Männlichkeit, Identität und Medien
Eine rekonstruktive Untersuchung zum Selbstverständnis einer jungen Männergeneration
					
	
		©2009
		Diplomarbeit
		
			
				186 Seiten
			
		
	
				
				
					
						
					
				
				
				
				
			Zusammenfassung
			
				Inhaltsangabe:Einleitung:	
Ist dir eigentlich bewusst, dass du Männer fragst, was Männlichkeit ist?
Diese Frage wurde mir von einem Mann gestellt, der an einer von mir durchgeführten Gruppendiskussion zum Thema Männlichkeit teilnahm. Eine rhetorische Frage, welche mich im ersten Moment sprachlos machte  bei genauerer Betrachtung aber exakt die Beweggründe für die vorliegende Arbeit veranschaulicht.
Was Männer ausmacht, wie Männer sein sollen, wie sie sich am besten verhalten, wie sie auszusehen haben - kurz: was Männlichkeit eigentlich bedeutet - sind Fragen, welche allgegenwärtig sind. Man stellt diese Fragen selbst undsie werden gestellt, in welcher Form auch immer: sei es in einer Frauenrunde, in Talkshows, in Diskussionsrunden oder Zeitschriften, Männlichkeit ist immer und überall zur Disposition gestellt, und ganz besonders, seit traditionelle Geschlechterarrangements ins Wanken geraten. Umso erstaunlicher ist, dass dazu selten Männer gefragt werden. Es scheint, als würde die Männlichkeitsdiskussion, auf welcher Ebene auch immer, hauptsächlich von Frauen geführt werden, und die Antwort auf die spezifische Frage, was denn Männlichkeit ausmache, beinahe ausschließlich in weiblicher Hand liegen. Folgt man diesen Alltagsbeobachtungen, so erscheint es auf einmal viel weniger verwunderlich, dass die Fragestellung an einen Mann gerichtet alles andere als selbstverständlich ist.
In der wissenschaftlichen Diskussion hat sich im Bereich Männerforschung in den letzten Jahrzehnten doch einiges getan, wie in der vorliegenden Arbeit u.a. gezeigt wird. Dennoch gibt es nur wenige Studien, die explizit darauf ausgerichtet sind, das männliche Selbstverständnis in den Blick zu nehmen. Je weiter weibliche Emanzipationsbemühungen voranschreiten und Erfolge verzeichnen können, desto wichtiger wird es, diese Frage einer jeden Generation an Männern erneut zu stellen, da sich nicht nur Weiblichkeit, sondern auch Männlichkeit in einem steten Wandel befindet. In dieser Untersuchung habe ich den Fokus auf eine relativ junge Männergeneration gerichtet, sowie auf die Frage, wie mediale Repräsentationen von Männlichkeit eine Rolle für das Selbstverständnis dieser Generation spielen.
Die Antworten, die mir von den Untersuchten auf meine Fragen gegeben wurden, sind um einiges vielfältiger und interessanter als jene, die ich auf die anfangs zitierte Frage geben konnte: Ich denke […]
	Ist dir eigentlich bewusst, dass du Männer fragst, was Männlichkeit ist?
Diese Frage wurde mir von einem Mann gestellt, der an einer von mir durchgeführten Gruppendiskussion zum Thema Männlichkeit teilnahm. Eine rhetorische Frage, welche mich im ersten Moment sprachlos machte  bei genauerer Betrachtung aber exakt die Beweggründe für die vorliegende Arbeit veranschaulicht.
Was Männer ausmacht, wie Männer sein sollen, wie sie sich am besten verhalten, wie sie auszusehen haben - kurz: was Männlichkeit eigentlich bedeutet - sind Fragen, welche allgegenwärtig sind. Man stellt diese Fragen selbst undsie werden gestellt, in welcher Form auch immer: sei es in einer Frauenrunde, in Talkshows, in Diskussionsrunden oder Zeitschriften, Männlichkeit ist immer und überall zur Disposition gestellt, und ganz besonders, seit traditionelle Geschlechterarrangements ins Wanken geraten. Umso erstaunlicher ist, dass dazu selten Männer gefragt werden. Es scheint, als würde die Männlichkeitsdiskussion, auf welcher Ebene auch immer, hauptsächlich von Frauen geführt werden, und die Antwort auf die spezifische Frage, was denn Männlichkeit ausmache, beinahe ausschließlich in weiblicher Hand liegen. Folgt man diesen Alltagsbeobachtungen, so erscheint es auf einmal viel weniger verwunderlich, dass die Fragestellung an einen Mann gerichtet alles andere als selbstverständlich ist.
In der wissenschaftlichen Diskussion hat sich im Bereich Männerforschung in den letzten Jahrzehnten doch einiges getan, wie in der vorliegenden Arbeit u.a. gezeigt wird. Dennoch gibt es nur wenige Studien, die explizit darauf ausgerichtet sind, das männliche Selbstverständnis in den Blick zu nehmen. Je weiter weibliche Emanzipationsbemühungen voranschreiten und Erfolge verzeichnen können, desto wichtiger wird es, diese Frage einer jeden Generation an Männern erneut zu stellen, da sich nicht nur Weiblichkeit, sondern auch Männlichkeit in einem steten Wandel befindet. In dieser Untersuchung habe ich den Fokus auf eine relativ junge Männergeneration gerichtet, sowie auf die Frage, wie mediale Repräsentationen von Männlichkeit eine Rolle für das Selbstverständnis dieser Generation spielen.
Die Antworten, die mir von den Untersuchten auf meine Fragen gegeben wurden, sind um einiges vielfältiger und interessanter als jene, die ich auf die anfangs zitierte Frage geben konnte: Ich denke […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Claudia Trettenbrein 
Männlichkeit, Identität und Medien 
Eine rekonstruktive Untersuchung zum Selbstverständnis einer jungen Männergeneration 
ISBN: 978-3-8366-4329-0 
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010 
Zugl. Universität Wien, Wien, Österreich, Diplomarbeit, 2009 
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© Diplomica Verlag GmbH 
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010 
1 
INHALTSVERZEICHNIS 
1 - VORWORT 
5 
2 - ERKENNTNISINTERESSE 
7 
2.1
-
M
ÄNNLICHKEIT
7 
2.2
I
NDIVIDUALISIERUNG UND 
I
DENTITÄTSKONSTITUTION
10 
2.2.1
-
 SOZIALER 
W
ANDEL
10 
2.2.2
I
DENTITÄT UND SOZIALE 
R
OLLE
11
2.3
-
M
EDIEN
15 
2.4
-
E
RKENNTNISINTERESSE
19 
3. - BEGRIFFLICH-THEORETISCHE EXPLIKATION 
23 
3.1
-
Z
UM 
G
ENERATIONSBEGRIFF BEI 
M
ANNHEIM
23 
3.1.1
-
G
ENERATION ALS SOZIALE 
L
AGERUNG
24 
3.1.2
-
G
ENERATIONSZUSAMMENHANG
25 
3.1.3
-
G
ENERATIONSEINHEITEN
26
3.2
-
D
AS 
K
ONZEPT DER HEGEMONIALEN 
M
ÄNNLICHKEIT
28 
3.2.1
-
 SOZIALER VS
.
 BIOLOGISCHER 
D
ETERMINISMUS
28 
3.2.2.
-
 KÖRPERREFLEXIVE 
P
RAXIS
29 
3.2.3
-
 HEGEMONIALE 
M
ÄNNLICHKEIT
30 
3.2.4
-
U
NTERORDNUNG
,
K
OMPLIZENSCHAFT UND 
M
ARGINALISIERUNG
31 
4 - ZUR METHODE 
33 
4.1
-
D
IE 
E
NTWICKLUNG DES 
G
RUPPENDISKUSSIONSVERFAHRENS
36 
4.1.1
M
ARKTFORSCHUNG
36 
4.1.2
F
RANKFURTER 
S
CHULE
36 
4.1.3
C
ULTURAL 
S
TUDIES
37 
4.1.4
E
NTDECKUNG DER 
K
OLLEKTIVITÄT
:
W
ERNER 
M
ANGOLD
38
4.2
-
M
ANNHEIMS 
W
ISSENSSOZIOLOGIE
:
 THEORETISCHE 
F
UNDIERUNG DES 
K
OLLEKTIVEN
40 
4.2.1
 KONJUNKTIVE UND KOMMUNIKATIVE 
E
BENE
40 
4.2.2
 IMMANENTER UND DOKUMENTARISCHER 
S
INNGEHALT
41
4.3
-
M
ETHODISCHE 
I
NSTRUMENTARIEN ZUR 
O
FFENLEGUNG KOLLEKTIVER 
O
RIENTIERUNGEN
42 
2 
4.3.1
-
F
OKUSSIERUNGSMETAPHERN
42 
4.3.2
S
CHRITTE DER 
I
NTERPRETATION
42 
4.3.3
 DISKURSIVER 
D
REISCHRITT
43 
4.3.4
E
CKPUNKTE DER 
O
RIENTIERUNGEN
44 
5 - FORSCHUNGSDESIGN 
47 
5.1
-
E
INGRENZUNG DES 
F
ORSCHUNGSFELDES
47 
5.2
-
M
ETHODISCHES 
V
ORGEHEN
52 
5.2.1
-
E
INGANGSFRAGE
52 
5.2.2
-
R
EFLEXION DER 
E
INGANGSFRAGE
53 
5.2.3
-
 IMMANENTE 
N
ACHFRAGEN
55 
5.2.4
-
  EXMANENTE 
N
ACHFRAGEN
56 
5.2.5
-
R
EFLEXION DER EXMANENTEN 
N
ACHFRAGE
57 
5.2.6
-
E
INSATZ VON 
B
ILDERN
57 
5.2.7
-
R
EFLEXION DES 
E
INSATZES VON 
B
ILDERN
58 
6 - ANALYSE 
59 
6.1
-
Z
UR 
D
ARSTELLUNGSWEISE DER 
E
RGEBNISSE
59 
6.2
-
F
ELDZUGANG
61 
6.2.1
-
K
ONTAKTHERSTELLUNG
61 
6.2.2
-
P
ROBLEME BEI DER 
K
ONTAKTHERSTELLUNG
61 
6.2.3
-
E
RLÄUTERUNG VON 
E
RKENNTNISINTERESSE UND 
R
AHMENINFORMATIONEN
62
6.3
-
G
RUPPE 
,,W
OHNUNG
" 
65 
6.3.1
-
K
ONTAKTAUFNAHME UND 
B
ESCHREIBUNG DER 
G
RUPPE
65 
6.3.2
-
E
RHEBUNGSSITUATION UND 
B
EOBACHTUNGEN IM 
F
ELD
66 
6.3.3
-
D
ISKURSBESCHREIBUNG
67 
6.3.4
-
P
ASSAGE 
,,E
NTHAARUNG
" 
67 
6.3.5
-
P
ASSAGE 
,,H
AUSHALT
" 
75 
6.3.6
-
P
ASSAGE 
,,M
ÄNNLICHKEITSBILDER
/J
OCHEN 
R
INDT
" 
81
6.4
-
G
RUPPE 
,,G
ARTEN
" 
84 
6.4.1
-
K
ONTAKTAUFNAHME UND 
B
ESCHREIBUNG DER 
G
RUPPE
84 
6.4.2
-
E
RHEBUNGSSITUATION UND 
B
EOBACHTUNGEN IM 
F
ELD
85 
6.4.3
-
D
ISKURSBESCHREIBUNG
87 
6.4.4
-
P
ASSAGE 
,,B
AUARBEITER
" 
91 
6.4.5
-
P
ASSAGE 
,,
EIN RICHTIGER 
K
ERL
" 
95 
6.4.6
-
P
ASSAGE 
,,A
UTOS
" 
97 
6.4.7
-
P
ASSAGE 
,,F
ORTPFLANZUNG
" 
98
6.5
-
G
RUPPE 
,,T
EPPICH
" 
102 
6.5.1
-
F
ELDZUGANG UND 
G
RUPPENBESCHREIBUNG
102 
6.5.2
-
E
RHEBUNGSSITUATION UND 
B
EOBACHTUNGEN IM 
F
ELD
103 
3 
6.5.3
-
D
ISKURSBESCHREIBUNG
104 
6.5.3
-
E
INGANGSPASSAGE
104 
6.5.4
-
P
ASSAGE 
,,F
UßBALL
" 
111 
6.5.5
-
P
ASSAGE 
,,W
EINEN
" 
114 
7 - ZUSAMMENFASSENDE DARSTELLUNG DER ERGEBNISSE 
119 
7.1
-
Ü
BERBLICK
:
P
ARALLELEN UND 
U
NTERSCHIEDE
119 
7.2
-
O
RIENTIERUNG ZWISCHEN SOZIALEM 
U
MFELD UND MEDIAL VERMITTELTEN 
V
ORBILDERN
122 
7.3
-
E
INORDNUNG DER 
F
ÄLLE IN DIE 
M
ÄNNLICHKEITSTYPOLOGIE VON 
M
EUSER
125 
7.3.1
D
ER TRADITIONELLE 
T
YPUS
125 
7.3.3
D
ER PREKÄRE 
T
YPUS
128 
7.3.2
D
ER DAUERREFLEXIVE 
T
YPUS
131 
7.3.4
D
ER EGALITÄRE 
T
YPUS
133 
7.3.5
E
INORDNUNG DER 
F
ÄLLE
135
7.4
-
A
USBLICK
140 
LITERATURVERZEICHNIS 
141
ANHANG 
143 
T
RANSKRIPTIONSRICHTLINIEN
143 
T
RANSKRIPTE
144 
G
RUPPE 
W
OHNUNG 
-
E
NTHAARUNG
144 
G
RUPPE 
W
OHNUNG 
H
AUSHALT
147 
G
RUPPE 
W
OHNUNG 
M
ÄNNLICHKEITSBILDER
/J
OCHEN 
R
INDT
150 
G
RUPPE 
G
ARTEN 
-
B
AUARBEITER
154 
G
RUPPE 
G
ARTEN 
E
IN RICHTIGER 
K
ERL
159 
G
RUPPE 
G
ARTEN 
-
A
UTOS
160 
G
RUPPE 
G
ARTEN 
-
F
ORTPFLANZUNG
164 
G
RUPPE 
T
EPPICH 
E
INGANGSPASSAGE
167 
G
RUPPE 
T
EPPICH 
F
UßBALL
171 
G
RUPPE 
T
EPPICH 
-
W
EINEN
173
B
EGRIFFSINVENTAR ZUR 
D
ISKURSORGANISATION
176
A
BSTRACT
179 
D
ANKSAGUNG
181 
C
URRICULUM 
V
ITAE
183 
4 
5 
1 - VORWORT 
Ist  dir eigentlich bewusst, 
 dass du Männer fragst, 
 was Männlichkeit ist? 
