Der Einfluss von Wirtschaftstheorien auf den Sozialstaat
Theoretische Grundlagen und empirische Darstellung am Beispiel der österreichischen Pensionsreformen 2003 und 2004
					
	
		©2006
		Diplomarbeit
		
			
				227 Seiten
			
		
	
				
				
					
						
					
				
				
				
				
			Zusammenfassung
			
				Inhaltsangabe:Einleitung:	
Die Ausgangsthese der Arbeit lautet, dass Interdependenzen zwischen wirtschaftstheoretischen Vorstellungen und konkreten Veränderungen in den verschiedenen Politikfeldern bestehen. Selbstverständlich wirkt die wissenschaftliche Theorie nicht direkt, durch ihr bloßes Vorhandensein, auf die politische Praxis ein, aber sie gibt den politischen Akteuren Handlungsanleitungen und/oder Legitimationsinstrumente zur Hand, die sie zur Verfolgung ihrer Interessen nutzen und einsetzen können.
In der Regierungserklärung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel aus dem Jahr 2000, dem komprimierten Programm der ÖVP-FPÖ Regierungskoalition, wurden die inhaltlichen Vorstellungen zu den verschiedenen Politikfeldern jeweils mit Neu regieren heißt präsentiert. Dieses Neu regieren implizierte, im Bereich des politischen Prozesses, eine Abkehr vom bisherigen konsensorientierten Muster der Entscheidungsfindung und, im Bereich der politischen Inhalte, eine grundsätzliche Veränderung in der inhaltlichen Ausrichtung des österreichischen Sozialstaats.
Die wirtschafts- und sozialpolitischen Zielvorstellungen der ÖVP-FPÖ und später der ÖVP-BZÖ Regierung, ablesbar an Regierungsprogrammen, Regierungserklärungen und Reden von zentralen Repräsentanten der Regierung, orientierten sich dabei wesentlich an neoliberalen beziehungsweise angebotspolitischen Theorien und Konzeptionen. Daraus ergibt sich erstens ein generelles Misstrauen gegenüber vielen Leistungen des öffentlichen Bereichs und die daraus abgeleitete Forderung nach staatlicher Aufgabenbeschränkung und einem schlanken Staat. Zweitens werden als zentrale Staatsaufgabe die Förderung von aktiven, zukunftsorientierten Investitionsleistungen (Forschung und Entwicklung, Infrastruktur) zuungunsten von passiven, gegenwartsbezogen Transferleistungen (Verwaltung, Subventionen, soziale Leistungen) definiert. Mit diesen Festlegungen ist der gut ausgebaute, wenngleich auf manche neuen gesellschaftlichen Entwicklungen nur unzureichend reagierende, österreichische Sozialstaat in die Defensive und unter politischen Druck geraten. Die Unterordnung von sozialpolitischen unter wirtschafts- und standortpolitische Überlegungen muss als gegeben angenommen werden.
Diese politischen und ideologischen Entwicklungen sind allerdings nicht allein mit dem Regierungswechsel - von der Großen Koalition zur Rechtskoalition - zu erklären.
Die politische Unterstützung des Sozialstaats nimmt  wenngleich in unterschiedlichem […]
	Die Ausgangsthese der Arbeit lautet, dass Interdependenzen zwischen wirtschaftstheoretischen Vorstellungen und konkreten Veränderungen in den verschiedenen Politikfeldern bestehen. Selbstverständlich wirkt die wissenschaftliche Theorie nicht direkt, durch ihr bloßes Vorhandensein, auf die politische Praxis ein, aber sie gibt den politischen Akteuren Handlungsanleitungen und/oder Legitimationsinstrumente zur Hand, die sie zur Verfolgung ihrer Interessen nutzen und einsetzen können.
In der Regierungserklärung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel aus dem Jahr 2000, dem komprimierten Programm der ÖVP-FPÖ Regierungskoalition, wurden die inhaltlichen Vorstellungen zu den verschiedenen Politikfeldern jeweils mit Neu regieren heißt präsentiert. Dieses Neu regieren implizierte, im Bereich des politischen Prozesses, eine Abkehr vom bisherigen konsensorientierten Muster der Entscheidungsfindung und, im Bereich der politischen Inhalte, eine grundsätzliche Veränderung in der inhaltlichen Ausrichtung des österreichischen Sozialstaats.
Die wirtschafts- und sozialpolitischen Zielvorstellungen der ÖVP-FPÖ und später der ÖVP-BZÖ Regierung, ablesbar an Regierungsprogrammen, Regierungserklärungen und Reden von zentralen Repräsentanten der Regierung, orientierten sich dabei wesentlich an neoliberalen beziehungsweise angebotspolitischen Theorien und Konzeptionen. Daraus ergibt sich erstens ein generelles Misstrauen gegenüber vielen Leistungen des öffentlichen Bereichs und die daraus abgeleitete Forderung nach staatlicher Aufgabenbeschränkung und einem schlanken Staat. Zweitens werden als zentrale Staatsaufgabe die Förderung von aktiven, zukunftsorientierten Investitionsleistungen (Forschung und Entwicklung, Infrastruktur) zuungunsten von passiven, gegenwartsbezogen Transferleistungen (Verwaltung, Subventionen, soziale Leistungen) definiert. Mit diesen Festlegungen ist der gut ausgebaute, wenngleich auf manche neuen gesellschaftlichen Entwicklungen nur unzureichend reagierende, österreichische Sozialstaat in die Defensive und unter politischen Druck geraten. Die Unterordnung von sozialpolitischen unter wirtschafts- und standortpolitische Überlegungen muss als gegeben angenommen werden.
Diese politischen und ideologischen Entwicklungen sind allerdings nicht allein mit dem Regierungswechsel - von der Großen Koalition zur Rechtskoalition - zu erklären.
Die politische Unterstützung des Sozialstaats nimmt  wenngleich in unterschiedlichem […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Christian Pammer 
Der Einfluss von Wirtschaftstheorien auf den Sozialstaat 
Theoretische Grundlagen und empirische Darstellung am Beispiel der österreichischen 
Pensionsreformen 2003 und 2004 
ISBN: 978-3-8366-4122-7 
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010 
Zugl. Universität Wien, Wien, Österreich, Diplomarbeit, 2006 
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http://www.diplomica.de, Hamburg 2010 
2 
Inhaltsverzeichnis 
1
EINLEITUNG ... 8
2
WIRTSCHAFTSTHEORIE ... 15
2.1
Die klassische politische Ökonomie ... 16
2.1.1
Der Ausgangspunkt ... 16
2.1.2
Das klassische Modell ... 18
2.1.3
Die Staatsaufgaben und das Verhältnis von Staat & Ökonomie ... 22
2.1.4
Die Kritik ... 24
2.2
Die Grenznutzenschule ... 26
2.2.1
Der Ausgangspunkt ... 26
2.2.2
Das Grenznutzenmodell ... 27
2.3
Die Wohlfahrtsökonomik ... 29
2.3.1
Der Ausgangspunkt ... 29
2.3.2
Das wohlfahrtsökonomische Modell ... 30
2.3.3
Die Wohlfahrtsfunktion ... 32
2.3.4
Die Staatsaufgaben und das Verhältnis von Staat & Ökonomie ... 33
2.3.5
Kritik der Wohlfahrtsökonomik und der Grenznutzenschule ... 34
2.4
Der Keynesianismus ... 37
2.4.1
Der Ausgangspunkt ... 37
2.4.2
Das keynesianische Modell ... 39
2.4.3
Die Staatsaufgaben und das Verhältnis von Staat & Ökonomie ... 43
2.4.4
Die Kritik ... 45
3
DER NEOLIBERALISMUS ... 47
3.1
Der Neoliberalismus als Wirtschaftstheorie ... 48
3.2
Der Ordoliberalismus ... 48
3.2.1
Der Ausgangspunkt ... 48
3.2.2
Das ordoliberale Modell ... 49
3.2.3
Die Staatsaufgaben und das Verhältnis von Staat & Ökonomie ... 51
3.3
Der Monetarismus ... 53
3.3.1
Der Ausgangspunkt ... 53
3.3.2
Das Monetaristische  Modell ... 54
3.3.3
Die Staatsaufgaben und das Verhältnis von Staat & Ökonomie ... 55
3.3.4
Kritik des Monetarismus ... 57
3.3.5
Monetarismus versus Keynesianismus ... 58
3 
3.4
Die wirtschaftspolitische Umsetzung von Monetarismus und 
Keynesianismus ... 60
3.4.1
Angebotspolitik versus Nachfragepolitik ... 61
3.4.2
Die Wirtschaftspolitik der Angebotsökonomie ... 62
3.4.3
Das Verhältnis von Angebots- und Nachfragepolitik... 69
3.4.4
Die Kritik an der Angebotspolitik ... 70
3.5
Der Neoliberalismus als Gesellschaftstheorie ... 73
3.5.1
Der methodologische Individualismus ... 73
3.5.2
Der homo oeconomicus ... 75
3.5.3
Die Kritik am homo oeconomicus und seiner Gesellschaft ... 83
3.5.4
Das Gesellschaftsmodell von Hayek ... 87
3.6
Durchsetzungsgeschichte des Neoliberalismus... 93
3.6.1
Die Hegemonie bei Gramsci ... 93
3.6.2
Der Aufstieg des Neoliberalismus zur hegemonialen Ordnung: Drei 
Erklärungsversuche ... 99
3.7
Neoliberale Kritik am Sozialstaat ... 106
3.8
Kritik an der neoliberalen Sozialstaatskritik ... 113
4
DER ÖSTERREICHISCHE SOZIALSTAAT ... 117
4.1
Charakteristika und historische Entwicklung ... 117
4.2
Gestaltungsprinzipien der österreichischen Sozialpolitik ... 121
4.3
Die Sozialausgaben ... 124
4.3.1
Vorbemerkung ... 125
4.3.2
Sozialausgaben ... 127
4.3.3
Gliederung der Sozialausgaben ... 129
4.3.4
Finanzierungsquellen ... 130
4.3.5
Internationaler Vergleich ... 131
4.4
Akteure der Sozialpolitik ... 132
4.4.1
Veränderungen in der Akteurskonstellation ... 135
4.5
Zusammenfassende Darstellung ... 137
5
DIE SOZIALVERSICHERUNG ... 140
5.1
Institutionen ... 140
5.1.1
Interne Organisation: Selbstverwaltung ... 142
5.2
Versichertenkreis ... 144
4 
5.3
Einnahmen ... 145
5.4
Ausgaben ... 147
6
DIE PENSIONSVERSICHERUNG ... 149
6.1
Pensionsversicherte ... 149
6.2
Pensionsarten... 150
6.3
Pensionsvoraussetzungen ... 153
6.3.1
Alterspension nach dem Allgemeinen Pensionsgesetz (APG; Neurecht) ... 153
6.3.2
Alterspension nach dem ASVG (Altrecht) ... 154
6.3.3
Vorzeitige Alterspension aufgrund langer Versicherungsdauer ... 155
6.3.4
Korridorpension ... 156
6.3.5
Schwerarbeitspension ... 156
6.4
Pensionsstände ... 157
6.5
Pensionsantrittsalter ... 158
6.6
Pensionsberechnung ... 160
6.6.1
Pensionsberechnung nach dem APG (Neurecht) ... 160
6.6.2
Pensionsberechnung nach dem ASVG (Altrecht)  ... 161
6.6.3
Pensionshöhe ... 164
6.7
Pensionsfinanzierung ... 167
6.8
Pensionsbelastungsquote ... 170
6.9
Die Entwicklung der Pensionsversicherung in der Zweiten Republik
172
6.10
Die Pensionsreform 2003 ... 177
6.10.1
Entstehungsgeschichte ... 177
6.10.2
Inhalt der Pensionsreform 2003 ... 178
6.10.3
Analyse der Pensionsreform 2003 ... 182
6.11
Die Pensionsharmonisierung 2004 ... 190
6.11.1
Entstehungsgeschichte ... 190
6.11.2
Inhalt der Pensionsharmonisierung 2004 ... 191
6.11.3
Analyse der Pensionsharmonisierung ... 196
5 
7
BUNDESKANZLER SCHÜSSEL UND FINANZMINISTER 
GRASSER: WIRTSCHAFTLIBERALE KRITIK UND UMBAU DES 
SOZIALSTAATS ... 199
8
RESÜMEE ... 210
9
LITERATURVERZEICHNIS ... 212
8 
1 E
INLEITUNG
Die  Ausgangsthese  der  Arbeit  lautet,  dass  Interdependenzen  zwischen 
wirtschaftstheoretischen  Vorstellungen  und  konkreten  Veränderungen  in 
den  verschiedenen  Politikfeldern  bestehen.  Selbstverständlich  wirkt  die 
wissenschaftliche  Theorie  nicht  direkt,  durch  ihr  bloßes  Vorhandensein, 
auf  die  politische  Praxis  ein,  aber  sie  gibt  den  politischen  Akteuren 
Handlungsanleitungen  und/oder  Legitimationsinstrumente  zur  Hand,  die 
sie zur Verfolgung ihrer Interessen nutzen und einsetzen können. 
