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Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach dem SGB II und SGB III, insbesondere die Ein-Euro-Jobs

©2009 Diplomarbeit 77 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die globale Weltwirtschaftskrise hinterlässt aktuell auf dem deutschen Arbeitsmarkt deutliche Spuren. Sie zwingt die Bundesregierung dazu, immer mehr Geld für die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Stabilisierung der Wirtschaft auszugeben. Obgleich die Politik erst in den letzten Monaten dazu übergegangen ist, das Überleben ganzer Wirtschaftszweige durch staatliche Kredite und Konjunkturpakete zu sichern, sind Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen keine Erfindung des ausgehenden 20. Jahrhunderts. In jeder Wirtschaftskrise des letzten Jahrhunderts wurden staatliche Arbeitsmaßnahmen zur Senkung der Arbeitslosenzahlen und zur Unterstützung der Wirtschaft eingesetzt.
Seit Gründung der Bundesrepublik zählen Beschäftigung schaffende Maßnahmen zu einem wichtigen Instrument der Arbeitsmarktpolitik. Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg wurde durch staatliche Maßnahmen die Wirtschaft stabilisiert und die Eingliederung von Flüchtlingen und ehemaligen Soldaten gefördert. Der Aufschwung zu Zeiten des Wirtschaftswunders und die daraus resultierende faktische Vollbeschäftigung machten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen entbehrlich, so dass sie weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwanden. Die Auswirkungen der ersten Ölkrise markierten ein Ende des Wirtschaftswunders und bedingten bis dato weitgehend unbekannte Erscheinungen wie Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und steigende Sozialausgaben. Trotz staatlicher Beschäftigungsmaßnahmen stiegen die Arbeitslosenzahlen tendenziell weiter an und verzeichneten nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten Höchstwerte. Insbesondere in den neuen Bundesländern führte die wirtschaftliche Entwicklung zu einem massiven Arbeitsplatzabbau.
Die steigenden Arbeitslosenzahlen führten das bis 2004 bestehende ineffiziente, zweigeteilte System aus Arbeitslosen- und Sozialhilfe an seine Grenzen. Daher wurde 2002 von der Bundesregierung eine Kommission unter Vorsitz von Peter Hartz mit dem Ziel eingesetzt, Vorschläge für die Reformierung der staatlichen Arbeitsvermittlung und Arbeitsmarktpolitik zu erarbeiten. Auf Grundlage dieser Vorschläge trat am 01.01.2005 das Sozialgesetzbuch Zwei in Kraft. Erstmalig wurden damit alle erwerbsfähigen Arbeitslosen- und Sozialhilfebezieher in einem System zusammengeführt.
Das von Kompromissen geprägte Gesetzgebungsverfahren bedingt teils gravierende Schwächen des SGB II. Entgegen der positiven Absichten des Gesetzgebers, die Verwaltung zu straffen und Förderleistungen zu […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Aaron Scholle
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach dem SGB II und SGB III, insbesondere die Ein-
Euro-Jobs
ISBN: 978-3-8366-4022-0
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Fachhochschule Fulda, Fulda, Deutschland, Diplomarbeit, 2009
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

2
Inhaltsverzeichnis
VORWORT
... 4
1. GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG DER ARBEITSBESCHAFFUNGSMAßNAHMEN
... 6
1.
1.
S
OZIALHILFE UND
A
RBEITSFÖRDERUNG BIS ZUR
G
RÜNDUNG DER
B
UNDESREPUBLIK
... 6
1.
2.
E
NTWICKLUNG DER
S
OZIALGESETZGEBUNG UND DER
A
RBEITSMARKTPOLITIK NACH
1945
... 8
1.
3.
A
RBEITSMARKTPOLITIK NACH
1989
... 10
2. ENTWICKLUNG DES SOZIALGESETZBUCH ZWEI
... 12
2.
1.
G
RÜNDE FÜR DIE
N
EUREGELUNG
... 12
2.
2.
D
IE
A
RBEITSGELEGENHEITEN NACH
§
16
D
SGB
II
... 12
2.
3.
