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Der Begriff des Versprechens bei Hannah Arendt und Paul Ricoeur

©2009 Magisterarbeit 104 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Versprechen werden im Alltag in den verschiedensten Kontexten gegeben, gehalten und gebrochen. Der Begriff Versprechen umfasst zum einen den Sprechakt ‘Ich verspreche…’ und zum anderen den Inhalt, also das, was konkret versprochen wird. Durch sein Wort legt sich der Versprechende darauf fest, zu einem zukünftigen Zeitpunkt eine bestimmte Handlung auszuführen bzw. zu unterlassen. Die Verpflichtung zur Einhaltung, die sich durch die Äußerung der Worte ‘Ich verspreche…’ konstituiert, ist das bestimmende Charakteristikum des Versprechensphänomens. Obwohl die Erfüllung von Versprechen im alltäglichen Kontext nicht einklagbar ist und kein explizites Gesetz das Halten des gegebenen Wortes vorschreibt, ist man im Allgemeinen davon überzeugt, dass Versprechen gehalten werden müssen und dass der Empfänger ein Recht auf die Einlösung des Versprochenen hat. Wortbruch und falsche Versprechen, die von vornherein ohne die Absicht geäußert werden, das Versprochene tatsächlich einzulösen, werden von Adressaten, aber auch unbeteiligten Dritten als Vertrauensmissbrauch empfunden. Derjenige, der seine Versprechen bricht und auf diese Weise seine Mitmenschen enttäuscht, läuft Gefahr, dass ihm nicht mehr vertraut bzw. geglaubt wird und dass ihm zukünftig keine Versprechen mehr abgenommen werden.
Zugleich ist es aber grundsätzlich unmöglich, die Zukunft vorherzusehen und zu beherrschen. Innerhalb der Zeitspanne zwischen dem Geben und dem Einlösen von Versprechen können sich die Umstände so ändern, dass das Einhalten unmöglich wird: die Handlungsfähigkeit des Gebers des Versprechens kann zwischenzeitlich durch Krankheit oder Unfall eingeschränkt werden, durch dringende Notfälle können zeitliche Probleme entstehen, die die Ausführung der versprochenen Tat verhindern, die Einlösung des Versprochenen, das ursprünglich zum Vorteil des Empfängers dienen sollte, kann ihm durch veränderte Umstände nun schaden usw.
Seit Seneca und Cicero über Kant bis heute ist das Versprechensphänomen immer wieder Gegenstand philosophischer Untersuchungen. Im antiken römischen Recht kommt es beispielsweise vor allem als Grundlage für die Verbindlichkeit von Pakten und Verträgen in den Blick. Philosophiehistorisch steht häufig die (oftmals unter juridischen Vorzeichen aufkommende) Frage im Mittelpunkt steht, welche besondere Art von Verpflichtung Versprechen bzw. Verträgen zugrunde liegt und ob sie unter allen Umständen zu halten sind.
Durch die Konzentration auf […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vera Ohlendorf
Der Begriff des Versprechens bei Hannah Arendt und Paul Ricoeur
ISBN: 978-3-8366-4425-9
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland, Magisterarbeit, 2009
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http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

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57
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60
3.3. Selbigkeit und Selbstheit
66
3.4.
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72
3.5. Die Ontologie des Selbst
86
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1
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vollständige bibliographische Angaben im Literaturverzeichnis
$QHUNHQQXQJ
Paul Ricoeur, Wege der Anerkennung. Erkennen,
Wiedererkennen, Anerkanntsein
(QTXLU\
David Hume, Enquiry Concerning the Principles of Morals
(VVD\V
David Hume, Of the Original Contract, in: ders.: Selected
Essays
6D$
Paul Ricoeur, Das Selbst als ein Anderer
7UHDWLVH
David Hume, A Treatise of Human Nature
hEHU GDV %|VH
Hannah Arendt, Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der
Ethik
9LWD $FWLYD
Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben
9RP /HEHQ GHV *HLVWHV
Hannah Arendt, Vom Leben des Geistes. Das Denken. Das
Wollen

2
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Versprechen werden im Alltag in den verschiedensten Kontexten gegeben, gehalten und
gebrochen. Der Begriff Versprechen umfasst zum einen den Sprechakt ,,Ich
verspreche..." und zum anderen den Inhalt, also das, was konkret versprochen wird.
1
Durch
sein Wort legt sich der Versprechende darauf fest, zu einem zukünftigen Zeitpunkt eine
bestimmte Handlung auszuführen bzw. zu unterlassen. Die Verpflichtung zur Einhaltung,
die sich durch die Äußerung der Worte ,,Ich verspreche..." konstituiert, ist das
bestimmende Charakteristikum des Versprechensphänomens. Obwohl die Erfüllung von
Versprechen im alltäglichen Kontext nicht einklagbar ist und kein explizites Gesetz das
Halten des gegebenen Wortes vorschreibt, ist man im Allgemeinen davon überzeugt, dass
Versprechen gehalten werden müssen und dass der Empfänger ein Recht auf die Einlösung
des Versprochenen hat. Wortbruch und falsche Versprechen, die von vornherein ohne die
Absicht geäußert werden, das Versprochene tatsächlich einzulösen, werden von Adressaten,
aber auch unbeteiligten Dritten als Vertrauensmissbrauch empfunden. Derjenige, der seine
Versprechen bricht und auf diese Weise seine Mitmenschen enttäuscht, läuft Gefahr, dass
ihm nicht mehr vertraut bzw. geglaubt wird und dass ihm zukünftig keine Versprechen
mehr abgenommen werden.
Zugleich ist es aber grundsätzlich unmöglich, die Zukunft vorherzusehen und zu
beherrschen. Innerhalb der Zeitspanne zwischen dem Geben und dem Einlösen von
Versprechen können sich die Umstände so ändern, dass das Einhalten unmöglich wird: die
Handlungsfähigkeit des Gebers des Versprechens kann zwischenzeitlich durch Krankheit
oder Unfall eingeschränkt werden, durch dringende Notfälle können zeitliche Probleme
entstehen, die die Ausführung der versprochenen Tat verhindern, die Einlösung des
Versprochenen, das ursprünglich zum Vorteil des Empfängers dienen sollte, kann ihm
durch veränderte Umstände nun schaden usw.
2
Seit Seneca und Cicero über Kant bis heute ist das Versprechensphänomen immer wieder
Gegenstand philosophischer Untersuchungen.
3
Im antiken römischen Recht kommt es
1
Vgl. Gloyna,
9HUVSUHFKHQ S. 904.
2
Liebsch,
*HJHEHQHV :RUW RGHU JHOHEWHV 9HUVSUHFKHQ 4XHOOHQ XQG %UHQQSXQNWH GHU 6R]LDOSKLORVRSKLH, S.
22: ,, Niemals kann der Versprechende garantieren, dass er Wort halten wird. Wer das Gegenteil beteuert, wird
nur umso unglaubwürdiger erscheinen. Ein Versprechen ist keine sichere Vorhersage."
3
Vgl. Liebsch,
*HJHEHQHV :RUW RGHU JHOHEWHV 9HUVSUHFKHQ 4XHOOHQ XQG %UHQQSXQNWH GHU 6R]LDOSKLORVRSKLH.