Diese Frage wurde mir von einem Mann gestellt, der an einer von mir durchgeführten 
Gruppendiskussion zum Thema Männlichkeit teilnahm. Eine rhetorische Frage, welche 
mich  im  ersten Moment sprachlos  machte    bei  genauerer Betrachtung aber exakt die 
Beweggründe für die vorliegende Arbeit veranschaulicht.  
Was Männer ausmacht, wie Männer sein sollen, wie sie sich am besten verhalten, wie 
sie  auszusehen  haben  -  kurz:  was  Männlichkeit  eigentlich  bedeutet  -  sind  Fragen, 
welche allgegenwärtig sind. Man stellt diese Fragen selbst und  sie werden gestellt, in 
welcher  Form  auch  immer:  sei  es  in  einer  Frauenrunde,  in  Talkshows,  in 
Diskussionsrunden  oder  Zeitschriften,  Männlichkeit  ist  immer  und  überall  zur 
Disposition gestellt, und ganz besonders, seit traditionelle Geschlechterarrangements ins 
Wanken  geraten.  Umso  erstaunlicher  ist,  dass  dazu  selten  Männer  gefragt  werden.  Es 
scheint,  als  würde  die  Männlichkeitsdiskussion,  auf  welcher  Ebene  auch  immer, 
hauptsächlich  von Frauen geführt werden, und die  Antwort auf die  spezifische  Frage, 
was  denn  Männlichkeit  ausmache,  beinahe  ausschließlich  in  weiblicher  Hand  liegen. 
Folgt  man  diesen  Alltagsbeobachtungen,  so  erscheint  es  auf  einmal  viel  weniger 
verwunderlich,  dass  die  Fragestellung  an  einen  Mann  gerichtet  alles  andere  als 
selbstverständlich ist.  
In  der  wissenschaftlichen  Diskussion  hat  sich  im  Bereich  Männerforschung  in  den 
letzten Jahrzehnten doch einiges getan, wie in der vorliegenden Arbeit u.a. gezeigt wird. 
Dennoch  gibt  es  nur  wenige  Studien,  die  explizit  darauf  ausgerichtet  sind,  das 
männliche  Selbstverständnis  in  den  Blick  zu  nehmen.  Je  weiter  weibliche 
Emanzipationsbemühungen  voranschreiten  und  Erfolge  verzeichnen  können,  desto 
6 
wichtiger wird es, diese Frage einer jeden Generation an Männern erneut zu stellen, da 
sich  nicht  nur  Weiblichkeit,  sondern  auch  Männlichkeit  in  einem  steten  Wandel 
befindet.  In  dieser  Untersuchung  habe  ich  den  Fokus  auf  eine  relativ  junge 
Männergeneration  gerichtet,  sowie  auf  die  Frage,  wie  mediale  Repräsentationen  von 
Männlichkeit eine Rolle für das Selbstverständnis dieser Generation spielen.  
Die Antworten, die mir von den Untersuchten auf meine Fragen gegeben wurden, sind 
um einiges vielfältiger und interessanter als jene, die ich auf die anfangs zitierte Frage 
geben konnte: Ich denke schon.  
7 
2 - ERKENNTNISINTERESSE 
In diesem Kapitel wird erörtert, wie das Erkenntnisinteresse und die daraus resultierenden 
forschungsleitenden  Fragen  entwickelt  wurden.  Zu  Beginn  werden  die  theoretischen 
Vorüberlegungen  skizziert,  welche  für  das  Erkenntnisinteresse  ausschlaggebend  waren. 
Diese lassen sich in drei Hauptbereiche gliedern:  
  a) Die Position der Männerforschung innerhalb der sozialwissenschaftlichen 
  Geschlechterforschung  
  b) Die Frage nach Identität und ihrer Konstruktion innerhalb der Diskussion zur 
  Modernisierung der Moderne  
  c) Die Rolle der Medien als sinnstiftende Institution der Gegenwart 
Anschließend wird, aufbauend auf diesen Überlegungen, das Erkenntnisinteresse formuliert, 
welches die Themen Männlichkeit, Identität und Medien in Zusammenhang setzt.  
2.1 - Männlichkeit 
Ausgangspunkt der vorliegenden Studie war die Intention, Männlichkeit und männliche 
Identität  zu  untersuchen.  Die  unterschiedlichsten  sozialwissenschaftlichen  Disziplinen 
haben  sich  im  Laufe  der  letzten  Jahrzehnte    nicht  zuletzt  ausgelöst  durch  die  zweite 
Frauenbewegung  -  ausgiebig  mit  der  Erforschung  des  Weiblichen  in  allen  Facetten 
beschäftigt.
1
 So notwendig dieser Fokus auch war bzw. immer noch ist, läuft er jedoch 
Gefahr,  die  andere  Seite  zu  übersehen:  Geschlecht  schließt  immer  schon  den 
Bezugsrahmen des anderen Geschlechts mit ein, und auch wenn diese These bereits als 
wichtiger  Bestandteil  des  theoretischen  Fundaments  der  Geschlechterforschung 
angesehen werden kann, so besteht doch noch immer ein Mangel an wissenschaftlichen 
Arbeiten, die beide Geschlechter gleichermaßen in den Blick nehmen oder der Fülle an 
Studien  zum  Weiblichen  einen  männlichen  Fokus  entgegensetzen,  um  diesem 
Ungleichgewicht entgegenzuwirken. Studien zu Männlichkeit sind nach wie vor ,,an den 
Fingern einer Hand abzuzählen."
2
1
 vgl. Moser 2003 
2
 Meuser 1998, 11 
8 
Die  erste  Phase  einer  intensiven  sozialwissenschaftlichen  Auseinandersetzung  mit 
Geschlecht  erfolgte  unter  dem  Begriff  der  Frauenforschung.  Während  zuvor  das 
Weibliche  gar  nicht  untersucht  oder  lediglich  als  Abweichung  der  männlichen  Norm 
aufgefasst  wurde  (v.a.  in  den  Naturwissenschaften  wurde  diese  Ansicht  deutlich), 
begann  sich  die  Sozialwissenschaft,  ausgelöst  durch  die  zweite  Frauenbewegung  der 
1970er  Jahre,  mit  dem  Thema  Weiblichkeit  auseinanderzusetzen.
3
  Der  neue 
wissenschaftliche  Schwerpunkt  der  Frauenforschung  kritisierte  den  bisherigen 
androzentristischen Blick der Wissenschaft: Es wurde nicht für notwendig befunden, die 
Kategorie Geschlecht wissenschaftlich genauer zu betrachten; wer den Menschen (auf 
welche Art und  in welcher Disziplin auch  immer) erforschte, erforschte Männer. Dies 
führte,  wie  die  Frauenforschung  kritisierte,  zu  einer  kompletten  Ausblendung  von 
Frauen und Weiblichkeit in der Wissenschaft.  Das Männliche wurde so zur Norm alles 
Menschlichen,  das  Weibliche  ignoriert,  beziehungsweise,  wenn  man  sich  mit  dem 
Weiblichen  befasste,  als  Abweichung  dieser  Norm  kategorisiert.
4
  Dieses  Phänomen 
wurde  von  der  Frauenforschung  als  ,,blinder  Fleck"  der  Wissenschaft  bezeichnet;  das 
Sichtbarmachen  von  Frauen  war  ihr  anvisiertes  Ziel,  sowohl  in  der 
gegenwartsbezogenen  Forschung,  als  auch  im  Zuge  einer  wissenschaftlichen 
Aufarbeitung dieser blinden Flecke  der Vergangenheit.
5
 Man folgte dabei einer ,,Logik 
der  Ergänzung",  wie  Moser  beschreibt:  ,,Die  gesellschaftliche  Ungleichheit  der 
Geschlechter soll durch die feministische Korrektur wissenschaftlicher Beobachtungen 
tendenziell aufgehoben werden."
6
Keinesfalls  darf  aber  angenommen  werden,  dass  die  Etablierung  von  Studien  zum 
Geschlecht  ausschließlich  dem  Zweck  dienen  soll,  der  androzentristisch  geprägten 
Wissenschaft, die über Jahrhunderte hinweg das Männliche in den Vordergrund gestellt 
hat,  nachträglich  einen  Ausgleich  entgegenzustellen.  Wissenschaft  muss  über  dieses 
Stadium  des  Gleichgewicht-Herstellens  hinausgehen  und  Bezüge  zwischen  den 
Geschlechtern untersuchen.  
Aus  diesen  Überlegungen  heraus  entwickelte  sich  der  unter  dem  Begriff 
Frauenforschung 
postulierte 
Wissenschaftsstrang 
auch 
immer 
mehr 
zur 
3
 vgl. Moser 2003 
4
 vgl. ebd. 
5
 vgl. Meuser 1998 
6
 Moser 2003,227 
9 
Geschlechterforschung, die sich zum Ziel gesetzt hat, mehr die Relation  zwischen den 
Geschlechtern in den Blick zu nehmen, anstatt ausschließlich auf das wissenschaftlich 
lange  vernachlässigte weibliche Geschlecht zu  fokussieren. Betrachtet man  jedoch die 
Wissenschaftslandschaft  der  letzten  Jahrzehnte,  so  liegt  trotz  dieses  Anspruchs  der 
Geschlechterforschung  noch  immer  mehr  Gewicht  auf  der  Untersuchung  von 
Weiblichkeit.
