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Privathandel im Internet

Eine Analyse der Risikoabsorption bei Einkäufen über das Online-Anzeigenportal "markt.de"

©2008 Diplomarbeit 140 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Popularität des World Wide Web ist in den Industrieländern innerhalb des vergangenen Jahrzehnts enorm gewachsen. Wie kein anderes Medium bietet es seinen Nutzern eine umfangreiche Palette an Dienstleistungen. So waren 1997, als mit der ‘ARD-Online-Studie 1997’ die erste Repräsentativitätserhebung im deutschsprachigen Raum durchgeführt wurde, gerade einmal 6,5% der Bundesdeutschen online. Bis heute hat sich der Anteil Onliner beinahe verzehnfacht. Über 60% der Deutschen nutzen regelmäßig das Internet.
Das Internet selbst kann als Kanal für den multimedialen Ausgangspunkt des World Wide Web verstanden werden, welches den größten medialen Raum darstellt, der uns gegenwärtig zur Verfügung steht, um weltweit zu kommunizieren und durch verschiedene Text-, Bild- und Tondokumente zu navigieren. Die Computervermittelte Kommunikation kann in unterschiedlichster Form genutzt werden; zum einen als Abrufmedium von gespeicherten Dateien und Dokumenten, als Forum für Diskussionen und Debatten, als Raum für Unternehmensgründungen und Aushängeschild für bestehende Unternehmen, als Austauschmedium durch Online-Chats, Selbstdarstellungsforen und durch das Versenden und Empfangen elektronischer Post, sowie als Dienstleistungsinstrument, wie Telebanking oder E-Commerce. Letzteres hat sich soweit etabliert, dass der Handel über das Internet eine gängige und verbreitete Form des Einkaufens geworden ist. Dabei wächst nicht nur der Unternehmensabhängige E-Commerce, auch der private Handel über das Internet ist populär geworden.
Eine aktuelle Studie des Bundesverbandes Informationswirtschaft Telekommunikation und neue Medien zeigt, dass das Internet sich als Plattform für Auktionen und Kleinanzeigen endgültig durchgesetzt hat. Im Jahr 2007 haben knapp 13 Millionen Deutsche zwischen 16 und 74 Jahren private Verkäufe über das Web getätigt.
Damit liegt Deutschland innerhalb der EU auf Rang 2. ‘Der Handel über das Internet hat sein Nischendasein beendet und ist auch für Privatleute zum Standard geworden’, so Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer, Präsident des Bitkom.
Durch Globalisierung, Mobilität und Individualisierung in Verbindung mit den technischen Möglichkeiten, hat sich das Internet zu einer immer häufiger genutzten Handelsplattform entwickelt. Auch die klassische Form des Flohmarktes hat seinen Weg ins Internet gefunden, betrachtet man allein die Anzahl von Auktions- und Anzeigenportalen, über die Privatpersonen untereinander […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Daniela Lindig
Privathandel im Internet
Eine Analyse der Risikoabsorption bei Einkäufen über das Online-Anzeigenportal
"markt.de"
ISBN: 978-3-8366-4206-4
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Ludwig-Maximilian-Universität München, München, Deutschland, Diplomarbeit,
2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

1
Inhaltsverzeichnis
1.
Einführung ... 4
1.1.
Privathandel über das Internet... 4
1.2.
Thema und Ziel der Arbeit... 6
1.3.
Forschungstand... 7
1.4.
Soziologische Relevanz ... 9
1.5.
Überblick... 11
2.
Begriffsklärung... 12
2.1.
Interaktion unter Risiko und ihre Akteure ... 12
2.2.
Der Vertrauensbegriff ... 13
2.3.
Der Risikobegriff... 14
3.
Der Rationalitätstheoretische Ansatz... 16
3.1.
Die Rational-Choice-Theorie ... 16
3.1.1.
Entwicklung und Einordnung in den Sozialwissenschaften... 17
3.1.2.
Modelle des Rational-Choice-Ansatzes ... 19
3.1.3.
Kernannahmen... 21
3.1.4.
Umstrittene Annahmen und die Festlegung für die Fallstudie... 24
3.1.5.
Kritik von Rational-Choice-Erklärungen... 26
3.1.6.
Überprüfungsstrategie des RC-Modells... 28
3.2.
Psychologische Verhaltenstheorie als Ergänzung der RCT... 29
3.3.
Die Rational-Choice-These der Zeitallokation... 31
4.
Ableitung der Hypothesen ... 33
4.1.
Bezugnahme auf Vertrauen... 33
4.2.
Erfahrung und Reputation... 36
4.3.
Nutzenmaximierung und Risiko... 39
4.4.
Das Kosten-Nutzen-Kalkül ... 41
4.5.
Individuelle Restriktionen... 42

2
4.6.
Vertrauensseeligkeit und Risikobereitschaft... 43
4.7.
Allokation der Zeit... 44
4.8.
Modell der Wirkungsbeziehungen... 44
Empirischer Teil... 46
5.
Forschungsdesign ... 47
5.1.
Untersuchungsgegenstand und Forschungsziel... 48
5.2.
Das Forschungsfeld ... 49
5.3.
Zur Stichprobenziehung... 51
5.4.
Pretest und Nachuntersuchung ... 52
5.5.
Der Fragenkatalog ... 54
5.6.
Gütekriterien der Datenerhebung ... 55
5.7.
Operationalisierung der Konstrukte... 56
5.7.1.
Vertrauen ... 56
5.7.2.
Risikoabsorption ... 58
5.7.3.
Risiko ... 61
5.8.
Untersuchungsspezifische Hypothesen... 63
6.
Ergebnisse der Umfrage... 71
6.1.
Soziodemographische Schwerpunkte ... 71
6.2.
Erfahrungen und Kaufentscheidung ... 74
6.3.
Pro und Contra der Kaufentscheidung... 77
6.4.
Risikoabsorption durch Informationsbeschaffung... 80
6.5.
Erfahrungen und Risikoabsorption... 82
6.6.
Die Wirkung der Reputation ... 84
6.7.
Erwartungsnutzen, potentieller Schaden und Restriktionen ... 86
6.8.
Rationales Kalkül und Investition in Sicherheit... 91
6.9.
Restriktionen und Handlungsspielraum... 93
6.10.
Vertrauensseeligkeit und Risikofreude... 97
6.11.
Die Allokation der Zeit ... 98

3
7.
Zusammenfassung, Interpretation und Ausblick... 99
Ehrenwörtliche Erklärung ... 105
Literaturverzeichnis... 106
Abbildungsverzeichnis ... 111
Ergebnistabellen... 112
Fragebogen ... 1
23

4
1. Einführung
1.1.
Privathandel über das Internet
Die Popularität des World Wide Web ist in den Industrieländern innerhalb des
vergangenen Jahrzehnts enorm gewachsen. Wie kein anderes Medium bietet es seinen
Nutzern eine umfangreiche Palette an Dienstleistungen. So waren 1997, als mit der ,,ARD-
Online-Studie 1997" die erste Repräsentativitätserhebung im deutschsprachigen Raum
durchgeführt wurde, gerade einmal 6,5% der Bundesdeutschen online (vgl. Van Eimeren,
Gerhard & Frees, 2002, S. 346). Bis heute hat sich der Anteil Onliner beinahe
verzehnfacht. Über 60% der Deutschen nutzen regelmäßig das Internet (vgl. Pressebericht
2008/03, Nonliner-Atlas und AGOF, 2007-III).
Das Internet selbst kann als Kanal für den multimedialen Ausgangspunkt des World Wide
Web verstanden werden, welches den größten medialen Raum darstellt, der uns
gegenwärtig zur Verfügung steht, um weltweit zu kommunizieren und durch verschiedene
Text-, Bild- und Tondokumente zu navigieren. Die Computervermittelte Kommunikation
kann in unterschiedlichster Form genutzt werden; zum einen als Abrufmedium von
gespeicherten Dateien und Dokumenten, als Forum für Diskussionen und Debatten, als
Raum für Unternehmensgründungen und Aushängeschild für bestehende Unternehmen, als
Austauschmedium durch Online-Chats, Selbstdarstellungsforen und durch das Versenden
und Empfangen elektronischer Post, sowie als Dienstleistungsinstrument, wie Telebanking
oder E-Commerce. Letzteres hat sich soweit etabliert, dass der Handel über das Internet
eine gängige und verbreitete Form des Einkaufens geworden ist. Dabei wächst nicht nur
der Unternehmensabhängige E-Commerce, auch der private Handel über das Internet ist
populär geworden.
Eine aktuelle Studie des Bundesverbandes Informationswirtschaft Telekommunikation und

