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Phänomenologie des Selbst

Eine Annäherung an die Religionsphilosophie des frühen Heidegger

©2004 Magisterarbeit 123 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die vorliegende Arbeit widmet sich den Vorlesungen Heideggers zur Phänomenologie des religiösen Lebens, welche im Band 60 der Gesamtausgabe veröffentlicht wurden. Das Problem des Religiösen bildet ein durchgehendes Leitmotiv des heideggerschen Denkens. Nicht zuletzt seit der Veröffentlichung des Bandes 65 der Gesamtausgabe, der betitelt ist Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), ist die zentrale Bedeutung der Auseinandersetzung Heideggers mit der Gottesfrage kaum mehr zu bestreiten. Seine Stellungnahmen zum Verhältnis von Philosophie und Religion blieben jedoch stets kryptisch und zurückhaltend. Aus der Perspektive seiner frühen Vorlesungen soll hier nun nach der systematischen Bedeutung des Religiösen für Heideggers Werk und für seinen Denkweg gefragt werden. Die Bedeutung des Religiösen, das ist bei Heidegger: die Bedeutung des Christlichen. Die Vorlesungen zu Paulus, Augustinus und zur mittelalterlichen Mystik stellen dabei eine immer noch zu wenig beachtete Quelle der heideggerschen Entwicklung dar. Diesem christlichen Untergrund des Denkens der Gegenwart soll nachgegangen werden. Nicht aus apologetischen Gründen, vielmehr motiviert sich die Untersuchung aus einem Interesse an den psychodynamischen Verschränkungen von säkularer Moderne und christlichem Erbe. Diese Arbeit bemüht sich deshalb um eine Freilegung der geistigen Ursprünge der Gegenwart in einer Tradition des Fragens, wie sie exemplarisch von Max Weber in seinem Buch ‘Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus’ auf den Weg gebracht wurde.
Die Fragestellung entfaltet sich in vier Teilen. Zunächst soll im ersten Teil der Horizont und ein Motivrepertoire der Frage nach der Religion im 20. Jahrhundert im Allgemeinen, und bei Heidegger im Speziellen, an die Hand gegeben werden. Welches sind die Leitmotive im Verhältnis von Philosophie und Religion? Welches sind die Leitmotive von Heideggers geistesgeschichtlicher Situation? Die aufgefundenen Motive werden im Weiteren an Heideggers Vorlesungen konkretisiert und sollen den geistesgeschichtlichen wie systematischen Ariadnefaden in seinem Denklabyrinth bereitstellen.
Heideggers Auseinandersetzung mit dem Religiösen präsentiert sich dann in einer doppelten Fragedimension. Der Anfang wird im zweiten Teil gemacht, wo es um die methodologischen Grundklärungen gehen wird, die eine Phänomenologie der Religion der philosophischen Reflexion abverlangt. Als da wären: Was ist der Sinn einer […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhalt

Vorwort

Einleitung

1. Grundlinien der Frage nach der Religion im 20. Jahrhundert
Positionen der Gegenwart: Derrida und Habermas
Geschichtliche Konstellation: Moderne und Romantik
Systematische Konzeption: Vernunft und Geschichte
Ein Motivzusammenhang: Die Krisis des Historismus

2. Methodische Vorfragen: Phänomenologie der Religion
Religionsphilosophie als eine Auseinandersetzung mit dem Christentum
Philosophie und Wissenschaft
Der Anfang der Philosophie: Die faktische Lebenserfahrung
Religionsphilosophie negativ
Aufgabe und Gegenstand einer Religions phänomenologie

3. Phänomenologie der Religion: Zeit und Geschichte
Das Historische als Problem
Das Historische als Phänomen
Der Sinn des Historischen: Zeit und Leben

4. Paulinische Zeitlichkeit: Das Ewige und die Gegenwart
Das Selbst, das die Zeit lebt: Die urchristliche Lebenserfahrung
Das religiöse Leben als Paradigma des Lebens überhaupt
Resümee: Paulus oder Die Zeitlichkeit des religiösen Lebens

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Vorwort

Eine Vergangenheit haben, so war eine gemeinsame Interpretation von Simone Weil einmal überschrieben. Der Nachmittag wurde zu einem außergewöhnlichen Ereignis, in welchem das Denken nicht mehr einfach abstrakt, fern und kalt war. Das Denken wurde dort zu einem Ort der Hitze, an welchem die Denkenden selbst eingeschmolzen waren, an welchem tatsächlich hier und jetzt, von dir und mir gedacht wurde. Es war einer jener seltenen Augenblicke, in welchen eine lebendige Stimme Fragen zu stellen beginnt. Fragen, die nun plötzlich zu Anreden und Aufforderungen an einen selbst werden. Fragen an je mich, die Antwort verlangen. Dies ist es, was Philosophie in ihrem Besten stets war: Ein Ort, an dem nicht aus zufälligen Gründen räsoniert wurde, was man auch genauso gut hätte lassen können. Ein Ort, an dem mit Ernst nach dem 'Warum' gefragt wurde, auch wenn dieses dann negativ beantwortet wird. Ein Ort, an dem das Sprechen von Mensch zu Mensch geht. Erfahrungen solcher Art waren es, die meinen Weg in die Philosophie geprägt haben, die mein Fragen zur Leidenschaft und zur Notwendigkeit gemacht haben, die der Frage 'Warum denken?' eine so starke und anschauliche Antwort gegeben haben: Worum geht's? Um unsere Gegenwart!

Das macht mich dankbar. Es sind Menschen für deren Freundschaft ich mich hier bedanken möchte. Ich brauche keine Namen zu nennen, sie erkennen sich selbst. Sie ermöglichten mir solches zu sehen, durch alle Verkrustungen des Akademischen hindurch. Es ist deren Leidenschaft, die in meinem Herzen weiter brennt. In ihrer Erinnerung und aus ihrer Freundschaft ist diese Arbeit geschrieben. Deshalb möchte ich sie ihnen hier zurückgeben, ihnen zur Erinnerung und ihnen zur Freundschaft. Worte sind, wie Paul Celan sagt – ein Händedruck.

Einleitung

Die vorliegende Arbeit widmet sich den Vorlesungen Heideggers zur Phänomenologie des religiösen Lebens, welche im Band 60 der Gesamtausgabe veröffentlicht wurden.[1] Das Problem des Religiösen bildet ein durchgehendes Leitmotiv des heideggerschen Denkens. Nicht zuletzt seit der Veröffentlichung des Bandes 65 der Gesamtausgabe, der betitelt ist Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), ist die zentrale Bedeutung der Auseinandersetzung Heideggers mit der Gottesfrage kaum mehr zu bestreiten. Seine Stellungnahmen zum Verhältnis von Philosophie und Religion blieben jedoch stets kryptisch und zurückhaltend. Aus der Perspektive seiner frühen Vorlesungen soll hier nun nach der systematischen Bedeutung des Religiösen für Heideggers Werk und für seinen Denkweg gefragt werden. Die Bedeutung des Religiösen, das ist bei Heidegger: die Bedeutung des Christlichen. Die Vorlesungen zu Paulus, Augustinus und zur mittelalterlichen Mystik stellen dabei eine immer noch zu wenig beachtete Quelle der heideggerschen Entwicklung dar. Diesem christlichen Untergrund des Denkens der Gegenwart soll nachgegangen werden. Nicht aus apologetischen Gründen, vielmehr motiviert sich die Untersuchung aus einem Interesse an den psychodynamischen Verschränkungen von säkularer Moderne und christlichem Erbe. Diese Arbeit bemüht sich deshalb um eine Freilegung der geistigen Ursprünge der Gegenwart in einer Tradition des Fragens, wie sie exemplarisch von Max Weber in seinem Buch "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" auf den Weg gebracht wurde.

