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Versprecher - ein Thema im Deutschunterricht

©2008 Bachelorarbeit 45 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die menschliche Sprache ist ein äußerst komplexes und faszinierendes Phänomen zugleich. Sprachwissenschaftler sind immer wieder über die Genialität und die Komplexität der Vorgänge, die bei der Produktion von Sprache ablaufen, erstaunt. Einblicke darüber, wie Sprachproduktion funktionieren könnte, verschaffen ihnen dabei vor allem die VERSPRECHER. Im Alltag verbreiten sie häufig allgemeine Heiterkeit. Vor allem Fernseh- und Radiomoderatoren sowie Politiker scheinen besonders anfällig für Versprecher zu sein. Dies mag damit zusammenhängen, dass Versprecher gehäuft auftreten, wenn jemand ununterbrochen spricht bzw. eine Redesituation besonders lebhaft ist. So informierte der HR-Radiosprecher Peter Lemke seine Hörer einst über eine neue ‘Schlachtregelung für Kinder’ anstatt für Rinder (http://www.radiopannen.de/). Auch CDU-Politiker Edmund Stoiber scheint mit den Versprechern auf Kriegsfuß zu stehen. Ihm machte die Phrase lodernde Glut zu schaffen. So meinte er in einer seiner Reden:
‘Es muss zu schaffen sein, meine Damen und Herren, wenn ich die CDU ansehe, die Repräsentanten dieser Partei an der Spitze, in den Ländern, in den Kommunen, dann bedarf es nur noch eines kleinen Sprühens sozusagen in die gludernde Lot, in die gludernde Flut, dass wir das schaffen können und deswegen in die lodernde Flut, wenn ich das sagen darf, und deswegen, meine Damen und Herren…’ (http://www.eule2003.de/gbereich/Nonsens/NN49/sz-stoiber.htm).
So unterhaltsam Versprecher auch sein mögen, in der Sprachwissenschaft nehmen sie eine weitaus größere Bedeutung, als lediglich den Unterhaltungsfaktor, ein. Sie sind nämlich ‘[the] ‚windows‘ into linguistic mental processes’, wie VICTORIA A. FROMKIN es bereits formulierte. Es sind tatsächlich Versprecher, die Aufschluss darüber geben, welche Prozesse in unserem Gehirn ablaufen könnten, bis ein Gedanke zu einem ausformulierten Satz wird. Obgleich Versprecher schon so lange existieren wie es Sprache gibt, ist die Forschung in diesem Bereich noch relativ jung. Als Begründer gilt der Sprachforscher RUDOLF MERINGER (1859-1932), der sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstmals, zusammen mit dem Psychiater und Nervenpathologen KARL MAYER (1862-1936), mit Versprechern auseinandersetzte. Gemeinsam veröffentlichten sie eine Sammlung zum Thema ‘Versprechen und Verlesen’ (1895). Seitdem wird auf diesem Gebiet, mit Ausnahme einiger Unterbrechungen, stetig geforscht.
Obwohl Versprecher mittlerweile ein anerkanntes […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Jana Mormer
Versprecher - ein Thema im Deutschunterricht
ISBN: 978-3-8366-4297-2
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Universität Potsdam, Potsdam, Deutschland, Bachelorarbeit, 2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

I
NHALTSVERZEICHNIS
1
Vorwort ... 3
2
Theoretisch-begriffliche Grundlagen ... 5
2.1
Definition und begriffliche Einordnung ... 5
2.2
Zur Klassifizierung von Versprechern ... 7
2.2.1
Die Theorie Meringers ... 7
2.2.2
Erweiterung der Theorie Meringers ... 9
2.3
Versprecher ­ das Fenster zur menschlichen Sprachplanung ... 10
2.4
Exkurs: Freud'sche Versprecher ... 14
3
Versprecher als Unterrichtsgegenstand... 16
3.1
Zur aktuellen Situation ... 16
3.1.1
Zur Materiallage ... 16
3.1.2
Schwierigkeiten bei der Integration des Themas in den
Deutschunterricht ... 20
3.2
Begründung der Themenwahl und didaktische Analyse ... 22
3.3
Methodisch-didaktische Vorschläge zur Durchführung ... 24
3.3.1
Aus Fehlern lernen: Versprecher als Fenster zum menschlichen
Sprachplanungsprozess... 25
3.3.2
Gedanken, Gefühle, Emotionen: Wodurch werden Versprecher
beeinflusst? ... 26
3.3.3
Versprecher, Sprachspiel, Fehler ... 27
4
Resümee ... 29
Literatur ... 31
Anhang ... i

V
ORWORT
3
,,V
IELLEICHT GIBT ES NICHTS VERGLEICHBAR
A
TEMBERAUBENDES
WIE DIE MENSCHLICHE
S
PRACHE
"
*R
UDOLF
M
ERINGER
*
1
Vorwort
Die menschliche Sprache ist ein äußerst komplexes und faszinierendes
Phänomen zugleich. Sprachwissenschaftler sind immer wieder über die Genialität und
die Komplexität der Vorgänge, die bei der Produktion von Sprache ablaufen, erstaunt.
