Umgang der Kirchen mit muslimischen und konfessionslosen Bewerbern für soziale Berufe im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmungsrecht und Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz
©2009
Diplomarbeit
127 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Einleitung:
Das Interesse für diese Arbeit wurde durch ein Urteil des Hamburger Arbeitsgerichts vom 04.12.2007 geweckt. Das Hamburger Arbeitsgericht hat in seinem Urteil der Klage einer türkischstämmigen Muslima stattgegeben, die sich auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz berufen hatte. In der zweiten Instanz wurde die Klage jedoch ohne Berücksichtigung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes abgelehnt. Im Vordergrund stand die fehlende Qualifikation der Bewerberin.
Während die Klägerin in der ersten Instanz eine Benachteiligung aufgrund ihrer Religion und ihrer Herkunft geltend machen wollte und vom Gericht drei Monatslöhne aufgrund einer Benachteiligung wegen der Religionszugehörigkeit zugesprochen bekommen hat, gab es im Berufungsurteil keinen Bezug zum AGG. Auf das angedeutete Urteil wird im Kapitel 5.3.4 umfangreicher eingegangen.
Trotz des im Sinne der Bewerberin negativ ausgefallenen Berufungsurteils kamen Fragestellungen hinsichtlich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, der Sonderstellung der Kirchen und ihrem konkreten Umgang mit Muslimen und Konfessionslosen auf. Die Sonderstellung der Kirchen als Arbeitgeber muss demnach durchleuchtet werden, um festzustellen warum den Kirchen und ihr zugehörigen Einrichtungen ein Selbstbestimmungsrecht, welches sich auch auf die Personalauswahl hinsichtlich der Konfession und den Loyalitätsobliegenheiten erstreckt, gewährt wird. Denn die großen Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden sind die größten Anbieter im sozialen Bereich und zählen somit zu den großen Arbeitgebern bundesweit. Beim Deutschen Caritasverband handelt es sich um den größten Wohlfahrtsverband mit 499 000 Mitarbeitern. Diese Zahl macht rund 40 Prozent aller Beschäftigten in der freien Wohlfahrtspflege aus. Mit rund 435 000 hauptamtlich Beschäftigten rangiert das Diakonische Werk der EKD an zweiter Stelle. Insgesamt beschäftigen die beiden großen Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden rund 1 200 000 Mitarbeiter. Zu den genannten Beschäftigtenzahlen müssen nämlich noch die Mitarbeiter der verfassten Kirchen addiert werden. Bei der Diakonie und beim Caritas arbeiten ca. 80 Prozent aller kirchlich Beschäftigten. Die weiteren 20 Prozent verteilen sich auf die verfassten Kirchen.
Es gibt noch vier weitere Wohlfahrtsverbände, die jedoch in Bezug auf den Umfang der Angebote und der Mitarbeiterstärke nicht den Stellenwert der Diakonie oder der Caritas einnehmen können. Neben Diakonie und Caritas fungiert als […]
Das Interesse für diese Arbeit wurde durch ein Urteil des Hamburger Arbeitsgerichts vom 04.12.2007 geweckt. Das Hamburger Arbeitsgericht hat in seinem Urteil der Klage einer türkischstämmigen Muslima stattgegeben, die sich auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz berufen hatte. In der zweiten Instanz wurde die Klage jedoch ohne Berücksichtigung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes abgelehnt. Im Vordergrund stand die fehlende Qualifikation der Bewerberin.
Während die Klägerin in der ersten Instanz eine Benachteiligung aufgrund ihrer Religion und ihrer Herkunft geltend machen wollte und vom Gericht drei Monatslöhne aufgrund einer Benachteiligung wegen der Religionszugehörigkeit zugesprochen bekommen hat, gab es im Berufungsurteil keinen Bezug zum AGG. Auf das angedeutete Urteil wird im Kapitel 5.3.4 umfangreicher eingegangen.
Trotz des im Sinne der Bewerberin negativ ausgefallenen Berufungsurteils kamen Fragestellungen hinsichtlich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, der Sonderstellung der Kirchen und ihrem konkreten Umgang mit Muslimen und Konfessionslosen auf. Die Sonderstellung der Kirchen als Arbeitgeber muss demnach durchleuchtet werden, um festzustellen warum den Kirchen und ihr zugehörigen Einrichtungen ein Selbstbestimmungsrecht, welches sich auch auf die Personalauswahl hinsichtlich der Konfession und den Loyalitätsobliegenheiten erstreckt, gewährt wird. Denn die großen Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden sind die größten Anbieter im sozialen Bereich und zählen somit zu den großen Arbeitgebern bundesweit. Beim Deutschen Caritasverband handelt es sich um den größten Wohlfahrtsverband mit 499 000 Mitarbeitern. Diese Zahl macht rund 40 Prozent aller Beschäftigten in der freien Wohlfahrtspflege aus. Mit rund 435 000 hauptamtlich Beschäftigten rangiert das Diakonische Werk der EKD an zweiter Stelle. Insgesamt beschäftigen die beiden großen Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden rund 1 200 000 Mitarbeiter. Zu den genannten Beschäftigtenzahlen müssen nämlich noch die Mitarbeiter der verfassten Kirchen addiert werden. Bei der Diakonie und beim Caritas arbeiten ca. 80 Prozent aller kirchlich Beschäftigten. Die weiteren 20 Prozent verteilen sich auf die verfassten Kirchen.
Es gibt noch vier weitere Wohlfahrtsverbände, die jedoch in Bezug auf den Umfang der Angebote und der Mitarbeiterstärke nicht den Stellenwert der Diakonie oder der Caritas einnehmen können. Neben Diakonie und Caritas fungiert als […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Altan Ari
Umgang der Kirchen mit muslimischen und konfessionslosen Bewerbern für soziale
Berufe im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmungsrecht und Allgemeinem
Gleichbehandlungsgesetz
ISBN: 978-3-8366-4089-3
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Fachhochschule Münster, Münster, Deutschland, Diplomarbeit, 2009
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und der Verlag, die Autoren oder
Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl.
verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010
1. Einleitung
2
1. Einleitung
4
2. Erörterung der Bedeutung von Muslimen und Konfessionslosen im Kontext dieser
Arbeit
9
3. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in der BRD
12
4. Kirchliches Arbeitsrecht
17
5. Erläuterung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes
28
5.1 Europarechtliche Vorgaben für das AGG
29
5.2 Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
33
5.3 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder
Weltanschauung nach AGG
40
5.3.1 Bestandsschutz für Kirchen und ihr zugeordnete Einrichtungen nach Art. 4
Abs. 2 der EU-Richtlinie 2000/78/EG
40
5.3.2 Erörterung des § 9 Abs. 1 hinsichtlich einer zulässigen unterschiedlichen
Behandlung wegen der Religion
43
5.3.3 Beurteilung von nicht einheitlichen Einstellungspraktiken bezogen auf die
Konfessionszugehörigkeit
52
5.3.4 Das Urteil des Hamburger Arbeitsgerichts vom 04.12.2007
55
6. Darstellung der Richtlinien der katholischen Kirche und der EKD hinsichtlich der
Mitarbeit von konfessionslosen und Muslimen
58
6.1 Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst / Grundordnung des
kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse
59
6.2 Richtlinie des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland nach Art. 9
Buchst. b Grundordnung über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen
Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Diakonischen
Werkes der EKD
61
1. Einleitung
3
7. Auswertung der Befragung ausgewählter Vertreter von Diakonie, Caritas und
KODA zum Umgang mit muslimischen und konfessionslosen Bewerbern und
Mitarbeitern
65
7.1 Caritasverband für die Diözese Münster e.V.
66
7.1.1 Erfahrungen des DiCV Münster mit Muslimen und Konfessionslosen
66
7.1.2 Einschätzungen des DiCV Münster zum AGG
68
7.2 Diakonisches Werk Rheinland-Westfalen-Lippe e.V
69
7.2.1 Erfahrungen des DW-RWL mit Muslimen und Konfessionslosen
69
7.2.2 Einschätzungen des DW-RWL zum AGG
71
7.3 Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e.V.
