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Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie

©2009 Bachelorarbeit 167 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
INT. THEATERBÜHNE – ABEND.
Schwarz.
Ein Spot geht an. FERDI tritt in den Lichtkegel. Er trägt eine lange Robe.
FERDI:
Erfüllt davon dein Herz, so groß es ist. Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist: Nenn es dann, wie du willst. Nenn’s Glück!
Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen. Dafür! Gefühl ist alles.
Wir sehen jetzt langsam das Publikum an uns vorbeiziehen, die Augen von Ferdis MUTTER glänzen vor Stolz. VATER guckt skeptisch.
VATER (AUF TÜRKISCH)(leise):
Brotlose Kunst.
MUTTER zischt VATER an und lässt keinen Widerspruch zu, haut ihm gegen das Knie.
Wieder Blick zur Bühne, allerdings eingeschränkt durch Publikumsköpfe vor uns. Über dem Bühnenraum hängt ein großes Transparent ‘FAUST: RELOADED’.
FERDI:
Name ist Schall und Rauch.
Ein weiterer Spot geht an. Dort steht JENS, grinsend, in langen wallenden Kleidern, blass geschminkt. Eindeutig Mephisto.
JENS:
Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein um tierischer als jedes Tier zu sein.
FERDI legt eine lange Kunstpause ein. Er zögert. JENS umrundet in FERDI siegessicher und betrachtet ihn abschätzend.
JENS (flüsternd nur zu Ferdi):
Bereit für das große Finale, mein osmanischer Faust?
FERDI erstarrt.
FERDI:
Es sagen’s allerorten. Alle Herzen unter dem himmlischen Tage. Jedes in seiner Sprache. Warum ich nicht in der meinen?
In diesem Moment gehen Spots an. Zu beiden Seiten säumen weitere Spießgesellen die Bühne. Der Blick verläuft an FERDI entlang, erst jetzt sehen wir das am Gürtel seiner Robe mit einem Haken befestigte Seil, das schemenhaft an der Decke entlangläuft und am Vorhang herunterhängt. Genau an der Stelle, auf die JENS nun zuschreitet.
CHOR:
Der Worte sind genug gewechselt. Nun lasst mich auch endlich Taten sehen.
JENS zieht mit voller Kraft an dem Seil, mit einem Mal werden im Bruchteil einer Sekunde FERDI die Klamotten vom Leib gerissen. Nun steht er da, nur noch mit Unterwäsche und Schuhen bekleidet. Publikum, CHOR, JENS, alle schauen sie ihn mit großen Augen an, ehe JENS laut beginnt zu lachen und der Rest des Saals mit einstimmt. FERDI macht keine Anstalten von der Stelle zu weichen, obwohl er leicht rot wird. Er schließt die Augen. FERDI ballt eine Faust. Er atmet tief ein, dann aus.
FERDI:
Am Anfang.war die Tat.
Plötzlich fliegen seine Augen auf, sein ganzer Körper ist angespannt. Er brüllt.
FERDI nimmt Anlauf und springt den aus vollem Hals lachenden JENS an. Er wirft ihn mit einem Dropkick von der Bühne. Das Lachen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Dominik Krug
Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
ISBN: 978-3-8366-4157-9
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Macromedia Fachhochschule für Medien und Kommunikation, Köln, Deutschland,
Bachelorarbeit, 2009
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Zusammenfassung
.
Videospiele sind längst fester Bestandteil unseres Alltags. Aber dass Spiele auch
packende Geschichten erzählen, ist für die meisten Menschen neu.
Seit ihrer Entstehung, stehen Adventure-Spiele, wie
Monkey Island
oder
King's Quest
,
für gehaltvolle interaktive Erzählungen. Sie sind Wegbereiter für eine Bewegung, die
mit der Jahrtausendwende erst richtig ins Rollen gekommen ist: ,,Interactive
Storytelling".
Eine Herausforderung für Autoren, die sich nun nicht mehr nur auf klassische Lehren
von
Aristoteles
bis
Vogler
berufen können, sondern gezwungen sind, weiterzudenken.
Schließlich will der moderne Spieler nicht nur unterhalten werden, er will eingebunden
sein in eine Welt voller Möglichkeiten, deren Werdegang und Geschichte er selber
beeinflussen kann.
Wie non-lineare Erzählweisen und interaktive Dramaturgie funktionieren können, ist
Gegenstand dieser Untersuchung.
Stichwörter: Interactive Storytelling, Games, Drehbuch, Dramentheorie, Adventures, Non-lineare
Erzählweisen
Abstract
.
Videogames are already part of our daily lifes. But games telling thrilling storys,
is somewhat new in common sense.
Since their emergence, adventures like
Monkey Island
or
King's Quest
stand for
meaningful interactive tales. They're pioneers of a movement, increasingly called
`Interactive Storytelling' since the turn of the millennium.
It means challenge for authors, who can't solely depend on teachings from
Aristotle
to
Vogler
anymore, but who are forced to think even further now.
Eventually, the modern player does not simply want to be entertained, he wants
to be part of a world full of oppertunities, which course of history is influenced by
him.
How non-linear narratives and interactive dramas may work, is subject matter of
this study.
Keywords: Interactive Storytelling, Games, Screenplay, Drama Theory, Adventures, Non-linear Narratives
2

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
INHALT
Vorwort...S.4
1. Einleitung...S.5
2. Theorie: Von klassischer zu interaktiver Dramaturgie...S.8
2.1 Die Notwendigkeit von Dramaturgie...S.8
2.1.1 Aristoteles: Grundlagen der Dramaturgie...S.9
2.1.2 Laurel: Neo-Aristotelische Dramaturgie...S.10
2.1.3
Murray:
Ästhetische Kategorien...S.11
2.1.4 Crawford: Interactive Storytelling...S.13
2.2
Zusammenfassung
...S.16
3. Praxis: Interaktive Dramaturgie in Adventure Games...S.17
3.1 Das Genre der Adventure Games, eine Verortung...S.17
3.1.1 Die Anfänge: Textadventures (1980er)...S.20
3.1.2
Blütezeit:
Grafikadventures (Frühe 1990er)...S.22
3.1.3 Wende: Action-Adventures (Späte 1990er)...S.24
3.1.4 Gegenwart: Open World Systeme (2000er)...S.26
3.1.5
Ergänzung
um
Zwischensparten...S.29
3.2
Zusammenfassung...S.34
4. Theorie und Praxis: Eine globale Zusammenfassung...S.36
4.1 Am Ziel: Synthese aus Erkenntnissen...S.36
4.2 Anwendung: Der Junge der die Welt rettet...S.40
4.2.1.
Das
Drehbuch...S.40
4.2.2.
Der
theoretisch-praktische
Ansatz...S.41
4.3
Beweis:
Façade...S.51
4.4 Im Spiegel: Das interaktive Drehbuch und sein Autor...S.54
5. Fazit...S.55
6. Quellen...S.59
Anhang
3

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Vorwort
Zwei Dinge auf der Welt begleiten mich seit meiner Kindheit und beeinflussen mich noch bis
heute entscheidend: Spiele und Erzählungen. Während ich bereits früh anfing, mir
Geschichten auszudenken und diese in Spielen auszudrücken, wurde ich Anfang der 90iger
über meinen Bruder an die ersten digitalen Computerspiele herangeführt, die mich seit jeher
zu faszinieren wussten, meine Fantasie beflügelten und die mich, sobald ich es erlernt hatte,
ans Schreiben brachten.
Nie zuvor war es möglich gewesen, meiner Fantasie gleichermaßen visuell wie auditiv
solchen Ausdruck zu verleihen wie hier. Natürlich wurden Hardware bedingt die grafische
und tonale Präsentation (noch) in ein enges Korsett geschnürt, aber einer blühenden
Kinderfantasie waren hier keine unüberwindbaren Grenzen gesetzt, weshalb ich, ungeachtet
dessen, was mir die (zumeist englischen) Spiele erzählen wollten, meine ganz eigenen
Abenteuer erlebte.
Inzwischen floriert die Gaming-Industrie wie nie zuvor und überbietet sich gegenseitig mit
fantastischen, offenen Welten. Viele dieser Welten sind ungemein anregend und inspirierend,
wenn ich an Verschwörungstheorien wie in Metal Gear Solid, atmosphärische Alpträume wie
in Resident Evil oder an dramatische, zu Tränen rührende Momente wie in Final Fantasy
denke. Dabei bin ich nicht der erste, der meint: Der Stoff aus dem diese Storys gestrickt sind,
gäbe einen überzeugenden Film auf der Kinoleinwand ab. Hollywood spuckt seit geraumer
Zeit eine große Zahl an Videospielverfilmungen aus. Mit zweifelhaften Ruhm und Erfolg.
Was macht diese Geschichten also so einzigartig, dass sie nur als Spiel funktionieren? Was ist
dieser Stoff, der sie so unvergleichlich und erfolgreich macht? Die Vermutung liegt nahe, dass
es die unmittelbare Teilnahme an diesen Geschichten ist.
Deshalb reizt es mich als Autor vor allem nun einmal den umgekehrten Weg zu gehen und
aus einer für einen Film bestimmten Handlung eine interaktive Erfahrung zu machen. Es ist
nicht ohne Reiz, dem Tag entgegen zu sehen, an dem ich selber solche Geschichten
erschaffen kann, wie sie mir mein Bruder als Kind eröffnet hat. Es ist eine Reise zurück zu
den Wurzeln von Spiel und Fantasie. In dieser Welt können wir wieder Kind sein.
Dominik Krug
Bergheim, im Juni 2009
4

