Der tschechische Historiker Zdenek Kalista und die Tradition der deutschen Geistesgeschichte
					
	
		©2008
		Diplomarbeit
		
			
				129 Seiten
			
		
	
				
				
					
						
					
				
				
				
				
			Zusammenfassung
			
				Inhaltsangabe:Einleitung:	
Zdenek Kalista (1900-1982) gehört zu den bedeutendsten tschechischen Historikern des 20. Jahrhunderts. Er war der Schüler von Josef Pekar (1870-1937), der großen Gestalt der tschechischen Historiographie, der auch im deutschsprachigen Raum bekannt ist. In seinem Werk konzentrierte er sich einerseits auf die Barockzeit, an die er sich bemühte, in geistesgeschichtlicher Weise heranzugehen. Andererseits verfasste er zwei Studien, die er explizit dem Versuch widmete, die Richtung der Geistesgeschichte methodologisch zu untermauern. An diesen Texten arbeitete er bereits seit dem Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die erste Studie Kalistas von methodologisch-theoretischer Art Cesty historikovy konnte noch vor Antritt des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei erscheinen. Die zweite Studie, die einfach Duchové dejiny betitelt ist, wurde aus Kalistas Nachlass in der Gedenkstätte für Nationalliteratur (Památník národního písemnictví) mit Sitz in Prag herausgegeben, und zwar erst viele Jahre nach dem Sturz des kommunistischen Regimes in den böhmischen Ländern. Die erste Übersetzung Kalistas Studie Dejiny duchové in die deutsche Sprache wird als Anhang in dieser Arbeit veröffentlicht.
Das Schicksal von Zdenek Kalista nach dem kommunistischen Februarumsturz war kein erfreuliches. Kalista wurde im Jahr 1951 in einem konstruierten politischen Prozess zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Freilassung erlebte er 1960 und seine Rehabilitation erst sechs Jahre später. Am Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts in der Zeit des Prager Frühlings konnte er als außerordentlicher Professor an die Philosophische Fakultät der Karlsuniversität in Prag zurückkehren. Nach Beginn der Normalisierung in der Tschechoslowakei in den 70er Jahren war Kalista gezwungen, sich wieder in Abgeschiedenheit zurückzuziehen. Einige Jahre vor seinem Tod erblindete er. Er starb 1982. Den Sturz des Kommunismus in der Tschechoslowakei erlebte er nicht mehr.
Das Thema dieser Arbeit ist vor allem, die grundlegenden Züge der Geschichtsmethodologie bei Zdenek Kalista zu untersuchen, wie er sie vor allem für sein Konzept der Geistesgeschichte entworfen hat, die er als spezifischen Wissenschaftszweig im Rahmen der Geisteswissenschaften gründen wollte. Die Geistesgeschichte ist jedoch nichts, was Kalista auf der grünen Wiese gegründet hätte, sondern vor ihm wurde ab dem Ende des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten in Deutschland eine […]
	Zdenek Kalista (1900-1982) gehört zu den bedeutendsten tschechischen Historikern des 20. Jahrhunderts. Er war der Schüler von Josef Pekar (1870-1937), der großen Gestalt der tschechischen Historiographie, der auch im deutschsprachigen Raum bekannt ist. In seinem Werk konzentrierte er sich einerseits auf die Barockzeit, an die er sich bemühte, in geistesgeschichtlicher Weise heranzugehen. Andererseits verfasste er zwei Studien, die er explizit dem Versuch widmete, die Richtung der Geistesgeschichte methodologisch zu untermauern. An diesen Texten arbeitete er bereits seit dem Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die erste Studie Kalistas von methodologisch-theoretischer Art Cesty historikovy konnte noch vor Antritt des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei erscheinen. Die zweite Studie, die einfach Duchové dejiny betitelt ist, wurde aus Kalistas Nachlass in der Gedenkstätte für Nationalliteratur (Památník národního písemnictví) mit Sitz in Prag herausgegeben, und zwar erst viele Jahre nach dem Sturz des kommunistischen Regimes in den böhmischen Ländern. Die erste Übersetzung Kalistas Studie Dejiny duchové in die deutsche Sprache wird als Anhang in dieser Arbeit veröffentlicht.
Das Schicksal von Zdenek Kalista nach dem kommunistischen Februarumsturz war kein erfreuliches. Kalista wurde im Jahr 1951 in einem konstruierten politischen Prozess zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Freilassung erlebte er 1960 und seine Rehabilitation erst sechs Jahre später. Am Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts in der Zeit des Prager Frühlings konnte er als außerordentlicher Professor an die Philosophische Fakultät der Karlsuniversität in Prag zurückkehren. Nach Beginn der Normalisierung in der Tschechoslowakei in den 70er Jahren war Kalista gezwungen, sich wieder in Abgeschiedenheit zurückzuziehen. Einige Jahre vor seinem Tod erblindete er. Er starb 1982. Den Sturz des Kommunismus in der Tschechoslowakei erlebte er nicht mehr.
Das Thema dieser Arbeit ist vor allem, die grundlegenden Züge der Geschichtsmethodologie bei Zdenek Kalista zu untersuchen, wie er sie vor allem für sein Konzept der Geistesgeschichte entworfen hat, die er als spezifischen Wissenschaftszweig im Rahmen der Geisteswissenschaften gründen wollte. Die Geistesgeschichte ist jedoch nichts, was Kalista auf der grünen Wiese gegründet hätte, sondern vor ihm wurde ab dem Ende des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten in Deutschland eine […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Mikulas Ctvrtnik 
Der tschechische Historiker Zdenek Kalista und die Tradition der deutschen 
Geistesgeschichte 
ISBN: 978-3-8366-4333-7 
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010 
Zugl. Karlsuniversität in Prag, Prag, Deutschland, Diplomarbeit, 2008 
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© Diplomica Verlag GmbH 
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010 
Dieses Buch entstand an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag im 
Rahmen des Forschungsvorhabens  MSM 0021620827 Die Böhmischen Länder inmitten 
Europas in der Vergangenheit und heute, und zugleich ist das Buch Ergebnis des 
Grantprojekts, das von der Grantagentur der Karlsuniversität in Prag (GAUK), Nummer 
20209, unterstützt wird.
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Inhalt
I. EINLEITUNG...5
II. DEUTSCHE GEISTESGESCHICHTE...7
1. Der Begriff der deutschen Geistesgeschichte...7
a) ,,Problemhistoriker" und ,,Geisteshistoriker"...11
3. Die Entwicklung der Geistesgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg ...14
4. Kalista zum Begriff der Geistesgeschichte...19
III. KALISTAS GEISTESGESCHICHTE ...23
1. Der Gegenstand der Geistesgeschichte ...23
a) Der Begriff und seine Geschichte...23
b) Begriffsgeschichte ...26
i) Zdenk Kalista...26
ii) Begriffsgeschichte in Deutschland: Koselleck...28
iii) Kalista und die deutsche Begriffsgeschichte...31
c) Mentalitätengeschichte und Kalistas Geistesgeschichte...32
i) Die gemeinsame Kritik der Mentalitätengeschichte und Kalistas Geistesgeschichte...34
d) Kulturgeschichte und Kalistas Geistesgeschichte ...36
i) Kalistas Begriff der Kulturgeschichte ...36
ii) Kulturgeschichte ...38
2. Geistesgeschichte als Wissenschaft ...41
a) Das Konzept der Geistesgeschichte ...41
b) Die Geistesgeschichte als neuer Wissenschaftszweig unter den übrigen Wissenschaften ...43
c) Die Beziehung von Zeit und Individuum bei Jaroslav Goll:...44
d) Kalistas Begriff ,,Zeit"...45
i) Die drei Stadien im Verfahren der Geistesgeschichte. Das Stadium der ,,Belebung des historischen 
Fakts"...47
ii) Wandlungen der ,,Zeiten" in der Geschichte ...48
iii) Kalistas methodisches Vorgehen von der Zeit zum Einzelnen und umgekehrt ...53
e) Der Begriff der ,,Zeit" bei Kalista und Peka ...54
i) Der Begriff der ,,Zeit" auf der Ebene theoretischer Arbeiten ...54
ii) Der Begriff der ,,Zeit" auf der Ebene konkreter historischer Arbeiten ...56
f) Wie äußert sich Kalistas ,,Zeitgeist" in der Realität ...57
IV. DIE ROLLE DES SUBJEKTS IM HISTORISCHEN ERKENNEN ...62
1. Die Auffassung des Subjekts im Prozess des historischen Erkennens bei Zdenk Kalista...62
2. Vergleich der Rolle des Subjekts bei Max Dvoák und Zdenk Kalista...68
a) Die Beziehung von Subjektivität und Objektivität bei Max Dvoák...68
b) Die Beziehung von Subjektivität und Objektivität bei Zdenk Kalista ...70
V. SCHLUSS: KALISTAS GEISTESGESCHICHTE UND DIE DEUTSCHE 
GEISTESGESCHICHTE...72
3
LITERATUR...75
I. Werke...75
II. Sekundärliteratur...77
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS...80
RESÜMEE IN ENGLISCHER SPRACHE  ABSTRACT IN ENGLISCH...81
ANHANG:     ZDENK KALISTA: GEISTESGESCHICHTE 
...82
EINLEITUNG...83
I. ...84
II...90
III...96
IV. ...102
V...108
VI. ...116
SCHLUSS...122
4
I.
EINLEITUNG
Zdenk Kalista (1900-1982) gehört zu den bedeutendsten tschechischen Historikern des 20. 
Jahrhunderts.   Er   war   der   Schüler   von   Josef   Peka   (1870-1937),   der   großen   Gestalt   der 
tschechischen Historiographie, der auch im deutschsprachigen Raum bekannt ist. In seinem 
Werk   konzentrierte   er   sich   einerseits   auf   die   Barockzeit,   an   die   er   sich   bemühte,   in 
,,geistesgeschichtlicher" Weise heranzugehen. Andererseits verfasste er zwei Studien, die er 
explizit   dem   Versuch   widmete,   die   Richtung   der  Geistesgeschichte  (auf   Tschechisch 
,,duchové djiny") methodologisch zu untermauern. An diesen Texten arbeitete er bereits seit 
dem Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die erste Studie Kalistas von methodologisch-
theoretischer Art Cesty historikovy
1
 konnte noch vor Antritt des kommunistischen Regimes in 
der Tschechoslowakei erscheinen. Die zweite Studie, die einfach Duchové djiny betitelt ist, 
wurde aus Kalistas Nachlass in der Gedenkstätte für Nationalliteratur (Památník národního 
písemnictví) mit Sitz in Prag herausgegeben, und zwar erst viele Jahre nach dem Sturz des 
kommunistischen   Regimes   in   den   böhmischen   Ländern.
2
  Die   erste   Übersetzung   Kalistas 
Studie  Djiny   duchové  in   die   deutsche   Sprache   wird   als   Anhang   in   dieser   Arbeit 
veröffentlicht.
Das Schicksal von Zdenk Kalista nach dem kommunistischen Februarumsturz war 
kein erfreuliches. Kalista wurde im Jahr 1951 in einem konstruierten politischen Prozess zu 
15 Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Freilassung erlebte er 1960 und seine Rehabilitation erst 
sechs Jahre später. Am Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts in der Zeit des Prager 
Frühlings   konnte   er   als   außerordentlicher   Professor   an   die   Philosophische   Fakultät   der 
Karlsuniversität   in   Prag   zurückkehren.   Nach   Beginn   der   Normalisierung   in   der 
Tschechoslowakei   in   den   70er   Jahren   war   Kalista   gezwungen,   sich   wieder   in 
Abgeschiedenheit zurückzuziehen. Einige Jahre vor seinem Tod erblindete er. Er starb 1982. 
Den Sturz des Kommunismus in der Tschechoslowakei erlebte er nicht mehr.
Das   Thema   dieser   Arbeit   ist   vor   allem,   die   grundlegenden   Züge   der 
Geschichtsmethodologie bei Zdenk Kalista zu untersuchen, wie er sie vor allem für sein 
Konzept der Geistesgeschichte entworfen hat, die er als spezifischen Wissenschaftszweig im 
Rahmen der Geisteswissenschaften gründen wollte. Die Geistesgeschichte ist jedoch nichts, 
was Kalista auf der grünen Wiese gegründet hätte, sondern vor ihm wurde ab dem Ende des 
19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten in Deutschland eine gleichnamige Richtung 
betrieben. Kalista selbst reflektierte seinen deutschen Vorgänger. Er wies allerdings darauf 
hin,   dass   seine  Geistesgeschichte  etwas   anderes   sein   soll,   als   es   die   deutsche 
Geistesgeschichte sein wollte, als sie sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts im 
deutschen   Raum   konstituierte.   Wir   werden   uns   daher   auch   der   deutschen   Form   der 
Geistesgeschichte  widmen, und zwar nicht nur in ihren Anfängen, sondern wir versuchen, 
auch   ihre   Entwicklung   in   der   Zeit   nach   dem   Zweiten   Weltkrieg   bis   zu   dem   Stand   zu 
bewerten, auf dem sie sich heute befindet.
Für   ein   tieferes   Verständnis   von   Kalistas   Platz   nicht   nur   im   Rahmen   der 
tschechischen   Historiographie,   sondern   auch   im   Kontext   der   europäischen,   vor   allem 
deutschen Historiographie, erwähnen und charakterisieren wir kurz die historiographischen 
1
  Das  Buch erschien  in Prag 1947. Neuausgabe,  laut  der ich in diesem  Artikel  zitieren  werde,  KALISTA, 
Zdenk: Cesty historikovy [Die Wege des Historikers], In: KALISTA, Zdenk: Cesty historikova myslení, Prag 
2002,   S.   21187.   Weiterhin   werde   ich   auf   Kalistas   Studie   ,,Cesty   historikovy"   die   im   Rahmen   der  Cesty 
historikova myslení veröffentlicht wurde, mit der Abkürzung CHM, CH verweisen.
2
 KALISTA, Zdenk: Djiny duchové, In: KALISTA, Zdenk: Cesty historikova myslení, Prag 2002, S. 189
257. Weiterhin werde ich auf Kalistas Studie ,,Djiny duchové" mit der Abkürzung CHM, DD verweisen.
5
Richtungen     Begriffsgeschichte,   Mentalitätengeschichte,   Kulturgeschichte,   die   Kalistas 
Geistesgeschichte, aber auch der deutschen Geistesgeschichte nahestanden.
Die Frage nach dem Charakter von Kalistas Geschichtsmethodologie führt zu dem 
Problem, wie der Platz und die Rolle des Subjekts, das die Geschichte erkennt, definiert 
werden soll. In Kalistas Fall können wir auch vom Subjekt sprechen, das die Geschichte 
,,wiederdurchleben"   soll.   Wenn   wir   die   Dichotomie   ,,verstehen      erklären"   in   Betracht 
ziehen, die als typisch in den methodologischen Diskussionen in der zweiten Hälfte des 19. 
Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nicht nur in Deutschland, 
sondern   auch   in   böhmischen   Ländern   auftauchte,   können   wir   Kalista   begründet   in   die 
Richtung der ,,verstehenden Historiographie" einordnen.
Die vorgelegte Arbeit setzte sich das Ziel, zur Forschung der Geschichtsmethodologie 
nicht   nur   der   tschechischen,   sondern   auch   der   europäischen,   vor   allem   der   deutschen 
Historiographie beizutragen. Zdenk Kalista wird häufig dafür kritisiert, dass er dem Subjekt, 
das an die Geschichte herantritt und sie erkennt, zu viel Freiraum ließ. Kann man Kalista 
wirklich vorwerfen, dass er den Platz, den das erkennende Subjekt im Prozess der Erkenntnis 
der   Geschichte   hat,   überbewertete?   Ist   es   wirklich   möglich,   Kalista   für   einen   rein 
,,subjektivistischen Relativisten" zu halten? Das werden einige der Fragen sein, auf die wir in 
der vorgelegten Arbeit zu antworten versuchen.
