Fremdsprachenerwerb im höheren Alter
Eine empirische Studie über Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse beim Lernen einer Fremdsprache ab dem 50. Lebensjahr
©2009
Bachelorarbeit
100 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Einleitung:
Monolingualismus, Bilingualismus, Multilingualismus heute ist der Wandel weg von der Einsprachigkeit hin zu einer multilingualen Gesellschaft stärker denn je. Angesichts der wachsenden Internationalisierung und wachsender Anforderungen durch die Europäische Union nimmt das Lernen einer Fremdsprache einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft ein. In den meisten Ländern der Welt herrscht Mehrsprachigkeit, daher sollte diese als Normalzustand betrachtet werden. In Deutschland hingegen hat sich die Mehrsprachigkeit noch nicht so ausgeprägt wie beispielsweise in Skandinavien, wo selbst das Fernsehprogramm größtenteils in englischer Sprache gesendet wird. Obwohl Deutschland ein Einwanderungsland ist und dadurch die Vielfalt der Sprachen zunimmt, gibt es viele Kulturen, die in ihrem eigenen Staat leben und somit nicht zur Mehrsprachigkeit beitragen.
Deutsche Kinder erfahren Mehrsprachigkeit hauptsächlich im Schulunterricht. Was geschieht jedoch mit den Erwachsenen, die sich als Geisel dieses Wandels sehen und zu Schulzeiten keine Möglichkeit hatten, Fremdsprachen zu lernen? Welche Möglichkeiten bieten sich denjenigen, die ihre damals erworbenen Fremdsprachenkenntnisse auffrischen möchten? Aufgrund der Arbeitsmarktsituation, in der Sprachkenntnisse als berufliche Zusatzqualifikation erforderlich sind, der zunehmenden Globalisierung und Internationalisierung, der wachsenden Verwendung von Anglizismen in den Medien und des Anstiegs an internationaler Kommunikation wenden sie sich an Volkshochschulen, private Sprachschulen oder analoge Institutionen, in denen Fremdsprachen angeboten werden, bzw. eignen sich Fremdsprachen durch Selbststudium an. Lag der Anteil an Fremdsprachen 1970 noch bei 28 Prozent in den Volkshochschulen, so sind es seit 2007 mehr als 41 Prozent deutschlandweit. Um den Bedarf an Fremdsprachenkursen zu decken, wurde die Anzahl der durchgeführten Sprachkurse und Unterrichtsstunden seit den 70er Jahren stetig erhöht. Waren es 1962 nur etwa 15.000 Sprachkurse mit über 300.000 Belegungen, sind es nunmehr seit 2007 mehr als 175.000 Sprachkurse mit über 6 Millionen Unterrichtsstunden und 1,8 Millionen Belegungen deutschlandweit. Dieser Trend zeigt, dass die Fremdsprachen der quantitativ wichtigste Bereich der Volkshochschulen sind und der Bedarf an Sprachkursen stetig wächst. Die Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Neugriechisch haben jedoch Anteile verloren, wohingegen Spanisch Anteile gewonnen hat. […]
Monolingualismus, Bilingualismus, Multilingualismus heute ist der Wandel weg von der Einsprachigkeit hin zu einer multilingualen Gesellschaft stärker denn je. Angesichts der wachsenden Internationalisierung und wachsender Anforderungen durch die Europäische Union nimmt das Lernen einer Fremdsprache einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft ein. In den meisten Ländern der Welt herrscht Mehrsprachigkeit, daher sollte diese als Normalzustand betrachtet werden. In Deutschland hingegen hat sich die Mehrsprachigkeit noch nicht so ausgeprägt wie beispielsweise in Skandinavien, wo selbst das Fernsehprogramm größtenteils in englischer Sprache gesendet wird. Obwohl Deutschland ein Einwanderungsland ist und dadurch die Vielfalt der Sprachen zunimmt, gibt es viele Kulturen, die in ihrem eigenen Staat leben und somit nicht zur Mehrsprachigkeit beitragen.