5
neue Medien (Bitkom, Juni 2008) zeigt, dass das Internet sich als Plattform für Auktionen
und Kleinanzeigen endgültig durchgesetzt hat. Im Jahr 2007 haben knapp 13 Millionen
Deutsche zwischen 16 und 74 Jahren private Verkäufe über das Web getätigt (vgl. Studie
Bitkom, 2008).
Damit liegt Deutschland innerhalb der EU auf Rang 2. ,,Der Handel über das Internet hat
sein Nischendasein beendet und ist auch für Privatleute zum Standard geworden", so Prof.
Dr. August-Wilhelm Scheer, Präsident des Bitkom (Pressebericht, 2008/05/05,
Webreaders).
Durch Globalisierung, Mobilität und Individualisierung in Verbindung mit den technischen
Möglichkeiten, hat sich das Internet zu einer immer häufiger genutzten Handelsplattform
entwickelt. Auch die klassische Form des Flohmarktes hat seinen Weg ins Internet
gefunden, betrachtet man allein die Anzahl von Auktions- und Anzeigenportalen, über die
Privatpersonen untereinander Secondhand-Handel betreiben. Obgleich eBay im
vergangenen Jahr einen Nutzungseinbruch erfahren hat, liegt die Nutzerzahl immer noch
bei 83 Millionen weltweit (Pressebericht, 2007/06, Wortfilter). Die Liste der Online-
Anzeigenportale in Deutschland wächst. Neben markt.de als Deutschlands größtes
Anzeigenportal
1
. haben sich Portale wie kalayo, kijiji, dhd24, lokal24, salescom24, das
Anzeigenportal, wikibuy oder quoka etabliert.
Durch die Gegebenheiten des Internets entstehen beim privaten Onlinehandel Probleme,
die sich durch wachsende und raffinierter werdende Betrugsfälle äußern
2
. Der Anreiz
opportunistischen Verhaltens im Internet wird dadurch erhöht, dass die ,,digitale Identität"
im Netz auf bloßen Angaben der Personen beruhen und keine verlässlichen Daten
garantiert. So kann der Nutzer sich in Anonymität hüllen indem er sich eine fiktive
Identität zuschreibt. Bei Handelsportalen besteht meist keine Verpflichtung
Identitätsnachweise zu liefern. Der Freigabe Identitätsnachweisender Daten stößt bei vielen
Onlinern
auf
Abwehrhaltung
aufgrund
der
Missbrauchsgefahr
durch
die
Undurchsichtigkeit des Netzes, Datenklau durch Hacking oder professionellen
Datenverkauf von Unternehmen. Letzterer hat sich nach aktuellen Meldungen des
1
Die durchschnittliche, tägliche Besucherzahl von markt.de liegt bei rund 190.000
2
Diese Statistik stammt aus internen Informationen des Portals markt.de (Stand 2008/02)

6
Datenverkaufs der Telekom AG (Stand: 2008/10) in einem Ausmaß gezeigt, welcher die
Bereitschaft der Datenfreigabe vermeintlich weiter senken wird
3
. So kann die
Rückverfolgung einer Person oft nur mit Hilfe der IP-Adresse
4
des Computers als einzig
unverfälschbares Indiz erfolgen.
Die mangelnde Sicherheit führt zu einem erhöhten Risiko gerade wenn es um
Privatgeschäfte geht. Dennoch nimmt eine Vielzahl von Internetnutzern die Risikosituation
in Kauf und investiert Zeit und Geld auf der Grundlage von Aussagen eines unbekannten
Gegenübers in der Erwartung, dass sich die Investition lohnt.
Die Frage, die sich unmittelbar daran anschließt stellt sich darin, ob die meisten Internet-
Nutzer diese scheinbare Unsicherheitssituation billigend in Kauf nehmen, und ob sie sich
über das Risiko, welches sie mit dem Onlinegeschäft eingehen, bewusst sind. Herrscht ein
Risikobewusstsein unter der Individuen vor, interessiert es inwieweit dieses Risiko ihr
Handeln beeinflusst und ob sie gemäß rationaler Handlungstheorien nach einem Kosten-
Nutzen-Kalkül entscheiden. Außerdem ist von Interesse ob sie sich dabei nach
verhaltenspsychologischer Annahme auf ihre Erfahrungen verlassen.
1.2.
Thema und Ziel der Arbeit
Die Intention der Arbeit liegt darin durch eine Fallstudie die Erklärungsstärke des
Rational-Choice-Ansatzes für individuelles Entscheidungsverhalten unter Unsicherheit zu
überprüfen, indem Hypothesen aus der Theorie abgeleitet und auf ihre Falsifizierbarkeit
empirisch getestet werden. Dabei wird das PPREMM- und das SEU-Modell des Rational-
Choice-Ansatzes, sowie Thesen der psychologischen Verhaltenstheorie und der Theorie
der Allokation der Zeit, die an die Rational-Choice-Theorie geknüpft sind, herangezogen.
Thematik der empirischen Studie ist das Vertrauensproblem beim Handel über das Online-
Anzeigenportal markt.de. Durch die Untersuchung des Entscheidungsverhaltens von
3
Aktuelle Meldungen über den Datenverkauf der Telekom-AG schüren neuen Pessimismus im Hinblick auf
den Datenschutz im Web.
4
Die Erforschung der IP-Adresse wird in schwereren Fällen vom Bundeskriminalamt für die Ermittlung
angewandt. Da sie allerdings nur den Standort des Computers ausfindig macht und nicht die Person selbst, ist
sie keine verlässliche Methode der Personenidentifizierung.

7
Nutzern des Handelsportals, kann eine Verbindung von aktuellem Zeitgeschehen und
Handlungstheorie geschaffen werden. Der Handel über Internetportale steht unter dem
Gesichtspunkt riskant zu sein, demnach richtet sich die Theorieprüfung nach Handlungen
unter Unsicherheit.
In der Studie werden Handlungsstrategien von Käufern auf dem Anzeigenportal markt.de
erschlossen, mit welchen sie ihre Unsicherheit reduzieren. Die allgemeine Forschungsfrage
dieser Arbeit stellt sich darin, inwieweit Individuen vertrauen, das heißt sich auf die
Loyalität des Gegenübers verlassen und wie viel sie im Gegenzug unter welchen
Umständen investieren, um ihre Unsicherheit zu mindern. Dabei wird der Einfluss von
Erfahrungen, Restriktionen, des Risikos und des Nutzens auf das rationale
Entscheidungskalkül, zu vertrauen oder sich zusätzlich Information zu beschaffen,
überprüft. Auf die genaue Vorgehensweise der Studie wird in Zusammenhang mit der
Vorstellung
des
Forschungsgegenstandes,
des
Forschungsziels
und
der
Forschungshypothesen zu Beginn des empirischen Teils eingegangen.
1.3.
Forschungstand
Das wissenschaftliche Interesse Vertrauen zu untersuchen ist mit Zunahme von
Globalisierung und Individualisierung gestiegen. So konnte Ripperger vor zehn Jahren
noch behaupten, die aufgrund ihrer intensiven Wechselwirkung äußerst komplexe
Beziehung zwischen Risiko und Vertrauen sei geringfügig erforscht (vgl. Ripperger, 1998,
S.91). Heute existiert dagegen eine Reihe von Studien über Vertrauen im Zusammenhang
mit Risiko, die vorwiegend am Rational-Choice-Ansatz und im Speziellen an
spieltheoretischen Modellen angesetzt sind.
In vorliegender Studie wird in Anlehnung an die Rational-Choice-Theorie Vertrauen beim
Privathandel über das Internet untersucht. Das Untersuchungsfeld ist das bisher größte
Online-Anzeigenportal in Deutschland, das Handelsportal markt.de.
Der heutige Forschungsstand liefert eine Reihe von Studien über die
Vertrauensproblematik bei E-Commerce und beim Privathandel über das Auktionsportal
eBay. Allerdings bleiben vergleichbare Studien, welche die Risikoproblematik und ihren
Umgang beim Handel über Anzeigenportale wissenschaftlich untersuchen, bis