In  der  Regierungserklärung  von  Bundeskanzler  Wolfgang  Schüssel  aus 
dem  Jahr  2000,  dem  komprimierten  Programm  der  ÖVP-FPÖ 
Regierungskoalition,  wurden  die  inhaltlichen  Vorstellungen  zu  den 
verschiedenen Politikfeldern jeweils mit ,,Neu regieren heißt" präsentiert. 
Dieses  ,,Neu  regieren"  implizierte,  im  Bereich  des  politischen  Prozesses, 
eine 
Abkehr 
vom 
bisherigen 
konsensorientierten 
Muster 
der 
Entscheidungsfindung  und,  im  Bereich  der  politischen  Inhalte,  eine 
grundsätzliche  Veränderung  in  der  inhaltlichen  Ausrichtung  des 
österreichischen Sozialstaats. 
Die wirtschafts- und sozialpolitischen Zielvorstellungen der ÖVP-FPÖ und 
später  der  ÖVP-BZÖ  Regierung,  ablesbar  an  Regierungsprogrammen, 
Regierungserklärungen  und  Reden  von  zentralen  Repräsentanten  der 
Regierung, 
orientierten 
sich 
dabei 
wesentlich 
an 
neoliberalen 
beziehungsweise  angebotspolitischen  Theorien  und  Konzeptionen. 
Daraus  ergibt  sich  erstens  ein  generelles  Misstrauen  gegenüber  vielen 
Leistungen  des  öffentlichen  Bereichs  und  die  daraus  abgeleitete 
Forderung nach staatlicher Aufgabenbeschränkung und einem schlanken 
Staat.  Zweitens  werden  als  zentrale  Staatsaufgabe  die  Förderung  von 
9 
,,aktiven",  zukunftsorientierten  Investitionsleistungen  (Forschung  und 
Entwicklung, 
Infrastruktur) 
zuungunsten 
von 
,,passiven", 
gegenwartsbezogen  Transferleistungen  (Verwaltung,  Subventionen, 
soziale  Leistungen)  definiert.  Mit  diesen  Festlegungen  ist  der  gut 
ausgebaute, 
wenngleich 
auf 
manche 
neuen 
gesellschaftlichen 
Entwicklungen nur unzureichend reagierende, österreichische Sozialstaat 
in die Defensive und unter  politischen Druck geraten. Die Unterordnung 
von 
sozialpolitischen 
unter 
wirtschafts- 
und 
standortpolitische 
Überlegungen muss als gegeben angenommen werden. 
Diese  politischen  und  ideologischen  Entwicklungen  sind  allerdings  nicht 
allein  mit  dem  Regierungswechsel  -  von  der  Großen  Koalition  zur 
Rechtskoalition - zu erklären. 
Die  politische  Unterstützung  des  Sozialstaats  nimmt    wenngleich  in 
unterschiedlichem Ausmaß  quer durch die politischen Parteien hindurch 
ab.  So  gibt  es  vielen  Ländern  der  Europäischen  Union  (EU-15),  obwohl 
sie von unterschiedlichen Parteien bzw. Parteikoalitionen regiert werden, 
ähnlich  gelagerte  Ziele  und  Maßnahmen  in  der  Wirtschafts-  und 
Sozialpolitik, die häufig einer neoliberalen Logik folgen. 
Im Mainstream der Wirtschaftstheorie wurde dieser neoliberale Trend der 
Politik  vorweggenommen.  Die  meisten  Ökonomen  wandten  sich  bereits 
in  den  1960er  Jahren  von  keynesianischen  Ansätzen  ab  und 
monetaristischen  zu.  Da  (Teile  von)  Wirtschaftstheorien  häufig  von 
politischen  Akteuren  aufgenommen  werden  um  entweder  als  inhaltliche 
Anstöße 
oder 
als 
nachträgliche 
Begründung 
für 
politische 
Entscheidungen 
zu 
fungieren, 
sind 
die 
Konjunkturen 
der 
Wirtschaftstheorien nicht nur in ihrem unmittelbaren, wissenschaftlichem 
Feld,  sondern  darüber  hinaus  politisch  von  großer  Bedeutung.  Die 
ökonomischen Wirkungen sozialstaatlicher Leistungen, zum Beispiel, fällt 
10 
bei  keynesianisch  orientierten  Wissenschaftern  und  Politikern  sehr  viel 
positiver  aus,  als  dies  bei  Anhängern  von  monetaristischen  Konzepten 
der Fall ist. 
Vor  dem  Hintergrund  dieser  wirtschaftswissenschaftlichen  Überlegungen 
wird  der  österreichische  Sozialstaat,  mit  dem  Schwerpunkt  gesetzliche 
Pensionsversicherung,  dargestellt.  Besonderes  Augenmerk  wird  auf  die 
Analyse der Pensionsreform 2003
1
 und der Pensionsharmonisierung 2004 
gelegt. 
Die  mit  den  Reformen  einhergehende  Kürzung  der  durchschnittlichen 
Pensionsleistung  und  der  erschwerte  Zugang  zu  Pensionen  sowie  der 
Abgang von der Lebensstandardsicherung und die intendierte Etablierung 
eines 3-Säulen Pensionsmodells werden in dieser Arbeit als Ausdruck von 
veränderten  politischen  Prioritäten  (Stichwörter:  Mehr  Privat    Weniger 
Staat; 
Dominanz 
der 
Wirtschaftspolitik 
über 
die 
Sozialpolitik) 
interpretiert. 
Ausgangspunkt  der  Arbeit  ist  die  Wirtschaftstheorie.  Zuerst  wird  die 
klassische  politische  Ökonomie  dargestellt,  die  den  Beginn  der 
Wirtschaftswissenschaft markiert und Staat und Ökonomie erstmals nicht 
als  Einheit,  sondern  als  Gegensatz  betrachtete.  Ab  diesem  Zeitpunkt 
beinhaltet  makroökonomische  Wirtschaftstheorie  immer  auch  eine 
Festlegung des Verhältnisses von Staat und Ökonomie und wirkt dadurch 
potentiell  auf  die  Politik  ein.  Dann  werden  Grenznutzenschule  und 
Wohlfahrtsökonomik  (d.h.  die  Neoklassik)  präsentiert,  welche  die 
1
 Eine Analyse der Pensionsreform 2003 aus einer anderen Perspektive, aus Sicht 
der  Sozialstaatsforschung,  liegt  bereits  vor:  Vgl.  Wiedermann,  Clemens, 
Pensionsreform 2003. Sozialstaatsrückbau im Spiegel der Sozialpolitikforschung, 
Diplomarbeit, Wien 2004 
11 
Vorläufer  beziehungsweise  die  Basis  des  Monetarismus  -  der  führenden 
neoliberalen  Wirtschaftstheorie  -  sind.  Es  folgt  die  Präsentation  des 
großen 
,,Gegenspielers" 
der 
neoklassischen 
und 
neoliberalen 
Wirtschaftstheorie,  des  Keynesianismus.  Dieser  hat  mit  zentralen 
Theoremen  der  neoklassischen  Wirtschaftstheorien  gebrochen,  dem 
Staat  wichtige  wirtschaftliche  Funktionen  zugestanden  und  legte  den 
Ausbau  des Wohlfahrtsstaats auch  aus volkswirtschaftlichen, nicht ,,nur" 
aus sozialpolitischen, Gründen nahe. 
Das  nächste  Kapitel  behandelt  den  Neoliberalismus  und  ist  zweigeteilt. 
Der  erste  Teil  beschäftigt  sich  mit  neoliberalen  Wirtschaftstheorien. 
Darunter  fallen  der  Ordoliberalismus,  die  deutsche  Spielart  des 
Neoliberalismus, vor allem aber der Monetarismus, die aktuell wichtigste 
neoliberale  Wirtschaftstheorie.  Anschließend  werden  die  zentralen 
Unterschiede  von  Monetarismus  und  Keynesianismus  gegenübergestellt 
und  die  wirtschaftspolitischen  Grundkonzeptionen  der  Angebots-  und 
Nachfragepolitik erläutert. 
Im zweiten Teil wird auf die unterschiedlichen neoliberalen Vorstellungen 
über  den  Menschen  (Stichwort:  homo  oeconomicus),  die  Gesellschaft 
und  den  Staat  sowie  dessen  Aufgaben  eingegangen.  Weiters  wird  die 
Frage  beantwortet,  wie  es  dem  Neoliberalismus  gelungen  ist  zur 
hegemonialen  Wirtschaftstheorie  und  -politik  aufzusteigen.  Schließlich 
wird die neoliberal und angebotspolitisch motivierte Kritik am Sozialstaat 
besprochen, analysiert und kritisiert. 
Im  Abschnitt  über  den  österreichischen  Sozialstaat  wird  auf  die 
Charakteristiken 
und 
Gestaltungsprinzipien 
des 
österreichischen 
Sozialstaats  eingegangen.  Weiters  werden  diverse  Fakten  zu  den 
Sozialausgaben  präsentiert.  Auch  die  Akteure  der  Sozialpolitik  und  die 
12 
historischen 
Veränderungen 
der 
Akteurskonstellationen 
werden 
besprochen. 
Es  folgt  die  Darstellung  der  Sozialversicherung,  dem  wichtigsten 
Bestandteil  des  österreichischen  Sozialsystems.  Zuerst  werden  die 
Institutionen  und  deren  Organisation  vorgestellt.  Anschließend  werden 
Daten zu den Versicherten sowie zur Einnahmen- und Ausgabensituation 
aufbereitet und analysiert. 
Im  Kapitel  Pensionsversicherung,  dabei  handelt  es  sich  um  den 
quantitativ  größten  Zweig  der  Sozialversicherung,  werden  zahlreiche 
Daten  und Fakten über die  wesentlichsten Ausprägungen und Merkmale 
der  Pensionsversicherung  vorgestellt  und  untersucht.  Behandelt  werden 
überblicksweise die Pensionsarten und die Pensionsvoraussetzungen, die 
Pensionsstände  und  das  Pensionsantrittsalter,  die  Pensionsberechnung, 
die Pensionsfinanzierung sowie die Pensionsbelastungsquote. 
Danach wird die die Geschichte der Pensionsversicherung in der Zweiten 
Republik  skizziert.  Schwerpunkt  des  Kapitels  sind  jedoch  die 
Entstehungsgeschichte,  die  Regelungen  und  die  Auswirkungen  der 
Pensionsreform 2003 und der Pensionsharmonisierung 2004. 
Danach 
wird 
der 
Zusammenhang 
von 
wirtschaftstheoretischen 
Vorstellungen  und  (sozial)politischer  Praxis  an  Hand  zweier  handelnder 
Personen  geprüft.  Zu  diesem  Zweck  werden  zentrale  Dokumente  von 
Bundeskanzler  Schüssel  und  Finanzminister  Grasser,  hauptsächlich  aus 
der Zeit der ÖVP-FPÖ Regierungsperiode, analysiert. 
Im Resümee wird der methodische Ansatz kurz reflektiert. 