3
beispielsweise vor allem als Grundlage für die Verbindlichkeit von Pakten und Verträgen
in den Blick. Philosophiehistorisch steht häufig die (oftmals unter juridischen Vorzeichen
aufkommende) Frage im Mittelpunkt steht, welche besondere Art von Verpflichtung
Versprechen bzw. Verträgen zugrunde liegt und ob sie unter allen Umständen zu halten
sind.
4
Durch die Konzentration auf das Problem des Zustandekommens der Verpflichtung treten
andere Aspekte lange in den Hintergrund.
5
Weshalb existiert die Versprechenspraxis
überhaupt, weshalb gehen Menschen freiwillig Verpflichtungen gegenüber Anderen ein,
obwohl sie doch offensichtlich nicht umfassend für deren Einlösung garantieren können?
Welche Art von Verbindlichkeit liegt dem Versprechen zugrunde, das nicht nur einzelne
Menschen aneinander bindet, sondern auch auf der Ebene politischer oder wirtschaftlicher
Institutionen als Grundlage von Verträgen verstanden werden kann? Welche Rolle spielt
das Versprechen für die Konstituierung eines politischen Gemeinwesens bzw. des
öffentlichen Raumes? Greift die Rechtspraxis, die auf gesetzlicher Ebene die Einhaltung
von Verträgen erzwingen kann, nicht auf eine präjuridische Verbindlichkeit zurück, die in
der Sozialität des Menschen begründet ist? Welche anthropologischen Annahmen bedingen
die Fähigkeit zu versprechen und Versprechen zu halten? Und welche Art von Identität
setzt die Möglichkeit erfolgreicher Versprechen voraus, bei denen der Gebende gerade
behauptet, zum Zeitpunkt der Einlösung noch derselbe zu sein wie der, der sein Wort
gegeben hat, trotz zwischenzeitlich eventuell veränderter Bedingungen?
In der vorliegenden Arbeit werden die Konzeptionen von Hannah Arendt und Paul Ricoe ur
Gegenstand der Untersuchung sein, die versuchen, Antworten auf diese Fragen zu geben.
Zuvor werde ich jedoch näher auf den Versprechensbegriff David Humes eingehen. Hume
stellt sich die Frage, wie es zur Etablierung von Gesellschaften überhaupt kommt, welche
Rolle Versprechen bzw. Verträgen dabei zukommt und wie sich die
Versprechenskonvention konstituiert. Seine Untersuchung steht exemplarisch in der
neuzeitlichen Tradition des Gesellschaftsvertrages, die einen eigenen Lösungsansatz für
diese Probleme zu geben versucht. Von empirischen Erfahrungen und Beobachtungen im
Alltag leitet er Gesetze und Konventionen ab, die den Menschen als sozial interagierendes
Wesen beschreiben. Die funktionierende Versprechensinstitution stellt dabei eine
4
Vgl. Gloyna,
9HUVSUHFKHQ
5
Vgl. Liebsch,
*HJHEHQHV :RUW RGHU JHOHEWHV 9HUVSUHFKHQ 4XHOOHQ XQG %UHQQSXQNWH GHU 6R]LDOSKLORVRSKLH
S. 23, 44f.

4
notwendige Bedingung für den Bestand einer friedlichen Gesellschaft dar. Der Wille, sich
durch Versprechen freiwillig zu bestimmten zukünftigen Handlungen zu verpflichten, ist
jedoch nicht natürlich vorhanden, sondern entsteht aus einem durch die Gesellschaft als
Konvention etablierten Sittlichkeitsaffekt. Die Versprechenskonvention, also die
Verpflichtung, seine Versprechen zu halten, wird aufgrund von Nutzenerwägungen
sekundär etabliert, wobei die Verpflichtungsänderung eine Änderung moralischer Affekte
voraussetzt. Hume geht davon aus, dass Menschen zunächst als selbstgenügsame
Individuen verstanden werden können, die sich aus einem Nutzenkalkül heraus zur
Sozialität erst zusammenschließen. Das Versprechen dient als Mittel zur Aufrechterhaltung
eines friedlichen Gemeinwesens, insofern es vor allem im Rahmen von Verträgen den
Austausch bzw. Erwerb von Eigentum ermöglichen soll. Die anthropologischen
Grundannahmen führen jedoch zu tief greifenden Aporien hinsichtlich der Verbindlichkeit
von Versprechen.
Arendt und Ricoe ur gehen hingegen davon aus, dass der Mensch von vornherein soziale
Wesen sind, die sich in ihrer Existenz immer schon auf eine Gemeinschaft verwiesen sehen,
in die sie geboren werden. Die Verbindlichkeit von Versprechen ergibt sich für Hannah
Arendt aus der grundsätzlichen Bedingtheit menschlichen Lebens. Menschen sind keine
selbstgenügsamen Individuen, die aus Nützlichkeitserwägungen heraus mit Anderen
Kooperationsbeziehungen eingehen. In ihrer phänomenologischen Analyse der ,, Vita
Activa" unterscheidet sie drei kategorial verschiedene menschliche Tätigkeiten: Arbeiten,
Herstellen und Handeln. Das Handeln definiert sie als die spezifisch menschliche Tätigkeit,
die der Grundbedingung der Pluralität des menschlichen Lebens entspricht und die
Einzigartigkeit einer Person in Interaktion mit der Mitwelt hervorbringt. Versprechen
gründen ihre Verbindlichkeit auf die grundsätzlich intersubjektive Verfasstheit der Existenz.
Sie sind die Bedingung der Möglichkeit stabiler kooperativer Praxen, deren Teilnehmer
sich als verantwortlich und frei erfahren. Versprechen konstituieren bei Arendt nicht nur
das Handeln, sondern auch die personale Identität, die sich der Mitwelt vorgeblich durch
das Einhalten des gegebenen Wortes enthüllt und das entgegen gebrachte Vertrauen
rechtfertigt.
Paul Ricoe ur schließt an Arendt an und begreift das Versprechen als Modus der Selbst-
Bezeugung. Das Wer einer Person ist nicht unmittelbar präsent, es kann nicht direkt durch
Reflexion erfasst werden, sondern bezeugt sich indirekt über die Existenzerfahrungen des

5
Handelns in der Welt. Jede Person konstituiert und bezeugt ihr Selbst vermittels der Praxen,
an denen sie teilhat und innerhalb derer sie ihre Fähigkeiten verwirklicht. Die Bezeugung
des Selbst in den vielfältigen Formen des Handelns ist irreduzibel an den Anderen
adressiert und auf ihn angewiesen. Es wird von seinen Beziehungen zu Anderen, zur
Andersheit konstituiert. Das Halten des gegebenen Wortes steht paradigmatisch für die
Identität der Selbstheit, durch die sich eine Person als selbstständig in der Zeit erfahren
kann, trotz ihrer wandelbaren Wünsche und der sich verändernden Umstände. Versprechen
können laut Ricoe ur nur dank des Anderen geben, der das Selbst zur ethischen Fürsorge
bzw. zur Verantwortung aufruft und in Anspruch nimmt. Versprechen sind Gaben an
Andere, die auf deren Aufforderungen antworten und durch die sich wechselseitige
Anerkennungsbeziehungen konstituieren. Versprechen zu geben und zu halten aktualisiert
die Fähigkeit zur Treue Anderen und den eigenen Handlungszielen gegenüber, das Selbst
bezeugt sich durch sie als verantwortlich und selbstständig und schätzt sich als eines, das
ein gutes Leben führt, mit und für Andere, dank deren es handelnd die Initiative ergreifen
kann.