Deutsche Kinder erfahren Mehrsprachigkeit hauptsächlich im Schulunterricht. Was geschieht jedoch mit den Erwachsenen, die sich als Geisel dieses Wandels sehen und zu Schulzeiten keine Möglichkeit hatten, Fremdsprachen zu lernen? Welche Möglichkeiten bieten sich denjenigen, die ihre damals erworbenen Fremdsprachenkenntnisse auffrischen möchten? Aufgrund der Arbeitsmarktsituation, in der Sprachkenntnisse als berufliche Zusatzqualifikation erforderlich sind, der zunehmenden Globalisierung und Internationalisierung, der wachsenden Verwendung von Anglizismen in den Medien und des Anstiegs an internationaler Kommunikation wenden sie sich an Volkshochschulen, private Sprachschulen oder analoge Institutionen, in denen Fremdsprachen angeboten werden, bzw. eignen sich Fremdsprachen durch Selbststudium an. Lag der Anteil an Fremdsprachen 1970 noch bei 28 Prozent in den Volkshochschulen, so sind es seit 2007 mehr als 41 Prozent deutschlandweit. Um den Bedarf an Fremdsprachenkursen zu decken, wurde die Anzahl der durchgeführten Sprachkurse und Unterrichtsstunden seit den 70er Jahren stetig erhöht. Waren es 1962 nur etwa 15.000 Sprachkurse mit über 300.000 Belegungen, sind es nunmehr seit 2007 mehr als 175.000 Sprachkurse mit über 6 Millionen Unterrichtsstunden und 1,8 Millionen Belegungen deutschlandweit. Dieser Trend zeigt, dass die Fremdsprachen der quantitativ wichtigste Bereich der Volkshochschulen sind und der Bedarf an Sprachkursen stetig wächst. Die Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Neugriechisch haben jedoch Anteile verloren, wohingegen Spanisch Anteile gewonnen hat. […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Marko Thiele
Fremdsprachenerwerb im höheren Alter
Eine empirische Studie über Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse beim Lernen
einer Fremdsprache ab dem 50. Lebensjahr
ISBN: 978-3-8366-4289-7
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Hochschule Magdeburg-Stendal (FH), Magdeburg, Deutschland, Bachelorarbeit,
2009
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010
II
Inhaltsverzeichnis
Vorwort und Danksagung... IV
Abkürzungsverzeichnis ... VI
Abbildungsverzeichnis... VII
Tabellenverzeichnis... VIII
1. Einleitung... 1
2. Ziel- und Aufgabenstellung der Arbeit ... 4
3. Begriffsdefinitionen... 5
4. Sprachlernvoraussetzungen... 6
4.1 Biologische Voraussetzungen... 6
4.1.1 Erstsprache...6
4.1.2 Fremdsprache ...9
4.2 Lebensalter ... 10
4.3 Sprachliche Unterschiede ... 13
5. Kognitive Prozesse... 15
5.1 Wahrnehmung ... 15
5.1.1 Informationsspeicherung ...16
5.1.2 Sprachverstehen...18
5.1.3 Sprachproduktion...19
5.2 Sprachverarbeitung ... 21
6. Sprachlernstrategien ... 25
7. Sozialpsychologische Faktoren ... 27
7.1 Affektive Faktoren... 27
7.2 Motivation ... 29
8. Erwerbstheorien ... 33
8.1 Erstsprache... 33
8.2 Fremdsprache... 34
9. Lerntheorien ... 36
10. Empirische Erhebung ... 38
10.1 Einleitung ... 38
10.2 Beschreibung der Untersuchung ... 39
III
10.3 Merkmale der Stichprobe der einzelnen Designs ... 40
10.4 Empirische Ergebnisse der Untersuchung... 41
10.4.1 Demografische Daten ...41
10.4.2 Gründe und Ziele beim Spracherwerb ...45
10.4.3 Einfluss von Vorkenntnissen und Lerngewohnheiten...49
10.4.4 Überforderung und Unterforderung durch Textaufgaben...51
10.4.5 Lehrmaterialien und Lernmöglichkeiten ...53
10.4.6 Festigung von Kenntnissen und Zielerreichung ...59
10.4.7 Zeitaufwand ...64
11. Resümee ... 68
Anhang... IX
Anhang 1: Fragebogentyp D1 Englisch ... X
Anhang 2: Fragebogentyp D1 Französisch... XIII
Anhang 3: Fragebogentyp D1 Spanisch ...XVI
Anhang 4: Fragebogentyp D2 Englisch allgemein ...XIX
Anhang 5: Fragebogentyp D3 Englisch Einstiegskurs ...XXII
Literaturverzeichnis ... XXV
Quellenverzeichnis ... XXVI
IV
Vorwort und Danksagung
Fremdsprachen wurden mir schon in die Wiege gelegt. Als ich noch ein kleiner
Junge war, habe ich mich schon sehr für andere Sprachen interessiert. Zu jener
Zeit war meine deutschsprachige Tante oft zu Besuch, die in England lebte,
wodurch ich bereits Kontakt zur englischen Sprache hatte. Durch den
aufkommenden internationalen Tourismus nach der Wende konnte sie meine
Familie auch mit ihrer englischsprachigen Tochter besuchen, die in Australien lebt.
Da ich damals erst in der vierten Klasse war und somit noch keinen
Englischunterricht hatte, versuchte ich, mich mit Mimiken und Gestiken bzw.
,,aufgeschnappten" Wörtern auszudrücken. Aufgrund dieser Situation wollte ich
natürlich endlich Englisch lernen. Ich war hoch motiviert und bekam folglich immer
gute Noten im Englischunterricht. Nun war auch das Interesse an weiteren
Fremdsprachen, wie z. B. Französisch und Latein, in mir geweckt, die ich dann auf
dem Gymnasium erlernte. Wären dort noch zusätzliche Fremdsprachen
angeboten worden, hätte ich sicherlich noch weitere gelernt.
Ein anderer Aspekt, der mich mit Fremdsprachen verbindet, liegt in meiner
internationalen Familie. Wie bereits erwähnt, hatte ich eine Tante in England, die
jetzt in Australien lebt. Des Weiteren habe ich eine Tante und Cousins/Cousinen
aus Japan, die zweisprachig aufgewachsen sind. Mein Bruder wohnt mit seiner
Familie seit bereits mehr als zehn Jahren in den USA und seine eineinhalb- und
vierjährigen Töchter wachsen mehrsprachig auf (Deutsch, Englisch, Spanisch).
Durch diese ,,familiäre" Internationalität habe ich sehr großes Interesse daran,
andere Sprachen, Kulturen und Menschen kennenzulernen.