7
Es  scheint,  als  habe  sich  das  Prinzip  des  blinden  Flecks  innerhalb 
geschlechtsspezifischer  Studien  umgekehrt:  so  sehr  die  Wissenschaft  im  Allgemeinen 
durch  ihre  androzentristische  Denkweise  das  Weibliche  aus  ihren  Untersuchungen 
ausgeschlossen  hat,  so  sehr  schließt  Geschlechterforschung  heute  das  Männliche  aus. 
Dabei  gibt  es  laut  Michael  Meuser  für  die  Sozialwissenschaft  gerade  in  der  aktuellen 
gesellschaftlichen Situation genügend Anlass dazu, nach Männlichkeit zu fragen: 
Die  durch  die  Frauenbewegung  bewirkten  Veränderungen  in  den  Strukturen  des 
Geschlechterverhältnisses erzeugen für immer mehr Männer einen Druck, ihren Ort in den 
alltäglichen Geschlechterbeziehungen neu bzw. zum ersten Male bewußt zu definieren. Wie 
generell in Umbruch- und Krisensituationen kommt es zu einer erhöhten lebensweltlichen 
Reflexivität,  als  deren  Folge  Deutungsmuster  zumindest  zeitweise  manifest  werden.  (...) 
Wir  haben  also  die  forschungsstrategisch  günstige  Situation,  daß  sich  traditionelle  und 
virtuelle neue Deutungsmuster von Männlichkeit zugleich rekonstruieren lassen.
8
Durch die zweite Frauenbewegung der 1970er Jahre hat sich die Situation von Frauen 
und  ihr  Selbstverständnis  von  Weiblichkeit  in  den  folgenden  Jahrzehnten  massiv 
verändert. Mit leichter Verzögerung bewirkte dies auch einen Druck zur Neudefinition 
von  Männlichkeit.  Nachdem  in  den  vergangenen  Jahrzehnten  die  Erforschung  des 
Weiblichen intensiv betrieben wurde, ist es nun Aufgabe der Sozialwissenschaften, die 
im Umbruch befindlichen Definitionen und Auffassungen von Männlichkeit vermehrt in 
den Blick zu nehmen. Diese Aufgabe ist nicht lediglich ,,eine wissenschaftsimmanente 
Entwicklung der Frauenforschung", sondern ,,Frauenforschung und Soziologie befassen 
sich mit dem Mann in dem Moment, in dem die Fraglosigkeit seiner sozialen Existenz 
zu schwinden beginnt."
9
7
 ebd. 
8
 Meuser 1998,12 
9
 Meuser 1998,11 
10 
2.2  Individualisierung und Identitätskonstitution 
2.2.1 - sozialer Wandel 
Der  Wandel  sozialer  Strukturen  war  seit  den  Anfängen  der  sozialwissenschaftlichen 
Forschung einer ihrer wichtigsten Eckpfeiler: wo immer gesellschaftliche Strukturen im 
Umbruch  befindlich  sind,  sind  die  Sozialwissenschaften  gefordert,  diesen  Wandel  zu 
beschreiben,  seine  Ursachen  und  Wirkungen  zu  erforschen.  Der  Begriff  des  sozialen 
Wandels  ist  von  so  allgemeiner  Natur,  dass  er  eine  Vielzahl  an  Phänomenen 
zusammenfassen  und  benennen  kann.  Eine  allgemeine  Definition  bieten  Münch  und 
Schmidt:  
Sozialer Wandel meint eine Veränderung in den  Strukturen eines Kollektivs, das heißt in 
den  Regeln  und  Regelmäßigkeiten  inklusive  der  damit  einhergehenden  Werte  und 
Einstellungen,  die  eine  Gesellschaft  kennzeichnen.  Prozesse  wie  Individualisierung, 
Differenzierung,  Rationalisierung,  Domestizierung  oder  Globalisierung  sind  langfristig 
wirksame  Dimensionen  des  sozialen  Wandels,  die  den  Zustand  moderner  Gesellschaften 
prägen  (vgl.  z.B.  van  der  Loo/van  Reijen  1992).  Diese  Entwicklungen  umfassen  in  der 
Regel  wieder  eine  Vielzahl  an  Wandlungsprozessen  auf  unterschiedlichen  Ebenen  des 
sozialen Lebens, sodass wir  je nach zeitlicher Perspektive und Analyseobjekt   auch zu 
unterschiedlichen Bewertungen des sozialen Wandels kommen können.
10
Sozialer  Wandel  ist  folglich  kein  eindeutiger  Begriff,  der  ein  bestimmtes  Phänomen 
benennt,  sondern  ein  Ausdruck  für  eine  ganze  Reihe  von  unterschiedlichen 
gesellschaftlichen Umwälzungen, die auf verschiedenen sozialen Ebenen ablaufen, und 
je  nachdem,  welchen  sozialen  Wandel  wir  untersuchen,  verschiedene  Elemente 
beinhalten kann.  
Sehr oft geht sozialer Wandel mit Modernisierung einher  ein Begriff, der ebenso wie 
ersterer  eher  ein  zusammenfassendes  Schlagwort  als  ein  eindeutiger  Begriff  ist.  Im 
Laufe  der  sozialwissenschaftlichen  Forschung  wurde  immer  wieder  der  Begriff  der 
Modernisierung verwendet, um sozialen Wandel zu beschreiben, was dazu führte, dass 
er  verschiedenste  sowohl  historische  als  auch  gegenwärtige  Phänomene  benennt:  z.B. 
den  Wandel,  der  im  18.  Jahrhundert  durch  die  Industrialisierung  ausgelöst  wurde, 
genauso  aber  auch  das  Aufholen  der  Zweiten  und  Dritten  Welt  an  die 
10
 Münch/Schmidt 2005, 201 
11 
Modernisierungsprozesse der Ersten Welt, und, historisch zuletzt, die ,,Modernisierung 
der Moderne"
11
. Diese gegenwärtige Form von sozialem Wandel ist der Ausgangspunkt 
der vorliegenden Arbeit.  
Wie  in  obigem  Zitat  von  Münch  und  Schmidt  angesprochen,  ist  auch  die 
Modernisierung der Moderne ein Komplex an Phänomenen, der auf unterschiedlichen 
Ebenen  der  Gesellschaft  wirkt  und  diese  verändert.  Dadurch  können  von 
wissenschaftlicher Seite immer wieder unterschiedliche Aspekte der Modernisierung in 
den  Vordergrund  gestellt  werden,  was  sich  auch  auf  die  Benennung  des  gesamten 
Wandlungsprozesses auswirkt  Begriffe wie Enttraditionalisierung, Individualisierung, 
Multifunktionsgesellschaft,  reflexive  Moderne  etc.
12
  sollen  den  gesamten 
Merkmalskatalog  des  sich  aktuell  vollziehenden  sozialen  Wandels  benennen,  stellen 
aber je verschiedene Ausprägungen des gesamten Phänomens in den Vordergrund.  
In dieser Arbeit soll der Begriff der Individualisierung verwendet werden. Dieser stellt 
zwar,  genauso  wie  alle  anderen  Begriffe,  eine  Verkürzung  der  oben  angesprochenen 
Phänomene dar
13
, legt den Fokus aber auf jene Aspekte von Modernisierung, die für die 
vorliegende Arbeit am meisten relevant sind: die Auswirkungen des Aufbruchs sozialer 
Strukturen  auf  die  Bildung  von  männlicher  Identität.  Um  diesen  Prozess  und  seine 
beeinflussenden  Faktoren  nachvollziehen  zu  können,  ist  es  vorab  notwendig,  die 
Begriffe Identität und soziale Rolle theoretisch voneinander zu differenzieren. 
2.2.2  Identität und soziale Rolle 
Identität ist laut Reinhardt ein Phänomen der Neuzeit  in der Antike oder im Mittelalter 
stellte  sich  die  Frage  nach  Identität  nicht,  da  diese  mit  der  Geburt  unwidersprüchlich 
vorgegeben  wurde:  die  sozialen  Rollen  waren  automatisch  zugewiesen  und  relativ 
unveränderbar.
14
  Mit  der  funktionalen  Differenzierung  von  Gesellschaft  änderte  sich 
diese  Vorgaben:  ,,Es  bilden  sich  soziale  Sonderbereiche  wie  Wirtschaft,  Politik, 
11
 vgl. Oechsle/Geissler 2004,196 
12
 vgl. Mikos 1999 
13
 vgl. Oechsle/Geissler 2004 
14
 vgl. Reinhardt 2005 
12 
Religion,  Recht,  Liebe  usw.  heraus,  die  nach  jeweils  eigener  Logik  ablaufen,  und  in 
denen  die  Individuen  nun  unterschiedliche  und  teils  widersprüchliche  Rollen 
übernehmen müssen. Das erfordert es, in je einem Funktionskontext von den Rollen der 
je anderen Funktionskontexte abzusehen bzw. zu abstrahieren."
15
Möchte  man  diese  Entwicklungen  verstehen,  so  muss  man  den  Begriff  der  sozialen 
Rolle erfassen:  
,,Wir sind nicht allein auf der Welt, und deshalb müssen wir auch einiges tun und sein, was 
uns die Kultur im Prozess der Sozialisation nahegelegt hat oder was die Gesellschaft und 
konkrete  andere  von  uns  erwarten.  Die  Soziologie  nennt  solche  Erwartungen  ,soziale 
Rollen`. (...) Da wir viele Rollen spielen, die sich zum Teil sogar widersprechen, wir ihnen 
aber  nicht  entkommen  können,  müssen  wir  die  Frage,  wer  wir  als  Handelnde  ,wirklich` 
sind,  situationsspezifisch  beantworten.  (...)  Unter  der  Perspektive  der  Beanspruchung  in 
vielen  Rollen  heißt  Identität,  durch  alle  diese  Rollen  ein  Muster  zu  erkennen,  das  Sinn 
macht  und  möglichst  nicht  im  Widerspruch  zu  unserem  aktuellen  Bild  von  uns  selbst 
steht."
16
Der  Begriff  der  sozialen  Rolle  bescheibt  also  jene  Zuschreibungen,  die  von  außen  an 
Individuen  herangetragen  werden.  Da  in  der  Neuzeit  verschiedene  soziale  Rollen  von 
ein  und  demselben  Individuum  eingenommen  und  vereint  werden  müssen,  fällt  seit 
dieser  funktionalen  Differenzierung  die  Identität  eines  Menschen  nicht  mehr 
automatisch mit einer sozialen Rolle zusammen.  
Gesellschafliche Strukturen können die an uns  herangetragenen Erwartungen, also die 
von  uns  zu  erfüllenden  sozialen  Rollen,  ausgestalten.  Sozialer  Wandel  meint  immer 
auch  eine  Veränderung  in  diesen  Strukturen..  Die  Steuerungselemente  der 
gesellschaftlichen Strukturen sind u.a. ,,Sinn gebende Institutionen"
17
, wie z.B. Kirche, 
Klassensystem,  Familie  etc.  Sie  geben  zu  einem  mehr  oder  weniger  großen  Teil  vor, 
wie  sich  das  Leben  eines  einzelnen  Menschen  gestalten  kann    sie  eröffnen 
Möglichkeiten,  beschränken  diese  aber  auch.  Dadurch  geben  diese  Institutionen  und 
Strukturen dem Individuum Orientierung, schränken sie aber auch ein.  
Der Begriff der Individualisierung beschreibt die Modernisierung der Moderne insofern 
treffend  wenn auch verkürzt  da sie geprägt ist von einem Abnehmen des Einflusses 
15
 Reinhardt 2005,36 
16
 Abels 2006, 248 
17
 Oechsle/Geissler 2004, 203 
13 
von  gesellschaftlichen  Institutionen,  und  einem  daraus  resultierenden  Zunehmen  von 
individuellen Orientierungen  innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen. So wird z.B. 
die  Gestaltung  des  Lebens  immer  weniger  von  Religion  oder  Beruf  der  Eltern 
vorgegeben.