6
II. DEUTSCHE GEISTESGESCHICHTE
1. Der Begriff der deutschen Geistesgeschichte
Was ist eigentlich die deutsche Geistesgeschichte, eine der Richtungen der Historiographie in 
den deutschsprachigen Ländern am Ende des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts? 
Das erste Problem tritt bereits beim Ausdruck  Geist  (Tschechisch ,,duch") auf, das Träger 
vieler Bedeutungen ist. Holger Klein geht von der Definition der Geistesgeschichte aus, wie 
Eduard Spranger sie darbot, der unter anderem auch in ihren Rahmen eingeordnet werden 
kann. Die  Geistesgeschichte  ist seiner Ansicht nach keine separierte Disziplin mit einem 
eigenen Gegenstand, sondern es handelt sich eher um den Charakter der Methodologie oder 
um einen gewissen Umfang an Zugehensweisen zur Historiographie.
3
 Max Wehrli definiert 
die Geistesgeschichte als ,,wissenschaftliche Methode oder Strömung", deren Hauptvertreter 
vor   allem   zwischen   die   Jahre   1910-1925   eingeordnet   werden   können.
4
  Eine   genaue 
Definition der  Geistesgeschichte  ist jedoch schwierig, was auch einen der Gründe für die 
häufigen Einwände gegen sie darstellt.
Wenn   Klein   die  Geistesgeschichte  mit   anderen   Richtungen   der   Historiographie 
vergleicht, schreibt er, dass sie weder mit der Ideengeschichte noch mit der Geschichte des 
Denkens noch mit der Kulturgeschichte oder der Mentalitätengeschichte identisch ist. Alle 
diese Richtungen haben gemäß Kleins Definition ihren Platz in der Geistesgeschichte, sind 
allerdings begrenzter und im Hinblick auf sie präziser definiert.
5
In einem Vergleich der Ideengeschichte und der Geistesgeschichte heißt es, während: 
,,die Ideengeschichte das Werden einzelner Ideen verfolgt, so stellt die Geistesgeschichte die  
einzelnen   Ideen   nicht   nur   für   sich,   sondern   im   Zusammenhang   mit   dem   gesamten 
Geistesleben, als Faktoren neben andern und in Wechselwirkung mit anderen dar."
6
  Die 
,,geistesgeschichtliche"   Abhandlung   hebt   so  die   Idee   aus   ihrer   Isolation   im   Rahmen   der 
betreffenden Wissenschaft oder des Fachs und erforscht sie im Rahmen des allgemeinen 
geistigen Lebens.
Klein nimmt die Geistesgeschichte vor allem als überwiegende Mode der deutschen 
Bildungsschicht während der ersten dreißig bis vierzig Jahre des 20. Jahrhunderts wahr.
7
 Es 
entstand   jedoch   nie   eine   fest   geschlossene   Schule   oder   Bewegung.   Auch   deshalb   ist   es 
3
 ,,In the most widely accepted understanding it is not a separate discipline with its own distinct subject, but a 
methodology or a rather a certain range of approaches to history.", KLEIN, Holger:  Geistesgeschichte, In: 
Dictionnaire   International   des   Termes   Littéraires
,   zit.   gemäß:  http://www.ditl.info/arttest/art1972.php,   S.   1. 
(Zitieren von Internetseiten in dieser Arbeit ist zum 20.6.2008).
4
  ,,Aus   dem   Appellativ   ,Geistesgeschichte`   ist   also   der   Eigenname   einer   wissenschaftlichen   Methode   oder  
Strömung   geworden,   deren   Hauptvertreter   in   die   Jahre   1910   bis   1925   und  die   umgebende   zeitliche   Zone  
angesetzt   werden   können.   Eine   Definition   ist   allerdings   schwierig,   und   diese   Schwierigkeit,   die   mit   dem 
allgemeinen und schillernden Sinn der verwendeten Termini zusammenhängt, ist auch wohl der Haupteinwand 
gegen die ganze ,Schule` geworden.", WEHRLI, Max: Was ist/war Geistesgeschichte?, In: Christoph KÖNIG  
Eberhard   LÄMMERT   (Hrsg.),  Literaturwissenschaft   und   Geistesgeschichte   19101925,   Frankfurt   am   Main 
1993, S. 23.
5
 ,,Also, it is not identical with history of ideas or history of thought, nor with cultural history or even that of 
mentalities; they play a significant part in Geistesgeschichte but are more confined." K
LEIN
, Geistesgeschichte, 
S. 12.
6
  SEEBERG,   Erich:  Theologische   Literatur   zur  neueren   Geistesgeschichte,  Deutsche   Vierteljahrsschrift   für 
Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 3, 1925, S. 464.
7
  ,,Geistesgeschichte was the prevailing mode of German-language scholarship during the first three or four  
decades of the 20
th
 century.", KLEIN: Geistesgeschichte, S. 2.
7
schwierig, diese Strömung präziser zu begrenzen und zu definieren. Die  Geistesgeschichte 
spiegelte   sich   im   Grunde   in   allen   Geisteswissenschaften   wider,   gleich   ob   das   in   der 
Philosophie Ernst Cassirer, Theodor Litt, Georg Misch, Erich Rothacker, Eduard Spranger 
und andere oder in der Religionsgeschichte Ernst Troeltsch, in der Sozialgeschichte Karl 
Mannheim oder Max Weber, in der Kulturgeschichte Karl Lamprecht, Friedrich Meinecke, 
Oswald Spengler und andere,  in der Kunstgeschichte  Max Dvoák usw. waren.
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  Wie zu 
sehen ist, pflegen in die Geistesgeschichte Autoren eingeordnet zu werden, bei denen es auf 
den ersten Blick gar nicht so scheint, als ob sie etwas gemeinsam hätten. In die gleiche 
Strömung der Geistesgeschichte werden Philosophen eingereiht, die ansonsten abweichende 
philosophische   Konzeptionen   vertreten,   Historiker,   die   von   den   unterschiedlichsten 
Standpunkten aus an die Geschichte herantreten usw.
Man kann keine systematische Auslegung der Lehre der  Geistesgeschichte  geben. 
Diese   stellt   weder   ein   durchgearbeitetes   philosophisches   System   dar   noch   gibt   sie   eine 
systematische  und genau definierte  Aufzählung der  Prämissen  und Voraussetzungen,  auf 
denen   sie   ihre   philosophischen,   historischen   oder   jegliche   anderen   Forschungen   aufbaut. 
Dennoch   können   wir   versuchen,   gewisse   gemeinsame   Züge   zu   finden,   welche   die 
traditionelle deutsche Geistesgeschichte auszeichnen, ggf. solche Interpretationen ablehnen, 
welche   die  Geistesgeschichte  falsch   reduzieren,   und   auf   diese   Weise   wenigstens   das 
definieren, was die Geistesgeschichte nicht ist.
1. Die  Geistesgeschichte  beschränkt sich in ihren Abhandlungen nicht nur auf den 
menschlichen Geist als grundlegendes und einziges Prinzip der Auslegung. Man kann die 
traditionelle  deutsche  Geistesgeschichte  nicht so reduzieren,  als ob der Geist für sie das 
einzige  Movens  in   der   Geschichte   wäre.   Im   Gegenteil,   obgleich   der   Begriff   ,,Geist"   im 
Grunde   ungeklärt   bleibt,
9
  ist   dennoch   klar,   dass   es   sich   nicht   um   ein   Äquivalent   der 
menschlichen   Seele   handelt.   Begriffe   wie  Zeitgeist,  Volksgeist,  Kulturgeist  oder   einfach 
Gesamtgeist
10
, die in den Werken von Historikern der Richtung Geistesgeschichte auftreten, 
können   gerade   wegen   ihrer   Allgemeinheit   und   weil   sie   den   Rahmen   eines   einzelnen 
Individuums  überschreiten,  nicht   mit  der  menschlichen  Seele  gleichgesetzt  werden,  auch 
wenn diese ein Ausdruck jenes allgemeinen Geistes sein kann.
2. Es ist nicht wahr, dass die  Geistesgeschichte  wirtschaftliche, soziale, juristische 
und   weitere   Phänomene   als   Faktoren,   die   in   der   Geschichte   wirken,   ausschließt.   Sie 
akzeptiert   sie   jedoch   nicht,   wie   das   die   positivistischen   Historiker   taten,   als   notwendige 
Gesetze, nach denen sich der Lauf der Geschichte richtet. Eher begreift sie diese entweder als 
Faktoren unter anderen oder als eine Art Grundlage geistiger Phänomene, jedoch als eine 
Grundlage,   die   aus   der   Interpretation   der   Geschichte   nicht   eliminiert   werden   kann.   Im 
Gegensatz   zur   materialistischen   Position   lehnt   die  Geistesgeschichte  es   jedoch   ab, 
ökonomische Faktoren als bestimmend für den Lauf der Geschichte zu akzeptieren.
11
3.   Die  Geistesgeschichte  beschränkt   sich   in   ihrer   Gesamtheit   nicht   auf   bewusste 
Prozesse,   sondern   zieht   auch   unbewusste   Prozesse   in   Betracht.
12
  Dennoch   lässt   sich   bei 
vielen   Repräsentanten   der  Geistesgeschichte  das   menschliche   Bewusstsein   als 
Ausgangspunkt   ihrer   Abhandlungen   über   die   Geschichte   finden.   Nach   Ansicht   dieser 
Historiker   soll   die  Geistesgeschichte  gerade   vom   menschlichen   Bewusstsein   ausgehen. 
Walter Strich sieht im Begriff des Geistes ,,das Wesenhafte des menschlichen Bewusstseins 
[...]. Der Begriff Geist aber hebt aus den psychischen Phänomenen eine Sphäre heraus, die 
8
 KLEIN, Geistesgeschichte, S. 2.
9
 VÁRDI, Steven Béla: Modern Hungarian Historiography, New York  Guildford 1976, S. 6465.
10
  Vgl. z.B. UNGER, Rudolf:  Literaturgeschichte und Geistesgeschichte, In: Deutsche Vierteljahrsschrift für 
Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 4, 1926, S. 182.
11
 Ebd., S. 180181. Vgl. auch VÁRDI, Modern Hungarian Historiography, S. 64.
12
 Vgl. z.B. FEHR, Hans: Mehr Geistesgeschichte in der Rechtsgeschichte, In: Deutsche Vierteljahrsschrift für 
Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 5, 1927, S. 1.
8
nur   dem   menschlichen   Bewusstsein   eigen   ist.   Es   ist   die   Sphäre   des   objektivierenden 
Bewusstseins,   das   im   Werk   oder   der   Kultur   seinen   Ausdruck   findet   und   Geschichte  
begründet  [...].   Geist   also   ist   die   bewusste   Auseinandersetzung   mit   der   Welt   und   ihre 
Gestaltung in Werke."
13
4. Die  Geistesgeschichte  arbeitet nicht mit der positivistischen Vorstellung von der 
Existenz   notwendiger   Gesetzlichkeiten   in   der   Geschichte   nach   dem   Vorbild   der 
Naturwissenschaften.   Allerdings   setzt   sie   eine   gewisse   Entwicklung   in   der   Geschichte 
voraus.
14
5.   Sehr   häufig   wird   die  Geistesgeschichte  als   Fach   aufgefasst,   das   der 
Kulturgeschichte,   Ideengeschichte,   Philosophiegeschichte  verwandt   ist.   Gleichzeitig   wird 
jedoch betont, dass es sich nicht um ein Fach handelt, das mit ihnen identisch ist, und dass 
man sie nicht vermischen darf.
15
6.   Obgleich   die   traditionelle   deutsche  Geistesgeschichte  in   die   Tradition   der 
deutschen idealistischen Philosophie eingereiht wird,
16
 kann man den Begriff des Geistes in 
ihrem   Rahmen   und   die   spezielle   Auffassung   des   Geistes   und   seine   Entwicklung   in   der 
Geschichte bei Hegel nicht gleichsetzen. Die Geistesgeschichte widerspricht in den meisten 
Fällen dem metaphysischen Begreifen des Geistes, sei es im Sinne der ,,Selbstbewegung des 
absoluten   Geistes",   der   ,,Selbstentwicklung   der   Idee"   usw.   Der   ,,Zeitgeist"   gemäß   der 
Geistesgeschichte weist eher apersönliche Struktur auf. Er ist keine ,,Über-Person", sondern 
es handelt sich eher um die Manifestation der Gesamtheit von Repräsentationen, um das 
Einheitliche im Vielfältigen.
17
Für die Tatsache, dass die Geistesgeschichte Hegels spezifisches Konzept des Geistes 
und seiner Entwicklung in der Geschichte nicht übernimmt, zeugt unter anderem auch, dass 
in ihrem Rahmen keine einzige, deutliche und ausgearbeitete Vorstellung auftritt, was der 
,,Geist" sein soll. Eher treffen wir bei der Geistesgeschichte darauf, dass der Geist, sei es der 
Zeitgeist,  der Gesamtgeist  usw., als Begriff nicht klar definiert ist. So dass die konkrete 
Spezifikation seiner Entwicklung, wie Hegel sie beschrieben hat, für die  Geistesgeschichte 
nicht   vorausgesetzt   werden   kann.   Die  Geistesgeschichte  konzentriert   sich   eher   auf   die 
Feststellung des ,,Zeitgeistes"  in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg können wir häufig 
dem Terminus Zeitgeistforschung begegnen
18
 - annähernd in dem Sinne der Gesinnung einer 
Epoche.
19
  Auch   daher   ist   es   möglich,   manchmal   auf   die   Termini  Epochenforschung
20
, 
grundlegende geistige Tendenz der betreffenden Zeit, Lebensgefühl einer Generation usw. zu 
treffen. Max Wehrli zitiert für die Auffassung des Geistes im Rahmen der Geistesgeschichte 
Kluckhohns Worte: ,,Der gemeinte ,,Geist" sei ja nicht etwa ein Teilgebiet der Geschichte,  
13
 STRICH, Walter (Hrsg.): Die Dioskuren (Jahrbuch für Geisteswissenschaften), Bd. I., München 1922, S. 2.
14
 Vgl. VÁRDI: Modern Hungarian Historiography, S. 6465. Siehe auch STRICH: Wesen und Bedeutung der 
Geistesgeschichte, S. 12.
15
 Vgl. z.B. EHRLICH, Walter: Geistesgeschichte, Tübingen 1952, S. 5; SCHOEPS, Hans-Joachim: Was ist und 
was will die Geistesgeschichte, In: Gesammelte Schriften, Bd. 6, Hildesheim  Zürich  New York 2000, S. 12
13.
16
  VÁRDI:  Modern   Hungarian   Historiography,   S.   64;   SCHORN-SCHÜTTE,   Luise:  Ideen-,   Geistes-, 
Kulturgeschichte, In: Hans-Jürgen GOERTZ (Hrsg.): Geschichte. Ein Grundkurs, Reinbek bei Hamburg 2007, 
S. 542.
17
 Geist ist, was ,,ohne tragendes Gesamtbewusstsein und ohne tragende Gesamtperson besteht, manifestiert er  
sich immer nur in der Gemeinsamkeit der Repräsentation, als das Gemeinsame in der Mannigfaltigkeit  [...]. 
Daher lässt sich der Zeitgeist auch nie fixieren und definieren, sondern nur in seinen Erscheinungsformen 
charakterisieren." SCHOEPS: Was ist und was will die Geistesgeschichte, S. 27 und S. 33. Oder auch: ,, [...] die 
Annahme der Existenz und mystischen Selbstbewegung eines Gesamtgeistes ist leere Metaphysik.", STRICH: 
Wesen und Bedeutung der Geistesgeschichte, S. 2.