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
1.
Einleitung
INT. THEATERBÜHNE ­ ABEND
Schwarz.
Ein Spot geht an. FERDI tritt in den Lichtkegel. Er trägt eine lange Robe.
FERDI
Erfüllt davon dein Herz, so groß es ist. Und wenn du ganz in dem
Gefühle selig bist: Nenn es dann, wie du willst. Nenn's Glück!
Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen. Dafür! Gefühl ist alles.
Wir sehen jetzt langsam das Publikum an uns vorbeiziehen, die Augen von Ferdis MUTTER
glänzen vor Stolz. VATER guckt skeptisch.
VATER (AUF TÜRKISCH)
(leise)
Brotlose Kunst...
MUTTER zischt VATER an und lässt keinen Widerspruch zu, haut ihm gegen das Knie.
Wieder Blick zur Bühne, allerdings eingeschränkt durch Publikumsköpfe vor uns. Über dem
Bühnenraum hängt ein großes Transparent FAUST: RELOADED
FERDI
Name ist Schall und Rauch.
Ein weiterer Spot geht an. Dort steht JENS, grinsend, in
langen wallenden Kleidern, blass geschminkt. Eindeutig Mephisto.
JENS
Er nennt's Vernunft und braucht's
allein um tierischer als jedes Tier zu sein.
FERDI legt eine lange Kunstpause ein. Er zögert. JENS umrundet in FERDI siegessicher und
betrachtet ihn abschätzend.
JENS
(flüsternd nur zu Ferdi)
Bereit für das große Finale, mein
osmanischer Faust?
FERDI erstarrt.
FERDI
Es sagen's allerorten. Alle
Herzen unter dem himmlischen
Tage. Jedes in seiner Sprache.
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Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Warum ich nicht in der meinen?
In diesem Moment gehen Spots an. Zu beiden Seiten säumen weitere Spießgesellen die Bühne.
Der Blick verläuft an FERDI entlang, erst jetzt sehen wir das am Gürtel seiner Robe mit
einem Haken befestigte Seil, das schemenhaft an der Decke entlangläuft und am Vorhang
herunterhängt. Genau an der Stelle, auf die JENS nun zuschreitet.
CHOR
Der Worte sind genug gewechselt.
Nun lasst mich auch endlich Taten
sehen.
JENS zieht mit voller Kraft an dem Seil, mit einem Mal werden im Bruchteil einer Sekunde
FERDI die Klamotten vom Leib gerissen. Nun steht er da, nur noch mit Unterwäsche
und Schuhen bekleidet. Publikum, CHOR, JENS, alle schauen sie ihn mit großen Augen an,
ehe JENS laut beginnt zu lachen und der Rest des Saals mit einstimmt. FERDI macht keine
Anstalten von der Stelle zu weichen, obwohl er leicht rot wird. Er schließt die Augen. FERDI
ballt eine Faust. Er atmet tief ein, dann aus.
FERDI
Am Anfang...war die Tat.
Plötzlich fliegen seine Augen auf, sein ganzer Körper ist angespannt. Er brüllt.
FERDI nimmt Anlauf und springt den aus vollem Hals lachenden JENS an. Er wirft ihn mit
einem Dropkick von der Bühne. Das Lachen erstirbt. Ein Tumult entsteht. Aber FERDI ist
schon wieder auf den Beinen, holt aus, holt einen weiteren Gegner mit einer Ohrfeige von den
Beinen. Zwei Kontrahenten hängen sich an FERDI, aber auch sie vermögen ihn nicht zu
stoppen. Abwechselnd sehen wir immer die Zuschauer, die vollends ins Geschehen gezogen
werden und mitgehen. Wir hören Ahhhs und Ohhhs, wenn mal wieder eine Ohrfeige ihr Ziel
findet, oder ein Tritt in einem Magen landet...
Der vorliegende Drehbuchauszug aus Der Junge der die Welt rettet ist der dramatische Siede-
und Höhepunkt der Geschichte, die ich nach dramaturgischen Gesichtspunkten entwickelt
habe. Als Text für sich, in Gedanken an eine Verfilmung, funktioniert er ohne weiteres, aber
er ist auch gleichzeitig ein Sinnbild für das Thema, das ich innerhalb dieser Arbeit
untersuchen möchte.
Man stelle sich vor, jemand aus dem Publikum wäre aufgesprungen, so sehr gefesselt und
angeregt vom Protagonisten, dass er Anstalten machte, direkt in die Handlung einzugreifen.
Wie wäre es, die Szene interaktiv, nicht nur als Zuschauer, sondern als Bestandteil zu erleben
6

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
und sogar mitzugestalten? Würde das nicht bedeuten, die ,,vierte Wand" zu durchbrechen
1
und ein interaktives Drama zu schaffen?
Während es für analoge Dramaturgie im Sinne von Filmen und Literatur schon seit der Antike
funktionierende Modelle gibt, steht jedoch lange bereits die Frage im Raum, wie eigentlich
interaktive Geschichten optimal aufzubauen sind.
Deshalb ist es mir als Autor ein besonderer Anreiz die Funktionsweise von interaktiven
Erzählungen und non-linearen Geschichten zu beleuchten, prägnant untersucht am Beispiel
der Computerspiele (präzise: des Adventure-Genres), da diese, als Mixtur aus Spiel und
Erzählung offensichtlich Literatur und Film vor allem eines voraushaben: Interaktivität.
Mein Ziel soll es also sein, herauszufinden, wie (beziehungsweise ob) ein interaktives Drama
aus einer linearen Geschichte wie der meines Drehbuchs mittels einer interaktiven
Dramaturgie zu erschaffen ist, welche Regeln
(d.h. wonach sich eine interaktive Dramaturgie
richten muss) befolgt werden müssen und welches Werkzeug dem Autor zur Verfügung steht.
Die Untersuchung von Adventures alleine würde aber zwangsläufig in eine Sackgasse führen,
da mir das Analysewerkzeug fehlt, um die dort wirkenden Strukturen richtig zu interpretieren
und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen.
Daher möchte ich meine Arbeit von zwei grundsätzlich verschiedenen, aber doch sich
gegenseitig beeinflussenden Bereichen aus angehen: Theorie und Praxis.
Zunächst werde ich mir eine theoretische Basis erarbeiten, indem ich die Untersuchungen und
Modelle vier wichtiger Dramentheoretiker untersuche.
Mit diesem Rüstzeug ausgestattet, gehe ich über zur Praxis und untersuche das Adventure-
Genre im Verlauf seiner Geschichte, exemplarisch aufgereiht anhand von
Genresubsumierungen und Entwicklungsstandarts.
Von anschließender Synthese beider Komplexe, verspreche ich mir dann eine Antwort auf die
Frage, wie ich als Autor eine interaktive, non-lineare Dramaturgie erschaffen und in einem
fertigen Produkt anwenden kann.
Die Probe aufs Exempel soll dann mein angesprochenes Drehbuch liefern, das darauf
untersucht werden wird, ob es einem interaktiven Drama gerecht werden kann.
Zum Schluss werde ich meine Ergebnisse abrundend zusammenfassen.
1
Die ,,vierte Wand" ist ein Begriff aus dem Theater, der die gedachte Wand beschreibt, hinter der die Zuschauer
sitzen, die nur für die Theaterfiguren existiert und die diese nicht durchschauen oder durchschreiten können. Die
Schauspieler hinter den Figuren hingegen sind sich der Anwesenheit des Publikums bewusst und falls sie auf das
Publikum eingehen, löst dies die vierte Wand auf.
7

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
2. Theorie
Von klassischer zu interaktiver Dramaturgie
2.1 Die Notwendigkeit von Dramaturgie
,,Das Erzählen von Geschichten ist eine Kulturtechnik, die für unser Selbstverständnis
zentral ist, wie auch unser gesamtes Leben von narrativen Strukturen bestimmt und
durchdrungen wird. Wir erzählen uns unsere Geschichten immer wieder von neuem,
um uns unseres kontinuierlichen Ichseins zu versichern und um unserem Leben Sinn
und Bedeutung zu verleihen"
2
Seit Menschen gedenken, werden Geschichten erzählt und übermittelt. Ob mündlich, auf
antiken Tontafeln, Schriftrollen, in Büchern und Briefen. Sie sind wichtiger Bestandteil einer
jeden Kultur und gerade zu Zeiten, als Geschichten verbal übermittelt wurden, bedurfte es
besonderer Mittel, damit diese nicht in Vergessenheit gerieten und für die Folgegeneration
erhalten blieben. So bediente man sich einer frühen Form dessen, was wir heute als
Dramaturgie bezeichnen, die es heute wie damals vermochte, den Rezipienten an eine
Geschichte zu binden.
3
Nicht umsonst fühlt man sich, liest man ein spannendes Buch oder
sieht man einen packenden Film, hineinversetzt in die Welt, die einem präsentiert wird,
obwohl man im eigentlichen Sinne kein Teil von ihr ist.
Um im nächsten Schritt interaktive Dramaturgie begreifen zu können, ist es unabdinglich,
sowohl die Grundlagen ,,analoger" Dramaturgie zu erkennen, als auch zu fassen, welche
Entwicklung auf dem Gebiet interaktiver Geschichten bereits erreicht wurde. Die Grundlagen
der Dramaturgie sind also die Basis dieser Untersuchung, wie Dramaturgie selber der
grundlegende Baustein einer jeden überzeugenden Geschichte ist.
4
2
SCHMIDT, K. (2005): Der Archeplot im Game. Silent Hill 2 als klassische Heldenreise, S.20
3
vgl. BÖHLKE-WEBER, R. (2009): Grundlagen der Dramaturgie, S.1
4
vgl. STOLZ, M. (2005): Dramaturgie, S.1
8