6
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Der Ausgangspunkt des
7UHDWLVH liegt in der Feststellung Humes, dass dem Bewusstsein
bzw. dem Geist ausschließlich dessen Perzeptionen unmittelbar gegeben sind. Sämtliche
Tätigkeiten (actions) des Geistes (mind), wie zum Beispiel Sehen, Hören, Denken oder
Urteilen lassen sich unter den Begriff der Perzeption fassen (vgl.
7UHDWLVH, S. 456). Diese
werden in Eindrücke (impressions) und Vorstellungen (ideas) unterschieden. Während die
Eindrücke alle Sinnesempfindungen, Affekte und Gefühlserregungen umfassen (vgl.
7UHDWLVH, S. 1), handelt es sich bei den Vorstellungen um Abbilder oder Kopien der
Eindrücke, die insgesamt im Vergleich zu den Eindrücken schwächer wirken und das
Denken und Urteilen bestimmen. Die Eindrücke sind den Vorstellungen ontologisch und
genetisch vorgelagert und verursachen diese (vgl.
7UHDWLVH, S.5). Zudem können sowohl die
Eindrücke als auch die Vorstellungen in einfache und zusammengesetzte Perzeptionen
unterteilt werden. Die Wiederholung der Eindrücke als Vorstellungen erfolgt mittels
Erinnerungsvermögen (memory) oder Einbildungskraft (imagination). Die Erinnerung ist
dabei an Form und Reihenfolge der ursprünglichen Eindrücke gebunden, da die
Verbindungen der Vorstellungen in der Erinnerung unauflösbar sind (vgl.
7UHDWLVH, S.12).
Die Funktion der Einbildungskraft liegt hingegen in der Fähigkeit, einfache Vorstellungen
beliebig zu komplexen zu verbinden und komplexe Vorstellungen durch Trennung und
Neukombination spontan zu verändern. Die Verbindung der Vorstellungen in der
Einbildungskraft erfolgt durch von der Natur angelegte Assoziationsprinzipien (Ähnlichkeit,
unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Zusammenhang, Ursache und Wirkung).
Alle einfachen Affekte werden in direkte und indirekte Affekte (direct and indirect
passions) unterschieden. Direkte Affekte bzw. Leidenschaften entstehen unmittelbar aus
der Wahrnehmung von Lust bzw. Unlust oder von Gut bzw. Übel. Zu ihnen gehören ,, [... ]
desire, aversion, grief, joy, hope, fear, despair and security." (
7UHDWLVH S. 277). Direkte
Affekte entstehen also entweder direkt aus einem Eindruck der Sinneswahrnehmung oder
aus deren Vorstellungen, die durch Erinnerung oder Einbildungskraft hervorgerufen werden
und sind dann auf die Zukunft gerichtet. Es gibt aber auch direkte Affekte, die nicht nur aus

7
einem Gut oder Übel bzw. aus Lust und Unlust entstehen, sondern auch ,, [... ] from a
natural impulse or instinct, which is perfectly unaccountable." (
7UHDWLVH, S.439)
Indirekte Affekte beruhen auf derselben Grundlage
6
, jedoch entstehen sie nicht unmittelbar
aus dem Guten oder Schlechten, sondern Ursache und Gegenstand sind voneinander
unterschieden. Sie sind durch eine doppelte Relation von Vorstellungen und Eindrücken
gekennzeichnet. Zu ihnen gehören Stolz (pride), Niedergedrücktheit (humility), Liebe, Hass,
aber auch ästhetische und moralische Gefühle, auf deren Grundlage entsprechende Urteile
über Personen oder Objekte gefällt werden (vgl.
7UHDWLVH S. 276ff; S.294ff.) Die einander
entgegen gesetzten indirekten Affekte von Stolz (pride) und Niedergedrücktheit (humility)
sind auf das Selbst als ihr Objekt bezogen. Das Selbst ist jedoch nicht Ursache dieser
Affekte. Die Ursachen von Stolz bzw. Selbstzufriedenheit oder Niedergedrücktheit sind
laut Hume sehr vielfältig und können fast alles betreffen, was zum Selbst in enger zeitlicher,
räumlicher oder kausaler Beziehung steht.
7
Die Wahrnehmung von Schönheit im
Allgemeinen löst beispielsweise den direkten Affekt Freude bzw. Lust aus. Dabei handelt
es sich um die Relation von Eindrücken, die auch bei den direkten Affekten vorkommt,
nämlich die zwischen einem Eindruck der Sinneswahrnehmung und dem Lustgefühl.
Sofern der Träger der Schönheit mit dem eigenen Selbst verbunden ist, kann er Ursache des
Stolzes werden, der als indirekter Affekt zusätzlich auf einer Relation der Vorstellungen
(zwischen der Vorstellung des Gegenstands und dem Selbst) beruht und dann dazu kommt
(vgl.
7UHDWLVH S. 285f).
So wie die Einbildungskraft die Vorstellungen nach dem Prinzip der Ähnlichkeit
organisiert, hängen auch die Eindrücke aufgrund von Ähnlichkeitsbeziehungen miteinander
zusammen. Schmerz erzeugt ähnliche Affekte wie Niedergedrücktheit oder Neid, während
Freude oft mit Liebe, Stolz oder Mut verbunden ist (vgl.
7UHDWLVH, S. 282f), zumindest dann,
wenn das Objekt, das diese Affekte verursacht, in enger Beziehung zum Selbst steht. Die
Veränderlichkeit der Affekte und der Übergang von einem Affekt zu einem weiteren
ähnlichen Gefühl liegen in der menschlichen Natur begründet (vgl.
7UHDWLVH S.287; 305).
6
Hume,
7UHDWLVH, S. 438 ,,[... ] the passions, both direct and indirect, are founded on pain and pleasure [... ]."
7
Beispielsweise können Eigenschaften des Geistes oder des Körpers wie Witz, Verstand, Mut, Schönheit,
Kraft, gutes Aussehen oder Geschicklichkeit, aber auch Verwandte oder Besitztümer direkte Ursachen des
Stolzes sein; die gegenteiligen Eigenschaften oder das Fehlen der materiellen oder immateriellen Güter
können Niedergedrücktheit hervorrufen, vgl.
7UHDWLVH, S.278f.

8
Die gleichen Ursachen, die die auf das Selbst bezogenen indirekten Affekte auslösen,
bringen auch Liebe und Hass hervor, ebenso sind diese Ursachen unterschieden in die
Eigenschaften, die den Affekt auslösen und das Objekt, dem diese Eigenschaften
zugeschrieben werden. Der Unterschied zum Affektpaar Stolz und Niedergedrücktheit
besteht darin, dass Liebe und Hass nicht auf das Selbst, sondern auf andere Personen
bezogen sind. Gleiche Ursachen und die starke Ähnlichkeit beider Affektpaare bewirken,
dass zwischen dem Liebesaffekt gegenüber einer nahe stehenden Person und dem Affekt
des Stolzes ein enger Zusammenhang besteht. Die Einbildungskraft bewirkt durch die
Assoziation von Vorstellungen den Übergang der entsprechenden ähnlichen Affekte (vgl.
7UHDWLVH S. 338). Umgekehrt ist es aber nicht ebenso leicht, dass aus Stolz Liebe
hervorgeht, da die eigenen Gefühle im Gegensatz zu denen der anderen immer unmittelbar
und lebhafter bewusst sind, so dass die Einbildungskraft eher vom Entfernteren zum Nahen
übergeht als umgekehrt. Der Zusammenhang dieser Vorstellungen geht auf die natürliche
Neigung zum Mitgefühl (sympathy) zurück, die bewirkt, dass die Eindrücke der Wirkungen
bzw. äußerer Anzeichen der Gefühle Anderer bei uns Vorstellungen dieser Gefühle
hervorrufen. Mitgefühl ist das Moment, das emotionale Verbindungen stiftet und einen
Empfindungsaustausch möglich macht, indem es an den Lust- und Unlustgefühlen, den
Affekten der Mitmenschen teilnehmen lässt. Das Mitgefühl ist dabei umso stärker, je näher
uns diese anderen Personen sind.
8
Ohne Sympathie wären Liebe und Hass leere Begriffe,
da sie nur in Bezug auf die Gefühle anderer verständlich sind (vgl.
7UHDWLVH S. 319).
Neben den direkten Ursachen (körperliche oder charakterliche Fähigkeiten und
Eigenschaften, Besitz usw.) können aufgrund des Mitgefühls auch die Wahrnehmungen der
Affekte anderer, die einem gegenüber empfunden werden, Stolz oder Niedergedrücktheit
auslösen. Mittels Einbildungskraft eignet man sich die Urteile Anderer hinsichtlich der
eigenen Eigenschaften oder Handlungen an. Weil durch das Mitgefühl Vorstellungen in
Eindrücke umgewandelt werden, rufen die Urteile dann entsprechende Affekte hervor. Da
die Lust aus der Achtung (bzw. die Unlust aus der Verachtung) vom Mitgefühl des
Achtenden bzw. Verachtenden abhängt, ist die Unlust (bzw. Lust) umso größer, wenn die
Verachtung (bzw. Achtung) von nahen Verwandten entgegengebracht wird, mit denen man
8
Hume,
7UHDWLVH S.318: ,,The sentiments of others have little influence, when far remov'd from us, and
require the relation of contiguity, to make them communicate themselves entirely."