13 
Methodisch wurde mit Inhaltsanalysen von Sekundärliteratur gearbeitet. 
Sekundärliteratur  ist  aufgrund  der  thematischen  Breite  des  Themas  in 
sehr  großer  Anzahl  verfügbar.  Das  diesbezügliche  Problem  bestand 
deshalb nicht in der Beschaffung, sondern in der sinnvollen Auswahl und 
Zusammenstellung  der  vorhandenen  Materialien.  Als  Ergänzung  zu 
Monographien 
und 
Sammelbändern 
wurden 
auch 
Informationsbroschüren,  Partei-  und  Regierungsprogramme  sowie 
relevante Fachartikel herangezogen. 
Für  die  Analyse  der  Pensionsreform  2003  beziehungsweise  der 
Pensionsharmonierung  2004  waren  die  Stenographischen  Protokolle  der 
zugehörigen Nationalratssitzungen wichtig. 
Die für den deskriptiven Teil der Arbeit benötigten Daten und Statistiken 
sind  hauptsächlich  der  Homepage  des  Bundesministeriums  für  soziale 
Sicherheit,  Generationen  und  Konsumentenschutz  sowie  der  Homepage 
des 
Hauptverbands 
der 
österreichschen 
Sozialversicherungen 
entnommen. 
Für 
die 
Darstellung 
des 
Staats-, 
Wirtschafts- 
und 
Sozialpolitikverständnisses 
von 
Bundeskanzler 
Schüssel 
und 
Finanzminister  Grasser  werden  folgende  Dokumente  analysiert: 
Regierungserklärung 
2000, 
Regierungserklärung 
2003, 
Regierungsprogramm  2003-2006,  Budgetrede  2003/2004,  Homepage 
von Karl-Heinz Grasser und von Wolfgang Schüssel. 
Zum  Abschluss  der  Einleitung  soll  festgehalten  werden,  dass  die  Arbeit 
die komplexe Fragestellung des Einflusses der Wirtschaftstheorie auf die 
Wirtschafts-  und  Sozialpolitik  sicher  nur  in  Ausschnitten  beantworten 
kann. 
Die  vorliegende  Arbeit  liefert  dennoch  einen  Beitrag  zur  Erhellung  des 
Umstands, 
dass 
Wirtschaftstheorien 
wichtige 
Ideen- 
und 
14 
Legitimationslieferanten  für  die  politischen  Akteure  sind  und  durch  ihre 
Aufnahme  bzw.  Nicht-Aufnahme  in  den  politischen  Diskurs  für  konkrete 
Veränderungen im Feld der Sozialpolitik relevant sind. 
15 
2 W
IRTSCHAFTSTHEORIE
In 
diesem 
Abschnitt 
werden 
die 
wichtigsten 
Phasen 
der 
nationalökonomischen Dogmengeschichte vorgestellt. 
Schwerpunkt 
dabei 
ist 
die 
Vermittlung 
der 
grundlegenden 
Charakteristiken  des  jeweiligen  ökonomischen  Modells.  Danach  werden 
die  mit  dem  wirtschaftstheoretischen  Modell  implizierten  Auswirkungen 
auf  die  Staatsaufgaben  skizziert.  Von  besonderer  Relevanz  ist  das 
Verhältnis von Staat und Ökonomie beziehungsweise die Wichtigkeit der 
beiden Sphären. 
Dieses Kapitel zur Wirtschaftstheorie fällt deshalb relativ umfangreich, da 
diese Arbeit die These vertritt, dass wirtschaftstheoretischen Ideen einen 
wesentlichen  Einfluss  auf  das  Denken  der  politischen  Akteure  und,  als 
Folge  davon,  auf  die  Gestaltung  der  Gesellschaft  besitzen.  Diesen 
Umstand  strich  zum  Beispiel  Keynes  stark  hervor:  ,,Von  dieser 
zeitgenössischen Stimmung (der 30er Jahre; Anmerkung CP) abgesehen, 
sind  aber  die  Gedanken  der  Ökonomen  und  Staatsphilosophen,  sowohl 
wenn  sie  im  Recht,  als  wenn  sie  im  Unrecht  sind,  einflussreicher,  als 
gemeinhin  angenommen  wird.  Die  Welt  wird  in  der  Tat  durch  nicht  viel 
anderes  beherrscht.  Praktiker,  die  sich  ganz  frei  von  intellektuellen 
Einflüssen 
glauben, 
sind 
gewöhnlich 
die 
Sklaven 
irgendeines 
verblichenen Ökonomen."
2
Mit  der  Konzeption  der  klassischen  Ökonomie  durch  Smith  wurde  ein 
neuer 
Gegensatz 
entworfen, 
Staat 
versus 
Markt. 
In 
den 
16 
vorkapitalistischen  Epochen  konnten  diese  beiden  Sphären  nicht 
voneinander  getrennt  werden.  Nun  aber  gilt:  ,,Seit  dieser  Zeit  (Klassik; 
CP)  wird  das  gesellschaftspolitische  und  ökonomische  Denken,  wie  in 
einem  ständigen  Pendelschlag,  beherrscht  vom  Vertrauen  auf  die 
Wirkungskraft des freien Marktes einerseits und vom entgegenstehenden 
Vertrauen  auf  Politik/Staat  andererseits(...)"
3
.  Dieses  Machtverhältnis 
zwischen  Wirtschaft  und  Staat  ist  aufgrund  der  damit  verbundenen, 
weitreichenden Folgen für die jeweilige Gesellschaft heftig umkämpft. 
2.1  D
IE KLASSISCHE POLITISCHE 
Ö
KONOMIE
2.1.1  D
ER 
A
USGANGSPUNKT
Das wirtschaftlich immer bedeutender werdende Bürgertum wurde durch 
den  Feudalstaat  und  die  protektionistische  Wirtschaftsordnung  des 
Merkantilismus
4
 in seinen wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten stark 
eingeschränkt.  Die  Ideen  des  aufkeimenden  politischen  Liberalismus 
(u.a.  Locke,  Montesquieu,  Rousseau,  Kant),  insbesondere  der  zentrale 
Wert der Freiheit des Individuums, wurden, ab Ende des 
2
  Keynes,  John  Maynard,  Allgemeine  Theorie  der  Beschäftigung,  des  Zinses  und 
des Geldes, Berlin 1936, S. 323 
3
 Himmelmann, Gerhard, Markt und Politik/Staat,  in: Nohlen, D./Schultze, R.O., 
Lexikon der Politik, Band 7: Politische Theorien, München 1998, S. 318 
4
 Hauptzielsetzung des Merkantilismus war - mittels Steigerung der Produktivität, 
einer 
zentralisierten 
Wirtschafts- 
und 
Rechtsordnung, 
einer 
positiven 
Handelsbilanz 
sowie 
einer 
Politik 
des 
Bevölkerungswachstums 
- 
die 
Wirtschaftskraft  des  eigenen  Landes  zu  steigern,  um  ökonomisch  und  dadurch 
mittelbar  auch  politisch  mächtiger  zu  werden.  Zu  den  vorklassischen, 
nationalökonomischen  Konzepten:  Vgl.  Schmidt,  Karl-Heinz,  Merkantilismus, 
Kameralismus,  Physiokratie,  in:  Issing,  Otmar  (Hrsg.),  Geschichte  der 
Nationalökonomie, München 2002, S. 37-66  
17 
18. Jahrhunderts, auch in den wirtschaftlichen Bereich übertragen. Damit 
war  der  Grundstein  für  eine  paradigmatische  Gegenbewegung  zum 
Merkantilismus gelegt. 
Großbritannien  war die im Jahrhundert der Aufklärung wirtschaftlich am 
weitesten fortgeschrittene Nation, in der sich teilweise die kapitalistische 
Produktionsweise  durchgesetzt  hatte.  Es  wundert  daher  kaum,  dass  die 
klassische  politische  Ökonomie  schließlich  in  diesem  Land  von  Adam 
Smith  (1723-1790)  begründet  wurde.  Weitere  wichtige  Autoren  waren 
David Ricardo (1772-1823) und John Stuart Mill (1806-1873). 
Smiths  zentrale  Abhandlung,  seine  1776  erschienene  ,,Inquiry  into  the 
Nature  and  the  Causes  of  the  Wealth  of  Nations"  zählt    neben  dem 
Marxschen 
,,Kapital" 
 
sicherlich 
als 
bekanntestes 
Buch 
der 
Wirtschaftsgeschichte.  Das  Werk  beinhaltet  die  erste  geschlossene 
Wirtschaftstheorie 
und 
gilt 
als 
begründendes 
Werk 
der 
Nationalökonomie:  ,,Smith  gilt  als  Begründer  des  sogenannten 
,,ökonomischen  Liberalismus".  ,,Liberalismus"  deswegen,  weil  die 
Hauptbotschaft  dieser  Lehre  darin  bestand,  die  wirtschaftlichen 
Aktivitäten (...) von allen staatlichen Reglementierungen zu befreien."
5
Smith  kann  ohne  Zweifel  als  einer  der  bedeutendsten  (politischen) 
Ökonomen  der  Geschichte  bezeichnet  werden:  ,,Seine  Vision  trägt  bis 
heute  dazu  bei,  die  Grundzüge  einer  auf  freies  Handeln  gestützten 
Wirtschaftsordnung zu bestimmen"
6
. 
5
  Senf,  Bernd,  Die  blinden  Flecken  der  Ökonomie.  Wirtschaftstheorien  in  der 
Krise, München 2002, S. 21 
6
  Vgl.  Schefold,  Bertram/Carstensen,  Kristian,  Die  klassische  Politische 
Ökonomie, in: Issing, Otmar (Hrsg.), Geschichte der Nationalökonomie, München 
2002, S. 70 
18 
Die ökonomischen Vorstellungen Adam Smiths setzten sich bald in allen 
entwickelten  Ländern  durch.  Dies  ist  wohl  zwei  Umständen  zu 
verdanken: 
1.
 Es  gelang  ihm,  die  ökonomische  Analyse  mit  einem  neuen, 
philosophischen  Gesamtentwurf  für  die  Gesellschaft  zu  vereinen. 
Sowohl  die  wirtschafts-,  als  auch  die  gesellschaftspolitischen 
Implikationen seines Modells lagen im Interesse des Bürgertums, 
der  aus seiner Sicht zukünftig - herrschenden Klasse. 
2.
 Die  klassische  Theorie  war  in  der  Angreiferposition  (gegen  den 
Merkantilismus),  hatte  kaum  wirtschaftstheoretische  Konkurrenz 
und  die  Unterstützung  des  Bürgertums.  Diese  Gründe  führten 
dazu,  dass  sich  die  Klassik  (mehr  oder  weniger  stark  und 
vorübergehend) in allen sich wirtschaftlich entwickelnden Ländern 
durchsetzen konnte. 
2.1.2  D
AS KLASSISCHE 
M
ODELL
2.1.2.1  D
IE 
A
RBEITSTEILUNG
/
D
IE 
A
RBEITSWERTLEHRE
Entgegen der Annahmen der Merkantilisten, denen es in erster Linie um 
einen 
größtmöglichen 
Anteil 
eines 
bereits 
feststehenden 
(Welt)Sozialprodukts geht, geht Smith davon aus, dass die Vermehrung 
des  Sozialprodukts  mittels  Produktivitätssteigerung  maßgeblich  für  den 
(zukünftigen)  Reichtum  eines  Landes  ist.  Der  Wohlstand  eines  Landes 
19 
bestimmt  sich  Smith  zufolge  durch  die  Fortschritte  in  den  Bereichen 
Arbeitsproduktivität und Kapitalakkumulation.
7
Die  Produktivitätssteigerung  soll  durch  vermehrte  Arbeitsteilung 
erfolgen.  Damit  wird  Smith  auch  zum  Begründer  der  Arbeitswertlehre: 
,,Die Arbeitswertlehre geht davon aus, dass die Quelle gesellschaftlichen 
Reichtums  in der Arbeit liegt."