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2.1.1 Aristoteles: Grundlagen der Dramaturgie
Aristoteles (384 v.Chr. ­ 322 v.Chr.) war nicht nur Philosoph, sondern gilt auch als
Begründer der Dramentheorie und auch heute noch lassen sich die meisten Theorien
zurückführen auf seine Grundsätze. Da verhält es sich auch mit interaktiver Dramaturgie nicht
anders. Jedes Ganze, besteht, laut Aristoteles, zwingend aus ,,einem Anfang, einer Mitte und
einem Ende"
5
So auch das klassische Drama. Hier finden wir Exposition, Konfrontation und
Auflösung vor. Diese drei Begriffe sind Grundlage der Drei-Akt-Struktur.
Abb.1: Basis der Dramaturgie
Exposition beschreibt den Beginn der Handlung, der Protagonist wird in seiner gewohnten
Welt gezeigt, die Spannung steig nur langsam. Der erste Wendepunkt wird hier erreicht, aus
dem der zukünftige Konflikt absehbar wird. Im Laufe dieser konfliktreichen Entwicklung
(Konfrontation), steigt die Anspannung weiter bis zum zweiten Wendepunkt, ab dem es kein
Zurück mehr gibt und die Handlung unaufhörlich dem Höhepunkt entgegenstrebt. Hier findet
die Auflösung statt, der sich eine starke Abflachung der Spannungskurve anschließt. Die
Geschichte wird zu einem Ende gebracht. Mit einer solchen Geschichte sind, laut Aristoteles,
unweigerlich sechs Elemente der Tragödie
verbunden. Dem Plot
(mythos), also der
Handlung, misst der Philosoph das größte Gewicht bei, indem er feststellt:
,,Die Tragödie ist Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen
Handlung von bestimmter Größe [...] Daher sind die Geschehnisse
und der Mythos das Ziel der Tragödie; das Ziel aber ist das Wichtigste
von allem."
6
5
FUHRMANN, M. (1994): Aristoteles ­ Poetik, § 7
6
FUHRMANN, M. (1994): Aristoteles ­ Poetik, § 6
9

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Die Charaktere
(ethe) treiben die Handlung voran und sind Motor des Stücks. Die Sprache
(lexis) oder sprachliche Form bezieht sich auf den allgemeinen Aufbau von Sprache.
Gedanken
(dianoia) bezeichnen die Vorgänge innerhalb der Charaktere (innerer Konflikt)
und zwingen in letzter Konsequenz zur Handlung.
Inszenierung
(opis) gehört eigentlich nicht zum geschriebenen Werk, und wird deshalb
geringschätzig behandelt, kommt aber heute der Rolle des Regisseurs gleich. Die Melodik
(melopoiia) hingegen hängt wieder eng mit der Form der Sprache zusammen.
Hinzu zu ziehen, sind im Hinblick auf den Produktions- / Schaffungsprozess zwei Punkte aus
Aristoteles' Metaphysik.
7
Die Materialursache
und die Formursache. Die formale
Kausalität beschreibt die Gestalt eines Gegenstands, die ausdrückt, was er darstellen will.
Dies kann in unserem Fall auf die Handlung bezogen werden. Die materielle Kausalität
beschreibt die materielle Beschaffenheit eines jeden Gegenstand, im Theater im Bezug auf die
Inszenierung zu sehen.
8
So sind diese zwei Kausalitäten
9
, sowie die sechs Elemente in Kombination mit der Drei-Akt-
Struktur die Grundlage jeder dramatischen Geschichte. Da die folgenden Theorien sowie die
Modelle von Vogler und weiteren auf Aristoteles aufbauen, kann man soweit sicher sagen,
dass auch zwangsläufig das interaktive Drama auf diesen Grundsätzen aufgebaut werden
sollte.
10
2.1.2 Laurel: Neo-Aristotelische Dramaturgie
Brenda Laurel ist eine der Vorreiterinnen auf dem Forschungsgebiet der Mensch-Computer
Kommunikation und Interactive Fiction.
11
Sie arbeitete viele Jahre für renommierte Games-
Entwickler wie Atari und Activision und veröffentlichte 1991 das viel zitierte Werk
Computers as Theatre.
Laurel setzt nun die angesprochenen Elemente der aristotelischen Poetik in kausale
Verbindung zu seinen Lehren der Metaphysik, was Sinn macht, da der Philosoph hier jeden
Gegenstand als Element aus Stoff (Materialursache) und Form (Formursache) bezeichnet.
7
vgl. SANDER, F. (2006): Interaktive Dramaturgie, S.17
8
ebd.
9
Aristoteles Metaphysik beschreibt insgesamt vier Kausalitäten, zusätzlich Wirkungs- und Zweckursache. Aus
Relevanzgründen wird auf diese hier nicht weiter eingegangen.
10
vgl.
SANDER, F. (2006): Interaktive Dramaturgie, S.4
11
vgl. http://www.tauzero.com/Brenda_Laurel/BrendaBio.html
10

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Laurel überführt dieses Prinzip in Kombination zu einer Neo-Aristotelischen Poetik.
12
Wie
bereits bei Aristoteles geschehen, werden die sechs Elemente der Tragödie in eine
hierarchische Gliederung gebracht. Jeder Bestandteil ist die Formursache für die
untergeordneten Bestandteile. Mit der Materialursache verhält es sich entsprechend
entgegengesetzt. Daraus ergibt sich folgendes Modell:
Plot
Charaktere
Gedanken
Sprache
Muster
13
Inszenierung
Abb.2: Kausalkette
nach Laurel
Das Modell sagt folglich nichts anderes aus, als das die Inszenierung der Stoff ist, aus dem die
Muster entstammen, daraus die Sprache, die Gedanken und so fort. Umgekehrt ist die
Handlung Form für unterstehende Aspekte, sie formt Charaktere, die wiederum Gedanken
formen, etc.
2.1.3 Murray: Ästhetische Kategorien
Janet Murray ist Professorin am Georgia Institute of Technology und hat mit Hamlet on
the Holodeck: The Future of Narrative in Cyberspace ein angesehenes Werk geschaffen, das
sich eingehend mit dem Potential von digitalen Geschichten beschäftigt. Innerhalb dieser
Arbeit, bietet Murray drei ästhetische Kategorien für die Analyse des Erlebens einer
interaktiven Geschichte an.
14
Immersion beschreibt das Eintauchen in die rezipierte Welt, die
sich offenbart. Agency
bezieht sich auf die Vielfalt von Einwirkungsmöglichkeiten, die dem
Spieler gewährleistet werden. Rapture
15
abschließend sagt etwas über emotionale
Betroffenheit beim Erleben einer Geschichte aus.
12
vgl. LAUREL, B. (1993): Computers as Theatre, S.49
13
Laurel ersetzt Melodik bewusst durch Muster, da dieses eher zu ihrer Theorie passt.
14
vgl. PLATT, C. (1995): Interactive Entertainment, S.2
15
In manchen Zusammenhängen auch als Transformation bezeichnet.
11

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Alle drei ästhetischen Kategorien stehen im direkten Wechselverhältnis und beeinflussen sich
gegenseitig.
16
Deshalb bietet sich folgendes Modell an:
Abb.3: Murrays
ästhetische Kategorien
Rapture und immersion sind bereits Bestandteile, die schon Aristoteles als unabdinglich für
die Tragödie hielt, da die Ergriffenheit und das Eintauchen in die Handlung
konsequenterweise zu Katharsis führen, d.h. die körperliche, emotionale und geistige
Reinigung.
17
,,Nach Aristoteles [bedeutet Katharsis] Läuterung des Zuschauers durch die
Tragödie, indem sie in ihm Furcht und Mitleid erweckt"
18
Mitleid und Furcht sind, laut
Murray, Ergebnisse von rapture, die Möglichkeit diese zu Empfinden setzt eine
Identifikation mit dem Handelnden voraus (immersion).
19
Folgerichtig ist in Aristoteles
Modell der Faktor der Einflussnahme (agency) noch nicht gegeben, der damals allerhöchstens
im Sinne von Improvisationstheater eine Rolle spielte, das jedoch vermehrt erst im 16.
Jahrhundert n. Chr. aufkam (Commedia dell'arte, Stehgreifkomödie). Dieser Faktor soll für
eine interaktive Dramaturgie später noch integriert werden.
16
vgl. KÜCKLICH, J. (2001): Literaturwissenschaft und Computerspiele, S.33f
17
vgl. http://katharsis-blog.de/?page_id=89
18
LÓPEZ, J. F. (2008): Katharsis, S.1
19
vgl. MURRAY, J. (1998): Hamlet on the Holodeck, S.150f
12