9
eng zusammen lebt.
9
Die Affekte Liebe und Hass sind unmittelbar jeweils mit den direkten
Affekten Wohlwollen (benevolence) und Übelwollen (anger) verbunden. Liebe ist von dem
Wunsch für das Glück der geliebten Person und dem Abscheu gegen ihr Unglück begleitet,
während Hass meist den Wunsch nach dem Unglück des Feindes und den Abscheu gegen
dessen Glück einschließt. Wohlwollen gegen Freunde oder Verwandte und Übelwollen
gegen Feinde sind ursprüngliche Instinkte, die nicht auf andere Ursachen rückführbar sind
(vgl.
7UHDWLVH S.368).
Hume wendet sich gegen die Auffassung, dass die Vernunft das Handeln verursacht und
leitet. Die Vernunft ist das Wahrheitsvermögen und informiert mit Hilfe von Erfahrung und
Beobachtung darüber, was in der Welt der Fall ist. Sie bezeichnet die Fähigkeit, deduktive
und empirische (induktive) Urteile zu fällen (vgl.
7UHDWLVH S. 413f, (QTXLU\ S. 287). Die
Vernunft bringt selbst jedoch keine praktischen Motive und somit keine Handlungsimpulse
hervor. Alle Handlungen zielen darauf, Ziele zu verwirklichen, die nur durch Affekte
gesetzt und zum einzigen Handlungsmotiv werden. Das Ziel der Handlung ist der
Gegenstand, der den Affekt der Lust erzeugt. Dabei sorgt die Vernunft dafür, dass sich die
motivierende Lust, die durch das Ziel ausgelöst wird, auch auf das geeignete Mittel
überträgt und dementsprechend eine zweckmäßige Handlung zur Erreichung des Ziels
ausgeführt wird. Die Vernunft ist das instrumentelle Vermögen, das die Handlungen lenkt,
indem sie Urteile über Gegenstände fällt, die Lust bzw. Unlust hervorrufen können und
mittels Ursache- Wirkungs- Relationen geeignete Mittel zur Verwirklichung der Ziele
setzt.
10
Handlungsmotive bzw. Wünsche gehen nicht auf Vernunfturteile, sondern auf die
Lusterwartung zurück, den ein Gegenstand auslöst. Da die Gegenstände den Geist nicht
aufgrund voran gegangener Vernunfturteile affizieren, sondern diese nur deren Existenz
und deren Verknüpfungen untereinander aufdecken, kann der Wille zur Handlung nie durch
die Vernunft ausgelöst oder durch diese verhindert werden, sondern nur durch
entsprechende Affekte bzw. Wünsche. Affekte sind nur durch andere Affekte korrigier-
oder aufhebbar (vgl.
7UHDWLVH S. 415). Wenn die Wahrnehmung eines Gegenstandes Lust
auslöst, führt das zu dem handlungsmotivierenden Wunsch, sich den Gegenstand
9
Hume,
7UHDWLVH S. 324: ,,[... ] the pleasure, which we receive from praise, arises from a communication of
sentiments [... ]."
10
Hume,
7UHDWLVH, S. 415: ,,Reason is, and ought only to be the slave of the passions, and can never pretend to
any other office than to serve and obey them."

10
anzueignen.
11
Der Zusammenhang zwischen dem Lustaffekt und dem Wunsch ist kausal,
jedoch nicht rational zu erklären. Affekte bilden nichts ab, sie repräsentieren nichts,
sondern haben als ,, original existence" nur die Empfindung selbst zum Inhalt (
7UHDWLVH, S.
415). Ein Affekt bzw. die Handlung, die von dem Affekt ausgelöst wird, kann weder wahr
noch falsch und weder vernünftig noch unvernünftig sein, da er keinen Gegenstand
repräsentiert, dem der Affekt zukommt. Die Repräsentation eines Eindrucks in den ideas
kann wahr oder falsch sein
12
, Wünsche bzw. Affekte selbst sind jedoch weder rational noch
irrational.
Aus der Bestimmung des Verhältnisses von Vernunft und Affekten folgt, dass moralische
Regeln und Urteile über Tugend und Laster (morality) nicht aus der Vernunft ableitbar sind.
Hume positioniert sich damit konträr zu rationalistischen Moraltheorien. Da sittliche
Regeln und moralische Urteile direkt mit dem Handeln in Verbindung stehen, bestimmte
Handlungen motivieren und andere unterbinden, können sie nur auf Eindrücke bzw.
Affekte rückgeführt werden. Tugend und Laster sind keine Tatsachen, die aus der
Erkenntnis von Objektrelationen oder aus logischen Schlüssen hervorgehen (vgl.
7UHDWLVH
S. 468). Hume geht ausschließlich von einem theoretischen Vernunftbegriff aus und lehnt
die praktische Relevanz von Vernunftgründen gänzlich ab.
13
So sind die Handlungsmotive
zwar mit Überzeugungen über die geeigneten Mittel zum Erreichen des Ziels verbunden,
jedoch handelt es sich dabei um eine rein kausale Verknüpfung. Hume vertritt auch keine
Auffassung von Vernunft als normativ gültiger Zweckrationalität, deren Prinzipien zu den
ausgeführten Handlungen in Widerspruch stehen könnten. Vielmehr ist gar kein Fall
denkbar, in dem sich Vernunft und Handlungsmotivation widersprechen.
14
11
Hume,
7UHDWLVH S. 439: "Desire arises from good consider'd simply, and aversion is deriv'd from evil. The
will exerts itself, when either the good or the absence of the evil may be attain'd by any action of the mind or
body."
12
So kann ein Gegenstand als lustvoll beurteilt werden, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt, oder es kann
eine Täuschung über seine vermeintlich lustverschaffenden Eigenschaften vorliegen (vgl.
7UHDWLVH, S. 460).
Es können auch irrtümlich falsche Mittel ausgewählt werden, die dem Erreichen der Ziele nicht dienlich sind.
Stellt man fest, dass das gewählte Mittel falsch ist, wird der Affekt, der vom Ziel auf das Mittel übertragen
wurde, zurück genommen.
13
vgl. Halbig:
3UDNWLVFKH *UQGH XQG GLH 5HDOLWlW GHU 0RUDO, S. 39f.
14
Korsgaard:
7KH 1RUPDWLYLW\ RI ,QVWUXPHQWDO 5HDVRQ, weist darauf hin, dass eine Auffassung von Vernunft
als Zweckrationalität einen praktischen, intersubjektiv gültigen Standard voraussetzen würde, gegen den die
Handlung verstoßen könnte, auch wenn er nur auf die Wahl des ,, richtigen" Mittels beschränkt bliebe. Für
Hume gibt es aber keine rationalen oder irrationalen Handlungen, so dass Fälle, in denen das einzig mögliche
Mittel zum Erreichen einer Handlung nicht angewandt wird bzw. in denen bewusst an untauglichen Mitteln
festgehalten wird, damit erklärbar sind, dass die ursprünglichen Ziele aufgegeben oder verändert wurden.
Zweckrationalität ist damit keine Form praktischer Rationalität, da die Möglichkeit von Irrationalität