18
  Die  gesellschaftlichen  ,,Grenzen"  sind  durchlässiger  geworden,  dem 
Individuum  kommt  mehr  Handlungsspielraum  zu    gleichzeitig  aber  auch  mehr 
Orientierungsaufwand: weil die Identität und ihre Bildung zunehmend in der Hand des 
Subjekts liegt, welches einer immer größer werdenden Fülle an Angeboten von sozialen 
Rollen  gegenübersteht.  Der  Frage  nach  Identität,  ihrer  Konstruktion  und  ihrem 
ständigen Wandel kommt unter diesen Voraussetzungen immer mehr Gewicht zu, ,,weil 
sich das Individuum aufgrund der fragmentierten Lebensbedingungen seine Identität aus 
verschiedenen  Partikeln  zusammenbasteln  kann,  in  dem  es  zwischen  mehreren 
Optionen wählen kann. (...) Zugleich müssen immer mehr widersprüchliche Aspekte in 
die  persönliche  Identität  integriert  werden."
19
,  oder,  wie  Reinhardt  beschreibt:  ,,Man 
kann und soll jetzt individueller sein als die anderen, muss seine Individualität aus sich 
heraus  erzeugen  und  dies  in  der  Kommunikation  präsentieren  und  inszenieren. 
Individuen werden damit einer unstrukturierten Reflexionslast ausgesetzt."
20
Keinesfalls  darf  der  geringer  werdende  Einfluss  von  Sinn  gebenden  Institutionen 
aufgrund des sozialen Wandels unterschätzt werden, wie es laut Oechsle und Geissler in 
der  Diskussion  darüber  bei  Zeiten  passiert    die  zunehmende  Bedeutung  von 
individuellen Entscheidungen ist aber nicht zu leugnen:  
Individualisierung  unterstellt  nicht  die  individuelle  Steuerbarkeit  des  Lebens; 
Selbstverantwortung und ,biographische Selbststeuerung` (zit. nach Geissler/Oechsle 1996) 
sind  jedoch  zentrale  Bestandteile  gesellschaftlicher  Deutungsmuster  zur  modernen 
Lebensführung  geworden.  Auch  wenn  oft  die  Wahlmöglichkeiten  zu  stark  betont  und 
strukturelle Restriktionen ausgeblendet werden, so sind diese Deutungsmuster doch höchst 
wirkungsmächtig.
21
Fasst  man diese  beiden  Aspekte zusammen, so entsteht in Identitätsbildungsprozessen 
ein Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlichen Individualisierungstendenzen und 
dem noch immer bestehenden ,,Einfluss von außen", durch gesellschaftliche Strukturen.  
18
 vgl. Oechsle/Geissler 2004 
19
 Mikos 1999, 5 
20
 Reinhardt 2005,36 
21
 Oechsle/Geissler 2004, 203 
14 
Diese  widersprüchlichen  Aspekte  äußern  sich  in  eben  jenen  verschiedenen  sozialen 
Rollen,  welche  das  Individuum  in  seiner  Identität  vereinen  muss,  denn  Identität  kann 
trotz Individualisierungstendenzen nicht allein individuell konzipiert werden  sie steht 
immer in Bezug zur sozialen Umwelt.  
Dieses  Spannungsverhältnis  kann  veranschaulicht  werden,  indem  man  Identität  einer 
weiteren Begriffsklärung unterzieht. Abels definiert Identität folgendermaßen: ,,Identität 
ist  das  Bewusstsein,  ein  unverwechselbares  Individuum  mit  einer  eigenen 
Lebensgeschichte zu sein, in seinem Handeln eine gewisse Konsequenz zu zeigen und 
in  der  Auseinandersetzung  mit  anderen  eine  Balance  zwischen  individuellen 
Ansprüchen und sozialen Erwartungen gefunden zu haben."
22
Das  hier  angesprochene  Spannungsfeld  zwischen  individuellen  Ansprüchen  und 
sozialen Erwartungen bringt die Problematik der Individualisierungstendenzen auf den 
Punkt:  die  sozialen  Erwartungen  werden  in  Form  von  verschiedenen  zu  erfüllenden 
sozialen Rollen immer komplexer.  
22
 Abels 2006, 254 
15 
2.3 - Medien 
Angesichts  dieses  Zwiespalts  zwischen  zunehmender  Autonomisierung  des 
Individuums  auf  der  einen,  und  den  dennoch  unweigerlich  wirkenden  Vorgaben  der 
sozialen Umwelt und Strukturen auf der anderen Seite, muss auch die Frage nach dem 
Wandel der sinnstiftenden Strukturen gestellt werden.  Medien bzw. Massenmedien als 
sinnstiftende Institution sind    im Vergleich zu z.B. Kirche oder Familie   ein relativ 
neues Phänomen, welches in älteren Modernisierungsprozessen, wenn überhaupt, dann 
nur 
von 
geringer 
Relevanz 
ist. 
Ihre 
Rolle 
in 
den 
gegenwärtigen 
Individualisierungstendenzen  wissenschaftlich  zu  untersuchen  stellt  somit  eine 
historisch relativ neue Herausforderung dar.  
Klassische  Konzepte  der  Identitätsbildung  gehen  davon  aus,  dass  Identität  in  sozialer 
Interaktion  bzw.  in  Bezug  auf  die  soziale  Umwelt  konstituiert  wird.  Diese  soziale 
Umwelt schließt, wie  im  vorangegangenen  Kapitel erläutert wurde, auch Institutionen 
mit  ein.  Diesem  klassischen  Konzept  der  Identitätsbildung  müssen  laut  Mikos  die 
(Massen-)medien hinzugefügt werden
23
.  
Medienrezeption  nimmt  einen  nicht  zu  unterschätzenden  Teil  in  der  Entwicklung  von  
Identität  ein:  ,,Identitätsarbeit  anhand  medialer  Texte  ist  in  einer  sich  immer  weiter 
ausdifferenzierenden  Gesellschaft  eine  Notwendigkeit,  weil  nur  noch  die  Medien 
zwischen  den  verschiedenen  Lebensbereichen  vermitteln  können."
24
  Damit  sind  die 
medial vermittelten Inhalte nicht mehr nur ein weiterer institutionalisierter Teilbereich, 
welcher  in  die  Identität  integriert  werden  muss,  sondern  ein  notwendiger.  Erst  die 
Medien  ermöglichen  es  in  der  ausdifferenzierten,  komplexen  gegenwärtigen 
Gesellschaft,  in  der  das  Subjekt  bei  der  Vereinung  verschiedener  sozialer  Rollen 
zunehmend  auf  sich  selbst  angewiesen  ist,  sich  in  der  Fülle  der  Möglichkeiten  zu 
orientieren und Identität bilden zu können.   
Reinhardt  hält  fest,  dass  man  dem  System  der  Massenmedien  insofern 
Realitätskonstruktionen  zusprechen  kann,  als  dass  diese  aus  einer  Fülle  an 
23
 vgl. Mikos 1999 
24
 Mikos 1999, 6 
16 
Möglichkeiten 
relevant 
erscheinende 
Informationen 
selektieren.
25
Dieser 
Selektionsmechanismus  macht  Medien  zu  einer  Institution,  die  zur  Orientierung  in 
Bezug  auf  Identität  beitragen.  Dass  Massenmedien  die  Wirklichkeit  nicht  abbilden, 
sondern  Informationen  selektieren  und  damit  Realität  konstruieren,  sei  dem  Publikum 
dabei durchaus bewusst, und das Publikum weiß auch, 
...dass  diese  Realitätskonstruktionen  evtl.  innerhalb  geographischer  oder  Sprach-Grenzen 
massenhaft  rezipiert  werden  und  so  als  Realitätsbasis  für  Anschlusskommunikation 
außerhalb und innerhalb des Mediensystems zur Verfügung stehen. Man weiß, dass andere 
dasselbe gesehen haben wie man selbst und dasselbe sehen werden. (...) So entstehen im 
Medienpublikum  abgestufte  Unterstellungen  kollektiver  Gedächtnisse  als  Annahmen  mit 
bestimmten Merkmalsgruppen geteilten Realitätswissens (zit. nach Reinhardt/Jäckel 2005) 
und damit kollektive Identitätsunterstellungen.
26
Reinhard verwendet hier den Begriff der Kollektivität, welcher einen weiteren  Aspekt 
von  Identität  aufwirft.  Massenmedien  können  einen  Beitrag  zur  Herstellung  von  
kollektiver  Identität  leisten:  durch  Selektion  konstruieren  sie  Realität,  welche  das 
Publikum  (kritisch)  rezipiert;  durch  das  massenmediale  Bewusstsein  der  Individuen 
wird davon ausgegangen, dass  auch andere dieselbe oder eine ähnliche  massenmedial 
vermittelte Realität erlebt haben.  
Im Sinne der Methodologie der dokumentarischen Methode, welche in Kapitel 4.2 noch 
ausführlicher  behandelt  wird,  bedeutet  dies:  die  Individuen  teilen  den  gleichen 
massenmedial  vermittelten  kollektiven  bzw.  konjunktiven  Erfahrungsraum.  Dieses 
Wissen  um  den  gemeinsamen  Erfahrungsraum  macht  einen  Austausch  zwischen  den 
Individuen  möglich,  und  dieses  Bewusstsein  macht  es  möglich,  dass  Identität  auf 
kollektiver  Ebene  gebildet  wird.  Die  Beziehung  zwischen  der  individuellen  und  der 
kollektiven  Ebene  von  Identität  wird  verständlich,  wenn  man  den  methodologischen 
Grundlagen  der  dokumentarischen  Methode  weiter  folgt.  Laut  Przyborski  ,,liegt  die 
konjunktive Bedeutung, die Einbindung in den konjunktiven Erfahrungsraum vor dem 
individuellen  Handeln."
27
  Im  persönlichen  Habitus  vereinen  sich  die  kollektiven 
Aspekte:  ,,Er  ist  die  durch  die  je  individuelle  Biographie  strukturierte  individuelle 
25
 vgl. Reinhardt 2005 
26
 Reinhardt 2005, 39 
27
 Przyborski 2004, 31 
17 
Zusammenstellung  oder  Aufschichtung  konjunktiver  Erfahrungsräume.  ,Identität`  ist 
der reflexiv verfügbare Anteil dieser individuellen Aufschichtung"
28
Verfolgt  man  diese  Definitionen,  so  muss  das  von  Reinhardt  als  kollektive  Identität 
beschriebene  Phänomen  umbenannt  werden.  Als  Beispiel  für  kollektive  Identität, 
welche  durch  das  Mitwirken  der  Massenmedien  entwickelt  wird,  nennt  Reinhardt  die 
Bildung  von  Nationalitäten.  Besonders  die  Übertragung  von  politischen  Ereignissen, 
aber auch Sportübertragungen sind konstituierende Elemente für diese Form kollektiver 
Identität:  ,,...und  nicht  zuletzt  haben  Massenmedien  so  zur  Entstehung  von 
Nationalismus  und  der  Herausbildung  nationaler  Identitäten  beigetragen  (...)  Es  lässt 
sich  mit  Fug  und  Recht  behaupten,  dass  Massenmedien  Generatoren  und  Garanten 
kollektiver Identität sind."
29
Im  Sinne  der  Methodologe  der  dokumentarischen  Methode,  die  in  der  vorliegenden 
Arbeit  zur  Anwendung  kommt,  würde  man  sagen:  Massenmedien  sind  keine 
Generatoren für kollektive Identität, sondern sie stellen einen Teil der kollektiven bzw. 
konjunktiven  Erfahrungsräume  dar,  welche  zu  einem  persönlichen  Habitus  beitragen, 
und in der Identität reflexiv werden.   
Die  Rolle  der  Massenmedien  in  der  Modernisierung  der  Moderne  ist  folglich  ebenso 
von  Komplexität  geprägt,  wie  dieser  soziale  Wandel  selbst.  Keinesfalls  lassen  sich 
Massenmedien auf  ihre sinnstiftende, Orientierung  liefernde  Rolle allein  beschränken. 
