Lade Inhalt...

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit

Zur Situation chronisch mehrfachbeeinträchtigter Abhängigkeitskranker in der Bundesrepublik Deutschland

©2009 Diplomarbeit 105 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Wohnungslosigkeit und Alkoholkonsum hängen oft eng zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Wohnungslosigkeit ist häufig Folge einer Alkoholabhängigkeit und die Rückkehr in eine eigene Wohnung wird durch den hohen Alkoholkonsum meist erschwert oder ganz unmöglich. Die Betroffenen versuchen ihre depravierte Lebenslage und die soziale Isolation mit Alkohol zu bewältigen, daher kann Alkoholabhängigkeit auch eine Folge von Wohnungslosigkeit sein.
Diese Zielgruppe, die unter dem Oberbegriff der chronisch mehrfachbeeinträchtigten Abhängigkeitskranken einzuordnen ist, stellt komplexe Anforderungen an die verschiedenen Hilfesysteme, die mit ihnen in Berührung kommen. Da sich die Probleme auf verschiedene Lebensbereiche erstrecken, ist nicht nur ein Hilfesystem zuständig. Das kompliziert gegliederte Hilfesystem für alkoholabhängige und wohnungslose Menschen in Deutschland mit den unterschiedlichen Kostenträgern und Leistungserbringern erzeugt Schnittstellen und damit verbunden oftmals Kooperations-, Kommunikations- und Zuständigkeitsprobleme.
In dieser Arbeit sollen die Entstehungszusammenhänge von Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit aufgezeigt und mögliche Zusammenhänge ermittelt werden. Die bestehenden Hilfestrukturen in Deutschland werden dargestellt, um im Anschluss zu untersuchen, ob sie in ihrer aktuellen Form für eine Versorgung der Klientel geeignet und ausreichend sind. Ich möchte versuchen, Perspektiven für ein zukunftsfähiges Hilfesystem aufzuzeigen.
Um die theoretischen Aussagen von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten, soll anhand von Klienten- und Experteninterviews ein Einblick in die Praxis gewährt werden. Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
Einleitung1
Erster Teil: Grundlagen1
1.Wohnungslosigkeit in Deutschland1
1.1Begriffsdefinitionen zur Wohnungslosenproblematik2
1.2Ausmaß der Wohnungslosigkeit5
1.3Soziodemographische Merkmale der Wohnungslosigkeit6
1.3.1Geschlecht 6
1.3.2Altersstruktur7
1.3.3Staatsangehörigkeit8
1.3.4Schulbildung8
1.3.5Familienstand8
1.3.6Berufsbildung9
1.3.7Arbeits- und finanzielle Situation9
1.3.8Gesundheitszustand11
1.4Erklärungsansätze für Wohnungslosigkeit13
1.4.1Erklärungsansätze aus historischer Sicht13
1.4.2Aktuelle Erklärungsansätze14
1.4.3Kritische Lebensereignisse16
2.Alkoholkonsum in Deutschland20
2.1Definitionen22
2.2Erklärungsansätze für Alkoholabhängigkeit24
2.3Ausmaß26
2.4Alkoholkonsum im Wohnungslosenmilieu28
2.5Funktionen des […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Jens Puderbach
Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Zur Situation chronisch mehrfachbeeinträchtigter Abhängigkeitskranker in der
Bundesrepublik Deutschland
ISBN: 978-3-8366-4217-0
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Fachhochschule Koblenz, Koblenz, Deutschland, Diplomarbeit, 2009
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und der Verlag, die Autoren oder
Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl.
verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Inhaltsverzeichnis
I
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 1
Erster Teil: Grundlagen
1. Wohnungslosigkeit in Deutschland
1.1 Begriffsdefinitionen zur Wohnungslosenproblematik
2
1.2 Ausmaß der Wohnungslosigkeit
5
1.3 Soziodemographische Merkmale der Wohnungslosigkeit
1.3.1
Geschlecht
6
1.3.2
Altersstruktur
7
1.3.3
Staatsangehörigkeit
8
1.3.4
Schulbildung
8
1.3.5
Familienstand
8
1.3.6
Berufsbildung
9
1.3.7
Arbeits- und finanzielle Situation
9
1.3.8
Gesundheitszustand
11
1.4 Erklärungsansätze für Wohnungslosigkeit
1.4.1
Erklärungsansätze aus historischer Sicht
13
1.4.2
Aktuelle Erklärungsansätze
14
1.4.3
Kritische Lebensereignisse
16
2. Alkoholkonsum in Deutschland
2.1 Definitionen
22
2.2 Erklärungsansätze für Alkoholabhängigkeit
24
2.3 Ausmaß
26
2.4 Alkoholkonsum im Wohnungslosenmilieu
28
2.5 Funktionen des Alkohols
29
Zweiter Teil: Das System der Suchtkrankenhilfe
3. Suchthilfe in Deutschland
3.1 Strukturmodell zur Beschreibung des Hilfesystems
31
3.2 Sektor I
3.2.1
Die ,,Traditionelle Trias"
34
3.2.2
Beratungsstellen
34
3.2.3
Stationäre medizinische Rehabilitation
38
3.2.4
Nachsorge
41
3.2.5
Selbsthilfe
41
3.3 Sektor II
3.3.1
Psychiatrische/ psychosoziale Basisversorgung
42
3.3.2
Psychiatrie
44
3.3.3
Öffentlicher Gesundheits- und Sozialdienst
45
3.3.4
Basishilfen/ Wohnungslosenhilfe/ Eingliederungshilfe/
berufliche Rehabilitation/ Pflege
47
3.3.5
Ordnungs-, betreuungs- oder strafrechtliche Maßnahmen 48
3.4 Sektor III
3.4.1
Medizinische Primärversorgung
49
3.4.2
Allgemeinkrankenhaus
51
3.4.3
Niedergelassener Arzt
53

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Inhaltsverzeichnis
II
Dritter Teil: Das System der Wohnungslosenhilfe
4. Ambulante Beratungsstellen
55
5. Stationäre Einrichtungen
57
6. Weitere Hilfen
6.1 Zentrale Fachstellen
58
6.2 Persönliche Hilfen
59
6.3 Arbeitshilfen
60
6.4 Medizinische Hilfen
60
Vierter Teil: Praxisbezug
7. Grundlagen der Interviews
62
8. Klienten-Interviews
8.1 Methodische Vorbemerkungen
62
8.2 Horst T.
63
8.3 Thomas S.
67
9. Experteninterviews
9.1 Methodische Vorbemerkungen
71
9.2 Fachkräfte
72
Fünfter Teil: Die vergessene Mehrheit
10.
Alkoholabhängige Wohnungslose in Deutschland
10.1 Die Zielgruppe
83
10.2 Probleme der Zielgruppe
83
10.3 Alkoholabhängige Wohnungslose zwischen den Hilfesystemen 85
11.
Perspektiven
89
Literaturverzeichnis
Anhang