B
EDEUTUNG UND GRUNDLEGENDE
P
ROBLEMATIK DES
§
16
D
SGB
II
... 14
2.
4.
Z
IELSETZUNG DES
SGB
II
... 16
2.
5.
§
16
D
SGB
II
ALS
N
ACHFOLGER VON
§
19
BSHG
?
... 17
2.
6.
S
TATISTISCHE
Ü
BERSICHT
... 19
3. VEREINBARKEIT DER EIN-EURO-JOBS MIT ARTIKEL 12 GRUNDGESETZ
... 20
3.
1.
G
RUNDRECHT DER FREIEN
B
ERUFSAUSÜBUNG UND
V
ERBOT DER
Z
WANGSARBEIT
... 20
3.
2.
A
NSPRUCH AUF EINE
A
RBEITSGELEGENHEIT AUS
A
RT
.
12
A
BS
.
1
G
RUNDGESETZ
?
... 23
4. RECHTLICHE GRUNDLAGEN
... 25
4.
1.
Ö
RTLICHE UND SACHLICHE
Z
USTÄNDIGKEIT DES
L
EISTUNGSTRÄGERS
... 25
4.
2.
A
NFORDERUNGEN AN DEN
L
EISTUNGSERBRINGER
... 25
4.
3.
R
ECHTSVERHÄLTNIS BEI
E
INBEZIEHUNG EXTERNER
D
RITTER
... 27
4. 3. 1. Rechtsverhältnis zwischen Zusatzjobber und Maßnahmeträger
... 28
4. 3. 2. Rechtsverhältnis zwischen Drittem und Leistungsträger
... 31
4. 3. 3. Beschäftigungsverhältnis zwischen Drittem und Zusatzjobber
... 32
4. 3. 4. Faktisches Arbeitsverhältnis und öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
... 33
5. ANSPRUCHSBERECHTIGTER PERSONENKREIS
... 34
5.
1.
P
ERSÖNLICHE
V
ORAUSSETZUNGEN
... 34
5. 1. 1. Erwerbsfähigkeit
... 34
5. 1. 2. Hilfebedürftigkeit
... 35
5. 1. 3. Gewöhnlicher Aufenthalt in der BRD und Leistungsausschluss
... 36
5. 1. 4. Absehbarkeit der Arbeitsaufnahme
... 36
5.
2.
W
EITERE
V
ORAUSSETZUNGEN UND
E
INSCHRÄNKUNGEN
... 37
5. 2. 1. Erforderlichkeit der Maßnahme
... 38
5. 2. 2. Nachrangigkeit der Arbeitsgelegenheit
... 39
5.
3.
B
ESONDERE
Z
IELGRUPPEN FÜR DIE
F
ÖRDERUNG
... 39
6. VORAUSSETZUNGEN FÜR DIE FÖRDERUNG EINES ZUSATZJOBS
... 40
6.
1.
D
IE EINZELNEN
T
ATBESTANDSMERKMALE
... 40
6. 1. 1. ,,Arbeit"
... 40
6. 1. 2. ,,Im öffentlichen Interesse liegend"
... 41
6. 1. 3. ,,Zusätzlich"
... 43
6.
2.
A
BGRENZUNGSSCHWIERIGKEITEN
... 44
6.
3.
F
ALLGRUPPEN DER
Z
USÄTZLICHKEIT
... 46
7. MEHRAUFWANDSENTSCHÄDIGUNG
... 50
7.
1.
G
ESETZLICHE
K
ONZEPTION
... 50
7.
2.
N
ICHT INTENDIERTE
F
OLGEN DER
MAE
... 52
8. ZEITLICHER UMFANG DER EIN-EURO-JOBS
... 54
8.
1.
D
AUER DER
A
RBEITSGELEGENHEIT
... 54
8.
2.
W
ÖCHENTLICHE
A
RBEITSZEIT
... 55
9. ZUWEISUNG EINES EIN-EURO-JOBS UND RECHTSSCHUTZ
... 57

3
9.
1.
R
ECHTSNATUR DER
H
ERANZIEHUNG
... 57
9.
2.
B
ESTIMMTHEITSGEBOT
... 59
9.
