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Zwischen den Stühlen - Möglichkeiten und Grenzen in der Betreuung von psychisch kranken wohnungslosen Frauen

©2006 Diplomarbeit 137 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den spezifischen Problemlagen von psychisch kranken Frauen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Sie handelt ferner von den Sozialpädagoginnen, die dort arbeiten und in zunehmendem Maße mit diesen Klientinnen, ihren typischen Verhaltensweisen und Problematiken konfrontiert sind. Durch die Befragung von fünf Expertinnen aus frauenspezifischen Einrichtungen der Münchner Wohnungslosenhilfe wird untersucht, welche zentralen Herausforderungen sich im Hinblick auf eine adäquate Betreuung psychisch kranker Frauen ergeben und welche Forderungen an das Hilfesystem sich hieraus ableiten lassen.
Dazu werden nach der Einleitung zunächst themenrelevante Begriffe erörtert und einige Studien, die Berührungspunkte mit dieser Arbeit aufweisen, vorgestellt. Im methodischen Teil der Arbeit wird das Vorgehen bei der Datenerhebung und Auswertung der Interviews beschrieben. Diese Interviews werden im vierten Kapitel durch die Verknüpfung von Theorie und Praxis diskutiert. Im Fazit werden dann die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst, bevor abschließend die zentralen Forderungen an das Hilfesystem formuliert werden.
Durch die Auswertung der Interviews wurde deutlich, dass psychisch kranke Frauen in zunehmendem Maße die Dienste von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe in Anspruch nehmen. Ursachen dafür sind u.a. die meist unangemessenen Versorgungsstrukturen fachpsychiatrischer Einrichtungen - und hier insbesondere die hohen Zugangsvoraussetzungen. Hinzu kommen Probleme der KlientInnen auf der Individualebene wie Furcht vor Stigmatisierung, mangelnde Krankheitseinsicht und Kommunikationsfähigkeit aber auch negative Vorerfahrungen.
Die Wohnungslosenhilfe ist jedoch den Anforderungen, die sich aus der Betreuung ergeben, weder konzeptionell noch hinsichtlich ihrer Ressourcen gewachsen. Das, von Zurückgezogenheit und geringem Hilfesuchverhalten geprägte, krankheitsspezifische Verhalten der Klientinnen erfordert intensivere und zeitaufwendigere Betreuung. Verschärft wird diese Situation durch fehlende Unterstützungsinstrumentarien, unzureichende Ausbildung des Personals sowie mangelnde Infrastruktur. Dies bedeutet hohe Belastungen für die MitarbeiterInnen und führt nicht selten auch zu Überforderung.
Eine zentrale Forderung zur Lösung dieser Probleme für den Bereich der Wohnungslosenhilfe ist die Überprüfung ihrer fachlichen und quantitativen Ressourcen. Im Einzelfall werden Erhöhungen des […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Jutta Preisinger
Zwischen den Stühlen - Möglichkeiten und Grenzen in der Betreuung von psychisch
kranken wohnungslosen Frauen
ISBN: 978-3-8366-4352-8
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Katholische Stiftungsfachhochschule München, München, Deutschland,
Diplomarbeit, 2006
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

Summary
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den spezifischen Problemlagen von psychisch kranken Frauen in Ein-
richtungen der Wohnungslosenhilfe. Sie handelt ferner von den Sozialpädagoginnen, die dort arbeiten und in zu-
nehmendem Maße mit diesen Klientinnen, ihren typischen Verhaltensweisen und Problematiken konfrontiert sind.
Durch die Befragung von fünf Expertinnen aus frauenspezifischen Einrichtungen der Münchner Wohnungslosenhilfe
wird untersucht, welche zentralen Herausforderungen sich im Hinblick auf eine adäquate Betreuung psychisch
kranker Frauen ergeben und welche Forderungen an das Hilfesystem sich hieraus ableiten lassen.
Dazu werden nach der Einleitung zunächst themenrelevante Begriffe erörtert und einige Studien, die Berührungs-
punkte mit dieser Arbeit aufweisen, vorgestellt. Im methodischen Teil der Arbeit wird das Vorgehen bei der Datener-
hebung und Auswertung der Interviews beschrieben. Diese Interviews werden im vierten Kapitel durch die Ver-
knüpfung von Theorie und Praxis diskutiert. Im Fazit werden dann die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst,
bevor abschließend die zentralen Forderungen an das Hilfesystem formuliert werden.
Durch die Auswertung der Interviews wurde deutlich, dass psychisch kranke Frauen in zunehmendem Maße die
Dienste von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe in Anspruch nehmen. Ursachen dafür sind u.a. die meist unan-
gemessenen Versorgungsstrukturen fachpsychiatrischer Einrichtungen ­ und hier insbesondere die hohen Zu-
gangsvoraussetzungen. Hinzu kommen Probleme der KlientInnen auf der Individualebene wie Furcht vor
Stigmatisierung, mangelnde Krankheitseinsicht und Kommunikationsfähigkeit aber auch negative Vorerfahrungen.
Die Wohnungslosenhilfe ist jedoch den Anforderungen, die sich aus der Betreuung ergeben, weder konzeptionell
noch hinsichtlich ihrer Ressourcen gewachsen. Das, von Zurückgezogenheit und geringem Hilfesuchverhalten
geprägte, krankheitsspezifische Verhalten der Klientinnen erfordert intensivere und zeitaufwendigere Betreuung.
Verschärft wird diese Situation durch fehlende Unterstützungsinstrumentarien, unzureichende Ausbildung des
Personals sowie mangelnde Infrastruktur. Dies bedeutet hohe Belastungen für die MitarbeiterInnen und führt nicht
selten auch zu Überforderung.
Eine zentrale Forderung zur Lösung dieser Probleme für den Bereich der Wohnungslosenhilfe ist die Überprüfung
ihrer fachlichen und quantitativen Ressourcen. Im Einzelfall werden Erhöhungen des Personalschlüssels erforder-
lich sein. Darüber hinaus müssen seitens der Träger die Rahmenbedingungen für die Einführung regelmäßiger
Supervisionen geschaffen werden sowie auch die zeitlichen und finanziellen Voraussetzungen für intensive und um-
fassende Schulungen und Fortbildungen. Es bedarf genereller Regelungen hinsichtlich der Unterstützung der
Mitarbeiterinnen durch fachpsychiatrisches Personal ­ ob durch temporäre psychiatrische Sprechstunden oder ein
dauerhaftes interdisziplinäres Team ­ und einer weitestgehenden Flexibilisierung bei der Festlegung der
Betreuungsintensität. Zudem sind durch verbindliche Übereinkünfte verlässliche, effektive und fachübergreifende
Netzwerke aufzubauen, auf die im Bedarfsfall zurückgegriffen werden kann. Ergänzend dazu sind qualitativ und
quantitativ neue Angebote, wie gemischtgeschlechtliche Einrichtungen, frauenspezifische niederschwellige Tages-
stätten und gestaffelte Betreuungsangebote innerhalb der Einrichtungen zu schaffen.
Auch die Fachpsychiatrie muss ihre bislang starren und hochschwelligen Konzepte den speziellen Bedürfnissen
und Kompetenzen wohnungsloser Frauen anpassen, indem Zugangsvoraussetzungen und Therapieziele neu
definiert werden. Zum Ausbau des ambulanten Hilfesystems sind Voraussetzungen zu schaffen, die wohnungs-
losen Frauen den Zugang zu niedergelassenen PsychiaterInnen und PsychologInnen erleichtern.
Zur Realisierung dieser Forderungen bedarf es zunächst der Anerkennung der Problematik durch die
Verantwortlichen und der Bereitschaft, gemeinsam an diesem Ziel zu arbeiten.

Danksagung
An erster Stelle danke ich besonders herzlich den fünf Interviewpartnerinnen für ihre
Bereitschaft, die Gespräche mit mir zu führen. Ihre Offenheit, auch wenn persönliche
Dinge ins Spiel kamen, hat ebenso wie die Vermittlung wichtiger Sachinformationen
dazu beigetragen, dass diese Arbeit in der vorliegenden Form entstehen konnte.
In
diesem
Zusammenhang
danke
ich
selbstverständlich
auch
den
Dienststellenleiterinnen der vier frauenspezifischen Einrichtungen, dass sie ihr
Einverständnis für die Durchführung der Interviews gegeben haben.
Weiterer Dank gilt Frau Prof. Dr. Sabine Pankofer für ihre motivierende und unter-
stützende Betreuung meiner Arbeit. Sie gab mir viele Anregungen und spornte mich
immer wieder aufs Neue an, auch wenn ich oft meinte in eine Sackgasse geraten zu sein.
In den Gesprächen mit ihr konnten viele Probleme gelöst und Fragen geklärt werden.
Vielen Dank.
Besonders herzlich danke ich Thomas Sonnenmoser, meinem Mann, für seinen
unermüdlichen Einsatz und seine Unterstützung. Seine kritische Art, die mich einerseits
zur Weißglut brachte, war mir andererseits auch Motivation und Inspiration. Die
zahlreichen Diskussionen haben mir Aspekte aufgezeigt, die ich als Bereicherung meiner
Arbeit ansehe. Nicht zu vergessen sind sein Verständnis und seine moralische
Unterstützung, die mir über viele Tiefs hinweggeholfen haben. Dafür danke ich ihm sehr.
Ich danke ebenfalls meinen FreundInnen für die Zeit, die sie sich genommen haben um
meine Arbeit Korrektur zu lesen. Insbesondere bedanke ich mich bei Cora Gasse, die mir
als interessierte Nicht-Fachfrau in stundenlangen Telefonkonferenzen ihr Feed-back
gegeben und mich auf Unklarheiten aufmerksam gemacht hat.
Nicht zuletzt danke ich all den SozialpädagogInnen, Psychiaterinnen und
Verwaltungskräften, die freundlicherweise meine Fragen beantwortet haben und mir
Informationsmaterial zukommen ließen.