18
 Vgl. z.B. SCHOEPS: Was ist und was will die Geistesgeschichte, S. 10 ff. 
19
  SCHOEPS,   Hans-Joachim:  Geistesgeschichte   im   Spiegel   des   Grossen   Brockhaus
, 
In:   Zeitschrift   für 
Religions- und Geistesgeschichte 5, 1953, S. 174.
20
 OTTO, Stephan: Materialien zur Theorie der Geistesgeschichte, München 1979, S. 8.
9
etwa neben Staat, Philosophie, Kunst, Dichtung usw., aber auch nicht die Gesamtheit dieser  
Bereiche oder Kultursysteme, sagt Paul Kluckhohn, vielmehr sei Geistesgeschichte auf die  
hier ,,wirksamen Kräfte, ihre geistige Grundhaltung, ihren gemeinsamen Antrieb oder auf 
die   Einheit   des   geistigen   Lebens   in   ihnen"   gerichtet."
21
  Der   Einfluss   Hegels   auf   die 
Geistesgeschichte kann dennoch nicht außer acht gelassen werden.
22
7. Laut einigen Interpretationen
23
  ist es für die  Geistesgeschichte  grundlegend, dass 
sie aus der Legung der Beziehung zwischen der ,,geistig-moralischen" und der ,,natürlichen" 
Welt   hervorgeht,   wie   sie   bereits   bei   Droysen   auftaucht,   respektive   zwischen   Geist   und 
Materie,   wie   sie   zum   Beispiel   bei   Dilthey   auftritt.   Auf   dieser   Grundlage   soll   die 
Geistesgeschichte  dann   das   gegenseitige   Wirken   zwischen   Individuen   und   kollektiven 
Kräften,   wie   z.B.   Institutionen,   geistigen   Strömungen,   Traditionen   usw.,   verfolgen.   Der 
Einzelne   ist   Teil   einer   historisch   entstandenen,   gelebten   Welt   und   kann   daher   auch   das 
geistige Leben vergangener Zeiten verstehen.
8. Die wohl treffendste Charakteristik der Geistesgeschichte ist die Tatsache, dass sie 
eine Einheit im Rahmen der unterschiedlichsten Phänomene der betreffenden Zeit, Nation, 
Kultur usw. voraussetzen. Es ist gerade jener Begriff  Gesamtgeist  oder  Zeitgeist  usw., der 
diese Einheit ausdrückt, eher als dass er sie selbst schaffen würde. Obgleich wir bei jedem 
einzelnen   Denker   sein   eigenständiges   Verständnis   dessen   differenzieren   könnten,   was 
eigentlich   jener  Geist  darstellt,   können   wir   für   die   Denker   der  Geistesgeschichte 
zusammenfassen,   dass   bei   ihnen   in   der   Regel   die   Überzeugung   von   der   Existenz   eines 
bestimmten ,,Zeitgeistes", eines ,,Kulturgeistes" oder eines ,,Gesamtgeistes" usw. auftaucht.
Gleichzeitig   mit   der   Voraussetzung   einer   bestimmten   Einheit   im   Rahmen   der 
unterschiedlichsten Phänomene der betreffenden Zeit setzen die Denker der Geistesgeschichte 
die Verbundenheit dieser Phänomene, ihre gegenseitige Verknüpfung, bei der eines auf das 
andere verweist, und dieses wieder auf ein drittes usw., voraus. Die Voraussetzung der Einheit 
und Verbundenheit in der Gesamtheit der Erscheinungen der betreffenden Zeit ermöglicht es 
den Denkern der Geistesgeschichte dann zum Beispiel den Zeit oder den Zeitgeist der Gotik, 
Renaissance, des Barock usw. abzuhandeln. Die Denker der Geistesgeschichte sollen mittels 
der   Erforschung   der   Verbindung   und   der   Einheit   der   unterschiedlichsten   Phänomene   der 
betreffenden Zeit zu einer tieferen Erkenntnis des  Geistes der betreffenden Zeit  gelangen.
24 
Dieser Zeitgeist wird von den Vertretern der Geistesgeschichte vorausgesetzt. Meiner Ansicht 
nach stammt eine treffende Definition dessen, was eigentlich Geistesgeschichte ist, von Hans-
Joachim   Schoeps:   ,,Die   Geistesgeschichte   will   den   Geist   einer   Zeit,   den   sog.   Zeitgeist  
erfassen, wie er in den Manifestationen des geistigen Lebens: Philosophie, Kunst, Religion,  
aber auch Staat, Recht, Wirtschaft usw. zum Ausdruck kommt."
25
  Und Schoeps fährt fort: 
,,[...]  dass   die   Geistesgeschichte   speziell   interessiert   ist   an   den   Zusammenhängen   aller 
Gebiete   untereinander,   also   z.   B.   an   den   inneren   Beziehungen   zwischen   calvinistischer 
Theologie und frühkapitalistischer Wirtschaftsethik, lutherischer Amtslehre und preussischem 
Staat, expressionistischer Malerei und existenzphilosophischem Denken usw."
26
9. Die Geistesgeschichte arbeitet mit einer spezifischen Auffassung des erkennenden 
Subjekts.   Sie   setzt   eine   ausgeprägte   Aktivität   des   Subjekts   im   Prozess   des 
geistesgeschichtlichen  Erkennens   voraus.   Es   handelt   sich   nicht   um   ein   Subjekt,   das   nur 
passiv   das   reproduzieren   würde,   was   geschehen   ist,   sondern   immer   um   ein   aktiv 
21
 WEHRLI: Was ist/war Geistesgeschichte?, S. 23.
22
 Vgl. z.B. SCHOEPS: Was ist und was will die Geistesgeschichte, S. 11.
23
  SCHOERN-SCHÜTTE, Luise:  Neue Geistesgeschichte, In: Joachim EIBACH  Günther LOTTES (Hrsg.), 
Kompass der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2006, S. 270271.
24
 Vgl. z.B. STRICH: Wesen und Bedeutung der Geistesgeschichte, S. 511.
25
  SCHOEPS,   Hans-Joachim:  Geistesgeschichte   als   Lehrfach,   In:   Zeitschrift   für   Religions-   und 
Geistesgeschichte 8, 1956, S. 308.
26
 SCHOEPS: Geistesgeschichte als Lehrfach, S. 309.
10
,,konstruierendes"   Subjekt.   Prägnant   hat   das   Stephan   Otto   ausgedrückt:   ,,Strukturen, 
Entsprechungen, Synthesen sind ja nie in der Geschichte selber einfach vorfindlich, sondern 
werden immer nur von einem über Geschichte reflektierenden Subjekt gesetzt, das  um mit  
Lucien Goldmann zu sprechen  im geschichtlichen Material gewisse ,innere Kohärenzen` 
entdeckt. Vom Geistesgeschichtler in die Geschichte eingetragene Strukturen sind durchaus, 
wie auch Dilthey es einmal ausdrückt, ,Schöpfungen des auffassenden Subjekts`. Am Beispiel 
der Epochenforschung, einem besonders bedeutsamen Aufgabengebiet geistesgeschichtlicher 
Arbeit, leuchtet dieser Sachverhalt ohne weiteres ein: Mit ,historischer Methode` lässt sich  
über Beginn, Ende und Gestalt einer Epoche schlechthin keine Aussage machen  [...].  Die 
Morphologie, der innere Zusammenhang einer Epoche erschließt sich aber einzig und allein  
dem   Rekonstruktionsverfahren   des   Geistesgeschichtlers,   der   jene   Verbindungslinien 
,konstruiert`, welche die verdeckten inneren Kohärenzen zwischen Politik und religiösem 
Dogma,   Literatur   und   Philosophie,   Recht   und   Wirtschaft   einer   Epoche   erst   zu   einem 
intelligiblen   Strukturgefüge   verknüpfen."
27
  Das   aktive   Subjekt,   das   die   Geschichte   nicht 
einfach nur reproduziert, sondern sie auf bestimmte Weise ,,konstruiert, tritt dann auch bei 
Zdenk   Kalista
28
  auf,   und   auch   in   dieser   Hinsicht   steht   er   der   Tradition   der   deutschen 
Geistesgeschichte nah.
10. Die Historiker der Geistesgeschichte weisen häufig auf den Fakt hin, dass es im 
Rahmen der Geistesgeschichte notwendig ist, auf besondere Weise an die Quellenbasis, die 
der  Geistesgeschichte  zur   Verfügung   steht,   heranzugehen.
29
  Einerseits   nimmt   ihre 
Quellenbasis   einen   breiten   Raum   ein      für   ihre   Forschungen   verwendet   sie   nicht   nur 
Chroniken, Urkunden, die verschiedensten anderen Dokumente, sondern konzentriert ihre 
Aufmerksamkeit auf alles, was ein Produkt des menschlichen Geistes darstellt. Egal, ob das 
Tagebücher, Homilien, künstlerische Gegenstände oder Rechtskodexe sind, bis hin zu den 
bizarrsten möglichen Quellen. Sicher existieren auch andere historiographische Richtungen, 
die   mit   ähnlichen   Quellen   arbeiten.   Es   muss   daher   hinzugefügt   werden,   dass   die 
Geistesgeschichte gerade zu dem ihr eigenen Zweck mit ihren Quellen arbeitet. Also gerade 
mit   der   Frage:   Wie   äußert   sich   in   diesen   unterschiedlichsten   Quellen   der  Zeitgeist,   die 
Stimmung der betreffenden Zeit, der Charakter der Epoche usw. Dadurch unterscheidet sich 
ihre Arbeit mit den Quellen von den übrigen historiographischen Richtungen.
11.   Ohne   dass   sich   im   Rahmen   der  Geistesgeschichte  eine   genau   begrenzte   und 
definierte Methodologie konstituiert hätte, taucht bei ihren Vertretern häufig der Gedanke 
auf, dass sie sowohl an die Geschichte allgemein als auch an die Geschichte der einzelnen 
Wissenschaften auf eine spezifische Weise herangeht, die sich vom gewöhnlichen Zugang im 
Rahmen der einzelnen wissenschaftlichen Geschichtszweige unterscheidet. Worin konkret 
besteht dieser Unterschied?
a) ,,Problemhistoriker" und ,,Geisteshistoriker"
Sehr   prägnant   formulierte   Erich   Rothacker,   einer   der   bedeutendsten   Vertreter   der 
Geistesgeschichte, in seinem Artikel  ,,Philosophiegeschichte  und Geistesgeschichte"
30
  das 
unterschiedliche Herangehen der  Geistesgeschichte  an die Geschichte im Vergleich zu den 
übrigen Zugehensweisen und gleichzeitig ihre Einzigartigkeit. Rothacker findet zwei Arten 
27
 OTTO: Materialien zur Theorie der Geistesgeschichte, S. 8.
28
 Unten wird die Rolle des Subjekts in Kalistas Geistesgeschichte detaillierter analysiert.
29
 Vgl. z.B. SCHOEPS: Was ist und was will die Geistesgeschichte.
30
  ROTHACKER,   Erich:  Philosophiegeschichte   und   Geistesgeschichte,   Deutsche   Vierteljahrsschrift   für 
Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 18, 1940, S. 125.
11
von Historikern vor. Auf der einen Seite stehen die  Problemhistoriker,
31
  auf der anderen 
Seite sind das die Geisteshistoriker, also diejenigen, die Geistesgeschichte betreiben. 
Nehmen   wir   zum   Beispiel   eine   bestimmte   Entdeckung   in   der   betreffenden 
Wissenschaft oder die Lösung eines gewissen Problems im Rahmen dieser Wissenschaft, 
dann fordert der ,,Problemhistoriker" dazu auf, dass wir uns auf diese Entdeckung oder das 
Problem selbst, auf seine sachliche Bedeutung konzentrieren sollen. Darum soll es in erster 
Linie gehen. Alle übrigen Umstände sind nicht wichtig und hinsichtlich des betreffenden 
Problems rein äußerlich. Der ,,Geisteshistoriker" würde eine solche Auffassung ablehnen. 
Das, was der Problemhistoriker als rein äußerliche, unwichtige Bedingung begreift, fasst der 
Geisteshistoriker   als   ebenso   wichtig   auf,   wie   es   der   eigentliche   Inhalt   der   betreffenden 
Entdeckung ist. Wenn wir das Beispiel verwenden, das Rothacker erwähnt, dann würde der 
Problemhistoriker Kants neuen Ethikentwurf systematisch  wie wir heute sagen würden  
im Rahmen einer systematischen Philosophie erforschen, er würde ihn also in den Rahmen 
anderer ethischer Systeme einordnen und sich auf die ,,eigentliche" philosophische Aussage 
des betreffenden ethischen Systems konzentrieren. Der Geisteshistoriker würde im Gegenteil 
darüber hinaus auch die geschichtliche Bedingtheit von Kants Ethik erforschen. Er würde 
auch Tatsachen in Betracht ziehen, die nicht im eigentlichen Sinne des Wortes philosophisch 
sind, sondern auch zum Beispiel den Einfluss des Protestantismus auf Kants Ethik oder die 
Widerspiegelung der spezifisch christlichen Auffassung des Subjekts in ihr.
Der   Problemhistoriker   begreift   also   laut   Rothackers   Entwurf   die   geschichtlichen 
Bedingungen der betreffenden Probleme, seien sie philosophischer, aber auch chemischer 
oder physikalischer Art, als äußerlich, nebensächlich und unwichtig. Umgekehrt sind die 
geschichtlichen   Bedingungen   für   die   konkrete   Entdeckung,   das   Problem   usw.   für   den 
Historiker der Geistesgeschichte innerlicher und wesentlicher Art.
Rothacker behauptet als Vertreter des geistesgeschichtlichen Zugangs anschließend, 
dass der ,,problemorientierte" Zugang nicht auf das gleiche Niveau gesetzt werden kann wie 
der geistesgeschichtliche Zugang. Am Beispiel der Philosophiegeschichte zeigt Rothacker 
dann:  ,,...die  geistesgeschichtliche  Methode ist  im  Recht,  und die  problemhistorische  im 
Unrecht.   Oder   präziser:   die   Geistesgeschichte   hat   fürs   Ganze   Recht   und   die  
Problemgeschichte   nur   für   einen   Teil   des   Ganzen.   Und   dies   darum,   weil   die 
geistesgeschichtliche   Betrachtung   die   wertvollen   Resultate   einer   vollendeten  
problemgeschichtlichen Durchdenkung des klassischen Schrifttums restlos aufnehmen kann, 
während   die   vollendete   Problemgeschichte   zwar   zu   sehr   wertvollen   philosophischen 
Ergebnissen   kommen   kann,   darum   aber   als   Philosophiegeschichte   trotzdem   so 
fragmentarisch bliebe [...]."
32
Der   Geisteshistoriker   verfolgt   laut   Rothacker   an   unserem   Beispiel   philosophische 
Probleme in Verbindung mit den übrigen Wissenschaften und mit den übrigen kulturellen 
31
 ROTHACKER: Philosophiegeschichte und Geistesgeschichte, S. 7 f.
32
 ROTHACKER: Philosophiegeschichte und Geistesgeschicht, S. 8. Im Grunde gleich stellt sich die Beziehung 
der Geistesgeschichte und anderer spezieller Geisteswissenschaften Zdenk Kalista vor. Die Philosophie, aber 
auch   die   Rechtsgeschichte   u.a.   verfolgen   Begriffe,   Vorstellungen,   Probleme   im   Rahmen   des   betreffenden 
philosophischen Systems, der Rechtsgeschichte usw., während die die Geistesgeschichte sich im Rahmen der 
,,Struktur   der   Zeit",   des   ,,Zeitmilieus"   mit   ihnen   befasst.   Umgekehrt   gilt   laut   Kalista   für   den 
Philosophiehistoriker und sein Fach: ,,Wir könnten sagen, dass die Struktur der Zeit, in welche wir die Begriffe,  
Vorstellungen und anderen Äußerungen des menschlichen Geistes zuerst setzten, als wir über den Gegenstand  
der Geistesgeschichte sprachen, hier von der Struktur des philosophischen Systems ersetzt wird  [...].  Nicht 
gemäß dem, in welches zeitliche Umfeld sie gesetzt werden, sondern gemäß dem, in welchem philosophischen 
System sie sich wiederfinden, nehmen diese Äußerungen des menschlichen Geistes für ihn ein verschiedenes  
Aussehen an." (,,Mohli bychom íci, ze struktura doby, do které jsme postavili pojmy, pedstavy i jiné projevy  
lidského ducha prve, mluvíce o pedmtu djin duchových, je tu nahrazena strukturou filozofického systému... 