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
2.1.4 Crawford: Interactive Storytelling
Laut Chris Crawford, renommierter Game-Designer und Theoretiker, bedeutet Interactive
Storytelling
eine Form von interaktivem Entertainment, in dem der Spiele in die Rolle eines
Protagonisten in dramatischer Umgebung schlüpft.
20
Anders ausgedrückt:
,,Der Begriff bezeichnet im Allgemeinen Medienangebote, in welchen
augenscheinlich (mindestens) zwei Grundeinheiten miteinander verschmelzen:
Die als eigenständige Kulturformen beschreibbaren Kategorien ,des Spiels und
der Erzählung' treten in ein symbiotisches Wechselverhältnis und scheinen sich
dadurch auf vielfältige Weise zu befruchten"
21
In den meisten Fällen aber, so diagnostiziert Crawford, wird einer linearen Story vom Autor
eine interaktive aufgezwungen, der Idee wird eine Hülse übergestülpt.
22
Dabei bezieht sich
Crawford auf drei unterschiedliche, seiner Meinung nach alle zum Scheitern verurteilte
Methoden im Bereich Gaming, die sich fälschlicherweise als ausgeprägtes Interactive
Storytelling bezeichnen.
In constipaded stories
wird die Handlung rein durch sog. Cut-Scenes vorangetrieben. Dabei
hat der Spieler keinerlei Einfluss auf den Verlauf dieser Sequenzen, kann gegebenenfalls den
Controller aus der Hand legen und die Szene wie einen Film betrachten. Darauf folgt dann
erneut ein interaktiver Abschnitt, in dem er die Aktionen seines Avatars steuert, ehe die
nächste Cut-Scene die Handlung unterbricht. Der Verlauf, gleich welche Aktionen ausgeführt
werden, lenken zwingend zu einer vorbestimmten Cut-Scene, weshalb die Handlung linear
wie bei einem Buch oder Film bleibt.
20
vgl. CRAWFORD, C. (2004): Chris Crawford on Interactive Storytelling, S.45f
21
SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.13
22
vgl. CRAWFORD, C. (2003): Interactive Storytelling, S.260f
13

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Abb.4: branching storytrees
Branching storytrees verlangen vom Autor enormen Zeitaufwand. Ausgehend von einer
Ausgangssituation, überlässt der Autor dem Rezipienten verschiedene
Entscheidungsmöglichkeiten, wodurch sich eine Verästlung ergibt, die in der Theorie ins
Unendliche gehen kann. Da dies aber wenig effizient ist und der Spieler bei Auslassungen
schnell gelangweilt oder enttäuscht wäre, bemüht sich der Autor die wahrscheinlichen
Entscheidungen des Spielers einzugrenzen und gegebenenfalls an gewissen Knotenpunkten
wieder zusammenzuführen, was sogleich das Konzept der foldback schemes aufgreift.
Abb.5: foldback schemes
14

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Während branching storytrees den meisten Menschen, die sich das erste Mal mit Interactive
Storytelling, aufgrund ihres simplen Musters, in den Sinn kommen
23
, stellen foldback
schemes eher eine Art ,,Mogelpackung" dar, da, obwohl es anders scheint, die Entscheidungen
des Spielers letztlich keinen Einfluss auf die Handlung haben. Meist wird dies beim zweiten
Durchlauf durch eine Spielhandlung besonders deutlich und führt zu Frustration.
Um sich der wahren Natur interaktiver Geschichten anzunähern, zerlegt Crawford deshalb
erst einmal den Begriff Interactive Storytelling in seine Bestandteile. Geschichten, da stimmt
er mit Aristoteles überein, müssen strukturell betrachtet einen Spannungsbogen aufweisen. In
diesen Handlungen treten, ebenfalls wie bei Aristoteles, Personen bzw. Charaktere auf, die
die dramatische Handlung über Konflikte antreiben. So handelt jede Story von weitreichenden
Entscheidungen.
24
Dieser Begriff führt in letzter Konsequenz zurück zur Interaktivität. Diese bedeutet für
Crawford, dass (min.) zwei Darsteller (wobei nicht beide Individuen darstellen müssen)
abwechselnd sprechen, zuhören und denken.
25
Dabei meinen diese drei Aktionsverben mehr, als sie zunächst aussagen. Sprechen steht im
Game für produzierten Output, d.h. eine Manipulation der Umwelt, eine Beeinflussung des
Ziels, Veränderung der computergesteuerten NPCs (Non-Player-Character), sowie der
direkten Ansprache. Zuhören meint das Vertrauen der digitalen Akteure untereinander, die
Gewaltbereitschaft, das genutzte Vokabular, sowie die Interpretation von Nutzereingaben.
Denken wertet Informationen aus und verarbeitet diese weiter (etwa durch Sprechen), und
gleicht den vorab entwickelten Storyverlauf mit den jeweiligen Entscheidungen des Nutzers
ab. An dieser Stelle spielen Laurels und Murrays Theorien wieder mit ein. Während
sprechen und denken ein Wechselverhältnis wie Materialursache und Formursache
aufweisen, sind Funktionale Bedeutung und Wahrgenommene Vollständigkeit im Bezug auf
Murrays rapture und agency zu deuten, wobei Crawford damit schließt, dass er sagt,
Interaktivität hängt von den verfügbaren Entscheidungsmöglichkeiten des Rezipienten ab.
26
23
ebd.
24
vgl. CRAWFORD, C. (2004):
Chris Crawford on Interactive Storytelling, S.15f
25
vgl. CRAWFORD, C. (2004): Chris Crawford on Interactive Storytelling, S.29
26
ebd.
15

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
2.2 Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich zu gegebenen Zeitpunkt sagen, dass eine funktionierende
interaktive Geschichte ebenso eine dramatische Handlungsstruktur benötigt, wie eine analoge
(obwohl es Gegenbeispiele gibt, auf die noch zurückzukommen sein wird). Hinzu kommt,
dass ein Wechselverhältnis von Form- und Materialursache besteht, die sich auf zwingend
erforderliche Bestandteile der Story, wie etwa agierende Charaktere und Konflikte bezieht.
Während lineare Geschichten in erster Linie zum Rezipienten sprechen, ist es eine
Herausforderung für den Autor einer interaktiven Geschichte, diese gleichermaßen zuhören
und reagieren zu lassen auf Input des Rezipienten, der sich als eine Art zweiter Autor
verstehen kann (obwohl von verschiedenen Seiten betont wird, dass es sich nur um eine
Selektion zweiten Grades handelt
27
) und maßgeblich in die Entwicklung der Geschichte
eingreift. Existierende Modelle wie branching storytrees oder foldback schemes sind
funktionell, erzeugen aber nur die Illusion von Interactive Storytelling, ohne sie wirklich zu
etablieren.
Dreh ­und Angelpunkt sind vielmehr die Charaktere, mit denen zu interagieren ist, an die die
hohe Erwartung gestellt werden muss, gleichermaßen sprechen, zuhören und denken zu
können. Um die Qualität, Funktionalität und Wirkung (im Sinne von Gefühl) einer
interaktiven Dramaturgie einschätzen zu können, haben wir die drei ästhetischen Kategorien
rapture (Verzückung), immersion (Eintauchen) und agency (Einfluss) kennen gelernt, die uns
helfen können, Praxisbeispiele, die im folgenden Kapitel untersucht werden, besser zu
begreifen.
27
,,This is not authorship but agency" ­ MURRAY, J. (1998): Hamlet on the Holodeck, S.153
16

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
3. Praxis
Interaktive Dramaturgie in Adventure-Games
3.1 Interaktive Dramaturgie in der Praxis:
Das Adventure-Genre
,,The age-old desire to live out a fantasy aroused by a ficitonal world
has been intensified by a participatory, immersive medium that promises
to statisfy it more completely hat has ever before been possible. Unlike
Don Quixote's books, digital media take us to a place where we can act
out our fantasies."
28
Nachdem nun die theoretische Basis einer interaktiven Erzählung hergestellt wurde, ist es an
der Zeit, sich der Praxis und somit dem Bereich zu widmen, indem die aufgezeigte Theorie
bereits Anwendung findet. Es soll dabei nicht verschwiegen werden, dass auch andere
mediale Bereiche sich um die Verwirklichung von Interaktivität bemühen (Film, Literatur,
etc.), diese aber zusätzlich zu beleuchten würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
Um was aber handelt es sich genau bei Adventure-Games? Nicht einmal eine Dekade nach
dem Erfolg von Pong (Atari, 1972) und der Etablierung des Begriffs ,,Videospiel" (durch die
zunehmende Massentauglichkeit von auf Fernsehtechnologie basierenden,
,,vorprogrammierten" Münz-Spieleautomaten)
29
, entstand 1976 mit Adventure (William
Crowther, Don Woods) das erste und zugleich namensgebende Adventure-Spiel, dem bis
heute eine lange Tradition folgt. Ziel ist es, heute wie damals, durch Manipulation und
28
MURRAY, J. (1998): Hamlet on the Holodeck, S.98
29
vgl. NEITZEL, B. (2006): Videospiele: Zwischen Fernsehen und Holodeck, S.1f
17