Im Gegensatz zu Mikos, der Massenmedien als notwendiges Mittel der Orientierung in 
einer  komplexer  werdenden  Welt  sieht,  betont  Reinhardt,  dass  Massenmedien  die 
Komplexität  noch  erhöhen  können,  indem  sie  Identitätsangebote  liefern,  die  dem 
Individuum ohne Medienbezug vermutlich völlig fern stünden:  
Auch  die  ,normalen`  Zuschauer  spiegeln  sich  indirekt  in  den  mehr  oder  weniger 
prominenten  ,realen`  und  fiktionalen  Personen,  die  von  der  Massenkommunikation 
thematisiert werden. Insbesondere zeigen uns diese Personendarstellungen nämlich, wie wir 
nicht sind, aber sein könnten, wenn wir anders wären. So kommt es in Folge der medialen 
Personenthematisierung  zu  einer  massiven  Erweiterung  personaler  Kontingenzhorizonte 
und 
verfügbarer 
Personensemantiken 
für 
individuelle 
Selbstbeobachtungen, 
Selbstabgrenzungen  und  korrespondierende  Identitätsunterstellungen.  Zugleich  werden 
gesellschaftliche  Identitätswerte  (vgl.  Goffman  1975,  zuerst  1963),  unter  denen  soziale 
28
 Przyborski 2004, 31 
29
 Reinhardt 2005, 40 
18 
Vorstellungen  des  idealen  Personseins  zu  verstehen  sind,  permanent  (re-)produziert  und 
modifiziert. 
30
Massenmedien  können  die  Orientierungslosigkeit,  bzw.  die  Auflösung  vorgegebener 
Identitätskonstrukte und ihre Komplexität  folglich  noch verstärken. Da Massenmedien 
derartig  vielfältig  sind  und  unterschiedlichste  Informationen  liefern,  und  auch  die 
zunehmende  Komplexität  selbst  thematisieren,  wird  das  Individuum  mit  einer  Fülle 
widersprüchlicher Informationen und Rollenangebote konfrontiert:  
Die  Medien  sind  durch  die  Vielfältigkeit  ihres  Materials,  die  Unterschiedlichkeit  ihrer 
Genres  und  den  ihrer  Eigenlogik  eingehauchten  Neuheitsfetischismus  (was  bereits 
publiziert wurde, ist nicht mehr publikationswürdig) Garanten für Ambivalenzproduktion in 
der  Kommunikation.  Damit  leisten  sie  einen  nicht  zu  unterschätzenden  Beitrag  für  die 
Förderung von Ambiguitätstoleranz, die für modernes Rollenspiel so wichtig ist. Außerdem 
legen  sie  in  ihrer  Personenthematisierung  mehr  Wert  auf  das  Herausarbeiten  von 
Individualität denn auf nahtlos ablaufendes rollentypisches Verhalten.
31
30
 Reinhardt 2005,41 
31
 Reinhardt 2005,42 
19 
2.4 - Erkenntnisinteresse 
Männlichkeit,  Identität  und  Medien  sind  die  drei  theoretischen  Grundpfeiler,  die  die 
Basis  für  das  Erkenntnisinteresse  der  vorliegenden  Untersuchung  bilden.  Das 
Ineinandergreifen dieser drei Phänomene und die daraus entstehende außergewöhnliche 
gegenwärtige Situation bilden die Struktur für das Erkenntnisinteresse.  
Alle drei Ebenen stehen zueinander in Bezug: Ausgelöst durch die Modernisierung der 
Moderne  werden  Identitätsbildungsprozesse  zunehmend  komplexer,  es  entsteht  ein 
Spannungsfeld  zwischen  zunehmender  individueller  Ausgestaltungsmöglichkeit  von 
Identität  und  dem  größer  werdenden  Identitätsangebot  der  sozialen  Umwelt.  Dieses 
Angebot  von  außen  hat  sich  im  Zuge  der  Modernisierung  der  Moderne  ebenfalls 
verändert,  indem  Massenmedien  als  sinnstiftende  Institution  eine  wichtige  Rolle 
einnehmen und durch  ihren globalen  Wirkungsbereich den  individuellen Horizont zur 
Ausgestaltung  des  Lebens  und  persönlicher  Identität  deutlich  erweitert  haben.  Der 
Wechsel der Generationen, wie  ihn Mannheim  beschreibt, unterstützt den Prozess des 
sozialen  Wandels
32
,  und  kann  Ausgangspunkt  für  sich  verändernde  kollektive 
Identitäten sein.  
Auch  die  Rezeption  von  Massenmedien  bietet  -  relativ  neue  -  Strukturen  zur 
Konstitution von Identität: der gemeinsame Erfahrungsraum wird durch Massenmedien 
erweitert und strukturell verändert, indem Medienrezeption und deren Reflexion in die 
alltägliche  Interaktion  integriert  werden.  Erst  so  können  Medien  ihre  Rolle  als 
Sinnstifter  einnehmen:  ,,Medien  entfalten  ihre  gesellschaftlichen  Wirkungen,  weil  sie 
Bestandteil  von  sozialen  Praktiken  sind,  die  erst  über  die  konkreten 
Einsatzmöglichkeiten 
und 
Auswirkungen 
bestimmen."
33
Erst 
durch 
die 
Auseinandersetzung  mit  medialen  Angeboten  in  sozialer  Interaktion  können 
Massenmedien  sozial  wirken.  Und  diese  Auseinandersetzung  fließt  wiederum  in  die 
Selektionsmechanismen  der  Massenmedien  zurück;  das  Verhältnis  zwischen 
Massenmedien und sozialem Wandel ist folglich ein wechselseitiges
34
. 
32
 vgl. Mannheim 1964 
33
 Münch/Schmidt 2005,204 
34
 vgl. Reinhardt 2005 
20 
Aus diesem Grund wäre es kurzsichtig, im Zuge wissenschaftlicher Auseinandersetzung 
mit  der  Rolle  der  Medien  in  diesem  Prozess  lediglich  danach  zu  fragen,  ob  diese  auf 
Individuen wirken und die Identitätskonstitution beeinflussen. Eine Frage nach dem Wie 
drängt sich auf: Wie haben Medien Einfluss? Aber auch: Wie gehen Individuen mit dem 
massenmedialen Angebot um, und wie konstituiert sich daraus Identität? 
Der  theoretische  Ausgangspunkt  dieser  Untersuchung  ist  also  nicht  der  Prozess  einer 
individuellen Identitätsfindung mithilfe eines medialen ,,Einflusses von außen", sondern 
die  Bildung  kollektiver  Identität  innerhalb  eines  Interaktionsnetzwerks  von  Menschen 
und Medien. Soziale Interaktion und Medien greifen ineinander. Die Einstellungen des 
Einzelnen  stehen  nicht  im  Fokus;  vielmehr  wird  gefragt,  wie  Vorstellungen  von 
Männlichkeit  kollektiv  hergestellt  werden  -  in  einer  Welt,  in  der  Medienbilder  von 
Geschlecht  allgegenwärtig  und  vielfältig  sind,  und  einen  integrativen  Bestandteil  der 
Bildung von Geschlechtsidentität darstellen.  
Die  Komplexität  von  Identitätsbildung  zeigt  sich  besonders  deutlich  in  Bezug  auf  die 
Kategorie  Geschlecht.  Zu  der  Vielfalt  an  medial  vermittelten  Identitätsentwürfen 
befindet  sich  die  Definition  von  Männlichkeit  und  das  männliche  Selbstverständnis, 
ausgelöst durch die 2. Frauenbewegung,  in einer Umbruchsituation. Die Thematik der 
kollektiven Männlichkeit  bietet  sich  im  besonderen Maße an, um das  Aufbrechen von 
traditionellen  Strukturen  und  die  daraus  resultierenden  Problemlagen  und 
Veränderungen  im  Identitätsfindungsprozess  zu  veranschaulichen  und  deutlich  zu 
machen.  
Aus  diesen  theoretischen  Überlegungen  heraus  kann  das  Erkenntnisinteresse  mittels 
zweier forschungsleitender Fragen zusammengefasst werden:   
Wie wird kollektive männliche Identität im gegenwärtigen Spannungsverhältnis 
zwischen sozialer und massenmedialer Umwelt hergestellt? 
Die  Frage  nach  der  Position  der  Massenmedien  im  Identitätsfindungsprozess  steht  im 
Mittelpunkt  des  Erkenntnisinteresses:  Welchen  Stellenwert  nehmen  massenmedial 
verbreitete  Männlichkeitsbilder  in  diesem  Prozess  ein,  und  wie  werden  diese  in  die 
21 
soziale Auseinandersetzung mit männlichem Selbstverständnis integriert? Wie wird aus 
diesen Identitätsangeboten ein kollektives Bild von Männlichkeit konstruiert? 
Um eine Beantwortung dieser Frage  möglich zu  machen,  ist es notwendig, sich  vorab 
mit männlicher Identität in einem allgemeineren Rahmen auseinanderzusetzen:  
Wie entwickelt sich gegenwärtig kollektive männliche Identität, d.h. unter den 
Vorzeichen von Individualisierung und dem Aufbrechen traditioneller 
Geschlechterverhältnisse? 
Die  zweite  forschungsleitende  Frage  ist  als  Orientierung  für  das  zentrale 
Erkenntnisinteresse  notwendig:  erst  wenn  ein  Überblick  darüber  besteht,  was 
Männlichkeit  für  die  Befragten  ausmacht,  kann  genauer  auf  die  Quellen  dieser 
Orientierungen eingegangen werden. 
Die Teilung des Erkenntnisinteresses in zwei forschungsleitende Fragen ergibt sich u.a. 
aus dem Versuch, eine für qualitative Forschungsfragestellungen typische Problematik 
zu  lösen.  Nach  Flick  kann  sowohl  eine  sehr  offene,  als  auch  zu  begrenzte 
Forschungsfrage dem methodischen Zugang abträglich sein: ,,Forschungsfragen können 
einerseits  zu  breit  gehalten  sein,  weswegen  sie  dann  kaum  eine  Orientierung  bei  der 
Planung und Umsetzung der Studie geben. Sie können aber auch zu eng gehalten sein 
und darüber am untersuchten Gegenstand vorbeizielen oder die Entdeckung des neuen 
eher blockieren als fördern."
35
Da  Forschungsfragen  nicht  nur  formuliert  werden,  um  außenstehenden  Personen  das 
Ziel einer Untersuchung klarzumachen, sondern auch als laufende Orientierung für den 
Forscher/die Forscherin selbst, hat die Teilung des Erkenntnisinteresses  vor allem den 
Zweck,  neben  der  zentralen  Frage  nach  der  Position  der  Massenmedien  die  fragile 
Situation der Geschlechterverhältnisse an sich nicht aus den Augen zu verlieren. 
Die erste Intention im Zuge der Entwicklung der forschungsleitenden Fragen war, den 
Fokus    auf  massenmedial  verbreitete  Vorbilder  zu  legen;  im  Laufe  der  theoretischen 
35
 Flick 2000, 258f 
22 
Auseinandersetzung  mit  der  Rolle  der  Massenmedien  im  Identitätsfindungsprozess 
wurde diese Überlegung aus zwei Gründen verworfen:  
Erstens  würde  eine  Frage  nach  Vorbildern  der  Position  der  Massenmedien  bei  der 
Identitätskonstitution  nicht  gerecht  werden:  es  würde  der  Eindruck  entstehen,  dass 
Massenmedien  ,,von  außen"  auf  die  Bildung  von  Identität  einwirken,  anstatt  ein 
integrativer  Bestandteil  dieses  Prozesses  zu  sein,  und  es  würde  von  vorneherein 
angenommen  werden,  dass  Massenmedien  ausschließlich  über  Darstellung  von 
konkreten Personen in die Bildung von Identität einbezogen werden.  
Zweitens  birgt  die  Frage  nach  medialen  Vorbilder  Probleme  bei  der  Erhebung  der 
Daten:  Laut  Hurth  ,,hat  jeder  Mensch  Vorbilder  nötig  und  wird  es  Vorbilder  immer 
geben"
36
, aber selten werden Vorbilder explizit als solche benannt. Eine direkte Frage 
nach Vorbildern im Gespräch mit den Teilnehmern der Gruppendiskussionen, bzw. eine 
Fokussierung des Erkenntnisinteresses auf die konkrete Beantwortung der Vorbildfrage, 
würde  somit  vermutlich  scheitern  und  die  Entfaltung  des  Relevanzsystems  der 
Erforschten beschneiden. 
36
 Hurth 2001, 22 
23 
3. - BEGRIFFLICH-THEORETISCHE EXPLIKATION 
In  diesem  Kapitel  sollen  zwei  Aspekte  des  Erkenntnisinteresses  theoretisch  expliziert 
werden, welche in dessen Erörterung noch nicht ausreichend Beachtung fanden.  