Aufgrund meiner erworbenen Fremdsprachen habe ich vor einigen Jahren
Schülern der Sekundarstufe I und II sechs Jahre lang Nachhilfe in Deutsch,
Englisch, Französisch und Latein gegeben. Anschließend bot ich auch
Erwachsenen Nachhilfe in Englisch an. Zudem besuchen meine Eltern seit dem
letzten Jahr Englischkurse an der Volkshochschule Magdeburg. Da sie mit sehr
unterschiedlichen Voraussetzungen an den Kursen teilnehmen, habe ich mich
V
dazu entschlossen, den Erwerb von Fremdsprachen im höheren Alter genauer zu
untersuchen. Dieses Thema ist nicht nur für mich sehr interessant, sondern auch
für Fremdsprachenlehrer im Erwachsenenbereich, wie es zum Beispiel an
Volkshochschulen der Fall ist. Bisher sind didaktische Methoden und kognitive
Prozesse im Erwachsenenalter noch nicht ausreichend genug erforscht. Daher
soll diese Bachelorarbeit dazu beitragen, Leistungen beim Lernen von
Fremdsprachen im Erwachsenenalter zu verbessern.
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei meinem Erstbetreuer Herrn
Prof. Dr. Carlos Melches bedanken, der mir dieses Thema ermöglicht hat.
Besonderer Dank gilt auch Frau Neßler und meiner Zweitbetreuerin Frau Braun
von der Volkshochschule Magdeburg, die mich beim Ausfüllen meiner Fragebögen
sehr unterstützt haben. Weiterhin möchte ich mich bei meiner Familie sowie
Freunden bedanken, die bereit waren, an der empirischen Studie teilzunehmen
und somit durch ihre Erfahrungen zu meiner Arbeit beigetragen haben.
VI
Abkürzungsverzeichnis
L1
Erstsprache
L2
Zweitsprache
FS
Fremdsprache
AS
Ausgangssprache
ZS
Zielsprache
VHS
Volkshochschule
MD
Magdeburg
LH
linke Hemisphäre
RH
rechte Hemisphäre
LAD
Sprachlernfähigkeit/Spracherwerbsmechanismus
D1
Design
1
D2
Design
2
D3
Design
3
KT
Kursteilnehmer
VII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Sprachkurse an den Volkshochschulen... 2
Abbildung 2: Das menschliche Gehirn ... 8
Abbildung 3: Speichermodell... 16
Abbildung 4: Modell der Sprachverarbeitung... 18
VIII
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Fragebogentyp ... 39
Tabelle 2: Altersgliederung von Belegungen an der VHS MD im WS 07/08 ... 42
Tabelle 3: Geschlecht... 43
Tabelle 4: Alter/Geschlecht ... 45
Tabelle 5: Grund Interesse... 46
Tabelle 6: Grund Weiterbildung... 46
Tabelle 7: Häufigkeit Ziele ... 47
Tabelle 8: Vorkenntnisse/Schwierigkeiten zu folgen ... 50
Tabelle 9: Fragebogentyp/Sprache erlernen ... 51
Tabelle 10: Schwierigkeiten zu folgen/Überforderung durch Textaufgaben ... 51
Tabelle 11: Sprache erlernen/Unterforderung durch Textaufgaben ... 52
Tabelle 12: Lehrmaterialien/Verständlichkeit D1 & D2 ... 56
Tabelle 13: Lehrmaterialien/hilfreich... 57
Tabelle 14: Alter/Verständlichkeit ... 58
Tabelle 15: Kenntnisse nach Kurs/erneuter Kursbesuch... 59
Tabelle 16: Zielerreichung/erneuter Kursbesuch... 61
Tabelle 17: Teilnahme/Kenntnisse nach Kurs ... 63
Tabelle 18: Sprache erlernen/Zeitaufwand... 64
Tabelle 19: Fragebogentyp/erste FS ... 65
Tabelle 20: Erste FS/Sprache erlernen ... 66
1
1. Einleitung
Monolingualismus, Bilingualismus, Multilingualismus heute ist der Wandel weg
von der Einsprachigkeit hin zu einer multilingualen Gesellschaft stärker denn je.
Angesichts der wachsenden Internationalisierung und wachsender Anforderungen
durch die Europäische Union nimmt das Lernen einer Fremdsprache einen hohen
Stellenwert in der Gesellschaft ein. In den meisten Ländern der Welt herrscht
Mehrsprachigkeit, daher sollte diese als Normalzustand betrachtet werden. In
Deutschland hingegen hat sich die Mehrsprachigkeit noch nicht so ausgeprägt wie
beispielsweise in Skandinavien, wo selbst das Fernsehprogramm größtenteils in
englischer Sprache gesendet wird. Obwohl Deutschland ein Einwanderungsland
ist und dadurch die Vielfalt der Sprachen zunimmt, gibt es viele Kulturen, die in
ihrem eigenen ,,Staat" leben und somit nicht zur Mehrsprachigkeit beitragen.
Deutsche Kinder erfahren Mehrsprachigkeit hauptsächlich im Schulunterricht. Was
geschieht jedoch mit den Erwachsenen, die sich als Geisel dieses Wandels sehen
und zu Schulzeiten keine Möglichkeit hatten, Fremdsprachen zu lernen? Welche
Möglichkeiten bieten sich denjenigen, die ihre damals erworbenen
Fremdsprachenkenntnisse auffrischen möchten? Aufgrund der Arbeitsmarkt-
situation, in der Sprachkenntnisse als berufliche Zusatzqualifikation erforderlich
sind, der zunehmenden Globalisierung und Internationalisierung, der wachsenden
Verwendung von Anglizismen in den Medien und des Anstiegs an internationaler
Kommunikation wenden sie sich an Volkshochschulen, private Sprachschulen
oder analoge Institutionen, in denen Fremdsprachen angeboten werden, bzw.