8
dato aus. Es existieren zwar einige Studien über Online-Anzeigenportale, allerdings sind
diese von den Portalbetreibern selbst veröffentlicht und dienen mehr dem Marketing als
der wissenschaftlichen Analyse des Vertrauensproblems bei den Geschäften ihrer Nutzer.
Der Forschungstand über Verhaltenstrategien des E-Commerce liefert ansatzweise
Anhaltspunkte für den Inhalt dieser Arbeit. Allerdings unterscheidet sich der Handel über
Anzeigenportale im Internet in einigen relevanten Punkten vom Handel über das
Auktionsportal eBay und dem reinen E-Commerce. Worin diese Unterschiede liegen, wird
im Verlauf der Arbeit deutlich. Vorab sei gesagt, dass sich die Geschäftspartner beim
Handel über Anzeigenportale auf keinerlei Verträge oder Sanktionsbestimmungen dritter
Instanzen berufen können, während bei eBay Kontrollsysteme von Dritten existieren. Der
Handel über ein Anzeigenportal ist in besonderem Maße ,,privat" und charakterisiert sich
durch informelle Geschäftsbeziehungen oder ,,Handschlaggeschäfte".
Im Folgenden soll kurz auf beispielhafte Studien der Vertrauensproblematik beim Online-
Auktionshandel eingegangen werden.
Die meisten Studien über eBay untersuchen die Wirkung des Bewertungssystems auf die
Vertrauenseinstellung der Käufer. Durch dieses System werden Informationen Dritter über
den registrierten eBay-Nutzer veröffentlicht um seine Vertrauenswürdigkeit zu
signalisieren.
Die Studie von Diekmann und Wyder ,,Reputation und Vertrauen bei Internet-Auktionen"
(2002), als auch die von Berger und Schmitt ,,Vertrauen bei Internetauktionen und die
Rolle von Reputation, Information, Treuhandangebot und Preisniveau" (2005) untersuchen
die Reputation bei Internetauktionen auf eBay.
In der Arbeit von Diekmann und Wyder geht es um Reputation, Kooperation, Vertrauen,
opportunistisches Verhalten und Markteffizienz. Die Studie von Berger und Schmitt
handelt außerdem von Preisniveaueffekten und dem Einfluss eines Treuhänders. Beide
Untersuchungen generieren ihre Erklärungsansätze aus dem Rational-Choice-Ansatz und
der Spieltheorie. In beiden Arbeiten wird davon ausgegangen, dass anonyme
Tauschpartner in Internet-Auktionen mit hoher Wahrscheinlichkeit opportunistisch
handeln werden. Wyder und Diekmann beziehen sich dabei insbesondere auf das
Gefangenendilemma der Spieltheorie, bei welchen einer der Akteure eine Vorleistung
erbringen muss. Berger und Schmitt beziehen sich ebenfalls auf

9
Informationsasymmetrien, die zwischen beiden Akteuren herrscht. Die Forscher
überprüfen die aus der Theorie rationalen Verhaltens stammenden Lösungsmöglichkeiten
der Reputation und der Vergabe von Zusatzinformationen (vgl. Berger & Schmitt, S.90/92
und Diekmann & Wyder, S.575f.) Berger und Schmitt untersuchen zusätzlich die Wirkung
der Einschaltung eines Treuhänders.
Als signifikant für die hier durchgeführte Untersuchung bleibt festzuhalten, dass das
Ergebnis von Berger und Schmitt nur eine beschränkte Einflusskraft der Reputation auf die
Überwindung der Vertrauensproblematik bestätigt (vgl. Berger & Schmitt, S.107f).
Daneben ist für diese Untersuchung das Ergebnis von Diekmann und Wyder, entscheidend,
dass Käufer bereit waren mehr Geld zu bezahlen, um mit einem Verkäufer mit Reputation
ins Geschäft zu kommen (vgl. Diekmann & Wyder, S.689f). Dies zeigt die
Investitionsbereitschaft in mehr Sicherheit, was Anlass dazu gibt, diese auch in
vorliegender Fallstudie zu überprüfen.
Neben den beiden vorgestellten Studien existieren andere, die die Wirkung von Reputation
bei Internetauktionen untersuchen. So sind beispielhaft die Studien von Resnick und
Zeckhauser (2002), Lucking-Reiley (2000), Mc Donald und Slawson (2001), Houser und
Wooders (2001), oder Raub und Weesie (2000) zu nennen.
Tendenziell werden in den Studien Reputationseffekte auf die Vertrauenserwartung
bestätigt. Der Reputationseffekt auf Vertrauen soll auch in dieser Studie untersucht
werden. Das Hauptaugenmerk dieser Fallstudie liegt allerdings darin, die Wirkung von
individuellem Kosten-Nutzen-Kalkül, von Restriktionen und Erfahrungen auf das Handeln
unter Risiko nach Vorbild der Rational-Choice-Theorie zu erforschen.
1.4.
Soziologische Relevanz
Die Rational-Choice-Theorie liefert Erklärungsmodelle mit welchen individuelles
Verhalten und ihr kollektives Ergebnis prognostiziert werden soll. Dabei verbindet sie
Mikroebene und Makroebene. Es steht außer Frage, dass die Rational-Choice-Theorie in
der Soziologie ihren Platz als eine der wichtigsten instrumentellen Verhaltenstheorien des
individualistischen Paradigmas eingenommen hat. Doch wie alle Theorien

10
müssen auch Rational-Choice-Modelle an der Empirie getestet und die Falsifizierbarkeit
ihrer Annahmen und Ableitungen getestet werden. Der Rational-Choice-Theorie wird
häufig eine unzureichende Anzahl empirischer Belege unterstellt (Goldthrope, 2000, Kap.
5). Diese Arbeit soll dazu beitragen dem diagnostizierten Datendefizit des Rational-
Choice-Ansatzes entgegenzusteuern.
Die Rational Choice spielt in der Wirtschaftssoziologie eine zentrale Rolle und wird
zugleich kontrovers diskutiert. Dabei gehen insbesondere die Annahmen über strikte
Rationalität auf der einen Seite und sozialer Einbettung des rationalen Wahlverhaltens auf
der anderen Seite auseinander. Mit der Überprüfung rationalitätstheoretischer Thesen am
Fallbeispiel der Vertrauensproblematik beim Handel über das Anzeigenportal markt.de,
soll ein empirischer Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Anwendbarkeit des
Theorieansatzes geleistet werden. Schließlich besteht eine der Hauptaufgaben der
soziologischen Wissenschaft darin, neben der Erklärung sozialer Phänomene die
Theoriemodelle auf ihre Robustheit zu testen.
Wie im vorangegangenen Kapitel zum Forschungsstand erwähnt, liegen bisher keine
expliziten
wissenschaftlichen
Studien
über
die
Vertrauensproblematik
bei
Anzeigenportalen im Internet vor, da der Forschungsstand weitestgehend auf die
Handelsplattform eBay oder dem reinen E-Commerce beschränkt ist. Folglich besteht die
praktische Relevanz der Arbeit darin die Forschungslücke zu füllen und das
Geschäftsverhalten der Nutzer von Anzeigenportalen zu untersuchen. Die Arbeit soll
außerdem Anstoß zur weiteren Erforschung des Verhaltens auf Anzeigenportalen geben,
da deren Nutzerzahlen von Jahr zu Jahr steigen. Das Phänomen des Secondhand-Handels
unter Privatpersonen über Anzeigenportale ist hochaktuell, wie an den zahlreichen
Webseiten dieser Art und ihrer Verbreitung zu sehen ist. Es muss demnach Aufgabe der
soziologischen Wissenschaft sein, dieses Phänomen sozialen Verhaltens in unserer
heutigen Zeit genauer zu untersuchen.
Daneben kann die Arbeit im Allgemeinen zu einem besseren Verständnis von Risiko und
Vertrauen sowie grundlegender sozialer Prozesse, des sozialen Austauschs, der
Kooperation und der sozialen Einbettung rationalen Entscheidens beitragen.

11
1.5.
Überblick
Die Arbeit besteht aus zwei Teilen, einem theoretischen und einem empirischen Teil. In
ersterem werden themenrelevante Begriffe theoriespezifisch definiert und von ihrem
Alltagsgebrauch abgegrenzt sowie die Problemstellung der Thematik in die Theorie
eingebettet. Aus den skizzierten Theoriemodellen werden Hypothesen abgeleitet, welche
anschließend in einer empirischen Fallstudie überprüft werden. Im zweiten Teil der Arbeit
wird die Studie mit ihren forschungsrelevanten Ergebnissen beschrieben.
Der theoretische Teil widmet sich zunächst der wissenschaftlichen Begriffsdefinition und
der Beschreibung der angewandten Rational-Choice-Modelle und ihrer Prämissen, sowie
rationalitätstheoretischer Annahmen der psychologischen Verhaltenstheorie und der
Zeitallokation. Daran anschließend wird die Thematik von Vertrauen theoretisch
eingebettet, um Hypothesen abzuleiten, die in der Fallstudie empirisch überprüft werden.
Zuletzt wird eine eigene Modellierung des Problemverhalts vorgestellt, die vermutete
Einflüsse und Wirkungsweisen auf das individuelle Entscheidungskalkül unter Risiko
zusammenfassen und den Kern des Untersuchungsproblems bildlich darstellen.
Der empirische Teil beschreibt die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte Studie.
Vorab wird ein Überblick über Forschungsdesign, Forschungsziel und Vorgehensweise der
Erhebung vermittelt. Es folgen die Operationalisierungen theoretischer Konstrukte für die
anschließende Übertragung theoretisch abgeleiteter Hypothesen in spezifische
Arbeitshypothesen. Im Anschluss werden die essentiellen Ergebnisse der gewonnenen
Daten zur Überprüfung der einzelnen Arbeitshypothesen dargestellt und erläutert.
Im Schlussteil erfolgt eine kurze Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse in
Bezug auf die Theorie. Dabei soll nicht darauf verzichtet werden, die durchgeführte Studie
zu reflektieren und kritisch zu beleuchten. Abschließend werden Empfehlungen für die
wissenschaftliche Weiterarbeit gegeben