Zuerst  wird  der  Begriff  der  Generation  erörtert,  da  dies  die  zentrale  Kategorie  zur 
Einschränkung des Forschungsfeldes darstellt.  
Im Anschluss daran erfolgt die Explikation eines theoretischen Ansatzes zur Erklärung von 
geschlechtlichen Ungleichheiten: das Konzept der hegemonialen Männlichkeit. 
3.1 - Zum Generationsbegriff bei Mannheim 
In  der  Auseinandersetzung  mit  kollektiver  männlicher  Identität  in  einer  Zeit,  in  der 
traditionelle  Geschlechterverhältnisse  hinterfragt  werden,  drängt  sich  auch  eine 
Auseinandersetzung  mit  unterschiedlichen  Generationen  auf.  Der  soziale  Wandel,  das 
Hinterfragen  oder  der  Bruch  mit  Traditionen,  erfolgt  schließlich  über  mehrere 
Generationen  hinweg.  Im  folgenden  soll  der  Generationsbegriff  Karl  Mannheims 
erörtert  werden,  um  dieser  Dimension  innerhalb  der  Frage  nach  männlicher  Identität 
und  ihrem  Wandlungspotenzial  näher  zu  kommen,  denn  das  Vorhandensein  eines 
ständigen  Generationswechsels  ermöglicht  laut  Mannheim  erst,  tradierte 
Wissensbestände zu hinterfragen und zu modifizieren.
37
Karl  Mannheim  sieht  im  Konzept  der  Generation  eine  wichtige  Kategorie  der 
Sozialwissenschaft,  insbesondere  in  Phasen  starken  sozialen  Wandels:  ,,Das  Problem 
der  Generationen  ist  ein  ernst  zu  nehmendes  und  wichtiges  Problem.  (...)  Seine 
praktische  Bedeutung  wird  unmittelbar  ersichtlich,  sobald  es  sich  um  das  genauere 
Verständnis  der  beschleunigten  Umwälzungserscheinungen  der  unmittelbaren 
Gegenwart handelt."
38
37
 vgl. Mannheim 1964 
38
 Mannheim 1964, 522 
24 
Generation in seiner sozialwissenschaftlichen Bedeutung erschließt sich in Mannheims 
Konzept  über  drei  Ebenen:  die  Generationslagerung,  den  Generationszusammenhang 
und die Generationseinheit. 
3.1.1 - Generation als soziale Lagerung 
Um  dem  Begriff  der  Generation  näherzukommen,  unterscheidet  Mannheim  zwischen 
konkreten sozialen Gruppen und sogenannter ,,sozialer Lagerung"
39
. Konkrete Gruppen 
sind  Zusammenschlüsse,  die  ,,im  wesentlichen  durch  vital,  existentiell  vorausgehende 
Bindungen  der  ,Nähe`  fundiert  sind  oder  durch  bewußt  gewollte  Stiftung  des 
,Kürwillens`  zustande  kommen.  Dem  ersteren  Typus  entsprechen  alle 
Gemeinschaftsgebilde 
(Familie, 
Sippe 
usw.), 
dem 
letzteren 
die 
,Gesellschaftsgebilde`."
40
  Zwar  kann  die  Zugehörigkeit  zu  einer  Generation  die  Basis 
für  eine  konkrete  Gruppenbildung  liefern,  ist  aber  selbst  nicht  über  eine  bewusste 
Zugehörigkeit oder räumliche Nähe definierbar.  
Vielmehr  ist  sie,  genauso  wie  die  Klassenlage,  eine  ,,schicksalsmäßig  verwandte 
Lagerung bestimmter Individuen"
41
, die nicht auf bewusster Zugehörigkeit basiert: ,,In 
einer Klassenlage befindet man sich; und es ist auch sekundär, ob man davon weiß oder 
nicht, ob  man sich  ihr zurechnet oder diese Zurechenbarkeit vor sich  verhüllt."
42
 Hier 
liegt  die  Gemeinsamkeit  zwischen  Generation  und  Klasse:  es  handelt  sich  um  eine 
Lagerung,  die,  im  Gegensatz  zur  Gruppenzugehörigkeit,  nicht  bewusst  eingegangen 
oder konkret aufkündbar ist.  
Während sich die Basis der Klassenlage im ökonomischen Machtgefüge findet, ist die 
Generationslage  ,,fundiert  durch  das  Vorhandensein  des  biologischen  Rhythmus  im 
menschlichen Dasein"
43
. Die biologischen Gegebenheiten von Leben und Sterben sind 
die  Voraussetzung  für  die  Existenz  einer  Generationslage,  die  sich  auf  ihrer 
biologischen Ebene jedoch nicht erschöpft, sondern lediglich die sozialen Dimensionen 
von  Generationszugehörigkeit  ermöglicht:  ,,Gäbe  es  nicht  das  gesellschaftliche 
39
 Mannheim 1964,524 
40
 Mannheim 1964,525 
41
 ebd. 
42
 Mannheim 1964,526 
43
 Mannheim 1964, 527 
25 
Miteinander  der  Menschen,  gäbe  es  nicht  eine  bestimmt  geartete  Struktur  der 
Gesellschaft,  gäbe  es  nicht  die  auf  spezifisch  gearteten  Kontinuitäten  beruhende 
Geschichte, so entstünde nicht das auf dem Lagerungsphänomen beruhende Gebilde des 
Generationszusammenhanges,  sondern  nur  das  Geborenwerden,  das  Altern  und  das 
Sterben."
44
Erst  in  Zusammenhang  mit  sozialem  Handeln  wird  die  Generation  eine  für  die 
Sozialwissenschaft beachtenswerte Kategorie, denn sie schränkt den Orientierungsraum 
der Zugehörigen ein, und gibt diesen gleichzeitig auch vor:  
Eine jede Lagerung schaltet also primär eine große Zahl der möglichen Arten und Weisen 
des Erlebens, Denkens, Fühlens und Handelns überhaupt aus und beschränkt den Spielraum 
des  sich  Auswirkens  der  Individualität  auf  bestimmte  umgrenzte  Möglichkeiten.  (...)  Es 
inhäriert  einer  jeden  Lagerung  im  positiven  Sinne  eine  Tendenz  auf  bestimmte 
Verhaltungs- Gefühls- und Denkweisen (...) Wir wollen in diesem Sinne, von einer, einer 
jeden Lagerung inhärierenden Tendenz sprechen, die aus der Eigenart der Lagerung selbst 
bestimmbar ist.
45
3.1.2 - Generationszusammenhang 
Mannheim 
unterscheidet 
des 
weiteren 
zwischen 
der 
eben 
erläuterten 
Generationslagerung  und  dem  Konzept  des  Generationszusammenhanges.  Ersterer  ist 
bereits  durch  biologische  und  räumliche  Faktoren  gegeben    der  Begriff  der 
Generationslagerung  beschreibt  lediglich  das  gemeinsame  Potenzial,  also  die 
historischen und räumlichen Voraussetzungen für gemeinsame Erlebnisschichtungen.  
Der Generationszusammenhang geht über dieses reine Potenzial hinaus, indem er eine 
,,Partizipation an den gemeinsamen Schicksalen"
46
, die durch die Generationslagerung 
ermöglicht werden, beinhaltet. ,,Von einem Generationszusammenhang werden wir also 
nur  reden,  wenn  reale  soziale  und  geistige  Gehalte  gerade  in  jenem  Gebiete  des 
Aufgelockerten und werdenden Neuen eine reale Verbindung zwischen den in derselben 
Generationslagerung  befindlichen  Individuen  stiften."
47
  Der  Unterschied  zwischen 
44
 Mannheim 1964, 528 
45
 ebd. 
46
 Mannheim 1964, 542 
47
 Mannheim 1964, 543 
26 
Lagerung und Zusammenhang, bzw. die Spezifik des Generationszusammenhangs liegt 
also  in  der  ,,realen  Verbindung"  der  Individuen,  die  eine  gemeinsame 
Generationslagerung  teilen.  Diese  Verbindung  entsteht  über  das  tatsächliche 
gemeinsame Erfahren, denn es sind ,,gleichaltrige Individuen nur insofern durch einen 
Generationszusammenhang  verbunden,  als  sie  an  jenen  sozialen  und  geistigen 
Strömungen teilhaben, die eben den betreffenden historischen Augenblick konstituieren, 
und  insofern  sie  an  denjenigen  Wechselwirkungen  aktiv  und  passiv  beteiligt  sind,  die 
die neue Situation formen."
48
3.1.3 - Generationseinheiten 
Dass  Menschen  einen  gemeinsamen  Generationszusammenhang  teilen,  d.h.  dieselben 
Schicksale teilen, bedeutet noch nicht, dass sie auf diese gemeinsamen Erlebnisse auch 
in  selber  Weise  reagieren.  Ihr  gemeinsamer  Erfahrungsraum  kann  in  verschiedenen  
,,Formen  der  geistigen  und  sozialen  Auseinandersetzung  mit  demselben,  sie  alle 
betreffenden  historisch-aktuellen  Schicksal"  in  Erscheinung  treten.  Diese 
unterschiedlichen 
Formen 
der 
Auseinandersetzung 
nennt 
Mannheim 
Generationseinheiten:  Personen,  die  im  selben  Generationszusammenhang  leben, 
können  sich  zu  verschiedenen  Generationseinheiten  ausgestalten,  die  aber  stets  das 
gemeinsame,  historisch-räumliche  Schicksal  teilen.  Mannheim  veranschaulicht  am 
Beispiel  der  Jugendgeneration  um  1800,  dass  sich  das  geteilte  Erleben  derselben 
historischen Ereignisse in zu einer Polarisierung zwischen romantisch-konservativ und 
liberal-rationalistisch  orientierter  Jugend  ausformte,  und  schließt  daraus: 
,,Generationseinheit  ist  also  eine  viel  konkretere  Verbundenheit  als  die,  die  der  bloße 
Generationszusammenhang  stiftet.  Dieselbe  Jugend,  die  an  derselben  historisch-
aktuellen  Problematik  orientiert  ist,  lebt  in  einem  ,,Generationszusammenhang", 
diejenigen  Gruppen,  die  innerhalb  desselben  Generationszusammenhanges  in  jeweils 
verschiedener  Weise  diese  Erlebnisse  verarbeiten,  bilden  jeweils  verschiedene 
,,Generationseinheiten" im Rahmen desselben Generationszusammenhanges."
49
48
 Mannheim 1964, 543 
49
 Mannheim 1964, 544 
27 
Für die vorliegende Untersuchung spielt das Konzept der Generation in erster Linie für 
die  Einschränkung  des  Forschungsfeldes  eine  bedeutende  Rolle.  Das  Erfassen  einer   
alltagssprachlichen    Generation  kann  durch  Mannheims  Generationskonzept  mehr 
theoretische  Trennschärfe  erlangen.  Anhand  der  drei  Gliederungsebenen  wird 
verdeutlicht,  wie  ein  und  dieselbe  Generationslagerung  nicht  automatisch  auch 
dieselben Erfahrungen und Reaktionen auf diese teilen (siehe dazu Kapitel 4.1).  
28 
3.2 - Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit  
Innerhalb der Vielfalt an sozialwissenschaftlichen Ansätzen, welche ein Spektrum vom 
sozialen bis hin zum biologischen Determinismus umfassen, um Geschlecht theoretisch 
zu erklären, stellt das Konzept der hegemonialen Männlichkeit von Robert W. Connell 
einen  Ansatz  dar,  welcher  meines  Erachtens  der  Komplexität  der  sozialen 
Geschlechterrealität  am  nächsten  zu  kommen  vermag.  Seiner  Konzeption  gelingt 
insofern die Quadratur des Kreises, als dass der Ansatz ,,sowohl den Determinismus des 
Patriarchatskonzepts  vermeidet  als  auch  Dominanzverhältnisse  unter  Männern 
systematisch  berücksichtigt"
50
.  Damit  gelingt  es  dem  Konzept  der  hegemonialen 
Männlichkeit, den Mängeln anderer theoretischer Ansätze zu entfliehen. 