eignen sich Fremdsprachen durch Selbststudium an. Lag der Anteil an
Fremdsprachen 1970 noch bei 28 Prozent in den Volkshochschulen, so sind es
seit 2007 mehr als 41 Prozent deutschlandweit. Um den Bedarf an
Fremdsprachenkursen zu decken, wurde die Anzahl der durchgeführten
Sprachkurse und Unterrichtsstunden seit den 70er Jahren stetig erhöht. Waren es
1962 nur etwa 15.000 Sprachkurse mit über 300.000 Belegungen, sind es
nunmehr seit 2007 mehr als 175.000 Sprachkurse mit über 6 Millionen
Unterrichtsstunden und 1,8 Millionen Belegungen deutschlandweit. Dieser Trend
2
zeigt, dass die Fremdsprachen der quantitativ wichtigste Bereich der
Volkshochschulen sind und der Bedarf an Sprachkursen stetig wächst. Die
Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Neugriechisch haben jedoch
Anteile verloren, wohingegen Spanisch Anteile gewonnen hat. Dennoch liegt
Englisch mit einem Anteil von 34,4 Prozent an erste Stelle. Spanisch ist durch die
Zunahme an Anteilen mit 13,6 Prozent auf den zweiten Platz gestiegen. Die
Zunahme und Veränderung von Anteilen an Fremdsprachen lässt sich anhand der
unten stehenden Abbildung verdeutlichen.
1
Abbildung 1: Sprachkurse an den Volkshochschulen
Quelle: DIE Volkshochschul-Statistik 1998-2007
1
Vgl. Weiß, C.: Konjunkturen des Sprachenerwerbs Erwachsener am Beispiel des
Volkshochschulangebots, S.1-2,
http://www.diezeitschrift.de/22009/spracherwerb_erwachsener_christina_weiss.aspx, Zugriff am
16.08.09
3
Aufgrund des wachsenden Trends in der Fremdsprachendidaktik widmet sich
diese Arbeit dem Thema: Fremdsprachenerwerb im höheren Alter - eine
empirische Studie über Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse beim Lernen
einer Fremdsprache ab dem 50. Lebensjahr.
Die Arbeit gliedert sich in vier thematische Abschnitte mit insgesamt elf Kapiteln.
Der erste Abschnitt (Kapitel 4 bis 6) befasst sich mit der Theorie der
Voraussetzungen und verschiedenen Erwerbsprozesse beim Lernen einer
Fremdsprache. Der zweite Abschnitt (Kapitel 7) beschreibt die psychischen
Einflussfaktoren auf den Fremdsprachenerwerb. Der dritte Abschnitt (Kapitel 8 bis
9) befasst sich mit unterschiedlichen Theorien bei der Aneignung einer
Fremdsprache. Nach der theoretischen Analyse erfolgt im vierten Abschnitt
(Kapitel 10) die empirische Erhebung zu den Erfahrungen von Senioren mit
Fremdsprachenkursen an der Volkshochschule Magdeburg und außerhalb der
Volkshochschule. Schließlich endet die Bachelorarbeit mit dem Resümee (Kapitel
11).
4
2. Ziel- und Aufgabenstellung der Arbeit
Ziel- und Aufgabenstellung dieser Arbeit soll sein, die Wahrnehmungs- und
Verarbeitungsprozesse beim Lernen einer Fremdsprache im höheren Alter
darzulegen und daraus Schlussfolgerungen auf den Fremdsprachenerwerb ab
dem fünfzigsten Lebensjahr anhand einer empirischen Erhebung unter Senioren
durch Befragung zu Erfahrungen mit dem Erwerb von Fremdsprachen zu ziehen.
Dabei sollen zunächst die Unterschiede zwischen Muttersprache,
Erstsprache, Zweitsprache und Fremdsprache aufgezeigt und auf die
biologischen Voraussetzungen eingegangen werden. Hierbei erfolgt auch
eine Betrachtung der Wahrnehmung und Verarbeitung im Gehirn.
Weiterhin werden die kognitiven Prozesse bei der Sprachverarbeitung
untersucht sowie die Auswirkungen sozialpsychologischer Faktoren auf den
Erwerb der Sprache analysiert.
Überdies werden in dieser Arbeit die Sprachlernstrategien dargestellt, um
aus diesen Erkenntnissen Schlüsse für den Spracherwerb im
Erwachsenenalter ziehen zu können.
5
3. Begriffsdefinitionen
Wenn es um den Erwerb von Sprachen geht, hört man immer wieder die
Ausdrücke Erstsprache, Zweitsprache, Muttersprache oder Fremdsprache. Die
Recherche zeigt, dass es keine einheitlichen Definitionen für diese Bezeichnungen
gibt, da diese vom Verständnis des Sprechers abhängen. Um Missverständnisse
zu vermeiden, müssen zunächst die Bedeutungen von Erstsprache und
Muttersprache erläutert werden. Die Muttersprache kann einerseits die erste
Sprache sein, die von einem Kind erlernt wird (Erstsprache). Andererseits kann als
Muttersprache auch die Sprache bezeichnet werden, die jemand am besten
beherrscht und in der sich ein Mensch zu Hause fühlt.