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Einleitung
-
1
-
Einleitung
Wohnungslosigkeit und Alkoholkonsum hängen oft eng zusammen und
beeinflussen sich gegenseitig. Wohnungslosigkeit ist häufig Folge einer
Alkoholabhängigkeit und die Rückkehr in eine eigene Wohnung wird durch
den hohen Alkoholkonsum meist erschwert oder ganz unmöglich. Die
Betroffenen versuchen ihre depravierte Lebenslage und die soziale
Isolation mit Alkohol zu bewältigen, daher kann Alkoholabhängigkeit auch
eine Folge von Wohnungslosigkeit sein.
Diese Zielgruppe, die unter dem Oberbegriff der chronisch
mehrfachbeeinträchtigten Abhängigkeitskranken einzuordnen ist, stellt
komplexe Anforderungen an die verschiedenen Hilfesysteme, die mit
ihnen in Berührung kommen. Da sich die Probleme auf verschiedene
Lebensbereiche erstrecken, ist nicht nur ein Hilfesystem zuständig. Das
kompliziert
gegliederte
Hilfesystem
für
alkoholabhängige
und
wohnungslose Menschen in Deutschland mit den unterschiedlichen
Kostenträgern und Leistungserbringern erzeugt Schnittstellen und damit
verbunden
oftmals
Kooperations-,
Kommunikations-
und
Zuständigkeitsprobleme.
In dieser Arbeit sollen die Entstehungszusammenhänge von
Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit aufgezeigt und mögliche
Zusammenhänge ermittelt werden. Die bestehenden Hilfestrukturen in
Deutschland werden dargestellt, um im Anschluss zu untersuchen, ob sie
in ihrer aktuellen Form für eine Versorgung der Klientel geeignet und
ausreichend sind. Ich möchte versuchen, Perspektiven für ein
zukunftsfähiges Hilfesystem aufzuzeigen.
Um die theoretischen Aussagen von einem anderen Standpunkt aus zu
betrachten, soll anhand von Klienten- und Experteninterviews ein Einblick
in die Praxis gewährt werden.

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
2
-
Erster Teil: Grundlagen
1. Wohnungslosigkeit in Deutschland
1.1
Begriffsdefinitionen zur Wohnungslosenproblematik
Zunächst stellt sich die Frage, welche Bezeichnung für die genannte
Zielgruppe zutreffend und angemessen ist. In der Fachliteratur und im
allgemeinen Sprachgebrauch findet sich eine Vielzahl von Begriffen für
Menschen mit einer Wohnungsproblematik. Ein umgangssprachlich
weit verbreiteter Begriff ist der des ,,Penners". Auch wenn dies nicht
immer bewusst und beabsichtigt ist, hat er eindeutig diskriminierenden
Charakter. Mit ihm werden Eigenschaften wie Trinkfestigkeit,
Unsauberkeit und Arbeitsscheu verbunden.
1
Begriffen, wie Vagabunden, Stadt- oder Landstreichern kommt oft eine
romantisierte Bedeutung zu. Es wird unterstellt, dass das Leben auf
der Straße der frei gewählte Zustand eines ungebundenen Lebens
ohne die Zwänge des Alltags ist. Diese Begriffe könnten auch
vermuten lassen, dass eine krankhafte soziale und räumliche
Bindungslosigkeit oder eine Art Wandertrieb besteht.
2
Ähnlich verhält es sich mit dem, zum Teil von der Fachöffentlichkeit
heute noch verwendeten Begriff des Nichtsesshaften. Bis 2001 wurde
dieser Begriff auch im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und der
dazugehörigen Durchführungsverordnung (DVO) verwendet. So
definierte der Gesetzgeber in der DVO zu §72 BSHG Nichtsesshafte
als ,,Personen, die ohne gesicherte wirtschaftliche Grundlage
umherziehen oder die sich zur Vorbereitung auf eine Teilnahme am
Leben in der Gemeinschaft oder zur dauernden persönlichen
Betreuung in einer Einrichtung für Nichtsesshafte aufhalten
."
3
In
Abgrenzung dazu wurden Obdachlose als ,,Personen ohne
ausreichende Unt
erkunft (...) die in Obdachlosen
- oder sonstigen
Behelfsunterkünften oder in vergleichbaren Unterkünften leben"
definiert.
4
An diesem Beispiel wird die paradoxe Verwendung der
1
vgl. Giesbrecht 1987, S.7
2
vgl. Henkel/Vogt 1998, S.58; Giesbrecht 1987, S.10
3
Giesbrecht 1987, S.9
4
Gillich/Nieslony 2000, S.65

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
3
-
einzelnen Bezeichnungen ersichtlich. Nichtsesshafte können sich
demnach, trotz des Fokus auf die mobile Lebensweise, dauerhaft in
einer Einrichtung zur gesellschaftlichen Wiedereingliederung befinden,
während Obdachlose sehr wohl ein Obdach haben.
5
Ein weiteres
Problem beim Begriff des Nichtsesshaften besteht durch dessen
Verwendung in der NS Zeit, als so Bezeichnete oftmals in
Konzentrationslager deportiert und umgebracht wurden.
6
Bleibt zuguterletzt noch der Begriff des allein stehenden
Wohnungslosen. Hier liegt der Focus zum einen auf dem Fehlen einer
Wohnung, zum anderen auf den meist nicht vorhandenen familiären
und partnerschaftlichen Beziehungen.
7
Vernachlässigt werden hierbei
allerdings häufig auftretende Problemlagen, wie Arbeitslosigkeit und
die damit verbundene fehlende wirtschaftliche Lebensgrundlage.
Außen
vor
bleiben
außerdem
diejenigen,
die
in
lebenspartnerschaftlichen oder familiären Verhältnissen leben.
Im Sozialhilferecht wird heute ganz auf die Begriffe ,,Nichtsesshafte"
und ,,Obdachlose" verzichtet. Im §1 der Durchführungsverordnung
(DVO) zu §67 des Sozialgesetzbuches XII wird nur noch ganz
allgemein von ,, Personen (...) in besonderen Lebenslagen"
gesprochen, ,, wenn besondere Lebensverhältnisse (...) mit sozialen
Schwierigkeiten verbunden sind." Besondere Lebensverhältnisse
können ,,fehlende oder nicht ausreichende Wohnung" sein und ,,soziale
Schwierigkeiten liegen vor, wenn ein Leben in Gemeinschaft durch
ausgrenzendes Verhalten des Hilfesuchenden oder eines Dritten
wesentlich eingeschränkt ist, insbesondere im Zusammenhang mit der
Beschaffung oder Haltung einer Wohnung, mit der Erlangung oder
Sicherung eines Arbeitsplatzes, mit familiären oder anderen sozialen
Beziehungen oder mit Straffälligkeit."
8
Diese Definition ist zwar zutreffend und enthält die wichtigsten
möglichen Begleiterscheinungen, kann im Folgenden, des Umfangs
wegen, allerdings nicht verwendet werden.
5
vgl. Gillich/Nieslony 2000, S.63
6
vgl. Giesbrecht 1987, S.10
7
vgl. Henkel/Vogt 1998, S.58
8
Stascheit 2008