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Interaktion mit seiner Welt die im Zentrum stehende Handlung voranzutreiben, wobei etwa
Rätsel gelöst, Gespräche geführt und Items (also nützliche Gegenstände) gefunden werden
müssen.
,,Since ist inception in 1977 with Advent(ure), adventure games
have been the most story driven computer game genre. Many have
found adventure games to have a true immersive quality that can
be compared to reading a good book or watching a movie. [...]
Adventure games are about stories, exploring world and solving
puzzles."
30
Das Adventure spielt, historisch gesehen in der Geschichte der Videospiele, eine ganz
besondere Rolle. Der fliesende Übergang zwischen Interaktion und Narration, markiert den
Entstehungspunkt von interaktiver Dramaturgie und Storytelling im digitalen Medium und ist
deshalb ein prädestinierter Prüfstein für wissenschaftliche Theorien.
Obwohl auch hier der Fortschritt nicht am Genre vorbeigegangen ist und dieser im Laufe der
Jahre unterschiedliche Ausprägungen des Genres hervorgebracht hat, kann das Genre als in
sich konsistente Spielform analysiert werden und dadurch vielfältige Anregungen im Hinblick
auf die zukünftige Gestaltung interaktiv-narrativer Medienangebote geben.
Die Analyse der Entwicklung und Geschichte von Adventure-Games soll dabei exemplarisch
verlaufen. Untersucht werden konkrete Vertreter ihrer Zunft, die dem Genre neue Impulse
gegeben und um Erzähltechniken ergänzt haben.
Das Vorgehen sieht zunächst vier Schritte vor, vom Textadventure, über Grafikadventures
und Action-Adventures bis zum Open World System, eine Reise von den 80iger Jahren bis
heute (und darüber hinaus). Um die jeweiligen Genre-Auswüchse (Hybridgenres)
entsprechend verorten zu können, wird eine entsprechende Grafik zur Hilfe genommen
werden, die als kleine Ergänzung zum theoretischen Teil zu sehen ist. Dabei sind die Begriffe
Interaktivität, Offenheit und Narrativität von entscheidender Rolle, die in diesem Bezug auf
Julian Kücklich zurückzuführen sind.
31
30
SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.90
31
vgl. KÜCKLICH, J. (2001): Literaturwissenschaft und Computerspiele, S.34
18

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Abb. 6
Interaktivität ist ein inflationär verwendeter Begriff, bedeutet in diesem Zusammenhang aber
nichts anderes, als das direkte Eingreifen des Rezipienten in den Ablauf des jeweiligen Spiels.
Narration bzw. das Erzählen einer Geschichte, war nicht immer selbstverständlicher
Bestandteil der Games-Welt, inzwischen wird aber, gerade im Adventure-Bereich, viel
investiert, um packende Welten zu erschaffen. Mit ein spielt dabei die Offenheit, die eine
solche Welt im Idealfall mit sich bringen mag und aussagt, dass sich der Spieler nicht in
einem erstarrten System bewegt, sondern dass ihm ein gewisses Maß an Freiheit zugestanden
wird.
,,Während Offenheit in den traditionellen Künsten in
erster Linie die Möglichkeit unterschiedlicher Deutungsvarianten
beinhaltet, lassen sich offene Formen computerbasierter Interaktivität
auf die Möglichkeit variabler Reaktionen des Benutzers und der
unvorhersehbaren Eigendynamik des verarbeiteten Systems beziehen."
32
Diese drei Punkte beeinflussen sich gegenseitig und wirken sich auf jeden Vertreter des
Adventure-Genres (bzw. auf jedes Spiel) aus, jedoch in ganz unterschiedlichem Maße.
Deshalb zielt die Untersuchung der exemplarischen Games gleichermaßen auf eine Verortung
innerhalb des Dreiecks ab, wie auch auf das Wechselspiel zwischen Murrays ästhetischen
Kategorien, um so den Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis erreichen zu können.
32
SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.41
19

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
3.1.1 Die Anfänge: Textadventures (80iger)
Adventure schafft es 1976, eine ungeahnte Welle loszutreten. Dieser Tradtion aufs Engste
folgend, entsteht 1979 Zork (Marc Blank, Dave Lebling), ebenfalls aus Studenten- und Pen
Paper-Rollenspielerhand, da eine Kommerzialisierung des Heimspielebereichs noch auf
sich warten lässt
33
- aber dann mit Zork ihren Anfang nehmen wird.
Zork gehört, wie sein Quasi-Vorgänger, zur ältesten Form der Adventures, den
Textadventures, die inzwischen auch als Interactive Fiction bezeichnet werden
34
. Ihm gelingt
es, das Genre in den 80igern zu einem der populärsten überhaupt zu machen und vermag es
sogar über die Grenzen des Computerspiels hinaus, Medien zu beeinflussen.
35
Der Spieler, der in diesem, rein über Schrift
erzählten und per Text-Parser
36
kontrollierten
Game gleichzeitig angesprochener Leser
(,,You are standing in front...") wie Autor
(,,use sword") ist, findet sich nach einem
kurzen einführenden Textabschnitt im Great
Underground Empire wieder, indem es gilt,
inspiriert von tolkin'schen Fantasywelten,
Schätze zu finden und Gefahren zu überleben.
Abb.7
Er bereist dabei im Verlauf der Handlung zweihundert, vor seinem geistigen Auge
entstehende Räume, in denen er per Text-Kommando interaktiv in die vor ihm liegende Welt
eingreifen kann. Die Grenze zwischen literarischer Gattung und Computerspiel, ist hier, zu
Beginn des Adventure-Genres, am undeutlichsten gezogen. Interessant ist hierbei vor allem
die Verknüpfung mit analogen Medien im Stile alter Dungeons Dragons Pen Paper-
Rollenspiele. Um sich in der Geographie der Welt von Zork wortwörtlich nicht zu verlieren,
ist es unabdinglich, Stift und Papier zur Hand zu haben, um sich mind maps zu zeichnen.
37
Diese sollen einem einerseits bei der Orientierung helfen und auf der anderen Seite, die Welt
als real erscheinen lassen und den Leser/Spieler noch tiefer in ihren Bann ziehen.
Auch ist der Verlauf der Handlung nicht linear. Zwar wird in jedem Fall eine (damals übliche)
Höchstpunktzahl, der Highscore, angestrebt, auf welchem Wege man diesen erreicht, d.h. in
33
vgl. MERTENS, M. / MEIßNER, T.O.: Zork ­ ein Klassiker der Textadventures, S.48f
34
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.173
35
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.94
36
Ein Parser ist ein Computerprogramm, das in der Computertechnik für die Zerlegung und Umwandlung einer
beliebigen Eingabe in ein für die Weiterverarbeitung brauchbares Format zuständig ist.
37
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.175
20

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
welcher Reihenfolge man die versteckten Schätze des Underground Empires hebt, bleibt
dabei jedem Spieler selber überlassen.
38
Auch für die Lösung konkreter Aufgaben, sog.
Quests, bietet das Programm ein gewisses Maß an Offenheit. So ist es möglich einen bösen
Zyklopen listenreich mit einer Speise zum Schlafen zu bringen. Alternativ kann man sich
entscheiden, ihn zu bekämpfen und mit dem Wort ,,Odysseus" in die Flucht zu schlagen.
39
Das Programm wertet ganz offen die Entscheidung des Spielers, zwar nicht in ,,gut" oder
,,schlecht", sondern durch das Vergeben verschiedener
Punktzahlen.
An seine Grenzen stößt die Welt von Zork erst, wenn das
Programm Eingabebefehle missinterpretiert oder einfach nicht
versteht (,,You can't do that"). Aber selbst hier bietet Zork
noch recht interessante Ansätze, denn viele ,,unmögliche" oder
,,unnötige" Aktionen werden vom Programm selbstreflektierend
kommentiert (eine frühe Form des Sprechen-Hören-Denken-
Schemas im Bezug auf Crawford). Betrachtet man sich etwa in
Abb.8
einem Gewölbe mehrmalig im Spiegel, quittiert das Spiel diesen
Narzissmus mit ,,there is an ugly person staring back at you."
40
Obwohl mit Beginn der 90iger das Textadventure nur noch ein Randdasein fristet, begründet
durch die technischen Fortschritte der Computerbrache, sind es doch bis heute die Strukturen
dieser frühen Vertreter der Adventures, die das Kreieren von interaktiver Dramaturgie
vermitteln können.
41
Durch den Schwerpunkt der Narration innerhalb dieses Genre-Zweigs,
ist Zork wie folgt zu verorten:
Abb.9
38
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.177 / S.186
39
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.180
40
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.181
41
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.190
21

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
3.1.2 Blütezeit: Grafikadventures (Frühe 90iger)
Bereits ein Jahr nach Zork, erscheint mit Mystery House (On-Line Systems, 1980) das erste
Adventure, das eine rudimentäre grafische Oberfläche bietet. Viele Spiele folgen diesem
Konzept, zur schieren Perfektion bringt es aber erst Lucas Arts (ehemals Lucasfilm Games,
Tochterfirma des George Lucas-Imperiums) 1993. Nachdem man sich bereits mit Maniac
Mansion, Labyrinth und vor allem dem großen Erfolg von Monkey Island im Adventure-
Geschäft etabliert hat, gelingt den Entwicklern mit
dem Point-and-Click-Adventure Day of the
Tentacle, dem Nachfolger zu Maniac Mansion,
der große Wurf (welches heute noch oft als bestes
Spiel aller Zeiten tituliert wird
42
). Die
Bezeichnung Point-and-Click ist zurückzuführen
auf die Steuerungsmethode per Maus, die auf reine
Abb.10
Tastatur- und Joystick-Steuerung folgte. Schlug man
sich früher mit Text-Parsern herum, sucht man sich seit Monkey Island seine Befehle aus
einer
Menüleiste unterhalb des Handlungsraums aus und klickt anschließend auf den
Gegenstand, den man manipulieren oder die Person mit der man sprechen will. Day of the
Tentacle hat dieses als Scumm-
Engine
43
System bereits
weiterentwickelt und noch
visueller gestaltet. So wird das
Inventar des Spielers bereits nicht
mehr durch Worte, sondern durch
quadratische Bilder dargestellt.
Diese Revolution im Genre wird
auch heute manchmal noch analog
mit dem Sprung vom Stumm zum
Tonfilm verglichen,
44
und
Abb.11
,,damit eine völlig andere ­ eben räumlich-visuelle ­ Art der Spielereinbindung."
45
42
vgl. z.B. http://www.chip.de/artikel/Die-besten-Adventure-Raetsel-aller-Zeiten-11_32211898.html
43
Die Scumm (Script Creation Utility for Maniac Mansion) Engine ist eine 1987 entwickelte Software, die das
Erstellen von Point-and-Click Adventures vereinfachen sollte.
44
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.211
45
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.201
22