72
7.3.1 Erfahrungen des DiCV München und Freising mit Muslimen und
Konfessionslosen
73
7.3.2 Einschätzungen des DiCV München und Freising zum AGG
74
7.4 Kommission zur Ordnung des diözesanen Arbeitsvertragsrechts Nordrhein-
Westfalen
75
7.4.1 Erfahrungen der KODA NW mit Muslimen und Konfessionslosen
75
7.4.2 Einschätzungen der KODA NW zum AGG
76
8. Analyse von ausgesuchten Stellenanzeigen kirchlicher Arbeitgeber im Hinblick
auf Konfessionszugehörigkeit und Loyalitätsanforderungen
78
8.1 Stellenanzeigen für soziale Berufe
78
8.2 Stellenanzeigen für pflegerisches und medizinisches Personal
81
8.3 Stellenanzeigen für Verwaltungsangestellte und Hauswirtschaftskräfte
84
9. Abschließende Beurteilung
85
Literaturverzeichnis
88
Anhang
1. Einleitung
4
1. Einleitung
1
Das Interesse für diese Arbeit wurde durch ein Urteil des Hamburger Arbeitsgerichts
vom 04.12.2007 geweckt. Das Hamburger Arbeitsgericht hat in seinem Urteil der
Klage einer türkischstämmigen Muslima stattgegeben, die sich auf das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz berufen hatte.
2
In der zweiten Instanz wurde die Klage
jedoch ohne Berücksichtigung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes
abgelehnt. Im Vordergrund stand die fehlende Qualifikation der Bewerberin.
3
Während die Klägerin in der ersten Instanz eine Benachteiligung aufgrund ihrer
Religion und ihrer Herkunft geltend machen wollte und vom Gericht drei
Monatslöhne aufgrund einer Benachteiligung wegen der Religionszugehörigkeit
zugesprochen bekommen hat, gab es im Berufungsurteil keinen Bezug zum AGG.
Auf das angedeutete Urteil wird im Kapitel 5.3.4 umfangreicher eingegangen.
Trotz des im Sinne der Bewerberin negativ ausgefallenen Berufungsurteils kamen
Fragestellungen hinsichtlich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, der
Sonderstellung der Kirchen und ihrem konkreten Umgang mit Muslimen und
Konfessionslosen auf. Die Sonderstellung der Kirchen als Arbeitgeber muss
demnach durchleuchtet werden, um festzustellen warum den Kirchen und ihr
zugehörige Einrichtungen ein Selbstbestimmungsrecht, welches sich auch auf die
Personalauswahl hinsichtlich der Konfession und den Loyalitätsobliegenheiten
erstreckt, gewährt wird. Denn die großen Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden
sind die größten Anbieter im sozialen Bereich und zählen somit zu den großen
Arbeitgebern bundesweit. Beim Deutschen Caritasverband handelt es sich um den
größten Wohlfahrtsverband mit 499 000 Mitarbeitern. Diese Zahl macht rund 40
Prozent aller Beschäftigten in der freien Wohlfahrtspflege aus. Mit rund 435 000
hauptamtlich Beschäftigten rangiert das Diakonische Werk der EKD an zweiter
Stelle.
4
Insgesamt beschäftigen die beiden großen Kirchen mit ihren
Wohlfahrtsverbänden rund 1 200 000 Mitarbeiter.
5
Zu den genannten
Beschäftigtenzahlen müssen nämlich noch die Mitarbeiter der verfassten Kirchen
1
Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit weitgehend einheitlich die männliche Form
bevorzugt. Es sind jedoch sowohl Frauen als auch Männer angesprochen.
2
AG Hamburg v. 04.12.2007-20 Ca 105/07.
3
Vgl. LAG Hamburg, Pressemitteilung vom 29.10.2008.
4
Vgl. Dahme/Schütter/Wohlfahrt (2008): S. 102 ff.
5
Vgl. Lührs (2008): S. 13.
1. Einleitung
5
addiert werden. Bei Diakonie und Caritas arbeiten ca. 80 Prozent aller kirchlich
Beschäftigten. Die weiteren 20 Prozent verteilen sich auf die verfassten Kirchen.
6
Es gibt noch vier weitere Wohlfahrtsverbände, die jedoch in Bezug auf den Umfang
der Angebote und der Mitarbeiterstärke nicht den Stellenwert der Diakonie oder der
Caritas einnehmen können. Neben Diakonie und Caritas fungiert als ,,kirchlicher"
Wohlfahrtsverband noch die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden. Als weitere
Organisationen sind noch das Deutsche Rote Kreuz (DRK), der Deutsche
Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) und die Arbeiterwohlfahrt (AWO) zu
nennen.
7
Die sechs Wohlfahrtsverbände gehören auf Bundesebene der
Bundesarbeitsgemeinschaft für Freie Wohlfahrtspflege (BAGFW) an. Auch auf
Länderebene existieren Arbeitsgemeinschaften .
Die beiden großen Wohlfahrtsverbände decken einen erheblichen Teil des
Angebotsspektrums im sozialen Sektor ab. Für Angehörige von Gesundheits- und
Pflegeberufen, Erzieher, Sozialarbeiter/Sozialpädagogen und weiterer Berufsgruppen
stellen die Träger aufgrund ihres Angebotsspektrums und ihrer Größe eine
Anlaufstelle für eine potentielle Bewerbung oder Anstellung dar. Auch aus diesem
Grund erscheint der Bezug zu Diakonie und Caritas wichtig.
Im dritten Kapitel werden die Grundlagen und die Historie des kirchlichen
Selbstbestimmungsrechts in der Bundesrepublik erläutert. Diesbezüglich muss auch
auf das kirchliche Arbeitsrecht eingegangen werden. Denn die Kirchen und ihre
Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas beschäftigen, wie beschrieben, eine
Vielzahl von Mitarbeitern in ihren Einrichtungen, die unter besonderen Bedingungen
arbeiten. Diese Besonderheiten sollen in Grundzügen erläutert werden.
Nach der Erläuterung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen, und dem damit
verbundenem kirchlichen Arbeitsrecht wird das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz hinsichtlich seiner Entstehungsgeschichte und seiner
Inhalte analysiert. Nach mehreren Richtlinien der Europäischen Union wurde das
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Sommer 2006 umgesetzt.
6
Vgl. hierzu Lührs (2008): S. 11.
7
Vgl. Merchel (2003): S. 86 ff.
1. Einleitung
6
Von besonderer Relevanz sind insbesondere die Ausnahmeregelungen, die die
Kirchen und ihr zugehörige Einrichtungen betreffen. Deshalb nimmt einen
beträchtlichen Teil der Arbeit die Erörterung des § 9 AGG ein. Der § 9 AGG ist als
Sonderregelung für die Kirchen
8
aufzufassen. Im Rahmen dieser Erörterung soll ein
Bezug auf die Gruppe der muslimischen und konfessionslosen Bewerber für soziale
Berufe hergestellt werden.
Große Bedeutung bei der Begutachtung des Umgangs der Kirchen mit muslimischen
und konfessionslosen Bewerbern haben auch die Richtlinien, die jeweils vom Rat der
Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz
erlassen wurden. Die Richtlinie des Rates der EKD und die ,,Grundordnung des
kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" geben Hinweise
auf Verhaltensanforderungen und auch die Konfessionszugehörigkeit für Personen
die im Bereich der EKD und der katholischen Kirche arbeiten.
Nach der eingehenden Betrachtung und der Analyse der rechtlichen Vorgaben wird
versucht eine Verbindung zur alltäglichen Einstellungspraxis der Kirchen und ihrer
Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas herzustellen. Hier soll eine praktische
Momentaufnahme stattfinden. Es werden beispielhaft Einschätzungen und
Informationen des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. (DW-
RWL), des Caritasverbandes für die Diözese Münster e.V. (DiCV Münster), des
Caritasverbands der Diözese München und Freising e.V. (DiCV München und
Freising) wiedergegeben. Hierüber hinaus gibt es eine Einschätzung eines Vertreters
der KODA NW.
9
Die genannten Trägerverbände und die KODA NW haben einen
beachtlichen Radius. Hier sind eine Vielzahl von kirchlichen Arbeitnehmern
beschäftigt und es werden zahlreiche soziale Angebote und Einrichtungen
unterhalten. Somit kann eine weitreichende Momentaufnahme aufgezeigt werden.
Im vorletzten Kapitel werden ausgesuchte Stellenanzeigen kirchlicher Arbeitgeber
präsentiert. Diese sollen Aufschluss über die Anforderungen der Dienstgeber an die
Bewerber geben. Hier gilt es festzustellen, ob und in welchen Berufen eine
8
Beim § 9 AGG handelt es sich auch um eine Sonderregelung für Weltanschauungsgemeinschaften.