Ne podle toho, do jakého dobového prostedí jsou zasazeny, ale podle toho, v kterém filozofickém systému se 
ocitají, nabývají pro nho tyto projevy lidského ducha rzného vzezení."), KALISTA: CHM, DD, S. 202.
12
Tätigkeiten.
33
  Bedeutende   Philosophen   erforscht   er   nicht   nur   durch   den   Blickwinkel   der 
,,eigentlichen"   philosophischen   Probleme,   mit   denen   sie   sich   beschäftigten,   sondern   er 
verfolgt sie auch als Persönlichkeiten, in ihren nebensächlichen Interessenbereichen usw. Der 
Geisteshistoriker verfolgt, wie sich in den von ihm erforschten historischen Persönlichkeiten 
die ,,Sachleistung" mit dem ,,Zeitausdruck" verbindet. Die Aufgabe des Geisteshistorikers ist 
es gerade, die Verbindung der beiden genannten Aspekte zu erforschen. Gerade weil diese 
Aspekte   nicht   voneinander   getrennt   werden   können.   Die   ,,Sachleistung"   steht   nie   ganz 
isoliert von den geschichtlichen Bedingungen der betreffenden Zeit und auch nicht von der 
Persönlichkeit,   welche   die   betreffende   ,,Sachleistung"   erbrachte.   Immer   ist   gerade   diese 
Persönlichkeit bereits Teil der geschichtlichen Bedingungen, der Umstände der betreffenden 
Zeit, aus denen sie nie heraustreten kann. Die  Geistesgeschichte  verfolgt also Denker auf 
dem   Hintergrund   der   betreffenden   Zeit.   Rothacker   drückt   das   noch   anders   aus:   Die 
Geistesgeschichte überprüft, wie sich das ,,Leben" in Theorien, in ,,Sachleistungen", in der 
Lösung vorliegender Probleme äußert.
Die   letzte   Folge   ist   dann,   dass   wir   auch   das  Sachproblem  selbst   laut   Rothacker 
überhaupt nicht rein theoretisch, also rein problemhistorisch, ohne Rücksicht auf das Leben, 
die Umstände der Zeit, ohne Rücksicht auf die Bedingungen, welche die Problemgeschichte 
hinsichtlich   des   betreffenden   Problems   irrtümlich   nur   als   rein   äußerlich   und   unwichtig 
auffasst, lösen können. Das eigentliche Sachproblem kann gerade nur dann richtig begriffen 
werden, wenn wir das Leben,  alle übrigen Umstände,  die es  umgeben  und bedingen, in 
Betracht   ziehen.   Das  Sachproblem  kann   nicht   vom  Lebensproblem  getrennt   werden. 
Wichtige Probleme können wir nur dann wirklich verstehen, wenn wir in ihnen gleichzeitig 
die Logik der Sache, also die Logik des Lebens erblicken.
34
12. Als weiterer gemeinsamer Zug, der die Geistesgeschichte auszeichnet, erweist sich 
auch   die   Tendenz,   die   Wissenschaft   nicht   vom   Leben   zu   trennen.   Diese   scheinbar   vage 
Mitteilung wurde uns bereits teilweise an Rothackers Text klarer, verlangt jedoch noch eine 
Ergänzung. Die Geistesgeschichte, die sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den 
deutschsprachigen Ländern zu konstituieren begann, musste auch auf die Impulse reagieren, 
die sie von der sogenannten Philosophie des Lebens erhielt, die seit der Zeit von Friedrich 
Nietzsche in Deutschland an immer größerer Kraft gewann. Viele der Philosophen, die zur 
Geistesgeschichte  gezählt werden, werden gleichzeitig in die Strömung der Philosophie des 
Lebens   eingereiht,   wie   wir   das   zum   Beispiel   an   Wilhelm   Dilthey   oder   Georg   Misch 
beobachten können. Walter Strich schreibt zur allgemeinen Stimmung der 20er Jahre des 20. 
Jahrhunderts: ,,Die Krisis der Wissenschaft lässt sich nicht leugnen. Die Problematik des 
gegenwärtigen Moments zwingt das Interesse so stark auf die unmittelbare Gestaltung des 
Lebens, dass darüber der Wert der Erkenntnis zweifelhaft werden musste [...]. Man verurteilt 
das Streben nach reiner, uninteressierter Erkenntnis als müde Resignation und Flucht aus 
dem Leben, und man verlangt auch die Wissenschaft in seinen Dienst gestellt zu sehen."
35
13. Die meisten Repräsentanten der Geistesgeschichte, sei es in ihren Anfängen oder 
auch   später,   halten   Wilhelm   Dilthey   für   den   geistigen   Vater   der   Strömung   der 
33
  Rothacker  bringt  in diesem  Zusammenhang  zum  Beispiel  die  neuzeitliche  cartesianische  Auffassung  des 
Körpers, dem die Cartesianer Ausdehnung als einziges Attribut zusprachen. Das verbindet Rothacker dann mit 
der   damaligen   Existenz   der   absolutistischen   Monarchien   in   Europa.   So   wie   im   Rahmen   der   neuzeitlichen 
absolutistischen Monarchien das Individuum nur etwas von ihnen Abgeleitetes wird, so wird auch der Körper im 
Rahmen   der   neuzeitlichen   cartesianischen   philosophischen   Vorstellungen   nur   eine   Art   Modifikation   der 
Ausdehnung. Vgl. ROTHACKER: Philosophiegeschichte und Geistesgeschichte, S. 2223.
34
  ,,Die   Probleme,   mit   denen   die   Klassiker   der   Philosophie   es   zu   tun   haben,   sind   Sachprobleme   und 
Lebensprobleme zugleich. Und die Zusammenhänge, in denen die wirklichen Probleme der großen Denker  
stehen, wären gar nicht zu verstehen, wenn man nicht in ihnen gleicherweise der Logik der Sache wie der Logik  
des   Lebens   nachforschte,   die   gerade   der   Sache   nah   gar   nicht   zu   trennen   sind   von   den   sog.   ,sachlichen 
Problemen.", ROTHACKER: Philosophiegeschichte und Geistesgeschichte, S. 2425.
35
 STRICH: Wesen und Bedeutung der Geistesgeschichte, S. 1. Vgl. Ebd. auch S. 1819.
13
Geistesgeschichte, und zwar vor allem wegen seiner Absicht, das geschichtliche Leben aus 
sich   selbst   heraus   zu   verstehen,   unter   anderen   aus   dem   Grund      und   das   ist   für   die 
Geistesgeschichte  zentral,   dass   es   dadurch   auf   der   Grundlage   der   vielfältigsten 
Quellenmaterialien möglich ist, sich den geistigen Inhalt der betreffenden Zeit vorzustellen.
36 
Diesen Standpunkt vertreten Anhänger der Geistesgeschichte allgemein.
3.   Die   Entwicklung   der   Geistesgeschichte   nach   dem   Zweiten 
Weltkrieg 
Die Geistesgeschichte  als eine der Strömungen in der Geschichte der Historiographie blieb 
kein Kapitel, das irgendwann in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geendet hätte. Die 
Geistesgeschichte  setzte   sich   auch   nach   dem   2.   Weltkrieg   fort.   Einer   der   wichtigsten 
Historiker   der  Geistesgeschichte  nach   dem   Zweiten   Weltkrieg   war   der   Historiker   und 
Religionsphilosoph   Hans-Joachim   Schoeps.   Nach   dem   Krieg   kehrte   Schoeps   nach 
Deutschland zurück und begann an der Universität in Erlangen (seit 1950 als ordentlicher 
Professor) zu wirken, und direkt für seine Person wurde hier auf seine Initiative hin das 
Seminar für Religions- und Geistesgeschichte gegründet. Dieses Seminar erlosch dann nach 
dem Tod von Schoeps im Jahr 1980 als selbständiges Seminar, wobei es jedoch unter das 
Institut   für   Politikwissenschaft   überging.
37
  Hier   funktionierte   es   dann   als   ,,Abteilung   für 
Geistes-   und   Ideengeschichte".   Es   ist   jedoch   klar,   dass   es   seine   ursprüngliche   Stellung 
verloren hat.
Im Jahr 1948 begann Schoeps die  Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 
herauszugeben,   die   bis   heute   erscheint,   und   1958   gründete   er   die  Gesellschaft   für 
Geistesgeschichte, die ihren  Sitz  in Potsdam hat  und bis  heute  existiert.  Sie  veranstaltet 
jährliche   Konferenzen,   deren   Ergebnis   die   Reihe  Studien   zur   Geistesgeschichte,  ggf. 
Beiträge zur Geistesgeschichte sind.
Schoeps´ Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte sollte nach seinen eigenen 
Worten   wissenschaftlich   die   von   ihm   durchgesetzte   Richtung   der  Geistesgeschichte 
untermauern und gleichzeitig Demonstrationen vorführen, wie sie praktisch betrieben werden 
sollte.
38
Schoeps erwies sich als harter Kritiker, der sich in wissenschaftlichen Debatten nicht 
scheute, scharfe Worte zu gebrauchen.
39
  Er setzte die Tradition der  Geistesgeschichte  vom 
Anfang des 20. Jahrhunderts fort. Die Geistesgeschichte soll sich dem ,,Zeitgeist" und seinen 
36
  ,,Als   eigentlicher   Vater   der   Geistesgeschichte   hat   uns   aber   Wilhelm   Dilthey   zu   gelten,   der   ohne   die  
Präokkupationen des Systems die Absicht hatte, das geschichtliche Leben aus sich selbst heraus zu verstehen,  
um den geistigen Gehalt einer  Zeit aus allen überhaupt erschließbaren Quellen heraus zur Darstellung zu 
bringen.", SCHOEPS: Was ist und was will die Geistesgeschichte, S. 11.
37
  TÖPNER,  Kurt:  Gesellschaft für Geistesgeschichte zum Thema "Reisen", In:  Zeitschrift für Religions- und 
Geistesgeschichte 37, 1985, S. 271.
38
  SCHOEPS, Hans-Joachim:  Was ist und was will die Geistesgeschichte?, In: Zeitschrift für Religions- und 
Geistesgeschichte,  Jahrgang  25, 1973, S. 243. Dieser Artikel ist jedoch nicht mit Schoeps Buch ,,Was ist und 
was  will  die  Geistesgeschichte"  identisch. Im  her zitierten  Artikel  geht  es  vor allem  um  die Reaktion der 
deutschen Historiker gerade auf Schoeps selbständiges Buch mit dem gleichen Titel nur ohne Fragezeichen am 
Ende.
39
 Siehe z.B. Schoeps Kritik des Buchs von Friedrich Heer Europäische Geistesgeschichte, das der tschechische 
Leser   aus   der   Übersetzung   unter   dem   Titel  Evropské   duchovní   djiny  (Prag   2000)   kennen   kann.   Schoeps 
kritisiert   Heers   Unterfangen   scharf,   dass   es   sich   um   eine   Zusammenfassung   einer   Menge   einzelner, 
unzusammenhängender Fakten handle. Es fehle ihm die Geschlossenheit, Einheit. So kann  Geistesgeschichte 
laut Schoeps nicht betrieben werden. SCHOEPS, Hans-Joachim: Geistesgeschichte, In: Zeitschrift für Religions- 
und Geistesgeschichte 7, 1955, S. 8991.
14
Wandlungen im Prozess der Geschichte widmen.
40
 Auch für Schoeps äußert sich der Geist in 
allen   Manifestationen   des   geistigen   Lebens.   Der  Zeitgeist  beeinflusst   alle   Sphären   des 
Lebens, gleich ob es die Kunst, die Religion, die Wissenschaft, das Recht, die Philosophie 
usw. ist.
Neben Schoeps und seinem Seminar an der Universität in Erlangen funktionierte seit 
1965 an der Universität in München das Seminar für Philosophie und Geistesgeschichte des 
Humanismus, dessen geistiger Vater der Professor Ernesto Grassi (1902  1991) war. Er 
wirkte am  Centro Italiano di Studi Umanistici e Filosofici, das in München im Jahr 1948 
gegründet wurde und an welches dann das oben erwähnte Seminar anknüpfte, das seit 1973 
von Stephan Otto, einem weiteren bedeutenden Vertreter der historiographischen Richtung 
der Geistesgeschichte in Deutschland, geleitet wurde. 
Das Institut wurde 1975 in Institut für Geistesgeschichte des Humanismus und 1985 
in Institut für Geistesgeschichte und Philosophie der Renaissance umbenannt. Stephan Otto 
leitete das Institut bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1997, als Eckhard Kessler die Leitung 
des   Instituts   übernahm.   Heute   ist   das   Institut   unter   dem   Namen  Seminar   für 
Geistesgeschichte und Philosophie der Renaissance unter der Leitung von Thomas Ricklin 
zu finden.
Stephan Otto trug zur Entwicklung der Geistesgeschichte durch Herausgabe der Reihe 
,,Die Geistesgeschichte und ihre Methoden, Quellen und Forschungen" im Wilhelm Fink 
Verlag München bei, wo er gleichzeitig im Jahr 1979 sein eigenes Werk ,,Materialien zur 
Theorie der Geistesgeschichte" publizierte.
41
Ein   weiteres   wichtiges   Unternehmen   im   Bereich   der  Geistesgeschichte  in   der 
Nachkriegszeit,   das   von   den   20er   Jahren   des   20.   Jahrhunderts   bis   heute   besteht,   ist   die 
Zeitschrift Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, mit 
deren   Herausgabe   Paul   Kluckhohn   und   Erich   Rothacker   im   Jahr   1923   ursprünglich   bei 
Niemeyer in Halle begannen. Später erschien die Zeitschrift bei Metzler in Stuttgart. Die 
heutige Redaktion leiten Christian Kiening, Albrecht Koschorke und David E. Wellbery.
In   unferner   Zeit   äußerte   sich   zur   Theorie   und   Methodologie   der  Geistesgeschichte  zum 
Beispiel Wolfgang von Löhneysen.
42
 Auch in seinem Entwurf der Geistesgeschichte können 
wir   Züge   finden,   die   an   ihr   bereits   zu   Anfang   des   20.   Jahrhunderts   auftauchen.   Die 
Geistesgeschichte  überschreitet   auf   ihre   Weise   den   Rahmen   der   einzelnen 
Spezialwissenschaften.   Sie   sucht   Züge,   die   mehreren   unterschiedlichen   Phänomenen 
gemeinsam sind. Wiederum ist die Behauptung zu beobachten, dass die  Geistesgeschichte 
Phänomene zusammenbringt, die ansonsten getrennt geblieben und damit auch nicht auf die 
richtige   Weise   gedeutet   worden   wären.   Das,   was   die   einzelnen   Spezialwissenschaften 
getrennt   und   nur   aus   ihrer   Sicht   behandeln,   das   kann   die  Geistesgeschichte  in 
Zusammenhang   mit   anderen   Phänomenen   (der   betreffenden   Zeit)   erläutern   und  daher   in 
seiner Gesamtheit begreifen. 