8
 Smith hält für frühe Gesellschaften, die 
ohne wesentliche gesellschaftliche Differenzierungen funktionierten, fest, 
dass  der  Tauschwert  dem  Arbeitsaufwand  entspricht,  das  heißt  die 
jeweils  nötigen  Arbeitsquantitäten  für  die  Herstellung  der  Waren  sind 
gleichzeitig auch ihre Tauschwerte.
9
Allerdings  verändert  sich  dieser  Mechanismus,  wenn  noch  andere 
Produktionsfaktoren, sprich Kapital oder Boden, zusätzlich zur Arbeit für 
die  Erstellung  einer  Ware  nötig  sind.  Dann  nämlich  gilt  etwas  gänzlich 
anderes:  ,,Dabei  muss  über  das  hinaus,  was  zur  Bezahlung  der 
Materialkosten und der Löhne der Arbeiter erforderlich ist, etwas für den 
Gewinn des Unternehmers des Ganzen gegeben werden, der bei diesem 
Unterfangen sein Vermögen aufs Spiel setzt."
10
Hier 
also 
verlässt 
Smith 
bereits 
wieder 
den 
Boden 
der 
Arbeitswerttheorie,  ,,vielmehr  wird  bei  ihm  der  Tauschwert  durch  die 
7
  Vgl.  Schefold,  Bertram/Carstensen,  Kristian,  Die  klassische  Politische 
Ökonomie, in: Issing, Otmar (Hrsg.), Geschichte der Nationalökonomie, München 
2002, S. 69f.  
8
  Senf,  Bernd,  Die  blinden  Flecken  der  Ökonomie.  Wirtschaftstheorien  in  der 
Krise, München 2002, S. 22 
9
  Zur  Verdeutlichung  dieses  Postulats  das  Smithsche  Beispiel  aus  der  Praxis: 
,,Wenn  es  in  einem  Jägervolk  zum  Beispiel  üblicherweise  doppelt  soviel  Arbeit 
kostet, einen Biber zu erlegen, wie ein Reh, sollte ein Biber natürlich gegen zwei 
Hirsche getauscht werden oder sie wert sein." (Smith, Adam, Untersuchung über 
Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker, Band I, Düsseldorf 1999,  
S. 126)  
10
  Smith,  Adam,  Untersuchung  über  Wesen  und  Ursachen  des  Reichtums  der 
Völker, Band I, Düsseldorf 1999, S. 126f. 
20 
Produktionskosten  plus  Gewinnzuschlag  zur  Erzielung  der  gewöhnlichen 
Profitrate bestimmt"
11
.  
2.1.2.2  D
ER 
M
ARKT
Die  klassische  Vorstellung  des  Marktes  basiert  auf  dem  gleichzeitigen 
Zusammenspiel 
von 
drei 
Teilmärkten 
(Kapital-, 
Waren- 
und 
Arbeitsmarkt),  die  so  genau  ineinander  greifen,  dass  sich  der  Markt  als 
ganzes  bei  vollständigem  Wettbewerb  selbständig  reguliert.  Senf  fasst 
diese Idee und das Zusammenspiel der drei Teilmärkte  folgendermaßen 
zusammen:  ,,Der  Zinsmechanismus  am  Kapitalmarkt  sorgt  dafür,  dass 
der  durch  Sparen  entstandene  Nachfrageausfall  durch  entsprechende 
Kredite für Investitionen ausgeglichen wird, so dass gesamtwirtschaftlich 
die Nachfrage ins Gleichgewicht zum angebotenen Sozialprodukt kommt. 
Dennoch  können  und  werden  sektorale  Ungleichgewichte  auftreten.  In 
diesem 
Zusammenhang 
sorgt 
der 
Preismechanismus 
an 
den 
Gütermärkten  dafür,  dass  Situationen  von  Nachfragemangel  und 
Nachfrageüberhang  durch  entsprechende  Preisveränderungen  angezeigt 
werden  und  dass  sich  die  jeweiligen  Ungleichgewichte  abbauen.  Der 
Lohnmechanismus an den Arbeitsmärkten bewirkt, dass die Arbeitskräfte 
aus den Bereichen, in denen sie weniger gebraucht werden, in Bereiche 
abwandern,  in  denen  sie  mehr  benötigt  werden  und  entsprechende 
Löhne bekommen."
12
11
 Kromphardt, Jürgen, Konzeptionen und Analysen des Kapitalismus, Göttingen 
2004, S. 78 
12
  Senf,  Bernd,  Die  blinden  Flecken  der  Ökonomie.  Wirtschaftstheorien  in  der 
Krise, München 2002, S. 54 
21 
2.1.2.3  D
IE UNSICHTBARE 
H
AND
Laut Smith tendieren Märkte mit Hilfe des Preismechanismus dazu, dass 
diverse  Handlungen  von  Individuen  auf  ein  allgemeines  Gleichgewicht 
hingelenkt werden. Der Markt wird als ein Koordinationssystem gedacht, 
dass,  unter  der  Voraussetzung  des  vollständigen  Wettbewerbs,  die 
individuellen 
Interaktionen 
der 
Wirtschaftssubjekte 
aufeinander 
abstimmt.  Entscheidend  ist  nun,  dass  für  diese  Präferenzabstimmungen 
keine  übergeordnete  Instanz,  keine  wie  auch  immer  geartete  Leistung 
gebraucht  wird,  sondern  dass  diese  Leistung    und  jetzt  kommen  wir 
wohl  zum  berühmtesten  Diktum  von  Smith    von  der  ,,unsichtbaren 
Hand" der Ökonomie erbracht wird. 
Ein  möglichst  ungestörtes  Wirken  lassen  der  ,,unsichtbaren  Hand"  dient 
nicht  nur  der  Herstellung  des  Marktgleichgewichts,  sondern  hat  zudem 
auch  gesellschaftlich  positive  Folgewirkungen:  Indem  jeder  einzelne 
Unternehmer  danach  trachtet,  seinen  Gewinn  zu  optimieren,  ergibt 
dieses Handeln auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene das größtmögliche 
Wirtschaftswachstum. 
Die 
Wirtschaftsleistung 
wiederum 
ist 
die 
entscheidende materielle Ausgangsbasis für das Problemlösungspotential 
der  Gesellschaft.  Zusammenfassend  bedeutet  das,  dass  zwischen 
einzelwirtschaftlichen, gesamtsamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen 
Interessen demzufolge kein Widerspruch besteht. 
Damit  hat  Smith  auch  ein  Modell  für  den  gesellschaftlichen  Fortschritt 
entworfen:  Der  Eigennutz  der  Individuen,  der  als  anthropologische 
Grundkonstante  gedacht  wird,  führt  unweigerlich  und  unbewusst  zu 
gesamtwirtschaftlichen  Vorteilen,  die  in  einem  nächsten  Schritt  zum 
Wohle der gesamten Gesellschaft genützt werden können. 
22 
Das  eben  skizzierte  Bild  der  Wirtschaftspolitik  wurde  von  Smith  als  das 
,,einfache  System  der  natürlichen  Freiheit"  bezeichnet.
13
  Dieses  System 
kann  als  Synonym  für  eine  vollendete,  perfekte  Marktordnung  gelten. 
Smith 
schlug 
auch 
selbst 
die 
für 
die 
Durchsetzung 
dieses 
marktwirtschaftlichen  Systems  notwendigen,  politischen  Maßnahmen 
vor:  ,,Hebt  man  alle  Systeme  einer  Förderung  oder  Beschränkung 
vollständig  auf,  so  wird  sich  daher  das  nahe  liegende  und  einfache 
System natürlicher Freiheit von selbst einstellen." 
14
2.1.3  D
IE 
S
TAATSAUFGABEN  UND  DAS 
V
ERHÄLTNIS  VON 
S
TAAT 
&
Ö
KONOMIE
Im  Smithschen  einfachen  System  der  natürlichen  Freiheit  mit  der  darin 
inkludierten  Annahme  des  vollkommenen  Marktes  und  dessen,  neben 
den  individuellen,  auch  gesamtwirtschaftlich  positiven  Ergebnissen,  ist 
für den Staat nur sehr eingeschränkt Platz. 
Dies  hält  auch  Baker  mit  einer  zeitgenössischeren  Formulierung  fest: 
,,Die  auf  der  allgemeinen  Gleichgewichtstheorie  basierende  klassisch-
liberale  Wirtschaftskonzeption  ist  damit  ein  Plädoyer  für  marktliche 
Lösungen, (...) für eine Theorie der Nicht-Wirtschaftspolitik."
15
13
  Vgl.  Kromphardt,  Jürgen,  Konzeptionen  und  Analysen  des  Kapitalismus, 
Göttingen  2004,  S.  83-85,  Senf,  Bernd,  Die  blinden  Flecken  der  Ökonomie. 
Wirtschaftstheorien  in  der  Krise,  München  2002,  S.  44f.  und  Schefold, 
Bertram/Carstensen,  Kristian,  Die  klassische  Politische  Ökonomie,  in:  Issing, 
Otmar (Hrsg.), Geschichte der Nationalökonomie, München 2002, S. 70 
14
  Smith,  Adam,  Untersuchung  über  Wesen  und  Ursachen  des  Reichtums  der 
Völker, Band II, Düsseldorf 1999, S. 671 
15
  Baker,  Karin,  Strukturpolitik  der  Europäischen  Union  am  Beispiel  des 
Europäischen  Sozialfonds  (ESF).  Eine  Positionsbestimmung  des  ESF  im  Kontext 
neoliberaler Ideologie, Diplomarbeit, Wien 2005, S. 45 
23 
Dem  Staat  verbleiben  in  der  klassischen  Konzeption  lediglich  drei 
Funktionen: 
1.
 das Land gegen Angriffe anderer Staaten zu schützen 
2.
 durch  Errichtung  eines  zuverlässigen  Justizwesens,  jeden  Bürger 
vor  Ungerechtigkeit  und  Unterdrückung  durch  andere  Bürger  zu 
schützen  
3.
 Errichtung und Erhaltung von öffentlichen Anstalten, die mangels 
potentiellen  Profits  von  der  Privatwirtschaft  nicht  hergestellt 
werden
16
Smith  selbst  formulierte  es  folgendermaßen:  ,,Im  System  natürlicher 
Freiheit hat der Landsherr nur drei Pflichten zu erfüllen (...): Erstens die 
Pflicht,  die  Gesellschaft  vor  Gewalttaten  und  Angriffen  anderer 
unabhängiger  Gesellschaften  zu  schützen,  zweitens  die  Pflicht,  jedes 
Mitglied der Gesellschaft soweit wie möglich gegen Ungerechtigkeit oder 
Unterdrückung  seitens  jedes  anderen  Mitgliedes  zu  schützen,  also  die 
Pflicht,  eine  verlässliche  Rechtspflege  einzurichten;  und  drittens  die 
Pflicht,  bestimmte  öffentliche  Bauwerke  und  bestimmte  öffentliche 
Einrichtungen  zu  schaffen  und  instand  zu  halten,  deren  Schaffung  und 
Erhaltung  nie  im  Interesse  eines  einzelnen  oder  einer  kleinen  Gruppe 
von Einzelpersonen liegen kann, weil der Gewinn daraus einem einzelnen 
oder  einer  kleinen  Gruppe  von  Einzelpersonen  nie  ihre  Aufwendungen 
ersetzen  könnte,  obwohl  er  sie  einer  großen  Gesellschaft  häufig  weit 
mehr als zu ersetzen vermag."
17
16
 Kromphardt, Jürgen, Konzeptionen und Analysen des Kapitalismus, Göttingen 
2004, S. 90f. 
17
  Smith,  Adam,  Untersuchung  über  Wesen  und  Ursachen  des  Reichtums  der 
Völker, Band II, Düsseldorf 1999, S. 671f. 