3.
Z
UMUTBARKEIT DER
A
RBEITSGELEGENHEIT
... 60
9.
4.
R
ECHTSSCHUTZ GEGEN DIE
Z
UWEISUNG
... 61
10. KOLLEKTIVES ARBEITSRECHT
... 62
10.
1.
M
ITBESTIMMUNGSRECHTE VON
B
ETRIEBS
-
UND
P
ERSONALRAT
... 62
10.
2.
W
AHLRECHT ZUM
B
ETRIEBSRAT
... 63
10.
3.
S
TREIKRECHT UND
T
ARIFVERTRAGSRECHT
... 63
11. FAZIT
... 64
L
ITERATURVERZEICHNIS
... 72
S
ELBSTÄNDIGKEITSERKLÄRUNG
:
... 76

4
Vorwort
Die globale Weltwirtschaftskrise hinterlässt aktuell auf dem deutschen Arbeitsmarkt
deutliche Spuren. Sie zwingt die Bundesregierung dazu, immer mehr Geld für die
Sicherung von Arbeitsplätzen und die Stabilisierung der Wirtschaft auszugeben.
Obgleich die Politik erst in den letzten Monaten dazu übergegangen ist, das
Überleben ganzer Wirtschaftszweige durch staatliche Kredite und Konjunkturpakete
zu sichern, sind Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen keine Erfindung des ausgehenden
20. Jahrhunderts. In jeder Wirtschaftskrise des letzten Jahrhunderts wurden staatliche
Arbeitsmaßnahmen zur Senkung der Arbeitslosenzahlen und zur Unterstützung der
Wirtschaft eingesetzt.
Seit Gründung der Bundesrepublik zählen Beschäftigung schaffende Maßnahmen zu
einem wichtigen Instrument der Arbeitsmarktpolitik. Unmittelbar nach dem 2.
Weltkrieg wurde durch staatliche Maßnahmen die Wirtschaft stabilisiert und die
Eingliederung von Flüchtlingen und ehemaligen Soldaten gefördert. Der
Aufschwung zu Zeiten des Wirtschaftswunders und die daraus resultierende
faktische Vollbeschäftigung machten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen entbehrlich,
so dass sie weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwanden. Die
Auswirkungen der ersten Ölkrise markierten ein Ende des Wirtschaftswunders und
bedingten bis dato weitgehend unbekannte Erscheinungen wie Kurzarbeit,
Arbeitslosigkeit und steigende Sozialausgaben. Trotz staatlicher
Beschäftigungsmaßnahmen stiegen die Arbeitslosenzahlen tendenziell weiter an und
verzeichneten nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten Höchstwerte.
Insbesondere in den neuen Bundesländern führte die wirtschaftliche Entwicklung zu
einem massiven Arbeitsplatzabbau.
Die steigenden Arbeitslosenzahlen führten das bis 2004 bestehende ineffiziente,
zweigeteilte System aus Arbeitslosen- und Sozialhilfe an seine Grenzen.
Daher wurde 2002 von der Bundesregierung eine Kommission unter Vorsitz von
Peter Hartz mit dem Ziel eingesetzt, Vorschläge für die Reformierung der staatlichen
Arbeitsvermittlung und Arbeitsmarktpolitik zu erarbeiten. Auf Grundlage dieser
Vorschläge trat am 01.01.2005 das Sozialgesetzbuch Zwei in Kraft. Erstmalig
wurden damit alle erwerbsfähigen Arbeitslosen- und Sozialhilfebezieher in einem
System zusammengeführt.

5
Das von Kompromissen geprägte Gesetzgebungsverfahren bedingte teils
gravierende Schwächen des SGB II. Entgegen der positiven Absichten des
Gesetzgebers, die Verwaltung zu straffen und Förderleistungen zu bündeln, wurden
die Änderungen in der Öffentlichkeit überwiegend negativ aufgenommen.
Insbesondere die Einrichtung der sogenannten Ein-Euro-Jobs sorgte für eine bis
heute andauernde öffentliche Kritik. Diese wird gestützt durch Berichte des
Bundesrechnungshofes, der die grundlegende Effizienz dieser Maßnahme infrage
stellt.
