ende 1970 gehört Arbeitslosigkeit zu den größten
sozialen Problemen in Deutschland. Bis zum Jahr 2005
haben sich die Arbeitslosenzahlen stetig erhöht und trotz
der Entspannung auf dem Arbeitsmarkt ab 2006, kann
nicht von einer generellen Trendwende gesprochen
werden (Bundesagentur für Arbeit, Analytikreport der
Statistik 04/2008). Spätestens jetzt, nach den neuesten
wirtschaftlichen Ereignissen, der aktuellen Finanzkrise,
ist das Problem wieder in den Vordergrund gerückt.
Die Definitionen von Arbeitslosigkeit, die als Grundla-
ge für die Statistiken dienen, sind sehr unterschiedlich.
Laut statistischem Bundesamt gilt als erwerbslos ,,jede
Person im Alter von 15 bis 74 Jahren, die im Berichts-
zeitraum nicht erwerbstätig war und in den letzten vier
Wochen vor der Befragung aktiv nach einer Tätigkeit
gesucht hat" (Wingerter, In: Datenreport 2008, S. 110).
Für die Bundesagentur für Arbeit hingegen gelten als
arbeitslos ,,Personen, die als solche amtlich registriert
sind und sozialgesetzlichen Vorgaben entsprechen"
(ebd.).
So liegt es auf der Hand, dass allein durch diese Dis-
krepanz die Anzahl der Arbeitslosen je nach Definiti-
onsansatz variiert. Arbeitsmarktstatistiken des statis-
tischen Bundesamtes enthalten so Erwerbslose, die
die Bundesagentur für Arbeit nicht als arbeitslos zählt.
Außerdem werden Arbeitslose, die an Maßnahmen der
aktiven Arbeitsmarktpolitik teilnehmen, in der Statistik
nicht gezählt (vgl. ebd.). ,,Arbeitsmarktpolitische Instru-
mente führen allein durch ihren Einsatz zu einer sta-
tistischen Entlastung des Arbeitsmarktes. So werden
beispielsweise Teilnehmer an Arbeitsbeschaffungs-
oder Qualifizierungsmaßnahmen nicht als Arbeitslose
gezählt" (Wingerter, In: Datenreport 2008, S.120). Die
hier angeführten Zahlen, sind nach der Definition der
Bundesagentur für Arbeit angegeben.
Quelle: Bundesagentur für Arbeit (BA): www.arbeitsagentur.de,
Analytikreport der Statistik 04/2008
Quelle: Bundesagentur für Arbeit (BA): Arbeitsmarkt in Zahlen ­ Jahreszahlen, Analytikreport der Statistik 04/2008
Zahlen und Fakten II:
Arbeitslosigkeit heute
Die Verteilung der Arbeitslosen in Deutschland nach ausgewählten Merkmalen sah 2008 folgendermaßen aus:
Abb. 1
Abb. 2

16
2.2.1 Der Verlauf der Arbeitslosigkeit
Arbeitslosigkeit ist kein statischer Zustand in der Berufsbiografie eines Men-
schen, sondern ein Prozess permanenter Veränderungen. Dass Arbeitslosigkeit
in Phasen abläuft, ist allgemein anerkannt. Bereits in den dreißiger Jahren wurde
der Gedanke von Bakke (1933) entwickelt und seither stetig weiterentwickelt. Die
konkrete Phaseneinteilung unterscheidet sich zwar je nach Ansatz, das Spekt-
rum der möglichen Reaktionen bleibt aber gleich (vgl. Resetka/Liepmann/Frank
1996, S. 22).
Pelzmann (1988) beschreibt ein Vier-Phasen-Modell, das schon in der 30er Jah-
ren seinen Ursprung hatte und bis heute weiterentwickelt wurde. Es definiert den
Verlauf der Reaktionen als einen Zyklus der Anpassung:
1. Phase: Schock
In den ersten Monaten nach dem Arbeitsplatzverlust beschreibt sie eine anfäng-
liche Schockphase, in der der Erholungseffekt gegenüber den belastenden Kom-
ponenten überwiegt. Dem Stress der Bedrohung des Arbeitsplatzverlustes und der
Angst vor dem Eintritt in die Arbeitslosigkeit ist der Betroffene vorerst entkommen.
2. Phase: Aktivität
In der zweiten Phase betrachtet der Betroffene seine Arbeitslosigkeit als vorüber-
gehend und sieht in ihr eine willkommene Erholungspause. Er sucht zuversicht-
lich, aktiv und hoffnungsvoll nach einer neuen Arbeit.
3. Phase: Erschöpfung
Bleiben diese Versuche jedoch über einen längeren Zeitraum erfolglos, gerät er
in ein Stadium der Erschöpfung. Es dominieren Hoffnungslosigkeit und Pessimis-
mus; Spannungen in der Familie und im Bekanntenkreis nehmen zu.
4. Phase: Fatalismus
Die letzte Phase zeichnet sich durch Fatalismus und ein Gefühl der Ohnmacht
aus, selbst nichts mehr an der Situation ändern zu können. Ansprüche und Inte-