9
Kommission für die Ordnung des diözesanen Arbeitsvertragsrechts Nordrhein-Westfalen. Hierbei
handelt es sich um eine sog. Regional-KODA, der auch das Bistum Münster, außer der nicht
nordrhein-westfälischen Teile, angeschlossen ist.
1. Einleitung
7
bestimmte Konfessionszugehörigkeit verlangt wird. Weitergehend wird noch auf die
besonderen Erwartungen hinsichtlich der Loyalität eingegangen. Die Analyse
betrachtet Ausschreibungen für soziale Berufe im engeren Sinne, wie Erzieher und
Sozialarbeiter und auch Stellenanzeigen für pflegerisches und medizinisches
Personal. Ein kurzer Ausblick erfolgt auch auf Ausschreibungen für
Verwaltungsangestellte und Hauswirtschaftskräfte.
Die Betrachtung des ,,Umgangs der Kirchen mit muslimischen und konfessionslosen
Bewerbern für soziale Berufe" hat eine hohe Relevanz für Angehörige sozialer
Berufe und natürlich für die Kirchen selbst. Die beschriebenen Kapitel sollen ein
Bild bezüglich des Umgangs der Kirchen mit Muslimen und Konfessionslosen
wiedergeben. Hierbei ist in diesem Zuge zunächst die Frage zu klären warum die
Gruppe von Muslimen und Konfessionslosen von Bedeutung ist. Diese Darstellung
findet im nachfolgenden zweiten Kapitel statt.
Zum Abschluss der Einleitung ist noch hinzuzufügen, dass Kenntnisse des
Arbeitsrechts zwingend notwendig für die Beratungspraxis der Sozialen Arbeit sind.
Dadurch, dass zahlreiche soziale Einrichtungen der Kirche zugeordnet sind, muss
auch auf die Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts eingegangen werden.
Oxenknecht-Witzsch nennt insbesondere beratungsintensive Felder der Sozialen
Arbeit, wie die betriebliche Sozialarbeit, Arbeitsrechtsberatung durch
Gewerkschaften und andere Arbeitnehmerorganisationen oder aber Sozialdienste in
Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen in denen arbeitsrechtliche Beratung
erforderlich ist. Die Autorin weist zudem darauf hin, dass die
,,Bundesarbeitsgemeinschaft der Hochschullehrer des Rechts an Fachbereichen des
Sozialwesens" bereits vor mehreren Jahren die Etablierung des Fachs ,,Arbeitsrecht
und Berufsrecht" gefordert hat.
10
Letztlich muss auch darauf hingewiesen werden, dass auch Studierende und
Auszubildende für soziale Berufe sich mit der beschriebenen Problematik befassen
müssen. Wie zuvor erwähnt sind kirchliche Arbeitgeber die größten Anbieter im
,,sozialen Sektor". Darum ist eine Auseinandersetzung zum Umgang der Kirchen mit
10
Vgl. Oxenknecht-Witzsch in Forum Sozial (2009): S. 31.
1. Einleitung
8
muslimischen und konfessionslosen Bewerbern für soziale Berufe erforderlich, um
auch die eigene Arbeitsperspektive evaluieren zu können.
2. Erörterung der Bedeutung von Muslimen und Konfessionslosen im Kontext dieser Arbeit
9
2. Erörterung der Bedeutung von Muslimen und
Konfessionslosen im Kontext dieser Arbeit
Laut Statistischem Bundesamt gibt es in der BRD 15 143 000 Millionen Menschen
mit Migrationshintergrund.
11
6 744 900 der Menschen mit Migrationshintergrund
haben einen ausländischen Pass. 1 713 600 Personen, die eine ausländische
Staatsangehörigkeit besitzen, stammen aus der Türkei.
12
Einem Land mit
mehrheitlich muslimischer Bevölkerung. Hinzu kommen noch zahlreiche
eingebürgerte Personen. Insgesamt gibt es in der BRD über 3, 2 Millionen
Muslime.
13
Sie bilden, Aussiedler aus den ehemaligen GUS-Staaten ausgenommen,
die größte Gruppe unter den Menschen mit Migrationshintergrund.
14
Bezogen auf die
Religionszugehörigkeit bilden die Muslime nach den Katholiken und Protestanten
die drittgrößte Gruppe in der BRD.
15
Gaitanides macht darauf aufmerksam, dass Migranten
16
Zugangsprobleme zu
sozialen Diensten haben. Diese Gruppe nutzt hiernach trotz überdurchschnittlicher
Belastungen nur zu einem geringen Anteil die präventiven Angebote der Sozialen
Arbeit. Nutzer mit Migrationshintergrund sind nach Gaitanides stärker in den
,,Endstationen" der Sozialen Arbeit wie beispielsweise Frauenhäusern und den
Drogennotdiensten vorzufinden. Als Zugangsprobleme sind unter anderem
sprachliche Hürden und die ,,Barriere ,,christlicher Tendenzbetrieb"" zu nennen.
Bezogen auf Lösungsansätze formuliert der Autor neben weiteren Punkten, dass
Migranten den gleichen Zugang und die gleichen Karrierechancen bei sozialen
Diensten haben sollten.
17
Es muss eine interkulturelle Öffnung sowohl auf
Nutzerebene als auch auf der Ebene der Mitarbeiter vollzogen werden, um
Zugangsbarrieren zu beseitigen.
18
11
Vgl. Statistisches Bundesamt (2008): S. 63.
12
Vgl. Statistisches Bundesamt (2008): S. 47.
13
Vgl. Oeckl (Hg.) (2008): S. 1185.
14
Vgl. Deutscher Caritasverband e.V. (Hg.) (2006): S. 14.
15
Das Statistische Bundesamt Wiesbaden gibt in seiner aktuellen Publikation mit Bezug auf Daten aus
dem Jahr 2006 wieder, dass in der BRD 25 685 000 Katholiken leben und die evangelische Kirche 25
101 000 Kirchenmitglieder hat. Vgl. Statistisches Bundesamt (2008): S. 65 ff.
16
Nicht alle Menschen mit Migrationshintergrund gehören dem muslimischen Glauben an. Dennoch
bilden die Muslime, wie dargestellt, eine große Gruppe innerhalb der Migranten dar.
17
Ausführlicher Gaitanides in Sozial Extra (2004): S. 34 ff.
18
Gaitanides macht auch darauf aufmerksam, dass die Beteiligung von Migranten in Ausbildungen für
soziale Berufsbilder sehr gering ist. Vgl. Gaitanides in Sozial Extra (2004): S. 36.
Die 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) gibt wieder, dass Studierende mit
Migrationshintergrund (Bildungsinländer, Eingebürgerte und Studierende mit doppelter
2. Erörterung der Bedeutung von Muslimen und Konfessionslosen im Kontext dieser Arbeit
10
Bei der Berücksichtigung der dargestellten Problematik müssen die Kirchen und ihre
Wohlfahrtsverbände als große Anbieter für soziale Dienstleistungen angesprochen
werden. Es gibt sowohl im Bereich der evangelischen Kirche als auch der
katholischen Kirche, insbesondere der Diakonie und Caritas, Überlegungen, wie
Menschen mit Migrationshintergrund näher an die Angebote herangeführt werden
können. So möchte der Deutsche Caritasverband den Zugang zu seinen Diensten für
Migranten erleichtern. Bezogen auf Mitarbeiter wird zudem noch betont, dass die
,,Doppelperspektivität" von Migranten für die Arbeit großen Nutzen haben könnte.
19
Die Evangelische Kirche von Westfalen weist darauf hin, dass für die Arbeit mit
muslimischen Kindern in evangelischen Kindertagesstätten, insbesondere in der
Sprachförderung, mitarbeitende Muttersprachler von Vorteil sein können. So ist also
festzustellen, dass muslimische Mitarbeiter neben der ,,Doppelperspektivität" auch
Kompetenzen hinsichtlich einer adäquaten Sprachförderung mitbringen können.
20
Neben der Betreuung von muslimischen Kindern hat sich die benannte Landeskirche
auch mit der Herausforderung der Betreuung von älteren und kranken Muslimen
auseinandergesetzt. Insbesondere die Betreuung von älteren Muslimen stellt, nicht
nur für konfessionelle Träger, eine große Herausforderung dar, da es sich um ein
neues Phänomen handelt. Auch hier wird unter anderem auf die notwendige
Sprachkompetenz aber auch die erforderliche Sensibilität im Umgang mit den
Normen und Werten der Betreuten hingewiesen und dadurch aufgezeigt, dass die
Mitarbeit von Muslimen geboten sein könnte.