24 
2.1.4  D
IE 
K
RITIK
2.1.4.1  T
EILAUFGABE DER 
A
RBEITSWERTTHEORIE
Smith  geht  zwar  zuerst  davon  aus,  dass  die  Arbeit  die  alleinige  Quelle 
des  (Volks-)Einkommens  ist  und  daher  der  Wert  eines  Gutes  durch  die 
verausgabte  Arbeit  bestimmt  wird.  Eine  solche  Bestimmung  des  Wertes 
führt  allerdings  in  der  Folge  zu  zwei  Problemen:  ,,Damit  wird  der  Wert 
der produzierten Güter durch den Wert anderer  ebenfalls produzierter 
  Güter  festgelegt:  Die  Erklärung  ist  zirkulär.  Außerdem  hätte  das  (die 
Weiterverfolgung der Arbeitswerttheorie; Anmerkung CP) zur Folge, dass 
der  produzierende  Arbeiter  genau  den  Wert  als  Lohn  erhält,  den  er 
produziert  hat."
18
  Die  angestrebte  Kapitalakkumulation  mittels  Erzielung 
von  Profit  beziehungsweise  Mehrwert,  das  heißt  die  Grundlage  des 
kapitalistischen  Wirtschaftssystems,  wäre  damit  aber  kaum  möglich. 
Dies  ist  der  Hauptgrund,  warum  Smith  in  der  Folge  seine 
Arbeitswerttheorie  -  und  damit  deren  potentielle  gesellschaftliche 
Implikationen  abschwächt. 
2.1.4.2  A
HISTORISCHE 
B
ETRACHTUNGSWEISE
Ein  wesentlicher  Kritikpunkt  am  Konzept  Smiths  betrifft  sein 
ahistorisches Verhältnis von Gesellschaft und Wirtschaft. Er schildert die 
kapitalistische 
Wirtschaftsordnung 
als 
eine 
Naturnotwendigkeit 
beziehungsweise  Naturgegebenheit.  So  ist  es  für  Smith  zum  Beispiel 
selbstverständlich, 
dass 
Angebot 
und 
Nachfrage 
am 
Markt 
zusammentreffen  und  über  den  Preismechanismus  vermittelt  werden. 
18
  Braun,  Eberhard/Heine,  Felix/Opolka,  Uwe,  Politische  Philosophie:  Ein 
Lesebuch. Texte, Analysen, Kommentare, Hamburg 1994, S. 160 
25 
Eine  alternative  Koordination,  zum  Beispiel  durch  staatliche  oder 
gruppenbezogene  Planung,  wird  dabei  nicht  in  Erwägung  gezogen.  Eine 
weitere  scheinbare  Selbstverständlichkeit  ist  die  ebenfalls  quasi 
naturwüchsige  Verbindung  der  Produktionsfaktoren  Boden  und  Kapital 
mit  dem  jeweiligen  Eigentümer.  Diese  (Nicht-)Sichtweise  ist  zur 
Legitimation  für  den  Profitanspruch,  der  aus  dem  Eigentumsanspruch 
abgeleitet wird, von größter Wichtigkeit.
19
2.1.4.3  I
DEALISIERTES 
M
ARKTMODELL
Zinn  bezeichnet  das  Denken  der  Klassiker  als  ,,Harmonie-Metaphysik" 
und  deutet  danach  die  Smithschen  Begriffe  des  Marktes  um:  ,,Adam 
Smith  charakterisierte  die  kapitalistische  Konkurrenzökonomie  als 
,,System der natürlichen Freiheit", plädierte für ein (geregeltes) Laissez-
faire  zugunsten  der  so  genannten  ,,prästabilisierten  Harmonie"  (Leibniz) 
der freien Marktwirtschaft und benutzte die bis heute populäre Metapher 
der 
,,unsichtbaren 
Hand" 
zur 
Beschreibung 
des 
vermeintlich 
harmonischen Zusammenspiels auch der erbittertsten Konkurrenten zum 
Besten  aller"
20
.  Sein  zentrales  wirtschaftspolitisches  Ziel  ist  die 
Förderung  des  Wirtschaftswachstums,  Verteilungsfragen  behandelt  er 
kaum.  Smith  geht  davon  aus,  dass  eine  proportionale  Teilhabe  am 
Wirtschaftswachstum  möglich  ist  und  sich  auch  einstellen  wird.  Der 
materielle Wohlstand der Gesellschaft ist dann zwar ungerechter verteilt 
19
 Kromphardt, Jürgen, Konzeptionen und Analysen des Kapitalismus, Göttingen 
2004, 
S. 
75f. 
Senf, 
Bernd, 
Die 
blinden 
Flecken 
der 
Ökonomie. 
Wirtschaftstheorien  in  der  Krise,  München  2002,  S.  28f.  und  Braun, 
Eberhard/Heine,  Felix/Opolka,  Uwe,  Politische  Philosophie:  Ein  Lesebuch.  Texte, 
Analysen, Kommentare, Hamburg 1994, S. 156f. 
20
  Zinn,  Georg  Karl,  Wie  Reichtum  Armut  schafft.  Weshalb  die  neoliberalen 
Versprechungen nicht aufgehen, in: Sozialismus 11/2005, S. 20 
26 
als  unter  feudalistischen  Produktionsverhältnissen,  allerdings  profitieren 
alle von einem höheren Lebensstandard. 
Die  ideologische  Wirkungsmacht  des  scheinbar  neutralen  und  perfekten 
Marktmechanismus,  den  Smith  ,,erfunden"  hat,  ist  gerade  heute,  im 
Zeitalter  der  Neoklassik,  wieder  virulent.  Er  erzeugt  das  Bild  einer 
Marktwirtschaft,  in  der  sich  das  Wirtschaftsgeschehen  ohne  staatliche 
oder sonstige Eingriffe von selbst regulieren kann und soll. 
2.2  D
IE 
G
RENZNUTZENSCHULE
2.2.1  D
ER 
A
USGANGSPUNKT
Um diesen wirtschaftstheoretischen Ansatz adäquat erklären zu können, 
müssen  wir  nochmals  zurück  zur  klassischen  Preistheorie  nach  Smith 
(und  Ricardo).  Gegen  diese  nämlich  revoltierten  die  Theoretiker  der 
Grenznutzenschule 
und 
stellten 
in 
der 
Folge 
die 
gesamte 
Wirtschaftstheorie  auf  eine  neue  Grundlage.  Wirtschaftstheoretisch  war 
also die Klassik der Hauptangriffspunkt, gesellschaftspolitisch jedoch der 
zu  dieser  Zeit    in  den  1870er  Jahren  -  aufkommende  und  erstarkende 
Marxismus. 
In den Wirtschaftstheorien der Klassiker (und auch ihrer Vorläufer
21
) war 
der  Hauptbestimmungsfaktor  des  Preises  eines  Gutes  dessen  jeweilige 
Produktionskosten. Der Gebrauchswert eines Gutes war Basis dafür, dass 
mit  ihm  überhaupt  getauscht  werden  konnte.  Allerdings  ließ  sich  aus 
27 
dem  Gebrauchswert  kein  Tauschwert  ableiten:  ,,Der  Gebrauchswert  war 
nach dieser traditionellen Auffassung für die Preisbildung nicht relevant, 
vielmehr wurden die Preise durch die Produktionskosten (Arbeitskosten) 
erklärt."
22
Der  Tauschwert  beziehungsweise  Preis  konnte  -  nach  klassischem 
Verständnis  -  nur  objektiv  bestimmt  werden.  Um  diese  Bestimmung 
vornehmen 
zu 
können, 
entwickelte 
Smith 
seine 
Produktionskostentheorie: 
Während 
auf 
einer 
niedrigen, 
vorkapitalistischen 
wirtschaftlichen 
Entwicklungsstufe 
das 
Austauschverhältnis  zweier  Güter  von  der  jeweils  verausgabten  Menge 
Arbeit abhängig ist, ist es auf höherer, kapitalistischer Entwicklungsstufe 
,,das  Verhältnis  der  jeweils  aus  Arbeitskosten,  Bodenrente  und  Profit 
bestehenden  Produktionskosten,  das  das  Preisverhältnis  zweier  Güter 
bestimmt; der Preis hat dementsprechend drei Bestandteile."
23
Zusammenfassend  kann  festgehalten  werden,  dass  die  klassische, 
objektive  Wert-  und  Preistheorie  den  Wert  eines  Gutes  durch  die 
verausgabte  Arbeit  beziehungsweise  durch  die  Produktionskosten 
bestimmt. 
2.2.2  D
AS 
G
RENZNUTZENMODELL
Der  Bruch  mit  der  klassischen  Auffassung,  und  damit  die  Begründung 
der  modernen  Kosten-  und  Preistheorie,  bestand  im  Folgenden:  ,,Der 
subjektivistischen  Wertlehre,  vertreten  durch  die  Grenznutzenschule, 
gelingt, was die Klassiker nicht für möglich hielten, nämlich den relativen 
21  Vgl.  Priddat,  Birger  P.,  Theoriegeschichte  der  Ökonomie.  Eine  knappe  Skizze 
von Aristoteles bis heute, in: WiSt, 5/2004, S. 278-280 
22
  Chaloupek,  Günther,  Lehren  und  Irrlehren  der  Österreichischen  Schule  der 
Nationalökonomie, in: Arbeit & Wirtschaft 11/2005, S. 16 
28 
Tauschwert der Güter, (...), aus den Gebrauchswerten, und zwar jeweils 
der  letzten  verbrauchten  Gütereinheiten  (aus  den  Grenznutzen), 
herzuleiten."
24
Folglich  wird  der  Tauschwert  eines  Gutes  nach  dieser  Auffassung  nicht 
mehr  durch  die,  für  die  Erstellung  des  Gutes  verausgabten 
Produktionsfaktoren, sondern durch die subjektiven Nutzenvorstellungen 
der  Verbraucher  bestimmt.  Wichtig  ist  dabei  einerseits  die  Idee  eines 
positiven  und  abnehmenden  Grenznutzens.  Jedes  weitere  Stück  des 
gleichen  Gutes  befriedigt  also  ein  weniger  wichtiges  Bedürfnis. 
Andererseits  ist  die  Beschränkung  des  Grenznutzens  durch  das  Geld 
gegeben.  Die  Verfügbarkeit  über  Geld  bestimmt  somit  die  Struktur  des 
Konsums. 
Diese  beiden,  bis  heute  zentralen,  wirtschaftstheoretischen  Theoreme 
werden als Erstes und Zweites Gossensches
25
 Gesetz bezeichnet. 
Die 
Kostenbestandteile 
eines 
Gutes 
wurden 
mit 
Hilfe 
der 
Grenznutzentheorie 
aus 
einer 
einzigen 
Ursache, 
nämlich 
den 
Grenzkosten,  abgeleitet.  Daraus  folgt,  dass  sich  der  Preis  durch  den 
subjektiv  bestimmten  Gebrauchswert  mit  Hilfe  des  Marktmechanismus 
ermitteln lässt. 
Im  Gegensatz  zu  dieser  Vorstellung  wurde  von  den  Klassikern  der  Preis 
(noch) 
aus 
mehreren 
Komponenten 
(Lohn, 
Profit 
[Boden, 
Investitionskapital, 
Finanzkapital]) 
zusammengesetzt 
und 
damit 
23
  Schumann,  Jochen,  Wegbereiter  der  modernen  Kosten-  und  Preistheorie,  in: 
Issing, Otmar (Hrsg.), Geschichte der Nationalökonomie, München 2002, S. 170 
24
  Schumann,  Jochen,  Wegbereiter  der  modernen  Kosten-  und  Preistheorie,  in: 
Issing, Otmar (Hrsg.), Geschichte der Nationalökonomie, München 2002, S. 174f. 
25
  Benannt  nach  dem  Begründer  der  subjektiven  Wertlehre,  Hermann  Heinrich 
Gossen (1810-1858). 
29 
marktunabhängig beziehungsweise als bereits vor Markteintritt gegeben, 
gedacht.
26
Häufig  firmiert  die  Grenznutzenschule  (und  auch  die  auf  ihrer 
mikroökomischen Basis aufbauende Wohlfahrtsökonomik) auch unter der 
Bezeichnung Neoklassik.