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Das trifft sogar in mehrerer Hinsicht zu. Denn nicht nur auf visueller, auch auf auditiver
Ebene betritt Day of the Tentacle Neuland. Ein auf iMuse
46
basierender Soundtrack wird
kreiert, außerdem entsteht, mit Aufkommen und Verbreitung der CD-Rom Laufwerke, sogar
eine spezielle CD-Version von Day of the Tentacle, komplett synchronisiert und mit optional
ausblendbaren Texten. Somit wird das geschrieben Wort im Zuge dieser Entwicklung,
abgesehen von den Befehlen im Interface, durch das gesprochene Wort ersetzt.
Day of the Tentacle versetzt den Spieler in eine skurrile Comicwelt, in der ein verrückter
Wissenschaftler eine machthungrige Spezies
Tentakel gezüchtet hat, die die Welt
unterwerfen wollen. In gleich drei Rollen,
der des Nerds Bernard, der des kräftigen
Rockers Hogie und der der abgedrehten
Studentin Laverne, muss der Spieler dem
üblen Treiben der Tentakel Einhalt gebieten,
indem ganz traditionsbewusst Rätsel gelöst,
Gegenstände gefunden und kombiniert und
Multiple Choice-Gespräche geführt werden,
Abb.12
die im Vergleich zu reinen Textadventures zwar zu gewissem Maße vorbestimmt sind, aber
weit intuitiver wirken, als die rudimentäre Gesprächsführung in Zork, die, wenn überhaupt,
nur begrenzt durchführbar war.
47
Zusätzlich bewegt sich der Spieler relativ autonom zwischen
den drei Charakteren, und aufgrund einer fehlgeschlagenen Zeitreise, zwischen drei
Zeitdimensionen hin und her.
Der Weggang von mittelalterlicher Fantasy und der Schwerpunkt des skurrilen Humors, die
Day of the Tentacle etablieren kann, ist richtungweisend. Das Spiel folgt dabei einer relativ
klassischen Dramaturgie, da trotz gewisser freien Entscheidung in welcher Reihenfolge Rätsel
gelöst werden, die Handlung grundsätzlich mit Erreichen bestimmter Knotenpunkte
(vergleichbar mit Plot Points) fortgeführt wird,
48
was das Genre seit Monkey Island mit
ausmacht. Das Spiel schafft es ein großes Maß an rapture zu erzeugen, über treffsichere Gags
und liebenswürdige Comiccharaktere, während agency und immersion sich eher auf einem
durchschnittlichen Niveau bewegen.
46
iMuse (Interactive Music Streaming Engine) ist eine von Michael Land und Peter McConell entwickelte
Engine, deren Aufgabe es ist, die Musik eines Computerspiels jeweils dynamisch an die Szenen, Figuren und
Stimmung des Spiels anzupassen.
47
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.219
48
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.218
23

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Day of the Tentacle ist folglich im Sinne einer narrativ betonten Erfahrung in direkter Nähe
zu Zork zu verorten, wobei es der Interaktivität eine Spur näher ist, durch das jederzeit
mögliche Wechseln zwischen den drei Charakteren.
Abb.13
3.1.3 Wende: Action - Adventures (Späte 90iger)
Lucas Arts kann lange seine Vormachtsstellung als Adventure-Spezialist halten. Erst gegen
Ende der 90iger stagniert der Verkauf und andere Genres drängen auf den Markt. Mit dem
Aufkommen von 3D Beschleunigern
49
und polygonbasierten 3D inviroments
50
(die
entscheiden durch die Veröffentlichung von Sonys PlayStation voran getrieben werden),
erlebt etwa das Action-Genre seine Blütezeit, vor allem
sog. First-Person-Shooter wie Doom (id Software,
1993), in denen der Spieler durch die Augen seines
Avatars auf alles schießt, was ihm vor die Flinte
kommt. Logisch, dass Handlung hier extrem klein
geschrieben wird, aber aus dieser Entwicklung
entspringt zumindest die fruchtbare Kombination von
Erzählung und Action und erschafft so das Action-
Adventure, das bis heute, aufgrund seiner
Abb.14
ungemeinen Popolarität, unzählige Unterarten
51
hervorgebracht hat.
49
Also speziellen Grafikkarten, die der ungleich höhere Leistung von 3D Umgebungen gewachsen sind
50
Erste 3D Umgebungen bestehen aus einer (noch) geringen Anzahl sog. Polygone, also Vielecken.
51
Etwa Survival-Horror (Resident Evil), Stealth (Metal Gear Solid), Hack n' Slay (Diablo)
24

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Angesetzt werden soll jedoch beim
allgemein als Begründer gehandelten Spiel, der zusätzlich
das Thema ,,Cybersex" salonfähig gemacht hat. Die Rede ist von Tomb Raider (Core Design,
1996) und seiner Protagonistin Lara Croft. Diskussionen, ob, wie anfangs geplant, das Spiel
ebenso erfolgreich gewesen wäre, wenn ein raubeiniger Archäologe wie Indiana Jones die
Hauptrolle, statt einer vollbusigen Kampfamazone, übernommen hätte, stehen hier nicht zur
Debatte. Sie spielt aber eine Rolle im Hinblick auf den Durchbruch des Action-Adventures.
Wie in herkömmlichen Adventures erkundet Lara Croft in ihrem Abenteuer, auf der Jagd
nach verschollenen Schätzen, unterschiedliche Umgebungen und löst Rätsel. So weit, so
bekannt. Neu hinzu kommt jedoch die Tatsache, dass Frau Croft, anstatt Konversation zu
treiben, wie noch in Day of the Tentacle, lieber ihre Pistolen sprechen lässt. So springt,
hangelt, klettert, rennt und schießt sie sich durch die großräumig gestalteten 3D Levels ihres
ersten Abenteuers. Diese Kombination weiß die Spieler zu überzeugen, bietet ein hohes Maß
an Interaktivität (obwohl die Handlung
eher alibihaft daherkommt) und lässt dem
Spieler einige Freiheiten (agency) im
Hinblick auf sein Vorgehen. Zwar ist es
nicht möglich, die Levelabfolge oder gar
die Handlung entscheidend zu
beeinflussen, darauf legen die Spieler in
diesem Fall aber auch weniger Wert und
lassen sich eher von der ächzenden
Abb.15
Protagonistin verzücken (rapture) und in
ihre Welt entführen (immersion).
52
Action geladene, spannende Momente wie die
überraschende Konfrontation mit einem Bildschirm füllenden T-Rex, treiben den Schweiß auf
die Stirn und bieten somit ein mindestens so ausgefeiltes Eintauchen (immersion) in die
digitale Welt wie in Point-and-Click-Adventures, bei zusätzlicher Freiheit (agency). Jedoch
stirbt man angesichts der Konsequenzen solcher ,,Freiheiten" oft den digitalen Heldentod (den
es in Grafikadventures nur selten gibt), der, vor allem in besonders frustrierenden Passagen,
dazu führt, dass der Spieler abschaltet.
53
Das Auf-der-Stelle-Treten sorgt für eine Abnahme
von rapture und immersion.
Im Sinne des Ausgleichs von Material- und Formursache, kommen beide Faktoren im
Action-Adventure am ehesten zum angestrebten Ausgleich. Die Regeln sind dem Spieler
schnell klar, Felsen müssen bestiegen, Schalter umgelegt und Gegner getötet werden. Es wird
52
MTV Access All Areas: Digital Heroes (2007), Aussage: Charolin Kebekus
53
vgl. http://www.tombraiderforums.com/archive/index.php/t-121447.html
25

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
nicht die Option angeboten in Dialog mit diesen zu treten, was auch der Spielwelt zu Grunde
liegenden Regeln zuwider laufen würde, da Lara sich entweder mit blutrünstigen Raubtieren
oder schwer bewaffneten Söldnern auseinandersetzt.
Während die Handlung nicht mehr der eigentliche Reiz des Spiels ist, ist das Maß an
Interaktion angewachsen, obwohl die eigentliche Offenheit der Spielwelt davon relativ
unbeeinflusst bleibt, da es kaum alternative Lösungsansätze gibt, um einen Level zu meistern.
Deshalb ist das Action-Adventure wie folgt zu verorten:
Abb.16
3.1.4 Gegenwart: Open World Systems
Der nächste Schritt, den das Adventure von Spielen wie Tomb Raider aus machen wird, ist,
aus heutiger Sicht, nur zu logisch.
Er führt zur Simulation einer lebendigen Welt. Dieses
Sandbox-System wird bereits früh erprobt, jedoch erst zur
Reife durch den dritten Teil der GTA - Grand Theft Auto-
Reihe gebracht (Rockstar Games, 2001). Seitdem bringt
die Entwicklung regelmäßig noch größere, noch
realistischere Welten auf den Computerbildschirm, in der
den Möglichkeiten wirklich nur die eigene Fantasie als
Grenze gesetzt ist. Durch
Abb.17
direkte Nähe zum Drehbuch Der Junge der die Welt rettet, soll
der GTA-Ableger Canis Canem Edit (Rockstar Vancouver, 2006) als Exempel dienen.
26