Obwohl es sich bei den Ein-Euro-Jobs um eine der quantitativ am häufigsten
eingesetzten Maßnahmen des SGB II handelt, sind die bekannten inhaltlichen
Schwachstellen durch den Gesetzgeber bis heute nicht beseitigt worden.
Die Widersprüchlichkeit des SGB II zwischen Absicht und Ergebnis hat mich dazu
bewogen, die Beschäftigung schaffenden Maßnahmen näher zu betrachten und
insbesondere den Ein-Euro-Job als Schwerpunkt dieser Ausarbeitung zu würdigen.
Aufgrund des Umfangs dieser Thematik konnten jedoch nicht alle Aspekte einer
Betrachtung unterzogen werden. Daher erfolgte eine Beschränkung auf die in der
Praxis wichtigsten Rechtsfragen.

6
1. Geschichtliche Entwicklung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
1. 1. Sozialhilfe und Arbeitsförderung bis zur Gründung der Bundesrepublik
Anfang des 20. Jahrhundert stieg die Arbeitslosigkeit durch die zurückkehrenden
Soldaten des 1. Weltkriegs und die beginnende Inflationskrise rapide an.
1
Bereits in
der Weimarer Republik wurde mit der 1924 verabschiedeten Verordnung über die
Fürsorgepflicht (RFV)
2
und der Reichsgrundsätze über die Voraussetzung, Art und
Maß der öffentlichen Fürsorge (Rgr)
3
der Vorläufer der heutigen Arbeitslosen- und
Sozialhilfe kodifiziert. Diese Bestimmungen begründeten zwar kein subjektives
Recht des Hilfebedürftigen auf Unterstützung durch den Staat, allerdings wurden
erstmals formale Kriterien für die Art und Weise der Fürsorgeleistungen festgelegt.
§ 7 RGr forderte von jedem Hilfebedürftigem die Verwertung der eigenen
Arbeitskraft zur Existenzsicherung. § 15 RGr ermöglichte den Ordnungsbehörden in
Fällen beharrlicher Arbeitsverweigerung die Einweisung in ein Arbeitshaus, nach §
19 RFV konnte die Unterstützung Arbeitsfähiger in geeigneten Fällen von der
Leistung gemeinnütziger Arbeit abhängig gemacht werden.
4
Als weiterer Zweig der Sozialversicherung trat die Arbeitslosenversicherung am
01.10.1927 mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung
(AVAVG)
5
neben die Ende des 19. Jahrhunderts geschaffene Kranken-, Unfall- und
Rentenversicherung in Kraft. Das AVAVG begründete eine Zwangsmitgliedschaft
für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern in der Arbeitslosenversicherung. Ein
Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit bestand gemäß §§ 87 AVAVG) bei
Erfüllung einer bestimmten Vorversicherungszeit und bestehender Arbeitsfähigkeit.
6
1
Vgl. Ayaß, Wolfgang: Pflichtarbeit und Fürsorgearbeit. In: Frankfurter Arbeitslosenzentrum ­ FALZ
(Hg.): Arbeitsdienst ­ wieder salonfähig? Zwang zur Arbeit in Geschichte und Sozialstaat, Frankfurt
am Main 1998, S. 56.
Wurde die Vorversicherungszeit nicht erfüllt oder lief die Arbeitslosenunterstützung
aus, wurde die sogenannte Krisenunterstützung nach § 101 AVAVG gewährt.
2
,,Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924 (RGBl. I. S. 100)".
3
,,Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 4. Dezember
1924 (RGBl. I. S. 765)".
4
Vgl. Ayaß, in: Arbeitsdienst ­ wieder salonfähig? S. 60.
5
,,Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. Juli 1927 (RGBl I S. 187)
i.d.F. vom 3. April 1957 (BGBl I S. 321), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. November 1963
(BGBl I S. 789)".
6
Vgl. Frerich, Johannes / Frey, Martin (1996): Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in
Deutschland. Band 1: Von der vorindustriellen Zeit bis zum Ende des Dritten Reiches. 2. Auflage,
München 1996, S. 200.