11
Moralische Urteile sind unmittelbare affektive Reaktionen auf Tatsachen, die zwar durch
Vernunft erkannt werden, die Urteile selbst jedoch sind nicht Ergebnisse vernünftiger
Überlegungen (vgl.
7UHDWLVH S. 457). Die Unterscheidung von Laster oder Tugend beruht
allein auf den subjektiven Empfindungen von Lust oder Unlust, die ein Gegenstand
unmittelbar auslöst.
15
Jede Charaktereigenschaft
16
, die uns bei uns selbst oder bei anderen
mit Lust bzw. direkten Affekten wie Freude oder Begehren erfüllt, ist tugendhaft, jede
Eigenschaft, die Unlust, Abscheu oder Unbehagen hervorruft, ist lasterhaft.
17
Weil diese
Eigenschaften uns selbst oder anderen zukommen, stehen sie in einem doppelten
Zusammenhang von Eindrücken und Vorstellungen und rufen gleichzeitig indirekte Affekte
hervor. Tugend kann somit auch definiert werden als ,, [... ] the power of producing love or
pride [... ]" (vgl.
7UHDWLVH S. 575), während das Laster Niedergedrücktheit (humility) und
Hass erzeugt. Die indirekten Affekte werden hervorgerufen durch Vorzüge bzw. Mängel
des Charakters, des Körpers oder des Besitzes im weitesten Sinne, entweder bei uns selbst
oder bei uns nahe stehenden Personen, weil sie entweder unmittelbar oder durch das
Mitgefühl den Eindruck von Lust oder Unlust entstehen lassen. Der Eindruck von Lust
erzeugt Lob, das mit dem Liebesaffekt vergleichbar ist. Bestimmte Eigenschaften erzeugen
Stolz, Liebe, Niedergedrücktheit oder Hass und werden deshalb als tugend- oder
untugendhaft bezeichnet, weil sie entweder für denjenigen, der sie selbst hat, oder für
diejenigen, die in enger Beziehung mit ihm stehen, unmittelbar angenehm oder nützlich
sind.
18
Moralische Urteile werden aufgrund der Frage gefällt, ob Handlungen (bzw. die
Eigenschaften, die die Handlungen verursachen), auf Schaden oder Vorteil derer tendieren,
die sie unmittelbar ausführen oder derer, auf die sie gerichtet sind.
Was in diesem Sinne
nützlich ist, wird gebilligt und ist tugendhaft. Das parteiische Mitgefühl ist damit die Quelle
moralischer Beurteilungen. Wir schätzen die Eigenschaften oder Handlungen, weil sie
Mittel sind, um das Wohl, mit dem wir als Endzweck des Wollens und Handelns
ausgeschlossen ist (S. 225-233). Vgl. auch Heuer:
*UQGH XQG 0RWLYH hEHU +XPHVFKH 7KHRULHQ SUDNWLVFKHU
9HUQXQIW, S. 50ff.
15
Hume setzt die Perzeptionen Laster und Tugend sogar mit den primären Eindrücken der
Sinneswahrnehmung wie Hitze, Kälte oder Farbwahrnehmungen gleich, vgl.
7UHDWLVH S. 469.
16
Da Charaktereigenschaften bzw. die zugrunde liegenden Affekte nicht unmittelbar erschlossen werden
können, werden sie nach den entsprechenden Handlungen beurteilt, vgl.
7UHDWLVH S. 575.
17
Diese Definition der Tugend durch den Nutzen bedeutet, dass Hume die Begriffe Laster und Tugend in
einem weiten Wortsinn versteht und auch Besitz und Talente zu den Tugenden rechnet, vgl.
(QTXLU\ S. 312f
.
18
Hume,
7UHDWLVH S. 596: ,,The utility and advantage of any quality to ourselves is a source of virtue, as well
as ist agreeableness to others [... ] " ,vgl. auch ebd., S. 591.

12
sympathisieren, zu befördern (vgl.
7UHDWLVH S. 618). Hume vertritt eine
konsequentialistische Moralauffassung. Zwischen der Wahrnehmung der Handlung und
dem Eindruck von Lust und Unlust besteht eine Kausalbeziehung. Eine Handlung
verursacht unter bestimmten Umständen den Eindruck der Lust und diese allein verleiht der
Handlung ihren Wert. So können auch Handlungen und Eigenschaften Gegenstand
moralischer Beurteilungen werden, die uns nicht unmittelbar selbst nützen, aber uns nahe
stehenden Menschen zukommen, so dass wir starke Eindrücke ihrer damit verbundenen
Gefühle gewinnen. Diese gewonnen Eindrücke von Lust oder Unlust und erzeugen Liebe
und Hass, die als indirekte Affekte von den natürlichen Instinkten des Wohlwollens bzw.
des Übelwollens begleitet sind. Man strebt danach, das Glück der tugendhaften geliebten
Menschen zu befördern und das Unglück der untugendhaften verhassten Feinde zu
vermehren. Die Handlungen aus diesen Motiven von Gunst oder Ungunst erzeugen
wiederum Nutzen oder Schaden ihren Adressaten gegenüber und veranlassen sie, sie als
tugend- oder lasterhaft zu bewerten und so weiter.
Das Wohlwollen ist also gleichzeitig eine natürliche Tugend (vgl.
7UHDWLVH S. 606f), die
den Nutzen der von ihr betroffenen Personen befördert, und der Maßstab moralischer
Beurteilung, da die Sympathie gegenüber geliebten Verwandten oder Freunden am
stärksten ist. Umgekehrt können moralische Urteile als Ausdrücke von Affekten der
Billigung bzw. Missbilligung durch die Sympathiefähigkeit handlungsmotivierend wirken
(vgl.
7UHDWLVH S. 316ff). Der Affekt der Missbilligung einer nahe stehenden Person erzeugt
kausal einen ähnlichen Affekt, der die ursprünglichen Handlungsmotive abändern kann.
Bestimmte Gefühle und Wünsche motivieren zu entsprechenden Handlungen und stellen
gleichzeitig die Rechtfertigungsinstanz dieser Handlungen dar. Da der natürliche Instinkt
bzw. die natürliche Tugend des Wohlwollens vom subjektiven Standpunkt des Handelnden
bzw. Beurteilenden abhängt, gilt sie nicht universell, sondern ist grundsätzlich auf einen
kleinen Kreis nahe stehender Personen begrenzt, während sie Fremden gegenüber keinerlei
Pflichten begründet. Niemand hat einen Grund, bestimmte Handlungen auszuführen, sofern
sie nicht mit seinen Wünschen und Motiven vereinbar sind. Der moralische Wert von
Handlungen wird mit ihrem Nutzen identifiziert und kann durch keinen externen
normativen Maßstab festgestellt werden.
19
So ist es möglich, dass verschiedene Personen
eine gleiche Situation unterschiedlich bewerten, bzw. dass eine Person eine bestimmte
19
vgl Halbig,
3UDNWLVFKH *UQGH XQG GLH 5HDOLWlW GHU 0RUDO, S. 96f.

13
Handlung in einer Situation billigt, die sie unter anderen Umständen missbilligen würde,
weil ihre Beziehung zum Akteur oder den Betroffenen der jeweiligen Handlung eine
jeweils andere ist. Affekte bzw. Wünsche sind rational nicht falsifizierbar, ihre
Realisierbarkeit hängt von kontingenten Umständen der konkreten Situation ab.
.QVWOLFKH7XJHQGHQ7KUHH/DZVRI1DWXUH
Universelle Gerechtigkeit (justice), die das Zusammenleben in der Gesellschaft nach
objektiven Maßstäben regelt, kann demnach nicht aus dem natürlichen Instinkt des
Wohlwollens hervorgehen (vgl.
7UHDWLVH S.495f). Die natürlichen Tugenden auf Grundlage
des Wohlwollens können universelle Pflichten gar nicht begründen, sondern drücken
höchstens ,, Verpflichtungen" einer Person a in den Augen einer Person b unter definierten
Bedingungen aus, während dieselbe ,, Pflicht" in den Augen einer dritten Person c nicht
besteht, sofern sich diese in anderer Beziehung zu a befindet.
Da die Menschen aber ein
Interesse an gesellschaftlicher Kooperation haben, haben sie auch ein Interesse an Regeln
und Gesetzen, die für alle gleichermaßen gelten und das konfliktfreie Zusammenleben
aufrechterhalten. Hume definiert justice als eine künstliche Tugend, die durch eine
Übereinkunft (convention) von den Menschen erst geschaffen wird und den Naturzustand
beendet. Die Übereinkunft wird aufgrund eines Interessenkalküls eingegangen und
konstituiert das gesellschaftliche Leben. Künstlich (artificial) ist die Tugend der
Gerechtigkeit also insofern, als sie erst durch eine menschliche Übereinkunft sekundär
entsteht, den natürlichen Tugenden genetisch nachgeordnet ist und diese auch auf fern
stehende Personen erweitert.
20
Der Mensch ist als Mängelwesen laut Hume in seiner natürlichen Ausstattung den meisten
Tieren unterlegen. Durch den Zusammenschluss kann die Schwäche des einzelnen
Menschen ausgeglichen werden. Das Leben in einer Gesellschaft liegt im Interesse der
Selbsterhaltung und ist notwendig zur Befriedigung der Bedürfnisse. Mittels Kooperation
und Arbeitsteilung werden mehr Güter zur Bedürfnisbefriedigung hergestellt, zudem
bewirken sie eine größere Unabhängigkeit von äußeren Natureinflüssen. Durch die
Selbstsucht und das Eigeninteresse der Einzelnen (auf dem die subjektiven natürlichen
20
Da die Gerechtigkeit aber für das gesellschaftliche Zusammenleben bei begrenzten Ressourcen
unumgehbar notwendig ist und die Voraussetzung der Selbsterhaltung darstellt, wird sie in diesem Sinne von
Hume als ,, natürlich" bezeichnet (vgl.
7UHDWLVH, S. 484).