2
Bei der Definition von
Zweitsprache und Fremdsprache ist es wiederum so, dass die Fremdsprache die
Sprache ist, die Lerner außerhalb des Unterrichts, z. B. beim Spielen mit
Nachbarskindern, nicht gebrauchen können. Denn sie haben in der Regel keine
Möglichkeit, die in der Schule erworbene Fremdsprache anzuwenden. Der Erwerb
einer Fremdsprache nimmt mehr Zeit in Anspruch als der einer Zweitsprache,
weshalb der Fremdsprachenerwerb als Zweitsprachenerwerb unter formellen
(unterrichtlichen) Bedingungen betrachtet wird. Die Zweitsprache hingegen dient
als Verkehrssprache in Ländern, in denen verschiedene Sprachen gesprochen
werden. Sie spielt eine wichtigere Rolle als eine Fremdsprache. Sie ist somit
lebensnotwendig, weil sie als Verständigungsmittel für das Überleben innerhalb
einer Gesellschaft verantwortlich ist. Eine Fremdsprache dient hingegen nur als
potenzielles Verständigungsinstrument. Sie ist beispielsweise im Beruf oder auf
Reisen notwendig, aber keine Voraussetzung zum Überleben.
3
Im Verlauf der Arbeit wird sich primär auf die Begriffe Erstsprache (L1) und
Fremdsprache (FS) bezogen, da es um den Erwerb weiterer Sprachen geht, der
hauptsächlich auf dem Interesse an der Sprache, der Kultur und der Weiterbildung
beruht.
2
Vgl. Apeltauer,
E.
(1997):
Grundlagen des Erst- und Fremdsprachenerwerbs, S. 11
3
Vgl. Apeltauer,
E.
(1997):
Grundlagen des Erst- und Fremdsprachenerwerbs, S. 15-16
6
4. Sprachlernvoraussetzungen
4.1 Biologische Voraussetzungen
4.1.1 Erstsprache
Das menschliche Gehirn ist eines der komplexesten Systeme, das die Natur zu
bieten hat. Seitens des Gehirns ist der L1-Erwerb eine der schwierigsten
Aufgaben des Menschen, die in kürzester Zeit und unter anspruchsvollen
Bedingungen erworben wird. Für eine rasche Aneignung der L1 müssen jedoch
biologische, kognitive und sozial-interaktive Voraussetzungen erfüllt werden. Das
menschliche Gehirn ist funktional betrachtet in drei Teile geteilt. Der erste Teil
umfasst die Ur- oder Stammhirnregion, die den Hirnstamm, den Hypothalamus
und das Kleinhirn einschließt. Diese Region ist evolutionsgeschichtlich der älteste
Teil des Gehirns und regelt die instinktiven Vorgänge des Menschen. Der zweite
Teil umfasst das limbische System (Mittel- oder Zwischenhirn), das für die
Steuerung und Verarbeitung von Emotionen, wie Ärger und Aggressionen,
verantwortlich ist. Der dritte Teil bezeichnet das Großhirn (Neocortex), in dem
rationales Denken und kognitive Prozesse verarbeitet werden. Die Lernfähigkeit
des Menschen hängt stark vom Alter der Gehirnschichten ab. Das heißt konkret,
dass die Lernfähigkeit abnimmt, je evolutionsgeschichtlich älter eine Gehirnregion
ist.
Nach der Geburt eines Kindes entwickelt sich zunächst die rechte Hemisphäre
(RH) stärker aus, um nach etwa sechs Monaten von der linken Hemisphäre (LH)
abgelöst zu werden. Diese dominiert dann bis zu einem Alter von einem Jahr,
nach dem die RH wieder stärker ausgeprägt wird. Die RH dominiert dann ungefähr
bis zum dritten oder vierten Lebensjahr, bis die LH letztendlich wieder die
Steuerung übernimmt. Während der Entwicklung des Kindes kommt es zur
funktionalen Spezialisierung (Lateralisierung) der Hemisphären. Das heißt, dass
im Laufe der Entwicklung separate Bereiche im Gehirn ausdifferenziert werden,
um spezielle Reize zu verarbeiten. Jede Gehirnhälfte hat bestimmte Aufgaben. So
ist die RH zum Beispiel zuständig für das Wahrnehmen von Erscheinungsbildern
wie Gestik, Mimik, Körperhaltung und für spontane Reaktionen. Des Weiteren
7
verarbeitet die RH affektive und emotionale Reize, wie z. B. natürliche Geräusche
(planschen, bellen), sprachliche Merkmale (Akzent, Intonation), musikalische Töne
und formelhafte Ausdrücke (Wie geht's?), und denkt intuitiv-ganzheitlich.
Verletzungen der RH haben Aprodosie (Unfähigkeit, Gefühle zu erkennen und
auszudrücken) oder Agnosie (Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen und
auszudrücken) zur Folge. Die LH ist besonders für die Verarbeitung sprachlichen
Materials prädestiniert. Ihre Aufgabe besteht im analytischen und sequenziellen
Denken, in Konzeptualisierungen sowie in der En- und Dekodierung von
sequenziellen Aspekten sprachlicher Äußerungen. Bei Verletzungen der LH tritt
Aphasie (Unfähigkeit, zusammenhängend zu sprechen oder zu verstehen) auf. Es
ist falsch, anzunehmen, dass grundsätzlich nur die LH für die Sprachverarbeitung
zuständig ist. Auch die RH spielt eine wichtige Rolle. Sie erfasst interaktive
Aspekte und bestimmte Situationen bei der Kommunikation und interpretiert z. B.
Texte.