21
Die Gruppe der Konfessionslosen kann nicht annähernd als eine homogene Gruppe,
die etwa einer Weltanschauung angehört, bezeichnet werden. Dennoch ist die
Erörterung des Umgangs der Kirchen mit konfessionslosen Bewerbern für soziale
Staatsangehörigkeit) insgesamt mit acht Prozent an deutschen Hochschulen vertreten sind. Unter
dieser Gruppe sind auch die Bildungsinländer gefasst. Hier bilden die Türken mit einem Anteil von 21
Prozent die größte Gruppe. Die Sozialerhebung gibt wieder, dass Bildungsinländer und Eingebürgerte
nur zu einem geringen Anteil in der Fächergruppe Sozialwissenschaften, Sozialwesen, Pädagogik und
Psychologie vertreten sind. Bei Studierenden mit doppelter Staatsangehörigkeit gibt es keine
nennenswerten Unterschiede. Hier bilden Polen und Franzosen die größte Gruppe. Vgl. DSW (2008):
S. 434-440.
19
Vgl. Deutscher Caritasverband e. V. (Hg.) (2006): S. 60.
20
Im gleichen Zug wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Beschäftigung von Muslimen aufgrund
der Loyalitätsrichtlinie des Rates der EKD problematisch sein kann. Vgl. EKvW (2008): S. 27.
21
Vgl. EKvW (2008): S. 30.
2. Erörterung der Bedeutung von Muslimen und Konfessionslosen im Kontext dieser Arbeit
11
Berufe von großer Bedeutung, da diese Gruppe eine immense Zahlenstärke aufweist.
So waren zu Beginn der neunziger Jahre 10-12 Millionen Konfessionslose auf dem
Gebiet der neuen Bundesländer zu verzeichnen.
22
Die Konfessionslosen können, wie dargestellt, nicht als eine Gruppe ausgewiesen
werden, die weitestgehend einheitliche Merkmale aufweist. Diesbezüglich können
etwa auch keine Beispiele hinsichtlich des Zugangs von Konfessionslosen, als
Nutzer, zu sozialen Diensten aufgeführt werden. Eine Bezugnahme auf die
Konfessionslosen ist in erster Linie aufgrund der großen Anzahl dieser Personen
erforderlich.
23
22
Vgl. Feiereis in DCV (Hg.) (1992): S. 18.
23
Die Anzahl der Konfessionslosen exakt zu benennen stellt eine Herausforderung dar. Denn Lexika
und Statistiken führen Konfessionslose nicht explizit auf. Das ,,Taschenbuch des öffentlichen Lebens
Deutschland 2009" gibt an, dass neben Angehörigen der ACK-Kirchen und weiteren christlichen
Kirchen, Muslimen und Juden ,,Angehörige anderer Religionen, christlich orientierter
Sondergemeinschaften, freireligiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften sowie
Gemeinschaftslose und ohne Angabe..." rund 30 Prozent Anteil an der Bevölkerung haben. Vgl.
Oeckl (Hg.) (2008): S. 1185.
3. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in der BRD
12
3. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in der BRD
Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen wird auch als Staatskirchenrecht
bezeichnet. Der Begriff Staatskirchenrecht ist zunächst irreführend, da er das Recht
einer sog. Staatskirche suggerieren könnte, die es in der BRD nicht gibt.
24
Dieses
besagt auch Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung
(WRV).
Artikel 140 des Grundgesetzes sieht das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen vor.
Das Grundgesetz bezieht sich hierbei auf die Weimarer Reichsverfassung von 1919.
Die Weimarer Reichsverfassung regelt in Artikel 137 das Verhältnis von Kirche,
Religionsgemeinschaften und Staat. Aber auch die Artikel 136, 138, 139 und 141 der
Weimarer Reichsverfassung sind Bestandteile des Artikels 140 des Grundgesetzes.
Artikel 140 GG nimmt in sofern Bezug auf die Weimarer Reichsverfassung, weil der
Parlamentarische Rat, der mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik befasst war,
keine Grundsatzentscheidung zum Verhältnis von Kirche und Staat getroffen hat. Im
Parlamentarischen Rat herrschte eine Patt-Situation aufgrund des Verhältnisses von
sozialdemokratischen und konservativen Kräften, die unterschiedliche Vorstellungen
zum Verhältnis von Kirche und Staat hatten. Aufgrund dieser Patt-Situation bezieht
sich der Artikel 140 GG auf die vorgenannten Artikel der Weimarer
Reichsverfassung.
25
Diese wurden unverändert in das Grundgesetz übernommen und
stehen im Vergleich zu anderen Artikeln des Grundgesetzes nicht in einer Stufe von
minderem Rang.
26
Von besonderer Bedeutung ist der Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV. Hiernach
verfügen Kirchen und Religionsgemeinschaften gemäß Art. 137 Abs. 5 WRV über
das Recht, als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu fungieren. Dieser
staatskirchenrechtliche Körperschaftsstatus soll die Unabhängigkeit der genannten
Gemeinschaften wahren.
27
Zum anderen können gemäß Art. 137 Abs. 3 WRV sog.
24
Hierzu Winter (2008): S. 9.
25
Vgl. Mayer in Kittner/Zwanziger (Hg.) (2007): § 147 Rn. 7.
26
So Winter (2008): S.14.
27
Vgl. Hillgruber in Grabenwarter/Lüdecke (Hg.) (2002): S. 79.
3. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in der BRD
13
Religionsgesellschaften ihre Angelegenheiten selbst ordnen und verwalten und ihre
Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde verleihen.
Hiernach definiert Hesse das Selbstbestimmungsrecht als Recht der Kirchen und
Religionsgemeinschaften die ,,eigenen" Angelegenheiten im Rahmen der für alle
geltenden Gesetze unabhängig von staatlichem Einfluss zu regeln.
28
Hesse betont,
ebenso wie Mayer, dass die Regelung im Grundgesetz, die auf die WRV verweist,
ungewöhnlich ist. Dennoch hat sie, nicht nur nach Ansicht von Hesse, volle
Gültigkeit.
Das deutsche Staatskirchenrecht wird laut Robbers als weltweit einzigartig
betrachtet.
29
In Frankreich gibt es beispielsweise eine strikte Trennung von Kirche
und Staat, die als Laizismus bezeichnet wird. Auch die Niederlande und Irland haben
Trennungssysteme, die jedoch nicht wie in Frankreich laizistisch ausgeprägt sind.
Robbers führt an, dass nur wenige Länder der Europäischen Union
Trennungssysteme haben.
30
Die Ausführungen sollen jedoch nicht darüber hinweg
täuschen, dass es auch in der BRD ein Trennungssystem gibt. Hierbei handelt es sich
jedoch nicht um ein striktes Trennungssystem, wie etwa in Frankreich. Mit der
Formulierung des Art. 137 Abs. 1 WRV wonach es keine Staatskirche gibt, ist eine
Interpretation hinsichtlich einer Trennung von Staat und Kirche möglich. Art. 137
Abs. 1 WRV wird auch dahingehend verstanden, dass der Staat sich nicht auf eine
Religion als Staatsreligion festlegen darf.
31
Doch das deutsche Modell gibt den
Kirchen und Religionsgemeinschaften das im Grundgesetz manifestierte
Selbstbestimmungsrecht und gewährt ihnen in diesem Zug sogar den Status einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts. Es zeigt damit deutlich, dass es kein striktes
Trennungssystem gibt.
32
In diesem Rahmen muss auch erwähnt werden, dass der Staat mit den Kirchen sehr
wohl auf verschiedenen Ebenen kooperiert, indem den Kirchen beispielsweise
öffentliche Aufgaben übertragen werden können. Dieses ist durch den subsidiären
Charakter der BRD bedingt.
33
Hiernach kommt dem Staat, laut Urteil des
28
Vgl. Hesse in Listl/Pirson (Hg.) (1994): S. 521ff.
29
Vgl, Robbers in Dabrowski/Wolf (Hg.) (2003): S. 7-18.
30
ebenda.
31
Vgl. Dirksen (2003): S. 19.
32
Vgl. Winter (2008): S. 162 f.
33
Vgl. Hammer (2002): S. 89.
3. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in der BRD
14
Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.1967, kein Monopol auf soziale Tätigkeit zu
und ein Vorrang der freien Träger, zu denen Diakonie und Caritas gehören, ist bei
gleichwertigen Angeboten mit der Verfassung vereinbar.