,,Verrückt ist nicht immer der, welcher den Verstand verloren hat,
sondern der, welcher alles verloren hat außer dem Verstand."
(Gilbert Keith Chesterton)

Inhaltsverzeichnis
1.
EINLEITUNG ...1
2.
THEORETISCHER TEIL ...4
2.1
T
HEMENRELEVANTE
B
EGRIFFSERLÄUTERUNGEN
...4
2.1.1
Wohnungslosigkeit ­ die Entwicklung eines Begriffs ...4
2.1.2
Wohnungslosigkeit bei Frauen...5
2.1.3
Alleinstehende wohnungslose Frauen...6
2.1.4
Wohnungslosenhilfe ­ Geschichte und rechtliche Grundlagen...7
2.1.5
Psychische Krankheiten...8
2.2
K
URZDARSTELLUNG AUSGEWÄHLTER EMPIRISCHER
S
TUDIEN
...9
2.2.1
Psychische Erkrankungen bei alleinstehenden wohnungslosen Frauen ­
eine epidemiologische Untersuchung von Annette Greifenhagen, 1995...10
2.2.2
Psychisch Kranke in der Wohnungslosenhilfe ­ eine qualitative Studie
von Rolf Romaus und Beate Gaupp, 2003 ...11
2.2.3
Bedarfslage und Struktur wohnungsloser Frauen in München ­ Ergebnisse
einer Verlaufsstichprobe von Rolf Romaus und Ruth Weizel, 2005 ...12
3.
METHODISCHER TEIL...13
3.1
D
ATENERHEBUNG
...13
3.1.1
Untersuchungsdesign ...14
3.1.2
Untersuchungsmethode ...15
3.1.3
Erhebungsinstrument ...16
3.1.4
Zugang zum Untersuchungsfeld und Stichprobenziehung...18
3.1.5
Feldphase ...19
3.2
D
ATENANALYSE
...20
3.3
G
ÜTEKRITERIEN DER
P
RAXISFORSCHUNG
...24
4.
DARSTELLUNG UND DISKUSSION DER INTERVIEW-ERGEBNISSE ...25
4.1
D
IE
E
XPERTINNEN
...25
4.2
D
ARSTELLUNG DER AUSGEWÄHLTEN FRAUENSPEZIFISCHEN
E
INRICHTUNGEN
...26

4.3
D
ISKUSSION DER
E
RGEBNISSE
...28
4.3.1
Problembewusstsein der Sozialpädagoginnen ...29
4.3.2
Psychiatrische Versorgung für wohnungslose psychisch kranke Frauen ...35
4.3.3
Besonderheiten der Interaktion zwischen Sozialpädagoginnen und
psychisch kranken Klientinnen...41
4.3.4
Arbeitssituation der Sozialpädagoginnen ...55
4.3.5
Handlungsziele der Wohnungslosenhilfe ...75
4.3.6
Netzwerkstrukturen und Kooperation mit fachpsychiatrischen
Einrichtungen ...81
4.3.7
Möglichkeiten und Grenzen der Wohnungslosenhilfe...89
4.3.8
Kriterien für die Entwicklung bedarfsgerechter Wohnformen...97
5.
FAZIT...103
6.
FORDERUNGEN AN DAS HILFESYSTEM ...106
7.
SCHLUSSBEMERKUNG ...111
LITERATURVERZEICHNIS...114
ANHANG 1 ­ INTERVIEW LEITFADEN...123
ANHANG 2 - KURZFRAGEBOGEN...125
ANHANG 3 ­ SCHAUBILD QUALIFIZIERTE ANGEBOTE FÜR WOHNUNGSLOSE
FRAUEN IN NOTSITUATIONEN...126
ANHANG 4 ­ SCHAUBILD KONTAKTHÄUFIGKEIT NACH BEDARFSLAGE...127
ANHANG 5 ­ SCHAUBILD VERMITTLUNG IN WOHNFORM NACH
BEDARFSLAGEGRUPPEN...128
ANHANG 6 ­ SCHAUBILD WEITERVERMITTLUNG INS HILFESYSTEM, EXTERNE
KONTAKTE, KOOPERATION NACH PROBLEMBEREICHEN ...129

1
1.
Einleitung
Vielleicht ist sie Ihnen in der Nähe vom Ostbahnhof in München schon einmal
aufgefallen? Eine ältere, zierliche Frau, die mindestens 15 große, prall gefüllte Taschen
etappenweise von einer Stelle zur anderen transportiert? Man ist geneigt, ihr Hilfe
anzubieten, verzichtet aber angesichts der großen Menge an Taschen darauf ­ es wäre
ohnehin umsonst, denn diese Frau hat den ,,Auftrag zu tragen" und dabei kann ihr
niemand behilflich sein. Früher, als sie noch im Frauenobdach gewohnt hat, war sie oft 14
Stunden täglich unterwegs. Jetzt, wo sie endlich einen Platz im `Wohnprojekt Gravelotte-
Straße´ annehmen konnte und dort in psychiatrischer Behandlung ist, muss sie nur noch
1-2 Mal pro Woche ihrem Auftrag nachkommen.
Sie ist eine von vielen Betroffenen ­ eine von den wohnungslosen psychisch kranken
Frauen in München. Allerdings hatte sie Glück und hat einen der wenigen Plätze in einem
Wohnheim für psychisch kranke wohnungslose Menschen bekommen. Alle anderen sind
gefangen zwischen den Hilfesystemen ­ zwischen den Stühlen ­ und befinden sich
überwiegend in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Nicht, dass es ihnen dort schlecht
ginge. Nicht, dass sie dort mehr leiden, als anderswo ­ eine nachhaltige Versorgung, die
eine Verbesserung ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens bewirken könnte,
bekommen sie dort jedoch nur in eingeschränktem Maße.
Bevor ich mein erstes Praktikum in einer frauenspezifischen Einrichtung der Wohnungs-
losenhilfe begonnen habe, war mir nicht bewusst, dass ich es dort auch mit psychisch
kranken Frauen zu tun haben würde. Mein erster Kontakt mit einer schizophrenen
Klientin ist mir noch heute deutlich vor Augen. Im Laufe des Praktikums habe ich ein
immer größer werdendes Interesse für diese Klientinnen entwickelt, aber auch für die
Sozialpädagoginnen, die täglich mit ihnen arbeiten. Aus dieser Erfahrung heraus ist die
Idee entstanden, die Möglichkeiten und Grenzen der Betreuung von psychisch kranken
Frauen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe im Rahmen meiner Diplomarbeit zu
untersuchen.
Wohnungslosigkeit ist ein altbekanntes Phänomen. Erst seit wenigen Jahren finden in der
Fachöffentlichkeit Frauen als eigenständige Gruppe Beachtung. Die wenigen Studien, die
existieren, beschränken sich überwiegend auf eine Beschreibung der sozio-

2
demographischen Daten, ihrer Lebenslagen sowie den Ursachen und Auslösern der
Wohnungslosigkeit (u.a. von Romaus 1990, Rosenke 1996, Neusser 1998). Eine Studie
im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend befasste
sich u.a. mit dem Hilfebedarf alleinstehender wohnungsloser Frauen (vgl. Enders-
Dragässer et.al., 2000).
Erst seit Mitte der 80er Jahre beschäftigt man sich in Deutschland mit der psychosozialen
und psychiatrischen Problemlage von wohnungslosen Menschen (vgl. Romaus/Gaupp
2003, 11). Abermals finden Frauen als eigenständige Zielgruppe wenig Raum in diesen
Studien. Ausnahmen sind die Untersuchungen von Greifenhagen (1995) und Torchalla
(2002). Dies ist umso erstaunlicher, da festgestellt wurde, dass Frauen im Allgemeinen
und wohnungslose Frauen im Speziellen in einem weit höheren Maße von psychischen
Erkrankungen betroffen sind als Männer (vgl. Greifenhagen 1995, 126).
Es gibt keine aktuellen Studien, die sich mit der Problematik der Betreuung von
psychisch kranken Frauen in der Wohnungslosenhilfe befassen. Sofern diese Thematik
überhaupt Teil von Untersuchungen ist, beziehen sich diese auf Einrichtungen für allein-
stehende wohnungslose Männer (siehe Romaus/Gaupp 2003).
Die vorliegende Arbeit soll deshalb von der Betreuung wohnungsloser psychisch kranker
Frauen handeln. Dabei war für mich sowohl die Erlangung von Kontextwissen, d.h.
Informationen über Handlungsstrukturen und Eigenschaften von psychisch kranken
wohnungslosen Frauen als auch von Betriebswissen, d.h. Informationen über die internen
Strukturen und die Arbeit mit den psychisch Kranken von Interesse. Dazu wurden fünf
Sozialpädagoginnen aus frauenspezifischen Einrichtungen der Münchner Wohnungs-
losenhilfe interviewt. Sie wurden gebeten, ihre Erfahrungen im Umgang mit diesen
Klientinnen zu schildern. Auf diese Weise sollen Rückschlüsse auf ihre
Arbeitsbedingungen, vorhandene Unterstützungsinstrumentarien und ihre persönliche
Einstellung zur Arbeit mit psychisch Kranken möglich werden, die dann unter
Zuhilfenahme von Fachartikeln und Ergebnissen unterschiedlicher Studien diskutiert
werden. Ziel meiner Arbeit ist, folgende Fragestellung zu beantworten:
Welche zentralen Herausforderungen ergeben sich für das Hilfesystem, um
eine adäquate Betreuung und Unterbringungsmöglichkeit für wohnungslose
psychisch kranke Frauen zu schaffen und dabei die Mitarbeiterinnen der
Wohnungslosenhilfe in ihrer Arbeit mit dieser Klientel so zu unterstützen,
dass sie langfristig motiviert und zufrieden sind?