Der Aspekt des menschlichen Bewusstseins und seiner Änderungen wird stark betont 
 und da geht Löhneysen den Weg, den Schoeps und auch Dilthey vor ihm wiesen. Die 
Geistesgeschichte  soll von einzelnen Personen, ihrem Bewusstsein und Erleben ausgehen 
und mit ihrer Hilfe die übrigen Phänomene erklären, die diese umgeben.
40
 SCHOEPS: Was ist und was will die Geistesgeschichte, S. 11.
41
  OTTO:  Materialien   zur   Theorie   der   Geistesgeschichte,   München   1979.   Vgl.   dazu   KANTZENBACH, 
Friedrich Wilhelm: Ein Plädoyer für Geistesgeschichte, In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 36, 
1984, S. 252255.
42
  LÖHNEYSEN,   Wolfgang   von:  Geistesgeschichte   und   was   damit   zusammenhängt,   In:   Zeitschrift   für 
Religions- und Geistesgeschichte 47, 1995, S. 8189.
15
       Die Aufforderung, dass die  Geistesgeschichte  von den einzelnen Persönlichkeiten oder 
Ereignissen ausgehen soll, erfolgt noch zu einem weiteren Zweck. Wenn wir eine bestimmte 
einzelne Person, ihr Erleben oder das einzelne Ereignis als Ausgangspunkt unserer weiteren 
Abhandlung   nehmen,   wird   dadurch   die   Grenze   der   Abhandlung   und   der   Methode   der 
Geistesgeschichte,   die   sonst   immer   die   Grenzen   der   einzelnen   Spezialwissenschaften 
überschreitet, genauer definiert. Dadurch wird mögliche Kritik eingeschränkt, die eine solch 
breite Abhandlung problematisieren könnte. Auf diese Weise wird die Tendenz zur Abkehr 
der Geistesgeschichte von den großen, synthetisierenden Abhandlungen hervorgehoben, die 
häufig Ziel der Kritik sind, die ihnen Dilettantismus, unzureichende Begründung auf Quellen 
usw. vorwirft.
43
Löhneysen   unterscheidet   schließlich   überraschenderweise   zweierlei   Arten   der 
Geschichtsschreibung. Auf der einen Seite sieht er die  Geistesgeschichte, der es vor allem 
um   die   Wandlungen   des   Bewusstseins   gehen   soll,   wie   sie   im   Verlauf   der   Geschichte 
erfolgten. Auf die andere Seite stellt er dann die Zeitgeistgeschichte, die man umgeschrieben 
also   als   ,,Geschichte   des   Zeitgeistes"   bezeichnen   könnte.   Diese   Schlussfolgerung   von 
Löhneysen   ist   bereits   aus   dem   Grund   bemerkenswert,   weil   sich   die   traditionelle 
Geistesgeschichte  in der absoluten  Mehrheit  dem ,,Zeitgeist"  widmete,  mit  dieser Entität 
arbeitete. Wie kommt es, dass hier Geistesgeschichte und Zeitgeistgeschichte unterschieden 
werden?
Löhneysen   bestritt   entschieden   nicht   den   grundlegenden   Anspruch   der 
Geistesgeschichte, das Gesamtbild der betreffenden Zeit zu erkennen. Das hat sie mit der 
Zeitgeistforschung  gemeinsam. Der Unterschied zwischen ihnen besteht jedoch darin, dass 
die Geistesgeschichte von einem bestimmten, klar definierten Ereignis, einer Persönlichkeit, 
ihrem Erlebnis usw. ausgehen und daraus dann den Charakter der betreffenden Epoche zu 
erfassen versuchen soll. Die Zeitgeistforschung findet umgekehrt ihren Ausgangspunkt in der 
Situation einer bestimmten Zeit und von ihr tritt sie dann an die Erklärung der einzelnen, zu 
ihr gehörenden Phänomene heran. Am konkreten Beispiel des Erdbebens in Lissabon im Jahr 
1755   würde   das   dann   so   aussehen,   dass   die  Geistesgeschichte  als   Ausgangspunkt   jenes 
konkrete Ereignis des Erdbebens und seine Abbildung im Denken und den Vorstellungen 
konkreter   Menschen   nimmt,   während   die  Zeitgeistforschung  als   Ausgangspunkt   den 
Zeitraum zwischen den Jahren 1750  1760 nehmen würde, wobei jedoch nach Ansicht von 
Löhneysen das eigentliche Erdbeben zu einem Randereignis degradiert werden würde und 
nicht   voll   verstanden   werden   könnte,   welche   Rolle   es   an   der   Gestaltung   dieser   Zeit 
übernahm.
44
Es wäre sehr schwierig zu versuchen, die Entwicklung der  Geistesgeschichte  vom Anfang 
des   20.   Jahrhunderts   bis   zur   heutigen   Zeit   zu   verfolgen   und   bspw.   zu   versuchen,   die 
Unterschiede   zwischen   der   heutigen   Gestalt   der  Geistesgeschichte  und   ihrer   Gestalt   zu 
Beginn des 20. Jahrhunderts zu finden. Vielleicht können wir wenigstens die Behauptung 
wagen,   dass   sich   beim   genannten   Löhneysen   eine   Tendenz   der  Geistesgeschichte  der 
heutigen Zeit zeigt, nämlich  sich mehr  auf bestimmter  definierte, ihrem Darstellungsfeld 
nach   engere   Themenbereiche   zu   konzentrieren,   als   sich   großen   Synthesen   und   breiten 
43
 ,,Gibt man der Geistesgeschichte diese begrenzten Aufgaben (und sicher ließen sich viele finden), so ist deren  
fächerübergreifende Methode unproblematisch. Sie bringt zusammen, was durch die einzelnen Disziplinen, also  
Musikwissenschaft, Kunstwissenschaft, Rechtswissenschaft  und Denk-Geschichte auseinandergerissen  bliebe, 
zieht allenfalls das Ereignis heran, um das jeweils Besondere verständlich zu machen. Geht man aber vom 
Ereignis, der Persönlichkeit und deren Erlebnis aus, lassen sich die Aussagen, die Texte, die Dichtungen und 
musikalischen Klänge auf ihre eigentliche Ur-Sache, ihren ,Hintergrund` beziehen. Dadurch werden die sonst  
vielleicht   unscharfen   Grenzen   der   Geistesgeschichte   auf   eine   Mitte   hin   orientiert.",   LÖHNEYSEN: 
Geistesgeschichte und was damit zusammenhängt, S. 85.
44
 Ebd., S. 8586.
16
Themen zu widmen. Wenn wir uns zum Beispiel die Beiträge ansehen, die in der Deutschen 
Vierteljahrsschrift   für   Literaturwissenschaft   und   Geistesgeschichte  publiziert   wurden,   so 
können in den ersten Herausgabejahren Titel wie ,,Versuch einer Geschichte der deutschen 
Sprache   als   Geschichte   des   deutschen   Geistes"
45
,   ,,Vom   Geist   des   deutschen   Literatur-
Barocks"
46
, ,,Renaissance und Reformation"
47
, ,,Barock als Stilphänomen"
48
, ,,Das Wesen des 
Späten   Mittelalters"
49
  gefunden   werden,   und   wir   könnten   noch   viele   ähnliche   weitere 
zitieren. Das bedeutet nicht, dass nicht auch Studien mit engeren Themen aufgetaucht wären. 
Wichtig jedoch ist, dass in den Anfangsjahren dieser Zeitung häufig Artikel mit einem so 
breiten Darstellungsfeld auftauchen. In den Nachkriegsjahren der gleichen Zeitschrift finden 
wir Artikel dieses Typs bereits in viel geringerem Ausmaß, und heute begegnen wir ihnen 
überhaupt nicht mehr.
Einige   Interpreten   charakterisieren   die  Geistesgeschichte  in   der   Entwicklung   nach   dem 
Zweiten Weltkrieg als eine zwar an die  Geistesgeschichte  der Vorkriegszeit anknüpfende, 
aber dennoch neue Strömung in der Historiographie, nämlich als  Neue Geistesgeschichte.
50 
Luise Schorn-Schütte stellt in den Umkreis dieser  Neuen Geistesgeschichte  im deutschen 
Milieu   die  Begriffsgeschichte,   wie   sie   sich   vor   allem   um   das   Werk   ,,Geschichtliche 
Grundbegriffe" herum konstituierte.
51
  Vor allem aus dem Grund, dass sie mit ihrer Frage 
nach   der   Beziehung   von   Sprache   und   historischer   Realität   an   die   Bemühungen   der 
klassischen  Geistesgeschichte  anknüpfte, die Beziehung zwischen Ideen und Realität und 
ihre gegenseitige Beeinflussung zu thematisieren.
52
In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts kam es laut Luise Schorn-Schütte zur 
Zurückdrängung der Geistesgeschichte, und zwar vor allem wegen dem Antritt einerseits der 
marxistischen   Geschichtsschreibung,   andererseits   auch   wegen   dem   stärker   werdenden 
Einfluss der Naturwissenschaften. Beide Tendenzen hielten es nicht nur für möglich, sondern 
auch für notwendig, sich darum zu bemühen,  wissenschaftliche,  objektive  Erkenntnis  zu 
gewinnen.   Das   ist   ihrer   Ansicht   nach   im   Prinzip   möglich,   daher   sollen   wir   uns   darum 
bemühen. Die  Geistesgeschichte  mit ihren grundlegenden Intentionen, die es nie unterließ, 
die   wichtige   Rolle   des   Subjekts      gleich   ob   als   ,,verstehendes",   ,,sich   einfühlendes", 
,,nacherlebendes" usw.  zu betonen, konnte mit der zeitgenössischen Tendenz zur strengen, 
wissenschaftlichen Objektivität nicht korrespondieren. Sie wurde in der Nachkriegszeit daher 
meist als veraltet angesehen.
53
Zur Wende kam es laut Luisa Schorn-Schütte in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, 
als das Interesse ,,an mentalem und geistigem Wandel jenseits wirtschaftlicher und sozialer 
Strukturen"
54
 wieder wuchs,  das sich bemühte, an früher etablierte Formen der traditionellen 
Geschichtsschreibung   anzuknüpfen.   Eine   der   Äußerung   stellt   dann   z.B.   gerade   die 
Begriffsgeschichte dar. 
45
 NAUMANN, Hans: Versuch einer Geschichte der deutschen Sprache als Geschichte des deutschen Geistes, 
In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1, 1923, S. 139160.
46
  CYSARZ,   Herbert:  Vom   Geist   des   deutschen   Literatur-Barocks,   In:  Deutsche   Vierteljahrsschrift   für 
Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1, 1923, S. 243268.
47
 STRICH, Fritz: Renaissance und Reformation, In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und 
Geistesgeschichte 1, 1923, S. 582612.
48
 WEISBACH, Werner: Barock als Stilphänomen, In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und 
Geistesgeschichte 2, 1924, S. 225256.
49
 KEYSER, Erich: Das Wesen des Späten Mittelalters, In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft 
und Geistesgeschichte 9, 1931, S. 363388.
50
 SCHORN-SCHÜTTE: Neue Geistesgeschichte, S. 270280.
51
 Zur Begriffsgeschichte siehe detaillierter in dieser Arbeit das Kapitel ,,Begriffsgeschichte".
52
 SCHORN-SCHÜTTE: Neue Geistesgeschichte, S. 272.
53
 Ebd., S. 271.
54
 Ebd., S. 272.
17
Die Frage ist, um eine wie große Wende es sich handelte, da auch in den 80er Jahren 
des 20. Jahrhunderts die Vertreter der Geistesgeschichte selbst von einer sich fortsetzenden 
Unterdrückung   der  Geistesgeschichte  und   von   einer   meist   negativen   Einstellung   der 
historischen Gemeinde ihr gegenüber sprechen.
55
 Für die Tatsache, dass es in der Einstellung 
der historischen Gemeinde in Deutschland im Hinblick auf die  Geistesgeschichte  nicht zu 
einer   besonders   großen   Wende   kam,   kann   auch   der   Fakt   zeugen,   dass   eine   der 
Arbeitsstätten,   die   sich   systematisch   der  Geistesgeschichte  widmete      nämlich   Schoeps´ 
Seminar   für   Religions-   und   Geistesgeschichte  an   der   Universität   in   Erlangen      als 
selbständige   Institution   nach   Schoeps´  Tod   eingestellt   wurde   und   nur   noch   als   eine   der 
Abteilungen des Instituts für Politikwissenschaft der gleichen Universität weiter existierte.
Auch ab den 90er Jahren kam es nicht zu einer großen Wende in der Haltung der 
historischen Gemeinde in Deutschland gegenüber der  Geistesgeschichte  oder überhaupt zu 
einer   intensiveren   Betreibung   dieser   Richtung   in   Deutschland.   Einige   Zeitschriften   oder 
wissenschaftlichen   Reihen   existieren   zwar   weiterhin,   allerdings   ist   bis   heute   weder   im 
Rahmen   von   Universitäten   noch   von   wissenschaftlichen   Arbeitsstellen   eine   markante 
Stärkung   der   Basis   der   speziellen   historiographischen   Richtung  Geistesgeschichte 
eingetreten.
Bei   einem   großen   Teil   der   Nachkriegshistoriker,   die   sich   selbst   zur   historiographischen 
Richtung der Geistesgeschichte zählten, können wir neben der Enttäuschung darüber, dass die 
Geistesgeschichte von einem bedeutenden Teil der historischen Gemeinde nicht als reguläre 
historiographische   Richtung   akzeptiert   wird,   gleichzeitig   die   damit   zusammenhängende 
Bemühung   beobachten,   die  Geistesgeschichte  als   selbständige   wissenschaftliche 
historiographische Richtung zu gründen. Stephan Otto schreibt:   ,,Einem weit verbreiteten  
Vorurteil   zufolge   ist   ,,Geistesgeschichte"   überhaupt   keine   ernst   zu   nehmende 
wissenschaftliche   Disziplin.   Angesiedelt   im   Niemandsland   zwischen   systematisch-
philosophischer   Problemanalyse   einerseits   und   einzelwissenschaftlicher   Fachhistorie 
andererseits   gilt   Geistesgeschichte   den   Vertretern   etablierter   Forschungsrichtungen 
geradezu als akademischer Wechselbalg."
56
 Hans-Joachim Schoeps betont in der Vorrede zur 
zweiten Ausgabe seines ,,Was ist und was will die Geistesgeschichte" aus dem Jahr 1970: 
,,Dass   sich   die   Geistesgeschichte   als   Zeitgeistforschung   in   einem   immer   geistfeindlicher  
werdenden Zeitalter bisher nicht als Disziplin durchsetzen konnte, verwundert niemanden, 
der die Zeichen der Zeit beobachtet und zu deuten versteht. Mit einiger Verwunderung stelle 
ich fest, dass aber auch die zünftige Geschichtswissenschaft diese Bemühungen bisher kaum  
zur Kenntnis genommen hat."
57
Die   Bemühung,   die  Geistesgeschichte  als   rechtsgültige   selbständige   Richtung   zu 
gründen oder diesen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit überhaupt zu legitimieren, kann bei 
den Historikern der Geistesgeschichte an vielen Stellen in der ganzen Entwicklung nach dem 
Zweiten Weltkrieg betont werden. Hans-Joachim Schoeps legt der Öffentlichkeit in seiner 
Schrift ,,Was ist und was will die Geistesgeschichte" das Programm der neuen Disziplin vor, 
die er im Rahmen seines Wirkens an der Universität in Erlangen gründen wollte.
58
 Stephan 
Otto   beabsichtigt   in   seinem   Werk  Materialien   zur   Theorie   der   Geistesgeschichte  ,,den 
Anspruch   der   ,,Geistesgeschichte"   auf   den   Rang   einer   wissenschaftlichen   Disziplin   zu 
legitimieren  [...]."