34
Insbesondere die Kirchen bestehen und verweisen auf das in der Verfassung
verankerte Selbstbestimmungsrecht und argumentieren unter anderem mit dem
Schutz vor staatlicher Einflussnahme und staatlichem Zugriff. Die Kirchen in der
BRD können ihre Angelegenheiten selbständig ordnen und verwalten.
35
Mit dem
Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten ist die Freiheit der Kirchen
gemeint, ihre eigene Rechtsprechung zu etablieren. Explizit muss man hier von der
Freiheit der Rechtsetzung sprechen, die Art. 137 Abs. 3 S.1 WRV den Kirchen und
Religionsgemeinschaften garantiert.
So haben Kirchen ihre eigenen Gerichte, die sich im Rahmen der eigenen Belange
bewegen. Sie sind frei von staatlicher Einflussnahme. Die Kirchen müssen sich
jedoch an die für alle gültigen Gesetze halten. Sie können in diesem Rahmen von der
Freiheit der Rechtsetzung Gebrauch machen.
36
Im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ist auch Artikel 4
Abs. 1 und Abs. 2 des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Art. 4 Abs. 1 GG besagt,
dass die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und
weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich sind. Art. 4 Abs. 2 GG gewährleistet
die ungestörte Religionsausübung. Die Glaubensfreiheit wird also durch die
Verfassung garantiert. Diese Garantie ist laut Faltenbaum im Zusammenhang mit der
Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen und der Konvention zum Schutz
der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarates zu sehen.
37
Diese
dokumentieren die internationale Gewährleistung der ,,Gedanken-, Gewissens- und
Religionsfreiheit".
34
Hierzu ausführlicher Falterbaum (2000): S. 113 ff.
35
Vgl. Hesse in Listl/Pirson (Hg.) (1994): S. 533ff.
36
Vgl. Stein in Falke/ Rust (Hg.) (2007): § 9 Rn 53.
37
Vgl. Faltenbaum (2000): S. 20.
3. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in der BRD
15
Die kollektive kirchliche Bekenntnis- und Kultfreiheit ist durch Art. 4 GG geschützt.
Das Ordnen und Verwalten
38
der eigenen Angelegenheiten nach Art. 137 Abs. 3
WRV dient der beschriebenen Bekenntnis- und Kultfreiheit.
39
Die Kirchen können Träger des Grundrechts aus Art. 4 GG sein.
40
Dieses gilt ebenso
für weitere juristische oder aber natürliche Personen.
41
Träger des Selbstbestimmungsrechts sind jedoch nur Glaubensgemeinschaften, die
als Religionsgemeinschaften bezeichnet werden können. Somit können sich keine
religiös motivierten Vereine oder Gesellschaften auf Art. 137 Abs. 3. WRV
berufen.
42
Bei der Beurteilung und Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts kommt es
nämlich auf das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft hinsichtlich der Lehre,
des Kultus, der Organisation und der eigenen Verfassung an. Hinzu kommt unter
anderem das Selbstverständnis in Bezug auf die Kirchenverwaltung und die
Kirchengerichtsbarkeit.
43
Wichtig ist stets festzuhalten, dass die Religionsgemeinschaften ihre eigenen
Angelegenheiten im Rahmen der für alle geltenden Gesetze selbst ordnen und
verwalten können. Das Selbstbestimmungsrecht ist also durch die sog. ,,Schranke"
der für alle geltenden Gesetze begrenzt. Bei Angelegenheiten innerhalb der Kirche
macht die Rechtsprechung laut Dirksen keinen Gebrauch von der
,,Schrankenregelung".
44
Die ,,Schrankenregelung" greift hiernach bei weltlichen
Angelegenheiten.
Im zuletzt beschriebenen Absatz geht ein interessantes Spannungsfeld hinsichtlich
des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen hervor. In inneren Angelegenheiten, so
wird deutlich, sind die Kirchen umfassend vor staatlichem Zugriff oder staatlicher
Einflussnahme geschützt. Im Weiteren kommt hier der ,,Schrankenregelung", die auf
die für jedermann geltenden Gesetze Bezug nimmt, eine verschwindend geringe
Rolle zu. Ein Spannungsfeld kommt im Außenbereich, wie etwa dem Arbeitsrecht
39
Vgl. Stein in Falke/Rust (Hg.) (2007): § 9 Rn 58.
40
ebenda.
41
Faltenbaum (2000): S 21.
42
Vgl. Wedde in Däubler/Bertzbach (Hg.) (2007): §9 Rn 46.
43
Vgl. Dirksen (2003): S. 20.
44
Vgl. Dirksen ebenda.
3. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in der BRD
16
für privatrechtlich Beschäftigte bei den verfassten Kirchen und Diakonie und Caritas,
auf.
45
Im nächsten Kapitel wird näher auf das kirchliche Arbeitsrecht eingegangen. In
Bezug auf das Arbeitsrecht der Kirchen ist Art. 137 Abs. 3 WRV von Bedeutung.
Dieser Artikel weist, wie beschrieben, darauf hin, dass jede Religionsgesellschaft
ihre Angelegenheiten selbst ordnet und verwaltet und ihre Ämter ohne staatliche
Mitwirkung vergibt.
46
45
Hierzu ausführlicher: Winter (2008): S. 180 ff.
46
Vgl. Hammer (2002): S 87.
4. Kirchliches Arbeitsrecht
17
4. Kirchliches Arbeitsrecht
Bei der Wiedergabe der Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts muss in Bezug
auf die verfassten Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände darauf geachtet werden,
dass nicht von ,,dem Arbeitgeber Kirche" gesprochen werden kann. Kirchliche
Arbeitgeber können laut Hammer unterschiedliche Rechtsstellungen haben.
47
So
können kirchliche Arbeitgeber als juristische oder natürliche Personen fungieren und
den verfassten Kirchen oder Wohlfahrtsverbänden angehören. Die ,,Kirche als
Arbeitgeber" kann also nicht als ein Monolithblock dargestellt werden. Hierzu führt
Hammer als Vergleich den öffentlichen Dienst auf. Auch der öffentliche Dienst ist
keine Einheit. Hier muss eine Unterscheidung und Unterteilung in Kommunen,
Länder und Bund und den dazugehörigen Einrichtungen, die einen
privatrechtlichen
48
oder öffentlich-rechtlichen Status haben, stattfinden.
49
Dennoch gibt es sowohl im Öffentlichen Dienst als auch in kirchlichen
Einrichtungen jeweils weitestgehend einheitliche arbeitsrechtliche Bestimmungen.
50
Das kirchliche Arbeitsrecht, dass seine Anwendung bei den verfassten Kirchen und
den Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas findet, wird durch das im vorherigen
Kapitel beschriebene kirchliche Selbstbestimmungsrecht legitimiert. Maßgeblich
hierfür ist der Art. 137 Abs. 3 WRV, wonach, wie zuvor erwähnt, die
Religionsgesellschaften ihre Angelegenheiten selber ordnen und verwalten. Durch
das den Kirchen zugestandene Selbstbestimmungsrecht besteht laut Mayer die
Möglichkeit, Inhalte der Beschäftigungsverhältnisse, sofern diese die
Obliegenheitspflichten gegenüber der Kirche und ihrer Wertordnung betreffen, selbst
festzulegen.
51
Hiernach ist laut Mayer unstrittig, dass die Kirchen für den
verkündungsnahen Bereich als innere Angelegenheit Festlegungen treffen können.
52
Spannend wird es bei der Begutachtung der Frage inwiefern die Kirchen und ihr
angegliederte Träger von der Möglichkeit der Gestaltung im Bereich der
privatrechtlich Beschäftigten Gebrauch machen können. Dieses ist ein
Spannungsfeld was bereits vor der Einführung des Allgemeinen
47
Vgl. Hammer (2002): S. 142.
48
Wie z.B. zahlreiche kommunale Ver- und Entsorgebetriebe, die als GmbH geführt werden.
49
Vgl. Hammer (2002): S. 143.
50
ebenda.
51
Vgl. Mayer in Kittner/Zwanziger (Hg.) (2007): § 147 Rn 6 u. 7.
52
Vgl. Mayer in Kittner,/Zwanziger (Hg.) (2007): § 147 Rn 8.
4. Kirchliches Arbeitsrecht
18
Gleichbehandlungsgesetzes und den vorhergehenden EU-Richtlinien Bestand gehabt
haben dürfte.