27
2.3  D
IE 
W
OHLFAHRTSÖKONOMIK
2.3.1  D
ER 
A
USGANGSPUNKT
Die Grenznutzentheorie ist  eine rein mikroökonomische  Konzeption,  das 
heißt 
Untersuchungseinheit 
ist 
das 
Individuum 
und 
seine 
Entscheidungen.  Den  Übergang  von  den  individuellen  Handlungen  zum 
volkswirtschaftlichen  Ergebnis  und  damit  von  der  Mikro-  zur 
Makroökonomie bewerkstelligt die Wohlfahrtsökonomik. 
Die 
Wohlfahrtsökonomik 
untersucht 
unter 
Beibehaltung 
des 
Grenznutzenkonzepts,  wie  in  einer  Volkswirtschaft  die  Verteilung 
beziehungsweise Allokation der vorhandenen Ressourcen (Arbeit, Boden, 
Kapital) vorgenommen wird. Ziel ist es, die vorhandenen Ressourcen der 
jeweils optimalen Verwendung zuzuführen. 
26
 Vgl. Schumann, Jochen, Wegbereiter der modernen Kosten- und Preistheorie, 
in:  Issing,  Otmar  (Hrsg.),  Geschichte  der  Nationalökonomie,  München  2002,  S. 
174-176,  Kromphardt,  Jürgen,  Konzeptionen  und  Analysen  des  Kapitalismus, 
Göttingen  2004,  S.  211f.,  und  Chaloupek,  Günther,  Lehren  und  Irrlehren  der 
Österreichischen  Schule  der  Nationalökonomie,  in:  Arbeit  &  Wirtschaft  11/2005, 
S. 16 
27  Neumann,  Manfred,  Neoklassik,  in:  Issing,  Otmar  (Hrsg.),  Geschichte  der 
Nationalökonomie, München 2002, S. 271-288 
30 
2.3.2  D
AS WOHLFAHRTSÖKONOMISCHE 
M
ODELL
Theoretische  Basis  des  Modells  sind  die  per  Definition  eigennützig 
motivierten Handlungen der Individuen. 
Die 
Konsumentenrente 
misst 
den 
Nutzen 
des 
Käufers, 
die 
Produzentenrente 
misst 
den 
Nutzen 
des 
Verkäufers 
an 
der 
Marktteilnahme.  Die  Konsumentenrente  errechnet  sich  dabei  aus  der 
Zahlungsbereitschaft  des  Käufers  minus  dem  tatsächlich  zu  zahlenden 
Preis  für  das  Gut.  Die  Produzentenrente  resultiert  aus  dem  vom 
Produzenten festgelegten Preis minus den Kosten für die Herstellung des 
Gutes.  Die  Maximierung  der  Summe  von  Konsumenten-  und 
Produzentenrente wird angestrebt. Diese Maximierung stellt die optimale 
Allokation  der  Ressourcen  sicher,  ist  also  effizient  und  wird  im 
Marktgleichgewicht erreicht.
28
Damit  ähnelt  dieses  Marktmodell  dem  Smithschen.  Folgendes  Zitat  von 
Mankiw soll diesen Umstand verdeutlichen: ,,Obwohl die einzelnen Käufer 
und  Verkäufer  nur  ihre  eigenen  Ziele  verfolgen,  werden  sie  gemeinsam 
durch  eine  unsichtbare  Hand  zu  einem  Marktgleichgewicht  geführt,  das 
die Gesamtnutzen von Käufern und Verkäufern maximiert."
29
Walras  (1834-1910),  ein  Grenznutzentheoretiker,  war  der  Erste,  der 
versuchte,  die  individuellen  Präferenzen  und  Handlungen  der  Haushalte 
und  Unternehmen  zu  einem  gesamtwirtschaftlichen  Ergebnis  zu 
aggregieren. In seiner Theorie maximieren einerseits die Haushalte ihren 
Nutzen  und  die  Unternehmen  ihren  Gewinn,  jeweils  mittels  individueller 
Mengenanpassungen. 
Andererseits 
gilt 
die 
28
 Vgl. Mankiw, Nicholas Gregory, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart 
2001, S. 155-173 
29
 Vgl. Mankiw, Nicholas Gregory, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart 
2001, S. 171 
31 
Marktgleichgewichtsbedingung, 
das 
heißt 
nach 
Ende 
des 
(Mengen)Anpassungsprozesses 
sind 
Angebot 
und 
Nachfrage 
im 
Gleichgewicht, alle Märkte sind geräumt. 
,,Walras  gelingt  es  damit,  das  Grenznutzenprinzip  in  ein  Modell  der 
vollständigen  Konkurrenz  einzubauen,  das  simultan  alle  Preise  und 
Mengen  bestimmt;  (...)  Die  auf  subjektiven  Nutzeneinschätzungen 
beruhende  Wert-  und  Preistheorie  geht  bei  Walras  in  einer  Theorie  des 
allgemeinen ökonomischen Gleichgewichts auf."
30
Das  mikroökonomische  Konkurrenzgleichgewicht  ergibt  nun  -  wie  auch 
bereits oben festgehalten - die bestmögliche Ressourcenallokation oder, 
um  ein  häufig  verwendetes  Synonym  einzuführen,  die  Pareto-
Optimalität
31
.  Diese  Erkenntnis,  dass  jedes  Marktgleichgewicht  pareto-
effizient ist, stellt den Ersten Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie dar. 
,,Pareto-Optimalität bedeutet zum einen, dass die Produktion eines Gutes 
nicht  erhöht  werden  kann,  ohne  dass  die  mindestens  eines  anderen 
eingeschränkt wird, zum anderen, dass der Nutzen eines Haushalts nicht 
erhöht werden kann, ohne dass der mindestens eines anderen reduziert 
wird."
32
  Folgende  Marginalbedingungen  sind  in  der  Pareto-Optimalität 
erfüllt: 
Tauschoptimum, 
Optimales 
Faktorangebot, 
Optimaler 
Faktoreinsatz,  Optimale  Faktorallokation,  Optimale  Produktionsstruktur 
und 
Optimale 
Akkumulationsrate.
33
Diese 
notwendigen 
Marginalbedingungen  stellen  sich  durch  den  Marktmechanismus,  unter 
der Prämisse der vollständigen Konkurrenz, automatisch ein.  
30
  Schumann,  Jochen,  Wegbereiter  der  modernen  Kosten-  und  Preistheorie,  in: 
Issing, Otmar (Hrsg.), Geschichte der Nationalökonomie, München 2002, S. 177f. 
31
 Benannt nach dem Nationalökonom Vilfredo Pareto (1848-1923) 
32
 Schumann, Jochen, Wohlfahrtsökonomik, in: Issing, Otmar (Hrsg.), Geschichte 
der Nationalökonomie, München 2002, S. 235 
33
  Vgl.  Donges,  Jürgen  B./Freytag,  Andreas,  Allgemeine  Wirtschaftspolitik, 
Stuttgart 2001, S. 90-114 
32 
Der  zweite  Hauptsatz  der  Wohlfahrtsökonomie  lautet,  dass  jede  pareto-
effiziente  Allokation  ein  Marktgleichgewicht  ist.  Es  gibt  also  nicht  ein 
pareto-optimales  Gleichgewicht,  sondern,  je  nach  (Basis-)Ausstattung 
der  Individuen  mit  den  unterschiedlichen  Produktionsfaktoren,  beliebig 
viele. 
Zusammenfassend 
kann 
man 
zur 
Dependenz 
zwischen 
Wohlfahrtsmaximum  und  Marktallokation  festhalten,  ,,dass  jedes 
denkbare  Konkurrenzgleichgewicht  pareto-optimal  ist  und  umgekehrt 
jedes  denkbare  Pareto-Optimum  als  Konkurrenzgleichgewicht  gedeutet 
werden 
kann, 
welches 
durch 
geeignete 
Umverteilung 
der 
Erstausstattungen erreichbar ist."
34
2.3.3  D
IE 
W
OHLFAHRTSFUNKTION
Man  kann  innerhalb  der  ,,New  Welfare  Economics"
35
  allerdings  nicht 
festlegen,  welche  der  möglichen  pareto-optimalen  Allokationen  den 
anderen  vorzuziehen  ist.  Dazu  wäre  ein  Konzept  der  sozialen 
Wohlfahrtsfunktion (zum Beispiel: Bergson-Samuelson Ansatz) nötig, das 
die  unterschiedlichen  individuellen  Präferenzordnungen  in  eine  ordinale 
Reihung,  das  heißt  in  eine  gesellschaftliche  Wohlfahrtsfunktion,  bringen 
kann. Das aber ist  laut wissenschaftstheoretischem Mainstream - nicht 
34
 Schumann, Jochen, Wohlfahrtsökonomik, in: Issing, Otmar (Hrsg.), Geschichte 
der Nationalökonomie, München 2002, S. 236 
35
  Die  ,,Old  Welfare  Economics"  (Marshall,  Pigou)  konnten  dies  mit  ihrem 
Wohlfahrtsbegriff 
durchaus. 
Gesamtwirtschaftliches 
Ziel 
war 
es, 
,,die 
gesamtwirtschaftliche Produktion und deren Verteilung so zu gestalten, dass der 
gemäß  dem  utilitaristischen  Vorbild  über  alle  Individuen  aggregierte  Nutzen 
möglichst groß  ist." (Schumann, Jochen, Wohlfahrtsökonomik,  in: Issing,  Otmar 
(Hrsg.), Geschichte der Nationalökonomie, München 2002, S. 232) 
33 
möglich.
36
  Begründet  wird  diese  Unmöglichkeit  damit,  dass  jedes 
Individuum  seine  eigenen  Vorstellungen  über  die  gesellschaftliche 
Wohlfahrtsfunktion hat (wobei es seinen eigenen Nutzen besonders stark 
berücksichtigt), und so eine Verständigung über ein allgemeines, soziales 
Wohlfahrtsmaximum nicht erreichbar ist. 
Dieses  Phänomen  firmiert  in  der  Wirtschaftswissenschaft  unter  dem 
Begriff 
Arrow-Paradoxon: 
,,Das 
Arrow-Paradoxon 
drückt 
die 
Unmöglichkeit  aus,  eigennutzenorientierte  individuelle  Bewertungen 
gesellschaftlicher  Konstellationen  zu  einer  gemeinsamen  Rangordnung 
zusammenzufassen  (zu  aggregieren);  damit  entfallen  auch  Aussagen 
über  eine  sinnvolle  oder  ein  bestmögliche  (Gleich-  oder  Ungleich-) 
Verteilung von Erstausstattungen und Nutzen."
37
2.3.4  D
IE 
S
TAATSAUFGABEN  UND  DAS 
V
ERHÄLTNIS  VON 
S
TAAT 
&
Ö
KONOMIE
Sowohl bei Donges/Freytag als auch bei Mankiw wird der wohlmeinende 
gesellschaftliche  Planer  (auch  Diktator)  als  hypothetische  Figur 
eingeführt, 
um 
die 
Marktergebnisse, 
die 
sich 
gemäß 
der 
Wohlfahrtsökonomik  einstellen,  bewerten  zu  können.
38
  Die  Funktion 
dieses  gesellschaftlichen  Planers  nimmt  nun  in  einer  demokratischen 
Staatsform  (teilweise)  die  Wirtschaftspolitik  ein.  Die  Autoren  kommen 
nun  zu  einem  ähnlichen  Ergebnis,  was  die  Rolle  der  Wirtschaftspolitik 
36
  Vgl.  Donges,  Jürgen  B./Freytag,  Andreas,  Allgemeine  Wirtschaftspolitik, 
Stuttgart 2001, S. 61-65 und 73f. 
37
 Schumann, Jochen, Wohlfahrtsökonomik, in: Issing, Otmar (Hrsg.), Geschichte 
der Nationalökonomie, München 2002, S. 245 
38
  Vgl.  Donges,  Jürgen  B./Freytag,  Andreas,  Allgemeine  Wirtschaftspolitik, 
Stuttgart  2001,  S.  90  und  Mankiw,  Nicholas  Gregory,  Grundzüge  der 
Volkswirtschaftslehre, Stuttgart 2001, S. 170 
34 
betrifft: ,,Das Gleichgewichtsergebnis (des Marktes; Anmerkung CP) stellt 
eine  effiziente  Allokation  der  Ressourcen  dar.  Die  Aufgabe  des 
wohlmeinenden  gesellschaftlichen  Planers  ist  somit  sehr  leicht:  Er  kann 
die  Marktergebnisse  unverändert  lassen."