17
ressen werden eingeschränkt und die Ohnmacht führt bis zur Anpassung an das
Arbeitslosenschicksal (vgl. Pelzmann 1988, S. 11 f).
Viele solche und ähnliche Studien beschreiben derartige Verläufe. Pelzmann
gibt jedoch auch zu bedenken, dass man, wenn man die Texte liest, ,,sich des
Eindrucks nicht erwehren [kann], dass die Autoren ihren Aussagen implizit oder
explizit die Modelle der 30er Jahre unterlegen" (ebd., S. 15). Auch Epping, Klein
und Reuter (2001) sehen in diesen Verlaufsmodellen lediglich ein idealtypisches
Verlaufsmuster, das in der Realität in allen Variationen auftreten kann und auf
einen großen Teil der Arbeitslosen gar nicht zutrifft. Es kann eine Hilfe sein, die
Situation von Arbeitslosen zu verstehen, aber nicht, um ihr Verhalten schablo-
nenhaft einzuordnen. Mögliche Folgen für den Betroffenen, wenn die Situation
der Arbeitslosigkeit anhält, werden im folgenden Kapitel beschrieben.
2.2.2 Die Folgen von Arbeitslosigkeit
Die Reaktionen auf den Verlust des Arbeitsplatzes können sehr unterschiedlich
ausfallen, doch sind es auch heute noch überwiegend belastende Auswirkungen
für das Individuum. Negative Gefühle, Gefühle der Abhängigkeit, Druck zur An-
passung, Verlust wichtiger Rollen, Sinken des Selbstwertgefühls, Niedergeschla-
genheit, Stress, Ängstlichkeit, höhere Krankheitsraten, Suizidgefährdung sind
nur einige der möglichen Folgen (vgl. Strehmel/Ulich, In: Oerter/Montada 1995,
S. 1089). Inwieweit diese Effekte nun wirklich eintreffen, hängt von der individuel-
len Bewältigung ab. Faktoren, von denen diese maßgeblich abhängt, werden in
Kapitel 2.2.4 beschrieben. Dennoch lassen sich vier Bereiche ausmachen, in die
sich die wesentlichen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit gliedern lassen:
·
Finanzielle Folgen
·
Soziale Folgen
·
Veränderte Zeitstruktur und
·
Gesundheitliche Folgen.

18
2.2.2.1 Finanzielle Folgen
Wie in Kapitel 2.1 beschrieben, ist Erwerbsarbeit auch heute noch die Hauptquel-
le zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Verlust des Arbeitsplatzes bedingt für
viele Menschen materielle Einbußen. Maximal ein Jahr erhält der Betroffene Ar-
beitslosengeld, aber auch nur, wenn er zuvor auch die Anwartschaftszeit erfüllt,
d. h. lange genug versicherungspflichtig gearbeitet hat. Es handelt sich hierbei
nicht um eine Sozialleistung, sondern eine Sozialversicherungsleistung, für die
Beiträge gezahlt wurden und somit hängt sie vom ehemaligen Nettoeinkommen
ab. Alleinstehende bekommen davon 60 Prozent, für Arbeitslose mit Kindern sind
es 67 Prozent (vgl. Bundesagentur für Arbeit, Merkblatt für Arbeitslose, S. 23 ff).
Geht man davon aus, dass das frühere Einkommen vieler Arbeiter schon unter
dem allgemeinen Durchschnittseinkommen lag, geraten schon hier nicht wenige
Arbeitslose mit dieser Regelung unter die Armutsgrenze.
Ist die Zeit des Arbeitslosengeldes abgelaufen bzw. hat der Arbeitslose zuvor nicht
lange genug versicherungspflichtig gearbeitet, tritt das Arbeitslosengeld II ­ auch
Hartz IV genannt ­ in Kraft. Hierzu zählen ,,Leistungen zur Sicherung des Lebens-
unterhalts [(derzeit für eine alleinstehende Person 359 Euro) sowie] angemesse-
ne Kosten für Unterkunft und Heizung" (Bundesagentur für Arbeit, Merkblatt SGB
II, S. 23). Zusätzliche Bedarfe, etwa für Bekleidung oder Hausrat, werden nicht
anerkannt. Der gewohnte Lebensstandard ist damit in der Regel nicht mehr halt-
bar. Sind auch die letzten finanziellen Reserven irgendwann aufgebraucht, wer-
den Einschränkungen bei größeren Anschaffungen, Kino- oder Theaterbesuchen
sowie Kleidung unumgänglich (vgl. Barwinski Fäh 1990, S. 208).
2.2.2.2 Soziale Folgen
,,Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes geht ein wichtiges soziales Begegnungsfeld
verloren" (ebd., S. 209). Die Beziehungen zu den Kollegen am Arbeitsplatz, die
sich durch eine andere Beschaffenheit als emotionale private Beziehungen aus-
zeichneten, gehören nicht mehr zum Alltag.