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
4
-
Bis heute existiert leider kein einheitlicher Begriff, der all diese
Anforderungen erfüllt. Aus diesem Grunde wird im weiteren Verlauf
von dem Begriff ,,Wohnungslose" nach der Definition von
Holtmannspötter Gebrauch gemacht.
Demnach sind Wohnungslose:
,,Personen und Haushalte, die nach dem Verlust oder ersatzlosen
Aufgabe ihrer Wohnung oder bisherigen Wohnunterkunft oder nach
Beendigung ihres Aufenthaltes in einer Anstalt oder sonstigen
Einrichtung obdachlos geworden sind und
- Die seitdem keinen Wohnraum zu ihrer privaten Verfügung und zur
Führung und Aufrechterhaltung ihres eigenen Haushalts besitzen
und
- Weder materiell noch in ihrer gegenwärtigen Lebenslage über
ausreichende Mittel und soziale wie persönliche Ressourcen
verfügen, um in gesicherten und ausreichenden Wohn- und
Existenzverhältnissen leben zu können und
- Die deshalb ohne Wohnung, ohne gesicherten Wohnsitz und ohne
gesicherte
wirtschaftliche
Existenzgrundlage
(von
Gelegenheitsarbeiten und/oder Sach- und Geldleistungen der
Sozialhilfe oder privater Personen abgesehen) leben und
- Im Freien, in selbst errichteten Schlafstellen oder in Gemeinschafts-
, Sammel- oder sonstigen Behelfsunterkünften oder in Hotel- bzw.
Pensionsbetrieben nächtigen bzw. eine Aufenthaltsmöglichkeit
erhalten haben."
9
aktuell von Wohnungslosigkeit betroffen sind daher Haushalte und
Personen, die:
1.
,,
ohne eigene mietrechtlich abgesicherte Wohnung (oder
Wohneigentum) und nicht institutionell untergebracht, darunter
- ohne jegliche Unterkunft
9
Holtmannspötter 1993, S.14

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
5
-
- in Behelfsunterkünften (wie Baracken, Wohnwagen, Gartenlauben
etc.)
- vorübergehend bei Freunden, Bekannten und Verwandten
untergekommen
- vorübergehend auf eigene Kosten in gewerbsmäßiger
Behelfsunterkunft lebend (z.B. in Hotels oder Pensionen)
2. ohne eigene mietrechtlich abgesicherte Wohnung (oder
Wohneigentum), aber institutionell untergebracht, darunter
- per Verfügung, (Wieder-)Einweisung oder sonstiger Maßnahme
der
Obdachlosenaufsicht
untergebracht
(ordnungsrechtlich
untergebrachte Wohnungsnot-fälle)
- mit Kostenübernahme nach Sozialgesetzbuch
­
SGB
­
II oder
SGB XII vorübergehend in Behelfs- bzw. Notunterkünften oder
sozialen Einrichtungen untergebracht (durch Maßnahmen der
Mindestsicherungssysteme untergebrachte Wohnungsnotfälle)
- mangels Wohnung in sozialen oder therapeutischen
Einrichtungen länger als notwendig untergebracht (Zeitpunkt der
Entlassung unbestimmt), bzw. die Entlassung aus einer sozialen
oder therapeutischen Einrichtung oder aus dem Strafvollzug steht
unmittelbar bevor (innerhalb eines Zeitraums von 4 Wochen) und
es ist keine Wohnung verfügbar."
10
Der Begriff des Wohnungslosen nimmt das zentrale Problem, das
Fehlen einer Wohnung, in den Blick und kann daher synonym zum
Begriff des Arbeitslosen verwendet werden. Weitere, mit der
Wohnungslosigkeit in Verbindung stehende Problemlagen können,
müssen jedoch nicht zwangsläufig auftreten.
1.2
Ausmaß der Wohnungslosigkeit
Sichere, empirische Daten zum Ausmaß der Wohnungslosigkeit in
Deutschland sind Mangelware. Es gibt zwar eine Vielzahl von Studien,
10
BAG Wohnungslosenhilfe 2005, S.8f

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
6
-
Untersuchungen und Schätzungen, die Ergebnisse weichen aber
aufgrund
der
vielen
unterschiedlichen
Definitionen
von
Wohnungslosigkeit stark voneinander ab. Die Kriterien, wie
Wohnungslosigkeit erfasst wird, beeinflussen maßgeblich die
Aussagekraft der Erhebungen. Wohnungslosigkeit ist ein oftmals
unsichtbarer und schwer zu erfassender Forschungsgegenstand. Aus
diesem Grund tauchen in Untersuchungen oft nur Sozialhilfe-
empfangende oder ordnungsbehördlich-untergebrachte Wohnungslose
auf. Hinzu kommt, dass es keine bundesweite, staatliche
Wohnungslosenstatistik gibt und sich die meisten Studien daher auf
einzelne Bundesländer oder Großstädte beschränken.
11
Hier
beeinflussen auch politische Interessen die Ergebnisse, je nachdem ob
bagatellisiert oder skandalisiert werden soll.
Die zuverlässigsten Zahlen zur Wohnungslosenproblematik liefert seit
den 60er Jahren die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe
e.V. (BAG). Für 2006 wurde die Zahl der Wohnungslosen auf ca.
265.000 geschätzt.
12
Seit 2000 hat sich die Zahl fast halbiert, was auf
Faktoren, wie der Entspannung des Wohnungsmarktes und
Weiterentwicklungen in der Wohnungslosenhilfe zurückzuführen ist.
13
Dennoch darf dieses Problemfeld nicht aus den Augen verloren
werden, da sich gerade in Großstädten mit angespanntem
Wohnungsmarkt und hohen Barrieren zur Erlangung einer Wohnung,
ein erneuter Anstieg der Wohnungslosigkeit abzeichnet.
14
1.3
Soziodemographische Merkmale der Wohnungslosigkeit
1.3.1 Geschlecht
Laut einer Stichprobe der BAG Wohnungslosenhilfe von 2006 waren
von bundesweit 18.221erfassten Personen 21,4% weiblich und 78,6%
männlich. Somit ist seit 2004 ein leichter Anstieg des Frauenanteils zu
11
vgl. hierzu auch: Van den Brink 2004, S. 8ff
12
vgl. BAG Wohnungslosenhilfe 2008a
13
vgl. BAG Wohnungslosenhilfe 2008, S.35
14
vgl. BAG Wohnungslosenhilfe 2005, S.69