14
Tugenden beruhen) wird die gemeinschaftliche Kooperation jedoch behindert und
unmöglich gemacht.
21
Obwohl Hume sich von Hobbes Anthropologie des unbegrenztem
Eigennutzes distanziert und scheinbar die Neigung zum Altruismus in den natürlichen
Instinkten verankert sieht, bleibt das Wohlwollen doch auf Verwandte und enge Freunde
begrenzt. Ohne einen Sinn für Gerechtigkeit wäre jeder auf den eigenen unmittelbaren
Vorteil bedacht und bestrebt, sich und seiner Familie bei herrschender Güterknappheit so
viele Güter wie möglich anzueignen, ohne dabei die Bedürfnisse anderer zu achten. Da
dann niemand mehr ein Interesse an gemeinschaftlicher Kooperation hätte, weil jeder die
Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit für sich selbst beanspruchen würde, käme letztendlich
niemand in den Genuss des Nutzens, den man sich von der Vergesellschaftung erhofft hatte.
Die Regeln der Gerechtigkeit sind dementsprechend auf die Güterverteilung und die
Sicherung des Besitzes bezogen. Sie sollen künstlich universelle Verpflichtungen
konstituieren, die unabhängig von den jeweiligen Wünschen der Agierenden gelten, um die
praktischen Probleme zu lösen, die die Motivationstheorie auf Basis des subjektiven
Mitgefühls mit sich bringt; jedoch ohne die Gültigkeit dieser Theorie in Frage zu stellen.
Die Übereinkunft (convention) wird eingegangen, wenn sich die Menschen mittels
Vernunft und Einbildungskraft ihres Interesses an gesellschaftlicher Kooperation bewusst
werden und einsehen, dass ihre natürliche wunschbasierte Affektstruktur die
Verwirklichung dieses Interesse verhindert. Aus diesem mittelbaren, langfristiger
orientierten Interesse heraus unterwerfen sich die Menschen allgemein gültigen,
verpflichtenden Regeln, die die natürlichen parteiischen Affekte einschränken sollen und in
ihrer Anwendung von Wohl- oder Übelwollen unabhängig sind. Das ist jedoch nicht so zu
verstehen, dass sich die Handlungen nun an von der Vernunft erkannten universellen
Prinzipien orientieren. Bekanntlich können nur Affekte Motive für entsprechende
Handlungen liefern. Die Übereinkunft stellt das durch die Vernunft bereit gestellte Mittel
dar, den individuellen Nutzen aller Beteiligten zu maximieren. Da eine durch diese Einsicht
veränderte Praxis durch eine einzelne Person für diese selbst der Verwirklichung ihrer
Interessen langfristig hinderlich wäre, kann der Nutzen aus dem gesellschaftlichen
Zusammenleben nur gezogen werden, wenn alle ihre Handlungen entsprechend ausrichten.
21
+XPH 7UHDWLVH, S. 487 : ,,For while each person loves himself better than any other single person, and in
his love to others bears the greatest affection to his relations and acquaintance, this must necessarily produce
an opposition of passions, and a consequent opposition of actions; which cannot but be dangerous to the new-
establish' d union."

15
Bei der Übereinkunft gibt deshalb jeder allen anderen das Bewusstsein über das
gemeinsame Interesse und gleichzeitig den Entschluss, gemäß der Gerechtigkeit zu handeln,
kund unter der Voraussetzung, dass alle anderen das gleiche tun (vgl.
7UHDWLVH, S. 490). Da
die Vernunfteinsicht allein aber keine Handlungen hervorrufen kann, können die
allgemeinen Gerechtigkeitsregeln, die aus der convention folgen, nur auf der Ebene der
Affekte wirksam werden. Bei allen an der Übereinkunft Beteiligten ruft die Vorstellung des
eigenen Interesses, das durch die Gesellschaft befriedigt werden kann, positive Affekte der
Billigung in Bezug auf Handlungen hervor, die diesem Interesse unmittelbar entsprechen
und der Aufrechterhaltung der Gesellschaft dienen. Die Lust, mit der das Motiv der
Handlung verbunden ist, wird auf die Mittel zu seiner Erreichung übertragen. Aufgrund
dieser Affekte entsteht die Neigung, entsprechende Handlungen auszuführen. Durch
Wiederholung, Erziehung und Gewohnheit werden sie zu ruhigen, handlungsmotivierenden
Affekten, die auch ohne das explizit bewusste Interesse die entsprechenden Handlungen
verursachen (vgl.
7UHDWLVH S. 423f). Die Rechtsordnung bzw. das Allgemeinwohl, das sie
befördert, wird dann mit der Vorstellung der Tugendhaftigkeit verbunden und damit selbst
zum Motiv ihrer Befolgung.
Die allgemeine Übereinkunft der justice, sich des gegenseitigen Interesses an
gemeinschaftlicher Kooperation bewusst zu sein und seine Handlungen entsprechend
auszurichten, findet ihre konkrete praktische Ausformulierung in den ,, Laws of Nature" ,
den Grundsätzen, die freiwillig eingehalten werden. Sie sind nach der Übereinkunft
verbindlich und gelten aus dem Motiv des bewussten Interesses an ihrer Einhaltung heraus,
noch bevor sie in allgemeinen Gesetzen verankert und durch staatliche Gewalt sanktioniert
werden. Sie bestimmen damit den (fiktiven) zeitlichen Zwischenraum zwischen dem
Naturzustand und dem Leben im Staat und bestehen in drei sich logisch ergänzenden Laws,
die die Besitzverteilung zum Gegenstand haben.
Das erste Naturgesetz konstituiert das (künstliche) Eigentum, das den Güterbesitz sichert.
In jedem Fall ist das Eigentum keine Eigenschaft, die den Gegenständen als solchen
zukommt, sondern resultiert künstlich aus Vorstellungen und Affekten, die durch
Übereinkunft zu den vorherigen Vorstellungen und Eindrücken des Besitzes hinzukommen
und stabile Beziehungen etablieren, die von Zeitdauer, Einbildungskraft und
verwandtschaftliche Beziehungen (Eigentumserwerb durch Erbfolge) beeinflusst werden
(vgl.
7UHDWLVH S. 505 - 509).