59
  Das   gleiche   Vorhaben   stellt   auch   das   Buch   von   Walter   Ehrlich 
,,Geistesgeschichte" dar, obgleich Ehrlich selbst die Geistesgeschichte als wissenschaftliche, 
historische Disziplin definiert, die sich  zwar in unferner Zeit, aber dennoch  bereits als 
55
 So z.B. KANTZENBACH: Ein Plädoyer für Geistesgeschichte, S. 252.
56
 OTTO: Materialien zur Theorie der Geistesgeschichte, S. 7.
57
 SCHOEPS: Was ist und was will die Geistesgeschichte, S. 10.
58
 Ebd., S. 9.
59
 OTTO: Materialien zur Theorie der Geistesgeschichte, S. 7.
18
wissenschaftliche  Disziplin etabliert  hat.
60
  An der Intention seines Buches  nämlich die 
Geistesgeschichte  als selbständige wissenschaftliche Disziplin zu verteidigen  ändert das 
jedoch nichts.
Bis   heute   setzt   sich   so   die   Bemühung   einiger   weniger   Historiker   der 
Geistesgeschichte  fort, die  Geistesgeschichte als wissenschaftliche, historische Disziplin zu 
etablieren   und   ihre   Anerkennung   als   eigenständige,   historiographische   Richtung   bei   der 
übrigen historiographischen Gemeinde in Deutschland zu erreichen.
4. Kalista zum Begriff der Geistesgeschichte
Im   Folgenden   werden   wir   die   Stellen   verfolgen,   an   denen   Kalista   auf   die   deutsche 
Geistesgeschichte verweist. Unser vorrangiges Interesse an dieser Stelle wird es nicht sein, 
Kalistas eigenen Entwurf der  Geistesgeschichte, der Gegenstand eines weiteren Teils der 
Arbeit sein wird, zu erfassen. Hier werde ich versuchen herauszufinden, wie Kalista selbst 
die  deutsche  Geistesgeschichte  verstand.  Für unsere  Arbeit   ist  das  auch  aus  dem  Grund 
wichtig, weil Kalista sich in seiner eigenen Konzeption der Geistesgeschichte oft gegenüber 
der   deutschen  Geistesgeschichte  abgrenzt   und  seine   eigene   Geistesgeschichte  auf   dem 
Hintergrund der vorhergehenden deutschen Tradition differenziert.
Die ursprüngliche Gestalt der Geistesgeschichte richtete sich laut Kalista darauf, eine 
,,Art   kumulativer   Zweig   der   historischen   Forschung   zu   werden,   der   die   Geschichte   der  
einzelnen   Geisteswissenschaften   einschließen,   ggf.   zu   selbständigen   Aufgaben   und 
Ergebnissen   führen   würde.   In   ihrer   ursprünglichen   Gestalt,   in   welcher   der   Begriff 
,,Geistesgeschichte"   in   Fachgesprächen   und   wissenschaftlichen   Schriften   aufzutauchen 
begann,   trug  er  allerdings  bis  zu  einem  beträchtlichen  Maße  Züge,  die  auf  eine  solche 
Mission hindeuteten. Die Zeitschriften, welche die neue Bezeichnung in ihrem Titel oder in  
ihrem   Programm   trugen     gleich   ob   es   die   ältere,   in   Halle   herausgegebene   ,,Deutsche  
Vierteljahrsschrift   für   Literaturwissenschaft   und   Geistesgeschichte"   oder   die   neuere,   in 
Salzburg erscheinende ,,Zeitschrift für deutsche Geistesgeschichte" oder andere, weniger 
bedeutende   Versionen   dieser   Art   waren      gewährten   sehr   unterschiedlichen   Beiträgen,  
angefangen   von   der   Religionsgeschichte   im   eigentliche   Sinne   dieses   Wortes   bis   hin   zu 
biographischen, literarischen Anmerkungen, eine Plattform, und das Wort ,,Geist" wurde 
hier   mehr   oder   weniger   ein   Synonym   zum   älteren   Ausdruck   ,,Kultur"   in   jener   breiten  
Bedeutung,   die   von   den   tiefsten   philosophischen   Problemen   bis   hin   zu   gelegentlichen 
Materialien des folkloristischen Sammlers alles einschloss.  Aber eine solche allzu starke 
Erweiterung  der  Dimension  der   ,,Geistesgeschichte"   ist  allerdings   ein  Irrtum,  der   zwar  
gewissermaßen den Zeitschriften aus der Verlegenheit helfen kann, die sich bemühen, aus 
diesen oder jenen Gründen einen möglichst breiten thematischen Horizont zu umfassen, in 
die   wirkliche   wissenschaftliche   Bemühung   bringt   sie   jedoch   nur   Unklarheiten   und 
Verwirrung.   Grundlage   eines   jeden   selbständigen   Wissenschaftszweigs   ist   sicherlich   die 
selbständige   und   charakteristische   wissenschaftliche   Methode,   und   zu   dieser   Methode 
würden wir allerdings nie durch eine rein mechanische Vereinigung mehrerer Methoden  
gelangen."
61
60
  ,,Im allgemeinen bezeichnet man mit Geistesgeschichte die wissenschaftliche historische Disziplin von der 
Geschichte des menschlichen Geistes.", EHRLICH: Geistesgeschichte, S. 5.
61
 ,,Duchové djiny vsak nejsou ani jakýmsi kumulativním jakýmsi kumulativním odvtvím historického bádání,  
které by zahrnovalo, pípadn k samotným úkolm a výsledkm vedlo djiny jednotlivých duchových vd. V 
pvodní své podob, ve které se zacal termín ,,duchové djiny"  ,,Geistesgeschichte" vynoovat v odborných  
hovorech a spisováních vdeckých, nesl ovsem do znacné míry rysy, které takovémuto poslání nasvdcovaly.  
19
Der Begriff Geist wird also laut Kalista ein Synonym für ,,Kultur" im breitesten Sinne 
des Wortes. Dadurch kommt es aber nach Kalistas Ansicht zu einer falschen Erweiterung der 
Dimension der  Geistesgeschichte, wie Kalista sie verstehen will. Beides lehnte Kalista für 
seine Geistesgeschichte ab. Die Geistesgeschichte ist nach Kalistas Entwurf auch kein Zweig 
der Geschichte, der die Forschung anderer historischer Wissenschaften in sich konzentrieren 
möchte, und sie kann auch nicht als Kulturgeschichte aufgefasst werden.
62
 Einem Vergleich 
der  Kulturgeschichte  und   Kalistas  Geistesgeschichte  werden   wir   uns   in   dieser   Arbeit 
detaillierter im Kapitel  Kalistas  Geistesgeschichte  widmen,  das sich mit Kalistas  eigener 
Geistesgeschichte  befasst.   Hier   führen   wir   nur   an,   dass   Kalista   die   traditionelle 
Geistesgeschichte für eine Strömung hielt, die der Kulturgeschichte nahe steht, und dass er 
selbst seine Geistesgeschichte nicht in dieser Richtung führen will.
Kalistas Behauptung, dass die ursprüngliche Gestalt der  Geistesgeschichte  zu einer 
einfachen   ,,Kumulation"   der   verschiedensten   Geisteswissenschaften   tendierte,   ohne   eine 
bestimmte, einheitliche eigene Methodologie zu gründen, scheint nachdem, was wir in der 
Einleitung dieser Arbeit zum Charakter der deutschen  Geistesgeschichte  skizzierten, sehr 
problematisch.   Sicher   kann   man   Kalistas   Vorwurf   der   einfachen   ,,Ansammlung"   der 
Erkenntnisse der einzelnen Spezialwissenschaften im Rahmen der  Geistesgeschichte  nicht 
für alle Versuche abweisen, die in ihrem Umkreis erfolgten. Entschieden gilt sein Vorwurf 
jedoch nicht universell. Wir können viele Abhandlungen finden, die sich bemühen, klar zu 
bestimmen, um was es in der  Geistesgeschichte  gehen soll, die sich bemühen, wenn auch 
vielleicht   nicht   allzu   detailliert,   ihre   Methode   zu   definieren,   und   die   nicht   zuletzt   die 
Geistesgeschichte
 gegenüber   ihr   nahen,   allerdings   keineswegs   identischen 
historiographischen  Richtungen   abgrenzen,  wie  es   zum  Beispiel  die  Ideengeschichte,  die 
Kulturgeschichte  usw. sind.
63
  Es ist daher nicht wahr, dass die  Geistesgeschichte  eindeutig 
mit diesen verwandten Richtungen verschmolzen wäre und dass es keine Versuche gegeben 
hätte, den Unterschied zwischen ihnen zu reflektieren.
Es   ist   zwar   wahr,   dass   in   den   von   Kalista   zitierten   Zeitschriften   Artikel   der   Art 
auftauchen,  von der Kalista  spricht,  das bedeutet  jedoch nicht,  dass  in den aufgeführten 
Zeitschriften   Bemühungen,   die  Geistesgeschichte  als   etwas   mehr,   denn   nur   als 
Methodenkumulation verschiedener spezieller Geisteswissenschaften zu begreifen, überhaupt 
fehlen würden. Bereits zu der Zeit, als die erwähnten Zeitschriften zu erscheinen begannen, 
waren sich viele Vertreter der  Geistesgeschichte  bewusst, dass die  Geistesgeschichte  eine 
eigenständige geisteswissenschaftliche Strömung mit eigener spezifischer Methode darstellen 
soll,   dass   sie   keine   bloße   ,,Kumulation"   von   Methoden   oder   Fakten   aus   verschiedenen 
Wissenschaften ist. Bereits in den Anfängen dieser Zeitschriften tauchen Charakteristika auf, 
Casopisy, jez  nesly ve svém titulu nebo ve svém programu nové oznacení   a uz to byla starsí, v Halle 
vydávaná  ,,Deutsche  Vierteljahrsschrift   für  Literaturwissenschaft  und  Geistesgeschichte",  nebo  novjsí,  ze 
Salzburka vycházející ,,Zeitschrift für deutsche Geistesgeschichte" ci jiné, mén významné verze toho druhu,  
poskytovaly  pístesí píspvkm  velmi  rozmanitým, djinami nábozenskými  ve vlastním toho slova smyslu  
pocínaje a biografickými literárními poznámkami konce a slovo ,,duch" (,,Geist") se tu stávalo více mén  
synonymem k starsímu výrazu ,,kultura" (,,Kultur") v onom sirokém významu, který zahrnoval vsechno od 
nejhlubsích   problém   filozofických   az   po   pílezitostné   materiály   folkloristického   sbratele.   Ale   takovéto  
upílisnné rozsíení výmru ,,duchových djin" je ovsem omyl, který mze sice pomoci ponkud z rozpak 
casopism,   snazícím   se   zahrnovat   z   takových   ci   onakých   dvod   co   mozná   nejsirsí   obzor   tématický,   do 
skutecného úsilí vdního vnásí vsak jenom nejasnosti a zmatek. Základem kazdého samostatného vdního oboru 
zajisté   je   samostatná   a   svérázná   vdecká   metoda   a   metody   té   bychom   ovsem   nikdy   nedosli   pouhým 
mechanickým slucováním metod nkolika." KALISTA: CHM, DD, S. 191.
62
  Detaillierter   zum   Vergleich   der  Kulturgeschichte  und   Kalistas  Geistesgeschichte  ebenso   wie   zu   Kalistas 
Ansicht   zur  Kulturgeschichte  siehe   in   dieser   Arbeit   das   Kapitel   ,,Kulturgeschichte   und   Kalistas 
Geistesgeschichte".
63
 Vgl. z.B.: SCHOEPS: Was ist und was will die Geistesgeschichte, S. 12.
20
die auch in der   Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg  Geistesgeschichte  bleiben und die im 
Folgenden eingehender beschrieben und vertieft werden sollen. 
Im ersten Artikel der Zeitschrift für deutsche Geistesgeschichte, der gleichzeitig eine 
Art Vorrede zur Zeitschrift darstellt, schreibt Virgil Redlich: ,,Das geistig Verbindende aber 
aufzuzeigen, das  Erforschen der geistigen Inhalte einer  Zeit, Synthese und Blick  auf das  
Ganze, das sind die Ziele und Aufgaben, die der Geistesgeschichte als dringend erscheinen. 
Nicht um die Masse der Einzelheiten ist es ihr zu tun, sondern um den Geist des Ganzen. 
Einzelheiten sind nur wichtig, wenn sie zur Sinndeutung des Ganzen führen. Und es geht ihr 
im Letzten nicht darum, bloße Tatsachen zu wissen, Äußerungen festzustellen, sie möchte die  
geistige Welt verstehen, die aus ihnen spricht. Immer wird die Welt- und Lebensdeutung ihre  
vornehmlichste   Aufgabe   sein."
64
  Balduin   Schwarz   weist   auf   die   Tatsache   hin,   dass   die 
Geistesgeschichte  mit ihrem Vorhaben, das Wesen einer bestimmter Zeit aufzudecken, die 
Historiographie von der traditionellen Auffassung ihres Sinns im Erkennen des Konkreten 
wegführt. Die Geistesgeschichte kann sich nicht auf die Feststellung der Einzelheiten und der 
konkreten   Fakten   beschränken,   sondern   muss   immer   auch   den   Weg   der   Erkenntnis   des 
Allgemeinen gehen.
65
Nicht zuletzt können wir dann hier den bereits einmal zitierten Beitrag von Erich 
Rothacker   aufführen.
66
  Die   Art,   in   der   Rothacker   den   ,,Problemhistoriker"   und   den 
,,Geisteshistoriker"   unterschiedet   und   wie   er   diesen   charakterisiert,   ähnelt   sehr   Kalistas 
Charakteristiken in seiner Geistesgeschichte. 
Aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg führen wir als Beispiel für viele noch einen 
Fall auf. Hans-Joachim Schoeps schrieb eine sehr harte Kritik zum Buch von Friedrich Heer 
,,Europäische   Geistesgeschichte",   dem   er   vor   allem   den   Fakt   vorwarf,   dass   Heer   sein 
Versuch gerade in Richtung zu einer kumulativen Zusammenfassung vieler Einzelheiten aus 
vielen Bereichen des menschlichen Geistes auseinander fiel und dass es ihm nicht gelang, 
eine einheitliche Form der Abhandlung aufrecht zu erhalten.
67
 Das Ganze ging in der Summe 
der nicht miteinander verbundenen, verflochtenen Einzelheiten verloren. Heer hatte keine 
systematische   Konzeption   des   Ganzen   und   keine   zugeordnete   Methodik.   Sein   Versuch 
konnte so nach Ansicht von Schoeps nicht gelingen.
Mit Kalistas Dimension seiner  Geistesgeschichte, nämlich: ,,Die Geistesgeschichte 
hat den menschlichen Geist zum Gegenstand, d.h. jene Potenz des Einzelnen und auch einer  
größeren oder kleineren menschlichen Gesellschaft, die es ihnen ermöglicht, geistige Werte  
(Begriffe,   moralische   Imperative)   zu   schaffen,   sie   zu   begreifen   und   weiteren 
Handlungsträgern   mitzuteilen"
68
  könnte   sich   der   überwiegende   Teil   der   Historiker   der 
deutschen  Geistesgeschichte  sicher   identifizieren.   Kalistas   Charakteristik   seiner 
Geistesgeschichte  in dem Sinne, dass sie Begriffe, Vorstellungen usw. in das ,,Zeitmilieu" 
(,,dobového   prostedí")
  69
  einsetzen   soll,   steht   dem   sehr   nahe,   was   Rothacker   als 
,,Zeitausdruck" bezeichnete.
70
64
  REDLICH,   Virgil:  Sinn   und   Aufgabe   deutscher   Geistesgeschichte,   In:   Zeitschrift   für   deutsche 
Geistesgeschichte 1, 1935, S. 1.
65
  SCHWARZ, Balduin:  Zur philosophischen Grundlegung der Geistesgeschichte, In: Zeitschrift für deutsche 
Geistesgeschichte 1, 1935, S. 108.