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
7
-
verzeichnen. Es wird jedoch auf Grund der Dunkelfeldproblematik von
einer weitaus höheren Quote von ca. 25% ausgegangen.
15
Da das Hilfesystem verstärkt auf Männer ausgerichtet ist, werden
Frauen weniger erfasst. Außerdem versuchen Frauen länger als
Männer ihren Lebensunterhalt ohne institutionelle Hilfen zu bestreiten.
Sie besitzen häufiger Unterkunftsmöglichkeiten bei Freunden oder
Verwandten und wenden sich daher erst sehr spät, wenn es keine
andere Möglichkeit mehr gibt, an das Hilfesystem.
Häufige Auslöser für den Verlust der Wohnung bei Frauen sind
Trennung oder Scheidung (37,4%), Auszug aus der elterlichen
Wohnung (21,5%) sowie Gewalt des Partners (10%). Wenn also
beispielsweise Frauen die gemeinsame Wohnung auf Grund von
häuslicher Gewalt verlassen, flüchten sie häufig aus Angst vor dem
Partner in die Anonymität. Zwangsgemeinschaften, teilweise schon als
Wohnungsprostitution zu bezeichnen, werden für ein Dach über dem
Kopf eingegangen.
16
Die Fachliteratur beschäftigt sich noch nicht
besonders lange mit dem Aspekt weiblicher Wohnungslosigkeit, da der
Frauenanteil lange Zeit als irrelevant eingestuft wurde.
17
1.3.2 Altersstruktur
Die meisten Wohnungslosen in Deutschland sind zwischen 30 und 45
Jahren alt. Frauen und Männern unterscheiden sich hierbei
voneinander. Das Durchschnittsalter lag 2006 bei 40,2 Jahren der
männlichen und 35,8 Jahren der weiblichen Betroffenen. In den letzten
Jahren gab es eine starke Zunahme der jüngeren Altersgruppen bis 29
Jahre.
18
Während diese Gruppe 1982 noch 15,1% bildeten, waren es
2006 bereits 25,5%. Es wurde aber bereits in den 80er Jahren eine
steigende Tendenz in dieser Richtung festgestellt.
Der mit 6,3% vergleichsweise niedrige Prozentsatz der über 60
Jährigen lässt sich mit dem schlechten Gesundheitszustand, der
15
vgl. BAG Wohnungslosenhilfe 2008, S.10
16
vgl. Gillich/Nieslony 2000, S.77f
17
vgl. Giesbrecht 1987, S.25
18
vgl. BAG Wohnungslosenhilfe 2008, S.11f

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
8
-
niedrigen Lebenserwartung sowie Mängeln bei der ärztlichen
Versorgung erklären.
19
1.3.3 Staatsangehörigkeit
Wohnungslose ohne deutsche Staatsangehörigkeit bildeten 2006 9,4%
der Betroffenen. Damit bleibt die Zahl seit 2004 gleichbleibend auf
einem relativ niedrigen Niveau. Ein Fehlen der deutschen
Staatsbürgerschaft scheint also kein besonders großer Risikofaktor für
Wohnungslosigkeit zu sein.
20
1.3.4 Schulbildung
Das Bildungsniveau ist bei Wohnungslosen zwischen 2004 und 2006
leicht angestiegen. Es kann, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung,
jedoch nach wie vor von einem sehr niedrigen Bildungsstand
ausgegangen werden. 2006 hatten 77,9% gar keinen oder einen
niedrigen Schulabschluss (Sonder- oder Hauptschulabschluss). Nur
5,9% hatten die Allgemeine oder Fachhochschulreife, wobei auffällt,
dass Frauen im Verhältnis mehr höhere Abschlüsse hatten als
Männer.
21
1.3.5 Familienstand
Der Familienstand Wohnungsloser hat sich in den letzten 30 Jahren
nicht maßgeblich verändert. Zahlen von 2006 zeigen, dass die meisten
Betroffenen ledig sind (66,9%), ca. 21,5% geschieden und 9,9%
verheiratet.
22
1981 verzeichnete Specht 65,3% Ledige, 25,9% Geschiedene und
3,5% Verheiratete. In die Untersuchung gingen damals jedoch nur
Männer ein, da der Frauenanteil als zu unerheblich eingeschätzt
19
vgl. Giesbrecht 1987, S.26; BAG Wohnungslosenhilfe 2008, S.12
20
vgl. BAG Wohnungslosenhilfe 2008, S.12f
21
vgl. BAG Wohnungslosenhilfe 2008, S.13
22
vgl. BAG Wohnungslosenhilfe 2008, S.14