Die Fragestellung entfaltet sich in vier Teilen. Zunächst soll im ersten Teil der Horizont und ein Motivrepertoire der Frage nach der Religion im 20. Jahrhundert im Allgemeinen, und bei Heidegger im Speziellen, an die Hand gegeben werden. Welches sind die Leitmotive im Verhältnis von Philosophie und Religion? Welches sind die Leitmotive von Heideggers geistesgeschichtlicher Situation? Die aufgefundenen Motive werden im Weiteren an Heideggers Vorlesungen konkretisiert und sollen den geistesgeschichtlichen wie systematischen Ariadnefaden in seinem Denklabyrinth bereitstellen.

Heideggers Auseinandersetzung mit dem Religiösen präsentiert sich dann in einer doppelten Fragedimension. Der Anfang wird im zweiten Teil gemacht, wo es um die methodologischen Grundklärungen gehen wird, die eine Phänomenologie der Religion der philosophischen Reflexion abverlangt. Als da wären: Was ist der Sinn einer Religionsphilosophie? Warum ist Religionsphilosophie eine Auseinandersetzung mit dem Christentum? Was ist der Beitrag der Religion zur Klärung des Selbstverhältnisses der Philosophie? Und warum soll die Religion in Konkurrenz zur neuzeitlichen Konzeption der Philosophie als Wissenschaft stehen? Eine Phänomenologie des Selbst wird sich als Heideggers Antwort auf diese Fragen nach der Idee und Aufgabe der Philosophie zeigen. Auf dieses Philosophieverständnis wird sich dann auch die wechselseitige Befruchtung von Religion und Philosophie gründen.

Die Phänomenologie des Selbst materialisiert sich im Problem des Vollzugs des Selbst. Als das Zentrum der Frage nach dem Selbstsein erweist sich das Verhalten zum Historischen, zur Geschichte und Lebensgeschichte, was dann den Übergang zum dritten Teil ermöglicht. In den damaligen krisenhaften Kämpfen für und wider die Relativismen und Pluralismen des Historischen meinte Heidegger, dass er in der urchristlichen Lebenserfahrung einen grundsätzlich anderen Ansatzpunkt für den Umgang mit der Zeitlichkeit des Lebens finden würde. Der Historismus und seine Probleme bietet Heidegger Gelegenheit die Konsequenzen seiner Umwendung der Deutung des Sinns des Historischen zu veranschaulichen.

Aus der Herausarbeitung der Problemstrukturen der Krisis des Historismus und ihrer Inbeziehungsetzung mit dem Problem des Selbstseins ergibt sich im letzten Teil dann die Möglichkeit der konkreten Entfaltung der Vollzugszusammenhänge christlichen Lebens, wie Heidegger diese, ausgehend von Augustinus und Paulus, auffasst. Die zentralen Motive der späteren Existenzialphilosophie werden dabei ihren Ursprung in der Interpretation der christlichen Lebenserfahrung zeigen. Darin findet sich dann auch das Resultat und die Motivation für Heideggers philosophische Auseinandersetzung mit dem christlichen Lebensvollzug: Christliches Leben stelle einen exemplarischen Fall der Lebendigkeit des Lebens überhaupt dar. Es geht darum die Lebendigkeit des Lebens, seinen spezifischen Eigencharakter gegenüber wissenschaftlicher Reduktion wieder freizulegen. Das sei Aufgabe der Philosophie. Das Vordringen zur Lebendigkeit des Lebens bildet deshalb die Aufgabe und das Ziel einer Phänomenologie des Selbstseins, einer höheren Menschenkunde.

"'Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele.'"[2]

1. Grundlinien der Frage nach der Religion im 20. Jahrhundert

Positionen der Gegenwart: Derrida und Habermas

Seit einigen Jahren ereignet sich allmählich wieder eine theoretische Zuwendung zur Religion als Problem, Herausforderung und Antwortperspektive. Was sich zunächst eher still ereignete, nämlich eine Wiederentdeckung des Zusammenhangs der Fragen der Religion und der globalisierten Welt der Gegenwart, das ist seit den Ereignissen des 11. September 2001 in aller Munde und ist zu einem medialen Fliehpunkt der Meinungsproduktion unserer westlichen Welt geworden. Zur sachlichen Aufarbeitung haben die Häufung der Schlagwörter und deren Präsenz in unserem Medienbewusstsein dabei kaum geführt.

Die Diskussion um Probleme der Bioethik, sowie der Anschlag in New York veranlassten Jürgen Habermas deshalb im Jahr 2001 seine Friedenspreisrede dem Thema von Glauben und Wissen zu widmen.[3] Damit entfachte er eine neue Aufmerksamkeitswelle für diese Frageperspektive, wie auch für die Rolle religiöser Positionen in seiner eigenen Theorie.

Im Jahr 1994 trafen sich auf der Insel Capri einige Philosophen und widmeten sich dort der Frage der Religion als Problem säkularer Gegenwart. An diesem Ort ging Jacques Derrida erstmals daran sich den Problemen der Religion zu stellen.[4] Wie auch mit seinen Veröffentlichungen zu Marx geschah dies in der Intention sich den, im Unbewussten der Kultur fortwirkenden, Quellen unserer Gegenwart zuzuwenden. Die Positionen dieser beiden vielleicht wichtigsten Denker der Gegenwart sollen hier exemplarisch skizziert werden, um den Problemhorizont einer philosophischen Auseinandersetzung mit der Religion in der Gegenwart zu eröffnen.

A. Derrida

Jacques Derrida beginnt bei der Beobachtung des Phänomens der erneuten Stärkung und Bedeutung, welche dem Religiösen in der Gegenwart zuzuwachsen scheint. Um diese Bewegung bedenken zu können, müsse vorab eine Klärung dessen vorgenommen werden, wovon unter dem Namen der 'Religion' eigentlich die Rede sei. In dieser Absicht fragt Derrida nach dem Ort des Religiösen, um in dieser Reflexion einen ersten Vorgriff auf die Gestalt des Religiösen zu finden.[5] Von dort her soll eine Verhältnisbestimmung zu dem Ort, an welchem wir uns heute aufhalten, möglich werden. Diese Topologie des Religiösen gliedert sich dabei in drei Motive: die Insel, das Gelobte Land und die Wüste.[6]

Die Insel verweist auf den insulären Charakter des Nachdenkens, das an diesem Ort, hier, jetzt, von diesen Menschen betrieben wird. Es ist das Aufmerksamwerden auf die Frage: Aus welcher Perspektive wird hier überhaupt über Religion gesprochen?

Im Denken über den Ort, der das Gelobte Land heißt, wird der Universalitätsanspruch des Religiösen thematisiert. Derrida kommt auf die Idee der Aufklärung einer menschheitsumspannenden Religion zu sprechen: Ist eine Vernunftreligion der Moralität im Sinne Kants möglich? Drei Dinge merkt Derrida kritisch zu diesem Problem an. Erstens setze die moralische Vernunft selbst, insbesondere in ihrer kantischen Ausprägung, Ideale christlicher Lebensführung voraus, bleibt also selbst verwiesen auf das Verständnis dieser christlich-jüdischen Tradition. Darin kommt ein bedeutendes Problem zu tragen, denn wird dies zugegeben, dann würde deutlich werden, dass die kantische, vernunftbasierte Konzeption der Moralität der christlich konfessionellen an Plausibilität um nichts voraus wäre. Auch die moralische Vernunft sähe sich dann denselben Problemen des Wegbrechens der Tradition als legitimierender Kraft von Wertvorstellungen ausgeliefert, wie die Religionen selbst. Zweitens fährt Derrida damit fort zu fragen, inwiefern der Universalitätsanspruch selbst nicht problematisch ist. Denn dieser stelle eben selbst bereits eine spezifisch christlich-jüdische Idee dar.[7] Zuletzt rückt Derrida, als seiner Meinung nach vielleicht am meisten vernachlässigten Aspekt, die untrennbare, weil wesenhafte Verflochtenheit des Religiösen mit dem radikal Bösen ins Licht des Denkens. Ist die Religion tatsächlich nur der Ort der Güte, der Vergebung und der friedlichen Gemeinschaftlichkeit oder ruht nicht vielmehr im Religiösen selbst eine fundamentale Dialektik, in welcher das Problem des radikal Bösen und der Gewalt die Bühne betritt? Welches ist die Beziehung zwischen der Religion und der Gewalt? Dieses Verhältnis ist augenscheinlich komplexer als es ein schlichtes Bekenntnis zur Ökumene und zum Pazifismus nahe legen wollen.[8]