3
Zur Beantwortung dieser Frage werden folgende Aspekte näher beleuchtet: Stellt der
Anteil der psychisch kranken Frauen in der Wohnungslosenhilfe quantitativ tatsächlich
einen so hohen Faktor dar, dass dieser überhaupt separat beachtet werden muss? Wenn
dem so ist, weshalb sind diese Frauen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe und
nicht in fachpsychiatrischen Einrichtungen? Bestehen in der Betreuung von psychisch
kranken Frauen Unterschiede gegenüber anderen Klientinnen der Wohnungslosenhilfe?
Fühlen sich die Mitarbeiterinnen der Wohnungslosenhilfe von der Arbeit mit dieser
Klientinnengruppe überfordert? Wenn ja, welche Bewältigungsstrategien und/oder
Unterstützungsinstrumentarien stehen ihnen zur Verfügung? Sind die Mitarbeiterinnen
der Wohnungslosenhilfe für die Betreuung psychisch kranker Frauen ausreichend
ausgebildet? Sind die Handlungsziele der Wohnungslosenhilfe mit den Bedürfnissen
psychisch kranker Frauen vereinbar? Über welche Netzwerke verfügt die
Wohnungslosenhilfe und wie gut wird die Zusammenarbeit mit den Akteuren bewertet?
Im theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit werden zunächst themenrelevante Begriffe
erläutert. Danach werden ausgewählte Studien mit Bezug zum Thema dieser Diplom-
arbeit vorgestellt. In Kapitel drei wird das methodische Vorgehen bei der Auswahl und
Durchführung von Datenerhebung und Datenanalyse ausführlich beschrieben, um dieses
transparent und nachvollziehbar zu machen. Der empirische Teil der Arbeit in Kapitel
vier ist in verschiedene Themengebiete unterteilt. Zunächst werden die befragten
Sozialpädagoginnen
und
ihre
Einrichtungen
vorgestellt.
Im
anschließenden
Auswertungsteil findet die Verknüpfung von Theorie und Praxis statt, indem prägnante
Interviewausschnitte angeführt und Übereinstimmungen oder Widersprüche zu
bestehenden Studien oder Fachartikeln diskutiert werden. Das fünfte Kapitel stellt eine
Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse dar. Im Anschluss daran werden die
daraus entstandenen Forderungen an das Hilfesystem formuliert und schließlich noch
durch einige persönliche Schlussbemerkungen ergänzt.
Ich habe mich entschieden, in der vorliegenden Arbeit die weibliche Sprachform zu
verwenden, da die Zielgruppe und die befragten Expertinnen allesamt Frauen sind.
Ausnahmen stellen Zitate dar. Sofern ich auf männerspezifische Studien und/oder
Fachartikel Bezug nehme, gebrauche ich die jeweils angemessene Sprachform.

4
2.
Theoretischer Teil
2.1
Themenrelevante Begriffserläuterungen
2.1.1
Wohnungslosigkeit ­ die Entwicklung eines Begriffs
Über Menschen ohne Wohnung liegen bereits seit der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts
Aufzeichnungen vor (vgl. Greifenhagen 1995, 7). Die Bezeichnungen für diese Menschen
variieren seitdem. Die Rede ist von Berbern, Wanderern, Vagabunden, Stadtstreichern,
Pennern oder Tippelschicksen, um nur einige zu nennen (vgl. Kellinghaus 2000, 1).
Noch heute gibt es in der Fachöffentlichkeit keine einheitliche Begriffsbestimmung für
diese Personengruppe (vgl. ebd. 2000a, 1). Bis in die 80er Jahre wurde überwiegend der
Begriff der »Nichtsesshaften« verwendet (vgl. Specht-Kittler 2004, 41). Aus sozial-
rechtlicher Sicht wurden bis Dezember 2004 zwei Personenkreise unterschieden:
Obdachlose
1
und Nichtsesshafte
2
, wobei die Rechtskategorie der erstgenannten Gruppe
nicht identisch mit deren tatsächlicher Lebenslage zu deuten war (vgl. Holtmannspötter
2002a, 20). Danach wurde der Begriff des »Nichtsesshaften« durch verschiedene
Erklärungsmodelle abgelöst. Der Deutsche Städtetag gab 1987 die Empfehlung ab, dass
Personen und Haushalte dann als »Wohnungsnotfälle« gelten, wenn diese
,,- unmittelbar von ersatzlosem Wohnungsverlust, etwa durch Räumungsklage,
bedroht sind,
- [...]akut vom Wohnungsverlust betroffen sind, faktisch ohne Wohnung und Unter-
kunft oder ordnungsrechtlich mit einer Wohnung oder Unterkunft versorgt sind,
- [...] aus sonstigen Gründen in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben."
(Holtmannspötter 2002a, 25).
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W) bezeichnet Personen
als ,,wohnungslos [...], wer nicht über einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum
verfügt.
3
" (www.bag-wohnungslosenhilfe...(b) 2005). Für Kellinghaus et al. (2000, 33)
sind für eine Zuordnung zu Lebensorten und Hilfesystemen neben der Dauer der
1
"Personen ohne ausreichende Unterkunft im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [...], die in Obdachlosen-
oder sonstigen Behelfsunterkünften oder in vergleichbaren Unterkünften leben." (§2 DVO zu §72 BSHG).
2
"im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [...], die ohne gesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage
umherziehen oder sich zur Vorbereitung auf die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft oder zur
dauernden persönlichen Betreuung in einer Einrichtung für Nichtseßhafte aufhalten." (§4 DVO zu §72
BSHG; Rechtschreibung übernommen).
3
Eine ausführliche Beschreibung des betroffenen Personenkreises ist unter http://www.bag-wohnungslosen-
hilfe.de/fakten/1.phtml zu finden.

5
Wohnungslosigkeit vor allem die sozialen und materiellen Ressourcen der betroffenen
Person ausschlaggebend. Sie schlagen deshalb eine andere Einteilung vor:
,,1) Menschen, die auf der Straße leben und übernachten (,,sleeping rough")
2) Menschen in Notunterkünften und sonstigen Einrichtungen für Wohnungslose
(,,hostel", ,,shelter")
3) Menschen, die vorübergehend bei Freunden, Verwandten etc. übernachten
(,,doubled up"). "
(Kellinghaus et al, 2000, 33)
.
Diese, sich voneinander unterscheidenden Begriffserklärungen machen deutlich, dass es
sich um eine sehr heterogene Gruppe von Menschen mit unterschiedlichen Lebens-
entwürfen und -verläufen handelt. Aufgrund dessen sollte auf eine Kategorisierung
verzichtet werden.
2.1.2
Wohnungslosigkeit bei Frauen
Wohnungslosigkeit bei Frauen findet in der Fachöffentlichkeit erst seit den 90er Jahren
Beachtung (vgl. Weizel 2003, 99). Der Unterschied zur allgemeinen Wohnungslosigkeit,
wie in Kapitel 2.1.1. beschrieben, liegt vor allem darin, dass ein Großteil der betroffenen
Frauen in »verdeckter Wohnungslosigkeit« lebt. Das bedeutet, Frauen gehen
Zweckpartnerschaften ein, prostituieren sich, um bei Freiern übernachten zu können oder
versuchen vorübergehend bei Bekannten, Freunden oder Verwandten unterzukommen;
häufig kehren sie zurück zu (gewalttätigen) Partnern oder in konfliktbelastete Situationen
in den Herkunftsfamilien, um so der Wohnungslosigkeit zu entgehen (vgl. Schröder 2004,
57; www.bag-wohnungslosen...(b) 2005; Redemann 1996, 162).
Von »latenter Wohnungslosigkeit« ­ auch davon sind überwiegend Frauen betroffen ­
sprechen Enders-Dragässer und Sellach (2000a, 100) bei Frauen, die zusammen mit
(Ehe-)Partnern zwar in eigenen Wohnungen leben, jedoch selbst nicht im Mietvertrag
stehen, wodurch für sie im Trennungsfall keine Rechtsgrundlage zum Verbleib in der
Wohnung besteht. Ebenso hinzuzuzählen sind Frauen, die Arbeitsverhältnisse mit
angeschlossener und somit ungesicherter Unterkunft eingehen und dadurch als kurzzeitig
von Wohnungslosigkeit bedroht gelten (vgl. Holtmannspötter 2002b, 15; Enders-
Dragässer/Sellach 2000a, 100). Außerdem zählen zu dieser Gruppe Frauen, die nach
einem Aufenthalt in Institutionen, z.B. Suchtkliniken, Strafanstalten, etc., nicht in eine
eigene Wohnung zurückkehren können (vgl. ebd. 2000, 100). Die BAG W ging davon
aus, dass bundesweit im Jahr 2002 330.000 Menschen (ohne Aussiedler) wohnungslos