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
9
-
wurde.
23
Im Verhältnis sind heute Frauen öfter verheiratet, während
Männer überwiegend ledig sind.
Der größte Teil der Wohnungslosen ist alleinstehend und hat keine
Kinder (87,4%) während 2006 12,1% in einer Paarbeziehung lebten.
Hierbei ist zu beachten, dass, ähnlich der Ehe, wesentlich mehr
Frauen in Partnerschaften leben. Hierfür könnten wiederum die zuvor
beschriebenen
Besonderheiten
weiblicher
Wohnungslosigkeit
verantwortlich sein.
24
Ein Grund für die weit verbreitete Partnerlosigkeit ist häufig soziale
Isolation
nach
Aufenthalten
in
Suchthilfeeinrichtungen,
Justizvollzugsanstalten,
Krankenhäusern
oder
psychiatrischen
Einrichtungen. Auch der Wohnungslosigkeit vorausgehende Berufe wie
Schausteller, Fernfahrer, Bauarbeiter usw. können zu einer Zerrüttung
von Partnerschaft, Ehe und Familie geführt haben.
25
1.3.6 Berufsbildung
Im Gegensatz zur Schulbildung verfügen Männer häufiger über eine
abgeschlossene Berufsausbildung als Frauen. 2006 waren es 55,6%
bei den Männern und 44,0 % bei den Frauen. Insgesamt konnte also
bei etwas mehr als der Hälfte der Wohnungslosen ein Berufsabschluss
festgestellt werden. Diese Voraussetzung ist besonders bei der
Wiedereingliederung auf dem Arbeitsmarkt von großer Bedeutung und
beeinflusst maßgeblich die Chance zur Wiedererlangung einer
Wohnung. Andererseits bedeutet dies aber auch, dass diese wichtige
Ressource bei fast der Hälfte der Betroffenen fehlt.
26
1.3.7 Arbeits- und finanzielle Situation
Arbeit und Wohnung stehen in engem Zusammenhang. Ohne Arbeit ist
es schwer eine Wohnung zu bekommen, da der Vermieter erst von der
Zahlungsfähigkeit überzeugt werden muss, welche nicht immer
23
vgl. Giesbrecht 1987, S.25ff
24
vgl. BAG Wohnungslosenhilfe 2008, S. 14f
25
vgl. Gillich/Nieslony 2000, S.102f
26
vgl. BAG Wohnungslosenhilfe 2008, S.16f

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
10
-
vorhanden ist. Aber auch ohne Wohnung ist es schwer in ein festes
Arbeitsverhältnis zu gelangen, da Faktoren wie die fehlende
Postanschrift, gesundheitliche Probleme sowie vorausgegangene
Langzeitarbeitslosigkeit den Zugang zum Arbeitsmarkt erheblich
erschweren. Die meisten Wohnungslosen sind arbeitslos und damit
doppelt benachteiligt.
27
Sie befinden sich in einem Teufelskreis, aus
dem nur mit ausreichender Handlungsfähigkeit auszubrechen ist.
Diese Handlungsfähigkeit besitzen jedoch nur noch die wenigsten.
1998 gaben 19,6% der Befragten in Rheinland Pfalz Arbeitslosigkeit
als Grund für die Wohnungslosigkeit an.
28
2006 konnte bei 86,9 %
keine Form von Erwerbstätigkeit festgestellt werden, 75,9 % zählten zu
den Langzeitarbeitslosen, die zum größten Teil länger als 4 Jahre
arbeitslos waren. Dies wirkt sich äußerst negativ auf die Chancen auf
dem ersten Arbeitsmarkt aus. Die zunehmend immer instabiler
werdenden Arbeitsverhältnisse (zeitlich befristet, weniger Einkommen
und Aufstiegschancen) erfordern, gerade bei Menschen mit niedrigen
Berufsabschlüssen, eine mobile und inkonstante Lebensweise, welche
sich negativ auf die sozialen Kontakte, die psychische Gesundheit und
die Lebensqualität auswirkt.
Auch die finanzielle Situation beeinflusst maßgeblich das Leben der
Betroffenen. 2006 erhielten 62,1 % Transferleistungen aus
Arbeitslosen- und Sozialhilfe, 19,1% verfügte über gar kein
Einkommen.
Vergleicht man das Einkommen Wohnungsloser mit den Einnahmen
privater Haushalte, so werden die großen Unterschiede zur
Gesamtbevölkerung mehr als deutlich. 3,6 % der Haushalte stand
monatlich
weniger als 500 zu. Auf Seiten der Wohnungslosen geht
dies 75,8 % aller Bertoffenen so. Der Anteil der Wohnungslosen, die
über mehr als 900,- Euro monatlich verfügen können beläuft sich auf
6,7 %, in der Gesamtbevölkerung sind es 84,4 %. Dieses Bespiel zeigt
die extreme Einkommensarmut wohnungsloser Menschen.
Die mangelhafte finanzielle Situation der Betroffenen kann eine
Ursache für Wohnungslosigkeit darstellen. Dadurch verschlechtert sie
27
vgl. Gillich/Nieslony 2000, S.94f
28
vgl. Baum 2001, S.24

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
11
-
sich jedoch noch weiter. Insgesamt sind über 65% der Wohnungslosen
verschuldet.
Ein weiteres Hindernis bei der Wohnungs- und Arbeitsbeschaffung ist
das Fehlen eines Bankkontos. Mehr als die Hälfte der Wohnungslosen
verfügt nicht über ein solches, wobei die weiblichen Kontobesitzer
überwiegen.
29
1.3.8 Gesundheitszustand
Neben finanziellen und sozialen Problemen können auch Krankheit,
Sucht
oder
psychische
Beeinträchtigung
Ursache
von
Wohnungslosigkeit sein. Gleichzeitig stellen sie jedoch auch eine
Folgeerscheinung des defizitär
en ,,Lebens auf der Straße" dar. Ein sich
stetig
verschlechternder
Gesundheitszustand
kann
zu
Erwerbsunfähigkeit führen und damit eine Rückkehr in ein geregeltes
Erwerbsleben
verhindern.
30
Langzeitarbeitslosigkeit
kann
beispielsweise Alkoholkonsum und psychische Krankheiten wiederum
begünstigen, was zu weiteren gesundheitlichen Einschränkungen führt.
Laut dem Bundesgesundheitsbericht von 1998 können belastende
Wohnsituationen Herz-Kreislauf und Magen-Darm Krankheiten
hervorrufen sowie psychiatrische Krankheitsbilder verschlechtern.
Durch
einseitige,
kostengünstige
Ernährung
kann
es
zu
Mangelerscheinungen kommen, Feuchtigkeit und Kälte verursachen
verschiedenste Erkrankungen, und Lärm kann Schlafstörungen
begünstigen.
31
Im Gegensatz zur Gesamtbevölkerung haben Wohnungslose einen
erschwerten Zugang zu medizinischer Versorgung.
32
Viele Wohnungslose sind sozialhilferechtlich nicht registriert und somit
nicht kranken- und pflegeversichert. Sie werden durch formelle
Barrieren im Gesundheits- und Sozialhilfesystem ausgeschlossen.
Schon beim Antrag auf Sozialhilfe sind Unterlagen, wie
Personalausweis, Kontoauszüge und Sozialversicherungsausweis
29
vgl. BAG Wohnungslosenhilfe 2008, S.16ff
30
vgl. Gillich/Nieslony 2000, S.96
31
vgl. Gesundheitsberichterstattung des Bundes 1998, S.114f
32
vgl. Gillich/Nieslony 2000, S.98