7
Von diesen Leistungsempfängern sowie von Jugendlichen, die keine Arbeit oder
Ausbildung finden konnten, wurde in der Regel die Erbringung einer Arbeitsleistung
in Form der Pflichtarbeit nach § 91 AVAVG verlangt. In den Absätzen 2 bis 4 sind
die auch heute noch in sprachlich anderer Form in § 16d S. 2 Sozialgesetzbuch Zwei
(SGB II)
7
, § 261 Abs. 2, Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drei (SGB III)
8
In den 20er Jahren wurden Arbeitsgelegenheiten zunächst vorwiegend in der
Entgeltvariante gefördert. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise trat diese kosten-
intensive Maßnahme in den Hintergrund und wurde weitestgehend durch die
gemeinnützige Fürsorgepflichtarbeit ersetzt.
aufgeführten
Einschränkungen für die Schaffung einer Arbeitsgelegenheit definiert: Die Arbeit
musste gemeinnützig, persönlich zumutbar und von ihrer Art her zusätzlich sein.
Regelmäßig von Anderen ausgeführte Arbeiten waren ausgeschlossen. Neben der
Unterstützung erhielt der Arbeitslose eine angemessene Mehraufwands-
entschädigung.
9
Außer diesen Pflichtarbeiten waren in den 20er Jahren vermehrt die sogenannten
Notstandsarbeiten eingeführt worden. Hierbei handelte es sich vorwiegend um
Maßnahmen der kommunalen Infrastrukturförderung, die in einem entlohnten
Beschäftigungsverhältnis erfolgten.
10
Die quantitativen Ausmaße der genannten Arbeitsgelegenheiten unterlagen starken
Schwankungen. Mitte der 20er Jahre wurde die gemeinnützige Pflichtarbeit im
Gegensatz zu den Notstandsarbeiten vermehrt genutzt.
11
Gleichwohl bestanden teils
erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Städten und Regionen: Während die
Pflichtarbeit in manchen Bezirken intensiv eingesetzt wurde, war sie andernorts nicht
anerkannt oder sogar gänzlich unbekannt.
12
Die Weltwirtschaftskrise 1929 bewirkte einen bis dato beispiellosen Anstieg der
Arbeitslosenzahlen. Die zu Beginn der Krise noch bevorzugt vergebene
Fürsorgearbeit wurde aufgrund der angespannten Finanzlage zunehmend von der
7
,,Zweites Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom
24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954), zuletzt geändert durch Artikel 8 u. Artikel 9 des Gesetzes vom
02. März 2009 (BGBl. I S. 416)".
8
,,Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997,
BGBl. I S. 594), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 28. März 2009 (BGBl. I S. 634)".
9
Vgl. Lohse, Tim: Arbeitsverpflichtungen und ihre steuertheoretische Beurteilung, Wiesbaden 2008,
S. 25.
10
Vgl. Ayaß, in: Arbeitsdienst ­ wieder salonfähig? S. 58.
11
Vgl. Frerich/Frey: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Band 1, S. 197
12
Vgl. Ayaß, in: Arbeitsdienst ­ wieder salonfähig? S. 63

8
billigeren Fürsorgepflichtarbeit verdrängt.
13
Auch die Notstandsarbeiten wurden
wieder vermehrt genutzt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erfolgte
keine nennenswerte Ausweitung der Arbeitsgelegenheiten.
14
Bei gleichzeitig sinkender Arbeitslosigkeit und rückläufiger Zahlen der
Hilfeempfänger stieg zwar die Quote der in Pflichtarbeit Beschäftigten, nicht jedoch
die absoluten Zahlen. ,,Die Beschäftigungspolitik (zielte) weniger auf eine
ökonomisch sinnvolle Produktionsbelebung [ab], sondern primär auf eine
Reduzierung der ausgewiesenen Arbeitslosenzahlen."
Vielmehr wurden die
Programme der Vorgängerregierung fortgeführt und ergänzt.