Einblicke darüber, wie Sprachproduktion funktionieren könnte, verschaffen ihnen
dabei vor allem die V
ERSPRECHER
. Im Alltag verbreiten sie häufig allgemeine Heiterkeit.
Vor allem Fernseh- und Radiomoderatoren sowie Politiker scheinen besonders anfällig
für Versprecher zu sein. Dies mag damit zusammenhängen, dass Versprecher gehäuft
auftreten, wenn jemand ununterbrochen spricht bzw. eine Redesituation besonders
lebhaft ist (vgl. Leuninger 1996, 105). So informierte der HR-Radiosprecher, Peter
Lemke, seine Hörer einst über eine neue ,,Schlachtregelung für Kinder" anstatt für
Rinder (http://www.radiopannen.de/). Auch CDU-Politiker Edmund Stoiber scheint mit
den Versprechern auf Kriegsfuß zu stehen. Ihm machte die Phrase lodernde Glut zu
schaffen. So meinte er in einer seiner Reden:
,,Es muss zu schaffen sein, meine Damen und Herren, wenn ich die CDU ansehe,
die Repräsentanten dieser Partei an der Spitze, in den Ländern, in den
Kommunen, dann bedarf es nur noch eines kleinen Sprühens sozusagen in die
gludernde Lot, in die gludernde Flut, dass wir das schaffen können und
deswegen...in die lodernde Flut, wenn ich das sagen darf, und deswegen, meine
Damen und Herren..."
(
http://www.eule2003.de/gbereich/Nonsens/NN49/sz-
stoiber.htm)
So unterhaltsam Versprecher auch sein mögen, in der Sprachwissenschaft
nehmen sie eine weitaus größere Bedeutung, als lediglich den Unterhaltungsfaktor,
ein. Sie sind nämlich ,,[the] ,windows` into linguistic mental processes" (Fromkin 1973,
44),
wie V
ICTORIA
A.
F
ROMKIN
es bereits formulierte. Es sind tatsächlich Versprecher, die
Aufschluss darüber geben, welche Prozesse in unserem Gehirn ablaufen könnten, bis
ein Gedanke zu einem ausformulierten Satz wird. Obgleich Versprecher schon so lange
existieren wie es Sprache gibt, ist die Forschung in diesem Bereich noch relativ jung.
Als
Begründer
gilt
der
Sprachforscher
R
UDOLF
M
ERINGER
(1859-1932)

V
ORWORT
4
(vgl. Poulisse 1999, 5), der sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstmals, zusammen
mit dem Psychiater und Nervenpathologen K
ARL
M
AYER
(1862-1936), mit Versprechern
auseinandersetzte. Gemeinsam veröffentlichten sie eine Sammlung zum Thema
,,Versprechen und Verlesen" (1895). Seitdem wird auf diesem Gebiet, mit Ausnahme
einiger Unterbrechungen, stetig geforscht.