3.2.1 - sozialer vs. biologischer Determinismus 
Connell  beschreibt  Ansätze  aus  verschiedenen  wissenschaftlichen  Disziplinen  und 
Denkrichtungen, welche versucht haben, Männlichkeit systematisch zu erfassen. Dabei 
ist stets der Gegensatz zwischen biologischen und sozialen Erklärungsansätzen deutlich. 
Neuere  Modelle  versuchen  zwar,  diese  Gegensätze  zu  verbinden,  wie  z.B.  die 
Geschlechtsrollentheorie,  welche  ,,ein  soziales  Skript  einer  biologischen  Dichotomie 
hinzufügt."
51
  Allerdings  weisen  auch  diese  Versuche  Schwachstellen  auf:  ,,Wenn  der 
biologische Determinismus genauso falsch ist wie der  soziale Determinismus, dann ist 
es unwahrscheinlich, daß eine Kombination aus beidem richtig sein könnte."
52
Connell  veranschaulicht  dies  am  Einfluss  des  sozialen  Prozesses  auf  vermeintlich 
biologisch determinierten Merkmalen von Geschlecht: 
 Der  soziale  Prozeß  kann  in  der  Tat  körperliche  Unterschiede  ausarbeiten  (ein  wattierter 
Büstenhalter, ein Penisfutteral, der Hosenbeutel). Der soziale Prozeß kann festlegen, daß es 
nur  ein  soziales  Geschlecht  gibt  (,,unisex"  Mode,  geschlechtsneutrale  Arbeit),  oder  zwei 
(Hollywood), oder drei (viele nordamerikanische Indianerkulturen), oder vier (europäische 
Städtische  Kultur,  als  man  nach  dem  18.  Jahrhundert  damit  begann,  Homosexuelle 
auszulesen), oder ein ganzes Spektrum an Fragmenten, Variationen und Übergängen.
53
50
 Meuser 1998,97 
51
 Connell 1999, 72 
52
 ebd. 
53
 ebd. 
29 
Der  Ansatz,  dass  die  Ebene  des  Sozialen  lediglich  unterstützend  für  eine  biologisch 
determinierte 
Zweigeschlechtlichkeit 
fungiert, 
bzw. 
dieser 
eine 
weitere 
Ausprägungsebene  hinzufügt,  muss  also  mangelhaft  bleiben.  Das  soziale  Geschlecht 
(gender) kann Vorstellungen vom biologischen Geschlecht (sex) zwar unterstützen, aber 
auch - jenseits der geläufigen Vorstellung von Dichotomie - modifizieren.  
Nichtsdestotrotz spielt auch der Körper eine eigene, wichtige Rolle in der Erklärung von 
Geschlecht,  welche  nicht  in  sozialem  Determinismus  aufgehen  darf:  ,,Der  Körper  ist 
auch  in  seiner  reinen  Körperlichkeit  von  großer  Bedeutung.  Er  altert,  wird  krank, 
genießt,  zeugt  und  gebärt.  Es  gibt  eine  nicht  reduzierbare  körperliche  Dimension  in 
Erfahrung und Praxis"
54
.  
3.2.2. - körperreflexive Praxis 
Ein Zugang, der Körperlichkeit und Sozialität theoretisch gewinnbringend in Einklang 
bringen  soll,  findet  sich  im  Konzept  der  körperreflexiven  Praxis,  welches  den  Körper 
und soziale Prozesse als zueinander in Bezug stehend versteht: ,,Durch körperreflexive 
Praxen werden Körper in den sozialen Prozeß mit einbezogen und zu einem Bestandteil 
von  Geschichte,  ohne  damit  aber  aufzuhören,  Körper  zu  sein."
55
  Man  kann  soziales 
Handeln  laut  Connell  nicht  losgelöst  davon  sehen,  was  der  Körper  ermöglicht  oder 
begrenzt: er kann Optionen bieten, diese aber gleichzeitig auch einschränken. 
Diese  Praxen,  welche  eben  auch  durch  Körperlichkeit  geprägt  sind,    hinterlassen 
wiederum ihre Spuren in sozialen Strukturen, in der Welt, in der wir leben. Durch den 
Prozess der körperreflexiven Praxis spielt also auch der Körper wieder eine Rolle in den 
gesellschaftlich  geläufigen  Strukturen,  und  kann  daher  in  einem  theoretischen 
Geschlechterkonzept nicht negiert werden: ,,Die Praxen, die Männlichkeit konstruieren, 
sind  in  diesem  Sinne  ontoformativ.  Als  körperreflexive  Praxen  konstituieren  sie  eine 
Welt  mit  einer  körperlichen  Dimension,  die  aber  nicht  biologisch  determiniert  ist."
56
Daraus  entsteht  ein  zirkuläres  Wirken  zwischen  körperreflexiver  Praxis  und 
54
 Connell 1999,71 
55
 Connell 1999, 84 
56
 Connell 1999, 85 
30 
gesellschaftlichen  Strukturen:  Die  Praxis  konstituiert  die  Struktur,  und  die  Struktur 
konstituiert die Praxis
57
.  
3.2.3 - hegemoniale Männlichkeit 
Aus  dieser  Basis  heraus  entwickelt  Connell  das  Konzept  der  hegemonialen 
Männlichkeit. Der Begriff der Hegemonie beschreibt die Vorherrschaft einer Form von 
Männlichkeit,  sowohl  gegenüber  Frauen,  als  auch  gegenüber  anderen  Formen  von 
Männlichkeit.  Mit  hegemonialer  Maskulinität  ,,ist  eine  Konfiguration  von 
Geschlechtspraktiken  gemeint,  welche  insgesamt  die  dominante  Position  des  Mannes 
im Geschlechterverhältnis garantiert." Sie ist ,,keine feste Charaktereigenschaft, sondern 
kulturelles  Ideal,  Orientierungsmuster,  das  dem  doing  gender  der  meisten  Männer 
zugrunde  liegt"
58
,  oder,  wie  Connell  es  selbst  ausdrückt:  ,,Hegemoniale  Männlichkeit 
kann  man  als  jene  Konfiguration  geschlechtsbezogener  Praxis  definieren,  welche  die 
momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert 
und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder 
gewährleisten soll)."
59
Die  Hegemonie  wird  laut  Connell  über  drei  Ebenen  aufrecht  erhalten: 
Machtbeziehungen,  Produktionsbeziehungen,  und  emotionale  Bindungsstruktur 
(Kathexis). Sie garantieren die Vorherrschaft der gültigen hegemonialen Männlichkeit. 
Als  einen  Mangel  dieser  Konzeption  erkennt  Meuser,  dass  Machtbeziehungen 
eigentlich  auf  einer  übergeordneten  Ebene  wirken,  während  Produktionsbeziehungen 
und  emotionale  Bindungen  diese  umsetzen:  ,,Connell  berücksichtigt  das  auf 
konzeptioneller  Ebene  nicht;  seine  Theorie  der  Männlichkeit  basiert  jedoch  auf  der 
Kategorie der Macht. Männliche Suprematie äußert  sich sowohl  in den Strukturen der 
Produktion als auch in den kulturellen Mustern der emotionalen Anziehung."
60
57
Der theoretische Hintergrund zu dieser Konzeption von Handeln und Struktur ist sowohl bei Bourdieu          
als auch in Giddens` Konzept der Dualität und Struktur zu finden, vgl. Meuser 1998 
58
 Meuser 1998, 98 
59
 Connell 1999, 98 
60
 Meuser 1998,98 
31 
3.2.4 - Unterordnung, Komplizenschaft und Marginalisierung 
Es  geht  bei  hegemonialer  Männlichkeit  also  prinzipiell  um  Macht;  diese  wird  im 
Connell'schen Konzept nicht nur von der hegemonialen Männlichkeit selbst gesichert, 
sondern auch durch Unterordnung, Komplizenschaft und Marginalisierung. 
Als  Beispiel  für  Unterordnung  nennt  Connell  das  Verhältnis  zwischen  Hetero-  und 
homosexuellen Männern. Die Unterordnung homosexueller Männer erfolgt sowohl über 
strukturelle, als auch über körperliche Gewaltausübung, was sie ,,an das unterste Ende 
der Geschlechtshierarchie" rücken lässt. ,,Alles, was die patriarchale Ideologie aus der 
hegemonialen  Männlichkeit  ausschließt,  wird  dem  Schwulsein  zugeordnet;  das  reicht 
von einem anspruchsvollen innenarchitektonischen Geschmack bis zu lustvoll-passiver 
analer Sexualität."
61
Die  Komplizenschaft  mit der  hegemonialen Männlichkeit eröffnet die  Möglichkeit, an 
den Vorzügen einer weiblichen Unterdrückung teilzuhaben, auch wenn man selbst den 
normativen  Ansprüchen  der  Hegemonie  nicht  entspricht  bzw.  entsprechen  kann.  ,,Als 
komplizenhaft verstehen wir in diesem Sinne Männlichkeiten, die zwar die patriarchale 
Dividende  bekommen, sich aber nicht den Spannungen und Risiken an der vordersten 
Frontlinie des Patriarchats aussetzen."
62
Der  Vorgang  der  Marginalisierung  spielt  besonders  dann  eine  Rolle,  wenn 
Männlichkeiten  ,,sich  dem  hegemonialen  Muster  explizit  entziehen  oder  (...)  dagegen 
opponieren."
63
 Dies kann dann der Fall  sein,  wenn es zu Machtkonflikten entlang der 
Grenzen  von  Ethnizität  oder  Schichten  kommt.  Durch  Marginalisierung  kann  ein 
Vertreter einer untergeordneten Männlichkeit als Vorbild für hegemoniale Maskulinität 
in Frage kommen, ohne dass er dadurch aber Machpositionen für jene Gruppe erlangt, 
die  er  vertritt.  Dies  veranschaulicht  Connell  am  Beispiel  von  afroamerikanischen 
Sportlern. Aufgrund der Marginalisierungsmechanismen ,,können in den USA schwarze 
Sportler  durchaus  Vorbilder  für  hegemoniale  Männlichkeit  abgeben.  Aber  der  Ruhm 
61
 Connell 1999,99 
62
 Connell 1999,100 
63
 Meuser 1998,101 
32 
und Reichtum einzelner Stars strahlt nicht auf die anderen Schwarzen aus und verleiht 
den schwarzen Männern nicht generell ein größeres Maß an Autorität."
64
Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit ist meines Erachtens vor allem deswegen 
ein  geeigneter  theoretischer  Ansatzpunkt  für  die  Untersuchung  eines  männlichen 
Selbstverständnisses,  weil  es  vielfältige  Definitionen  von  Männlichkeit  zulässt. 
Demgegenüber wirken andere Konzepte, wie z.B. das Patriarchatskonzept zu einseitig, 
da  sie  bereits  vorwegnehmen,  dass  sich  jeder  Mann  auf  der  dominanten  Seite  eines 
hierarchisch strukturierten Geschlechterverhältnisses befindet. Der Ansatz von Connell 
hingegen räumt die Möglichkeit ein, sich als Mann auch außerhalb dieser Hegemonie zu 
positionieren,  und  bietet  somit  die  Grundlage  dafür,  dass  ein  Wandel  im 
Geschlechterverhältnis  überhaupt  erklärt  werden  kann.  Trotz  der  Eröffnung  dieser 
Möglichkeiten  wird  über  dieses  Konzept  erklärt,  wie  das  geschlechtliche 
Machtverhältnis  aufgrund  von Marginalisierung und  Komplizenschaft auch dann  noch 
beständig  bleiben  kann,  wenn  man  sich  als  Mann  weder  der  Hegemonie,  noch  einer 
unterdrückten Kategorie zuschreibt. 
64
 Connell 1999,102 
33 
4 - ZUR METHODE 
Bisher  wurde,  ausgehend  von  theoretischen  Vorüberlegungen,  die  Entwicklung  des 
Erkenntnisinteresses  hin  zur  Formulierung  konkreter  Forschungsfragen  beschrieben,  um 
anschließend  einige  relevante  Begriffe  theoretisch  zu  fassen.  In  diesem  Kapitel  wird  nun 
erörtert,  warum  das  Gruppendiskussionsverfahren  mit  anschließender  Auswertung  mittels 
Dokumentarischer Methode den idealen Zugang zur Beantwortung der forschungsleitenden 
Fragen eröffnet.  