16
Das zweite Law of Nature regelt die Besitz- und Eigentumsübertragung durch Zustimmung.
Das ermöglicht den konfliktlosen Austausch von Gütern im Interesse der optimalen
Bedürfnisbefriedigung. Da das Eigentum keine Eigenschaft ist, die den Gegenständen
selbst zukommt und ihm kein Sinneseindruck korrespondiert, wird die Übergabe mit der
Vorstellung der Übertragung des Eigentums verbunden. Sofern eine Übergabe praktisch
nicht möglich ist, wird die Anschaulichkeit der Eigentumsübertragung durch Symbole (z.B.
Urkunden) vorgetäuscht (vgl.
7UHDWLVH. S. 515), um so die Einbildungskraft zu unterstützen.
Das dritte Law of Nature folgt logisch aus den beiden vorhergehenden und beinhaltet die
Pflicht, Versprechen zu halten.
9HUVSUHFKHQ GXUFK hEHUHLQNXQIW
Die allgemeine Regel über das Halten von Versprechen kommt zum Einsatz, wenn die
jeweiligen Güter oder Dienst- bzw. Hilfeleistungen zeitversetzt oder bei räumlicher Distanz
getauscht werden. Derjenige, der das ihm zustehende Gut oder die Handlung erst nach
einiger Zeit erhalten kann, nachdem er seinen Anteil bereits geleistet hat, ist auf den
Großmut seines Schuldners angewiesen. Da aber das natürliche Wohlwollen auf den
engsten Bekanntenkreis beschränkt und der Schuldner bereits in den Genuss des erstrebten
Gutes gekommen ist, hat er ohne die Übereinkunft zum Versprechen keinen Grund, die
eigene Leistung zu erfüllen. Das würde seinem individuellen Nutzenkalkül widersprechen.
Der Austausch im Interesse beider Parteien würde demnach gar nicht erst zustande
kommen. Die zweite Regel aus der Übereinkunft kann in einem solchen Fall nicht helfen,
da sie nicht auf die Zukunft bezogen ist (vgl.
7UHDWLVH S. 520).
Ohne eine aus der Übereinkunft abgeleitete Regel, Versprechen zu halten, besteht kein
Motiv, die entsprechende Handlung tatsächlich auszuführen, da der Entschluss bzw. der
Wille zu ihrer Ausführung, der in den Worten ,, Ich verspreche... " zum Ausdruck kommt,
sich dann nur auf die gegenwärtige Handlung (die Äußerung des Versprechens, die
Mitteilung eines Entschlusses) bezieht und keine auf die Zukunft gerichtete Verpflichtung
in sich schließt. Da im Naturzustand meist kein Nutzen aus dem Halten eines Versprechens
gegenüber einer fremden Person folgt, fehlt das entsprechende Motiv bzw. der
motivierende Affekt, das Versprochene zu erfüllen. Die universelle Verpflichtung, durch
die man an seine Versprechen gebunden wird, entsteht laut Hume künstlich durch die

17
Übereinkunft (vgl.
7UHDWLVH S. 516).
22
Dabei werden sich alle Beteiligten ihres Interesses
an der Verpflichtung durch Versprechen bewusst und artikulieren voreinander den
Entschluss, Versprechen künftig zu halten.
23
Das eigennützige Interesse am
funktionierenden Austausch von Leistungen und Gütern überträgt sich auf das durch die
Vernunft erkannte entsprechende Mittel: seine Versprechen zu halten. Das Interesse als
erster Grund der Erfüllung von Versprechen erzeugt neue Affekte bzw. Neigungen, die die
entsprechenden Handlungen und moralischen Urteile veranlassen. Um allen Beteiligten
Sicherheit über die zu erwartenden Handlungen zu geben, wird ein Zeichen eingeführt,
durch das sich gegebene Versprechen erkennen lassen. Durch die Wortformel ,, Ich
verspreche... " wird der Entschluss zum Versprechen eindeutig kommuniziert und durch
das Interessemotiv verbindlich. Dabei wird im Versprechen der Entschluss ausgedrückt,
das Versprochene zu leisten und mit der Äußerung der allgemein gültigen, universellen
Wortformel unterwirft sich der Sprecher zugleich der entsprechenden universellen
Verpflichtung. Die moralischen Urteile, die aufgrund der allgemeinen Versprechensregel
gefällt werden, richten sich im Gegensatz zu den Urteilen auf Grundlage natürlicher
Tugenden gleichermaßen an alle Personen und sind von der spezifischen Situation bzw. der
Beziehung zwischen Akteur und Urteilendem unabhängig. Lediglich bei fehlender
Sprachkompetenz des Sprechers bzw. offensichtlich scherzhafter Äußerung ist die
Wortformel nicht bindend (vgl.
7UHDWLVH S. 523f). Wird das gegebene Wort gebrochen,
greift die Sanktion des Vertrauensverlustes, was den Ausschluss von der Teilhabe an der
Institution des Versprechens und dem mit ihr verbundenen Nutzen nach sich ziehen kann.
Die allgemeine Versprechensregel besteht also in der Verpflichtung aus der Wortformel,
die bei Wortbruch die Sanktion des Vertrauensverlustes nach sich zieht.
An dieser Stelle liegt der Einwand nahe, dass Hume mit seiner Konzeption der
Übereinkunft einen unendlichen Regress postuliert. Wird die Übereinkunft als eine Form
eines Urvertrages interpretiert, besteht dass Problem, dass nicht erklärt werden kann, wie
dessen Verbindlichkeit zustande kommen kann, wenn diese doch erst durch den Vertrag
22
vgl. Hume,
7UHDWLVH S.521f:Hume versteht die Versprechensinstitution vor allem als Sanktion des
eigennützigen Austauschs von Leistungen. Zwar teilt er die Beobachtung mit, dass es unter Freunden auch
uneigennützige Versprechen geben kann, geht im weiteren jedoch nicht mehr darauf ein.
23
Hume,
7UHDWLVe, S. 522f: ,,[... ] when each individual perceives the same sense of interest in all his fellows,
he immediately performs his part of any contract, as being assur' d, that they will not be wanting in theirs. All
of them, by concert, enter into a scheme of actions, calculated for common benefit, and agree to be true to
their word; nor is there any thing requisite to form this concert or convention, but that every one have a sense
of interest in the faithful fulfilling of engagements, and express that sense to other members of the society."

18
selbst implementiert werden soll. Die Übereinkunft zur justice ist selbst ein Versprechen,
bei dem sich die Beteiligten gegenseitig versichern, ihre zukünftigen Handlungen an dem
gemeinsamen Interesse an Gemeinschaft zu orientieren und ihre egoistischen Neigungen zu
kontrollieren. Die Verpflichtung, Versprechen zu halten, stellt in diesem Zusammenhang
als das dritte Law of Nature eine Zusatzvereinbarung dar, die diese Übereinkunft weiter
konkretisiert, aber per definitionem diese Verpflichtung erst sekundär konstituiert. Die
Übereinkunft sowie das dritte Naturgesetz werden fast wortgleich definiert. Aber auch
wenn man die Übereinkunft so versteht, dass die Laws of Nature nicht aus einer generellen
Ur-Verabredung folgen, sondern dass die Übereinkunft selbst aus diesen drei Naturgesetzen
besteht, stößt man auf das Problem, dass die Übereinkunft, die die Versprechensinstitution
erst konstituiert, selbst schon ein Versprechen darstellt, dessen normative Verbindlichkeit
nicht erklärt werden kann. Um die Institution Versprechen durch die Übereinkunft zu
etablieren, muss diese Institution selbst bereits vorausgesetzt werden.
24
Dieses Paradox hat Hume jedoch selbst erkannt. Er betont explizit, dass die Übereinkunft
nicht selbst schon ein Versprechen darstellt.
25
Ebenso weist er auch explizit
kontraktualistische Positionen zurück, die den Ursprung der Regierung bzw. der staatlichen
Herrschaft aus einem Urvertrag heraus erklären, da dieser nicht erklären könne, wie die
Verpflichtung zum Gehorsam auf diese Weise dauerhaft etabliert werden soll. Eine
explizite Zustimmung zur Regierung sei historisch nicht verifizierbar und habe auch keine
verpflichtende Kraft für spätere Generationen, die in die bestehende Ordnung
hineingeboren werden
Der Bestand der Regierung ist von deren Zustimmung nicht
abhängig. Ein Versprechen mit der entsprechenden Verpflichtung, das Versprochene zu
halten, besteht gemäß Hume nur dann, wenn es im Bewusstsein darüber geäußert wird, dass
es sich tatsächlich um ein Versprechen handelt. Würde sich die Verpflichtung zum
Gehorsam gegenüber der Regierung bzw. zur Einhaltung von Regeln aus einem Vertrag
ableiten, wäre nicht einsichtig, worauf sich die Verbindlichkeit und Verpflichtung, sich an
den Vertrag selbst zu halten, gründen sollte. Hume betont jedoch, dass es sich bei der
24
Eine solche Kritik am Versprechensbegriff Humes, die sich hauptsächlich auf die Paradoxien der
Übereinkunft als Urvertrag bezieht, vertritt Klass: Das
9HUVSUHFKHQ *UXQG]JH HLQHU 5KHWRULN GHV 6R]LDOHQ
QDFK 6HDUOH +XPH XQG 1LHW]VFKH, S. 181 ­ 188.
25
Hume,
7UHDWLVH, S. 490: ,,This convention is not of the nature of a promise: For even promises themselves
[... ] arise from human conventions. It is only a general sense of common interest; which
sense all the
members of the society express to one another, and which induces them to regulate their conduct by certain
rules." (vgl. auch
(QTXLU\, S. 306).