19
Auch im Bereich der privaten Beziehungen kann es zu Problemen kommen.
Das Schamgefühl, das sich bei vielen Betroffenen aufgrund des Verlustes der
Arbeitsstelle einstellt, führt oft dazu, dass sie ihre aktuelle Situation aus Angst
vor Abwertung vor Verwandten, Bekannten und Nachbarn verschweigen. Diese
Geheimhaltung stellt eine sehr starke psychische Belastung dar und endet oft mit
einem kompletten Kontakt-Abbruch und Isolation (vgl. ebd., S.222 f).
In den Seminaren, die ich bisher bei der Firma M. gegeben habe, habe ich die
Teilnehmer oft zu diesem Punkt befragt. Diese sagten einstimmig aus, dass sie
ihre Situation nie verschwiegen hätten und auch keinen Sinn darin sähen. Jedoch
gaben sie auch zu bedenken, dass sich die Akzeptanz arbeitsloser Menschen in
den letzten Jahren definitiv verbessert hätte und sie sich nicht mehr in der unge-
wöhnlichen Außenseiterrolle befänden, wie noch vor einigen Jahren. Dennoch be-
stätigten viele, dass ihre sozialen Kontakte definitiv weniger geworden seien.
Eine mögliche Erklärung hierfür ist bei Mehlich (2005) zu finden. Dieser schreibt,
dass Arbeitslosigkeit noch bis in die 70er Jahre hinein nur ,,eine verschwindend
geringe Minderheit der Bevölkerung" (Mehlich 2005, S. 99) betraf. Die Entwick-
lung ging seitdem jedoch kontinuierlich dahin, dass immer mehr Menschen in im-
mer längeren Perioden von Arbeitslosigkeit betroffen waren. Durch eine erhöhte
Dynamik auf dem Arbeitsmarkt scheint Arbeitslosigkeit ,,eine normale Erfahrung
einer zunehmenden Zahl von Erwerbstätigen zu sein" (ebd. S.101). Konkrete,
aktuelle Studien zu der Veränderung des sozialen Ansehens konnte ich jedoch
leider nicht ausfindig machen.
Ebenso wie sich die Arbeitslosen von den Erwerbstätigen zurückziehen, ist auch
von Seiten der Erwerbstätigen eine Distanzierung nicht selten. Die Unterstel-
lungen der ,,Arbeitsunwilligkeit" von Seiten der Erwerbstätigen und die Behaup-
tung, dass alle eine Arbeit fänden, wenn sie nur suchen würden ­ die soziale
Abwertung und Stigmatisierung ­ sind in der Regel ein Mittel, um eine Barriere
zwischen sich und der ,,sozial negativen" Gruppe der Arbeitslosen zu schaffen.
Zum Schutz vor dem Wissen um die allgemeine Bedrohung ­ dass es jeden ein-
mal treffen kann ­ wird jeder Berührungspunkt mit den Arbeitslosen vermieden.

20
Die Annahme, dass diese Menschen anders seien und gar nicht wirklich arbeiten
wollen, bietet oft eine willkommene Schutzmaßnahme, um das Wissen um die
Willkür des Schicksals zu verdrängen (vgl. Prisching 1988, S. 109 f).
Diese ,,Abgrenzungswünsche besonders nach unten bleiben auch im Zustand
der Arbeitslosigkeit erhalten" (vgl. ebd., S. 104). Den meisten Arbeitslosen ist es
wichtig, sich von anderen Arbeitslosen abzugrenzen, um so die eigene, individu-
elle Identität aufrechtzuerhalten. ,,Arbeitslosigkeit bietet kein alternatives Identi-
tätskonzept" (Barwinski Fäh 1990, S. 236) zu dem am Arbeitsplatz erworbenen.
Der Kontakt zu anderen Betroffenen wird besonders zu Beginn der Arbeitslo-
sigkeit gemieden, um nicht zur ,,Gruppe der Arbeitslosen" zu gehören. Dieses
Verhalten macht eine Solidarität innerhalb der Gruppe der Arbeitslosen schwer
möglich (vgl. ebd., S. 236).
Die oben beschriebenen finanziellen Einbußen haben auch Auswirkungen auf
das soziale Leben der Betroffenen. Viele kulturelle und soziale Ereignisse sind
für Arbeitslose nicht mehr erreichbar. Eine Einladung zum Essen kann nicht er-
widert werden, ein Kinobesuch ist nicht mehr selbstverständlich. So kommt es
oft vor, dass sich die Arbeitslosen zurückziehen, von den Freunden abwenden
und schließlich sogar immer mehr Isolation und Einsamkeit erfahren (vgl. ebd.,
S. 208). Barwinski Fäh (1990) beschreibt jedoch auch, dass der Freundes- und
Bekanntenkreis vieler Arbeitsloser sich zwar verkleinert, dafür jedoch oft die Be-
ziehungen zu den engsten Freunden umso enger werden. Diese Unterstützun-
gen weniger, aber guter Freunde stellt einen wichtigen Entlastungsfaktor für die
Betroffenen dar.
Den Arbeitsplatz zu verlieren, bedeutet außerdem den Verlust wichtiger Rollen-
identitäten. Nicht nur die Rolle als arbeitendes Mitglied der Gesellschaft geht ver-
loren ­ also das Gefühl nützlich und geachtet in der Arbeitsgesellschaft zu leben
­ sondern auch die Rolle innerhalb der Familie. Während es Frauen oft mög-
lich ist, den Verlust dieser Rolle mit einer Alternativrolle als Hausfrau und Mutter
zu kompensieren, geht dem Mann die klassische und oft noch vorherrschende
Rollenfunktion des Familienoberhauptes und Ernährers der Familie verloren. Als
Arbeitsloser empfindet er sich als soziale Belastung, denn die finanzielle Abhän-