6
waren; der geschätzte Anteil alleinstehender wohnungsloser Frauen im Sozialhilfesektor
lag hier bei etwa 21%
4
(vgl. Fachausschuss Frauen der BAG W 2003, 33).
2.1.3
Alleinstehende wohnungslose Frauen
Der Begriff der »alleinstehenden Wohnungslosen« hat sich als Bezeichnung für die
Zielgruppe der Wohnungslosenhilfe durchgesetzt (vgl. Holtmannspötter 2002b, 15). Eine
Eingrenzung der Personengruppe wird von verschiedenen Autoren angestrebt.
Kellinghaus (2000, 3) beispielsweise bezieht die Bezeichnung auf Personen,
,,die sich in Einrichtungen des Hilfesystems für alleinstehende Wohnungs-
lose aufhalten, und solche, die ohne Wohnung oder Zimmer sind und von
den Sozial- und Ordnungsbehörden an Einrichtungen des Hilfesystems für
alleinstehende Wohnungslose verwiesen werden, wenn sie um Hilfe
nachfragen (vgl.Gerstenberger 1993, John 1988, Ruhstrat et al.1991)." (zit.
ebd. 2000, 3 ­ Hervorhebung durch den Verfasser).
Holtmannspötter (2002b, 15) erweitert den Personenkreis um solche, die sich ohne eigene
Wohnung in Kliniken, Anstalten und Frauenhäusern aufhalten, solche, die in verdeckter
Wohnungslosigkeit leben und solche, die in teil- oder vollstationären Einrichtungen der
Wohnungslosenhilfe untergebracht sind. Überdies bezeichnet seiner Auffassung nach
»alleinstehend« nicht nur eine Umschreibung des Familienstandes, sondern auch die
Auswirkungen der sozialen Ausgrenzung und Isolation, die Wohnungslose erfahren (vgl.
ebd., 15).
Bei beiden Erklärungsversuchen bleiben Mütter ­ unabhängig davon, ob sie mit ihren
Kindern zusammenleben oder nicht ­ unberücksichtigt (vgl. Pechmann 1993, 125).
Enders-Dragässer und Sellach (2000a, 78) hingegen bezeichnen Mütter, ,,die ohne
Wohnung sind oder von ihren Kindern getrennt leben, aber ihre Lebensverhältnisse so
stabilisieren wollen, dass sie mit ihren Kindern wieder zusammenleben können" ebenfalls
als alleinstehende Wohnungslose.
Der, in der vorliegenden Arbeit verwendete Begriff der wohnungslosen psychisch
kranken Frau meint alleinstehende Wohnungslose ohne Kinder bzw. solche, die nicht mit
ihren Kindern zusammenleben und sich dadurch von Frauen mit Kindern, die in Mutter-
Kind-Heimen untergebracht sind, unterscheiden (vgl. Greifenberg 1995, 6).
4
Der Entwicklungsverlauf wird seit 1991 von der BAG Wohnungslosenhilfe auf Basis des DWA-Systems
(Dokumentationssystem zur Wohnungslosigkeit Alleinstehender) festgehalten: 6,4% (1991), 8,7% (1992),
9,1% (1993), ca. 11% (1994), 12,4% (1995), 13,4% (1996), 12% (1997), 14,4% (1998), 15,1% 1999 (vgl.
www.bag-wohnungslosenhilfe... (b), 2005)

7
2.1.4
Wohnungslosenhilfe ­ Geschichte und rechtliche Grundlagen
Geschichte der Wohnungslosenhilfe. ­ Die Unterstützungsformen für Menschen ohne
festen Wohnsitz haben sich in den vergangenen Jahrhunderten oft gewandelt (vgl.
Reifferscheid/Lutzenberger 2000, 85ff). Im 19. Jahrhundert unterlagen sie der Obhut
privater Fürsorgeorganisationen (vgl. Greifenhagen 1995, 10), der so genannten
,,Wanderarmenhilfe", deren Ziel es war, die Arbeitsfähigen auf der Suche nach Arbeit zu
unterstützen (vgl. Holtmannspötter 2002a, 21) und den Arbeitsunfähigen Hilfe zu
gewähren und sie zu betreuen (vgl. Reifferscheid/Lutzenberger 2000, 88). Zu Zeiten des
Nationalsozialismus wurde der Fürsorgegedanke völlig verdrängt (vgl. ebd., 88). Nach
1945 etablierte sich der Begriff der Nichtsesshaftenhilfe, deren Aufgabe sich an den
Zielen der Hilfeleistungen vor 1933 orientierte. Dies waren die Schaffung von
Notunterkünften und die Errichtung von Arbeiterkolonien, die bis in die 70er Jahre hinein
bestehen blieben (vgl. ebd., 88).
In der heutigen Praxis ist nach Reifferscheid und Lutzenberger (2000, 89) ein Wandel in
der Bedarfslage feststellbar. Die primäre Aufgabe der Wohnungslosenhilfe ist nicht mehr
nur die Versorgung mit Wohnraum und die Wiedereingliederung von Wohnungslosen
sondern ,,zunehmend die langfristige, dauerhafte Versorgung von Wohnungslosen" (ebd.,
89).
Frauenspezifische Angebote innerhalb der Wohnungslosenhilfe entwickelten sich erst
Anfang der 80er Jahre. Seit 1992 existiert in der BAG W ein Fachausschuss, der sich
speziell und ausschließlich für die Frauenproblematik einsetzt (vgl. Hassemer-Kraus
2004, 105). Bundesweit gab es 2002 lediglich 63 frauenspezifische Angebote und 24
ambulante Beratungsstellen (vgl. ebd., 105). München ist im bundesweiten Vergleich
jedoch relativ gut mit frauenspezifischen Angeboten für wohnungslose Frauen
ausgestattet (siehe Anhang Nr. 3).
Rechtliche Grundlagen. ­ Die Zielgruppe der heutigen Wohnungslosenhilfe ist in § 67
SGB XII definiert. Es handelt sich dabei um ,,Personen, bei denen besondere Lebens-
verhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, [...]." (SGB XII, 80). Eine
Unterscheidung zwischen Obdachlosen und Nichtsesshaften wurde in der neuen Gesetz-
gebung abgeschafft. Die Arten der Hilfeleistung sind in den Paragraphen §§ 3-6 der VO
zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem.
§68-69 SGB XII geregelt (vgl. Sozialhilferecht in Bayern 2005, 122ff). Die Betreuung

8
orientiert sich dabei an den Bedürfnissen und dem individuellen Hilfebedarf der
Betroffenen. Dazu zählen demnach Maßnahmen zur Wohnraumerhaltung, -sicherung
oder -beschaffung sowie Beratung und persönliche Unterstützung. Darüber hinaus werden
Hilfen zur Ausbildung, Erlangung und Sicherung eines Arbeitsplatzes sowie Hilfen zum
Aufbau und zur Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen und zur Gestaltung des Alltags
angeboten (vgl. ebd., 122ff).
Prinzipiell sind Hilfeleistungen nach § 67 ff SGB XII gegenüber anderen Leistungen
nachrangig zu gewähren (vgl. www.fhh.hamburg... 2006). Zu solchen Leistungen gehören
Eingliederungshilfen nach § 53ff SGB XII für Menschen mit einer körperlichen,
seelischen oder geistigen Behinderung (vgl. SGB XII, 75). Personen, denen aus persön-
lichen Gründen Maßnahmen nach § 53ff SGB XII nicht zugänglich sind bzw. von ihnen
abgelehnt werden und die sich deshalb in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe gemäß §
67ff SGB XII befinden, können ergänzende Hilfen nach §§ 54. Abs.II, 55 SGB XII
beantragen.
2.1.5
Psychische Krankheiten
Obschon in der Alltagssprache häufig verwendet, gibt es bis heute ,,keinen einheitlichen,
allgemein anerkannten Begriff von Krankheit" (Vollmoeller 2001, 11). Auf Empfehlung
der WHO
5
wurde der Begriff »Krankheit« weitgehend von dem weniger
stigmatisierenden Wort der »Störung« abgelöst (vgl. Hardtmann 2005, 671). Psychische
Krankheiten sind nach Freud Störungen im Erleben und in den Verhaltensweisen in den
Bereichen der Liebes-, Arbeits- und Genussfähigkeit (vgl. Klosinski 2001, 1447). Das
Bundesministerium für Gesundheit und Frauen fügt ergänzend hinzu, dass psychische
Störungen erst dann als solche bezeichnet werden können, wenn die Betroffenen
,,deutlich in ihrem sozialen, beruflichen und privaten Leben eingeschränkt"
(www.frauenratgeberin...2005) sind und erhebliche Abweichungen vom Erleben oder
Verhalten psychisch gesunder Menschen zu erkennen sind (vgl. Vollmoeller 2001, 62 und
119), was das ,,Bestehen von Normverhaltensregeln voraus(setzt)" (Klosinski 2001,
1447)
6
.
Um eine einheitliche Diagnostik und Klassifikation unterschiedlicher Krankheitsbilder zu
gewährleisten, unterstützt die WHO seit den 40er Jahren die Entwicklung des
5
Weltgesundheitsorganisation (vgl. Harrenberg 1999, 787)
6
Die Problematik des stetigen Wandels von Normen sollen an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.