Die Wüste als der dritte exemplarische Ort des Religiösen bildet für Derrida gleichsam das ontologische Fundament der Religion als Ganzer. Nichts soll die Erfahrung des Religiösen so intim wiederspiegeln wie das Bild der Wüste. Die Wüste ist nicht nur Schauplatz zahlreicher Geschehen des Alten wie des Neuen Testaments, sie ist gerade auch existentielle Metapher der Erfahrung des Religiösen, oder mehr noch: Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung des Religiösen. Denn wo Religion gesucht wird, dort werde Wüste, nämlich die innere Wüste von Leere, Unbestimmtheit und Angst erfahrbar und spürbar. Solches kann nicht beseitigt werden, es gehört zum Menschsein als solchem. Der Riss des Todes ist deren Quelle, und so die Quelle des Menschlichen selbst.

Fundamentaler als Derrida dies tut kann man die Bedeutung des Religiösen eigentlich nicht mehr ansetzen. In der "Nachschrift" ergänzt und erläutert er diese Ausführungen zur Bedeutung der Religion noch einmal, nun jedoch aus einer anderen Fragerichtung, die gleichsam einen neuen Text und ein erneutes, anderes Fragen ergibt. Das Phänomen des Religiösen wird nun insbesondere unter zwei Aspekten betrachtet: einem statischen und einem dynamischen Wesen der Religion.

Die Reflexionen zum statischen Element des Religiösen beschreiben das Phänomen der Abgrenzung als inneren Mechanismus desselben. Diesen Mechanismus der Abgrenzung entdeckt Derrida exemplarisch in den Gestalten sozialen Lebens der Religionen einerseits, und im Verhältnis von Wissenschaft und Religion andererseits. In letzterer Fragestellung rekurriert er auf Hegels Frühschrift über Glauben und Wissen.[9] Der Rekurs auf Hegel ist dabei nicht zufällig. Derrida macht explizit, dass er seine Überlegungen zur Religion in die Tradition dreier Werke des Nachdenkens über Religion stellt, auf welche auch der Titel seines Vortrags anspielt: "Glaube und Wissen. Die beiden Quellen der 'Religion' an den Grenzen der bloßen Vernunft".[10]

Die Charakterisierung der Religion als Ausgrenzungsmechanismus bleibt jedoch ein relativer Allgemeinplatz, bei dem Derrida deshalb auch nicht stehen bleiben will, sondern von diesem ausgehend fundamentalere Schichten freizulegen sucht. Um zu diesen zu gelangen greift Derrida auf das für ihn ungewöhnliche Mittel der etymologischen Betrachtung des Wortes ' religio ' zurück[11]: Stammt "religio" von der Wurzel "religare", im Sinne von "sich binden", an Gott und den Menschen, oder von "relegere", das sorgfältige Beachten der Riten?[12] Die unterschiedlichen Etymologien geben Derrida die Charakteristika für zwei ganz unterschiedliche Auffassungsweisen und Ideen des Religiösen selbst. Diese sollen eine nicht aufzulösende Doppelmöglichkeit bilden. Der Gegensatz, welchen diese beiden möglichen Grundhaltungen eröffnen, mit allen Konsequenzen für die Idee des Religiösen selbst, sei idealtypisch im Denken der Gegenwart verkörpert wären: Auf der einen Seite stehe Heidegger mit seiner Betonung der Scheu, der Zurückhaltung und der Zentrierung um das Phänomen des Heiligen.[13] Auf der anderen Seite stehe Levinas mit seiner Betonung des Vertrauens, der Selbstbindung und der Ausrichtung auf den anderen Menschen.[14] Beides sind originäre Quellen des Religiösen und könnten in ihrer doppelten Möglichkeit nur ausgetragen, nicht aber aufgehoben werden.

Die Überlegungen zur dynamischen Seite der Religion laufen in der Erörterung des Problems der Wiederkehr des Religiösen zusammen.[15] Mit dem Problem der Wiederkehr entfaltet Derrida wiederum drei Fragen: Das Wiederkehrende besitze erstens niemals dieselbe Gestalt wie das Frühere, d.h. es muss zunächst durchdacht werden, was dieses wiedergekehrte Religiöse überhaupt ist. Fest steht nur, dass es nicht einfach das neu aufgelegte Alte sein kann. In Blick auf die Gegenwart soll wahrgenommen werden, dass die wiedergekehrten Religionen andere sind, als sie in ihren früheren Gestalten waren. Ein wiedergekehrtes Phänomen stellt erneut vor Verstehensforderungen. Derrida meint damit insbesondere die Rahmenbedingungen der Wiederkehr in einer so genannten "tele-mediatisierten Welt", die geprägt ist von Wissenschaft, Kapitalismus und politisch-ökonomischem Kalkül.[16] Die offenkundigste der Veränderungen des Religiösen in diesem Horizont ist der universale Ökumenismus, der allerorten betrieben werde, um die Wettbewerbsfähigkeit auf dem religiösen Weltmarkt zu steigern.[17] Zweitens bringt die Wiederkehr dann das Unbewusste ins Spiel. Für Derrida ist die Religion 'das Andere' der gegenwärtigen Welt. In diesem Anderen sieht er die Möglichkeit einer Psychoanalyse der Kultur der Gegenwart aus der Perspektive des ihr Fremden angelegt. Hier wird die Rolle des verdrängten Unbewussten für die Kultur der Gegenwart entfaltet. Das Wiederkehrende ist das Unbewusste. Derrida erläutert, dass, wie bei Freud zu lernen sei, mehr als die bewussten Phänomene, gerade das Unbewusste das eigentlich bestimmende Element des Wirklichen sei. Diese Rolle des Unbewussten falle für die gegenwärtige Welt der Religion zu. Als kulturelles Unbewusstes, im Horizont der 'säkularisierten' Gegenwart, soll die Frage der Religion erneut fundamentale Bedeutung gewinnen, selbst oder gerade unter dem Vorzeichen ihrer Abwesenheit. Was kann die Rede von 'Säkularisierung' in diesem Fall dann aber überhaupt noch bedeuten? Dies bleibt offen, wird jedoch als Frage festgehalten. Zuletzt wird von Derrida angemerkt, dass die Wiederkehr des Religiösen selbst vielleicht kein kontingentes Phänomen sei, sondern wiederum Auskunft geben könnte über eine innere Bewegtheit des Religiösen selbst. Aus dieser Perspektive wird nach einem Bewegungsgesetz des Wiederkehrens der Religion selbst gefragt.