Obwohl Versprecher mittlerweile ein anerkanntes Forschungsgebiet der
Sprachwissenschaft sind, wurden sie in der Didaktik und somit im Deutschunterricht
bisher kaum berücksichtigt. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Sie reichen von einem
nicht erkannten Potential dieser Thematik über ein fehlendes Materialangebot bis hin
zum Zeitmangel. Dennoch bin ich der Meinung, dass Versprecher durchaus für den
Einsatz im Unterricht geeignet sind. Dementsprechend bietet das Thema die
Möglichkeit, das Sprachbewusstsein der Schüler zu fördern, indem es ihnen z.B.
Einsichten in den menschlichen Sprachplanungsprozess bietet.
Die didaktische Auseinandersetzung mit Versprechern wird den Schwerpunkt
dieser Arbeit bilden. Nachdem im ersten Teil der Arbeit zunächst theoretische
Grundlagen aus sprachwissenschaftlicher Sicht gelegt werden, wird sich zweite Teil mit
der didaktischen Analyse des Themenkomplexes beschäftigen. Neben einer
Untersuchung der aktuellen Situation von Versprechern im Deutschunterricht, soll das
didaktische Potenzial des Gegenstandes herausgearbeitet sowie Hilfen zu
Einsatzmöglichkeiten von Versprechern im Unterricht gegeben werden.

T
HEORETISCH
-
BEGRIFFLICHE
G
RUNDLAGEN
5
2
Theoretisch-begriffliche Grundlagen
2.1
Definition und begriffliche Einordnung
Zu Beginn der Ausführungen soll zunächst der Terminus Versprecher definiert
werden. Der Ursprung des Begriffs liegt in dem althochdeutschen Wort farsprehan,
welches zwei unterschiedliche Bedeutungen implizierte, die bis heute erhalten
geblieben sind. Einerseits kann es bedeuten: ,,jemanden etwas zusagen", ,,sich
verpflichten etwas zu tun"; andererseits ,,aus Versehen etwas Falsches sagen"
(vgl. Leuninger 1998, 67). In dieser Arbeit ist ausschließlich letztere Bedeutung von
Interesse. Diese definiert H
ADUMOD
B
USSMANN
wie folgt:
,,[Versprecher sind u]nbeabsichtigte, d.h. unwillkürliche Fehler beim Sprechen
[...] deren linguistische Untersuchungen, besonders seit R
UDOLF
M
ERINGER
[...]
Aufschluss über physiologische, psychische, mentale und kognitive Vorgänge bei
der Sprachproduktion liefern sowie den Nachweis psychischer Realität
linguistischer Einheiten und Prozesse [...] erbringen sollen. V. sind
sprachsystembedingte,
natürliche
(nicht-pathologische),
individuelle
Abweichungen von beabsichtigten Äußerungen und können alle Spracheinheiten
(u.a. Grammatikregeln, Wort, Laut, Sprechgeste), bemerkt oder unbemerkt [...]
betreffen." (Bußmann 2002, 763)
Anhand dieser Definition lassen sich die vier wichtigsten Charakteristika von
Versprechern herausarbeiten.
1.
Versprecher entstehen völlig spontan und ungewollt: Dies ist ein zentrales
Merkmal und wird auch von der Linguistin H
ELEN
L
EUNINGER
besonders betont
(vgl. Leuninger 1998, 80).
2.
Versprecher sind sprachsystembedingte Abweichungen: Das bedeutet, dass
auch Versprecher regelgeleitet und nicht etwa auf pathologische oder
psychologische Ursachen zurückzuführen sind.
3.
Versprecher bilden die Grundlage der Sprachproduktionsforschung: Bußmann
macht deutlich, dass Versprecher Einblicke in die Prozesse der menschlichen
Sprachproduktion geben.

T
HEORETISCH
-
BEGRIFFLICHE
G
RUNDLAGEN
6
4.
Versprecher können alle sprachlichen Einheiten betreffen: Sowohl die
Phonologie und Morphologie als auch die Syntax und Semantik können von
Versprechern betroffen sein.