Zu  Beginn  wird  der  methodologische  Hintergrund  von  Gruppendiskussionsverfahren  und 
dokumentarischer Methode,  das Konzept der ,,kollektiven Orientierungen", erläutert. 
Im  Anschluss  daran  wird  erklärt,  über  welche  methodischen  Vorgehensweisen  man  diese 
kollektiven Orientierungen der Untersuchung zugänglich machen kann.  
Das  Gruppendiskussionsverfahren  als  Erhebungsinstrument  und  die  dokumentarische 
Methode  der  Interpretation  in  seiner  heutigen  methodologischen  Fundierung  und 
praktischen Anwendung entwickelte sich prozesshaft über Jahrzehnte hinweg. Es wurde 
erst  durch  seine  ständige  Weiterentwicklung  von  verschiedenen  theoretischen  und 
empirischen Seiten als geeignetes Instrument erkannt, um kollektive Einstellungen und 
Orientierungen  zu  untersuchen.
65
  Besonderes  Augenmerk  ist  auf  methodologische 
Differenzierung  zwischen  den  verschiedenen  Varianten  der  Gruppenerhebung  zu 
richten: nicht jede Befragung, die in Gruppenform und mit mehr oder weniger offenen 
Fragestellungen  operiert,  ist  automatisch  dem  qualitativen,  bzw.  konkreter,  dem 
rekonstruktiven  Paradigma  zuzuordnen    genauso  wenig,  wie  jede  Erhebung  über 
Einzelgespräche ein und derselben Methode entspricht. Wird die Beziehung zwischen 
Forschungsgegenstand,  Erkenntnisinteresse  und  Methode  ungenügend  reflektiert, 
ergeben sich im gesamten Untersuchungsablauf Probleme: ,,Viele methodische Ansätze, 
und  schließlich  auch  ihre  empirische  Anwendung,  geraten  in  Schwierigkeiten,  da  sie 
den  Gegenstand,  der  mit  dem  Verfahren  erhoben  werden  soll,  methodologisch  nicht 
fassen oder ihn zu stark individuell konzipieren."
66
65
 vgl. Bohnsack 2008; Przyborksi 2004; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008  
66
 Przyborski 2004, 32 
34 
Bohnsack  schlägt  eine  begriffliche  Differenzierung  vor,  die  das  hier  angewandte 
Gruppendiskussionsverfahren  von  anderen  Formen  der  Gruppenbefragung  begrifflich 
deutlich trennen soll:  
Im Unterschied zu derartigen ,Gruppeninterviews' [gemeint sind jene in der Tradition der 
Markforschung, Anm.] kann man von Gruppendiskussionsverfahren nur dort sprechen, wo 
die methodologische Bedeutung von Interaktions-, Diskurs-, und Gruppenprozessen für die 
Konstitution  von  Meinungen,  Orientierungs-  und  Bedeutungsmustern  in  einem  zugrunde 
liegenden  theoretischen  Modell,  d.h.  in  metatheoretischen  Kategorien  mit 
theoriegeschichtlicher  Tradition  verankert  sind.  Dies  gilt  für  alle  qualitativen  Methoden, 
d.h. für solche Verfahren, die den Namen ,Methode' überhaupt verdienen.
67
Das  Ausfindigmachen der  Kollektivität, deren Existenz  im  Zuge der Entwicklung des 
Gruppendiskussionsverfahrens  nachgewiesen  wurde,  erfolgt  über  die  dokumentarische 
Methode  der  Interpretation.  In  Verbindung  mit  der  dokumentarischen  Methode  als 
Auswertungsinstrument  wird  das  Gruppendiskussionsverfahren  dem  Anspruch, 
Kollektivität untersuchbar zu machen, gerecht.  
Die  dokumentarische  Methode  wurde,  in  Anschluss  an  die  bisherigen  Entwicklungen 
des  Gruppendiskussionsverfahrens  und  in  den  1980er-Jahren  von  Ralf  Bohnsack  und 
Werner Mangold zu einem Analyseinstrument weiterentwickelt, das diesen Zugang zu 
den  von  ihn  benannten  kollektiven  Orientierungen  erlaubt.  Als  maßgeblicher  Einfluss 
dieser  Entwicklung 
fungiert  auf  theoretischer  Ebene 
Karl 
Mannheims 
Wissenssoziologe,  und  auf  analytischer  Ebene,  welche  das  Erkennen  und 
Herausarbeiten  von  kollektiven  Orientierungen  erst  ermöglicht,  die  Entwicklung  von 
Textinterpretationsmethoden.
68
  Dadurch,  dass  diese  Analysemethoden  immer  weiter 
verfeinert  wurden,  ist  es  erst  ermöglicht,  die  kollektiven  Orientierungen  sichtbar  zu 
machen:   
Für  die  Analyse  von  Gruppendiskussionen  bedeutet  dies,  dass  erst  eine  genaue 
Rekonstruktion sowohl der Diskursorganisation (der Form der  interaktiven Bezugnahmen 
aufeinander) als auch der Dramaturgie des Diskurses es uns ermöglicht, jenes die subjektiv, 
intentionalen 
Sinngehalte 
der 
Einzeläußerungen 
transzendierende 
kollektive 
Bedeutungsmuster zu identifizieren. (...) Erst die neueren Verfahren der Textinterpretation 
vermögen  dem  dadurch  Rechnung  zu  tragen,  dass  auf  der  Grundlage  einer  genauen 
67
 Bohnsack 2008,105 
68
 vgl. Przyborski 2004; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008 
35 
Rekonstruktion  sequentieller  Abläufe  von  Interaktionen,  Erzählungen  und  Diskursen  eine 
Struktur sichtbar wird. 
69
Um  das  Spezifikum  der  in  Gruppenprozessen  zugrunde  liegenden  kollektiven 
Bedeutungsgehalte  zu  erläutern,  soll  im  Folgenden  die  Entwicklungsgeschichte  des 
Gruppendiskussionsverfahrens  grob  skizziert  werden.  Gerade  die  prozesshafte 
Auseinandersetzung 
mit 
den 
verschiedenen 
Anwendungsbereichen 
von 
Gruppenbefragungen  und  daraus  resultierenden  Möglichkeiten  zum  Erkenntnisgewinn 
vermag  das  spezifische  Potential  des  Gruppendiskussionsverfahrens  und  den 
Unterschied  zwischen  der  Analyse  einer  Summe  von  Einzelmeinungen  und  jener  von 
kollektiven Einstellungen besonders gut zu veranschaulichen.  
69
 Bohnsack 2008, 110 
36 
4.1 - Die Entwicklung des Gruppendiskussionsverfahrens 
4.1.1  Marktforschung 
Das  Gruppendiskussionsverfahren  wie  es  heute  angewendet  wird  hat  seine   
methodisch  noch  weit  entfernten  -  Ursprünge  in  der  Marktforschung.  Die  in  dieser 
Tradition  geführten  Befragungen  in  Gruppenform  folgen  vorwiegend  ökonomischen 
Zwecken: ein Gespräch mit mehreren Personen gleichzeitig zu führen soll aufwändigere 
Einzelinterviews ersetzen. Ziel ist es lediglich, Meinungen und Einstellungen einzelner 
Personen in ressourcensparender Weise abzufragen.
70
 Dementsprechend wenig wird bei 
der  Analyse  der  Daten  auf  den  kollektiven  Charakter  der  Gruppe  eingegangen  -  die 
Auswertung dieser Gespräche erfolgt weiterhin in Hinblick auf die Individualaussagen 
der GesprächsteilnehmerInnen: ,,Das Gespräch untereinander, die Interaktion ist also in 
keiner Dimension Gegenstand der Analyse und daher auch nicht der Erhebung."
71
 Der 
Möglichkeit  der  Untersuchung  von  Kollektivität  wird  in  dieser  Form  des 
Gruppengesprächs  nicht  Rechnung  getragen,  und  die  Analyse  stützt  sich  auf 
,,Meinungen  und  Aussagen,  wie  sie  während  der  Diskussion    mehr  oder  weniger   
wörtlich genannt werden."
72
4.1.2  Frankfurter Schule  
In den 1950er Jahren erfolgte eine Weiterentwicklung des Gruppengesprächs durch das 
Frankfurter Institut für Sozialforschung. Die Intention der Frankfurter Schule war eine 
kritische  Auseinandersetzung  mit  der  Gruppenbefragung,  wie  sie  von  der 
Marktforschung angewendet wurde. Thematisch verfolgte man das Interesse, politische 
Meinungsbildungsprozesse nachvollziehbar zu  machen.  Zu diesem  Zwecke  versuchte 
man, durch Gruppendiskussionen den Prozess der Meinungsbildung im sozialen Alltag 
möglichst  realistisch  nachzustellen  und  eine  laborähnliche  Befragungssituation  zu 
70
 Vgl. Przyborski 2004, Bohnsack 2008 
71
 Przyborski/Wohlrab-Saar 2008,102 
72
 ebd. 
37 
vermeiden. Man ging davon aus, dass sich politische Einstellungen erst dann entwickeln 
können, wenn individuelle Einstellungen in Interaktion mit anderen artikuliert werden.
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Obwohl diese Arbeiten in ihrer theoretischen Basis bereits auf Kollektivität fokussieren, 
und  die  Frankfurter  Schule  explizit  von  der  Vorstellung  rein  individueller  und  von 
jeglicher Interaktion abgetrennter Meinungsbildungsprozesse Abstand hält, konzentriert 
man  sich  bei  der  Analyse  der  Daten  wieder  auf  das  Individuum:  ,,Hier  kam  die 
Psychoanalyse, die ihren Ausgang bei individuellen psychischen Dynamiken nimmt, als 
zentrales theoretisches Konzept ins Spiel: die Redebeiträge wurden wieder voneinander 
getrennt und in ihrem Bezug zu den Einzelindividuen, deren Abwehrmechanismen und 
Rationalisierungen analysiert."
74
Der  Widerspruch  zwischen  erkenntnistheoretischer  sowie  methodologischer 
Kollektivitätsannahme  und  der  dennoch  auf  individueller  Ebene  angesiedelten 
Auswertung bildet laut Bohnsack die Schwäche dieses Ansatzes der Frankfurter Schule. 
Man  orientierte  sich  weiterhin  ,,an  den  Individuen    als  Untersuchungseinheiten  und 
schließlich insgesamt weiterhin am Modell der Umfrage."
75
4.1.3  Cultural Studies 
Ähnliche Kritik übte man auch an jenen Beiträgen, die von der Tradition der  Cultural 
Studies  zur  methodologischen  Entwicklung  der  Gruppendiskussion  beigesteuert 
wurden.  Das  Center  of  Contemporary  Cultural  Studies  in  Birmingham  nutzte 
Gruppendiskussionen vor allem, um Mediennutzungsverhalten und Rezeptionsanalysen 
durchzuführen.  Die  Studien  lassen  eine  ,,systematische,  theoretische  Bearbeitung  von 
Kollektivität und deren Implikationen für die Erhebungssituation"
76
, also eine fundierte 
methodologische Reflexion ihrer Vorgehensweise missen.  
Dennoch schaffen  sie wichtige Grundlagen  für die weitere Entwicklung einer solchen 
methodologischen  Fundierung,  indem  die  Interaktionsprozesse  zwischen  den 
GesprächsteilnehmerInnen  gegenüber  Individualaussagen  und  verhalten  in  den 
Vordergrund  der  Analyse  gerückt  werden.  Außerdem  versteht  man  die 
73
 Vgl. Bohnsack 2008 
74
 Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008, 103 
75
 Bohnsack 2008, 106 
76
 Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008, 103 
Details
- Seiten
 - Erscheinungsform
 - Originalausgabe
 - Erscheinungsjahr
 - 2009
 - ISBN (eBook)
 - 9783836643290
 - Dateigröße
 - 1.5 MB
 - Sprache
 - Deutsch
 - Institution / Hochschule
 - Universität Wien – Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften, Publizistik und Kommunikationswissenschaft
 - Erscheinungsdatum
 - 2014 (April)
 - Note
 - 2
 - Schlagworte
 - männlichkeit geschlecht medien identität generation
 - Produktsicherheit
 - Diplom.de