21
gigkeit und die vermehrte Zeit, die der arbeitslose Partner nun zu Hause verbringt,
stellt so manche Beziehung auf eine harte Probe. Der Verlust dieser Rolle nährt
in vielen Fällen Schuldgefühle und Selbstzweifel (vgl. ebd., S. 210). Aber gerade
die Beziehung zum Partner wird in dieser Krisensituation umso wichtiger. Kann
der Betroffene seine Selbstzweifel und Sorgen in die Beziehung einbringen und
erfährt Verständnis und Rückhalt, so ist die Familie ein besonders wichtiger Faktor
zur positiven Bewältigung der Krise.
2.2.2.3 Veränderte Zeitstruktur
Mit dem Eintritt in die Arbeitslosigkeit entfällt für den Arbeitslosen die Arbeitszeit
und er verfügt damit gezwungenermaßen über mehr freie Zeit. Die ehemals kost-
bare Freizeit ist jetzt im Überfluss vorhanden. Ohne den Gegenpol Arbeitszeit
stellt diese zusätzliche Zeit aber nicht automatisch mehr Freizeit dar (vgl. Opa-
schowski 1983, S. 66).
Laut Brockhaus (2009) wird Freizeit folgendermaßen definiert:
,,Freizeit ­ die dem Berufstätigen außerhalb der Berufsarbeit verbleibende
Zeit, die einer selbst bestimmten und selbst gestalteten Tätigkeit zur Ver-
fügung steht. [...]"
(Brockhaus 2009, S. 296)
Freizeit ist nach dieser Definition etwas, was nur Berufstätigen zur Verfügung
steht. Jemand, der ohne Arbeit ist, hat demzufolge auch keine Freizeit. ,,Der Ar-
beitslose steht vor dem Dilemma, viel Zeit zu haben und gleichzeitig viel Zeit
vergeuden zu müssen, weil sie wertlos geworden ist und ihren Sinn verloren hat."
(Opaschowski 1983, S.67)
Hinzu kommt, dass ehemalige Hobbys und andere Freizeitaktivitäten häufig aus
finanziellen Gründen eingeschränkt oder ganz aufgegeben werden müssen. Die
neu entstandene freie Zeit kann demzufolge dann auch nicht mit diesen Aktivitä-
ten gefüllt werden.

Eines der bekanntesten Ergebnisse
hierzu weist die Studie von Marie Jaho-
da und Paul Lazarsfeld über die Arbeits-
losen von Marienthal in den 30er Jahren
auf. Jahoda beschreibt die gewonne-
ne Freizeit als ,,tragisches Geschenk"
(Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel 1980, S. 83),
weil die materiellen und sozialen Mög-
lichkeiten die Betroffenen einschränken,
Zeit zu verwenden. Die erhobenen Zeit-
verwendungsbögen zeigten sehr an-
schaulich, wie das soziale Leben in Ma-
rienthal erlahmte und die Strukturierung
der Zeit verloren ging. Nach der Werks-
schließung wurden die Tage in Marien-
thal meist gleichförmig und inhaltsarm
verbracht. Die Hauptbeschäftigung be-
stand im sogenannten ,,Nichtstun" (Zu
Hause sitzen, spazieren gehen, auf der
Straße stehen, etc.) (vgl. ebd., S. 83 ff).
Zwar sind nach Pelzmann die ,,finan-
ziellen Voraussetzungen und die wirt-
schaftlichen Bedingungen, sich
nach dem Verlust des Arbeitsplatzes
selbst zu beschäftigen [...] [seit den
30er Jahren] gestiegen" (Pelzmann
1988, S.15), sie stellt jedoch auch
zu Recht die Frage, ob ein höheres
Bildungsniveau, ein höherer Lebens-
standard und ein besserer Gesund-
heitszustand gegen die destruktive,
lähmende Wirkung des Entzugs von
Arbeit sinnvoll genutzt werden. ,,Die
ZuF III: Die Arbeitslosen von Marienthal
Ein soziographischer Versuch über die
Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit
Marienthal ist eine kleine Arbeitersiedlung in Niederös-
terreich, nahe Wien, dessen einziger großer Betrieb und
bedeutendster Arbeitgeber, die Textilfabrik Marienthal,
aufgrund der Wirtschaftskrise im Jahre 1930 schloss,
und so ein ganzes Dorf auf einen Schlag arbeitslos wer-
den ließ.
Marie Jahoda und Paul F. Lazarsfeld leiteten ein sieb-
zehn Personen umfassendes Projektteam, das sich
einige Wochen in Marienthal aufhielt und anhand von
Berichten, Briefen, statistischen Daten, Beobachtungs-
protokollen, etc. ein umfassendes Bild der Entwicklung
der Bewohner dieses Dorfes lieferte. Unter ebenso
strenger wie misstrauischer Beobachtung der örtlichen
Gendarmerie nahmen sie am Gemeindeleben teil, orga-
nisierten eine Winterhilfe-Aktion, beobachteten und be-
fragten die Dorfbewohner und konnten so tiefgreifende
Einblicke in die Veränderungen des Dorflebens und der
Menschen erhalten.
Mehr Informationen und Bilder unter:
http://agso.uni-graz.at/marienthal
Quelle: Archiv für
die Geschichte
der Soziologie in
Österreich (Graz),
Virtuelles Archiv
»Marienthal«
Marienthaler
Arbeiter an der
Feilbach-Brücke,
Hauptstraße.
Abriss des
Färberei-,
Wäscherei- und
Druckereikom-
plexes der Textil-
fabrik Marienthal
1930/31.