39
    beziehungsweise  ,,  Aus 
allokationstheoretischer 
Sicht 
gibt 
es 
keinen 
Grund 
für 
die 
Wirtschaftspolitik,  in  die  marktliche  Allokation  der  Ressourcen 
einzugreifen,  solange  die  Annahme  der  vollkommenen  Konkurrenz 
besteht."
40
Zusammengefasst  handelt  es  sich  bei  den  angegebenen  Zitaten  um 
Plädoyers  für  das  grundlegende  Dogma  des  Laissez-Faire  Kapitalismus, 
welches besagt, dass der Staat in wirtschaftliche Abläufe prinzipiell nicht 
eingreifen soll.  
Aus  hegemonietheoretischer  Sicht  ist  es  außerdem  interessant,  dass 
zumindest 
das 
Lehrbuch 
von 
Mankiw 
eines 
der 
klassischen 
Einführungsbücher für angehende Volkswirte weltweit ist. 
2.3.5  K
RITIK 
DER 
W
OHLFAHRTSÖKONOMIK 
UND 
DER 
G
RENZNUTZENSCHULE
Der zentrale Kritikpunkt an der neoklassischen Theorie, dass heißt an der 
Gleichgewichtstheorie  und  deren  Fundament,  der  Wohlfahrtsökonomik, 
besteht 
darin, 
dass 
einige 
Bedingungen, 
welche 
für 
die 
Funktionsfähigkeit  der  neoklassischen  Modelle  notwendig  sind,  in  der 
komplexen ökonomischen Realität nicht anzutreffen sind. 
39
  Mankiw,  Nicholas  Gregory,  Grundzüge  der  Volkswirtschaftslehre,  Stuttgart 
2001, S. 170 
40
  Vgl.  Donges,  Jürgen  B./Freytag,  Andreas,  Allgemeine  Wirtschaftspolitik, 
Stuttgart 2001, S. 114 
35 
Drei solch umstrittener Modellbedingungen der Neoklassik stelle ich nun 
vor und kontrastiere sie im Anschluss mit der ökonomischen Realität: 
1.
 Postulat: Auf allen Märkten herrscht vollkommener Wettbewerb 
Realität: Am ehesten kann man von vollkommenem Wettbewerb an 
der  Börse  und  bei  (Internet)Auktionen  sprechen.  Auf  den  meisten 
Märkten  herrscht  aber  kein  vollständiger  Wettbewerb,  teilweise 
existiert  sogar  das  genaue  Gegenteil,  nämlich  ein  Monopol  (zum 
Beispiel: Post). 
2.
 Postulat: Alle Marktteilnehmer verfügen über alle notwendigen 
Informationen und verhalten sich rational 
Realität:  Im  Normalfall  sind  Informationsasymmetrien  einerseits 
zwischen  Käufer  und  Verkäufer  und  andererseits  zwischen  den 
unterschiedlichen  Käufern  beziehungsweise  Verkäufern  gegeben. 
Viele  Informationen  sind  entweder  überhaupt  nicht  verfügbar  oder 
es  würde  zu  viel  Zeit  oder  Geld  beanspruchen,  sie  zu  erhalten. 
Zudem handeln Marktteilnehmer nicht immer rational (zum Beispiel: 
falsche Einschätzungen, Image). 
3.
 Postulat:  Die  Märkte  sogen  für  eine  effiziente  und  optimale 
Allokation der Produktionsfaktoren 
Realität: 
Die 
hohe 
Arbeitslosigkeit 
oder 
die 
exzessive 
Umweltverschmutzung 
sprechen 
dagegen. 
Ohne 
staatliche 
Korrekturen  des  Marktversagens  (in  manchen  Bereichen)  würde  es 
zu gesellschaftlich inakzeptablen Entwicklungen kommen.
41
41
  Vgl.  Rogall,  Holger,  Volkswirtschaftslehre  für  Sozialwissenschaftler.  Eine 
Einführung, Wiesbaden 2006, S. 62-67 
36 
Das  einige  Annahmen  des  neoklassischen  Modells  sich  nicht  in  der 
Realität finden, kann als  gesichert  gelten. Allerdings  dienen  Modelle per 
se  dazu,  die  komplexen  Realitäten  zu  vereinfachen.  Ihnen  vorzuwerfen, 
sie würden die Realität nicht unmittelbar wieder spiegeln, macht deshalb 
wenig  Sinn.  Sie  sollen  ,,nur"  bestimmte  Grundzusammenhänge  besser 
erklären.
42
  Eine  wichtige  Frage  (die  aber  alle  wirtschaftstheoretischen 
Modelle  betrifft)  besteht  meines  Erachtens  darin,  inwieweit  aus  diesen 
Modellen  und  deren  Resultaten  wirtschaftspolitische  Maßnahmen 
abgeleitet werden können. 
Zu  bedenken  ist  jedenfalls,  dass  die  gegenwärtige  Funktion  des 
neoklassischen 
Modells, 
als 
theoretischer 
Anker 
für 
reale 
Wirtschaftspolitik, kaum davon beeinflusst ist, ob dieses nun die Realität 
beschreibt oder  nicht. Denn für  den Zusammenhang  von neoklassischer 
Theorie  und  Realität  gilt  folgendes:  ,,Der  Bezug  zur  Realität  wird  erst 
hergestellt, wenn die Theorie formuliert ist  und zwar in der Regel durch 
ein  einfaches  Glaubensbekenntnis;  es  wird  vermutet,  dass  die 
abgeleiteten  Bedingungen  im  großen  und  ganzen  die  Realität  adäquat 
wiederzugeben vermögen."
43
42
  Donges/Freytag  verteidigen  das  neoklassische  Modell,  weil  es  damit  möglich 
ist,  Marktprozesse  in  ihrer  Reinheit  zu  analysieren:  ,,Die  Klarheit  der  Annahmen 
und  die  Einfachheit  der  Analyse  bringt  eindeutige  Ergebnisse,  die  unter 
Verwendung einer komplexen, realitätsnäheren Betrachtung so nicht zu erzielen 
sind."  (Donges,  Jürgen  B./Freytag,  Andreas,  Allgemeine  Wirtschaftspolitik, 
Stuttgart 2001, S. 121) 
43
  Hoffmann,  Hubert,  Postkeynesianische  Ökonomie    Übersicht  und 
Orientierung,  in:  Dietrich,  Karl/Hoffmann,  Hubert/Kromphardt,  Jürgen,  u.a. 
[Hrsg.], Postkeynesianismus: Ökonomische Theorie in der Tradition von Keynes, 
Kalecki und Sraffa, Marburg 1987, S. 12 
37 
2.4  D
ER 
K
EYNESIANISMUS
2.4.1  D
ER 
A
USGANGSPUNKT
Die  Vertreter  der  subjektiven  Wertlehre  der  1870er  Jahre  verwarfen 
einerseits  die  klassische,  objektivistische  Kosten-  und  Preistheorie 
zugunsten  ihrer  Grenznutzentheorie  und  analysierten,  ebenfalls  im 
Gegensatz 
zu 
den 
Klassikern, 
beinahe 
ausschließlich 
die 
individualistischen Haushaltsentscheidungen. 
Der  (vor  allem  gesellschaftspolitisch  zentrale)  Kern  der  Smithschen 
Auffassung,  dass  sich  das  Wirtschaftssystem  selbst  reguliert  und  die 
Märkte  automatisch  zu  einem  allgemeinen  Gleichgewicht  tendieren, 
wurde 
jedoch 
vollinhaltlich 
übernommen. 
Die 
Theoretiker 
der 
Grenznutzenschule  untersuchten  die  makroökonomischen  Auffassungen 
der klassischen politischen Ökonomie nicht weiter. Ihr wissenschaftliches 
Interesse 
lag 
im 
Gebiet 
der 
Mikroökonomie. 
Wenn 
die 
Grenznutzentheoretiker 
ausnahmsweise 
doch 
Aussagen 
über 
makroökonomische  Sachverhalte  trafen,  dann  wurden  ,,(...)  einfach  die 
für isoliert handelnde Individuen oder Unternehmen geltenden Aussagen 
auf die Gesamtwirtschaft übertragen (...)"
44
. 
Durch  ein  wirtschaftstheorieexternes  Ereignis  wurde  schließlich  das  bis 
dahin axiomatische Vertrauen in die Selbstregulierungskräfte der Märkte 
nachhaltig  erschüttert.  Dabei  handelte  es  sich  um  die  verheerende 
Weltwirtschaftskrise  von  1929,  der  bis  dato  größte  wirtschaftliche 
44
  Senf,  Bernd,  Die  blinden  Flecken  der  Ökonomie.  Wirtschaftstheorien  in  der 
Krise, München 2002, S. 176 
38 
Einbruch  in  der  kapitalistischen  Epoche.  Diese  Periode  wird  häufig  als 
,,Große Depression" tituliert. 
Die 
Weltwirtschaftskrise, 
vor 
allem 
die 
lange 
andauernde 
Massenarbeitslosigkeit, 
konnte 
mit 
den 
vorhandenen 
volkswirtschaftlichen Theorien, vor allem der Marktgleichgewichtsdoktrin, 
auch  nicht  näherungsweise  erklärt  werden.  Kromphardt  liefert 
empirische  Beispiele,  mit  denen  gezeigt  werden  kann,  dass  sich  die 
ökonomische  Wirklichkeit  zu  dieser  Zeit  komplett  anders  darstellte,  als 
dies  die  Wirtschaftheorien  vorhersagten:,,(...)  insbesonders  in  den  USA 
und  Deutschland  hatte  sich  gezeigt,  dass  auch  enorm  flexible  Preise  (in 
den USA fielen die Güterpreise ab Herbst 1929 in dreieinhalb Jahren um 
33  %,  in  Deutschland  etwas  weniger)  und  Löhne  den  Anstieg  der 
Arbeitslosigkeit auf eine Quote von 25 % in den USA beziehungsweise 30 
% in Deutschland im Jahr 1932 nicht verhinderten."
45
 An anderer Stelle 
führt  er  weiter  aus:  ,,So  sank  in  Deutschland  von  1929  bis  1933  der 
Preisindex  des  privaten  Verbrauchs  um  24  %.  Das  durchschnittliche 
Arbeitseinkommen  der  Unselbständigen  in  Industrie  und  Handwerk 
verringerte  sich  um  ca.  27  %.  (...)  Im  Tiefpunkt  der  Depression  belief 
sich ungeachtet dessen die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt von 
1932 auf 32 % (Zahlen aus Hoffmann 1965)."
46
Diese  empirische  Widerlegung  der  Hauptaussagen  der  traditionellen 
ökonomischen  Theorie    die  Ökonomie  ist  ein  selbststeuerungsfähiges 
System,  da  die  Märkte  (Kapital-,  Güter-  und  Arbeitsmarkt)  automatisch 
zum Gleichgewicht tendieren - war der wesentliche Grund für die rasche 
Ausbreitung  der  Keynesianischen  Wirtschaftstheorie,  die  Keynes  mit 
45
 Kromphardt, Jürgen, Konzeptionen und Analysen des Kapitalismus, Göttingen 
2004, S. 177 
46
 Kromphardt, Jürgen, Konzeptionen und Analysen des Kapitalismus, Göttingen 
2004, S. 181 
39 
seinem  Werk  ,,General  Theory  of  Employment,  Interests,  and  Money"
47
(1936) begründete. Keynes führt in seiner Abhandlung explizit aus, dass 
die  Smithsche  ,,unsichtbare  Hand"  nur  unter  bestimmten  Bedingungen 
funktioniert und brach damit mit DEM zentralen, gut 150 Jahre alten, auf 
Smith zurückgehenden, wirtschaftstheoretischen Dogma. 