15
1. 2. Entwicklung der Sozialgesetzgebung und der Arbeitsmarktpolitik nach 1945
Nach der Kapitulation Deutschlands diente als Rechtsgrundlage für den Bereich des
Arbeitslosenversicherungsrechts weiterhin das AVAVG von 1927. Auch die RGr
und die RFV blieben weiter in Kraft. Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland
wurden alsbald die nach dem Krieg abgeschafften Arbeitshäuser und Besserungs-
anstalten wieder eingeführt. Allerdings machten die veränderten sozialen und
wirtschaftlichen Verhältnisse eine Reform des Fürsorgerechts notwendig.
16
Maßgeblich beeinflusst wurden die Reformbestrebungen von einem der ersten
Urteile des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Fürsorgerecht vom
24.06.1954.
17
Dem Individuum wurde erstmals ein subjektives öffentliches Recht,
also ein einklagbarer Rechtsanspruch, auf Fürsorge durch den Staat gewährt.
Hergeleitet wurde dieser Anspruch aus den Grundrechten des Artikel 1 Grundgesetz
(GG)
18
(Schutz der Menschenwürde), Art. 2 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit)
sowie dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 GG. Ausgehend von dieser Maxime wurde
ein neues Recht der sozialen Unterstützung entworfen, das im
Bundessozialhilfegesetz (BSHG)
19
13
a.a.O., S. 67.
vom 01.06.1962 festgeschrieben wurde. Neben
14
Vgl. Ayaß, in: Arbeitsdienst ­ wieder salonfähig? S. 65 .
15
Vgl. Lohse, Tim: Arbeitsverpflichtungen und ihre steuertheoretische Beurteilung, S. 30.
16
a.a.O, S. 126.
17
BVerwGE 1, 159.
18
,,Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. I S. 1), zuletzt geändert
durch Gesetz vom 19. März 2009 (BGBl. I S. 606) m.W.v. 26.03.2009 bzw. 01.07.2009".
19
,,Bundessozialhilfegesetz vom 30. Juni 1961 (BGBl. I S. 815), zuletzt geändert durch Artikel 68 des
Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003
(BGBl. I S. 3022)".

9
einem Anspruch auf Leistungen beinhaltete das neue Recht allerdings auch
repressive Elemente: Beispielhaft ermächtigte § 26 BSHG a.F. den Leistungsträger,
arbeitsunwillige Personen in ein Arbeitshaus einzuweisen, falls diese ihre
Unterhaltspflichten verletzten oder sie selbst bzw. ihre Angehörigen wegen der
Arbeitsscheu auf Fürsorgeleistungen angewiesen waren.
Die endgültige Abkehr von der althergebrachten preußischen Ansicht, den Bürger als
bloßes Objekt staatlichen Handelns zu betrachten, läutete das Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts (BVerfG) zu § 73 BSHG a.F. vom 18.07.1967 ein.
20
Gleichwohl enthielt das BSHG Bestimmungen, die den Bezug von Sozialhilfe von
einer Gegenleistung abhängig machen konnte. § 18 BSHG normierte die Pflicht des
Hilfebedürftigen zum Einsatz seiner Arbeitskraft. Konnte er keine Arbeit finden,
musste er eine Arbeitsgelegenheit nach § 19 BSHG annehmen. Diese konnte zum
einen gemäß § 19 Abs. 1 BSHG als normales sozialversicherungspflichtiges
Arbeitsverhältnis ausgestaltet werden. Weiterhin konnte der Sozialhilfeträger für
Hilfebedürftige gemeinnützige und zusätzliche Arbeit (GZ-Arbeit) schaffen, die
entweder im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nach § 19 Abs. 2 Alt. 1 BSHG
gefördert wurde oder in dem sie neben der Sozialhilfe nur eine Aufwands-
entschädigung erhielten, § 19 Abs. 2 Alt. 2 BSHG. Zur Prüfung der Arbeits-
bereitschaft oder der Arbeitsfähigkeit konnte eine besondere Arbeitsgelegenheit
angeboten werden. Folgte der Hilfebedürftige dieser Obliegenheit nicht, konnte die
Leistung gekürzt oder ganz eingestellt werden, vgl. § 25 BSHG.