23
psychische Anstrengung, die es verlangt, sich aus eigener Kraft regelmäßig zu
beschäftigen, überfordert die meisten Menschen" (ebd., S.16). Dies ist beson-
ders dann zu beobachten, wenn ihnen diese Aufgabe jahrzehntelang abgenom-
men wurde.
Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes wird der Betroffene also aus seinem gewohn-
ten Lebensrhythmus im Wechsel von Arbeit und Freizeit freigesetzt. Die vertraute
Tages- und Wochenstruktur geht verloren. In der Untersuchung von Barwins-
ki Fäh (1990) geben die Betroffenen an, es sei eine Belastung, außerhalb des
biologischen Tagesrhythmus ­ Aufstehen, Schlafengehen, Essenszeiten ­ keine
Orientierungspunkte mehr zu haben. ,,Sich selbst Fixpunkte zu setzen oder Pläne
aufzustellen, machte den meisten der Befragten Schwierigkeiten" (Barwinski Fäh
1990, S. 226).
Nach Pelzmann (1988) lässt sich zusätzlich erkennen, dass besonders Männer
die Zeit einfach vergehen lassen und sich nichts für den nächsten Tag vornehmen,
während viele Frauen ihren Tagesablauf durch Tätigkeiten im Haus viel stärker
strukturieren, wodurch bei ihnen dieses Problem weniger stark ausgeprägt ist (vgl.
Pelzmann 1988, S.110). Auch bei den Arbeitslosen von Marienthal ließ sich eine
Bestätigung dieser Aussage finden. Bei einer Messung der Gehgeschwindigkeit
auf der Dorfstraße zeigte sich, dass sich die Männer im Vergleich zu den Frauen
langsamer fortbewegten und häufiger stehen blieben, da sie sich für die Aktivitä-
ten im Haushalt nicht zuständig fühlten und somit kaum feste Aufgaben hatten, die
ihren Tagesablauf strukturierten (vgl. Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel 1980, S. 83 f).
Dieser unproduktive Umgang mit der Zeit, die Schwierigkeit, Pläne zu entwickeln,
führt mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit zu einer tiefgehenden Verun-
sicherung, bis hin zur Identitätskrise. Oft geht die Zukunftsperspektive verloren.
Diese Ungewissheit über die eigene Zukunft stellt für einen Großteil der Betroffe-
nen die größte Belastung dar (vgl. Barwinski Fäh 1990, S. 226).

24
2.2.2.4 Gesundheitliche Folgen
Betrachtet man zunächst die individuelle Beurteilung der Gesundheitszufrieden-
heit der Arbeitslosen und nicht den realen Gesundheitszustand, so belegt eine
Studie von Elkeles und Seifert (1992), dass ,,die durchschnittliche Gesundheits-
zufriedenheit Arbeitsloser deutlich unter der der Erwerbstätigen liegt" (Resetka/
Liepmann/Frank 1996, S. 28).
Auch aktuellere Zahlen des Datenreports 2008 bestätigen diese Differenzen.
Während über 58 Prozent der Erwerbstätigen ihren Gesundheitszustand mit
,,gut" beurteilen, sind es nur 37 Prozent der Arbeitslosen. Einen ,,schlechten" Ge-
sundheitszustand geben hingegen 27 Prozent der Arbeitslosen an, während es
sich bei den Erwerbstätigen nur um 10 Prozent handelt (vgl. Andersen/Grabka/
Schwarze, In: Datenreport 2008, S. 262). Besonders Arbeitslose, die sich als
Hauptverdiener sehen und bereits länger als ein Jahr arbeitslos sind, geben ihren
Gesundheitszustand als ,,schlecht" an (vgl. Robert-Koch-Institut, Gesundheits-
berichterstattung des Bundes, 2003, S. 9). Dies macht deutlich, dass auch die
Dauer der Arbeitslosigkeit einen starken negativen Einfluss auf die individuelle
Gesundheitszufriedenheit hat. Die folgende Darstellung des Bundes-Gesund-
heitssurveys zeigt dies sehr deutlich:
Quelle: Bundes-Gesundheitssurvey 1998, In: Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 13, S. 9
Abb.3