4
Forschungen zufolge wurde erkannt, dass die Größe der Schläfenlappen,
in denen sich das Sprachzentrum befindet, eine wichtige Rolle bei den
Geschlechtern spielt. So schrumpfen die Schläfenlappen bei Männern mit
zunehmendem Alter eher als bei Frauen. Gemäß des Deutschen Vereins für
Gesundheitspflege e. V. besitzen Frauen bessere Fähigkeiten zur Anwendung von
Sprache. Sie sind sprachlich gewandter und daher kommunikativer. Sie besitzen
einen größeren Wortspeicher und bessere Kenntnisse bei grammatischen
Strukturen und Regeln. Da sie Geräusche und sprachliche Merkmale besser
wahrnehmen können, lässt sich vermuten, dass ihre RH intensiver ausdifferenziert
ist. Demgegenüber haben Männer bessere analytische und rationale Fähigkeiten,
woraus sich eher linkshemisphärische Verarbeitung ableiten lässt.
5
4
Vgl. Apeltauer,
E.
(1997):
Grundlagen des Erst- und Fremdsprachenerwerbs, S. 19-22
5
Vgl. Deutscher Verein für Gesundheitspflege e.V., http://www.dvg-
online.de/Gesundheit/AktuelleArtikel/MannundFrau.html, Zugriff am 25.09.09
8
Neben den Funktionen der
Abbildung 2: Das menschliche Gehirn
6
beiden Hemisphären spielen zwei
weitere Gehirnzentren für die
Sprachverarbeitung eine wichtige
Rolle. Dies ist zum einen das
Broca-Zentrum in der LH, das für
die Sprachmotorik, Lautbildung,
Lautanalyse, Artikulation und die
Bildung abstrakter Wörter
zuständig ist. Zum anderen hat das
Wernicke-Zentrum, das sich in der
dominanten Hirnhemisphäre
befindet (motorisch und sensorisch verarbeitende Hemisphäre), eine hohe
Bedeutung, da es für die Verarbeitung der Bedeutungen der sprachlichen
Elemente verantwortlich ist. Wenn es zu Verletzungen bzw. Beschädigungen
beider Zentren kommt, treten Fehler in der Sprachproduktion (Aphasien) auf. Das
Broca- sowie das Wernicke-Zentrum stellen die wichtigsten
Sprachverarbeitungszentren eines Individuums dar. Zwischen beiden finden sich
die stärksten Verbindungen von Nervenbahnen im Gehirn. Bei der Verarbeitung
von Sprache können zudem die Sehrinde (visueller Cortex), die Hörrinde
(auditorischer Cortex) sowie motorische Bereiche (Motorcortex) beteiligt sein und
ihre Funktionen teilweise gegenseitig übernehmen, wenn es zu einem Ausfall
eines Bereiches kommt. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Verbindung zwischen
Broca- und Wernicke-Zentrum getrennt ist. Dann ist die Sprachverarbeitung nur
gering oder gar nicht möglich.
7
6
Vgl. Universitätsklinikum Köln, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie: Präsentation Motorische
Aphasie (PDF), http://www.medizin.uni-
koeln.de/kliniken/psychiatrie/Bildgebung/folien/Aphasie%20(Calio).pdf, Zugriff am 17.07.09
7
Vgl. Roche, J. (2005): Fremdsprachenerwerb Fremdsprachendidaktik, S. 48
9
4.1.2 Fremdsprache
Bei einer Befragung von eher naturwissenschaftlich interessierten Menschen zu
ihren Erfahrungen mit dem Erwerb von Fremdsprachen, reagieren diese zumeist
abgeneigt oder beziehen sich auf die Aussage, dass sie kein Talent für Sprachen
hätten. Diese Aussage ist insofern nicht zutreffend, da jedes Individuum die
genetischen Anlagen zum FS-Erwerb von Geburt an besitzt. Schließlich ist das
Nervensystem so beschaffen, dass mehrere Sprachen erlernt werden können. Der
Fremdsprachenerwerb hat daher nichts mit Talent zu tun, sondern hängt vielmehr
von vielen exogenen Faktoren, wie z. B. Umfeld, Religion und Kultur, sowie
endogenen Faktoren, wie beispielsweise Einstellungen, persönlichen Erfahrungen
und Toleranzbereitschaft, ab, die im Laufe des Lebens ausgeprägt werden.
Schließlich haben diese Personen auch ihre L1 problemlos erworben, ohne sich
unüberwindbaren Anstrengungen aussetzen zu müssen. Die Literatur bezeichnet
dies auch als Sprachlernfähigkeit oder ,,language acquisition device" (LAD). Diese
sogenannte LAD ist grundsätzlich jedem Menschen genetisch angeboren, der
seine L1 erfolgreich erworben hat.
Da sich die L1 parallel zur Hirnreifung entwickelt, wird angenommen, dass diese
bis zum dritten oder vierten Lebensjahr andauert. In dieser Zeit haben sich
Strukturen im Gehirn entwickelt, die nach dieser Zeit nicht mehr so einfach
verändert werden können. Daher können Sprachen, die nach dem dritten oder
vierten Lebensjahr erworben werden (L2), nur noch in die bereits bestehenden
Strukturen integriert werden. Dieser Umstand wird als nachzeitiger FS-Erwerb
bezeichnet. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass sich die Strukturen von
nachzeitigem FS-Erwerb und L1-Erwerb stärker annähern und leichter anzueignen
sind, je eher der FS-Erwerb erfolgt, da sich vor Beendigung der Hirnreifung noch
neuronale Verknüpfungen bilden lassen (verbundener Bilingualismus). Nach
dieser Zeit ist der FS-Lerner auf die Integration in die bereits vorhandenen
Strukturen angewiesen.