Schliemann argumentiert hinsichtlich der Beurteilung, welche Angelegenheiten die
Kirchen als ihre eigenen sehen und dahingehend nach Art. 137 Abs. 3 WRV selbst
ordnen und verwalten, dass die Betroffenen (Kirchen, Diakonie und Caritas) in der
Lage sind im Zuge eigener rechtlicher Regelungen Anforderungen an die Mitarbeiter
zu stellen.
53
Dieses trifft laut Schliemann, auch dann zu wenn staatliche
Arbeitsgerichte im Falle von individualarbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen bei
kirchlichen Mitarbeitern, insbesondere bei Diakonie und Caritas, zuständig sind. Die
Kirchengerichtsbarkeit hat sich hiernach auf kirchenrechtliche Anwendung zu
beschränken. Trotz des Einbezugs der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das
staatliche Arbeitsrecht ist die Definition der Beschäftigungsverhältnisse als eigene
Angelegenheit der Kirchen unstrittig.
54
Im Zuge der notwendigen Rechtssicherheit
ist es jedoch wichtig, dass die Religionsgemeinschaften Anforderungen,
insbesondere mit Bezug auf die Loyalitätsobliegenheiten, an die Mitarbeiter definiert
und festgelegt haben.
55
Sowohl bei der römisch-katholischen als auch der evangelischen Kirche existieren
Richtlinien bezüglich der Loyalitätsanforderungen und der Konfessionszugehörigkeit
ihrer Angestellten. Die Richtlinie für den Dienst bei der römisch-katholischen Kirche
ist die ,,Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher
Arbeitsverhältnisse". Diese Grundordnung wurde 1993 verfasst. Der Rat der
Evangelischen Kirche Deutschlands hat 2005 eine entsprechende Richtlinie
herausgegeben. Im Vergleich zu der Grundordnung der katholischen Kirche gleicht
die EKD-Richtlinie eher einer Empfehlung für die ihr zugehörigen Landeskirchen.
56
Auf die oben benannten Anforderungskataloge der Kirchen an ihre Beschäftigten
wird im Verlauf dieser Arbeit näher eingegangen, da sie insbesondere Aufschluss
über den Umgang der Kirchen mit muslimischen und konfessionslosen Bewerbern
geben können.
57
53
Vgl. Schlieman in Dabrowski/Wolf (Hg.) (2003): S. 22.
54
Vgl. Schliemann in Dabrowski/Wolf (Hg.) (2003): S. 23.
55
Vgl. Winter (2008): S. 199.
56
Vgl. Winter (2008): S. 200.
57
Vgl. Kap. 6.
4. Kirchliches Arbeitsrecht
19
Obschon, wie zu Beginn des Kapitels beschrieben, nicht von der Kirche als
Arbeitgeber gesprochen werden kann, gibt es bei den verfassten Kirchen und den
Einrichtungen, die den Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas angehören ein
Arbeitsrecht, das als kirchliches Arbeitsrecht bezeichnet und jeweils im
dazugehörigen Bereich angewendet wird. Das kirchliche Arbeitsrecht weist
Unterschiede zum staatlichen Arbeitsrecht auf, die im weiteren Verlauf erläutert
werden sollen.
In Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen beinhaltet das
kirchliche Arbeitsrecht, auch unter Einbeziehung des besonderen
Personalvertretungsrechts Konfliktpotential.
58
Die Kirchen können aufgrund ihres
verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts darüber entscheiden
welche Angebote sie, unabhängig von ihrer Rechtsform, unterbreiten. Hierbei
können die Kirchen Arbeitsverhältnisse abschließen, bei denen das staatliche
Arbeitsrecht angewendet wird.
59
Von dieser Möglichkeit machen insbesondere die
kirchlichen Wohlfahrtsverbände Gebrauch. Das Selbstbestimmungsrecht wird laut
Bundesverfassungsgericht hierdurch nicht aufgehoben. Die Kirchen können hiernach
den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis regeln, so das oberste deutsche
Gericht in der weiteren Begründung.
Laut Winter ist die oben in Ansätzen beschriebene Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts von 1985 dahingehend zu verstehen, dass grundsätzliche
Entscheidungen bezüglich der Loyalitätsanforderungen an kirchliche Mitarbeiter
nicht weiter geklärt werden müssen.
60
Festzustellen bleibt also, dass die Kirchen und
die Wohlfahrtsverbände allgemeinrechtliche Arbeitsverhältnisse begründen können,
die der staatlichen Gerichtsbarkeit unterliegen, aber dennoch besondere
Loyalitätsanforderungen enthalten dürfen. Wie zuvor erwähnt, haben sowohl die
römisch-katholische Kirche als auch die Evangelische Kirche Deutschlands
entsprechende Richtlinien hinsichtlich der Loyalitätsobliegenheiten erlassen.
58
Vgl. Winter (2008): S. 198.
59
BVerfGE 70, S. 138 ff.
60
Vgl. Winter (2008): S. 199.
4. Kirchliches Arbeitsrecht
20
Nach Hammer gibt es im Arbeitsvertragsrecht keine Unterschiede zwischen
staatlichem und kirchlichem Arbeitsrecht.
61
Hierzu führt Hammer an, dass obwohl
kirchliche Beschäftigte besonderen Loyalitätspflichten unterliegen und somit
beispielsweise bei Kirchenaustritt oder der Zustimmung zur Abtreibung gekündigt
werden können, keine Unterschiede festzustellen sind. Diesbezüglich macht der
Autor auf Tendenzbetriebe außerhalb der Kirchen wie etwa Gewerkschaften oder
Parteien aufmerksam.
62
Eine Gewerkschaft kann womöglich nicht dazu verpflichtet
werden einen aktiven Vertreter eines Arbeitgeberverbandes als
Gewerkschaftssekretär anzustellen.
Auffällige Unterschiede zwischen staatlichem und kirchlichem Arbeitsrecht gibt es
beim Betriebsvertretungsrecht. Bei Kirchen und kirchlichen Wohlfahrtsverbänden
gibt es keine Betriebs- oder Personalräte. In kirchlichen Einrichtungen werden
Mitarbeiter durch Mitarbeitervertretungen (MAVen) repräsentiert. Bei der
Evangelischen Kirche Deutschlands existiert hierzu das Mitarbeitervertretungsgesetz
(MVG.EKD). Die römisch-katholische Kirche hat bezüglich der MAVen die
Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) installiert. Die Tatsache, dass die Kirchen
und ihr zugeordnete Einrichtungen nicht unter das Betriebsverfassungsgesetz
(BetrVG) fallen, resultiert aus § 118 Abs. 2 BetrVG nach dem das Gesetz keine
Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen
Einrichtungen findet. Nach Thüsing sichert die ,,Nichtgeltung" des BetrVG die
arbeitsrechtliche Regelungsautonomie der Religionsgemeinschaft. Dieses gilt auch
für weitere Einrichtungen der Religionsgemeinschaften unbeschadet ihrer
Rechtsform.
63
Im Zuge der Ausklammerung von Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen
vom BetrVG muss auch darauf hingewiesen werden, dass auch die verfassten
Kirchen, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts haben, vom
Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) ausgenommen sind. § 112 BPersVG
gibt vor: ,,Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und
ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre
Rechtsform; ihnen bleibt die selbständige Ordnung eines Personalvertretungsrechtes
61
Vgl. Hammer (2002): S. 132.
62
Vgl. Hammer (2002): ebenda.
63
Vgl. hierzu ausführlich Thüsing in Richardi (Hg.) (2008): § 118 Rn. 198, 199.
4. Kirchliches Arbeitsrecht
21
überlassen." Analog zum § 112 BPersVG gibt es zudem auf Länderebene
entsprechende Vorschriften.
64
Gemäß des BPersVG nachdem die selbständige
Ordnung eines Personalvertretungsrechts den Religionsgemeinschaften überlassen
bleibt, gibt es sowohl im Bereich der EKD (MVG.EKD) als auch der katholischen
Kirche (MAVO) entsprechende spezifische Bestimmungen zur
Mitarbeitervertretung.
Weitergehend ist der Abschluss von Tarifverträgen bei den Kirchen und ihren
Wohlfahrtsverbänden nicht möglich. Die Kirchen haben ihre eigenen Arbeitsrechts-
Regelungsverfahren. Diese werden als sog. ,,Dritter Weg" bezeichnet. Beim ,,Ersten
Weg" wurden die kollektiven arbeitsrechtlichen einseitig vom Dienstgeber
festgelegt. Dieser Weg wurde bis in die siebziger Jahre hinein bei den Kirchen
praktiziert.