25
Psychische Beschwerden
In Anbetracht der oben aufgeführten möglichen Folgen von Arbeitslosigkeit im fi-
nanziellen und sozialen Bereich ist es nicht verwunderlich, dass die Situation der
Arbeitslosigkeit zu einer Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens füh-
ren kann. Mit dem Arbeitsplatz geht die wichtigste Quelle für das Gefühl verloren,
auf die eigenen Leistungen stolz sein zu können. Lebensfreude und Zufrieden-
heit schwinden, stattdessen zeigen sich Unsicherheit, innere Spannungen, De-
pressionen und Erschöpfungszustände. Fehlt die regelmäßige Selbstbestätigung
durch die erfolgreiche Arbeitstätigkeit, nimmt das Selbstvertrauen in die eigenen
Fähigkeiten mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit ab und das Kompetenz-
gefühl wird beeinträchtigt (vgl. Barwinski Fäh 1990, S. 208). Untersuchungen
von Pelzmann (1988) bestätigen, dass es einen signifikanten Zusammenhang
zwischen der Arbeitslosendauer und der Anzahl der depressiven Tage gibt sowie
auch vermehrte seelische Probleme und Stimmungstiefs (vgl. Pelzmann 1988, S.
36). Weitere, oft genannte, psychische Beschwerden, die sich aus der Unzufrie-
denheit mit der aktuellen Lebenssituation ergeben, sind: Ängstlichkeit, Niederge-
schlagenheit, psychischer Stress, Hoffnungslosigkeit, Schlaflosigkeit, Gleichgül-
tigkeit, Nervosität und Suizidgedanken, um hier nur einige zu nennen.
Somatische Beschwerden
Betrachtet man nun die somatischen Beschwerdebilder Arbeitsloser, so sind auch
diese schwer zu fassen und nicht durch gut definierbare, klar voneinander ab-
grenzbare Symptome gekennzeichnet. Eher sind diese unspezifisch und schwer
differenzierbar vom psychischen Bereich. Oft bildet Stress den Hintergrund für
viele psychosomatische Beschwerden.

26
Die Daten des Schwerpunktheftes ,,Arbeitslosigkeit und Gesundheit" (2003) des
Bundes-Gesundheitssurveys zeigen jedoch einige relevante Ergebnisse:
Zunächst einmal unterscheidet sich das gesundheitsbezogene Verhalten der Ar-
beitslosen von dem der Erwerbstätigen. Hier wurden Unterschiede im Bezug auf
Rauchen, Alkoholkonsum, Ernährung und körperliche Aktivität untersucht. Beim
Tabakkonsum und körperlichen Aktivitäten lassen sich deutliche Unterschiede
feststellen. Während lediglich 34 Prozent der berufstätigen Männer angaben,
zum Zeitpunkt der Befragung täglich zu rauchen, sind es unter den Arbeitslosen
mit 49 Prozent anteilig deutlich mehr. Außerdem gaben weniger arbeitslose Män-
ner an, regelmäßig Sport zu treiben (vgl. Robert-Koch-Institut, Gesundheitsbe-
richterstattung des Bundes, 2003, S. 8).
Bezüglich der Ernährung lässt sich nur feststellen, dass sie bei den Erwerbslo-
sen deutlich preisbewusster ist. Hinsichtlich der Höhe des Alkoholkonsums lie-
ßen sich hingegen keine wesentlichen Unterschiede zwischen Arbeitslosen und
Erwerbstätigen erkennen. Bei denjenigen allerdings, die schon vor der Arbeits-
losigkeit viel getrunken haben, ist ein verstärkter Alkoholkonsum zu verzeichnen
(vgl. Epping/Klein/Reutter 2001, S. 49). Auch die Messwerte von Körpergewicht,
Blutdruck und Cholesterin unterschieden sich nur gering.
Deutlich ist jedoch der Unterschied in der Häufigkeit der Inanspruchnahme ärzt-
licher Leistungen (Im Mittel: Arbeitslose: 9,8 Kontakte; Berufstätige: 7,1 Kontakte
pro Jahr), was sicherlich nicht zuletzt mit der geringeren Gesundheitszufrieden-
heit vieler Arbeitsloser zu erklären ist (vgl. Robert-Koch-Institut, Gesundheits-
berichterstattung des Bundes, 2003, S. 10 f). Ebenso wurden bei Arbeitslosen
deutlich mehr Krankenhaustage registriert. Die mit Abstand deutlichsten Unter-
schiede in der Diagnose sind hierbei hinsichtlich stationärer Aufenthalte aufgrund
psychischer Störungen erkennbar:

27
Insgesamt lassen doch einige Ergebnisse darauf schließen, dass Arbeitslosigkeit
und Gesundheit in irgendeiner Weise zusammenhängen. Besonders die Anzahl
der psychischen Störungen und die geringe Gesundheitszufriedenheit sind hier-
bei auffällig.
Ungeklärt bleibt jedoch die Frage, ob die Arbeitslosigkeit zu den Erkrankungen
führte oder die Erkrankung der Grund für die Arbeitslosigkeit war. Ein Selekti-
onseffekt ist bei dem derzeitigen Überangebot von Arbeitskräften naheliegend:
,,Kränkere Arbeitnehmer sind häufiger weniger wettbewerbsfähig, werden dem-
nach eher entlassen und seltener wieder eingestellt" (ebd., S. 17). Arbeitslosigkeit
als Ursache von Erkrankungen lässt sich hingegen schwer nachweisen, da die
Arbeitslosen selten schon vor der Entlassung untersucht wurden. In Fällen von
Werksschließungen, bei denen alle untersuchten Erwerbstätigen arbeitslos wer-
den, fehlt die entsprechende Kontrollgruppe. Außerdem können bei somatischen
Beschwerden große zeitliche Verzögerungen auftreten (wie z.B. Herz-Kreislauf-
Erkrankungen), so dass sie nicht mehr mit der Arbeitslosigkeit in Verbindung ge-
bracht werden können (vgl. ebd., S. 18).
Quelle: Gmünder Ersatzkasse (GEK), Daten 2000, altersstandardisiert, In: Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 13, S. 12
Abb.4