Das Phänomen, welches sich in der Wiederkehr entfaltet, sei das der Wiederholung. Die Wiederholung bezeichne das Kernphänomen der dynamischen Seite des Religiösen. An dieser entfaltet sich nun erst die Zusammengehörigkeit und Doppelgesichtigkeit der beiden Seiten der Religion, deren Dialektik: Die Rituale des Religiösen leben aus ihrer ständigen Wiederholung. Das Glaubensbekenntnis, die Bindung muss stets wiederholt und erneuert werden. Dies ist die dynamische Seite des Religiösen in der Wiederholung. Dieselbe schließt sich jedoch wieder mit dem statischen Element des Religiösen zusammen. Die Wiederholung im Ritus ist dynamisch, trägt in seiner Regularität aber zugleich etwas Mechanisches.[18] Die Quelle der Religion ist nicht nur die Spontaneität der personalen Bindung, sondern genau so sehr auch das Mechanische ihrer Institutionalisierung. An dieser Stelle knüpft Derrida an die Überlegungen Bergsons zu den zwei Quellen der Religion an. Wenn nach einem verborgenen Mechanismus, einem Bewegungsgesetz, im Auftauchen und Verschwinden der Religion gefragt wird, dann kann diese doppelte Quelle des Religiösen vielleicht eine Richtung zur Beantwortung dieser Frage anzeigen. Besondere Aufmerksamkeit widmet Derrida in dieser Hinsicht der Ambivalenz des mechanischen Elements für das Religiöse selbst. Denn das Mechanische wirkt nicht nur schützend für die Religion, sondern es bedroht sie auch in ihrer eigenen inneren Lebendigkeit. Der Zustand der Religion sei deshalb der ständige Kampf, nicht nur gegen die Bedrohungen von Außen, sondern genau so sehr auch gegen ihre eigenen Gefährdungen von Innen. Im Gewissheitsmoment, das die Religion aus der Wiederholung schöpft, liege immer auch die Gefahr, dass diese zu einem bloßen Mechanismus erstarrt. Reaktionen gegen dieses Mechanischwerden des Glaubenvollzugs zeigten sich von der mittelalterlichen Mystik bis zur Entstehung des Protestantismus. Die Erstarrung der Religion erzeuge in Reaktion gegen diese deshalb gerade einen neuen Ursprung religiöser Dynamik und Kreativität. Diese innere Ambivalenz und Dialektik der Religion sei es, die ihren eigentlichen energetischen Kern ausmache, die sie so kreativ, aber eben auch so bedrohlich sein lässt. Mit der Dialektik des Religiösen zwischen Spontaneität und Mechanismus hat die Dekonstruktion damit den aporetischen Kern, das unbedachte Gesetz der Bewegtheit der Religion freigelegt, d. i. die Logik des Wiederkehrens der Religion.

Derrida führt anschauliche Beispiele dafür an: Die Sakralisierung der Schöpfung war die Antwort auf die Dämonisierung der Technik. Die Entzauberung der Welt war Anlass für eine Neuentdeckung des Religiösen. Es zeigt sich: Die Unterbrechung des Bezugs lässt diesen gerade erst hervortreten. Wie voreilig sei so die Rede von der Säkularisierung, wenn diese meint die Religion losgeworden zu sein.

B. Habermas

Angeleitet von den Herausforderungen unserer Gegenwart durch Gentechnologie, Problemen des Zusammenlebens der Kulturen in einer Weltgesellschaft, sowie neuem, religiös motiviertem Terrorismus wendete sich Jürgen Habermas in seiner viel beachteten Friedenspreisrede gleichfalls dem Problem des Verhältnisses von Glauben und Wissen zu. Die Motivstruktur für Habermas sich mit der Religion auseinanderzusetzen ist eine doppelte: Zum einen will er die Bedingungen formulieren, unter denen eine Teilnahme religiöser Weltanschauungen am Diskurs einer pluralen Öffentlichkeit positiv und konstruktiv möglich wären. Zum anderen versucht Habermas die mögliche Bedeutung des gläubigen Bewusstseins für den nicht-gläubig strukturierten öffentlichen Diskurs des Commonsense freizulegen. Es handelt sich also durchaus auch bei Habermas um einen ähnlichen Fall der philosophischen Zuwendung zu verschütteten Quellen des gegenwärtigen Bewusstseins, ähnlich wie dies auch die Motivation für Jacques Derridas Vortrag bildete.

Habermas möchte ein "alte[s] Thema"[19], das von Glauben und Wissen, wieder aufgreifen, um auf dessen Spuren vielleicht einen neuen Orientierungskern für die zunehmend sichtbar werdenden normativen Unsicherheiten der Vernunft zu finden. Was könnte ein solches Gespräch zwischen Glauben und Wissen eröffnen? Und welches sind die Bedingungen für ein solches Gespräch?

In der Gegenwart finde sich der demokratisch aufgeklärte Commonsense im "kulturkämpferischen Stimmengewirr" zwischen Religion und Wissenschaft wieder.[20] Unter dem Vorzeichen der Weltanschauungskämpfe von Religion und Wissenschaft gehöre es zur zentralen Problematik der fortgeschrittenen Moderne, dass die Verhältnisse zwischen diesen von neuem grundsätzlich geregelt werden müssten. Der Commonsense bilde dabei, als die goldene Mitte, eine "dritte Partei" im öffentlichen Meinungsstreit.[21] Der Commonsense, als Grundlage aller öffentlichen Streitkultur, sieht sich nun jedoch von beiden Seiten Deformierungen ausgesetzt. Von der einen Seite ist es die Religion, die Ansprüche auf Normativität und gesellschaftsgestaltende Macht erhebt, die aus einer unberechtigten Universalisierung ihrer Binnenstrukturen auf die Gesamtgesellschaft resultierten. In dem universalistischen Anspruch, den die Religion erhebt, übergehe sie jedoch die faktische plurale Verfasstheit der gegenwärtigen Gesellschaft. Die Religionen müssten in dieser Hinsicht eine dreifache Reflexionsarbeit leisten, um am Diskurs der Moderne teilnehmen zu können:

"Das religiöse Bewusstsein muss erstens die kognitiv dissonante Begegnung mit anderen Konfessionen und anderen Religionen verarbeiten. Es muss sich zweitens auf die Autorität von Wissenschaften einstellen, die das gesellschaftliche Monopol an Weltwissen innehaben. Schließlich muss es sich auf die Prämissen des Verfassungsstaates einlassen, die sich aus einer profanen Moral begründen. Ohne diesen Reflexionsschub entfalten die Monotheismen in rücksichtslos modernisierten Gesellschaften ein destruktives Potential."[22]

Dies sind die von Habermas formulierten Voraussetzungen, damit Religionen positiv im Diskursuniversum einer pluralistischen Öffentlichkeit ankommen könnten, um dann auf dieses, als eine Stimme unter anderen, einzuwirken.

Zur Rolle des religiösen Bewusstseins in der Gegenwart merkt Habermas dann Folgendes an: Am zunehmenden Unbehagen, welches sich unter den Menschen angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen breit mache, werde der "Kampf der Glaubensmächte"[23] zwischen Wissenschaft und Religionen sichtbar. Im zugespitzten Fortschrittstempo einer "entwurzelnden Modernisierung"[24] erhalte die Religion wieder eine Funktion: Sie wird zum Zufluchts-, und mehr noch zum Artikulationsort ,"wissenschaftsskeptische[r] Einhegung[en] archaischer Gefühlsreste"[25], d. h. das Unbehagen, das aus dem raschen Fortschritt der Wissenschaften entsteht, bringt das Bedürfnis nach einer "humanen Kompensation"[26] im zu rasch erfolgenden wissenschaftlich-technischen Fortschritt mit sich. Dafür findet Habermas den Titel der "entwurzelnden Modernisierung". Angesichts dieser Überforderungen in der fortgeschrittenen Moderne würden die eher fortschrittskonservativen Religionen wieder neue Attraktivität gewinnen, sie könnten sich nun sogar als Hüter der Menschlichkeit des Menschen präsentieren. Das zeigt sich auch in Habermas' Grundperspektive auf das Religiöse: Es ist vor allem als Institution in den Blick genommen. Als solche werden die Religionen zu Repräsentanten und Platzhaltern vor-wissenschaftlicher Sprachlosigkeiten, der mit dem Modernisierungsprozess nicht mehr mitkommenden Individuen. Dieses Nicht-mehr-mitkommen mit dem Modernisierungsprozess kann über individuelles Scheitern hinauswachsen und allgemein werden. Dann verlangt es nach einer Artikulationsform im Diskursraum der Öffentlichkeit. Das ist der Punkt, an dem die Diskurstheorie die Religion wieder entdeckt.