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
12
-
notwendig, die wohnungslose Menschen oft nicht besitzen. Auf die
besonderen Lebenslagen der Zielgruppe sind die Mitarbeiter der Argen
nicht eingestellt, was nicht selten zu einer Abweisung führt.
Doch auch sozialhilferechtlich Registrierte haben mit Hindernissen im
Gesundheitssystem zu kämpfen. Seit der Einführung von Hartz IV und
des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) 2004, sind
Wohnungslose genau wie alle anderen Hilfeempfänger pflichtversichert
und verfügen über die gleichen Rechte und Pflichten. Das bedeutet
aber auch, dass quartalsweise 10,-
Praxisgebühr erhoben werden,
Zuzahlungen zu Medikamenten zu leisten sind und der Umgang mit
einer Krankenversicherungskarte Voraussetzung ist. Diese, zunächst
banal erscheinenden Barrieren, grenzen Wohnungslose aus dem
Hilfesystem aus, da schon kleine Beträge oder der nicht seltene
Verlust der Versicherungskarte die medizinische Versorgung
verhindern können. Hinzu kommt, dass Wohnungslose eine
Risikogruppe
darstellen,
die
häufig
von
chronischen und
Mehrfacherkrankungen betroffen sind. Es entstehen durchschnittlich,
für den Einzelnen, höhere Kosten als in der Gesamtbevölkerung.
Vor Hartz IV übernahm das Sozialamt die Kosten für die medizinische
Versorgung, seit 2004 unterliegen auch Wohnungslose den
Sparmaßnahmen der Krankenkassen.
33
Die BAG Wohnungslosenhilfe e.V. bat im Jahr 2006 Wohnungslose um
eine subjektive Einschätzung ihres Gesundheitszustandes. 57.6%
bewerteten sich als gesund, 42,4% als nicht gesund. Der subjektive
Gesundheitszustand ist damit deutlich schlechter als in der
Gesamtbevölkerung. Die Zahl der Krankenhausaufenthalte war sogar
mehr als doppelt so hoch. 75% aller Erkrankten leiden an chronischen
Erkrankungen.
34
Die persönliche Einschätzung als gesund und
leistungsfähig scheint als Hintergrund den Wunsch nach unbedingter
Aufrechterhaltung der eigenen Autonomie und Handlungsfähigkeit der
vorwiegend männlichen Betroffenen zu haben.
35
33
vgl. Regionaler Knoten Hamburg 2007, S.3ff
34
vgl. BAG Wohnungslosenhilfe 2008, S.29
35
vgl. BAG Wohnungslosenhilfe 2005, S.102

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
13
-
,,Als eine der gravierenden gesundheitlichen Einschränkungen der
befragten Männer zeigte sich ein im Mittel hoher Alkoholkonsum.
Unabhängig von der Höhe des eigenen Konsums und der
Selbstbewertung als abhängig oder unabhängig findet sich allerdings
ein breiter Konsens darüber, dass innerhalb des eigenen sozialen
Milieus Alkohol in hohem Umfang konsumiert wird und dass dieser
Konsum - zumindest zum Leben auf der Platte dazugehört.
Offensichtlich kommt damit dem ausgeprägten, aber weiterhin als
kontrolliert konnotierten Trinken eine wichtige Funktion für die
Männlichkeitskonstitution zu."
36
1.4
Erklärungsansätze für Wohnungslosigkeit
1.4.1 Erklärungsansätze aus historischer Sicht
Die Wanderarmut war als Lebensweise der Armen im 18. und 19.
Jahrhundert weitgehend gesellschaftlich akzeptiert. Mitte des 19.
Jahrhunderts wurde sie zunehmend als Gefahr für die soziale Ordnung
erkannt, und es entstanden erstmals Ansätze der Armenforschung.
Verschiedene Erklärungsansätze wurden entwickelt, um daraufhin
mithilfe
von
Herbergen
und
Arbeitslagern
dem
Problem
entgegenzuwirken. Friedrich von Bodelschwingh grenzte sich bereits
damals
von
der
vorherrschenden
Meinung
der
Veranlagungstheoretiker ab, indem er die Wanderarmut als Folge des
Niedergangs des Handwerks durch die industrielle Revolution
bezeichnete. Er führte die Problemlage auf gesellschaftliche Faktoren
und nicht auf Defizite des Individuums zurück. Dennoch unterschied er
zwischen arbeitsscheuen und arbeitsuchenden Wohnungslosen, die er
durch das Angebot von körperlicher Arbeit voneinander trennen
wollte.
37
Die Vertreter der Veranlagungstheorien sahen das Problem der
Wohnungslosigkeit dagegen pathologisch begründet. Es wurde der
Begriff der ,,Poriomanie" als eine Art Wandertrieb eingeführt. Die
36
BAG Wohnungslosenhilfe 2005, S.102
37
Vgl. Lutz, Simon 2007, S.59ff

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
14
-
Ursachen wurden daher ausschließlich im Individuum gesucht und die
mobile Lebensweise als behandelbar eingestuft.
Als in den 1920er Jahren die Wanderarmut durch die wirtschaftliche
Depression zu einem Massenphänomen wurde, bildete sich ein
politischer Zusammenschluss, die
,,Bruderschaft der Vagabunden". Die
Lebensform der Vagabunden wurde als Ausdruck revolutionärer Praxis
gesehen und hatte stark sozialromantische und sozialrevolutionäre
Züge.
In der NS-Zeit wurden die Wohnungslosen unter dem Oberbegriff
,,nichtsesshaft" in K
ategorien unterteilt, in denen ihnen Eigenschaften,
wie Volksschädlichkeit oder Kriminalität zugeschrieben wurden.
Besonders Zigeuner oder als solche Bezeichnete wurden in
Konzentrationslager deportiert.
38
Auch nach dem Krieg hatten die
Veranlagungstheorien weiterhin Bestand. Erst 1967 wurde in einem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum §73 BSHG die
zwangsweise
Heimunterbringung
von
Wohnungslosen,
die
ausschließlich der Besserung und nicht dem Selbst- oder Fremdschutz
diente, als verfassungswidrig eingestuft.
39
Die Sicht von der
Behandelbarkeit dominierte aber weiterhin die Fachöffentlichkeit.
In den 80er und 90er Jahren gerieten zunehmend die Faktoren Armut
und Unterversorgung in den Blickpunkt. Es wurde angenommen, dass
nach Beseitigung der Ursachen von Armut gleichzeitig auch die
Wohnungslosenproblematik behoben sei.
40
Bis heute existiert eine
Vielzahl von verschiedenen Erklärungsansätzen. Die wichtigsten sollen
im Folgenden kurz dargestellt werden.
1.4.2 Aktuelle Erklärungsansätze
Als allgemeines Rechtfertigungsmuster der Gesellschaft existiert bis
heute das Selbstverschuldungsprinzip (Individualisierung). Die
Ursachen für die Wohnungslosigkeit werden in der Person selbst
gesucht. Dabei wird ausschließlich das Verhalten problematisiert, die
gesellschaftlichen
Umstände,
Reaktionen
und
materiellen
38
Vgl. Lutz, Simon, 2007, S.62ff
39
Vgl. Lutz, Simon 2007, S.67
40
Vgl. Lutz, Simon 2007, S.68f