9
Diagnosenschlüssels ICD
7
(vgl. Hardtmann 2005, 671), dessen 10. Revision seit 1991
weltweit anerkannt ist (vgl. Klosinski 2001, 1447). Im Kapitel V des aktuellen ICD-10
werden psychische Störungsbilder beschrieben (vgl. www.dimdi.de...2006). Parallel dazu
wird häufig auch das, von der American Psychiatric Association entwickelte
Klassifikationssystem DSM IV
8
verwendet (vgl. Davison/Neal 2002, 58).
In der vorliegenden Arbeit wird, in Abstimmung mit den Interviewpartnerinnen, der
Alltagsbegriff der »psychischen Krankheit« verwendet. Damit sind psychotische
Störungen, wie affektive Psychosen, Schizophrenien, schwere neurotische Störungen oder
Persönlichkeitsstörungen gemeint. Mit diesem Vorgehen habe ich mich an der Berliner
Studie von Paetow-Spinosa (1997)
9
orientiert.
Gemäß ICD-10, Kapitel V (F) gehören zu dieser Gruppe auch Sucht- und
Abhängigkeitserkrankungen (vgl. www.dimdi.de...2006). In der Alltagssprache der
Sozialpädagoginnen werden diese jedoch von den oben angeführten Erkrankungen
unterschieden.
2.2
Kurzdarstellung ausgewählter empirischer Studien
Nachfolgend werde ich auf die jeweilige Aufgabenstellung, die Stichprobe, das
Untersuchungsdesign und die Erhebungsmethode von drei ausgewählten Studien, die für
die vorliegende Arbeit relevant sind, näher eingehen.
Greifenhagen (1995) untersuchte in ihrer Studie psychische Erkrankungen bei
alleinstehenden wohnungslosen Frauen. In der Erhebung von Romaus/Weizel (2005)
wurden diese Klientinnen als Untergruppe betrachtet, wobei hier außerdem, wie auch in
der Forschungsarbeit von Romaus und Gaupp (2003), Arbeitsprozesse und Handlungs-
weisen von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe analysiert wurden.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden in Kapitel 4 auszugsweise herangezogen,
um die geführten Interviews zu diskutieren.
7
International Classification of Diseases and Related Health Problems (vgl. Hardtmann 2005, 671).
8
Die vierte Fassung des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (Diagnostisches und
Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) (vgl. Davison/Neale 2002, 58).
9
Eine Untersuchung im Auftrag der Landeskommission Berlin gegen Gewalt, als Grundlage für einen
,,Aktionsplan Hilfen für wohnungslose Frauen", 1998 (vgl. www.senbjs.berlin.de... 2005)

10
2.2.1
Psychische Erkrankungen bei alleinstehenden wohnungslosen Frauen ­ eine
epidemiologische Untersuchung von Annette Greifenhagen, 1995
Aufgabenstellung. ­ Ziel der Studie war es, einen Beitrag zum Verständnis
medizinischer und psychiatrischer Problematiken wohnungsloser Frauen zu leisten. Dazu
wurde der Forschungsauftrag in drei Teile gegliedert:
,,1. Wie hoch ist die Gesamtprävalenz
10
psychischer Erkrankungen nach den
Diagnosekriterien des DSM-III in der Gruppe alleinstehender wohnungsloser Frauen in
einer deutschen Großstadt (München) im Vergleich zu alleinstehenden Männern und
der weiblichen Allgemeinbevölkerung?
2. Wie häufig sind spezielle psychiatrische Erkrankungen (z.B. schizophrene
Psychosen, Angststörungen, Suchtmittelmißbrauch) in dieser Personengruppe?
3. Welche Beeinflussungsfaktoren für die Entwicklung schwerer psychischer
Erkrankungen
bestehen
bei
alleinstehenden
wohnungslosen
Frauen
unter
Berücksichtigung demographischer Merkmale, sozialer Unterstützung, belastender
Lebensereignisse und der aktuellen Lebenssituation?"
(ebd., 55 ­ Hervorhebung durch die Verfasserin, Rechtschreibung übernommen).
Zum Zeitpunkt der Erhebung ­ 1988 bis 1990 ­ gab es in Deutschland nur wenige
Studien zur Untersuchung von psychisch kranken Wohnungslosen; keine davon
beschäftigte sich speziell mit Frauen. Mit der Bestandsaufnahme von psychischen
Erkrankungen bei alleinstehenden wohnungslosen Frauen in München leistete Annette
Greifenhagen somit im Rahmen ihrer Dissertation einen wichtigen Beitrag zur Ent-
wicklung der Wohnungslosenpolitik.
Stichprobe, Untersuchungsdesign, Erhebungsmethode. ­ Die epidemiologische Studie
basierte auf der Befragung von 32 alleinstehenden wohnungslosen Frauen und 146
Männern aus dem Betten-, Mahlzeiten- bzw. Autarkensektor
11
. Ein weiteres
Auswahlkriterium für die Befragung war, dass jede(r) Befragte seit mindestens 30 Tagen
nicht in einer eigenen Wohnung oder einem eigenen Zimmer gewohnt und zum
Interviewzeitpunkt auf der Straße, in Übernachtungseinrichtungen, städtischen Pensionen
oder in verdeckter Wohnungslosigkeit (siehe dazu Kapitel 2.1.2) gelebt hatte (vgl.
Greifenhagen 1995, 58f).
10
Prävalenz ist eine epidemiologische Kennzahl, die Angaben darüber macht, wie häufig ein bestimmtes
Krankheitsbild in einer bestimmten Population zu einem vorgegeben Zeitpunkt bzw. Zeitraum vorkommt
(vgl. www.gbe-bund.de...2005)
11
Die Einteilung erfolgte durch das Forschungsteam. Danach sind obdachlose Personen, die in Unterkunfts-
heimen und Pensionen übernachten, dem Bettensektor zuzuordnen; obdachlose Personen, die sich in
Suppenküchen unentgeltlich mit Essen versorgen, gehören dem Mahlzeitensektor an; Obdachlose, die
keines dieser Angebote nutzen und/oder in verdeckter Wohnungslosigkeit leben, zählen zum Autarken-
sektor (vgl. Greifenhagen, 1995, 67).

11
Zum Zeitpunkt der Erhebung ging man von etwa 1.000 alleinstehenden Wohnungslosen
in München aus. Aus Gründen der Repräsentativität bestimmte man eine Stichproben-
größe von 180 Interviews, wovon 30 Interviews mit Frauen geführt werden sollten (vgl.
ebd., 59). Um gegebenenfalls jahreszeitliche und witterungsbedingte Schwankungen
darzustellen, wurde die Befragung in zwei Phasen - Sommer 1988 und Winter 1989 -
durchgeführt (vgl. ebd., 68).
In teilstandardisierten Interviews wurden Fragen zu den Themen Häufigkeit, Schweregrad
und Beeinflussungsfaktoren von psychischen Erkrankungen gestellt (vgl. ebd., 55, 59).
Die Erhebungen orientierten sich weitgehend an dem von Farr et al. (1986) entwickelten
Fragebogen. Dieser enthielt sowohl Fragen zur psychiatrischen Diagnostik mittels des
DIS
12
anhand der Kriterien des DSM-III, als auch Fragen zu demographischen, bio-
graphischen und sozioökonomischen Aspekten (vgl. ebd., 80ff). Um einen möglichen
Zusammenhang zwischen frauenspezifischen Risikofaktoren und psychischen Erkran-
kungen im Obdachlosenbereich herauszuarbeiten, wurden Zusatzfragen zu Kindheit und
Jugend, zu Selbstwahrnehmung der Befragten in ihrer Rolle als Mutter, in der Familie
und im Beruf sowie zu Erfahrungen mit Prostitution und körperlichem und/oder
sexuellem Missbrauch gestellt (vgl. ebd., 85).
2.2.2
Psychisch Kranke in der Wohnungslosenhilfe ­ eine qualitative Studie von
Rolf Romaus und Beate Gaupp, 2003
Aufgabenstellung. ­ Durch unterschiedliche Studien (u.a. von Greifenhagen 1995,
Fichter et al. 1997, 1999) wurde der Nachweis erbracht, dass Einrichtungen der
Wohnungslosenhilfe in zunehmendem Maße auch als Auffangbecken für psychisch
kranke Menschen dienen (vgl. Zacharias 2002, 127).
Romaus und Gaupp erhielten deshalb den Auftrag
13
zu ermitteln, welche Möglichkeiten
der Unterstützung es für MitarbeiterInnen von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe
hinsichtlich der Betreuung von psychisch kranken KlientInnen geben könnte. Dazu sollte
zunächst ermittelt werden, welche Persönlichkeitsmerkmale für diese KlientInnen
charakteristisch sind (vgl. Romaus/ Gaupp 2003, 8f). Der zweite Teil der Studie befasste
12
Der Diagnostic Interview Schedule (Diagnoseinterviewzeitplan) ist ein, in hohem Grade strukturiertes
psychiatrisches Interview, das sorgfältig die Fragen spezifiziert (vgl. www.bookrags.com...2006).
13
Der Auftrag wurde von einer Interessengemeinschaft erteilt, die sich aus dem Zentralverband Sozialer
Heim- und Werkstätten, dem Sozialreferat der Stadt München und dem Katholischen Männerfürsorgeverein
München zusammensetzte.