28
Auch die Gesundheitszufriedenheit ist eine individuelle Bewertung und nicht unab-
hängig von der jeweiligen Lebenssituation. Symptome, die zu Arbeitszeiten bedeu-
tungslos waren und unbeachtet blieben, können bei erhöhter Selbstaufmerksamkeit
ernster genommen werden (vgl. Resetka/Liepmann/Frank 1996, S. 28). Bereits be-
stehende Probleme, wie individuelle Verhaltensprobleme, Alkoholismus oder eben
auch gesundheitliche Probleme werden oft verstärkt (vgl. Pelzmann 1988, S. 19).
Festhalten lässt sich in jedem Fall zusammenfassend, dass ,,ein großer Teil der
Arbeitslosen weniger gesund ist als Beschäftigte, aber je ,körperlicher' die Be-
schwerde ist, desto geringer ist der Unterschied. Das vermittelnde Glied zwi-
schen Arbeitslosigkeit und Gesundheit ist in vielen Fällen die Bewertung der in-
dividuellen Situation als Bedrohung der eigenen Person. Dabei ist sekundär, ob
es sich um tatsächliche oder vermeintliche Bedrohungen handelt. Der wesentli-
che Teil psychischer Erkrankungen entsteht durch Belastungen bzw. Stress, und
zwar desto ausgeprägter, je mehr emotionale Reaktionen auf die Arbeitslosigkeit
vorliegen" (Resetka/Liepmann/Frank 1996, S. 39).
Die hier beschriebenen möglichen Folgen von Arbeitslosigkeit sind nicht statisch.
Im Folgenden werden Mechnismen beschrieben, die sich besonders in den spä-
teren Phasen der Arbeitslosigkeit zeigen und eine stetige Verschärfung der Situ-
ation darstellen.
2.2.3 Die Teufelskreise der Arbeitslosigkeit
Strehmel und Ulrich (1995) haben die Verhaltensmechanismen, die das Handeln
und Leben in der Arbeitslosigkeit beeinflussen, fünf ,,Teufelskreisen" zugeordnet. Mit
zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit nehmen die beschriebenen Probleme zu:
Der motivationale Teufelskreis
Die Motivation, sich bei der Arbeitssuche auf neue Arbeitsmöglichkeiten einzustellen
und ein Interesse daran zu entwickeln, läuft durch wiederholte Absagen auf Bewer-
bungen immer wieder ins Leere. Immer größere Anstrengungen werden notwendig
zur Entwicklung neuer inhaltlicher Interessen an der Arbeit. Ökonomische Ziel treten
in den Vordergrund und es entsteht eine Jobmentalität.

29
Der emotionale Teufelskreis
Aktive, planvolle Bewältigungsversuche werden durch die hohen emotionalen
Belastungen der Situation verhindert. Verschlechtert sich jedoch mit zunehmen-
der Dauer der Arbeitslosigkeit die finanzielle und soziale Lage weiter, wird die
Überforderung noch größer. Die Person wird noch stärker belastet als zuvor und
dadurch in ihrer Handlungsfähigkeit weiter eingeschränkt.
Der kognitive Teufelskreis
Das Erleben, keinen Einfluss auf die gegenwärtigen und zukünftigen Handlungen
zu haben, wird als Kontrollverlust empfunden. Dies wird im Verlauf der Arbeits-
losigkeit immer mehr verstärkt. Die wiederholte Erfahrung, dass Aktivitäten nicht
zum Ziel führen, endet in einem Gefühl der Ohnmacht und hat zur Folge, dass
immer weniger Bewältigungsversuche unternommen werden.
Der aktionale Teufelskreis
Aktive Bewältigungsversuche schlagen fehl. Dies hat zur Folge hat, dass die Be-
troffenen Misserfolge meiden, indem sie sich seltener bewerben, was wiederum
die Chancen des Erfolges, also einer Wiederbeschäftigung, reduziert.
Der soziale Teufelskreis
Die Beziehungen am Arbeitsplatz fallen weg, die privaten Beziehungen werden
zunehmend belastet und die Unterstützung schwächer. Der Betroffene zieht sich
immer mehr zurück und gerät durch fehlende soziale Interaktion mehr und mehr
in die soziale Isolation.
Die Teufelskreise sind in ihrer Eigendynamik nur schwer zu durchbrechen und
nehmen ­ je nach Persönlichkeitsdisposition ­ unterschiedlich stark Einfluss auf
den Lebensalltag. Langfristig können sie zu Orientierungslosigkeit, Passivität,
Hilflosigkeit und sozialer Isolation führen (vgl. Strehmel/Ulrich In: Oerter/Montada
1995, S. 1091 ff).
Faktoren, die unterstützend wirken, mit den Belastungen umzugehen und die
Teufelskreise zu durchbrechen, werden im folgenden Kapitel aufgeführt.