19
Übereinkunft um ein theoretisches, fiktives Modell handelt, das als Ereignis nie real
stattgefunden hat und von ihm vielmehr aus didaktischen Gründen zur Veranschaulichung
verwendet wird (vgl.
7UHDWLVH S. 493ff).
26
Er versucht, die Aporien der Vertragstheorien zu
umgehen, indem er universelle moralische Pflichten direkt auf das empirisch-induktiv
nachweisbare Interesse an ihnen zurück führt und den Vertrag als expliziten
Verpflichtungsursprung auf diese Weise überflüssig zu machen.
Hume konstatiert die empirische Beobachtung, dass das Motiv zum Halten von
Versprechen durch Einübung, Erziehung und Gewohnheit auch ohne das bewusste
Interesse entsprechende Handlungen und moralische Urteile hervorruft. Das unmittelbare
Interesse, seine Versprechen zu halten, besteht dann darin, sich vor Vertrauensverlust,
Tadel und einem schlechten Ruf zu schützen, fußt aber auf dem ursprünglichen Interesse an
der Nutzenmaximierung innerhalb einer Gesellschaft, das die Versprechensinstitution
konstituiert hatte. Jedoch steht die Verfolgung dieses langfristigen Interesses der
Befriedigung unmittelbarer Wünsche und Bedürfnisse oft entgegen. Handlungsziele bzw.
Gegenstände, die räumlich und zeitlich nahe liegen, erzeugen starke
handlungsmotivierende Affekte, um diese nahe liegenden Ziele zu verwirklichen bzw. sich
die Gegenstände anzueignen. Der Drang, einen unmittelbaren Nutzen aus bestimmten
Handlungen zu ziehen, ist deshalb meist stärker als die Neigung, langfristig den Bestand
der gesellschaftlichen Ordnung durch Einhaltung der allgemeinen Regeln zu gewährleisten.
Da gerade in komplexen Gesellschaften der gemeinsame Interessenszusammenhang nicht
unmittelbar für jeden einsichtig ist (vgl.
7UHDWLVH S. 534f), bewahrt die eingeübte,
unreflektierte Sympathie mit dem Allgemeinwohl die gesellschaftliche Ordnung. Stärker
noch als das mittelbare Interesse am friedlichen Fortbestand der Gemeinschaft wirkt dann
die unmittelbare Sorge um den eigenen Ruf, bzw. das Interesse, die bei einem Wortbruch
drohende Sanktion zu verhindern, das vordergründig handlungsmotivierend ist und von
einem Bruch der Rechtsordnung abhält (vgl.
7UHDWLVH S. 500f). Auf dieser Grundlage
erklärt Hume auch nachträglich die Herkunft der staatlichen Regierung. Im Staat werden
die modellhaften Laws of Nature in bürgerliche Gesetze überführt, die Regierung zwingt
zur Einhaltung von Verträgen, schützt das Eigentum und vermeidet so das Entstehen von
Konflikten und Unfrieden. Hypothetisch würden die drei Naturgesetze eigentlich
26
Historisch gesehen entstehen aus dem ,, [... ] natural appetite betwixt the sexes [... ]" (
7UHDWLVH S. 486)
Familien, die ihren Mitgliedern die Vorteile der gemeinsamen Kooperation nahe bringen, durch Erziehung
entsprechende Handlungsnormen etablieren und nach und nach zu ,, Keimzellen" der Gesellschaft werden.

20
ausreichen, den Bestand der friedlichen Gesellschaft zu garantieren. Aufgrund der
ausgeprägten Selbstsucht aller Menschen ist die Einsetzung einer Regierung zur
Aufrechterhaltung dieser Regeln jedoch trotzdem erforderlich (vgl.
7UHDWLVH S. 535). Da
jeder Bruch der Regeln den Fortbestand der künstlichen Gerechtigkeitsordnung gefährdet,
besteht ein Interesse an exekutiver Herrschaft, durch deren ständige Sanktionsdrohung noch
zusätzliche Anreize geschaffen werden, den selbstischen Neigungen nicht nachzugeben, da
das näher liegenden Interesse dann darin besteht, sich selbst vor Strafe zu schützen. Bei der
Regel zur Einhaltung von Versprechen und der Gehorsamspflicht gegenüber der Regierung
handele es sich um zwei verschiedene Arten von Verpflichtungen, die beide aus dem
Nutzenkalkül heraus durch Konventionen implementiert würden (vgl.
7UHDWLVH S. 545f,
(VVD\V S. 287f). Die Einrichtung staatlicher Herrschaft sei auch ohne allgemeine
Versprechensregel nötig und läge im Interesse der Menschen. Der Gehorsam kann somit
nicht auf die Versprechenskonvention gegründet sein, zumal ja gerade die Einhaltung der
Versprechensregel durch staatliche Sanktion garantiert werden soll.
Das Interesse an Selbsterhaltung wird ohne einen expliziten Vertrag unmittelbar als
Begründungsinstanz für die Entstehung und Aufrechterhaltung gesellschaftlicher
Verhältnisse herangezogen.
27
Mit Hilfe des Modells der Übereinkunft bzw. der
Vertragshypothese findet Hume Argumente, die die Existenz überindividuell gültiger
Verpflichtungsregeln und Konventionen nachträglich aus dem Interessenkalkül heraus
durch empirische Erfahrungen einsichtig machen sollen.
28
Die fiktiven Laws of nature als
grundlegende Elemente der Rechtsordnung beruhen auf impliziten Konventionen und sind
durch theoretische Betrachtung logisch als den gegebenen Phänomenen zugrunde liegend
zu erschließen. Die Konvention, durch die Äußerung der Wortformel ,, Ich
verspreche... " der Verpflichtung zu unterliegen, die versprochene Handlung auch
tatsächlich auszuführen, ist als Mittel zur individuellen Nutzenmaximierung geeignet, wenn
sich Menschen unter bestimmten Bedingungen nach reiflicher Abwägung aller
Möglichkeiten für dieses Mittel hätten entscheiden können. Die fiktive Übereinkunft bildet
27
Vgl. Kersting,
'LH 3ROLWLVFKH 3KLORVRSKLH GHV *HVHOOVFKDIWVYHUWUDJHV, S. 251f.
28
Hume,
7UHDWLVH, S. 493: "This state of nature, therefore, is to be regarded as a mere fiction, not unlike that
of the golden age, which poets have invented [... ]." , ebd., S. 495: " The selfishness of men is animated by the
few possessions we have, in proportion to our wants; and `tis to restrain this selfishness, that men have been
oblig' d to separate themselves from the community, and to distinguish betwixt their own goods and those of
others. Nor need we have recourse to the fictions of poets to learn this; but beside the reason of the thing, may
discover the same truth by common experience and observation."

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836644259
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Leipzig – Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie, Institut für Philosophie
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
versprechen hannah arendt paul ricoeur david hume vertragstheorie
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Titel: Der Begriff des Versprechens bei Hannah Arendt und Paul Ricoeur
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