12
sich mit den Reaktionsweisen des Personals auf solch typische Verhaltensweisen (vgl.
ebd., 9) mit dem Ziel, Grundlagen für MitarbeiterInnenschulungen zum Umgang mit
problematischen KlientInnen zu erarbeiten. Um das Ausmaß der zeitlichen und
psychischen Belastungen des Personals darzustellen, wurden im dritten Teil der Studie
Kooperationsstrukturen untersucht (vgl. ebd., 9).
Stichprobe, Untersuchungsdesign, Erhebungsmethode. ­ Zur Erlangung möglichst
repräsentativer Ergebnisse wurden sowohl MitarbeiterInnen als auch LeiterInnen von acht
Einrichtungen für wohnungslose Männer
14
mittels leitfadengestützter Interviews und
Gruppendiskussionen befragt (vgl. ebd., 9). Bei allen Einrichtungen handelte es sich um
reine Männereinrichtungen, da zwei ausgewählte Wohnheime für Frauen die Teilnahme
ablehnten. Durch diese Betrachtungsweise fehlt der geschlechterspezifische Aspekt. Die
Autoren weisen deshalb darauf hin, dass die Ergebnisse nicht uneingeschränkt auf
frauenspezifische Einrichtungen übertragen werden können (vgl. ebd., 11).
Außerdem wurden sechs psychiatrisch-explorative Gespräche mit ,, ,typischen Problem-
klienten'" (ebd., 10; Hervorhebung durch die Verfasser) geführt. Auf diese Weise sollte
deren Sichtweise zu ihren persönlichen Lebenslagen dargestellt werden. Im Anschluss
daran wurden die jeweils zuständigen BetreuerInnen zu den Klienten, ihren spezifischen
Verhaltensweisen und nach ihren eigenen Umgangsweisen mit diesen Klienten befragt
(vgl. ebd., 10).
2.2.3
Bedarfslage und Struktur wohnungsloser Frauen in München ­ Ergebnisse
einer Verlaufsstichprobe von Rolf Romaus und Ruth Weizel, 2005
Aufgabenstellung. ­ Die Mitglieder des Arbeitskreises `Hilfe für Frauen in Not´ gaben
zusammen mit dem Amt für Wohnen und Migration diese Studie in Auftrag. Ziel war es,
die Bedarfslage und Struktur der alleinstehenden wohnungslosen Frauen in München zu
untersuchen. Dies sollte als Grundlage für die Entwicklung und Optimierung einer
bedarfsgerechten Hilfestruktur dienen.
Zunächst sollte eine quantitative Zuordnung der hilfebedürftigen Frauen in vorgegebene
Gruppen erfolgen, um im nächsten Schritt ihre jeweilige Bedarfslage konkretisieren zu
14
Im Einzelnen waren dies drei niedrigschwellige Einrichtungen, eine Langzeiteinrichtung für ältere
wohnungslose Männer, eine Langzeiteinrichtung zur sozialen und beruflichen Integration nach § 72 BSHG,
zwei städtische Notunterkünfte in München und eine gegliederte Wohnungsloseneinrichtung im ländlichen
Baden-Württemberg (vgl. Romaus/Gaupp 2003, 10)

13
können. Die Einteilung der Frauen aus dem Hilfesystem erfolgte in die Bedarfslage-
Gruppen »Interventionsbedürftige«, »Wohnraumorientierte«, »Wanderin im System«
oder »Newcomerin« (vgl. Romaus/Weizel 2005, 3f).
Stichprobe, Untersuchungsdesign, Erhebungsmethode. ­ Mittels weitgehend
standardisierter Erhebungsbögen wurden Mitarbeiterinnen von sieben Einrichtungen und
Diensten für Wohnungs- und Obdachlose
15
befragt (vgl. ebd., 5)
16
. Die Fragenkomplexe
bezogen sich auf soziodemographische Daten von Klientinnen und auf ihre Lebens-
situation vor Inanspruchnahme des Hilfesystems. Außerdem wurden Fragen zur
Lebenssituation und der Art des Hilfebedarfs während des Untersuchungszeitraums sowie
zur Veränderung der Wohn- und Unterkunftsverhältnisse der Klientinnen gestellt (vgl.
ebd., 5).
3.
Methodischer Teil
In diesem Kapitel soll meine Vorgehensweise bei der Methodenfindung und die
schrittweise Anwendung der für diese Arbeit ausgewählten Methode beschrieben werden.
Diese detaillierte Verfahrensdokumentation dient dazu, dem/der LeserIn die Möglichkeit
zu geben, die Durchführung und Auswertung der im Rahmen dieser Arbeit geführten
Interviews nachzuvollziehen.
3.1
Datenerhebung
Empirische Sozialforschung kennt zwei Methoden zur Datenerhebung: die quantitative
und die qualitative Methode (vgl. Steinert/ Thiele 2000, 29; Diekmann 1999, 151).
Die Ergebnisse der quantitativen Sozialforschung werden mittels deduktiver Methoden,
d.h. der Ableitung des Besonderen vom Allgemeinen dargestellt, indem sie ,,[..] Frage-
stellung und Hypothesen aus theoretischen Modellen ableiten und an der Empirie
15
In der Studie wurden keine Aussagen bzgl. der Stichprobenziehung dargestellt.
16
Die Befragung fand in zwei Phasen statt: Phase 1 in der Zeit vom 01.10.2003 bis 28.02.2004, Phase 2
vom 01.03.2004 bis 30.11.2004 (vgl. Romaus/Weizel 2005, 6)

14
überprüfen" (Flick, 2000, 10). Gängige Erhebungstechniken sind unter anderem
Inhaltsanalysen, Fragebogenerhebungen und schriftliche Befragungen.
Qualitative Sozialforschung hingegen findet vor allem dann Anwendung, wenn es sich
um ein relativ komplexes, unerforschtes Arbeitsgebiet handelt, da die induktive
Vorgehensweise der ,,Komplexität von Handlungsfeldern und Problemlagen wie auch der
Prozessbezogenheit von Ereignissen Rechnung (trägt)." (Steinert/Thiele 2000, 20).
Qualitative Sozialforschung gibt Aufschluss darüber, ,,wie der Mensch wirklich handelt
und wie seine Interpretationen des Handelns aussehen." (Girtler zit. in Lamnek 2005, 7).
Durch diesen Zugang wird Neues erforscht, gewonnene Ergebnisse werden durch
Typisierung generalisiert und empirisch begründete Theorien werden entwickelt (vgl.
Steinert/Thiele 2000, 29ff; Flick 2000, 14; Lamnek 2005, 250 und 512).
Häufig angewandte qualitative Erhebungstechniken sind Gruppendiskussionen,
qualitative Interviews, teilnehmende Beobachtungen und qualitative Experimente (vgl.
Steinert/ Thiele 2000, 114).
Ich habe mich für die Methode der qualitativen Sozialforschung entschieden, da die
vorliegende Arbeit eine Abhandlung über ein relativ unerforschtes Gebiet der Sozialen
Arbeit ist.
Nachfolgend beschreibe ich mein Vorgehen bei der Wahl des Untersuchungsdesigns und
der Untersuchungsmethode.
3.1.1
Untersuchungsdesign
Bildet eine empirische Studie einen Prozess ab, analysiert und begleitet diesen, nennt man
dies Längsschnittuntersuchung. Handelt es sich dagegen um eine einmalige Erhebung, die
sich
auf
eine
momentane
Situation
bezieht,
spricht
man
von
einer
Querschnittsuntersuchung (vgl. Schaffer 2002, 48). Im zweiten Fall wird dabei jedoch
nicht ausgeschlossen, dass Retrospektivfragen gestellt werden dürfen, d.h. die
Interviewpartnerinnen zu vergangenen Ereignissen Stellung nehmen sollen (vgl. ebd., 49).
Die Interviews der vorliegenden Arbeit wurden in Form einmaliger Erhebungen
durchgeführt.

15
3.1.2
Untersuchungsmethode
Nach der Festlegung des Untersuchungsdesigns muss abgewogen werden, welche Unter-
suchungsmethode für das Thema am zweckmäßigsten ist. Nachfolgend beschreibe ich,
weshalb ich mich für das offene, leitfadengestützte Expertinnen-Interview entschieden
habe.
Eine weitläufig zitierte Definition des Begriffs »Interview«, der sich aus dem
Angloamerikanischen ableitet, gibt Scheuch. Danach ist ein Interview
,,[..] ein planmäßiges Vorgehen mit wissenschaftlicher Zielsetzung, bei dem die
Versuchsperson durch eine Reihe gezielter Fragen oder mitgeteilter Stimuli zu verbalen
Informationen veranlasst werden soll".
(zit. nach Scheuch 1967, 70 in Lamnek 2005, 330)
Im Interview erläutern die Befragten Details und sprechen frei, also ohne Antwort-
vorgaben, über Dinge, die für sie persönlich von Bedeutung sind, ohne dabei das Gefühl
zu haben, ausgehorcht zu werden (vgl. Flick 2000, 22ff; Mayring 2002, 68f).
Bei den qualitativen Interviews unterscheidet man zwischen episodischen, narrativen,
problemzentrierten, biographischen, fokussierten, rezeptiven oder diskursiven Interviews,
außerdem zwischen Intensiv-, Struktur- und ExpertInnen-Interviews (vgl. Steinert/ Thiele
2000, 114).
Das explorative Expertinnen-Interview ist für die vorliegende Arbeit besonders geeignet,
da ein relativ wenig erforschtes Feld thematisch strukturiert und Interpretations-
hypothesen herausgearbeitet werden können (vgl. Bogner/Menz 2002 (b), 37; Lamnek
2005, 91). Dabei ist zu beachten, so Mayring (2002, 13 und 22), dass Interpretation allein
dadurch, dass Menschen Forschungsgegenstand sind, immer subjektiv ist. In Folge dessen
ist keine Verallgemeinerung möglich.
Ich habe als Interviewpartnerinnen Sozialpädagoginnen ­ und nicht etwa Klientinnen ­
ausgewählt, da ich nicht nur Informationen über Handlungsstrukturen und Eigenschaften
von psychisch kranken wohnungslosen Frauen sammeln wollte. Meuser und Nagel
(2002a, 76) sprechen in diesem Fall von Kontextwissen und die Interviewpartnerinnen
fungieren als komplementäre Informationsträgerinnen, indem sie Auskunft ,,über die
Kontextbedingungen des Handelns der Zielgruppe" (ebd., 75) geben. Für die vorliegende
Arbeit sind aber auch die internen Strukturen und Arbeitsweisen mit psychisch Kranken
von großem Interesse. Dieses Datenmaterial wird in der Fachöffentlichkeit
Betriebswissen genannt (vgl. Meuser/Nagel 2002a, 76).