12
2. Begriffsklärung
Dieses Kapitel dient vorab der Erläuterung von interdisziplinären Begriffen und ihrer
Anwendung in dieser Arbeit. Es werden kurz die Benennungen der spezifischen
Interaktionsbeziehung unter Risiko und ihrer beteiligen Akteure erläutert, welche im
fortlaufenden Text verwendet werden. Daneben wird näher auf die alltagsgebräuchlichen
Begriffe des Vertrauens und des Risikos eingegangen, indem sie wissenschaftlich definiert
und eingegrenzt werden.
2.1.
Interaktion unter Risiko und ihre Akteure
Die Interaktionsbeziehung ist der Ausgangspunkt einer riskanten Handlungsentscheidung
eines Individuums. In der Untersuchung wird von einer Interaktionsbeziehung
ausgegangen, welche in besonderem Maße durch Risiko gekennzeichnet ist. Sie äußert sich
in einer informellen Geschäftsbeziehung, die kurzzeitig und einmalig zwischen zwei
unbekannten Personen über das Internet entsteht. Sie wird im fortlaufenden Text auch als
Transaktions-, oder Geschäftsbeziehung bezeichnet.
Die Personen welche miteinander in eine Handlungsbeziehungen treten, werden Akteure
genannt. In dieser Arbeit geht es vor allem um die Analyse von individuellem Verhalten,
von Entscheidungen unter Risiko, und Vertrauen als Reaktion auf Risiko.
Dementsprechend
werden
die
Interaktionspartner
als
Vertrauensgeber
und
Vertrauensnehmer bezeichnet. Da der Untersuchungshintergrund eine Geschäftsbeziehung
ist, werden die Akteure außerdem als Käufer und Verkäufer oder als Geschäftspartner,
bezeichnet. Der rationale Entscheider, um den es in der empirischen Studie geht, ist der
Käufer. Er ist gleichzeitig der Vertrauengeber, welcher dem Verkäufer mehr oder weniger
Vertrauen schenkt, indem er sich vor dem Kauf der Ware zusätzliche Informationen in
stärkerem oder geringerem Maße einholt.

13
2.2.
Der Vertrauensbegriff
Der Vertrauensbegriff muss an dieser Stelle eingegrenzt werden, um klarzustellen wie er
im Zusammenhang der Forschungsarbeit zu verstehen ist, denn Vertrauen ist ein
weitläufiger Begriff und vielfältig in seinem Alltagsgebrauch.
Vertrauen kann eine Emotion sein, eine positive Einstellung gegenüber einer Sache oder
einem Menschen. Vertrauen kann Zuversicht, Hoffnung oder Glaube sein. Vertrauen kann
ein einvernehmliches Abkommen sein, eine emotionale oder rationale Bindung zwischen
Individuen, Gruppen oder Institutionen. Man kann in die Fähigkeiten eines Menschen
vertrauen oder aber in dessen Vertrauenswürdigkeit. Letzteres Begriffsverständnis spielt in
dieser Arbeit eine entscheidende Rolle.
Vertrauen wird hier als eine Erwartung an eine andere Person und gleichzeitig als eine aus
der Erwartung resultierende Handlungsentscheidung definiert. Vertrauen als Erwartung
kann unterschiedlich groß sein und bedeutet nicht zwangsläufig entweder vollkommenes
Vertrauen oder vollkommenes Misstrauen. Ist dies der Fall wird es in unserem
Sprachgebrauch explizit geäußert: ,,Ich vertraue Dir hundertprozentig." Es ist daher
möglich einer Sache oder einer Person mehr oder weniger zu vertrauen. Die
Vertrauenserwartung entsteht durch das Fehlen von Informationen, sowie durch
Beurteilung vorhandener Informationen, situationsspezifisch wie erfahrungsgemäß, über
Naturzustände sowie den Interaktionspartner (vgl. Giddins, 1995, S.48).
Die Vertrauensentscheidung ist die indirekt beobachtbare Folge der Vertrauenserwartung.
Sie folgt aus der Abwägung von Handlungsalternativen und Handlungsausgängen mit dem
Hintergrund der Vertrauenserwartung. Vertrauen an sich ist kein sichtbares Phänomen und
äußert sich erst innerhalb einer Interaktion (vgl. Offe, 2001a, S.365). Dabei ist die
Handlungsentscheidung ,,Vertrauen" nicht sichtbar, sondern wird nur in ihrem
spiegelbildlichen Äquivalent deutlich. Misstrauen wird an Kontrollhandlungen oder
Informationsbeschaffung einer Person beobachtbar.
Die Menge an Vertrauen, die der Käufer an den Verkäufer innerhalb der
Geschäftsbeziehung entgegenbringt, wird in der empirischen Studie an seinen
Informationsbeschaffungen im Sinne der Risikoabsorption erschlossen. Ist die Rede davon,
wie viel ein Akteur seinem Gegenüber Vertrauen schenkt, bedeutet es wie viel zusätzliche

14
Information er einholt.
In der Systemtheorie wird Vertrauen als Maßnahme zur Komplexitätsreduktion definiert,
um Entscheidungen treffen zu können. Da Ressourcen in Form von Zeit und kognitiven
Fähigkeiten der Menschen begrenzt sind, können sie sich über Informationslücken nicht
anders als durch Vertrauen hinwegsetzten, um handlungsfähig zu bleiben. Vertrauen stellt
dabei ein funktionales Äquivalent von Misstrauen dar, und beide Handlungsalternativen
stehen dabei in Abhängigkeit von der sozialen Situation, die durch Komplexität
gekennzeichnet ist (vgl. Luhmann, 2000, S.28).
In der Rational-Choice-Theorie wird Vertrauen als rationales Kalkül definiert, mit dem
Risiko und Nutzen abgewogen werden. Vertrauen ist aus ökonomischer Sicht eine
effiziente Reaktion auf eine Information, eine Handlung oder ein Angebot einer Person, da
mit Vertrauen auf Kontrollmaßnahmen und Informationsbeschaffung verzichtet werden
kann. ,,Die Entscheidung zu vertrauen bedeutet auf Maßnahmen zur Kontrolle und
Absicherung bewusst zu verzichten" (Ripperger, S 45). Ist die Entscheidung zu vertrauen
aufgrund des Risikokalküls angemessen oder vertretbar, gilt es als rational, blindes
Vertrauen hingegen nicht.
Beide Sichtweisen, Vertrauen als Funktion der Komplexitätsreduktion und als rationales
Entscheidungskalkül, sind zentral für die Erklärung von Vertrauen als
Handlungsentscheidung unter Unsicherheit in einer Interaktionsbeziehung und werden in
der Fallstudie empirisch überprüft.
2.3.
Der Risikobegriff
Wie in der rationalitätstheoretischen Definition von Vertrauen deutlich geworden, hängt
Vertrauen unmittelbar mit Risiko zusammen. Diese Aussage liegt in der Annahme des
möglichen Opportunismus begründet
5
.
Risiko lässt sich definieren als das Produkt des potentiellen Schadens und seiner
Eintrittswahrscheinlichkeit. Es besteht immer dann, wenn ein Handlungsausgang nicht
5
Opportunismus bedeutet hier unkonformes instabiles Verhalten, das nach der Facon und des Eigeninteresses
eines Akteurs gerichtet ist. Seine Bedeutung im Zusammenhang von Vertrauen und Risiko wird im
fortlaufenden Text deutlich.

15
sicher ist. Daher existiert innerhalb einer Interaktion generell ein Risiko. Das Risiko einer
Interaktionsbeziehung ist auf die Annahme der begrenzten Rationalität und der begrenzten
Information
zurückzuführen,
welche
damit
einhergeht,
dass
nicht
alle
Handlungsmöglichkeiten vorhergesehen werden können. Vollkommene Rationalität und
vollkommene Information sind theoretische Konstrukte, welche in der Praxis nicht
realistisch sind.
Der Risikobegriff wird in dieser Arbeit generell mit der Ausgangssituation in Verbindung
gebracht, in der sich der Käufer in der Geschäftsbeziehung befunden hat. Diese riskante
Ausgangssituation ist Gegenstand der Untersuchung, deren Einfluss auf das individuelle
Verhalten untersucht wird. Um die erläuterten Begriffe zu verwenden, wird der Einfluss
des Risikos innerhalb der Transaktionsbeziehung auf die Vertrauensentscheidung des
Käufers untersucht.