Diese
Norm sah die sogenannte Hilfe für Gefährdete vor ­ ein Mittel, um Obdachlose und
Landstreicher in einer geschlossenen Einrichtung unterzubringen und so aus der
Öffentlichkeit zu entfernen. Die Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift wurde mit
der Begründung bejaht, dass es nicht Aufgabe des Staates sei, seine Bürger durch
Zwangsmaßnahmen wie Pflichtarbeit oder Freiheitsentziehung zu erziehen und zu
bessern. Damit war auch die Arbeitshausunterbringung nach § 26 BSHG a.F., die ja
gerade dieses Ziel verfolgte, hinfällig geworden. 1974 wurde § 26 BSHG a.F.
schließlich abgeschafft.
Das Wachstum der deutschen Industrie während der 50er und 60er Jahre und die
damit einhergehende faktische Vollbeschäftigung ließen die Arbeits-
beschaffungsmaßnahmen (ABM) in der Praxis so gut wie keine Bedeutung
20
BVerfGE 22, 180.

10
erlangen.
21
Der anhaltende wirtschaftliche Aufschwung war auch ein Grund dafür,
dass das seit 1927 mehrfach novellierte AVAVG bis Mitte der 60er Jahre weitgehend
aus der politischen und öffentlichen Diskussion verschwunden war. Erst im Zuge der
Wirtschaftskrise rückten die Beschäftigung schaffenden Maßnahmen vermehrt in den
Fokus der Arbeitsmarktpolitik. Die Mitte der 60er Jahre beginnende Rezession
verursachte steigende Arbeitslosenzahlen. 1975 waren schon mehr als eine Million
Menschen arbeitslos, 10 Jahre später war die Zahl auf 2,3 Millionen gestiegen.
22
Konjunkturprogramme und ein neues Arbeitslosenversicherungsgesetz sollten die
Krise abwenden. Das Arbeitsförderungsgesetz (AFG)
23
trat am 01.07.1969 in Kraft
und stellte eine Abkehr von den bisherigen Grundsätzen der bloßen Leistungs-
gewährung bei durch Arbeitslosigkeit verursachter Hilfebedürftigkeit ­ hin zu einer
aktivierenden und präventiven Beschäftigungspolitik ­ dar.
24
Mitte der 70er Jahre wurde das Instrument der ABM massiv ausgeweitet und
erreichte seinen Höchststand in den Jahren 1987/88: Im Jahresdurchschnitt waren
mehr als 110.000 Menschen in einer ABM beschäftigt.
Die schon im AVAVG
vorhandenen ABM wurden ausgebaut und flexibilisiert.
25
Aufgrund der defizitären
Finanzsituation der Bundesagentur für Arbeit (BA) wurden Ende der 80er Jahre die
Leistungen für ABM gekürzt. So wurden 1989 im Vergleich zum Vorjahr 24 %
weniger finanzielle Mittel für die Schaffung von ABM bewilligt.
26
1. 3. Arbeitsmarktpolitik nach 1989
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands brach die Wirtschaft in den neuen
Bundesländern massiv ein. Die Arbeitslosenzahl stieg von ca. 1,8 Millionen Ende
1990 auf mehr als 2,9 Millionen im Jahresdurchschnitt 1992.
27
21
Vgl. Lohse, Tim: Arbeitsverpflichtungen und ihre steuertheoretische Beurteilung, S. 25.
Der steigenden
Arbeitslosigkeit versuchte die Bundesregierung durch Konjunkturprogramme und
ABM entgegenzuwirken. Waren im Januar 1990 in den neuen Bundesländern nur ca.
40.000 Personen in einer ABM beschäftigt, so verzehnfachte sich die Zahl innerhalb
22
Vgl. Frerich, Johannes / Frey, Martin: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland.
Band 3: Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Herstellung der Deutschen Einheit.
2. Auflage, München 1996, S. 165.
23
,,Arbeitsförderungsgesetz vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 582), zuletzt geändert durch Artikel 8 des
Gesetzes vom 16.12.1997 (BGBl. I S. 2970)".
24
Vgl. Frerich/Frey: Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Band 3, S. 88.