Mithilfe dieser Charakteristika ist es möglich, Versprecher von sprachlichen
Fehlern und Sprachspielen abzugrenzen. Eine Gemeinsamkeit aller drei Phänomene
besteht darin, dass sie Normabweichungen der Zielsprache sind. Zugleich
unterscheiden sie sich aber in anderen Gesichtspunkten grundlegend, wodurch eine
Differenzierung der Begriffe möglich wird und erforderlich ist.
Sowohl Versprecher als auch tatsächliche sprachliche Fehler treten völlig
unbeabsichtigt und unmotiviert auf. Während es bei Versprechern jedoch
kennzeichnend ist, dass der Sprecher im Grunde die adäquate sprachliche Form kennt,
verfügt der Sprecher, dem ein wirklicher Fehler unterläuft, über dieses Wissen nicht.
Folgendes Beispiel dient der Erklärung:
Beispiel: ethische Witze für ethnische Witze
Von einem Versprecher würde man sprechen, wenn der Sprecher die
unterschiedlichen Bedeutungen beider Wörter kennen würde, diese aber
unbeabsichtigt, aufgrund der Formähnlichkeit der Wörter, vertauscht hat. Ein
sprachlicher Fehler läge vor, wenn der Sprecher sich der unterschiedlichen
Bedeutungen nicht bewusst wäre (das Wort ethnische vielleicht nicht einmal kennt),
aber der Meinung ist, mit der Wahl des Wortes ethische das richtige Wort im richtigen
Kontext verwendet zu haben. Somit wäre der Fehler auf die Unwissenheit des
Sprechers zurückzuführen.
Zur Abgrenzung von Versprechern gegenüber Sprachspielen dient die Definition
zu Sprachspielen, die E
BERHARD
K
REUTZNER
gibt.
,,[Sprachspiele sind] Spiele mit dem gesamten überkommenden Sprachmaterial,
die sich den normativen Idealen inhaltlicher Eindeutigkeit und formaler
Fixiertheit durch Mehrdeutigkeit und Abwandlung entziehen, vornehmlich um
komische und suggestive Wirkungen zu erzeugen." (Kreutzner in
Janich 2001, 146)
Anhand dieser Definition bestimmt N
INA
J
ANICH
zwei charakteristische Merkmale
für Sprachspiele. Zum einen sind sie eine ,,[s]pielerische Abweichung von der
sprachlichen Norm" (Janich 2001, 46 f.), zum anderen werden sie absichtlich

T
HEORETISCH
-
BEGRIFFLICHE
G
RUNDLAGEN
7
eingesetzt, um eine komische bzw. witzige Wirkung zu erzielen (vgl. Janich 2001, 47).
Somit ist der grundlegende Unterschied zwischen Versprechern und Sprachspielen,
dass Sprachspiele im Gegensatz zu Versprechern bewusst eingesetzt werden und
zudem noch ein bestimmtes Ziel verfolgen.
2.2
Zur Klassifizierung von Versprechern
2.2.1
Die Theorie Meringers
Genau wie der Mensch nach Regeln spricht, verspricht er sich auch nach Regeln
(vgl. Achilles/Pighin 2008, 150). Zu dieser Erkenntnis kam als Erstes der Sprachforscher
Rudolf Meringer, der bei der Analyse seines Versprecherkorpus` feststellte, dass
Versprecher nach bestimmten Versprechermustern ablaufen. Demzufolge unterteilte
er Versprecher in fünf Kategorien (Vertauschungen, Antizipationen/Vorklänge,
Postpositionen/Nachklänge, Kontaminationen und Substitutionen), die im Folgenden
erläutert werden.
1.
V
ERTAUSCHUNGEN
:
Wie das Wort Vertauschungen schon impliziert, wechseln bei
dieser Art von Versprechern zwei sprachliche Einheiten in einer Äußerung ihre
Positionen (vgl. Leuninger 1998, 71).
Beispiel: alle meine Löcher haben Socken für alle meine Socken haben Löcher
1
In diesem Beispiel hat eine Vertauschung der Wörter Socken und Löcher
stattgefunden. Ebenso kann es vorkommen, dass lediglich Silben bzw. Laute von
der Vertauschung betroffen sind, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen.