16
3. Der Rationalitätstheoretische Ansatz
In dieser Arbeit werden aus der rationalen Handlungstheorie Hypothesen abgeleitet, um
ihre Robustheit anhand empirischer Daten zu überprüfen. Die Rational-Choice-Theorie
stellt das Grundgerüst der im Rahmen der Arbeit durchgeführten Untersuchung dar und
dient der Ableitung ihrer Hypothesen. Der Ansatz wird für die Arbeit herangezogen, da die
Untersuchungsthematik individuelle Entscheidungen umfasst, deren Zweck das Erreichen
eines bestimmten Ziels ist: der Erwerb einer Ware welche von einer Privatperson im
Internet angeboten wird. Zudem wird auf das Kosten-Nutzenkalkül von Investitionen
eingegangen, welche als Maßnahmen zur Unsicherheitsabsorption aufgrund des riskanten
Handlungshintergrundes dienen.
Im Folgenden wird die Bedeutung der Rational-Choice-Theorie in den
Sozialwissenschaften verdeutlicht und eine Auswahl ihrer Modelle, ihrer Kernaussagen
sowie ihren umstrittenen Annahmen vorgestellt.
Mitunter werden Hypothesen aus der psychologischen Verhaltenstheorie und der Theorie
der Allokation der Zeit hergeleitet, die in den Bereich des Rational-Choice-Ansatzes
einzuordnen sind. Daher wird kurz auf ihre essentiellen Aussagen für die
Hypothesenableitung eingegangen.
3.1.
Die Rational-Choice-Theorie
Innerhalb der Sozialwissenschaften existieren annähernd so viele Begrifflichkeiten für die
Rational-Choice-Theorie wie es verschiedene Theoriefelder für diesen Ansatz gibt. Neben
der Rational-Choice-Theorie spricht man auch von der Theorie der rationalen Wahl, der
Nutzentheorie oder Rationalverhaltenstheorie. Im fortlaufenden Text der gesamten Arbeit
werden die Abkürzungen RC für Rational-Choice und RCT für die Rational-Choice-
Theorie verwendet.

17
3.1.1. Entwicklung und Einordnung in den Sozialwissenschaften
Die RCT hat sich in den Sozialwissenschaften zu einer bedeutungsvollen Theorie als
individualistisches Paradigma der Handlungstheorie entwickelt. Als ursprünglich
ökonomische Theorie hilft sie bei der Erklärung sozialer Phänomene insbesondere auf der
Mikroebene. ,,Sie [Die ökonomische Theorie] erlaubt die Modellierung der Dynamik
sozialer Beziehungsformen mit ihren emergenten Struktureffekten als Folge
strukturvermittelten Handelns" (Müller/ Schmid, 1989, S. 11).
Die Rationale Wahl als Theoriezweig der Logik hat einen frühen Ursprung. Im Werk von
Aristoteles der ,,Nikomachischen Ethik" (322 v. Chr) beschreibt Aristoteles die rationale
Wahl als zentral für das Ziel des Lebens: die Eudaimonie6. Rationalität sei ein Instrument
um Ziele oder Zustände zu erreichen, welche selbst nicht von Vernunft bestimmt sind (vgl.
Aristoteles, 1980, S.54). ,,Choice is deliberate desire", oder in anderen Worten ,,choice is a
desire and reasoning with a view to an end"(Aristoteles, 1980, S.139). Die rationale Wahl
ist demnach dann rational, wenn es mit dem übereinstimmt was eine Person bevorzugt oder
wünscht. Sie bezieht sich außerdem auf Erwartungen und zukünftige Ergebnisse einer
Handlung. Damit legt Aristoteles den Grundstein für die rationalitätstheoretische Annahme
der instrumentellen Handlung im Sinne der eigenen Präferenzen mit einem Handlungsziel.
Die RCT spielt zunächst in den Wirtschaftswissenschaften eine entscheidende Rolle. In
dem Modell des Homo oeconomicus der Neoklassischen Theorie wird dem Individuum per
Definition rationales Verhalten zugeschrieben. Durch individualistische und
spieltheoretische Modelle wird diese Rationalitätsannahme näher bestimmt, welche später
von einigen Soziologen für die Analyse individuellen Verhaltens nutzbar gemacht worden
ist.
Mit Max Weber kam Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts die Rational Choice in den
Sozialwissenschaften zum Einsatz. Er war einer der ersten Soziologen der rationales
Handeln analysiert hat. Er bezeichnet es als zweckrationalen Handlungstyp
7
. Weber sieht
6
Eudämonie ist ein in der praktischen Philosophie häufig gebrauchter Begriff, der bei Aristoteles das
Gedeihen oder Gelingen der Lebensführung bezeichnet. Mittelbar wird der Begriff mit Glückseligkeit und
seelischem Wohlbefinden verbunden.
7
Weber unterscheidet vier Handlungstypen, die er als traditionales, affektuelles, wertrationales und
zweckrationales Handeln bezeichnet (vgl. Weber, 1985, S:12).

18
individuelles Handeln als rational an, da es sinnhaft ist und somit für die Mitmenschen als
verstehbares Verhalten definiert werden kann. Es ist an Erwartungen des Verhaltens
anderer Menschen und von Gegenständen der Außenwelt orientiert und dient als Mittel zur
Erreichung eines bestimmten Ziels (Weber, 1985, S.11). Weber macht außerdem deutlich,
dass das zweckrationale Handeln auf ein Kalkül zurückgeht, mit welchem alle möglichen
Handlungsziele abgewogen werden. ,,Zweckrational handelt, wer sein Handeln nach
Zweck, Mitteln und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke,
wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen möglichen
Zwecke gegeneinander rational abwägt [...]"(Weber, 1985, S.13). Später wird Max Weber
wie auch Karl Popper der Begriff des Methodologischen Individualismus zugeordnet, der
sich als das dominierende Paradigma in der Handlungstheorie entwickelt.
In den fünfziger Jahren ist eine wachsende Zahl von Sozialwissenschaftlern zu der
Überzeugung gelangt, dass wirtschaftswissenschaftliche Methoden gewinnbringend für das
Studium sozialer Prozesse und Interaktionen nutzbar gemacht werden können. Neben
Niklas Luhmann, der Rationalität als Legitimation innerhalb der Rechtssoziologie
thematisiert und Norbert Elias, welcher Rationalität als Prozess im Zivilisationsverlauf
begreift, findet Jürgen Habermas die Rationalität in Kommunikation und Sprache wieder
und bringt den Begriff der Kommunikativen Rationalität auf (vgl. Luhmann (1986), Elias
(1939), & Habermas (1988)).
Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet der Handlungstheorie sind die RC-Ansätze, wie sie
sich aus dem Erkenntnisprogramm des Utilitarismus und des Homo oeconomicus in
Entgegensetzung zum rollentheoretisch geprägten Homo sociologicus heraus entwickelt
haben. Die individualistische Sichtweise der RCT konkurriert zum kollektivistisch-
normativen und dem interpretativen Paradigma. Die RCT als individualistisches Paradigma
der Handlungstheorien setzt sich schließlich ab den Neunziger Jahren durch. Ihre
Grundlage bildet dabei das Konzept des rationalen Kostenminimierenden bzw.
Nutzenmaximierenden Akteurs, das auf der Theorie des Homo oeconomicus aufbaut. Einer
ihre wichtigsten Vertreter ist unter anderen James Coleman, welcher dem
methodologischen Individualismus zuzuweisen ist. Er argumentiert situationslogisch und
erweitert das Konzept um den Einbezug der Makroebene durch sein Modell der so
genannten Colemanschen Badewanne. Außerdem sei als wichtiger Vertreter dieses
Paradigmas George Homans erwähnt, der zur Erklärung individuellen