16
3.1.3
Erhebungsinstrument
Zur Durchführung von Interviews empfehlen Fachautoren den Gebrauch eines Leitfadens
(vgl. Meuser/Nagel 2002a, 77; Bogner/Menz 2002b, 37; Steinert/Thiele 2000, 137). Die
Funktion des Leitfadens besteht darin, einerseits den Erzählfluss anzuregen und gleich-
zeitig der Interviewerin zu ermöglichen, den Überblick darüber zu behalten, welche
relevanten Themenbereiche bereits bzw. noch nicht angesprochen wurden.
Durch vorangegangene Recherche und meine Erfahrungen aus dem Jahrespraktikum hatte
ich bereits eine, wenn auch eingeschränkte, Feldkompetenz erlangt. Dieses Fachwissen
konnte ich bei der Erstellung des Leitfadens einbringen (vgl. Friebertshäuser 2003, 376).
Die vorformulierten Fragen, deren Reihenfolge ich variabel an die jeweilige Interview-
situation angepasst habe, halfen mir, den Fokus auf bestimmte Themenbereiche zu
lenken, um dadurch eine maximale Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erreichen. Dazu
hat sich die Interviewerin an zwei zentrale methodologische Prinzipien zu halten:
Offenheit den Befragten gegenüber und Flexibilität (vgl. Steinert/Thiele 2000, 20;
Schaffer 2002, 108).
Bei der Erstellung meines Leitfadens (siehe Anhang Nr. 1) habe ich mich an folgenden
Hinweisen zur Fragenformulierung orientiert:
,,Die Fragen sollen:
keine Suggestivwirkung haben
neutral formuliert sein
nur einen Sachverhalt enthalten (keine oder-Fragen)
keine doppelte Negation enthalten (z.B. nicht unglücklich)
den Befragten nicht überfordern
einfache Worte enthalten (keine Fachbegriffe, Fremdwörter)"
(Steinert/Thiele 2000, 106. Hervorhebung durch die Verfasserinnen)
Den Leitfaden für die Expertinnen-Interviews habe ich nach unterschiedlichen Themen-
komplexen geordnet. Die Fragen bezogen sich, sofern dies nicht ausdrücklich erwähnt
wurde, auf Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe und wohnungslose psychisch kranke
Klientinnen, die in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe leben:
Problembewusstsein der Sozialpädagoginnen
Externe fachpsychiatrische Versorgungsmöglichkeiten
Besonderheiten der Interaktion zwischen Mitarbeiterinnen und psychisch kranken
Klientinnen
Arbeitssituation der Mitarbeiterinnen

17
Handlungsziele der Wohnungslosenhilfe
Netzwerkstrukturen und Kooperationen mit fachpsychiatrischen Diensten
Möglichkeiten und Grenzen der Wohnungslosenhilfe
Wünsche und Vorstellungen der Mitarbeiterinnen hinsichtlich einer optimalen
Wohnform für psychisch kranke wohnungslose Frauen.
Bei der Datenerfassung habe ich, wie dies von der Methodenliteratur empfohlen wird,
zur Aufzeichnung der Interviews ein Tonbandgerät verwendet und diese anschließend
transkribiert (vgl. Lamnek 2005, 367; Flick 2000, 186f). Diese Interviews befinden sich
in einer separaten Mappe und dienen als Anlage zu vorliegender Diplomarbeit. Sie
wurden nach dem Zufallsprinzip mit A, B, C, D und E benannt. Namentliche Nennungen
habe ich während der Niederschrift anonymisiert (vgl. Schmidt 2003, 546).
Zur Darstellung des Gesprächsflusses habe ich bei der Transkription folgende Zeichen
verwendet:
`..´
an dieser Stelle entstand eine kurze Gesprächspause
`...´
an dieser Stelle geriet das Gespräch ins Stocken
`(...)´
kennzeichnet Stellen, an denen ich weniger bedeutsame Stellen des
Interviewausschnitts weggelassen habe
`(Text
kursive Textergänzungen in Klammern sollen den Zusammenhang
verdeutlichen, in dem die Zitate gemacht wurden.
Im Hinblick auf die spätere Auswertung entspricht dieses Vorgehen gemäß Flick (2000,
192) einem angemessenen Verfahren, da bei Expertinnen-Interviews der Inhalt, nicht
jedoch die Analyse der Sprache, Gestik oder Mimik ausschlaggebend ist. Die für andere
Interviewformen geforderten Notationssysteme in denen beispielsweise Stimmlagen
vermerkt werden, sind nach Meuser und Nagel (2002a, 83) für die Interpretation von
Expertinnen-Interviews nicht notwendig.
Demographische und die berufliche Laufbahn betreffende Daten der Sozialpädagoginnen
habe ich in Form eines Kurzfragebogens erfasst (siehe Anhang Nr. 2). Diesen Teil der
Erhebung habe ich am Ende des jeweiligen Interviews durchgeführt, da ich vermeiden
wollte, dass die Frage-Antwort-Struktur im Interview fortgeführt werden könnte (vgl.
Flick 2000, 107; Steinert/ Thiele 2000, 112).

18
Im Anschluss an jedes Interview habe ich ein Postskriptum erstellt, in welchem ich meine
persönlichen Beobachtungen bzgl. der Person, der Umgebung, der Atmosphäre, usw.
erfasste (vgl. Lamnek 2005, 367; Flick 2000, 107f; Friebertshäuser 2003, 381). Diese
Aufzeichnungen, die nach Aussage der genannten Autoren möglicherweise für die Inter-
pretation der Texte hilfreich sein könnten, wurden ans Ende des jeweiligen Interviews
gestellt.
3.1.4
Zugang zum Untersuchungsfeld und Stichprobenziehung
Zielgruppe. ­ In der Methodenliteratur existiert keine eindeutige Definition darüber, wer
als Expertin gilt. Geht man von der methodologischen Betrachtungsweise aus, wird nach
Walter (1994, 271 in Meuser/Nagel 2002b, 259) diejenige Person, die über Wissen
verfügt, das nicht jedem Interessierten zugänglich ist, in den Expertinnen-Status erhoben.
Somit wird nach Meuser und Nagel (ebd., 259) als Expertin bezeichnet,
,,wer in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implemen-
tierung oder die Kontrolle einer Problemlösung, oder [..] über einen privilegierten
Zugang zu Informationen über relevante Personengruppen, Soziallagen und
Entscheidungsprozesse verfügt".
Nach Meuser und Nagel (2002a, 74ff) fungieren Mitarbeiterinnen der zweiten Ebene als
Trägerinnen abrufbarer Informationen und sind gleichzeitig Funktionsträgerinnen
innerhalb einer Organisation (vgl. Lamnek 2005, 332; Friebertshäuser 2003, 371). Ihre
Aussagen sind, so Meuser und Nagel (2002a, 81), ,,im Kontext ihrer institutionell-
organisatorischen Handlungsbedingungen" zu verorten. Aus diesem Grund sollte keine
meiner Interviewpartnerinnen eine Leitungsposition bekleiden.
Stichprobenziehung. ­ In der qualitativen Sozialforschung steht nicht die
Repräsentativität sondern die Themenrelevanz der Subjekte im Vordergrund. Es sind die
wesentlichen und typischen Zusammenhänge der Merkmale von Interesse, und die
Ergebnisse haben illustrativen statt repräsentativen Charakter (vgl. Lamnek 2005, 266
und 384; Flick 2000, 57 und 281; Steinert/Thiele 2000, 48). Die Einrichtungen habe ich
ausgewählt, da es sich um typische, frauenspezifische Einrichtungen der Münchner
Wohnungslosenhilfe handelt. Damit erfolgte mein Stichprobenziehungsverfahren nach
dem Prinzip der bewussten Auswahl (vgl. Schaffer 2002, 143).
Da in der vorliegenden Arbeit nicht die Organisationsstruktur einer einzelnen
Einrichtung, sondern vielmehr die Wohnungslosenhilfe als Hilfesystem betrachtet werden