66
  Im   Kapitel   ,,`Problemhistoriker`   und   ,Geisteshistoriker`".   Zitierter   Artikel:   ROTHACKER: 
Philosophiegeschichte   und   Geistesgeschichte,   In:   Deutsche   Vierteljahrsschrift   für   Literaturwissenschaft   und 
Geistesgeschichte 18, 1940, S. 125.
67
  SCHOEPS,   Hans-Joachim:   Geistesgeschichte   (Rezension   zum   Buch   Friedrich   Heer:   Europäische 
Geistesgeschichte), In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 7, 1955, S. 8991.
68
 ,,Duchové djiny mají jako svj pedmt lidského ducha, tj. onu potenci jedincovu i vtsí ci mensí spolecnosti 
lidské, která jim umozuje vytváet duchové hodnoty (pojmy, morální imperativy), je chápat i sdílet cinitelm  
dalsím." KALISTA: CHM, DD, S. 194.
69
 KALISTA: CHM, DD, S. 198.
70
 ROTHACKER: Philosophiegeschichte und Geistesgeschichte, S. 9.
21
Kalistas Aufforderung für die  Geistesgeschichte: die betreffende Vorstellung in ihr 
,,Zeitmilieu" einzuordnen und sie dadurch richtig zu begreifen, ist auch kein Novum. Wenn 
wir nur die ersten Jahrgänge der von Kalista zitierten Zeitschriften in Betracht ziehen, dann 
können wir als ein Beispiel für alle Hans Fehr und seinen Beitrag ,,Mehr Geistesgeschichte in 
der Rechtsgeschichte" aufführen.
71
Auch Fehr vertritt den Standpunkt, dass eine bestimmte Vorstellung, ein Begriff, aber 
auch eine Institution usw. nicht gut verstanden werden können, wenn wir sie nicht in die 
,,geistige Struktur"
72
  der Zeit einsetzen, in welcher die betreffende Vorstellung auftaucht. 
Fehr   weist   das   an   einem   konkreten   Beispiel   nach:   Man   kann   das   Institut   der 
,,Gottesgerichte", der Ordale im Mittelalter in Europa nicht begreifen, wenn wir es nicht in 
die geistige Struktur des Mittelalters einsetzen. Ein Verbrecher wurde im Mittelalter nämlich 
als ein Mensch aufgefasst, der vom Teufel besessen ist, ein Mensch, der böse Dämonen in 
sich hat, die seinen Willen beherrschen. Ein Mensch in diesem Zustand ist nicht in der Lage, 
aus seinem freien Willen zu handeln. Solange der Teufel in der Seele und im Körper des 
Menschen haust, ist der Mensch nicht in der Lage, die Wahrheit zu bekennen. Wenn keine 
andere Zeugenschaft zur Verfügung steht, dann bleibt nichts übrig, als das ,,Gottesgericht"  
das Ordal entscheiden  zu lassen. Gegen das Gottesurteil vermag  auch der Teufel nichts. 
Daher kann laut Fehr abgeleitet werden, dass ,,Gottesgerichte" eigentlich einen Wettkampf 
zwischen Gott und Teufel darstellten. Gott vollbringt während des Ordals ein Wunder, er 
deckt die Wahrheit auf und besiegt den Teufel.
In der gleichen Weise sind die Folterwerkzeuge der damaligen Zeit zu verstehen. 
Folterwerkzeuge stellten im Grunde ein Instrument dar, um den besessenen Menschen vom 
Teufel zu befreien. Folterwerkzeuge sind in der Lage, die Wahrheit auch einem Menschen 
abzuzwingen,  der vom Teufel  besessen ist. Sie sind eigentlich  eher für jenen Teufel  im 
Menschen als für den gefolterten Menschen selbst bestimmt.
An diesem Beispiel illustriert Fehr das Vorgehen, das die Geistesgeschichte in ihrer 
Recherche   anwenden   soll.   Nämlich   die   ,,geistesgeschichtlichen   Grundlagen
"73
  der 
betreffenden Vorstellung, Institution, des Begriffs usw., wie z.B. des Ordals, aufzudecken.
Das Vorgehen, das wir bei Fehr verfolgten und das bei vielen weiteren Historikern 
der  Geistesgeschichte  zu finden ist, ist offensichtlich auch in Kalistas eigenen historischen 
Arbeiten in sehr ähnlicher Weise ausgeführt. Wie Kalistas Konzeption der Geistesgeschichte 
aussieht, der durch Kalista  offenbar nicht ganz zu recht  relativ scharf gegenüber dem 
ursprünglichen   Entwurf   der   deutschen  Geistesgeschichte  abgegrenzt   wird,   das   wird   der 
Gegenstand der folgenden Kapitel sein.
71
  FEHR,   Hans:  Mehr   Geistesgeschichte   in   der   Rechtsgeschichte,   In:   Deutsche   Vierteljahrsschrift   für 
Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 5, 1927, S. 18.
72
 Ebd., S. 2.
73
 Ebd., S. 23.
22
III. KALISTAS GEISTESGESCHICHTE 
1. Der Gegenstand der Geistesgeschichte
Für das Verständnis von Kalistas Begriff der ,,Geistesgeschichte" wird es notwendig sein, 
sich auf sein Werk ,,Djiny duchové" [,,Geistesgeschichte"] zu stützen, das in die Sammlung 
Cesty historikova myslení [Die Wege des Denkens des Historikers] aufgenommen wurde.
74
a) Der Begriff und seine Geschichte
,,Die Geistesgeschichte hat den menschlichen Geist zum Gegenstand, d.h. jene Potenz des  
Einzelnen und auch einer größeren oder kleineren menschlichen Gesellschaft, die es ihnen  
ermöglicht, geistige Werte (Begriffe, moralische Imperative) zu schaffen, sie zu begreifen 
und   weiteren   Handlungsträgern   mitzuteilen."
75
  Ebenso   wie   nach   Kalistas   Ansicht   der 
menschliche Geist eine Geschichte hat, haben auch ebenso Begriffe, geistige Werte usw. eine 
Geschichte. Ein bestimmter Begriff  Kalista führt als Beispiel den Begriff der Freiheit an
76
  
hat nicht eine einzige statische Bedeutung, die sich in der Geschichte nicht ändern würde, 
sondern er verändert sich gemäß der Wandelbarkeit, der Unterschiedlichkeit der Zeiten, in 
denen   dieser   konkrete   Begriff   auftritt.   Ein   anderer   ist   der   Begriff   der   Freiheit   in   der 
Aufklärung und ein anderer in der Zeit des Mittelalters. Wohl am prägnantesten drückte 
Kalista seine These über die Wandelbarkeit des Begriffs in der Geschichte im Bereich seiner 
primär nicht-methodologischen Werke in seinem Werk Karel IV. Jeho duchovní tvá [Karl 
IV. Sein geistiges Gesicht]
77
 aus. Schauen wir uns nun detaillierter Kalistas Arbeit mit den 
Begriffen  an.  Daran   lässt   sich  nämlich   gut  illustrieren,   worin   Kalistas  Geistesgeschichte 
eigentlich beruht. Die zentrale Rolle der Begriffe in Kalistas Konzept der Geistesgeschichte 
zeigt sich auch an der oben zitierten Passage. Der Begriff ist nämlich laut Kalistas Konzept 
eine der eminenten Früchte des menschlichen Geistes.
In seinem Werk Karel IV. Jeho duchovní tvá befasst sich Kalista detailliert mit der 
Auffassung oder anders gesagt auch mit dem Begriff des Staates und der Staatsgewalt bei 
Augustinus und Thomas von Aquin. Vor allem aus dem Grund, dass Kalista sich bemüht 
abzuleiten, aus welchen Quellen der Kaiser Karl IV. seine Auffassung des Staates und der 
Staatsgewalt schöpfte.
78
 Im Folgenden werden wir uns an Kalistas Interpretation halten.
74
 KALISTA: CHM, DD, S. 189257.
75
 ,,Duchové djiny mají jako svj pedmt lidského ducha, tj. onu potenci jedincovu i vtsí ci mensí spolecnosti 
lidské, která jim umozuje vytváet duchové hodnoty (pojmy, morální imperativy), je chápat i sdílet cinitelm  
dalsím.", KALISTA: CHM, DD, S. 194.
76
 Ebd., S. 195.
77
 KALISTA, Zdenk: Karel IV. Jeho duchovní tvá [Karl IV. Sein geistiges Gesicht], Prag 1971.
78
  Zu den Quellen des Denkens von Karl IV. laut Kalista siehe auch KALISTA, Zdenk:  Cesta po ceských  
hradech a zámcích aneb Mezi tím, co je, a tím, co není  [Reise durch böhmische Burgen und Schlösser oder 
Zwischen   dem,   was   ist,   und   dem,   was   nicht   ist],   Prag   und   Litomysl   2003,   Kapitel   Tajemný   Karlstejn 
[Geheimnisvolles   Karlstein],   S.   4251.   Kalista   verteidigt   hier   auch   die   Behauptung,   dass   es   eine   innere 
Ähnlichkeit der Burg Karlstein und von Karls Denken gibt (S. 43).
23
Laut der Konzeption von Augustinus geht die Legitimität der Staatsgewalt aus der 
Macht Gottes hervor.
79
 Nur dann, wenn der Herrscher ein Knecht Gottes ist, kann er legitim 
über andere Menschen herrschen. Der Herrscher soll nur als Knecht Gottes regieren.
80
 Das 
geschieht   jedoch   nur   selten.   Meist   hatte   die   Macht   des   weltlichen   Herrschers   ihren 
Ausgangspunkt   in   seiner   Sehnsucht,   über   die   anderen   zu   herrschen,   also   in   seiner 
menschlichen Zerrüttung.
Umgekehrt   ging   die   Auffassung   des   Staates   bei   Thomas   von   Aquin
81
  von   den 
aristotelischen Wurzeln aus, laut denen der Staat und sein Entstehen aus der natürlichen 
Veranlagung des Menschen als soziales Wesen hervorgingen. Die Aristotelische Auffassung 
übernimmt auch Thomas, wenn er die Gründung des Staates nicht aus der Zerrüttung der 
menschlichen Natur ableitet, sondern umgekehrt aus der göttlichen Absicht. Aufgabe des 
Staates   soll   die   Gewährleistung   eines   ruhigen   Zusammenlebens   der   Bürger   sein.   ,,Der 
Herrscher,   der   bei   Augustinus   vor   den   Augen   der   Leser   ,,De   civitate   Dei"   mehr   oder 
weniger als Ausdruck jener zerrütteten menschlichen Natur, die auch den Staat entstehen  
ließ, erstand und eigentlich die Herrschaft über die übrigen Menschen usurpierte, da er 
keiner höheren natürlichen Ordnung angehört als sie und also auch nach der natürlichen  
Ordnung   kein   Recht   hat,   über   sie   zu   herrschen      wird   von   hl.   Thomas   als   natürliche 
Notwendigkeit vorgestellt, ohne die der Staat und seine Gesellschaft ihr gestecktes Ziel nicht  
erreichen könnten. Sein Titulus, der ihn zur Herrschaft berechtigt, welche die Bürger zwingt,  
ihm zu gehorchen, rührt nicht daher, dass er als Erfüller der göttlichen Weisungen, ,,servus  
Dei", anstellte Gottes, handelt, sondern stammt aus dem Bedarf des Staates, der ohne ihn  
nicht in der Lage wäre, seine Mission ordentlich zu erfüllen."
82
 Und Kalista fährt fort: ,,Es 
wäre möglich zu sagen, dass, während der Herrscher bei Augustinus vor allem der Knecht 
Gottes war, der Herrscher beim hl. Thomas von Aquin vor allem oder wenigstens teilweise 
der Diener der Menschen ist, [...]."
83
 Und Kalista fasst zusammen: ,,Der bis zu dem Maße 
entpersönlichte   Herrscher,   wie   es   in   den   Augen   des   hl.   Thomas   von   Aquin   der   ideale  
Herrscher wäre, der sich in keiner Richtung von seinem persönlichen Interesse hinreißen  
lässt, sondern vor allem das Wohlgedeihen des Staates bzw. des ihm anvertrauten Volkes  
verfolgt,   war   sicher   in   seiner   Führungsmission   auch   mit   einer   sicheren   Autorität   dazu  
ausgestattet, Gesetze zu erlassen und seinen Untertanen aufzuerlegen. In der Auffassung des 
hl. Augustinus, wo der Herrscher einfach als ,,servus Dei" (Knecht Gottes) erschien, war die 
79
 KALISTA: Karel IV. Jeho duchovní tvá, S. 51 ff.
80
 Die Tatsache, dass Karl IV. diese Vorstellung von Augustinus übernahm, belegt Kalista am Beispiel der Burg 
Karlstein, deren Architektur laut Kalista dem genannten Gedanken Augustinus untergeordnet ist. ,,Wenn wir 
nämlich wirklich die versteinerte Symbolik der großen Burg von Karl, den Grundgedanken, der darin verkörpert  
ist, verstehen wollen, müssen wir aus der Grundkonzeption seiner Autobiographie, vom Bild des Herrschers  
ausgehen, das Karl hier darbietet. Regnare est servire Deo, herrschen bedeutet, Gott zu dienen..." (,,Chceme-li 
totiz   opravdu   pochopit   zkamenlou   symboliku   velkého   hradu   Karlova,   základní   myslenku,   která   je   v nm 
ztlesnna, musíme vyjít ze základní koncepce jeho autobiografie, obrazu panovníka, který tu Karel podává. 
Regnare est servire Deo, vládnout znamená slouzit Bohu..."). Konkret dokumentiert das Kalista an der Tatsache, 
dass der, wenn auch imposante, Palast vom Sakralbau in den Schatten gestellt wird. Und zum zweiten, dass der 
zentrale   Raum   des   Donjons,   der   die   Dominante   der   Burg   darstellt,   die   Heiligkreuzkapelle   ist,   welche   die 
dominanteste Besonderheit der Burg ist. Vgl. KALISTA: Cesta po ceských hradech a zámcích, S. 4344.
81
 KALISTA: Karel IV. Jeho duchovní tvá, S. 71 ff.
82
  ,,Panovník, který  u Augustina vyrstal  ped ocima ctená ,,De civitate Dei" více mén jako výraz  oné  
porusené pirozenosti lidské, která dala vzniknout i státu, a vlastn usurpoval si vládu nad ostatními lidmi, nejsa 
o nic vyssí v ádu pirozeném nez oni a nemaje tedy také podle pirozeného ádu práva nad nimi vládnouti  je  
sv. Tomásem  pedstavován jako pirozená nutnost, bez  níz  by stát  a jeho spolecnost  nemohli dosíci  svého  
vytceného cíle [...]. Jeho titulus, opravující jej k vlád  nutící obcany, aby ho byli poslusni, není to, ze vládne  
jako plnitel píkaz bozích, ,,servus Dei", na míst bozím  nýbrz poteba státu, který by bez nho nebyl s to, 
aby plnil ádn svoje poslání." Ebd., S. 7576.
83
  ,,Bylo by mozno íci, ze kdezto Augustinv vlada byl pedevsím sluzebníkem bozím, je vlada sv. Tomáse 
Akvinského pedevsím anebo aspo zárove sluzebníkem lidí, [...]." Ebd., S. 76.