19
Verhaltens verhaltenspsychologisch argumentiert.
3.1.2. Modelle des Rational-Choice-Ansatzes
Im Folgenden werden Modelle der RCT vorgestellt, welche für die Hypothesenherleitung
dieser Arbeit von Bedeutung sind. Dabei werden Das PREEMM-Modell sowie das SEU-
Modell in ihren Prämissen klassifiziert und interdisziplinär eingeordnet.
RC-Theoretiker gehen meist vom so genannten Homo oeconomicus als Idealbild des
Menschen aus, der als rationaler Akteur in sozialen Situationen seine verfügbaren Mittel
optimal zur Erreichung seiner Ziele einsetzt und somit seinen Nutzen maximiert
8
. Dabei
wird rationale Wahl und individuelle Nutzenmaximierung als allgemeines interdisziplinär
anwendbares Gesetz menschlichen Handelns gesehen. Dieses Idealbild des Resourceful
Perfect informed Stable prefering Maximizing Man (RPSMM) geht von vollkommener
Rationalität aus. Demnach verfügt ein Akteur über vollkommene Information aller
Kontingenzen, also möglichen Handlungsausgänge innerhalb einer Handlungssituation.
Da die Annahme der vollkommenen Rationalität nicht realistisch ist und mehr dem
theoretischen Modell dient, als der Erklärung individuellen Verhaltens, entwirft der
Soziologe Siegwart Lindenberg das in PREEMM-Modell, das Modell des Resourceful
Restricted Evaluating Expecting Maximizing Man (vgl. Lindenberg, 1990, S.727ff). Das
Modell geht von einem Menschen aus, der bei seinen Handlungsentscheidungen auf
Ressourcen zurückgreift, durch sozial vorgegebene Handlungseinschränkungen in seiner
Wahl eingeschränkt ist, den Handlungsalternativen einen erwateten Nutzen zuschreibt, die
Folgen von alternativen Handlungsentscheidungen nach deren Wahrscheinlichkeit
bewertet und die Entscheidung mit dem größten zu erwartenden Nutzen trifft. Damit ist die
Annahme der Knappheit von Ressourcen, der individuellen Restriktionen, des rationalen
Entscheidungskalküls, der begrenzten Rationalität und der Nutzenmaximierung
ausgesprochen.
Aus diesem Modell werden Hypothesen abgeleitet, die in der im Rahmen dieser Arbeit
durchgeführten Studie überprüft werden.
8
Daneben gibt es den von der rein ,,eigennützigen" Annahme abweichenden Ansatz des homo sociologicus,
dessen Handlungen als Socialized Role-playing Sanctioned Man (SRSM) sozial eingebettet sind. Normen
und Werte fließen in das individuelle Entscheiden mit ein und beeinflussen so die rationale Wahl

20
Es sei kurz das RC-Modell erläutert, welches im Kontext des Handelns unter Unsicherheit
steht und den subjektiv erwarteten Nutzen postuliert. In dieser Arbeit werden u. a.
Hypothesen abgeleitet, welche den subjektiven Nutzenwert einer Handlung als
unabhängige Variable beinhaltet, welcher durch die subjektive Einschätzung des Gewinns
und der Wahrnehmung des Risikos indirekt bestimmt wird. Das Subjective Expected
Utility Modell, kurz das SEU-Modell unterstellt, dass ein Individuum einem möglichen
Handlungsausgang einen Nutzen zuordnen kann und über eine subjektive Einschätzung der
Eintrittswahrscheinlichkeiten des Auftretens möglicher Handlungsausgänge verfügt (vgl.
Coleman, 1990, S.125/126).
In einem vereinfachten Schema kann das SEU-Modell folgendermaßen dargestellt werden,
wobei p für probability, also die Eintrittswahrscheinlichkeit steht.
p* U(A) < p* U(B) Handlung B
Der Nutzenwert einer Handlung muss mit der erwarteten Eintrittswahrscheinlichkeit eines
Handlungsausgangs in Verbindung gebracht werden. Den SEU-Wert einer
Handlungsalternative erhält man dann, indem für jeden möglichen Handlungsausgang die
Wahrscheinlichkeit mit dem Nutzen multipliziert und über alle möglichen
Handlungsausgänge summiert wird (Brüderl, S.167/168). Die Berechnung des SEU-
Wertes wird an folgendem Schema deutlich, wobei i für eine Handlungsalternative und j
für einen Handlungsausgang steht. SEU
i
steht damit für den subjektiven Nutzenwert einer
Handlungsalternative:
SEU
i
= Uij * pij
Am SEU-Modell wird oft kritisiert, dass die subjektive Einschätzung der Nutzenwerte der
Handlungsausgänge sowie ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten Verzerrungen mit sich
bringen, da diese Angaben nicht auf harten Daten, das heißt direkt beobachtbaren Daten
beruhen, sondern auf subjektiven Einschätzungen. Die Erwartungswahrscheinlichkeiten für
jeden möglichen Handlungsausgang mittels Befragung zu erheben gestaltet sich schwierig
und kann zu invaliden Daten führen. In der Studie wird von einem einzigen SEU-Wert
ausgegangen, welcher sich aus einem festgelegten potentiellen Schaden bzw. Nutzen und
dessen subjektiver erwarteter Eintrittswahrscheinlichkeit ergibt. Dies

21
ignoriert zwar die Kontingenz aller erwarteten Handlungsausgänge, reduziert aber
Verzerrungen aufgrund der geschilderten Schwierigkeit der Nutzenmessung. Dazu wird
noch unter Kapitel 3.1.5 näher ausgeführt.
3.1.3. Kernannahmen
An dieser Stelle soll auf die wesentlichen Annahmen der RCT eingegangen werden, aus
welchen die Hypothesen der Fallstudie abgeleitet sind.
Die RCT findet Anwendung in vielen Wissenschaftsgebieten wie vornehmlich in den
Wirtschaftswissenschaften, aber auch in der Politikwissenschaft und der Soziologie.
Allerdings sind sich die Theoretiker nicht über alle Bedingungen zur Definition der
Rational-Choice-Theorie einig. Worin jedoch weitgehend alle Theoretiker übereinstimmen
sind vier grundlegende Auffassungen von Rationalität, die für die Rational-Choice-
Tradition kennzeichnend sind, und von manchen Theoretikern als harter Kern bezeichnet
wird.
Dieser harte Kern besteht erstens in der Annahme der Nutzenmaximierung
9
. Nach dieser
Annahme ist eine Entscheidung dann rational, wenn sie letztendlich maximalen Nutzen
erbringt. [...] "We would consider choice to be rational if the action which is chosen is that
whose associated outcome has the highest utility" (Allingham, 1999, S.2). Die
Nutzenmaximierung beruht, wie im vorangegangenen Kapitel erläutert, meist auf einem
erwarteten Nutzenwert. Nur unter der Bedingung der vollständigen Information und
Sicherheit handelt es sich um eine Maximierung des tatsächlichen Nutzens. ,,Der
Erwartungsnutzen dient seit mehr als einer Generation als das bevorzugte Modell für
rationale Präferenzen bei Entscheidungen unter Risiko" (Fishburn, 1988, S.1). Es wird
angenommen dass ein Individuum für den Eintritt eines jeden Handlungsausganges
Wahrscheinlichkeiten angeben kann, und demnach jedem dieser möglichen
Handlungsresultate einen Nutzen zuschreibt. ,,As we can assign utilities to outcomes it
follows that for any given action I can calculate, using the probabilities of the outcomes
given that action, the mean of the utilities of the resulting outcomes" (Allingham, 1999,
9
Es gibt auch andere Formen strategischen Verhaltens die nicht auf Maximierung ausgerichtet sind. Herbert
Simon (1955) beispielsweise vertritt die Ansicht, dass Menschen nicht stets die bestmögliche Alternative
suchen sondern dass sie sich mit dem begnügen, was sie in einer gegebenen Situation für ,,gut genug" halten
(vgl. Simon 1955).

22
S.2). Indem eine Person den möglicherweise eintretenden Ereignissen numerische
Wahrscheinlichkeiten zuschreiben kann, ergibt sich der erwartete Nutzen unter
Berücksichtigung dieser Eintrittswahrscheinlichkeiten der Ereignisse (vgl. Elster, 1986).
Die RC basiert demzufolge auf der Wert-Erwartungstheorie. Das Individuum wird also,
wenn er zwischen mindestens zwei alternativen Handlungen zu wählen hat, diejenige
wählen, für die- entsprechend seiner Einschätzung zum gegebenen Zeitpunkt- das Produkt
aus dem Nutzenwert (w) des Ergebnisses und der Wahrscheinlichkeit (p), das Ergebnis zu
erzielen, größer ist; und je höher der Wert von p * w für die eine Handlung im Vergleich
zu ihrer Alternative ist, um so eher wird er diese erste Handlung wählen (Coleman, 1990,
S.404). Das Theorem von den Spieltheoretikern Neumann und Morgenstern rechtfertigt die
Annahme der Maximierung des Erwartungsnutzens, indem sie gezeigt haben, dass
rationale Entscheider, deren Entscheidungen bestimmten Konsistenzanforderungen
10
genügen, immer eine Wahl treffen, die ihren Erwartungsnutzen maximiert. (Neumann &
Morgenstern, The Theory of Games and Economic Behavior, 1944)
Zweitens sind sich RC-Theoretiker sind sich einig, dass die Maximierungsannahme eine
Präferenzordnung verlangt. Das Individuum muss in der Lage sein, alternative
Handlungsoptionen vergleichend zu bewerten und in eine Reihenfolge zu bringen. ,,Choice
over a set of probability distributions on a set of outcomes is rational if, first, it reflects
rational preferences on the set of outcomes and, second, it takes rational account of the
relevant probabilities" (Allingham, 1999, S.33).
Nach den bereits erwähnten von Neumann-Morgenstern-Axiomen muss die Definition der
Präferenzordnung zwei bestimmten Konsistenzbedingungen genügen. Einerseits der
Annahme der Vergleichbarkeit oder so genannten ,,connectedness" (Shapiro, 1999, S.25).
Sie verlangt, dass ein Akteur je zwei mögliche Ergebnisse entweder als ungleich ansieht
und das eine dem anderen vorzieht oder zwischen ihnen indifferent ist. So soll für jedes
Individuum und alle möglichen Handlungsalternativen eine Präferenzordnung angegeben
werden können. ,,Of two alternatives which gives rise to outcomes, a player will choose the
one which yields the more preferred outcome [...]"(Luce/Raffia, 1957, S. 50).
Die andere Bedingung ist, dass die Präferenzordnungen transitiv sind (vgl. Morgenstern,
1961, S.26f). Die Transitivität einer Präferenzordnung bedeutet, wenn eine Person A
10
Diese sind die so genannten von Neumann und Morgenstern-Axiome, die bereits erwähnt wurden