"Ungleichzeitigkeit"[27] kommt in diesem Diskurs als eine Grundmotivik unserer Zeit zur Sprache. Nicht nur in den seltsam verworrenen Motiven fundamentalistischer Terroristen, sondern genauso in den Alltagserfahrungen, der von technischem und wissenschaftlichem Fortschritt, moralisch wie lebenspraktisch, überforderten Subjekte, zeige sich dies. Die Moderne führe als "Prozess schöpferischer Zerstörung"[28] die Spaltungen tradierter Lebensformen herbei, das sei ihr erneut schmerzlich zu Bewusstsein kommender Preis. Die Gewinne an persönlicher Freiheit und zunehmender Autonomie wie Unabhängigkeit der Individuen, beider Geschlechter, kompensieren diese Belastungen. In ihren gegenwärtigen Formen scheint die Modernisierung jedoch immer öfter "erfahrbare Kompensationen für den Schmerz des Zerfalls traditionaler Lebensformen"[29] nicht mehr bereitstellen zu können. Der Terrorismus sei demnach der "verhängnisvoll-sprachlose Zusammenstoß"[30] solcher Welten, in denen die Unerfahrbarkeit der humanen Grundtextur der Modernisierung wörtlich explodiert. Auch in der westlichen Welt selbst artikuliere sich die Problematik dieses zunehmenden Unbehagens im wachsenden Auftreten autistischer Akte der Zerstörung und Selbstzerstörung.[31] Für Habermas ist die Religion in diesem Horizont dann die Reaktion auf die Moderne, entsprungen aus einem "Riss der Sprachlosigkeit".[32] In der Religion kehrt die Semantik der Gefühle in die Politik zurück. Nun nicht mehr als bloßer Antagonismus. Es gelangt zur Anerkennung, dass die Kluft zwischen Gefühl und Norm, zwischen Individuum und Allgemeinheit ein reales Unbehagen artikuliert, ohne dessen Berücksichtigung die Moderne sich selbst ihren eigenen normativen Boden entzieht.[33] Es bleibt festzuhalten:

"Wer einen Krieg der Kulturen vermeiden will, muss sich die unabgeschlossene Dialektik des eigenen, abendländischen Säkularisierungsprozesses in Erinnerung rufen."[34]

Geschichtliche Konstellation: Moderne und Romantik

Mit seiner methodischen Verknüpfung historischen und systematischen Fragens in der Philosophie hat Heidegger darauf aufmerksam gemacht, dass zum Verstehen systematischer Probleme integral deren geschichtliche Situiertheit mitgedacht werden muss. Diese Methode trägt bei Heidegger den Namen "Destruktion".[35] Im Anschluss an diese Auffassung gehört zu den Grundlinien der Frage nach der Religion auch deren geschichtlicher Ort.

Zu Beginn wurden zwei Positionen der Gegenwart, exemplarisch für die zeitgenössische philosophische Thematisierung der Religion betrachtet, um das Bewusstsein für den eigenen Horizont der Frage nach der Religion zu schärfen. Im Folgenden stellt sich die Frage nach dem geschichtlichen Horizont des Fragens Heideggers selbst. Dessen geschichtlicher Ort soll dabei sowohl in einer zeitgeschichtlichen, als auch in einer geistesgeschichtlichen Perspektive in den Blick genommen werden.

Es scheinen zwei mächtige Grundströmungen zu sein, in denen Heidegger als Exponent seiner Zeit steht: Auf der einen Seite ist er unmittelbares Kind des so genannten 'Zeitalters der Extreme' und dessen verheerender Konsequenzen. Heidegger gehört zur jungen akademischen Generation unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg. Die Erfahrungen desselben, wie auch dessen Entstehungsbedingungen im "radikalisierten Modernisierungsprozess" seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, bildeten den sozialgeschichtlichen Hintergrund von Heideggers Anfängen. Auf diese soll ein Blick geworfen werden. Insbesondere die spezifische Gestalt des deutschen Wegs in die Moderne, der die Rede vom 'Deutschen Sonderweg' etablierte, soll dabei beachtet werden.

Zum anderen zeigt sich, dass die Gestalt der Religion, und der Philosophie, auf welche Heidegger hinstrebt, eine Grundausrichtung mit einem spezifischen geistesgeschichtlichen Ursprungsort besitzt, nämlich: die Romantik. Die Zentrierung der Betrachtung der Religion um die Phänomene der Faktizität und der Selbstwelt legen dies offen. Für die Annäherung an die Motivik von Heideggers Denken sollen deshalb diese beiden Grundströmungen, der Eintritt Deutschlands in die Moderne und die Revolution der Romantik, skizziert werden. Vor dem Hintergrund dieser historischen Vorverständigung, werden dann die systematischen Probleme entwickelt werden können.

A. Deutschlands Weg in die Moderne

Die Zeit des frühen Heidegger ist in historischer Perspektive eine Epoche fundamentaler Umbrüche und eines tief greifenden Wandels der gesellschaftlichen Strukturen seiner Welt. Heideggers erste Vorlesungen, die er in die Gesamtausgabe aufnehmen wollte, begannen mit dem Kriegsnotsemester 1919 zwischen dem Ende des ersten Weltkriegs und der deutschen Revolution. Die Werdezusammenhänge dieses Wechsels der Staatsform, einem fundamentalen Bruch in der deutschen Gesellschaftsgeschichte[36], prägten auch den Ideenhaushalt der damaligen akademischen Generationen.[37] Was war der geschichtliche Horizont in welchem Heidegger selbst heranwuchs und aus dem heraus er dachte?

Nach Hans-Ulrich Wehler markiert der Beginn des ersten Weltkriegs den Übergang vom langen 19. zum kurzen 20. Jahrhundert, wie er diese Epochenteilung charakterisierte. Zur spezifischen Situation Deutschlands in diesem Übergang gehörte dabei, dass sich für den noch jungen Staat mehrere Modernisierungsaufgaben überlappten, die in anderen Ländern Europas in zeitlich getrennten Räumen ablaufen konnten. Deutschland war der speziellen und komplizierten Situation ausgeliefert, dass sich Nationalstaatsbildung und industrielle Revolution im Modernisierungsprozess verschränkten. Führte der Modernisierungsprozess durch die industrielle Revolution und den Beginn der modernen Marktwirtschaft, dem Ende der Agrargesellschaften und der sich zuspitzenden Urbanisierung auch in anderen europäischen Ländern zu massiven und hoch explosiven Anspannungen innerhalb der Staats- und Gesellschaftsgebilde, so verschärfte sich diese Situation in Deutschland zusätzlich dadurch, dass die Gründung des deutschen Reiches exakt in diese wirtschaftlich-soziale Umbruchszeit fiel, und sie zusätzlich verkomplizierte. Durch die schweren Umstellungskrisen von neu gegründetem Nationalstaat und industrieller Revolution, durch den Übergang von agrarischer zu industrieller Gesellschaftsformation, durch die Auflösung traditionaler Lebenswelten und durch die enormen Migrationsbewegungen innerhalb Deutschlands, im Zuge von aufkommender Marktwirtschaft und damit einhergehender Urbanisierung, im Kontext all dessen entstand der Raum für das klassische Modernisierungsdilemma: Der Kampf zwischen den beharrenden Mächten gesellschaftlicher und politischer Traditionen einerseits, und der marktwirtschaftlichen Evolution andererseits. Daraus entstand ein Spannungsverhältnis von Moderne und Tradition, das die wesentlichen Leitlinien für die Konflikte und Entwicklungen bis über die Weimarer Republik hinaus prägte. In seiner Ausgespanntheit zwischen Tradition und Moderne, zwischen katholischem Glauben der Herkunft und existentieller Selbstbestimmung der Zukunft, scheint Heidegger ein exemplarischer Vertreter dieser allgemeinen geschichtlichen Situation zu sein.