24
Rechtsbefugnis in dieser Hinsicht nicht sehr klar abgesteckt: Der Herrscher war hier eher 
der   Erfüller   des   göttlichen   Gesetzes,   das   von   der   Heiligen   Schrift   offenbart   war,   denn  
Gesetzgeber aus eigener Initiative, Autor oder Auslöser der Gesetze. Beim heiligen Thomas, 
wo   die   Vorstellung   des   Herrschers   nicht   durch   die   pessimistische   Auslegung   über   die 
Entstehung dieser Institution belastet ist wie beim großen Bischof von Hippo und daher auch 
nicht in dem Maße eine Rechtfertigung durch die Aufgabe des einfachen Vollstreckers der  
göttlichen   Weisungen   braucht,   ist   seine   Autorität   von   weniger   transzendentaler   Art,   sie 
bildet sich selbständiger, sie ist nicht nur die Autorität des bloßen Interpretierenden des 
göttlichen   Gesetzes,   die   in   ihrer   Interpretation   der   Institutionen   verständlicherweise 
gebunden ist, der Gott vor allem die Auslegung seines Gesetzes, d.h. der Kirche, anvertraute. 
Ihre Rechtfertigung liegt in der gesetzgebenden Funktion ,,bonum commune", nach der sie 
sich richtet."
84
Kalistas Vorgehen bei der Ausleuchtung des Begriffs oder der Auffassung des Staats 
und der staatlichen Autorität in seinem ,,Karl IV." sah also so aus, dass er zuerst klärte, wie 
Staat, Staatsgewalt und Autorität des Herrschers von Augustinus und Thomas von Aquin 
aufgefasst   wurden,   die   Unterschiede   in   ihrer   Auffassung   und   dadurch   also   auch   die 
Unterschiede des Begriffs Staat, staatliche Autorität, Staatsgewalt in der Zeit des frühen und 
des Hochmittelalters zeigte. Begriffe, wie zum Beispiel der Begriff des Staats, der Freiheit 
usw., entwickeln und wandeln sich also in der Geschichte und haben daher keine ständige, 
unveränderliche Bedeutung. Im folgenden Schritt bemüht sich Kalista dann zu zeigen, wie 
sich die Auffassung von Augustinus und Thomas´ im Denken von Karl IV. widerspiegelte. 
Als Beispiel können wir Folgendes aufführen. Bei Thomas von Aquin und seiner Auffassung 
des Staats ist die Rolle der Vernunft unterstrichen, die vor allem Gesetze usw. schafft. Den 
Einfluss von Thomas auf Karls Denken leitet Kalista anschließend aus Karls Majestätsbrief 
ab,   wo   die   Bestimmungen   wichtig   sind,   die   vom   Proömium   begleitet   sind,   in   dem   der 
Grundgedanke aufgeführt wird, der den Standpunkt der Vernunft verdeutlicht.
85
Den Einfluss von Augustinus auf das Denken von Karl IV. weist Kalista bspw. an 
Karls   Legende   über   den   heiligen   Wenzel   nach,   wo   der   augustinische   Gedanke   über   die 
menschliche  Sehnsucht nach Herrschaft und die sich daraus ergebende Interpretation der 
(wenn   auch   gerade   deswegen   illegitimen)   Macht   des   Herrschers   in   Karls   Vorstellung 
Anwendung   findet,   dass   Boleslav   Wenzel   wegen   seiner   ungezügelten   Sehnsucht   nach 
Herrschaft   ermordete.   Ähnlich   beschreibt   Karl   IV.   auch   den   Unterschied   zwischen   der 
Herrschaft   von   Wenzel   und   Boleslav   so,   dass   Wenzel   mit   seiner   Herrschaft   Gott   dient, 
während Boleslav herrscht, um andere zu beherrschen. Kalista erblickt hier die sichtbaren 
Resonanzen des augustinischen Konzepts von der legitimen bzw. illegitimen Macht, wobei 
die Legitimität der Staatsgewalt gerade auf der Tatsache beruht, dass der Herrscher durch 
sein Regieren Gott dient.
86
84
 ,,Panovník do té míry odosobnný, jako byl ideální panovník sv. Tomáse Akvinského, který v zádném smru se 
nedával strhnouti zájmem svým, nýbrz sledoval pedevsím dobro státu resp. lidu sob sveného, byl zajisté ve  
svém vdcovském poslání vybaven i bezpecnjsí autoritou k tomu, aby mohl vydávati a ukládati svým poddaným  
zákony. V pojetí sv. Augustina, kde se panovník jevil prost jako ,,servus Dei" (sluzebník bozí), nebyla pravomoc  
jeho v tomto ohledu dosti jasn vytcena: panovník tu byl spíse plnitelem zákona bozího, vyceného Písmem  
svatým,   nez   zákonodárcem   z vlastní   své   iniciativy,   autorem   a   podntem   zákon.   U   svatého   Tomáse,   kde  
pedstava panovníkova není zatízena tím pesimistickým výkladem o vzniku této instituce jako u velikého biskupa 
hipponského a nepotebuje tedy také do té míry ospravedlnní úkolem prostého vykonavatele píkaz bozích, je  
autorita jeho mén transcendentálního rázu, utváí se samostatnji, není jen autoritou pouhého interpretátora 
zákona bozího, vázanou pochopiteln ve své interpretaci institucí, které Bh pedevsím svil výklad svého  
zákona, tj. Církví.  Jejím ospravedlnním je v úkonu zákonodárném ,,bonum commune", kterým se spravuje." 
Ebd., S. 8182.
85
 Ebd., S. 83.
86
 Ebd., S. 5758.
25
Man muss betonen, dass die Quellenbasis für eine solche Deduktion begrenzt und in 
vielem problematisch  ist, dessen ist sich Kalista  jedoch selbst bewusst. Kalista zieht  als 
Erkenntnisquelle für das Denken von Karl IV. Urkunden und Dokumente in Betracht, die 
Karls Kanzlei herausgab. Eine der wichtigen Quellen für Kalista war Karls Majestätsbrief. 
Man kann kritisch fragen, bis zu welchem Maße sich in Karls Majestätsbrief Karls eigenes 
Denken und zum Beispiel seine Auffassung des Staates äußerte. 
Ein anderer Einwand gegen Kalistas Vorgehen könnte von dem Problem ausgehen, 
wie   man  nachweisen   kann,  dass   Karls   Denken   und  allgemein   die  Werke,  die   aus   Karls 
Kanzlei hervorgingen, sich wirklich bei Augustinus und Thomas  von Aquin inspirierten. 
Hätten sie nicht andere Denker als Quelle haben können? Die Urkunden und Dokumente, die 
Kalista   in   Betracht   zieht,   enthalten   selbstverständlich   keinen   expliziten   Verweis   auf 
Augustinus   oder   Thomas   als   ihre   Quelle.   Kann   man   also   empirisch   jene   Anknüpfung 
nachweisen?
In der Widerlegung dieses Einwands verbirgt sich eigentlich eine der Charakteristiken 
der Methode von Kalistas Geistesgeschichte. Kalista geht es nicht primär um die Verfolgung 
empirisch   unterlegter   Zusammenhänge,   um   die   Feststellung,   wo   dieser   konkrete   Autor 
wirklich   die   Impulse   für   sein   Denken   schöpfte.   Kalista   ist   sich   bewusst,   dass   er   kaum 
empirisch nachweisen kann, dass Karl für diesen oder jenen Gedanken seine Inspiration bei 
jenem konkreten Werk von Augustinus oder Thomas fand. Er fügt allerdings im gleichen 
Atemzug   hinzu,   dass   es   uns   in   der  Geistesgeschichte  auch   nicht   um   einen   solchen 
empirischen Nachweis geht.
87
  Wichtig ist der geistige Zusammenhang, man könnte wohl 
sagen, der geistige Zusammenhang auf der ideellen Ebene. Es handelt sich vor allem um den 
Inhalt des Begriffs, des Gedankens oder der allgemeinen Vorstellung, die untersucht wird. 
Man  sucht  Ähnlichkeiten   oder Verknüpfungen  im  Rahmen   des  Inhalts  des   Begriffs, des 
Gedankens   usw.   Sicher   kommt   zu   einer   solchen   Untersuchung   auch   die   historische 
Begründung in diesem Sinne dazu, dass Karl IV. den Gedanken von Augustinus oder von 
Thomas   von   Aquin   übernommen   haben   könnte,   wenn   er   in   späterer   Zeit   lebte   und   die 
Möglichkeit   hat,   sich   mit   ihren   Werken   bekannt   zu   machen,   er   konnte   den   Gedanken 
allerdings nicht z.B. von Leibniz übernehmen, wenn er mehrere Jahrhunderte vor diesem 
lebte.
Gleichzeitig stellt Kalista an seine  Geistesgeschichte  jedoch den Anspruch, dass sie 
erkennen   soll,   welche   Änderungen   und   Entwicklung   in   den   Begriffen,   Gedanken   und 
Vorstellungen   der   vergangenen   Menschen   wirklich   abliefen.
88
  Die  Geistesgeschichte 
erforscht nicht irgendwelche Fiktionen und macht keine beliebigen Schlüsse. Sie kann zwar 
nicht mit Sicherheit die Übertragung eines Gedankens, Begriffs usw. von einer Person bzw. 
von einem Werk auf eine andere Person bzw. ein anderes Werk bestätigen, sie kann jedoch 
urteilen, das diese konkrete Übertragung mit einem gewissen Maß an Wahrscheinlichkeit 
erfolgte. 
b) Begriffsgeschichte 
i) Zdenk Kalista
87
 Man muss hinzufügen, dass ich persönlich Kalistas Werk Karel IV. Jeho duchovní tvá für eines der besten 
Beispiele für die konkrete Anwendung von Kalistas Konzept der ,,Geistesgeschichte" halte, dessen theoretischen 
Entwurf er in seiner Studie Djiny duchové im Rahmen der Cesty historikova myslení skizzierte.
88
 Bspw. KALISTA: CHM, DD, S. 199.
26
Nahe liegend ist die Frage, bis zu welchem Maß Kalista in seinem Werk die zukünftige 
Richtung   in   der   Geschichtsschreibung,   die   als   ,,Begriffsgeschichte"   bezeichnet   wird, 
vorhersah.
89
  Kann   man   Kalista   als   einen   der   ersten   überhaupt   bezeichnen,   der   eine 
Begriffsgeschichte erwog, obgleich von ihr zur Zeit Kalistas in den vierziger bis sechziger 
Jahren noch nicht die Rede war?
Kalista verfolgt in vielen seiner Werke, wie wir es zum Beispiel im Buch Karel IV. 
Jeho duchovní tvá  beobachteten, die Veränderung des Inhalts bestimmter Begriffe in der 
Geschichte. Gleichzeitig verfolgte Kalista dann auch das Auftreten bestimmter Begriffe in 
einer konkreten Zeit, worauf er dann seine weiteren Ausführungen begründete.
90
Gleichzeitig   bemühte   sich   Kalista   den   Einfluss   der   betreffenden   Begriffe,   zum 
Beispiel des Begriffs des Staates oder der Staatsgewalt und der Autorität bei Augustinus und 
Thomas von Aquin, auf das Denken von Karl IV nachzuweisen. Die genannten Begriffe, die 
sich im Denken von Karl IV. widerspiegelten, äußerten sich jedoch gleichzeitig im konkreten 
geschichtlichen Handeln von Karl IV. Wenn wir ein Beispiel für alle in Betracht ziehen: 
Kalista   schreibt:   ,,Gegen   die   augustinische   Konzeption   des   Königs   als   ,,Knecht   Gottes"  
brachte Thomas´ Auffassung den Herrscher als Umsetzer des ,,allgemeinen Guten" noch  
einen Vorteil: Sie leitete die Tätigkeit des Herrschers sichtbarer auf eine konkrete Basis  
über, stellte sie fester in die Mitte der wirklichen, realen menschlichen Gesellschaft, als es 
beim Autor des Werks ,,De civitate Dei" war."
91
 Aus Thomas´ Konzeption, dem Begriff des 
Herrschers, der tiefer in der realen menschlichen Gesellschaft verwurzelt ist, leitet Kalista 
dann   zum   Beispiel   Karls   Wirtschaftsbeschlüsse   ab,   mit   denen   Karl   markant   in   das 
zeitgenössische   Geschehen   im   Staat,   in   das   konkrete   Leben   der   damaligen   Gesellschaft 
eingriff.
Führen   wir   noch   ein   Beispiel   für   Kalistas   Vorgehen   auf:   Thomas´   Begriff   der 
Herrschergewalt beruht unter anderem auf der Behauptung, dass die weltlichen Herrscher in 
den Sachen, welche endgültige, irdische menschliche Sachen betreffen, keine Untertanen der 
Kirche sind, aber dass sie Untertanen der Kirche in Fragen sind, die sich auf das ewige Heil 
der Untertanen beziehen. Thomas´ Begriff der Herrschergewalt wird dann laut Kalista auch 
von   Karl   IV.   übernommen:   ,,Karl   akzeptiert   bereitwillig   die   Autorität   des   Papstes   und 
überhaupt der Kirchenrepräsentanten auf rein religiösen Felde, aber er ist nicht bereit, sich 
89
 Vgl. dazu zum Beispiel: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in 
Deutschland, hrsg. von Otto BRUNNER, Werner CONZE, Reinhart KOSELLECK, 9 Bde, 19721997; IRA, 
Jaroslav:  Djiny   politických   pojm:   nové   roviny,   nové   pístupy   a   nové   otázky  [Geschichte   der   politischen 
Begriffe: neue Ebenen, neue Zugangsweisen und neue Fragen], In: Djiny-teorie-kritika [Geschichte  Theorie - 
Kritik] 2, 2004, S. 213236; SUK, Jií: Foucaltv píchod do Cech [Foucaults Ankunft in Böhmen], In: Soudobé 
djiny [Zeitgenössische Geschichte] XI/4, 2004, S. 5165; IGGERS, Georg G.: Geschichtswissenschaft im 20. 
Jahrhundert.   Ein   kritischer   Überblick   im   internationalen   Zusammenhang,   Göttingen   1996.   Zur 
Begriffsgeschichte   bei   Iggers   siehe   S.   8796.   Übersichtlich   zur   deutschen   Begriffsgeschichte   vgl.   auch 
DANIEL, Ute: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt am Main 2006, S. 
285296.
90
 Die Tatsache, dass Kalista das Auftreten bestimmter Wörter und Begriff in einer konkreten Zeit bemerkt, zeigt 
sich zum Beispiel an der Verfolgung des häufigen Auftretens des Wortes ,,Schicksal" in der Zeit der böhmischen 
Renaissance; KALISTA, Zdenk:  Mládí Humprechta Jana Cernína z Chudenic. Zrození barokního kavalíra 
[Der junge Humprecht Jan Czernin z Chudenic. Geburt des Barockkavaliers], nákladem vlastním s pispním 
CAV [in Selbstauflage mit Zuschuss der Tschechischen Akademie der Wissenschaften], Prag 1932, S. 96. Zu 
Pekas   Ansicht   zum   genannten   Buch   Kalistas   vgl.   PEKA,   Josef:  Deníky   Josefa   Pekae   1916      1933 
[Tagebücher von Josef Peka], Prag 2000, S. 113.
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  ,,Proti augustinovské koncepci krále jako ,,sluzebníka bozího" pináselo Tomásovo pojetí panovníka jako  
uskutecovatele ,,obecného dobra" jest jednu výhodu: Svádlo cinnost panovníkovu zetelnji na konkrétní  
základnu, stavlo jej pevnji doprosted skutecné, reálné spolecnosti lidské, nez tomu bylo u autora díla ,,De  
civitate Dei.", KALISTA: Karel IV. Jeho duchovní tvá, S. 84.; zu Augustinus Vorstellung Gottes laut Kalista 
siehe auch: KALISTA: Blahoslavená Zdislava z Lemberka [Die gebenedeite Zdislava von Lämberg], Prag 1991 
(1. Ausgabe Rom 1969), S. 18.
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Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2008
- ISBN (eBook)
- 9783836643337
- Dateigröße
- 1 MB
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2014 (April)
- Note
- 1,0
- Schlagworte
- kulturgeschichte subjektivität mentalitätengeschichte problemhistoriker
- Produktsicherheit
- Diplom.de
 
					