30
2.2.4 Die individuelle Bewältigung von Arbeitslosigkeit
Wie schon oben erwähnt, verlaufen die Reaktionen auf Arbeitslosigkeit natürlich
nicht bei allen Menschen in gleicher Form (vgl. Epping/Klein/Reutter 2001, S. 44).
Die oben beschriebenen Folgen sind jedoch mögliche Verhaltensweisen und Kon-
sequenzen, die häufig beschrieben werden und in unterschiedlichen Konstellationen
und Stärken auftreten können. Die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit hängen ab von
unterschiedlichen ,,gegebenen ökonomischen und gesellschaftlichen Einflüssen, der
individuellen Lebenslage und der individuellen Konstellation von belastenden und
entlastenden Faktoren" (Strehmel/Ulich, In: Oerter/Montada 1995, S. 1090).
Im Folgenden werden einige Faktoren aufgezählt, die die Bewältigung von Ar-
beitslosigkeit und ihre Auswirkungen beeinflussen:
Wohl einer der wichtigsten Faktoren, der die Bewältigung von Arbeitslosigkeit
positiv beeinflusst, ist die Chance einer
,,Reserve-Option" ­ einer alternativen
Beschäftigung oder Aufgabe zu der verlorenen Arbeitsstelle ­ die einem keiner
streitig machen oder wegnehmen kann. Eine Beschäftigung, die fordert und die
Persönlichkeit bestärkt, macht den Menschen autonom und weniger verwund-
bar. Außerdem hilft sie, die Zeit weiterhin einigermaßen zu strukturieren. Dies
kann eine Aushilfstätigkeit, Schwarzarbeit oder ein Hobby sein, für viele Frauen
ist es die Versorgung ihrer Familie. Kreativität, Interaktionskompetenz oder eine
besondere handwerkliche oder geistige Fähigkeit sind dabei von Vorteil, um eine
solche Reserve-Option zu entwickeln (vgl. Pelzmann 1988, S. 82 ff).
Ebenso bietet die Möglichkeit einer
Alternativrolle als Hausfrau, Mutter oder Früh-
rentner einen Schutz vor der destruktiven Wirkung von Arbeitslosigkeit. Mit diesem
gesellschaftlich akzeptierten Status lässt sich der Austritt aus dem Erwerbsleben
leichter begründen (vgl. Kieselbach, In: Wittig-Koppe/Trube 2000, S. 28).
Ein
stützendes soziales Umfeld bietet eine große Hilfe in kritischen Lebensereig-
nissen. Bleiben soziale Beziehungen zu Freunden und zur Familie erhalten und er-
fahren die Betroffenen Unterstützung von diesen, lässt sich der Arbeitsplatzverlust
leichter bewältigen als in sozialer Isolation (vgl. ebd., S. 28).

31
Auch die
Dauer der Arbeitslosigkeit beeinflusst die persönliche Bewältigung
der Situation. Resignation kann eine Folge von langer Erwerbslosigkeit sein. Je-
doch wird eine Anpassung an die Lebenssituation oft verhindert, durch die mit der
Dauer der Arbeitslosigkeit zunehmenden Sorgen und finanziellen Schwierigkei-
ten (vgl. ebd., S. 27).
Die
bisher erworbenen Qualifikationen nehmen in zweifacher Weise Einfluss
auf die persönliche Bewältigung von Arbeitslosigkeit. Zum einen ist die Berufs-
aussicht auf dem Arbeitsmarkt umso schlechter, je niedriger die Qualifikation ist.
Zum anderen verfügen Personen mit einem geringeren Bildungsstand zumeist
über weniger Bewältigungsstrategien (vgl. ebd.).
Die
aktuelle Lebensphase, in der sich der Arbeitslose befindet, beeinflusst die
Bewältigungsstrategien, mit denen er der Arbeitslosigkeit begegnet. Ist er jung,
ungebunden und hat noch nie gearbeitet, oder so alt, dass er vorzeitig in Rente
gehen kann, ist die Situation der Arbeitslosigkeit leichter zu gestalten, als wenn
er die Verantwortung nicht nur für sich, sondern auch für eine Familie trägt (vgl.
ebd.). Besonders Männer, die ihrer ursprünglichen Rolle als Versorger plötzlich
nicht mehr gerecht werden können, leiden oft unter Schuldgefühlen und Selbst-
zweifeln (vgl. Barwinski Fäh 1990, S. 210).
Außerdem spielt die Frage der
Schuldzuschreibung eine wichtige Rolle. Je nach-
dem, ob jemand die Ursachen für seine Arbeitslosigkeit sich selbst zuschreibt oder
äußeren Faktoren, reagiert er entsprechend auf die Krise. Betroffene, die zu inter-
ner Schuldzuschreibung tendieren, neigen häufiger zu depressiven Reaktionen,
sind aber auch oft aktiver bei der Stellensuche. Diejenigen, die vor allen Dingen
äußere Kräfte und die Gesellschaft verantwortlich machen, nehmen eine eher
abwartende Haltung ein (vgl. Epping/Klein/Reutter 2001, S. 57 f).
Die vorigen Kapitel stellen den Einfluss der Arbeitslosigkeit auf die Betroffenen
dar. Warum aber einige Menschen eine neue Arbeit finden und andere in die
Gruppe der Langzeitarbeitslosen eintreten soll im folgenden Kapitel näher erläu-
tert werden.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836645874
DOI
10.3239/9783836645874
Dateigröße
3.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel – Philosophische Fakultät, Erziehungswissenschaft
Erscheinungsdatum
2010 (April)
Note
1,0
Schlagworte
arbeitslosigkeit gruppenarbeit selbstkompetenz seminarplan reflexion
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