10
FS-Erwerb unterscheidet sich prinzipiell nicht sehr vom L1-Erwerb, da natürlich
Parallelen zwischen L1-Erwerb und nachzeitiger Aneignung einer Fremdsprache
bestehen. Unterschiede ergeben sich hauptsächlich durch reifungsbedingte
Entwicklungsprozesse und früher erworbene Sprachen. Durch die nachzeitige
Aneignung einer FS fängt die RH zunächst wieder an, die Kontrolle zu
übernehmen, da sie sich vermutlich an entstehenden nonverbalen und
prosodischen Eindrücken orientiert. Denn in dieser Anfangszeit werden
Bedeutungen der FS häufig noch nicht verstanden oder nur durch indirekte
Vermutungen erschlossen, da sich FS-Lerner an nichtsprachlichen Elementen
orientieren und gleichzeitig Einheiten von Fremdsprachen analysieren, um diese
leichter zu erfassen. Mit zunehmender Beherrschung der FS rückt die LH wieder
ins Blickfeld. Die Möglichkeit der rechts- oder linkshemisphärischen Verarbeitung
von Sprache hängt von der jeweiligen Erwerbs- bzw. Lernsituation ab. Das
bedeutet, dass Lerner in informellen Situationen (außerhalb des Unterrichts), in
denen häufig nur Alltagssprache verwendet wird, Sprache eher
rechtshemisphärisch verarbeiten (trifft für FS-Lerner im Selbststudium zu) als
Lerner in formellen Situationen. Des Weiteren findet die Sprachverarbeitung bei
Lernern mit einem niedrigeren Bildungsstand in der RH bzw. beidseitig statt,
wohingegen gebildetere Lerner vielmehr linkshemisphärisch verarbeiten. Kognitiv
nicht sehr anspruchsvolle Alltagsgespräche fördern also Sprachverarbeitung in der
RH, während formelle Lernsituationen, die häufig durch schriftsprachlichen
Umgang mit der FS kognitiv anspruchsvoll sind und metasprachliche Merkmale
begünstigen, linkshemisphärisch verarbeitet werden.
8
4.2 Lebensalter
Wie schon bereits zuvor erwähnt, ist das Nervensystem des Menschen so
beschaffen, dass es mehrere Sprachen erlernen kann. Den Menschen zeichnet
somit die Befähigung zum mehrsprachigen Lernen aus. Obwohl viele Menschen
annehmen, dass sie im höheren Alter Fremdsprachen nur noch schwer oder kaum
8
Vgl. Apeltauer,
E.
(1997):
Grundlagen des Erst- und Fremdsprachenerwerbs, S. 68-71
11
noch erwerben können, belehrt uns der Trend in der FS-Forschung eines
Besseren. Der Psychologe Lenneberg hat eine Hypothese aufgestellt, nach der es
eine kritische Periode (,,critical period") zwischen dem zweiten und elften oder
zwölften Lebensjahr gibt, in der nur ein erfolgreicher und vollständiger Erwerb
einer FS möglich ist. Die Plastizität des Gehirns, die die Fähigkeit des
menschlichen Gehirns darstellt, sich ständig an veränderte Bedingungen
anzupassen,
9
nimmt mit zunehmendem Alter ab.
10
Nach dieser Zeit können nicht
mehr ausreichend neuronale Verknüpfungen bzw. Integrationen in bestehende
Strukturen für erfolgreichen und vollständigen FS-Erwerb stattfinden, wenn die
Lateralisation der Sprachfunktionen in der LH abgeschlossen ist. Durch zahlreiche
Forschungen auf diesem Gebiet konnte Lennebergs Hypothese jedoch widerlegt
werden, da herausgefunden wurde, dass Fremdsprachen auch noch im höheren
Alter erfolgreich erworben werden können. Lediglich die korrekte Intonation einer
Sprache lässt sich nach dieser sogenannten kritischen Periode oder auch
sensiblen Phase nicht mehr problemlos aneignen.
Es ist richtig, dass das Erlernen einer FS mit zunehmendem Alter schwieriger
wird, da das Umfeld im Gegensatz zum Kindesalter komplexer wird und somit
mehr Engagement erfordert. Dies geschieht besonders dann, wenn der Erwerb
nur unter formellen Bedingungen erfolgt. Durch gute Strukturierung und
Wiederholungen im FS-Unterricht lässt sich die Aneignung der FS jedoch sehr
erleichtern. Im Gegensatz zur Intonation sind Erwachsene durchaus auch im
höheren Alter noch in der Lage, eine FS akzentfrei zu erwerben, wenn sie
entsprechend motiviert sind und angemessenen FS-Unterricht erhalten.
Kinder sowie Erwachsene verfügen im Allgemeinen über die gleichen Fähigkeiten
beim FS-Erwerb, jedoch werden diese aufgrund des Lebensalters und der
sozialpsychologischen Faktoren unterschiedlich angewendet. Der Erwerb von
Lauten vollzieht sich bei Kindern leichter, jedoch haben sie Probleme mit
9
Vgl. Plastizität des Gehirns, http://www.dorner-
verlag.at/downloads/gehirnforschung/gehirnforschung3.pdf, Zugriff am 15.09.09
10
Vgl. Die Grenzen der Plastizität, http://www.innovations-
report.de/html/berichte/biowissenschaften_chemie/bericht-44744.html, Zugriff am 15.09.09
12
morphologischen und syntaktischen Aspekten einer Sprache. Erwachsene
hingegen können die Morphologie und Syntax einer FS leichter erlernen, da sie
sich auf kognitive Prozesse aus ihrer Erfahrung mit der L1 oder eventuell anderen
Fremdsprachen berufen können. Wie bereits zuvor erwähnt, erfolgt die Aneignung
von phonetischen und intonatorischen Aspekten jedoch schwieriger. Jeder
Mensch erwirbt seine L1 im Kindesalter im Allgemeinen ,,auf spielerische Weise"
und wendet sie anhand von festen Strukturen im Laufe des Lebens unbewusst an.