Die Beschleunigung des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses stand dabei den konservativen Mächten sich bewahren wollender Herrschaftssysteme gegenüber. Insbesondere in Deutschland wurde der notwendige gesellschaftliche Umbau in Gestalt seiner konstitutionellen Monarchie hinauszuzögern versucht. Dies geschah teilweise selbst um den Preis eines europäischen Krieges, wie es das Beispiel des mehrfachen Blankoschecks für einen österreichischen Krieg mit Serbien zeigte.[38]

Als drittes Problem wuchs neben Staatsgründung und Industrialisierung das Problem der Klassengesellschaft mit ihren Herausforderungen und Bedrohungen für das bestehende aristokratische Herrschaftssystem heran. Die politische Herrschaft in Deutschland, welche diesen Modernisierungsprozess und seine Probleme zu leiten und zu dirigieren hatte, bestand im Ausgang von der Verfassungsgebung von 1871 im Wesentlichen aus der Machtkonstellation von Monarchie, Militär, wieder aufgewertetem Adel und Bürokratie. Außen vor blieb die Gestaltungsmacht einer bürgerlichen Gesellschaft, des Parlaments und des Liberalismus. Durch die Strukturgebung von 1871 wurde die Richtung für eine – europäisch einzigartige – Wiederaufwertung des Adels, eine politische Verbannung des Bürgertums in die zweite Reihe, sowie die scharfe Isolierung der Arbeiterbewegung vorgegeben.[39]

Der Zusammenbruch des Liberalismus, und dessen Scheitern beim Versuch eine zentrale politische Gestaltungsmacht in Deutschland zu werden, sei dabei zu einem prägenden Motiv für die weitere deutsche Geistesgeschichte geworden.[40] Hans-Ulrich Wehler meint, dass sich in diesem Scheitern am Klarsten der tief greifende Zusammenhang zwischen Unterdrückung von bürgerlicher und parlamentarischer Machtbeteiligung einerseits, und korporatistischem Interventionismus von Adel und Bürokratie andererseits ausdrücke. Dieser sei die Grundlage gewesen für den spezifischen Charakter gesellschaftlicher Verantwortungslosigkeit in den die bürgerlichen Klassen Deutschlands in ihrer politischen Unmündigkeit entlassen wurden. Das Scheitern des Liberalismus als gesellschaftlicher Prägemacht in Deutschland, und die daraus resultierenden mächtigen antibürgerlichen, antiliberalen und antiparlamentarischen Grundströmungen in der deutschen Geistesgeschichte, würden primär aus dieser politischen Ordnung resultieren.[41] Drei Motivkonstellationen bildeten dabei vor allem den Zusammenhang aus welchem heraus das Aufkommen der liberalen Kultur unterdrückt worden wäre: Zum einen sei es die erfolgreiche charismatische Führerschaft Bismarcks gewesen, welche die Notwendigkeit der Ausbildung einer liberalen, politischen Diskussions- und Streitkultur zunächst gar nicht hätte aufscheinen lassen. Zum anderen sei es die politische Ortlosigkeit des Liberalismus gewesen. Dieser hätte nicht in eine aktive und produktive Oppositionsrolle finden können, da er durch seine bürgerliche Verfasstheit einerseits, und die rigide Ausgrenzungspolitik gegen Arbeiterschaft und Katholizismus als den klassischen Oppositionsparteien andererseits, effektiv von der Bildung einer Gegenöffentlichkeit abgehalten worden sei. Als drittes Element sei zuletzt hinzugekommen, dass in dem labilen Gefüge des jungen deutschen Staates die große Depression von 1873 bis 1879 erfolgreich dem Liberalismus als Sündenbock hatte zugerechnet werden können. Dieser sei seitdem als Leitmotiv der scheiternden Modernisierung mit fatalen Folgen etabliert worden. Dieses Bild des Liberalismus als Ursprung des scheiternden Staates habe sich gehalten bis hinauf zu Carl Schmitts berühmten Kampfschriften.[42]

In diesem Horizont wäre so jener fatale Zusammenhang von Herrschaft und Verantwortung entstanden, jenes Modell von sich an Bismarck erinnernder charismatischer Herrschaft, das den berüchtigten Antiliberalismus, Antiparlamentarismus und die Demokratiefeindschaft hervorbrachte, die polemisch als "deutsche Mentalität" der Zwischenkriegszeit bezeichnet wird. Max Weber fasste diese Situation mit Prägnanz zusammen:

"In einem bürokratischen 'Obrigkeitsstaat' mit Scheinparlamentarismus die Masse der Staatsbürger unfrei zu lassen und sie wie eine Viehherde zu 'verwalten' … [anstatt] sie als Mitherren des Staates in diesen einzugliedern"[43], das sei die Herrschaftsmentalität der ausgehenden deutschen Monarchie gewesen.

Dies waren dann auch die mentalitätsgeschichtlichen Grundlagen der Weimarer Republik.

Für die Situation Heideggers sind dabei insbesondere zwei Dinge von Interesse: Einerseits die rigide Ausgrenzung des Katholizismus zu einem gesellschaftlichem Sondermilieu, andererseits die fundamentale Spannung zwischen sich individualisierender Gegenwart und Tradition, einer Spannung von der Heideggers eigenes Verständnis der Religion tief geprägt sein wird, und das sich an dieser Stelle als Signatur der Zeit zeigt, nicht nur als persönliches Problem Heideggers mit dem Glauben seiner Herkunft.

B. Der Wendepunkt der Romantik

Der zweite Motivkomplex, der in seinem geschichtlichen Zusammenhang auf Heidegger hin betrachtet werden soll, ist die geistesgeschichtliche Revolution der Romantik. Wie die Vorbereitungen Heideggers zu einer Vorlesung zu den philosophischen Grundlagen der mittelalterlichen Mystik belegen[44], war das zentrale Phänomen, das er an der Religion in den Blick fassen wollte, das Problem des religiösen Erlebens. Entsprechend rekurrierte er methodisch auf die Zeugnisse religiösen Erlebens von exemplarischen Gestalten der Religionsgeschichte. Wofür sich Heidegger wesentlich interessierte, und was auch bis in die methodische Herangehensweise der Vorlesung von 1921 durchgehalten wird, das ist die Selbstwelt der Protagonisten. Eine solche Betrachtungsweise stellte er einer defizitären objektgeschichtlichen Herangehensweise entgegen, die im Äußeren verbleibe und so den inneren Sinn des Geschehens nicht erfassen könne.

In der Leitmotivik von Heideggers Fragen nach Selbstwelt, Erleben und innerem Sinn liegt bereits ein Fingerzeig, wo die geistigen Ursprünge seines Denkens zu suchen sind. Die theoretischen Prämissen, die Heideggers Kritik an der traditionellen Philosophie zugrunde liegen, haben ihren geschichtlichen Ursprung in der Revolution der Romantik. Isaiah Berlin bezeichnet diese als den größten Umbruch der neueren Geistesgeschichte, deshalb spricht er von dem "Wendepunkt der Romantik".[45] Dieser hätte das gesamte Bezugssystem von Wertungen und Vorstellungen ausgetauscht und eine tiefe Kluft in unsere Welterfahrung eingezeichnet. Im Schlagschatten dieses Wendepunkts stehe seitdem alles Denken, Erfahren und Handeln. Dies ist der strenge Sinn, in dem Isaiah Berlin von einem Wendepunkt der Geschichte spricht:

"Mit Wendepunkt meine ich … einen radikalen Wandel des gesamten begrifflichen Bezugssystems, innerhalb dessen die Frage aufgeworfen ist; neue Vorstellungen, neue Wörter, neue Zuordnungen, die darauf hinauslaufen, daß die alten Probleme nun nicht mehr gelöst werden, sondern vielmehr den Eindruck erwecken, sie seien irrelevant, nicht mehr aktuell und, in diesem oder jenem Fall, auch nicht mehr nachvollziehbar."[46]