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
In Canis Canem Edit schlüpft man in die Haut des 15jährigen Jimmy Hopkins, der an eine
Eliteschule wechselt. Der Spieler verfolgt in fünf festgelegten Kapiteln den Aufstieg seines
Alter Egos bis an die Spitze der Schulfhofhierarchie. Dabei bewältigt er festgelegte, story-
getriebene Aufgaben, die er jedoch meist in
beliebiger Reihenfolge absolvieren kann. Der
Übergang zwischen den Kapiteln dient dabei als
eine Art Plot Point, der die Handlung in andere
Bahnen lenkt. Dazwischen, und das macht den
Hauptteil des Spiels aus, macht Jimmy
grundsätzlich, was er will. Morgens geht er zum
Unterricht, lernt
Abb.18
(innerhalb von Mini-Geschicklichkeitsspielen) um
gute Noten zu erlangen, während er nachmittags ein vielfältiges Freizeitprogramm verfolgen
kann, wenn er denn will. Er muss nicht einmal zum Unterricht gehen, aber diese Entscheidung
bringt, wie im richtigen Leben, Konsequenzen mit sich: Jimmys Noten werden schlechter und
er droht nicht versetzt zu werden (,,Game Over"). Hält sich Jimmy und somit der Spieler
jedoch an gewisse Regeln, eröffnet sich ihm nach und nach eine riesige, eigenständige Welt,
die vom Campus bis in den nahe gelegenen Badeort, inklusive Strandhäusern und Boutiquen,
reicht. Beim Friseur kann Jimmy sich eine neue Frisur schneiden lassen, in den Shops kann er
Kleidung erstehen. Er kann sich um eine Freundin bemühen, Ärger mit Gangs anfangen und
eigentlich alles tun, was auch im echten Leben möglich ist. Die Tatsache, dass Jimmy aber ein
raubeiniger Anti-Held ist, macht es besonders
reizvoll, in seine Haut zu schlüpfen. Canis
Canem Edit treibt dieses Spielprinzip sogar so
weit, dass nach Abschluss der fünf Kapitel und
der Haupthandlung sich ein sechstes Kapitel
anschließt, dass sich ,,Endless Summer" nennt.
Hier ist der Name Programm. Man kann
weiterhin soviel Zeit mit dem Spiel
verbringen, wie der Spieler will.
Abb.19
Es gibt immer noch neue Dinge zu entdecken und weitere Sub-Missionen aufzudecken. Canis
Canem Edit bietet ein Höchstmaß an Offenheit. Im Vergleich zu früheren Vertretern wie
Zork, erscheint die frei begehbare Welt der Bullworth Academy wie die Offenbarung einer
27

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
realen, lebendigen Welt, was mit dem nächsten Teil der bekannten GTA-Reihe, Grand Theft
Auto 4, noch weiter gepusht werden wird.
Obwohl Spiele wie Canis Canem Edit offensichtlich alle Freiheiten dieser Welt bieten und
somit einen interaktiven, non-linearen Spielplatz darstellen, muss man eingestehen, dass die
doch recht dürftige, vorhersehbare Haupthandlung nur Grundgerüst ist, um die Welt
zusammenzuhalten. Geht Jimmy Hopkins angeln, spielt er am Spieleautomaten, isst er
Süssigkeiten, kauft er sich neue Kleidung. All das
macht das Spiel zwar aus, aber um wirklich
dramatische Aktionen handelt es sich dabei nicht. Die
Gefahr ist natürlich groß, wenn man einem
Rezipienten eine zu große, offene Welt gibt, in der er
sich austoben kann, dass er sich in
Bedeutungslosigkeit und somit sogar das Interesse an
Abb.20
jeglicher Handlung verliert. Die Entwickler von
Rockstar haben inzwischen soviel Erfahrung, dass es ihnen auch gelingt durch Handlung und
Charaktere zu fesseln, aber es kostet viel Zeit, Kraft und eine Menge Geld, eine solche Welt
auszubalancieren und um gleichermaßen Spieler zu überzeugen, die Action und die Spieler,
die Handlung wollen. Der Erfolg
54
mag dem Entwickler recht geben, aber ein interaktives
Drama ist hinter dieser Lebenssimulation nicht zu finden, da man nicht umsonst sagt, dass in
einer dramatischen Geschichte heißer geliebt, bitterer gelitten und sich überschwänglicher
gefreut wird als im echten Leben
55
. Deshalb ist Canis Canem Edit am Pol der Offenheit
einzuordnen.
Abb.21
54
vgl. http://www.gamesindustry.biz/articles/grand-theft-auto-series-has-sold-66-million-units-to-date
55
vgl. FREY, J. (2008): Wie man einen richtig guten Roman schreibt, S.17f
28

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
3.1.5 Ergänzung: Zwischensparten
Um die Verortung der genannten Adventures zu verdeutlichen, ist es weiterhin wichtig, diese
im Gesamtkontext zum Konsumprogramm zu sehen. So lassen sich zwischen Simulation,
Action und Adventure noch Zwischengenres feststellen (die für sich genommen wieder
übergeordnete Genres darstellen können), die nicht unerheblich für die Untersuchung sind.
In Rollenspielen
(RPGs) schlüpft der Spieler in die Rolle eines Avatars, den er von klein auf
aufbaut. Meist startet dieser
Avatar als ärmlicher,
schwächlicher Bauer und
beendet sein Abenteuer als
mächtiger Heroe. Dies ist
mitunter auch der Reiz des
Genres. Einflussreiche
Genrevertreter wie Baldur's
Gate
(Bioware, 1998)
beziehen ihre Faszination aus
einer freien Welt, die erkundet
werden kann, in der es Abenteuer
Abb.22
zu bestehen und Schätze zu heben gilt. Erfahrung, die der (von Grund auf selbstkreierte)
Avatar macht, lassen diesen (in Level gemessen) aufsteigen und somit mehr Verletzungen
aushalten, schwerere Rüstungen tragen und schärfere Schwerter führen. Trotz einer eher als
Beiwerk dienenden Story im Hintergrund, lässt den Spieler besonders die Konversation in der
Gruppe tief in die Spielewelt eintauchen (immersion). So schließen sich dem Avatar im
Verlauf der Handlung bis zu fünf mehr oder weniger skurrile Begleiter an (etwa ein Barbar,
der einen Hamster als Haustier hält in Baldur's Gate II), die sich untereinander unterhalten,
so lebendig erscheinen und dem Spieler ans Herz wachsen (rapture). RPGs ziehen ihre
Wurzeln aus der gleichen Quelle wie ehemals Textadventures. Sie beruhen auf Pen-and-
Paper-Rollenspielen, etwa die der Dungeons Dragons ­ Serie und sind irgendwo zwischen
Offenheit und Narration anzusiedeln.
29

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Massively Multyplayer Online Role Playing Games, kurz MMORPGs basieren
grundsätzlich auf ähnlichen Prinzipien wie RPGs, sind aber eher darauf ausgelegt, eine breite
Masse von Menschen gleichermaßen zu erreichen. Das Besondere: Diese Adventures werden
nur online und meist im Verbund mit einer großen Gruppe menschlicher Spieler, repräsentiert
durch ihre jeweiligen, digitalen Avatare, gespielt. Hier geht es noch viel mehr als etwa in
Baldur's Gate darum, Gegenstände zu sammeln und Level aufzusteigen. Eine in sich
geschlossene Handlung gibt es nicht, da solche Spiele grundsätzlich auf ihre Unendlichkeit
aufbauen. Prominentestes Beispiel ist
ohne Zweifel World of Warcraft
(Blizzard Entertainment, 2004), das
dem Genre, trotz seines enormen
Erfolges (mit über 11,5 Millionen
Abonnenten weltweit
56
), einen eher
schlechten Ruf eingebracht hat.
Suchtpotenial, Vereinsamung,
körpliche und psychische Schäden sind
nur einige der Punkte, die gegen Online
Abb.23
Rollenspiele ins Feld geführt werden.
57
Grund ist eine enorme Handlungsfreiheit (agency) und die Tatsache, dass es immer etwas
Neues zu tun gibt ­ so dass in gewisser Weise bereits ein digitales Leben in der Welt Azeroth
möglich ist. Hier werden Hochzeiten unter Avataren geschlossen, Feste gefeiert und Häuser
gekauft ­ alles neben dem eigentlichen ,,Spielziel", dem Aufsteigen in den nächst höheren
Level. MMORPGs sind im Vergleich zu Rollenspielen eher zwischen Offenheit und
Interaktion anzusiedeln, wobei, ähnlich einer offenen Welt à la Canis Canem Edit, kaum
dramatische Handlungen stattfinden, die in irgendeiner Weise die Geschichte vorantreiben
würden.
Interaktive Filme sind Spezialfälle von Adventures, die sich entweder im hohen Maße an
filmisch-cineastischen Codes
58
und Stilmitteln orientieren oder konkret Kinofilme als
Grundlage haben. Charakteristisch sind (gerade in früheren Tagen des Genres) Realszenen
mit echten Darstellern, um das Gefühl eines beeinflussbaren Kinofilms noch zu verstärken
(z.B. in Privateer II von 1996 mit Clive Owen in der Hauptrolle). Weiterhin steht das
56
vgl. http://eu.blizzard.com/en/press/081223.html
57
vgl. http://www.internet-abc.de/eltern/spiele-vereinsamung.php
58
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.152f
30