19
soll, wurden in vier frauenspezifischen Einrichtung für Wohnungslose in München
jeweils eine bzw. zwei Mitarbeiterinnen befragt.
Der Kontakt zu diesen Sozialpädagoginnen kam über die Dienststellenleiterinnen
zustande, womit ich den Empfehlungen von Flick (2000, 72f) entsprach. Hiernach soll,
um Zugang zu Institutionen zu erlangen, zunächst die Ebene der Entscheidungsträger
angesprochen werden. Im Gespräch mit den Dienststellenleiterinnen erklärte ich den
Grund meines Anliegens, erläuterte kurz den Inhalt der Fragen, sprach über meine
Vorstellungen bzgl. möglicher Interviewpartnerinnen und nannte den voraussichtlichen
Zeitbedarf. Durch Vorgabe von Kriterien, die die Interviewpartnerinnen erfüllen sollten ­
keine Leitungsposition und mindestens einjährige Einrichtungszugehörigkeit ­ erzielte
ich auch im zweiten Schritt eine bewusste Auswahl der Stichprobe, obwohl ich die
Auswahl letztlich den Leiterinnen überlassen musste. Zwei der Leiterinnen stellten meine
Anfrage im Team vor und fragten nach freiwilligen Teilnehmerinnen. In den beiden
anderen Einrichtungen wurden die jeweiligen Mitarbeiterinnen von ihren Vorgesetzten
angesprochen, ob sie sich bereit erklären würden, ein Interview zu führen.
Nach dieser Vorarbeit gestaltete sich die anschließende Kontaktaufnahme zu den
Auserwählten problemlos. Die Mitarbeiterinnen waren sehr freundlich und
entgegenkommend, eine Terminvereinbarung war schnell getroffen.
Ursprünglich hatte ich vier Interviews geplant. Da in der qualitativen Forschung Stich-
probengrößen vorher nicht festgelegt werden müssen (vgl. Lamnek 2005, 193), habe ich
mich aufgrund des teilweisen Misslingens eines Interviews
17
entschieden, ein zusätzliches
zu führen.
3.1.5
Feldphase
Die Rolle der Interviewerin. ­ Hinsichtlich der Qualität der gewonnenen Daten gehen
Bogner und Menz (2002b, 50f) davon aus, dass, sofern die Interviewerin als Co-Expertin
anerkannt wird, die Befragten in der Regel zugänglicher und auskunftswilliger sind, und
die preisgegebenen Informationen sich durch hohes fachliches Niveau auszeichnen.
Vier der Befragten hatten mich schon als Praktikantin oder nebenberufliche Mitarbeiterin
ihrer Einrichtung erlebt. Daher gehe ich davon aus, dass ich von ihnen als Co-Expertin
17
Trotz der Verwendung eines Leitfadens kann es zu einem Misslingen bzw. einer Zwischenform zwischen
Miss- und Gelingen kommen. Siehe auch Meuser/Nagel 2002a, 77f.

20
akzeptiert wurde. Indem ich der fünften Interviewpartnerin vor Gesprächsbeginn meine
Beweggründe für die Auswahl dieses Themas erläuterte, hatte ich das Gefühl, auch von
ihr als Co-Expertin anerkannt zu sein.
Interviewsetting. ­ Um möglichst unverzerrte Daten zu erhalten, sollten nach Aussagen
einiger Autoren (vgl. Lamnek 2005, 396; Mayring 2002, 22f; Pfadenhauer 2002, 118,
Schaffer 2002, 107) Interviews möglichst im natürlichen Alltagsmilieu der Befragten
stattfinden. Auf diese Weise wird vermieden, dass sich die interviewte Person zu sehr
verstellt. Da ein Interview an sich bereits eine außergewöhnliche Situation darstellt, sollte
die Interviewerin durch den Gebrauch eines weichen, an den Sprachgebrauch der
Interviewpartnerin angepassten, Interviewstils ein Vertrauensverhältnis aufbauen (vgl.
Lamnek 2005, 726). Dieser Empfehlung entsprechend habe ich alle Interviews in den
Räumen der jeweiligen Dienststelle der Sozialpädagoginnen durchgeführt.
Zu Beginn eines jeden Interviews erläuterte ich nochmals den Hintergrund für die Be-
fragung. Ich versicherte meinem Gegenüber, dass ich die Gebote der Anonymität ein-
halten würde indem ich sie in der Ausarbeitung nicht namentlich erwähnen würden. Mein
Angebot, den Sozialpädagoginnen das getippte Interview zukommen zu lassen um evtl.
Korrekturen vornehmen zu können wurde von allen positiv aufgenommen. Drei der fünf
Frauen boten mir zudem an, dass ich mich bei Rückfragen gerne nochmals an sie wenden
dürfe. Die Dauer der Interviews lag zwischen 25 und 53 Minuten.
3.2
Datenanalyse
Die Aufgabe der Analyse von Expertinneninterviews ist es, so Meuser und Nagel (2002a,
80) ,,das Überindividuell-Gemeinsame herauszuarbeiten, Aussagen über Repräsentatives,
über gemeinsam geteilte Wissensbestände, Relevanzstrukturen, Wirklichkeitskon-
struktionen, Interpretationen und Deutungsmuster zu treffen.". Ein denkbares Instrument
für die Analyse des gewonnenen Interviewmaterials stellt die qualitative Inhaltsanalyse
dar. Für die Auswertung habe ich mich an der Analysetechnik der inhaltlichen
Strukturierung nach Mayring (2003, 56f und 89) orientiert.
Auswertungskategorien. ­ Bei der inhaltlichen Strukturierung werden anhand eines
Kategoriensystems bestimmte Themen, Inhalte und Aspekte aus dem Textmaterial
herausgefiltert (vgl. Mayring 2003, 83ff).

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Mayring bietet dafür zwei Vorgehensweisen an: bei der deduktiven Kategoriendefinition
leitet man die Kategorien von den Themenkomplexen des Leitfadens, basierend auf
vorliegenden Forschungsergebnissen, Arbeitshypothesen und der Fragestellung ab (vgl.
Mayring 2003, 74f; Steinert/Thiele 2000, 140; Schmidt 2003, 548). Die induktive Form
der Kategoriendefinition hingegen setzt die auswertungstechnische Offenheit der
Interviewerin voraus, indem sie bei der intensiven Auseinandersetzung mit dem
Textmaterial offen gegenüber Äußerungen der Befragten sein sollte, auch bzw. vor allem
wenn diese unvorhergesehene Aspekte oder Themen aufzeigen und sich damit neue
Kategorien ergeben (vgl. Schmidt 2003, 548; Steinert/Thiele 2000, 140). Trotz dieser
Unterschiede muss stets die Fragestellung im Zentrum der Überlegungen stehen; nur so
kann dem Merkmal der ,,Theoriegeleitetheit" (Mayring, 2003, 52 ­ Hervorhebung durch
den Verfasser) entsprochen werden.
Ich habe mich für eine Mischform dieser beiden Vorgehensweisen bei der
Kategoriendefinition entschieden und in einem ersten Materialdurchgang getestet,
inwiefern die vorab festgelegten Kategorien zutreffend und/oder ausreichend waren (vgl.
Mayring 2003, 83f). In einem zweiten Arbeitsschritt habe ich sog. Ankerbeispiele, d.h.
aussagekräftige Beispiele in Tabellenform gebracht und den entsprechenden Kategorien
zugeordnet (vgl. ebd., 83). Durch diese Vorgehensweise, dem sog. `Arbeiten am Material´
(vgl. Steinert/Thiele 2000, 138) stellte ich fest, dass einige Kategorien und
Unterkategorien teilweise umformuliert, ergänzt oder gestrichen werden mussten. Im
nächsten Arbeitsschritt habe ich pro Unterkategorie die Ankerbeispiele aller Interviews in
Tabellenform zusammengeschrieben um somit eine bessere Vergleichbarkeit zu
ermöglichen (vgl. Mayring 2003, 89).
Nachfolgend werden die endgültigen acht Hauptkategorien mit den zugehörigen
Unterkategorien aufgeführt:
Problembewusstsein der befragten Sozialpädagoginnen
In dieser Kategorie finden die subjektiven Wahrnehmungen der Sozialpädagoginnen
bezüglich psychischer Erkrankungen von Klientinnen der Wohnungslosenhilfe Raum.
Diese Kategorie wurde in folgende drei Subkategorien untergliedert:
o
Prävalenz
o
Art der Krankheitsbilder

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o
Komorbidität
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Die psychiatrische Versorgung wohnungsloser psychisch kranker Frauen
In dieser Kategorie soll untersucht werden, inwieweit das bestehende psychiatrische
Versorgungsnetz von wohnungslosen Klientinnen angenommen wird bzw. welche
Hindernisse bestehen. Dazu habe ich folgende Unterkategorien gebildet:
o
Probleme auf der Individualebene
o
Probleme auf institutioneller Ebene
Besonderheiten der Interaktion zwischen Sozialpädagoginnen und psychisch
kranken Klientinnen
In dieser Kategorie wird dargestellt, welche besonderen Formen der Interaktion sich
durch krankheitsbedingtes Verhalten von Klientinnen ergeben. Dazu ergaben sich
folgende Unterkategorien:
o
Kontaktaufnahme
o
Kommunikation
o
Einzelfallarbeit
o
Hilfesuch- und Inanspruchnahmeverhalten
o
Konfliktpotential
Arbeitssituation der Sozialpädagoginnen
Hier wird dargestellt, was in der Arbeit als besonders belastend erlebt und empfunden
wird, wie die Sozialpädagoginnen damit umgehen und auf welche Unterstützungs-
möglichkeiten sie zurückgreifen können. Auch persönliche Verarbeitungsmechanismen
von besonders belastenden Situationen werden dargestellt. Es fand eine Einteilung in fünf
Unterkategorien statt:
o
Persönliche Erfahrungen der Überforderung
o
Persönliche Bewältigungsstrategien
o
Konzeptionelle Unterstützungsmöglichkeiten für die Sozialpädagoginnen
o
Mitarbeiterinnenschulungen und Weiterbildungsmaßnahmen
o
Zufriedenheit
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Komorbidität bezeichnet das gleichzeitige Vorkommen von mehreren diagnostisch unterschiedlichen und
eigenständigen Krankheits- oder Störungsbildern, die nicht unbedingt in einem gemeinsamen
Zusammenhang stehen (vgl. www.depressionen-ratgeber.de...2006; Romaus/Gaupp 2003, 7)

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783836643528
DOI
10.3239/9783836643528
Dateigröße
2.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Katholische Stiftungsfachhochschule München – Soziale Arbeit
Erscheinungsdatum
2010 (März)
Note
1,1
Schlagworte
wohnungslosenhilfe erkrankung betreuung frauenhilfe
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Titel: Zwischen den Stühlen - Möglichkeiten und Grenzen in der Betreuung von psychisch kranken wohnungslosen Frauen
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