Genau einen solchen Austausch des Kategoriensystems des Fragens intendiert auch Heidegger mit seiner Überwindung des Neukantianismus, sowie mit seiner Neuformulierung der Husserlschen Phänomenologie auf der Grundlage einer Fundamentalontologie. Deren Grundlagen finden sich bereits in Heideggers Kritik des Historismus, wie sie im Band 60 der Gesamtausgabe entwickelt wird. Hier soll deutlich werden, dass ein solches Programm geschichtliche Vorläufer hat. Jedoch bleibt es nicht bei dieser vorerst ausschließlich formalen Analogie. Worauf es hier zuletzt ankommen soll, ist der Aufweis der Verbindung zur Romantik auf inhaltlicher Ebene. Isaiah Berlin schreibt, dass die Romantik

"eine Zerstörung der Vorstellung von Wahrheit und Verbindlichkeit" gewesen sei. Eine Zerstörung "von Wahrheit und Verbindlichkeit insgesamt –, mit weitreichenden, tatsächlich unabsehbaren Folgen."[47]

Bereits die Kantische Philosophie mit ihrer Aufspaltung der Wirklichkeit in Sollen und Sein hätte die Grundlagen gelegt für eine radikale Abkehr von den bisherigen Auffassungen der Wirklichkeit.[48] Die antike Gestalt der Ethik hätte sich, wie selbstverständlich, in einem einheitlichen Fragehorizont bewegt. In diesem seien auch ethische Fragen grundsätzlich ein Problem des Wissens gewesen: Wüssten wir das Gute, dann würden wir es auch tun. Deshalb konnten grundsätzlich Antworten auf das richtige Handeln gefunden werden. In der Gestalt des Kosmos gibt es eine Ganzheit der Interessen, Ziele und Vorstellungen. Diese sind deshalb grundsätzlich nicht so verfasst, dass sie in unauflösbare Widersprüche zueinander treten könnten. In der Idee einer Natur des Menschen ist deren Verstehbarkeit impliziert. Und aus der Natur des Menschen resultieren bestimmte Zwecke, die die menschliche Natur verfolgt und verfolgen soll. Durch die Verwirklichung seiner Natur wird der Mensch erst Mensch.

Aus einer solchen Konzeption der Wirklichkeit entspringt der Wahrheitsbegriff als Adaequatio: Es gibt den wissbaren Grund, und diesem muss sich der Mensch anzunähern versuchen, dann gelangt er zum Guten. Es bedarf also der Experten, die wissen, was zu tun ist – das Ethische ist in dieser Konzeption selbst eine Tatsachenfrage. In dieser Perspektive, die wohlgemerkt erst durch die Romantik außer Kraft gesetzt worden sei, waren Wertfragen eine bestimmte Form von Tatsachenfragen. Ihre Wissensform war die Weisheitslehre. Dies gehörte auch zum Fundament des Humanismus, dass Sittlichkeit eine Frage des Wissens ist. Diese Auffassung wurde von der Romantik nun fundamental erschüttert und außer Kraft gesetzt. Die Romantiker führten das Denkmotiv ein, dass es auf einige Fragen überhaupt gar keine Antworten geben könnte. Von diesem Punkt aus weitergehend entwickelten sie das, was heute unter dem Namen des "Widerstreits" diskutiert wird[49]: nämlich, dass es sehr wohl sein kann, dass es Wertordnungen und einzelne Werte gibt, die einander unvermittelbar und kontradiktorisch gegenüberstehen.

Die Tradition der Kantischen Vernunftautonomie und Sittlichkeit, die sich allein aus der Autonomie herleiten kann und will, bildet im Übergang zu den Romantikern den Nährboden für die neue Auffassung von Verbindlichkeit. Wenn es bei Kant noch so ist, dass allein freie Entscheidungen sittlich sein können, dann extrapolieren die Romantiker diese Haltung zu der Auffassung, dass allein Werte, die aus dem freien Schöpfertum des Menschen entspringen, Normativität besitzen können. Kant meinte, dass der Mensch die Werte denen er folgt in Freiheit übernehmen müsste, das allein wäre sittlich. Die Romantiker entwickeln den Gedanken, dass der Mensch die Werte denen er folgt in Freiheit erschaffen müsste, das allein wäre Sittlichkeit und gelebte Freiheit. Das Ergebnis ist der radikale Individualismus. Das Spiel des Künstlers wird zum einzigen Grund des Normativen, die gesamte Geschichte und Tradition ist nur noch Unfreiheit. Die sich verselbständigende Autonomie der Vernunft bringt so die Zerstörung der Universalität der Vernunft hervor. Die Autonomie, die der Vernunft folgt, wird so zur Autonomie, die sich subjektiv ihr Gesetz zu erfinden hat, will sie ihrem eigenen Prinzip von Sittlichkeit und Autonomie treu bleiben.

Das Modell, das die Romantik hervorbringt, ist das der Kunst. Jede Sittlichkeit und jede Freiheit hat schöpferisch zu sein. Und diese Schöpfung ist im Grunde immer Schöpfung aus dem Nichts. "Und Ich darf sagen: Ich hab' mein' Sach' auf Nichts gestellt.", schreibt der Denker, der diesen Ansatz am radikalsten zu Ende geführt hat.[50] Selbstbestimmung ist so jetzt zum kontradiktorischen Gegenmodell des Kosmos geworden. Darin offenbart sich die Dialektik der Freiheit: War diese zunächst ein berechtigter und notwendiger Anspruch der Verantwortlichkeit des Individuums auf den Grund der Sittlichkeit in seinem individuellen Handeln, so verselbständigte sich dieser zur folgenreichen Außerkraftsetzung jeglicher Norm außerhalb des eigenen Freiheitsvollzugs. Die eigene Freiheit muss der Ursprung jeglichen Gesetzes sein, es kann keine äußere Instanz geben, die mir etwas vorschreiben könnte oder sollte – selbst wenn es Gott wäre. Damit ist der Schritt zur Auflösung des alten Wahrheitsbegriffs und der Verbindlichkeit von Adaequatio, von menschlicher Natur und von allgemeinen Zwecken gemacht. Denn wenn es keine Distanz außer mir mehr geben soll, die mir irgendeine Normativität vorschreiben kann, dann gibt es auch keinen Wahrheitsbegriff mehr im Sinne der Adaequatio. Zumindest nicht mehr im Bereich des Selbstseins und des Normativen. Die Kunst wird das neue Paradigma und stürzt auch sogleich in ihre solipsistischen Varianten von Stirner bis Fichte ab: "Ich nehme [nichts] an, weil ich muss … sondern ich glaube es, weil ich will", sagt Fichte.[51] Worum es bei der Romantik und dem Ausgang vom subjektiven Erleben geht, ist die These, dass sittliche Werte gemacht und nicht gefunden werden. Es geht nicht mehr darum, das Gute zu erkennen und die Wahrheit zu finden, die dann erst angewandt werden kann, sondern das, was ich tue und durch mein Handeln zum Ausdruck bringe, das ist die Wahrheit. Es geht nun um Tat, Handlung und Selbstverpflichtung:

"Mensch zu sein heißt nicht, zu begreifen oder vernünftig zu urteilen, sondern zu handeln. Zu handeln, zu machen, zu erschaffen und frei zu sein sind ein und dasselbe".[52]

Es ist die Leitmotivik des Subjektivismus, welche die Romantik einbringt. Reinheit, Freiheit, Selbstopferung, das einsame Genie der Innenwelt gegenüber der verfallenden Außenwelt des 'Man' und der scheinheiligen, spießbürgerlichen Gesellschaft, welche sich selbst zugunsten eines verfemten 'Realismus' aufgibt, stellen die Motivkomplexe der romantischen Kritik dar.