2.4.2  D
AS KEYNESIANISCHE 
M
ODELL 
Ausgangspunkt  der  Allgemeinen  Theorie  von  Keynes  sind  Überlegungen 
zu  den  vorangegangenen  neoklassischen  Theoremen,  in  seinem  Fall 
hauptsächlich  in  der  Fassung  von  Marshall.  Keynes  verwirft  wichtige 
Teile,  vor  allem  nachdem  sich  in  der  Weltwirtschaftskrise  herausstellte, 
dass 
die 
Wirtschaftstheorie 
und 
die 
daraus 
abgeleiteten 
wirtschaftspolitischen 
Rezepte 
nicht 
beziehungsweise 
sogar 
kontraproduktiv  auf  die  ökonomische  Wirklichkeit  wirkten.  Den  Glauben 
an die  unsichtbare Hand  gibt Keynes auf,  er geht  stattdessen  von einer 
grundsätzlichen 
und 
im 
zeitlichen 
Verlauf 
zunehmenden 
Krisenanfälligkeit  des  Kapitalismus  aus.  Nach  seiner  Kritik  an  den 
vorherrschenden 
grenznutzentheoretischen 
Konzepten, 
die 
zur 
makroökonomischen 
Ursachenforschung 
und 
-behebung 
der 
Weltwirtschaftskrise  offensichtlich  nichts  beitragen  können,  entwirft  er 
im zweiten Schritt sein makroökonomisches Modell. 
47  Keynes,  John  Maynard,  The  general  theory  of  employment  interest  and 
money,  London  1936.  In  deutscher  Übersetzung:  Keynes,  John  Maynard, 
Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Berlin 1936 
40 
2.4.2.1  D
IE 
S
PARTHEORIE
Entscheidend  für  den  neuen  theoretischen  Ansatz  ist  eine  neue 
Zinstheorie. Keynes verwirft das Saysche Theorem
48
, wonach sich jedes 
Angebot  automatisch  seine  Nachfrage  schafft.  Übertragen  auf  den 
Kapitalmarkt  bedeutet  das  Saysche  Theorem,  dass  sich  Spar-  und 
Investitionsvolumen  mittels  Zinsmechanismus  immer  im  Gleichgewicht 
befinden. Dies  stellt sich in  in den Augen von Kritikern  aber anders 
dar:  ,,Das  neoklassische  Vertrauen  in  die  Zinsabhängigkeit  der 
Investitionen hat mit der Realität nicht viel zu tun, ebenso wenig wie das 
Vertrauen  in  die  Zinsabhängigkeit  des  Sparens  (...)"
49
.  Für  Keynes  ist 
Sparen vor allem eine Restgröße (Einkommen minus Konsumausgaben). 
Durch  diese  neue  Auffassung  kommt  dem  Zinssatz  eine  -  im  Vergleich 
zum klassischen Modell - viel geringere Rolle zu. Stattdessen ist nun die 
Höhe  des  Volkseinkommens,  und  damit  die  (potentielle)  Nachfrage,  die 
entscheidende ökonomische Größe. 
Damit  rückt  die  Beschäftigung  ins  Zentrum  der  Aufmerksamkeit  und  ist 
folgerichtig  auch  der  zentrale  Bestandteil  der  Allgemeinen  Theorie  von 
Keynes.  Keynes  geht    wiederum  im  Gegensatz  zu  den  (Neo)Klassikern 
  nicht  davon  aus,  dass  der  Marktmechanismus  am  Arbeitsmarkt 
(zumindest  mittelfristig  und  bei  genügender  Flexibilität)  automatisch 
Vollbeschäftigung  herstellt.  Eine  Senkung  des  allgemeinen  Lohnniveaus 
ist 
kurzfristig 
nicht 
nur 
relativ 
schwer 
durchsetzbar 
(Gewerkschaftsmacht),  sondern  auch  gar  nicht  wünschenswert.  Denn 
48
 Benannt nach Jean Baptiste Say (1767-1832). Das Saysche Theorem besagt, 
dass  Angebot  und  Nachfrage  in  einer  Volkswirtschaft  stets  gleich  hoch  sind,  da 
sich  jedes  Produkt,  mithilfe  des    Marktmechanismus,  selbst  ihre  entsprechende 
Nachfrage schafft. 
49
  Senf,  Bernd,  Die  blinden  Flecken  der  Ökonomie.  Wirtschaftstheorien  in  der 
Krise, München 2002, S. 207 
41 
durch  einen  Rückgang  des  Lohnniveaus  würde  die  Massenkaufkraft  erst 
recht  geschwächt  und  die  ohnehin  schon  gegebene  Nachfragelücke  nur 
noch  größer.  Mit  diesem  Argument  schafft  Keynes  eine  ökonomische 
Begründung  dafür,  dass  Lohnsenkungen  nicht  nur  aus  sozialpolitischer, 
sondern eben auch aus wirtschaftspolitischer Sicht abzulehnen sind.
50
Gleichzeitig  weist  Keynes  damit  nach,  dass  eine  zu  geringe 
gesamtwirtschaftliche  Nachfrage  beziehungsweise  eine  zu 
hohe 
Sparquote der Haushalte möglich ist. Diesem potentiellen Zustand muss 
und kann von staatlicher Seite aber aktiv begegnet werden. 
2.4.2.2  D
IE 
I
NVESTITIONSTHEORIE
Auch  die  Investitionen  werden  nicht,  wie  von  Say  und  Nachfolgern 
angenommen,  ausschließlich  durch  den  Zinssatz  bestimmt,  sondern  der 
wichtigste  Bestimmungsfaktor  für  die  Quantität  der  Investitionen  ist   
nach 
Keynes 
- 
die 
Renditeerwartung 
der 
Unternehmer. 
Die 
Investitionstätigkeit  ist  somit  immer  mit  einem  gewissen  Grad  von 
Unsicherheit  behaftet.  Das  ist  allerdings  nicht  nur  ein  Problem  für  den 
einzelnen  Unternehmer,  sondern  ein  gesamtgesellschaftliches,  da  die 
Gefahr  besteht,  dass  es  zu  einer  Lohn-  und  Preisspirale  nach  unten 
kommt:  ,,Keynes  wandte  sich  damit  (mit  seinen  Überlegungen  zur 
Investitionsentscheidung;  Anmerkung  CP)  gegen  die  Erklärung  der 
Krisen durch das Ansteigen des Zinssatzes und stellt ihr seine Erklärung 
durch  den  plötzlichen  Zusammenbruch  der  Renditeerwartungen 
entgegen (...)"
51
. 
50
    Vgl.  Kromphardt,  Jürgen,  Konzeptionen  und  Analysen  des  Kapitalismus, 
Göttingen 2004, S. 180-183 und Senf, Bernd, Die blinden Flecken der Ökonomie. 
Wirtschaftstheorien in der Krise, München 2002, S. 201-204; 213 
51
 Kromphardt, Jürgen, Konzeptionen und Analysen des Kapitalismus, Göttingen 
2004, S. 179 
42 
Ferner geht Keynes von einer abnehmenden Grenzleistungsfähigkeit des 
Kapitals aus, das heißt die Probleme verschärfen sich systemimmanent. 
Wenn nun allerdings die Renditeerwartungen unter den Marktzins sinken, 
werden  weitere  Realinvestitionen  unterbleiben,  stattdessen  wird  das 
Kapital  in  den  Kapitalmarkt  wandern.  Es  kommt  von  unternehmerischer 
Seite her zu einem Nachfrageausfall. 
Die  klassische  und  neoklassische  Lösung  für  diese  Problemlage  würde 
folgendermaßen  aussehen:  Am  Kapitalmarkt  kommt  es  aufgrund  der 
geringen  Kapitalnachfrage  zu  einer  Zinssenkung.  Dadurch  sinken  auch 
die  Sparzinsen,  Sparen  wird  weniger  attraktiv,  der  Haushaltskonsum 
springt dadurch automatisch wieder an und der optimale Zustand ist bald 
wieder  marktimmanent  hergestellt.  Auch  diesen  Sachverhalt  beurteilt 
Keynes  aber  anders  und  prägt  für  seine  Ansicht  den  Begriff 
Liquiditätspräferenz. 
2.4.2.3  D
IE 
L
IQUIDITÄTSPRÄFERENZ
Nach  Keynes  können  Einkommen  nicht  nur  gespart  oder  investiert, 
sondern auch gehortet werden. Der Besitzer sichert sich damit Liquidität 
und  hat  ein  Höchstmaß  an  Freiheit  bezüglich  der  Verwendung  des 
Geldes, das Spekulationsmotiv wird schlagend. Die ,,Liquiditätspräferenz" 
ist,  im  Gegensatz  zum  Sparen,  sehr  stark  vom  Zinssatz  abhängig.  Je 
niedriger  die  Zinsen  am  Kapitalmarkt,  desto  größer  die  Liquidität.  Da 
dieses Geld zumindest vorerst nicht nachfragewirksam wird, entsteht ein 
Nachfrageleck mit negativen Folgen für die gesamte Volkswirtschaft.
52
52
 Vgl. Senf, Bernd, Die blinden Flecken der Ökonomie. Wirtschaftstheorien in der 
Krise, München 2002, S. 207-211 und Jarchow, Hans-Joachim, Keynesianismus, 
in:  Issing,  Otmar  (Hrsg.),  Geschichte  der  Nationalökonomie,  München  2002,  S. 
204f. 
43 
Wenn  man  nun  die  Keynesschen  Aussagen  über  die  Sparfunktion,  die 
Investitionsfunktion und die Liquiditätspräferenz zusammenfasst, sieht er 
den  Kapitalismus  durch  dessen  systemimmanente  Entwicklungen 
zunehmend gefährdet. Senf drückt diese Befürchtungen folgendermaßen 
aus:  ,,Je  höher  die  Wirtschaft  entwickelt,  je  älter  ein  kapitalistisches 
System ist, je mehr also Sozialprodukt und Volkseinkommen gewachsen 
sind,  umso  mehr  würden  sich  Kreislaufprobleme  ergeben    weil  dem 
absolut  und  relativ  wachsenden  Sparen  auf  Dauer  keine  hinreichend 
wachsenden  privaten  Investitionen  entsprechen  würden  und  weil  ein 
sinkender  Zins,  anstatt  die  Investitionen  anzuregen,  zu  verstärktem 
Abfluss von Geld in die Spekulation führe."
53
2.4.3  D
IE 
S
TAATSAUFGABEN  UND  DAS 
V
ERHÄLTNIS  VON 
S
TAAT 
&
Ö
KONOMIE
Das  zentrale  Ziel  der  Allgemeinen  Theorie  von  Keynes  sind  Maßnahmen 
zur 
Sicherung 
der 
Vollbeschäftigung. 
Allerdings 
basierten 
die 
diesbezüglichen  Überlegungen  nicht  hauptsächlich  auf  sozialpolitischen, 
sondern auf ökonomischen Zusammenhängen. Meines Erachtens könnte 
das  auch  ein  wesentlicher  Grund  dafür  gewesen  sein,  dass  sich  der 
Keynesianismus,  zumindest  für  einige  Zeit,  durchsetzen  konnte. 
Wirtschaftspolitische 
Forderungen 
scheinen 
mehr 
Verwirklichungschancen zu haben als sozialpolitische. 
Wenn 
nun 
das 
Wirtschaftssystem 
nicht 
aus 
eigener 
Kraft 
Vollbeschäftigung herstellen kann, muss der Staat einspringen. Dazu hat 
53
 Vgl. Senf, Bernd, Die blinden Flecken der Ökonomie. Wirtschaftstheorien in der  
Krise, München 2002, S. 212 
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2006
- ISBN (eBook)
- 9783836641227
- Dateigröße
- 1.4 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Wien – Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften, Politikwissenschaften
- Erscheinungsdatum
- 2014 (April)
- Note
- 2
- Schlagworte
- sozialstaat wirtschaftstheorie österreich pension neoliberalismus
- Produktsicherheit
- Diplom.de
 
					