So ist die Aussprache der L1 bei Erwachsenen weitaus mehr eingeschliffen als bei
Kindern. Erwachsene werden daher durch eine vorübergehende Selbst-
entfremdung sehr verunsichert, wenn sie eine neue FS artikulieren müssen,
weswegen sie oftmals mit deutlich hörbarem Akzent sprechen. Erst durch die
Aneignung einer neuen Sprache werden Lernern die Strukturen und Elemente der
eigenen Sprache bewusst. Dies ist auch der Sinn und Zweck des FS-Erwerbs. Nur
durch die Bewusstmachung der Strukturen und Elemente einer Sprache
entwickeln FS-Lerner metakognitive und metasprachliche Fähigkeiten, die für den
erfolgreichen Erwerb einer FS erforderlich sind. Lerner sind durch metakognitive
und metasprachliche Fähigkeiten in der Lage, sprachliche Aspekte einer FS
intensiver wahrzunehmen und bewusster zu verarbeiten. Dies äußert sich in der
Zunahme der Konzentration und Steigerung der Speicherfähigkeit des Gehirns,
wodurch wiederum grammatische Regeln und Elemente einer FS schneller
erworben werden als bei Kindern. Automatisierte Prozesse, wie z. B. die
Artikulation und Intonation, die nur schwer beeinflussbar sind, werden jedoch
vernachlässigt und somit nicht richtig erlernt. Es zeigt sich auch, dass
Aussprachekorrekturen durch Lehrer bei Artikulationsproblemen von Lernern das
Gefühl der Selbstentfremdung bei Erwachsenen verstärkt, wenn die Aussprache
der FS nicht ausreichend bewusst gemacht wurde. Dies spiegelt sich zumeist in
Ängsten und Abwehrhaltung seitens der Erwachsenen wider. Die Aufgabe der
Lehrer besteht nun insbesondere darin, diese Ängste durch indirekte Lernübungen
zu vermeiden. Dies kann zum Beispiel durch Zungenbrecher, Gedichte oder auch
Theaterszenen geschehen. Zudem sollten die Fehler bewusst gemacht werden,
da diese einen normalen zum FS-Unterricht gehörenden Reifungsprozess
darstellen.
13
Die Zeit spielt beim Sprachenlernen ebenso eine wichtige Rolle. Kinder haben in
der Regel viel Zeit und Energie beim L1-Erwerb. Dies trifft jedoch häufig nicht auf
erwachsene FS-Lerner zu, da diese oftmals noch im Berufsleben stehen. Daher
hängt der Erfolg des FS-Erwerbs linear von ihrer Zeit und dem Sprachkontakt ab.
Je mehr Zeit und Sprachkontakt sie haben, desto mehr Erfolg können sie
verzeichnen. Natürlich beeinflussen auch der kognitive Entwicklungsstand und
sozialpsychologische Voraussetzungen den FS-Erwerb, auf die allerdings an
späterer Stelle noch genauer eingegangen wird. Schlussfolgernd kann gesagt
werden, dass ältere Lerner viele kognitive Voraussetzungen für einen
erfolgreichen und schnellen FS-Erwerb erfüllen, jedoch nach einiger Zeit von
Kindern, besonders im Bereich der Artikulation und Intonation, überholt werden.
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4.3 Sprachliche Unterschiede
Jede Sprache ist ein komplexes System aus Phonemen, Morphemen und
Lexemen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen
Sprachen bestimmen. So lassen sich Nachbarsprachen im Allgemeinen leichter
aneignen als entferntere Sprachen. Je entfernter die Sprachen voneinander sind,
desto mehr Aufwand zum Spracherwerb ist erforderlich. Strukturen und Elemente
von Nachbarsprachen, wie z. B. Deutsch-Englisch, ähneln sich, wodurch ein
Gefühl der Vertrautheit beim Erwerb aufkommt. Ähnlichkeiten lassen sich
beispielsweise an den Wörtern ,,frei" (de) und ,,free" (en) erkennen, durch die das
Verstehen bzw. Erraten der Bedeutung erleichtert wird, wenn das jeweilige Wort
noch nicht erlernt wurde. Der FS-Lerner kann sich an den grammatischen
Strukturen seiner L1 oder bereits erworbener Fremdsprachen orientieren, wodurch
eine Umstrukturierung erfolgt. Zudem kann er auf kognitive Fähigkeiten
zurückgreifen, die bereits beim L1- oder anderem FS-Erwerb entwickelt wurden.
Die Erfassung, Verarbeitung und Speicherung im Gehirn fällt dadurch grundlegend
leichter. Bei entfernteren Sprachen, wie z. B. Deutsch-Türkisch, sind kaum
Umstrukturierungen möglich, da sich die Strukturen und Elemente sehr
11
Vgl. Apeltauer,
E.
(1997):
Grundlagen des Erst- und Fremdsprachenerwerbs, S. 71-78
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2009
- ISBN (eBook)
- 9783836642897
- Dateigröße
- 1 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Hochschule Magdeburg-Stendal; Standort Magdeburg – Kommunikation und Medien, Fachkommunikation
- Erscheinungsdatum
- 2014 (April)
- Note
- 1,7
- Schlagworte
- zweitspracherwerb anglizismus erstsprache gehirn lebensalter
- Produktsicherheit
- Diplom.de