65
Als ,,Zweiter Weg" wird der Tarifabschluss durch Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbände bezeichnet. Die römisch-katholische Kirche und die EKD
lehnen Kollektivverhandlungen im Sinne von Tarifverhandlungen ab.
66
Beide
Kirchen führen kollektive arbeitsrechtliche Regelungen im Rahmen von
arbeitsrechtlichen Kommissionen durch.
Bei der evangelischen Kirche ist zu beachten, dass zwei Landeskirchen, nämlich die
Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche (NEK) und die Evangelische Kirche
in Berlin Brandenburg (EKBB), sich einem Tarifvertrag angeschlossen haben.
67
Die
NEK und die EKBB bilden hier jedoch eine absolute Ausnahme. Im Bereich der
katholischen Kirche gibt es keine Beispiele für Diözesen oder Träger, die
Tarifverträge mit Gewerkschaften abgeschlossen haben. Eine weitere Besonderheit
im Bereich der evangelischen Kirche ist, dass es einen Verband der Diakonischen
Dienstgeber (VddD) gibt, der sich der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber
(BDA) angeschlossen hat.
68
Hiermit stellt der VddD im Bereich der kirchlichen
Dienstgeber eine Besonderheit dar.
69
64
Vgl. Altvater/Hamer et al. (2008): § 112 Rn. 1.
65
Vgl. Winter (2008): S. 201.
66
Vgl. Mayer in Kittner/Zwanziger (2007): § 147 Rn 38.
67
Vgl. Hammer (2002): S. 333.
68
Vgl. Hammer (2002): S. 154.
69
Es gibt noch die Arbeitsgemeinschaft diakonischer Dienstgeber (AGdD) als weiteren
Arbeitgeberverband im Bereich der Diakonie. Dieser tritt als Verbund kleiner und mittlerer
Unternehmen im Bereich der Diakonie auf. Hierzu ausführlich Hammer (2002): S. 154.
4. Kirchliches Arbeitsrecht
22
Nach Hammer ist der ,,Dritte Weg" eine Mischung aus Anteilen des ,,Ersten" und
,,Zweiten Weges". Dieses ist der Fall, wenn nach Hammer der ,,Zweite Weg"
,,verfassungswidrig als Vorrang des staatlichen vor kirchlichem Recht unter
Ausschluss des kirchlichen Selbstverständnisses und der Kirchenautonomie
interpretiert wird."
70
Für Richardi erfüllt der ,,Dritte Weg" die Voraussetzungen,
,,die es rechtfertigen, der kircheneigenen Regelung aus Sicht des staatlichen Rechts
die gleiche gesetzesausfüllende und derogierende Wirkung wie tarifvertraglichen
Regelungen zukommen zu lassen." Dieses hat jedoch dann Bestandskraft, wenn das
Prinzip der gleichberechtigten Teilnahme von Dienstnehmern und Dienstgebern
gewährleistet ist.
71
Bei der evangelischen Kirche ist die paritätische Besetzung der Kommissionen mit
Vertretern von Dienstgebern und Angestellten üblich.
72
Die Mitarbeiterseite kann in
diese Kommissionen unter anderem Vertreter einer Gewerkschaft entsenden. Auch
ein Vertreter eines Berufsverbands der kirchlichen Mitarbeiter kann in diese
Kommissionen auf der Seite der Mitarbeiter entsandt werden.
73
Die paritätische Besetzung der arbeitsrechtlichen Kommissionen ist des Weiteren
bei der katholischen Kirche gegeben. Diese Kommissionen werden als
Kommissionen zur Ordnung des Diözesanen Arbeitsvertragsrechts (KODA)
bezeichnet.
74
Aufgabe der Kommission ist nach § 2 Abs. 1 KODA-Ordnung NW die
ständige Mitwirkung bei der Aufstellung von Normen, welche Inhalt, Abschluss und
Beendigung der Arbeitsverhältnisse regeln. Die Bistums/Regional-KODA ist sowohl
für den Bereich der verfassten Kirche als auch für die ihr zugeordneten rechtlich,
verselbständigten Einrichtungen der Caritasverbände, soweit diese nicht die
Arbeitsvertragsordnungen des Deutschen Caritasverbandes anwenden, zuständig. Im
Gegensatz zu den arbeitsrechtlichen Kommissionen im Bereich des EKD können in
diese jedoch keine Vertreter von Gewerkschaften oder Berufsverbänden entsandt
werden.
75
70
Vgl. Hammer (2002): S. 187.
71
Hierzu ausführlicher Richardi (2009): § 13 Rn. 26 f.
72
Vgl. Mayer in Kittner/Zwanziger (2007): § 147 Rn 39.
73
Vgl. Mayer in Kittner/Zwanziger (2007): ebenda.
74
Vgl. Falterbaum (2000): S. 86.
75
Eine Ausnahme bildet jedoch die KODA NW. In diese können Vertreter der Mitarbeiter vom
Zentralverband katholischer Kirchenangestellter e.V. (ZKD) entsendet werden. Vgl. hierzu Richardi
(2009): § 14 Rn. 21 und auch § 5 Abs. 7 KODA-Ordnung NW.
4. Kirchliches Arbeitsrecht
23
Für Beschlüsse der Kommissionen im Bereich der evangelischen Kirche wird eine
Zweidrittel-Mehrheit benötigt. Bistums/Regional-KODA-Beschlüsse bedürfen einer
Dreiviertel-Mehrheit. Im Bereich der katholischen Kirche hat allerdings der Bischof
das letzte Entscheidungsrecht. Ein Bischof kann also einen Bistums/Regional-
KODA-Beschluss, der mit Dreiviertel-Mehrheit, also auch mit Zustimmung der
Dienstgeberseite verabschiedet wurde, ablehnen. Somit würde der Beschluss der
Bistums/Regional-KODA im Bereich der Zuständigkeit des Bischofs nicht umgesetzt
werden.
76
Um jedoch über die Bistümer hinaus einheitliche arbeitsrechtliche Regelungen zu
schaffen, gibt es des Weiteren die Zentral-KODA. Die Zentral-KODA war in drei
Bereiche aufgeteilt. Die Abteilung A, die lediglich empfehlenden Charakter hatte,
verfügte über die Zuständigkeit der Beschlüsse der Bistums/Regional-KODAen. Die
Abteilung B war für Beschlüsse innerhalb des Deutschen Caritasverbands zuständig.
Beim dritten Bereich handelte es sich um ein gemeinsames Gremium aus den
Abteilungen A und B der Zentral-KODA. Diese war laut Falterbaum für die
,,Verklammerung" der erstgenannten Bereiche zuständig.
77
Die Abteilungen A und B
bei der Zentral-KODA existieren nicht mehr. Dieses ist laut Richardi dem Umstand
geschuldet, dass eine Unterscheidung in den Bereich der verfassten Kirche und der
Caritas sachlich nicht gerechtfertigt war.
78
Im Bereich der EKD hat nach § 15 Abs. 6 ARRG-RWL
79
bei Konflikten im Rahmen
von Arbeitsrechtsregelungsverfahren eine Schiedskommission das endgültige
Entscheidungsrecht. Die arbeitsrechtliche Schiedskommission kann bei Uneinigkeit
im Arbeitsrechtsregelungsverfahren nach § 15 Abs. 5 ARRG-RWL im
fortgeschrittenen Verfahren von Beteiligten der Arbeitsrechtskommission angerufen
werden, wobei hier alle Beteiligten über den Einbezug dieser in Kenntnis zu setzen
sind. Die Bestimmungen in den weiteren Gliedkirchen der EKD weisen eine dem
ARRG-RWL entsprechende Parallelität auf. Auch Richardi verweist darauf, dass das
76
Die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO)
besagt diesbezüglich, dass die Beschlüsse der Kommissionen bischöflicher Inkraftsetzung bedürfen.
Vgl. hierzu Art. 7 Abs. 1 GrO.
77
Vgl. Falterbaum (2000): S. 86.
78
Vgl. Richardi (2009): § 14 Rn. 30.
79
Beispielhaft Arbeitsrechtsregelungsgesetz-Rheinland-Westfalen-Lippe.
4. Kirchliches Arbeitsrecht
24
Letztentscheidungsrecht überwiegend beim Schlichtungsausschuss liegt und in der
Regel eine Vorlage an die Synode nicht zuzulassen ist.