Beispiele: mir knittern die Zie für mir zittern die Knie
Beispiel:
Fahrradabraumstell für Fahrradabstellraum
1
Alle in dieser Arbeit angeführten Versprecher stammen aus einer eigenen Versprechersammlung
(siehe Anhang, S. viii) und werden im Folgenden nicht mehr gesondert gekennzeichnet.

T
HEORETISCH
-
BEGRIFFLICHE
G
RUNDLAGEN
8
2.
A
NTIZIPATIONEN BZW
.
V
ORKLÄNGE
: Unter
Antizipation
versteht
man
die
Vorwegnahme eines ,,[...] später in der Äußerung vorkommende[n], [...] schon
geplante[n], Elements" (Leuninger 1998, 111).
Beispiel: aber nicht, wenn du die Bland blau streichst für aber nicht, wenn du die
Wand blau streichst
3.
P
OSTPOSITIONEN BZW
.
N
ACHKLÄNGE
:
Das Spiegelbild zu den Vorklängen bilden die
sogenannten Nachklänge (vgl. Leuninger 1996, 112). Im Gegensatz zu den
Antizipationen werden bei den Nachklängen bereits geäußerte sprachliche
Einheiten, die noch unmittelbar präsent sind, erneut aufgegriffen und ein zweites
Mal verwendet (vgl. Leuninger 1998, 73). Im folgenden Beispiel sind Laute von der
Postposition betroffen.
Beispiel: Glitzerketzen für Glitzerketten
4.
K
ONTAMINATIONEN BZW
.
V
ERSCHMELZUNGEN
:
Bei
diesem
Versprechertyp
verschmelzen zwei sprachliche Einheiten, die die Intention des Sprechers
gleichermaßen ausdrücken könnten zu einer (vgl. Leuninger 1996, 116). Darunter
versteht man, dass mehrere Sätze bzw. Wörter zu einer Äußerung synthetisiert
werden, wobei die zu verschmelzenden Wörter bzw. Sätze gewisse Ähnlichkeiten
in der Form oder Bedeutung aufweisen müssen. Dies wird durch das nachfolgende
Beispiel verdeutlicht.
Beispiel: ich vermette, dass es schön wird für ich vermute bzw. wette, dass es
schön wird
Die Wörter vermuten und wetten weisen Ähnlichkeiten in ihrer Bedeutung
insofern auf, als dass sie beide eine Mutmaßung des Sprechers ausdrücken.
5.
S
UBSTITUTIONEN BZW
.
E
RSETZUNGEN
:
Die letzte Kategorie bilden bei Meringer die
Substitutionen. In diesem Fall verwendet der Sprecher aufgrund der form- bzw.
bedeutungsbedingten Ähnlichkeit von Wörtern ein anderes Wort als das
ursprünglich geplante (vgl. Leuninger 1998, 75). Im anschließenden Beispiel liegt
dem Versprecher die Formähnlichkeit der Wörter zu Grunde.

T
HEORETISCH
-
BEGRIFFLICHE
G
RUNDLAGEN
9
Beispiel: wegen der Fernbedienung für wegen der Fernbeziehung
Mit seinen Analysen wollte Meringer herausfinden, ,,welche psychologischen
Mechanismen zu sprachlichen Fehlgriffen führen, welche sprachlichen Einheiten von
diesen Mechanismen erfaßt werden können und welche psychologisch-linguistische
Struktur die Versprecher haben." (Leuninger 1998, 71) Ausgehend von den
Erkenntnissen Meringers, versucht die heutige Sprachforschung vor allem den
Sprachplanungsprozess
anhand
von
Versprechern
nachzuvollziehen
(vgl. Glück 2000, 778).
Auf die Funktionsweise des Sprachplanungsprozesses wird in einem späteren
Abschnitt gesondert eingegangen. Vorerst soll jedoch geklärt werden, inwiefern
neuere Erkenntnisse die Theorie Meringers erweitert haben.