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
15
-
Bedingungen bleiben unbeachtet. Mit der Einstellung ,,jeder ist seines
Glückes Schmied" dient hier individuelles Fehlverhalten als
Erklärung.
41
Wissenschaftlich fundierter gestalten sich die Theorien abweichenden
Verhaltens. Auf Grundlage der Anomietheorie von Durkheim erklärt
Robert K. Merton abweichendes Verhalten als Folge der Diskrepanz
zwischen den kulturell vorgegebenen Zielen der Gesellschaft
(wirtschaftlicher Erfolg, sozialer Aufstieg usw.) und den zu deren
Erreichung zur Verfügung stehenden legitimen Mitteln. Da diese in der
Gesellschaft ungleich verteilt sind, entsteht bei Betroffenen, die nicht
über genügend Mittel verfügen, anomischer Druck. Die Reaktion
darauf kann unterschiedlich verlaufen. Im Falle der Wohnungslosigkeit
kann sie in Form einer totalen Ablehnung der Ziele und Mittel erfolgen.
Auch starker Alkoholkonsum ist aus gesellschaftlicher Sicht
,,abweichend" und kann daher eine mögliche Reaktionsweise
darstellen. Um die Ziele trotz fehlender Mittel erreichen zu können,
werden oft auch illegitime Mittel, wie z.B. kriminelles Verhalten,
eingesetzt, was auf lange Sicht gesehen, ebenfalls zu
Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit führen kann.
42
Eine weitere wichtige Erklärungsform
ist der ,,Labeling
-Approach
Ansatz". Hier wird abweichende
s Verhalten als Ergebnis
gesellschaftlicher Zuschreibungsprozesse interpretiert. An bestimmte
Merkmale werden viele weitere Eigenschaften geknüpft und diese auf
den Betroffenen projiziert. Durch diese generalisierte Zuschreibung
erhält der Betroffene eine neue Identität, die einer Statusdegradierung
gleichkommt. Infolgedessen wird das Stigma im Laufe der Zeit, im
Sinne einer ,,Self
-fulfilling-prophecy
", von der Person übernommen und
die zugeschriebenen Eigenschaften verinnerlicht. Dieser Prozess kann
sowohl informell, als auch formell durch die Instanzen sozialer
Kontrolle erfolgen. Bei wohnungslosen Alkoholabhängigen ist diese
Gefahr besonders groß, da sie sich vorwiegend im sichtbaren
öffentlichen Raum bewegen und Kontakt zu verschiedenen sozialen
41
Vgl. Herrmann et al. 1981, S. 37
42
Vgl. Herrmann et al. 1981, S.44f; Lamnek 1994, S.18f

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
16
-
Einrichtungen und Behörden haben. Diese können das Stigma
ungewollt ,,mit Amt und Siegel" bestätigen.
43
Weitere Ansätze wie die Sündenbocktheorie, das Subkulturkonzept
oder das Konzept der Randgruppe, weisen große Parallelen zu den
vorgestellten Theorien auf und sollen daher hier keine weitere
Beachtung finden.
Für die Erklärung von Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
eignet sich vor allem noch das Konzept der kritischen
Lebensereignisse, da es sozio-ökonomische Faktoren mit den
individuellen Biographien der Betroffenen verbindet.
1.4.3 Kritische Lebensereignisse
Dass nicht jeder Lebenslauf in geregelten Bahnen verläuft und
berechenbar ist, ist unbestritten. Der ,,Mann unter der Brücke", der
alles verloren hat und ein Leben am Rande der Gesellschaft führt, ist
das beste Beispiel. Was im allgemeinen Sprachgebrauch als
Schicksalsschlag bezeichnet wird, gilt in der Fachöffentlichkeit als
kritisches Lebensereignis. Jeder Mensch erfährt im Laufe seines
Lebens einige dieser Ereignisse. Die meisten sind normativ, d.h.
altersgebunden und ihr Auftreten im Verlauf des Lebens relativ
wahrscheinlich. Zu diesen Ereignissen gehören z.B. Schulwechsel,
Ablösung vom Elternhaus oder der Eintritt ins Berufsleben.
Havinghurst bezeichnet ein solches Ereignis als Entwicklungsaufgabe,
"die zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einer Phase im Leben
eines Individuums auftritt, deren erfolgreiche Bewältigung zu
Zufriedenheit und zu Erfolg mit späteren Aufgaben führt, während
Misserfolg in der Unzufriedenheit des Individuums, der Missbilligung
der Gesellschaft und Schwierigkeiten mit späteren Aufgaben
resultiert.
"
44
Kritische Lebensereignisse, die altersunabhängig und wesentlich
seltener auftreten, sind non-normativ. Sie treffen eine Person
43
Vgl. Herrmann et al. 1981, S.45f; Lamnek 1994, S.23f
44
Havinghurst 1972, zitiert nach Freund und Baltes 2005, S.37