80
In materieller Hinsicht sind die Arbeitsvertragsrichtlinien beider Kirchen
weitestgehend an den öffentlichen Dienst angelehnt.
81
Im Bereich der katholischen
Kirche ist zu beachten, dass die Bistums/Regional KODA
82
für den Bereich der
verfassten Kirche, hierzu gehören also nicht die, dem Deutschen Caritasverband
angeschlossenen Einrichtungen, die Kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung
(KAVO) verabschiedet. Diese hat u. a. Gültigkeit für Angestellte der verfassten
Kirche wie etwa Pastoralreferenten, Küster, Organisten oder aber auch Erzieher in
Kindertagesstätten, die unmittelbar einer Kirchengemeinde zugeordnet sind. Zum
Zuständigkeitsbereich der Bistums/Regional-KODA gehören auch die selbständig
geführten Einrichtungen des Diözesancaritasverbands, sofern diese nicht die
Richtlinien für Arbeitsverträge des Deutschen Caritasverbandes anwenden.
83
Für die
dem Deutschen Caritasverband angeschlossenen Einrichtungen haben die
Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbands (AVR) Gültigkeit. In
diesem Bereich existiert für das Arbeitsrechtsregelungsverfahren im Rahmen der
Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes (DCV) die
,,Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission des DCV".
84
Im Bereich der evangelischen Kirche gibt es auf Landeskirchenebene zumeist
arbeitsrechtliche Kommissionen, die sowohl für den Bereich der verfassten Kirche,
als auch für die dem Diakonischen Werk angeschlossenen Einrichtungen zuständig
sind.
85
Für beide Kirchen ist zu sagen, dass die ,,Dienstgemeinschaft" im Hinblick auf die
Zusammenarbeit von Dienstgebern und Dienstnehmern propagiert wird. Beide
lehnen Tarifvertragssysteme, wie sie Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften
beschließen, ab. Im Tarifvertragssystem, so Winter, ist das Vorliegen eines
80
Hierzu ausführlicher Richardi (2009): § 14 Rn. 12.
81
Im öffentlichen Dienst wurde der Bundesangestelltentarif (BAT) vom Tarifvertrag für den
öffentlichen Dienst (TVöD) und dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) abgelöst.
82
Wie etwa die KODA Nordrhein-Westfalen (NW), der u.a. der rheinisch-westfälische Teil des
Bistums Münster angehört.
83
Vgl. Hammer (2002): S. 195 f.
84
Vgl. hierzu ausführlich Richardi (2009): § 14 Rn. 27.
85
Vgl. Richardi (2009): § 14 Rn. 14.
4. Kirchliches Arbeitsrecht
25
Interessengegensatzes vorhanden. In der Dienstgemeinschaft sollen jedoch
Arbeitnehmer und Arbeitgeber vertrauensvoll im Sinne des karitativ-sozialen oder
diakonischen Auftrags zusammen arbeiten. Bei den Kirchen fehlt es laut Winter an
dem im Tarifvertragssystem grundständig vorhandenen Konflikt zwischen ,,Arbeit
und Kapital".
86
Durch die Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts ist demnach also auch zu
folgern, dass die mit ,,Arbeitskampf" verbundenen Begriffe wie ,,Streik" und
,,Aussperrung" in Bezug auf die Kirchen Fremdwörter sind. Festzuhalten bleibt, dass
die Kirchen durch die paritätische Besetzung ihrer arbeitsrechtlichen Kommissionen
die Mitbestimmung in ihrem Bereich verankert haben. Die Betrachtung des
kirchlichen Arbeitsrechts als einen Bereich, der nicht nur ,,innerkirchlich"
Beschäftigte betrifft, sondern auch zahlreiche Mitarbeiter bei den verfassten Kirchen
und den Wohlfahrtsverbänden umfasst, bleibt herausfordernd. Hier bleibt
abzuwarten, wie die ,,Dienstgemeinschaft" im weiteren Verlauf handelt und
handlungsfähig bleibt. In Bezug auf den noch zu erörternden § 9 AGG führt Stein
aus, dass der Dritte Weg hiervon unberührt bleibt. Modifizierungen, insbesondere
unter Berücksichtung der bundesdeutschen Verfassung, sollen demnach aber
dennoch erfolgen, da das ,,sozialpartnerschaftliche Konfliktlösungsverfahren des
,,Dritten Weges" umstritten ist. Stein sieht in diesem Zuge unter anderem auch das
Letztentscheidungsrecht des Bischofs im Zuge von Arbeitsrechtsregelungsverfahren
kritisch.
87
Das kirchliche Arbeitsrecht weist Spannungsfelder auf, die aus der Überschneidung
von staatlichem Arbeitsrecht und kirchenrechtlichen Besonderheiten, welche durch
das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen resultieren, deutlich werden. Nicht
unerwähnt bleiben darf die Tatsache, wenn auch im Kontext dieser Arbeit von
minderer Bedeutung, dass Teilen kirchlicher Beschäftigter innerhalb der verfassten
Kirchen weitere besondere Maßstäbe im Sinne der Anwendung von Kirchengesetzen
auferlegt werden. So gilt etwa das staatliche Arbeitsrecht nicht für Kleriker.
88
Ein
Priester ist demnach in seiner Amtsausübung und persönlichen Lebensführung dem
86
Vgl. Winter (2008): S. 202.
87
Hierzu ausführlich Stein in Falke/Rust (Hg.) (2007): § 9 Rn. 177,178.
88
Vgl. Richardi (2009): § 6 Rn. 21.
4. Kirchliches Arbeitsrecht
26
Diözesanbischof ,,Gehorsam" schuldig. Der Bischof wiederum ist dem Priester
gegenüber zur Sicherung seines Lebensunterhaltes gezwungen.
89
In Bezug auf die Thematik dieser Arbeit, nämlich dem Umgang der Kirchen mit
muslimischen und konfessionslosen Bewerbern für soziale Berufe im Spannungsfeld
zwischen Selbstbestimmungsrecht und Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz,
kristallisieren sich bei der Erörterung des ,,besonderen Arbeitsrechts" Anhaltspunkte
für den weiteren Verlauf heraus.
Die Kirchen können ihren Mitarbeitern besondere Loyalitätsobliegenheiten
auferlegen. Dass diese besonderen Loyalitätsobliegenheiten von Mitarbeitern der
Kirche verlangt werden können, scheint auch durch § 9 Abs. 2 AGG gedeckt zu sein.
Dieser besagt:
,,Das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berührt
nicht das Recht der in Absatz 1 genannten Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten
Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder der Vereinigungen, die sich der
gemeinschaftlichen Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, von ihren
Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen
Selbstverständnisses verlangen zu können."
Durch entsprechende Richtlinien haben die großen Kirchen in der BRD bereits vor
Einführung des AGG im August 2006 ihre Loyalitätsanforderungen an Mitarbeiter
im kirchlichen Dienst festgeschrieben. Die ,,Grundordnung des kirchlichen Dienstes
im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" bei der katholischen Kirche und die
,,Richtlinie des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland nach Art. 9
Buchstabe b Grundordnung über die Anforderungen der privatrechtlichen
beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und des
Diakonisches Werkes der EKD" wurden jeweils 1993 und 2005 erlassen. Die
Grundordnung der katholischen Kirche gilt als umfassend und unumgänglich für den
Bereich der verfassten Kirche und der Caritas dort.
90
Die Richtlinie des Rates der
89
Vgl. Richardi (2009): § 1 Rn. 14.
90
Vgl. Art. 2 Abs. 1 GrO;
Art. 2 Abs. 2 GrO: ,,Diese Grundordnung ist auch anzuwenden im Bereich der sonstigen kirchlichen
Rechtsträger und ihrer Einrichtungen, unbeschadet ihrer Rechtsform sowie des Verbande der
Diözesen Deutschlands und des Deutschen Caritasverbandes. Die vorgenannten Rechtsträger sind
gehalten, die Grundordnung für ihren Bereich rechtsverbindlich zu übernehmen."
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2009
- ISBN (eBook)
- 9783836640893
- Dateigröße
- 596 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Fachhochschule Münster – Sozialwesen, Studiengang Soziale Arbeit
- Erscheinungsdatum
- 2014 (April)
- Note
- 2,0
- Schlagworte
- kirchliches selbstbestimmungsgesetz allgemeines gleichbehandlungsgesetz wohlfahrtsverband muslime