2.2.2
Erweiterung der Theorie Meringers
Die
Sprachforscherin
Helen Leuninger, die in dieser Arbeit bereits zitiert wurde,
beschäftigt sich aktuell mit der Erforschung von Versprechern. Sie orientiert sich in
ihren Untersuchungen zwar an den Grundlagen Meringers, doch gleichzeitig führt sie
diese weiter aus. In diesem Abschnitt sollen die wichtigsten Elemente
herausgearbeitet werden, die Theorien von Leuninger und Meringer voneinander
unterscheiden.
Die Erweiterung der Theorie Meringers besteht zunächst einmal darin, dass
Leuninger dessen Klassifizierung erweitert. Zusätzlich zu den von Meringer benannten
Versprechermustern nennt sie S
TRANDGUTIRRTÜMER
,
T
ILGUNGEN
,
H
INZUFÜGUNGEN
,
I
NFEKTIONEN
und
V
IREN
.
Von Strandgutirrtümern bzw. vom Stranden spricht Leuninger,
wenn
Wortstämme vertauscht werden und die zu diesem Zeitpunkt der Sprachplanung
bereits festgelegten grammatikalischen Endungen an ihrem Platz zurück bleiben, also
dort ,,stranden" (vgl. Leuninger 1996, 114).
Beispiel: die stärkt sich auch schminker für die schminkt sich auch stärker

T
HEORETISCH
-
BEGRIFFLICHE
G
RUNDLAGEN
10
In diesem Beispiel werden die Stämme stark und schmink miteinander
vertauscht. Die grammatikalische Komperativendung -er sowie das -t in stärkt bleiben
dabei allerdings zurück.
Bei Tilgungen bzw. Hinzufügungen werden einzelne Laute eines Wortes
ausgelassen bzw. hinzugefügt. Und unter Infektionen bzw. Viren versteht Leuninger
Äußerungen, in denen mehr als ein Versprecher auftreten (Leuninger 1996, 119).
2
Eine weitere Erneuerung zu der Theorie Meringers ist Leuningers Spezifizierung
im Bereich der Vertauschungen. Während für Meringer alle Vertauschungen vom
selben Typ sind, stellt Leuninger fest, dass es nur oberflächlich betrachtet so scheint,
als liefen Wortvertauschungen und Lautvertauschungen nach demselben Muster ab
(vgl. Leuninger 1998, 86). Daher unterscheidet Leuninger im Gegensatz zu Meringer
zwischen Wortvertauschungen, Lautvertauschungen und der Vertauschung von
Wortstämmen, welche sie, wie bereits erwähnt, als Strandgutirrtümer bzw. Stranden
bezeichnet (vgl. Leuninger 1998, 85 ff.). Beim Vergleich von Wortvertauschungen mit
Strandgutirrtümern und Lautvertauschungen hat Leuninger festgestellt, dass sie zu
unterschiedlichen Zeitpunkten der Sprachplanung ablaufen müssen und nicht, wie
Meringer glaubte, zum selben Zeitpunkt. Leuningers Begründung dafür kann im
folgenden Kapitel ,,Versprecher ­ das Fenster zur menschlichen Sprachplanung"
nachvollzogen werden.
2.3
Versprecher ­ das Fenster zur menschlichen Sprachplanung
Wie bereits erwähnt, hat die Versprecherforschung einen entschiedenen Beitrag
zur Entwicklung von Sprachproduktionsmodellen geleistet (vgl. Poulisse 1999, 8). Dies
ist möglich, da die Fehlerlinguistik annimmt, dass
,,[...] die Störung eines Prozesses generell denselben regelhaften Mechanismen
unterliegt, die den ungestörten Ablauf determinieren. Bei den Versprechern
zeigen sich selektive Störungen (die einzelnen Subkomponenten zuzuordnen
sind), während der übrige Prozessor weiterarbeitet." (Schwarz 1992, 179)
2
Für weitere Ausführungen dazu vgl. Leuninger 1996, 114-120.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836642972
Dateigröße
3.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Potsdam – Germanistik
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
sprachwissenschaft didaktik unterrichtsplanung rudolf meringer freud`sche versprecher
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Titel: Versprecher - ein Thema im Deutschunterricht
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