23
gegenüber B und B gegenüber C vorzieht, dann muss sie gemäß der Transitivitätsregel
auch A gegenüber C vorziehen. Dabei wird weder ein Aussage über die unterschiedlichen
Werte der Handlungsfolgen gemacht, noch muss sich die Person dabei dieser
unterschiedlichen Werte bewusst sein. Mit der Bedingung der Vergleichbarkeit und der
Transitivität liegt eine schwache Präferenzordnung vor, welche von RC-Theoretikern als
unabdingbar für Rationalität gilt (vgl. Shapiro, 1999, S. 26).
Drittens wird angenommen, dass die Akteure bewusst handeln und dabei Ziele verfolgen,
daher wird die RCT auch als instrumentelle Theorie gesehen. Die Handlungen eines
Individuums sind dann rational, wenn sie in Anbetracht seiner Überzeugungen seine Ziele
mit geeigneten und wirksamen Mitteln verfolgen (vgl. Shapiro, S.24). Welche Ziele das
jedoch sind, darüber ist man sich nicht einig, worauf im nächsten Abschnitt kurz
eingegangen wird.
Die vierte Annahme des harten Kerns der RCT ist die Bedeutung des Individuums. Der
methodologische Individualismus bildet die Basis der RC-Modelle. Während der
ontologische Individualist davon ausgeht, dass alle sozialen Phänomene auf individuellen
Handlungen basieren, vermeidet der methodologische Individualist eine solch starke
Aussage über die soziale Wirklichkeit (vgl. Mensch, 1999, S. 78). Feststeht aber, dass die
Beschreibungen und Erklärungen über soziale Tatbestände ihre Grundlage in Sätzen über
individuelle Wahrnehmungen, Intentionen und Handlungen haben. Gesellschaftliche
Strukturen, das heißt Makrophänomene, unterliegen dem individuellen Verhalten, also der
Mikroebene. Kirchgässner betont das Präferenzhandeln als individuelle Eigenschaft. ,,So
wie Handeln hier verstanden wird, können es nur Individuen, nicht aber Kollektive oder
Aggregate. Letztere haben auch keine eigenständigen Präferenzen, die von denen der in
ihnen handelnden Individuen unabhängig wären" (Kirchgässner, 2000, S.23).
Wie das Modell der ,,Colemanschen Badewanne" zeigt, ist das Handeln des Individuums
verantwortlich für kollektive Ergebnisse. Das bedeutet, die Gesellschaft kann durch das
Verhalten ihrer Bestandteile- die Akteure der Gesellschaft- erklärt werden (vgl. Coleman,
1990).

24
3.1.4. Umstrittene Annahmen und die Festlegung für die Fallstudie
In diesem Kapitel soll kurz auf die kontrovers diskutierten Annahmen der RCT
eingegangen und festgelegt werden, welche für die Fallstudie angenommen werden.
Der Wunsch eine Einigkeit über alle Randbedingungen der RC zu erreichen scheint nicht
möglich, denn die RCT hat zum einen zahlreiche Autoren mit unterschiedlichen
Überzeugungen und Theoriekonzepten, zum anderen findet sie Anwendung in
verschiedenen Wissenschaften, was ihre Wandelbarkeit unvermeidbar, ja sogar nützlich
macht, um sie auf den verschiedensten Wissenschaftsgebieten anwenden zu können. Es
kommt bei der empirischen Überprüfung der Theorie vordergründig darauf an, die
Annahmen vorab genau festzulegen, um Interpretationsfehler oder gar Pseudoerklärungen
zu vermeiden.
Nicht eindeutig ist zum einen die Frage über Natur und Inhalt menschlicher Ziele. Es ist
die Rede von ,,irgendeiner Form von Maximierung" (Arrow, 1951, S.3). Anhänger der so
genannten dünnen Theorie des Rationalen (thin-rational account) gehen davon aus, dass
Akteure lediglich in dem Sinne rational sind, dass sie die ihnen verfügbaren Mittel effizient
zur Verfolgung ihrer Ziele einsetzen (vgl. Shapiro, S.29). Die Sichtweise der dicken
Theorie des Rationalen (thick-rational account) legt dem Akteur nicht nur Rationalität
sondern auch eine zusätzliche Beschreibung der Präferenzen und Überzeugungen
zugrunde. Dabei wird angenommen, dass Akteure in den unterschiedlichsten Situationen
ganz ähnliche Dinge schätzen, wie z.B. Reichtum und Macht.
Bei der Hypothesenbildung dieser Arbeit wird zum einen vom thick-rational account, also
von gleichen Zielsetzungen sowie von der Annahme des egoistisch handelnden Akteurs
ausgegangen. Es wird angenommen, dass die in der Untersuchung befragten Personen
beim Kauf einer Ware über das Internet ihren eigenen Profit maximieren, in dem sie eine
qualitativ optimale Ware zum bestmöglichen Preis erstehen möchten. Der Verkäufer
hingegen beabsichtigt seine Ware zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen, woraus
ein Interessenkonflikt entsteht, welcher das Vertrauensproblem begründet.
Ein weiterer Diskussionspunkt stellt die Uneinigkeit darüber dar, ob die
Nutzenmaximierung für jedes Individuum gleichbedeutend ist. Die Problematik die mit der

25
Erhebung subjektiver Nutzenwerte verbunden ist, wurde bereits erwähnt.
In der Untersuchung wird der Nutzenwert durch Brückenannahmen erhoben. Dabei wird
durch den Kontext Risiko festgelegt, dass der Nutzen von Information mit de Risikoniveau
steigt. Der SEU-Wert wird dann durch die individuelle Risikowahrnehmung erschlossen.
Die Nutzenwerte von Gewinn und Verlust werden für alle Individuen gleichermaßen
angenommen, indem vorab das grundlegende Ziel der Nutzenmaximierung im Sinne des
besten Preis-Leistungs-Verhältnisses der Akteure festgelegt wird. Dies soll Ad-hoc-
Erklärungen verhindern, die sich auf unterschiedliche subjektive Nutzenwerte im
Nachhinein berufen können. Individuelle Unterschiede von Verlust und Gewinn werden
hier nur auf Basis harter Daten wie dem Einkommen ausgemacht.
Es sei kurz angesprochen, dass die Studie nach dem operationelle Konzept der Präferenzen
angelegt ist, da ,,sie verlangen, dass sich Präferenzen beobachtungsgemäß aus
tatsächlichem Wahlverhalten ablesen lassen, und dass sich zugleich die damit
einhergehende Operationalisierung des Präferenzkonzeptes in allen Kontexten als
voraussage- und erklärungsmächtiges Instrument erweist" (Kliemt, 1984, S. 35).
Operationelle Präferenzen drücken die Bewertungen tatsächlich realisierbarer Handlungen
aus und sind konkret auf die vorliegende Entscheidungssituation bezogen
11
.
Einige Autoren wie Becker und Monroe fordern die der Stabilität der Präferenzen. Obwohl
empirische Erkenntnisse sowie auch persönliche Erfahrungen zeigen, dass Präferenzen
nicht immer gleich bleiben und sich durchaus ändern können, entstehen methodologische
Probleme, geht man nicht von der Stabilitätsprämisse aus. Dagegen bietet ,,die Annahme
stabiler Präferenzen [bietet] eine feste Grundlage, um Vorhersagen über Reaktionen auf
verschiedene Veränderungen zu machen, und bewahrt den Analytiker vor der Versuchung,
alle augenscheinlichen Widersprüche zu seinen Vorhersagen dadurch zu erklären, dass er
einfach eine entsprechende Veränderung der Präferenzen unterstellt" (Becker, 1982, S.4).
Gerade darin besteht der Kritikpunkt der Nichtbeachtung des Stabilitätsanspruches der
Präferenzen.
11
Dispositionelle Präferenzen hingegen zeigen an ,,was ein Individuum abgesehen von anderweitigen
Verhaltensmaximen oder -regeln aufgrund seiner Vorstellungen vom eigenen Wohlergehen [...]
neigungsmäßig bevorzugt" (Kliemt, 1984, S.35). Sie entsprechen also den grundlegenden Wünschen des
Individuums, nicht aber seinen Handlungen.