Dieser Aufweis der geschichtlichen Bedingtheit bestimmter Leitmotive in Heideggers Denken ist nicht zu deren Diskreditierung gedacht. Jedoch muss gesehen werden, dass sie ganz bestimmten geistesgeschichtlichen Prämissen angehören, die freigelegt werden müssen. Zu diesen gehörte vor allem das Faktum, dass durch den Perspektivenwechsel der Romantiker auf das Subjekt, und der damit verbundenen 'Existentialisierung' des Diskurses, eine Umwertung der Werte erfolgte, die einen radikalen Bruch im Wahrheitsverständnis und in der Idee der Verbindlichkeit zur Folge hatte, von welchem aus eine neue Geschichte der Dialektik der Freiheit ihren Ausgang nahm. In der Geschichte des Denkens fand diese ihren Namen in der Dialektik der Aufklärung.[53]

Es geht nicht darum, eine der beiden dargestellten Traditionen zu diffamieren und die andere ins Licht zu stellen. Worum es jedoch geht, ist herauszuarbeiten, dass wir seit zweihundert Jahren in zwei Traditionen stehen, die ineinander spielen und ständig zugleich bei der Urteilsfindung präsent sind, ohne dass deren grundsätzliche Zweigestaltigkeit benannt werden würde. Dies sollte hier in Prolegomena getan werden.

Systematische Konzeption: Vernunft und Geschichte

Die Fragen aus diesen historischen Leitlinien verdichteten sich in Heideggers Werk in einer Restitution der Wahrheitsfrage.[54] Seit Kants transzendentalphilosophischer Grundlegung der Philosophie in kritischer Absicht besteht, vom Rande der Philosophiegeschichte her, der Einwurf des Problems der Geschichtlichkeit der Vernunft gegen die reine Übergeschichtlichkeit ihrer apriorischen Struktur. Im Problem der Temporalität macht sich Heidegger daran, dieses Problem zum Zentralmotiv der Philosophie umzugestalten. Zu den systematischen Grundlinien und Prämissen von Heideggers Fragestellung, welche hier nun abschließend skizziert werden sollen, gehören deshalb die Entstehungszusammenhänge des Problems der Geschichtlichkeit der Vernunft.

[...]


[1] Heidegger, Martin: Phänomenologie des religiösen Lebens, Bd. 60, Frankfurt/M.: 1995. Im Folgenden zitiert als PhR, Seitenzahl. Alle anderen Bände der Gesamtausgabe werden im Folgenden zitiert als GA Bandangabe, Seitenzahl.

[2] Malebranche zitiert bei Celan, Paul: Der Meridian und andere Prosa, Frankfurt/M.: 1988. Hier: 56.

[3] Habermas, Jürgen: Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001, Frankfurt/M.: 2001. Im Folgenden zitiert als GW, Seitenzahl.

[4] Derrida, Jacques: Glaube und Wissen. Die beiden Quellen der 'Religion' an den Grenzen der bloßen Vernunft, In: Die Religion, hrsg. Jacques Derrida /Gianni Vattimo, Frankfurt/M.: 2001. Im Folgenden zitiert als Religion, Seitenzahl.

[5] Religion, 11.

[6] Zum Folgenden vgl. Religion, 17ff.

[7] Ähnliche Gedanken trägt in diese Richtung Jan Assmann vor. Unter dem Titel der "mosaischen Unterscheidung" führt er aus, dass erst durch den Monotheismus die Idee des universalisierenden Wahrheitsanspruches in die Welt gekommen sei. In diesem entdeckt er dann entsprechend den Ursprung der Konflikte moderner, multikultureller Gesellschaften, in denen jeweils verschiedene Gruppen mit absoluten Wahrheitsansprüchen auf einander treffen und die Idee des Universalismus selbst sich so als der Grund aller Übel zeige. vgl. dazu: Assmann, Jan: Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München: 2003.

[8] Zur weiteren Erörterung dieses Problems vgl. Derridas Lektüre von Benjamins Schrift Zur Kritik der Gewalt: Derrida, Jacques: Gesetzeskraft. Der "mystische Grund der Autorität", Frankfurt/M.: 1991.

[9] Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Glauben und Wissen, Hamburg: 1986.

[10] Dieser Titel verortet Derridas Überlegungen zwischen den Werken von Kant, Immanuel: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, In: Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie, hrsg. Ders., Darmstadt: 1966.; Hegel: Glauben und Wissen. und Bergson, Henri: Die beiden Quellen der Moral und der Religion, Freiburg: 1980.

[11] Religion, 57ff.

[12] Religion, 30.

[13] Religion, 24.

[14] Religion, 28.

[15] Religion, 63ff.

[16] Religion, 76f.

[17] Auch die ausgezeichnete Papstbiographie von Jan Roß streicht dieses Phänomen, als zentrales Charakteristikum des Pontifikats von Johannes Paul II. gegenüber seinen Vorgängern, heraus. Dort trägt dieses Phänomen den Namen des "globalen Telepontifex". vgl. Roß, Jan: Der Papst Johannes Paul II. Drama und Geheimnis, Berlin: 2000.

[18] Religion, 68f.

[19] GW, 12.

[20] Ebd.

[21] Ebd.

[22] GW, 14.

[23] GW, 9.

[24] GW, 10.

[25] GW, 9.

[26] Bolz, Norbert: Auszug aus der entzauberten Welt. Philosophischer Extremismus zwischen den Weltkriegen, München: 1989.

[27] GW, 10.

[28] GW, 10.

[29] GW, 10f.

[30] GW, 11.

[31] vgl. dazu Enzensberger, Hans Magnus: Aussichten auf den Bürgerkrieg, Frankfurt/M.: 1993.

[32] GW, 12.

[33] Zu den Grundlagen einer solchen Kritik der Sollensethik vgl. Theunissen, Michael: Negative Theologie der Zeit, Frankfurt/M.: 1991. Insbesondere: 29-32.

[34] GW, 11.

[35] vgl. hierzu: Thurnher, Rainer: Vorboten der Hermeneutik der Faktizität, 2004, 7ff.

[36] Zu den folgenden Ausführungen vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der "Deutschen Doppelrevolution" bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges : 1849 - 1914, Bd. 3, München: 1995. Insbesondere: 1250-1295.

[37] Exemplarisch für die Herausarbeitung dieser Wechselwirkungsverhältnisse zwischen philosophischem Denken und Zeitgeschichte: Flasch, Kurt: Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der erste Weltkrieg, Berlin: 2000.

[38] Vgl. DG, 1292.

[39] Vgl. DG, 1286ff.

[40] Vgl. DG, 1287.

[41] Vgl. DG, 1284ff.

[42] vgl. DG, 1287ff.

[43] Max Weber, zitiert bei: DG, 1295.

[44] Heidegger, Martin: Die philosophischen Grundlagen der mittelalterlichen Mystik, in: PhR, 303-338.

[45] Berlin, Isaiah: Die Revolution der Romantik. Eine Krise in der neuzeitlichen Geistesgeschichte, In: Wirklichkeitssinn. Ideengeschichtliche Untersuchungen, hrsg. Ders., Berlin: 1998. Im Folgenden zitiert als Romantik, Seitenzahl. Hier: 291.

[46] Romantik, 291.

[47] Romantik, 294.

[48] Zum Folgenden vgl. Romantik, 301ff.

[49] vgl. dazu Lyotard, Jean-François: Der Widerstreit, München: 1987.

und Frank, Manfred: Das Sagbare und das Unsagbare, Frankfurt/M.: 2000. Insbesondere: 574-607.

[50] Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigentum, Stuttgart: 2000. Hier: 412.

[51] Fichte, zitiert bei: Romantik, 309.

[52] Romantik, 315.

[53] Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt/M.: 2003.

[54] vgl. hierzu: Thurnher, 17ff.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783836640435
Dateigröße
794 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck – Geisteswissenschaftliche Fakultät
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
martin heidegger religionsphilosophie phänomenologie paulus zeitlichkeit
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Titel: Phänomenologie des Selbst
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