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
17
-
überraschend und wirken aufgrund der fehlenden Vorhersehbarkeit
meist schwerwiegender.
Ein Leben kann daher bildhaft als Hindernisparcours beschrieben
werden. Die Anzahl und Höhe der Hürden, sowie die persönliche
Sprung- und Durchhaltekraft variiert individuell. Wenn kritische
Lebensereignisse nicht erfolgreich bewältigt werden, können
verschiedene Probleme auftreten. Wohnungslosigkeit kann auf der
einen Seite das Ergebnis nicht bewältigter Ereignisse sein, sie kann
auf der anderen Seite jedoch auch ein eigenständiges kritisches
Lebensereignis darstellen.
Wohnungslosigkeit als Folge von kritischen Lebensereignissen.
Was genau die Ursache für Wohnungslosigkeit darstellt, kann nicht
beantwortet werden. Es kann kein klarer Ursache-Wirkungs-
Zusammenhang festgestellt werden, da sich die Biographien jedes
einzelnen Wohnungslosen voneinander unterscheiden. Es sind
komplexe Bedingungsgefüge, aus individuellen und gesellschaftlichen
Faktoren, die letztendlich zum Verlust der Wohnung führen. Befragt
man Betroffene nach den für Sie ausschlaggebenden Gründen, so
erhält man Antworten, so vielschichtig wie die Lebensläufe. Meist
werden mehrere Ereignisse genannt, die sich gegenseitig bedingten
und am Ende Wohnungslosigkeit zur Folge hatten. In der persönlichen
Einschätzung wird jedoch meist einem Ereignis die größte Bedeutung
zugeschrieben.
Giesbrecht führte 1984 in Hagen eine qualitative Fallstudie an
alleinstehenden Wohnungslosen durch. In diesem Rahmen berichtete
Richard L. von finanziellen Problemen in der Kindheit, dem frühen Tod
des Vaters an Kriegsfolgen, und einer daraus resultierenden hohen
Verantwortung für die Familie. Arbeitswechsel, Umzug, Eheschließung
und die Geburt zweier Kinder wurden als positiv beschrieben. Der
ausschlaggebende Punkt, der später zur Wohnungslosigkeit führen
sollte, war seiner Beschreibung nach der plötzliche Tod seiner Frau.
Diesem Ereignis folgte starker Alkoholkonsum um den Tod seiner Frau
zu ,,vergessen". Trotz dieser Probleme konnte er weiter seiner Arbeit

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
18
-
nachgehen und seine Kinder versorgen. Aus gesundheitlichen
Gründen musste er einige Zeit später seine Arbeit aufgeben und
machte eine erfolgreiche Entziehungskur. Er heiratete wieder und fand
einen anderen Beruf. Nach Untreue seiner zweiten Frau folgte die
Scheidung und er zog zu seiner pflegebedürftigen Mutter. Als diese
starb ging er ein Schwarzarbeitsverhältnis mit Wohnmöglichkeit ein.
Der Betrieb machte einige Jahre später Pleite und Richard stand
plötzlich ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld auf der Straße.
In weiteren Interviews berichten Betroffene von Eheproblemen,
Scheidung, plötzlicher Erkrankung, Verlust der Arbeitsstelle und
finanziellen Problemen.
Auffällig ist, dass die Verhältnisse in den Herkunftsfamilien meist
problembeladen waren, seien es finanzielle Nöte, gewaltgeprägte
Umstände oder Alkoholkonsum der Eltern. Hier wird die besondere
Bedeutung von sozialen Kontextfaktoren und sozialer Unterstützung
deutlich. Die meisten Betroffenen stammen aus der Arbeiterschicht
und blieben bei der eigenen Berufswahl ihrer Herkunft treu.
45
Gerade
diese Berufsgruppen mussten in den letzten drei Jahrzehnten
zunehmend mit Strukturkrisen des Arbeitsmarktes kämpfen.
Arbeitsplatzabbau durch technischen Fortschritt, mehr befristete
Arbeitsverhältnisse, Mobilitätszwang, weniger Aufstiegschancen sowie
gefährliche und anstrengende Arbeitsbedingungen lassen keine
langfristige Planung einer gesicherten Lebenssituation zu. Die Gefahr
an einer dieser Hürden zu scheitern ist ungleich höher als in der
Gesamtbevölkerung. Zudem besitzen diese Personengruppen oft
weniger familiären und sozialen Rückhalt, sowie weniger stützende
Ressourcen. Wenn in einem solchen belastenden Lebenskontext ein
non-normatives kritisches Lebensereignis eintritt, so kann dieses den
Sinn der bisherigen Existenz in Frage stellen. In solchen Fällen ist die
Gefahr groß, sich den Problemen und der Verantwortung zu entziehen
und alle Verbindungen zum bisherigen Leben abzubrechen. Gerade
45
vgl. Giesbrecht 1987, S.68ff

Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Erster Teil: Grundlagen
-
19
-
bei einer Trennung von Partner und Kindern fällt der letzte Grund weg,
den problembeladenen Alltag weiterhin zu meistern.
46
Wohnungslosigkeit als kritisches Lebensereignis
Der Verlust des Wohnraums kann nicht nur Folge von kritischen
Lebensereignissen sein, er kann auch selbst ein solches darstellen.
Auch für Menschen mit unproblematischer Sozialisation kann ein
plötzlicher Verlust der Wohnung ein folgenschweres Lebensereignis
darstellen. Die Ursachen dafür sind vielfältig. So können auch
Menschen aus mittleren oder höheren sozialen Schichten betroffen
sein. Besonders in der Presse findet man Beispiele für solche
,,Schicksale". Eine Familie, die nach einem Brand das Wohneigentum
verliert.
Naturkatastrophen,
die
ganzen
Regionen
ihrer
Lebensgrundlage berauben. Ein Burnout-Syndrom bei einem hoch
bezahlten Manager, der folglich nicht mehr in der Lage ist sein Leben
zu bewältigen. Auch Fehl-Kalkulationen beim Hausbau oder bei
Selbstständigen können drastische Folgen nach sich ziehen. In diesen
Fällen ist Wohnungslosigkeit kein Ergebnis einer Vielzahl von
Ereignissen und Mängellagen, hier können meist wenige oder nur ein
Ereignis als Ursache festgestellt werden. Solche ,,Schicksale" sind
wesentlich seltener und die Biographien der Betroffenen weichen von
denen ,,normaler Wohnungsloser" ab. Zur Überwindung des kritischen
Ereignisses sind zudem meist mehr Ressourcen, wie höhere Schul-
und
Berufsabschlüsse,
soziale
Unterstützung
oder
Konfliktlösungspotential vorhanden. Dies ist jedoch keine Garantie für
eine erfolgreiche Bewältigung.
Bedeutung der Wohnsituation
Die Wohnung einer Person bedeutet nicht einfach nur ein Dach über
dem Kopf zu haben. Die geographische Herkunft ist immer auch mit
einer Ortsidentität verbunden, welche Teil der Selbstidentität ist. Mit
dem Wechsel des Wohnortes gehen viele Veränderungen einher. Die
Gewohnheit an die Umgebung, das Zugehörigkeitsgefühl zum Wohnort
46
vgl. Giesbrecht 1987, S. 20f

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836642170
DOI
10.3239/9783836642170
Dateigröße
1003 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Koblenz - Standort RheinAhrCampus Remagen – Sozialwesen, Soziale Arbeit
Erscheinungsdatum
2010 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
sucht obdachlosigkeit alkohol wohnungslosigkeit abhängigkeit
Zurück

Titel: Wohnungslosigkeit und Alkoholabhängigkeit
Cookie-Einstellungen