26
In
der
empirischen
Studie
werden
Handlungsentscheidungen
über
Informationsbeschaffungen innerhalb einer einzigen Transaktionsbeziehung untersucht,
und somit ist die Stabilitätsbedingung automatisch angenommen.
Zuletzt sei als diskutierte Prämisse die Kalkulierbarkeit des Risikos genannt, welche in der
Fallstudie angenommen wird. Handlungsentscheidungen beziehen sich auf die Zukunft und
können nur auf Basis von Erwartungen getroffen werden. ,,I do not know what event will
occur but I do know the probability m(t) of the event t occurring: that is, I am given a
probability distribution m in the set T" (Allingham, 1999, S. 31). Die Parameter des
Unsicherheitsproblems sind zum einen die Kontingenz von Umweltzuständen, die Menge
von Handlungen aus denen gewählt wird, die Menge an Ausgängen der Handlung und die
Regeln die einen Ausgang mit jeder Handlung in jeder Umweltbedingung assoziiert. Eine
Entscheidung unter Risiko liegt dann vor, wenn der Akteur nicht über vollkommene
Information verfügt. Der Mensch ist nach der Rationalitätsannahme dazu bestrebt diese
Informationslücke zu füllen, um erfolgssicher handeln zu können. Man geht davon aus,
dass sich der Informationssuchende ,,solange Information [beschafft], bis der Grenzertrag
den ihm entstehenden Grenzkosten gleich ist" (Elster, 86, S.215). ,,Bei dieser
Argumentation muss nun folgendes Problem berücksichtigt werden: die Akteure müssen
den Wert von Informationen einschätzen, welche sie noch gar nicht besitzen, um
entscheiden zu können, ob sich der Aufwand lohnt" (Elster, S.215). Der Akteur entscheidet
durch
Kosten-Nutzen-Kalkül
basierend
auf
seinen
Werterwartungen
der
Handlungsausgänge und der Investitionen.
In der Fallstudie wird der Einfluss gerade dieses Kalküls auf das Informierverhalten in
Bezug auf die riskante Kaufentscheidung überprüft. Die präzise Hypothesenableitung wird
im Kapitel 4 beschrieben.
3.1.5. Kritik von Rational-Choice-Erklärungen
Zuletzt soll nicht darauf verzichtet werden auch Kritikpunkte der RCT darzulegen. Die
Theorie erhebt anspruchsvolle Forderungen, die nicht immer erfüllt sein können. So setzen
sie im Allgemeinen voraus, dass für die Akteure die Gründe der Handlung auch deren
Ursachen sind, welche sie rationalisieren. Des weiteren gehen sie von der

27
Rationalität und der Konsistenz der Überzeugungen und Wünsche aus, auf denen diese
Gründe beruhen. Elster formuliert den anspruchsvollen Forderungskatalog wie folgt: ,,(...)
Die Handlung ist angesichts der Überzeugungen, die der Akteur hat, der beste Weg für ihn,
seine Wünsche zu befriedigen; seine Überzeugungen sind angesichts der Informationen,
über die er verfügt, optimal begründet; und die Menge der Informationen, die er beschafft
hat, ist angesichts seiner Wünsche ebenfalls optimal gewählt. (...) Überzeugungen und
Wünsche müssen in sich widerspruchsfrei sein. (...) Die Handlung muss nicht nur
angesichts der Wünsche und Überzeugungen rational, sie muss zudem auch durch diese
verursacht sein, (...)." (Elster, 86, S.16).
Diese Sammlung an Bedingungen kann nicht immer erfüllt werden, und wird oft nicht
anerkannt. Daher ist die Existenz und die kausale Wirksamkeit von Absichten empirisch zu
beweisen sehr schwierig. Es bleibt festzuhalten, dass bei Rational-Choice-Erklärungen das
Problem von nicht erfüllten Bedingungen auftreten kann und bei der Interpretation
berücksichtigt werden muss.
Eine in den Sozialwissenschaften immer wieder auftauchende Problematik bei der
Bezugnahme auf die RCT ist methodologischer Natur, da RC-Erklärungen in der Regel
eine Menge nicht-beobachtbarer Dinge, wie z.B. Vorlieben, Überzeugungen und
Entscheidungsregeln umfassen. Das Problem dabei ist, dass durch das Verhältnis zwischen
unsichtbaren, unbeobachtbaren Konstrukten und beobachtbaren Indikatoren bei einer
empirischen Analyse schwierig festzustellen ist, ob der Datensatz eine Rational-Choice-
Erklärung bestätig oder nicht. Dieses Problem äußert sich auch in der im Rahmen dieser
Arbeit durchgeführten Studie, in der Konstrukte wie Vertrauen und Risiko an Indikatoren
erhoben werden.
12
Die Überprüfung von RC-Modellen durch Umfragedaten wurde von Ökonomen bis zum
Zeitpunkt, in dem sie auch in der Soziologie Anwendung fanden, sehr kritisch gesehen.
,,Questionnaire studies seem to be almost entirely useless as a means of testing the validity
of economic hypotheses"(Friedman, 1953, S.22). Die Kritik liegt im methodologischen
Problem der Nutzenmessung begründet. Um ein RC-Modell zu überprüfen muss also
getestet werden ob die Annahme, dass eine Person diejenige Handlung mit dem höchsten
12
Siehe dazu im Kapitel 5.7 zur Operationalisierung der Konstrukte

28
Nutzenwert wählt, falsifizierbar ist. Infolgedessen müssen alle Handlungsalternativen und
ihr jeweiliger Nutzenwert feststehen. Die Zuordnung der Nutzenwerte durch die
Erhebungsmethode der Befragung ist allerdings kritisch anzusehen, da der Nutzenwert ein
latentes Konstrukt ist. Nutzenwert und die erwarteten Eintrittswahrscheinlichkeiten eines
möglichen Handlungsausganges müssen anhand von Ratingskalen gemessen werden.
Dabei können Erinnerungseffekte, nachträgliche Rationalisierung oder subjektive
Unterschiede der Nutzenbewertung der befragten Personen die Tatsachen verzerren. Im
nächsten Abschnitt wird kurz erläutert wie diesem Problem entgegnet wird.
3.1.6. Überprüfungsstrategie des RC-Modells
Wie im vorangegangenen Abschnitt dargelegt wurde, besteht ein methodologisches
Problem bei der Überprüfung von RC-Modellen. Durch das Herantreten der soziologischen
Wissenschaft an die RCT wurden allerdings Strategien entwickelt, durch welche sich RC-
Modelle mit Befragungsdaten messen lassen. John Goldthorpe sieht in der Kombination
der Umfrageforschung und den RC-Modellen sogar den zukunftsträchtigen Ansatz der
Soziologie. Dem Datendefizit der RCT auf der einen Seite und der Beschränkung auf die
,,Variablen-Soziologie" auf der anderen Seite, könnten somit entgegengewirkt werden (vgl.
Goldthorpe, 2000, S.94f). Diese Arbeit beabsichtigt die Überprüfung von RC-Annahmen
durch Umfragedaten und richtet sich dabei nach der indirekten Strategie der
Nutzenmessung durch Überprüfung von Brückenhypothesen.
Erweitert man das RC-Modell durch Brückenannahmen kann eine Verbindung zwischen
dem Erklärungsgesetz und dem jeweiligen Explanandum geschaffen werden. Die Logik
der Situation wird in Form einer bestimmten Randbedingung herangezogen und neben die
Logik der Selektion, als das Gesetz der rationalen Wahl gestellt. Gemeinsam bilden sie das
Explanans für das zu erklärende Ereignis. Die individuelle Entscheidung wird demnach
innerhalb des Kontextes der Brückenannahme gemessen. Der Vorteil liegt darin, dass
keine Nutzenmessung durchgeführt werden muss. Durch die Brückenannahme können
Nutzenwerte an tatsächlich beobachtbaren Daten messbar gemacht werden.
Im Fall dieser Studie wird die Annahme festgelegt, dass ein erhöhtes Risiko,
operationalisiert durch den Kaufpreis, den Nutzen von Information erhöht und gleichzeitig
den Nutzen von Vertrauen senkt. In diesem Kontext kann dann angenommen

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836642064
Dateigröße
1.8 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München – Sozialwissenschaften, Soziologie
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
rational choice theorie zeitallokation homan risiko
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