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Erleben der Geschichte deutlich im Vordergrund, weshalb hier selten Rätsel oder
Denkaufgaben anzutreffen sind. Jüngste Beispiele wie Fahrenheit (Quantic Dream, 2005)
gaukeln dem Spieler eine offene Handlung vor, in der jede Entscheidung den Verlauf
verändert. Diese Täuschung wird nach einem starken Auftakt jedoch schnell ausgehebelt und
als
foldback scheme nach Crawford
klassifiziert. Trotz guter Ansätze und hoher
Verkaufszahlen, bleibt das Produkt so hinter
den Erwartungen zurück, zumal sich die
Interaktivität zwar sogar auf Cut-Scenes
ausweitet, aber dabei zu bloßem
Geschicklichkeitstests verkommt, die den
Spiel- und Erzählfluss stark beeinträchtigten.
59
Abb.24
Fahrenheit ist von vorne bis hinten wie ein Film
konstruiert. Ob nun filmische Codes wie Voice-Over Narration, Splitscreens,
Kameraschwenks oder musikalische Untermalung von Angelo Balamenti (u.a. Twin Peaks),
selbst das Tutorial des Spiels stellt dem Spieler den
virtuellen Regisseur zur Seite, der am Set des
(Spiel-)Films in die Grundlagen der Steuerung
einführt.
60
Apropos Steuerung: Auch hier versucht
man neue Wege zu beschreiten, indem Aktionen
wie das Öffnen von Türen, Verrücken von
Gegenständen und ähnliches mit der Maus
nachempfunden werden musst, indem man diese
entsprechend der auszuführenden Aktion bewegt.
Abb.25
Dadurch hält Fahrenheit vom Ansatz her ein recht intuitives Interface bereit, das leider nicht
ganz zu ende gedacht und manchmal einfach aufgesetzt wirkt.
Westwood Studios, bekannt geworden durch die Command Conquer ­ Reihe, versucht
sich aber bereits zuvor an einem interaktiven Film
61
, noch bevor der große 3D-Boom Ende
der 90iger losbricht und das klassische Grafikadventure unter sich begräbt.
62
Blade Runner
(1997) ist ein ambitioniertes Projekt, das das Ziel verfolgt, Ridley Scotts Kultfilm von 1982
als interaktives Erlebnis auf den Computerbildschirm zu bringen. Zwar kann sich auch dieser
59
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.102
60
vgl. http://www.golem.de/0509/40686.html
61
Beworben als ,,the first real-time 3D adventure"
http://www.shopwiki.com/Blade+Runner:+The+First+Real-Time+3D+Adventure+(B000BFP82E)
62
vgl. SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.99
31

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Titel die ,,Action" im Adventure nicht vollends verkneifen, beschränkt sich aber zumindest
auf wenige kurze Passagen, die es vorsehen mit der Maus diverse Ziele ,,tot zu klicken".
Darüber hinaus handelt es sich um eine spannend erzählte Detektivgeschichte, die parallel zur
und an den gleichen Orten der Filmhandlung spielt. Man schlüpfte hierbei jedoch nicht in
Harrison Fords Haut, sondern in die des jungen
Detectivs Ray McCoy und geht ebenfalls auf die
Jagd nach sog. Replikanten, tödlichen Maschinen
mit menschlichem Äußeren.
Neben den gängigen Befragungen von Personen,
dem Besuchen und Erkunden von Orten und dem
Finden von Gegenständen und Hinweisen, ist es
dem
Abb.26
Spieler überdies möglich Verdächtige ins Kreuzverhör
zu nehmen, sowie Fotos und Gewebeproben im Labor zu untersuchen. Je nachdem sammelt
man in einem digitalen Notizblock Beweise gegen die Charaktere, die man kennen gelernt
hat. Das Besondere: Ganz gleich, ob man genug Beweise gesammelt oder ob ein Kreuzverhör
Aufschluss gegeben hat, niemand, nicht einmal das Programm, hält den Spieler davon ab,
einfach seine Waffe zu ziehen und Selbstjustiz zu üben. Diese Entscheidungen beeinflussen
den Spielverlauf maßgeblich, können bedeuten, dass man selber von der Polizei gesucht und
sich auf die Seite seiner ehemaligen Feinde
schlägt oder als einsamer, kaltblütiger Rächer
durch die Straßen dieser futuristischen Welt
stapft. Das Spiel mündet dann je nachdem in
einem von sieben möglichen Enden.
63
Der Faktor Zufall, der bereits bei Zork eine
kleine Rolle spielt, wird in Blade Runner in
ganz neue Dimensionen überführt. So wird vor
Beginn des eigentlichen Spiels vom System
festgelegt, welcher der Non-Player-Character
Abb.27
(NPC) ein Replikant sein soll, was den Wiederspielwert natürlich enorm erhöht (da diese
Selektion in Unkenntnis des Spielers erfolgt). Es kann sogar vorkommen, dass das Programm
den Spieler selber als Replikanten festlegt, was das eigene Selbstbildnis, wie im Film Blade
63
vgl. http://media.bladezone.com/contents/game/
32

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
Runner nur angedeutet, hinterfragt und uns so, im interaktiven Erleben dieses Zustands, noch
mehr zu fesseln weiß, als der eigentliche Film.
So ist Blade Runner - das Spiel ein konkretes Beispiel, wie man aus dem grundsätzlichen
analogen Drehbuch eines Films ein interaktives Erlebnis kreieren kann. Mit Erfolg. Blade
Runner verkauft sich über eine Millionen mal und bekommt von der Fachpresse
herausragende Kritiken.
64
Während Blade Runner ein großes Maß an Entscheidungsfreiheit und dabei doch eine
fesselnde, dichte narrative Geschichte zu erzählen weiß, ist dies auf der anderen Seite nur
möglich, indem man die Spielwelt beschränkt. Blade Runner weist weit weniger als 200
Räume auf (ca. 30), die Zork bereithält.
Außerdem muss die relativ geringe Cast an
Charakteren abhängig vom Handeln des
Spielers sein. Tritt dieser auf der Stelle, tut
sich auch (bis auf wenige Ausnahmen) bei den
NPCs nichts (obgleich anderes behauptet
wird, denn ursprünglich sollte jeder der
Charaktere sprechen, denken und überlegen
können - sprich ein Eigenleben führen ­ was ein
Abb.28
Chris Crawford sicher sehr begrüßt hätte). Interaktive Filme sind demnach zwischen
Interaktion und Narration anzusiedeln.
Abb.29
64
vgl. http://www.pcgamesdatabase.de/gameinfo.php?game_id=500cat=zit#pcgames
33

Dominik Krug Interaktive Dramaturgie und non-lineare Erzählweisen im Spiegel der Games-Industrie
3.2 Zusammenfassung
Das Adventure-Genre bietet ein buntes Spektrum von Ansätzen, die interaktiver Dramaturgie
zur Weiterentwicklung verholfen haben. Betrachtet man die ersten Ansätze von Text- oder
Grafikadventures, die frischen Impulse der Action-Adventures oder offene Welten einer
Sandbox-Simulation, alle haben sie maßgeblich zur Entwicklung dieses Astes beigetragen,
wobei sie sich ausnahmslos, vielleicht bewusst, vielleicht intuitiv, auf die universellen Regeln
der Dramentheorie seit Aristoteles berufen, aber um einige Facetten ergänzt haben.
,,Während aus der Sicht des Storytelling durch die verschiedensten
Formen der Interaktivität also neue Möglichkeiten der Dramaturgie
und des Erzählens zu ergeben scheinen, werden interaktive
Medienformen ihrerseits durch narrative Elemente bereichert."
65
Wir wissen jetzt also: Spiele erzählen Geschichten. Packend, emotionsreich, lustig und vieles
mehr. Alles, was auch die Literatur oder die Filmbranche verspricht. Zusätzlich sind Games
ein, in ihrem Kern, interaktives Medium, aber: Ihre Geschichten sind es (noch) nicht. Das
Adventure kann ,,als gattungshistorischer Idealtyp des Interactive Storytelling beschrieben
werden, dem ein gewisser Modellcharakter anhaftet, von dem auch zukünftige interaktiv-
narrative Medienangebote profitieren können."
66
Nicht nur das: Adventures lassen sich auch im Sinne ihrer Eigenschaften verorten, wobei
festgestellt wurde, dass Games den Hang zur Offenheit, Narration oder Interaktivität besitzen
(je nach Genre) bzw. zwischen zwei Punkten liegen (Hybridgenres).
Am nächsten an ein interaktives Drama sind nach dem Stand der Entwicklung Ansätze wie in
Canis Canem Edit (dem es aber an dramatischen Handlungsmomenten fehlt) oder Blade
Runner gekommen (dem es wiederum an realistischen NPCs fehlt, die nur auf der Blaupause
Sprechen, Denken und Zuhören können).
Dabei muss klar gesagt werden, dass die Entwicklung stetig weiter geht. Selbst das totgesagte
klassische Adventure scheint zurzeit wieder hoch im Kurs zu sein. Es gibt eine gewisse
Tendenz der Industrie, die sich auf die Vergangenheit beruft: Während Textadventures nach
wie vor auf Fanbasis vielfältig im Internet verbreitet werden, sie in Japan sogar kommerziell
65
SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.51
66
SEDA, R. (2008): Interactive Storytelling im Computerspiel, S.165
34

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836641579
Dateigröße
2.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Macromedia Fachhochschule der Medien Köln – Film und Fernsehen, Regie
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
adventure games drehbuch dramentheorie erzählweise videospiel
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