25
a.a.O., S. 177.
26
a.a.O., S. 182.
27
a.a.O., S. 598.

11
eines Jahres; 10 Jahre später waren im Monatsdurchschnitt 70.000 Menschen in einer
ABM tätig, 2006 waren es nur noch ca. 35.000.
28
Während der 80er Jahre war die gemeinnützige und zusätzliche Arbeit nach § 19
BSHG ausgeweitet worden; eine quantitative Erfassung erfolgte erst Mitte der 90er
Jahre.
29
Nach einer Umfrage des Verbandes Deutscher Städtetag stieg die Zahl der
nach §§ 19, 20 BSHG Beschäftigten von ungefähr 120.000 im Jahr 1993 auf ca.
390.000 im Jahr 2002.
30
Am 01.01.1998 trat das SGB III in Kraft und ersetzte damit das AFG. Das
Instrument der ABM wurde zunächst ohne grundlegende Änderungen in die §§ 260
SGB III übernommen. Arbeitslose mit Anspruch auf SGB III-Leistungen können
durch eine ABM gefördert werden; hierdurch dürfen aber keine regulären
Arbeitsplätze verdrängt werden. Daher muss die Maßnahme nach § 260 Abs. 1 SGB
III wettbewerbsneutral und von ihrer Art her zusätzlich sein sowie im öffentlichen
Interesse liegen. Der Geförderte steht in einem Arbeitsverhältnis zum Träger der
Maßnahme und erhält von der Arbeitsagentur einen pauschalen Lohnkosten-
zuschuss.
Durch Folgeänderungen zum SGB III
31
wurden die Fördervoraussetzungen und Ziele
der ABM modifiziert. Die mit Wirkung zum 01.04.1996 in das AFG eingefügte
Voraussetzung der mindestens einjährigen Arbeitslosigkeit wurde im SGB III wieder
gestrichen, weil die Zuweisung einer ABM erst nach einem Jahr dem Grundsatz des
SGB III widersprach, Langzeitarbeitslosigkeit bereits präventiv zu vermeiden.
32
28
a.a.O.
Voraussetzung für die Zuweisung ist aktuell nur noch, dass gem. § 263 Abs. 1 SGB
III allein durch die Förderung in einer ABM eine Beschäftigung aufgenommen
werden kann und ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB III besteht. Aufgrund
der gewonnenen Erkenntnisse steht auch nicht mehr die Verbesserung der
Eingliederungschancen im Fokus. Zweck der ABM ist nunmehr die Erhaltung und
29
Vgl. Scherer, Wolfgang: Abschreckung durch ,,Hilfe zur Arbeit". In: Frankfurter
Arbeitslosenzentrum ­ FALZ (Hg.): Arbeitsdienst ­ wieder salonfähig? Zwang zur Arbeit in
Geschichte und Sozialstaat, Frankfurt am Main 1998, S. 30.
30
Vgl. Deutscher Städtetag: Kommunale Beschäftigungsforschung. Ergebnisse einer Umfrage über
Hilfen zur Arbeit nach BSHG und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach SGB III im Jahr 2002, Köln
2003, S. 7.
31
,,Zweites Gesetz zur Änderung des SGB III v 21. Juli 1999 (BGBl I S 1648)"; ,,JobAQTIV-Gesetz v 10.
Dezember 2002 (BGBl I S. 3443)"; ,,Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v
23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2848)."
32
Vgl. § 6 SGB III; Bundestag-Drucksache (BT-Drs.) 14/873, Seite 16.

12
Wiedererlangung der Beschäftigungsfähigkeit des Arbeitslosen und der Abbau der
Arbeitslosigkeit.
33
2. Entwicklung des Sozialgesetzbuch Zwei
2. 1. Gründe für die Neuregelung
Bis zum 31.12.2004 bestanden mit der Arbeitslosenhilfe nach dem SGB III und der
Sozialhilfe nach dem BSHG zwei getrennte Leistungssysteme für Hilfebedürftige,
obwohl für beide Personenkreise Arbeitslosigkeit ursächlich für die
Hilfebedürftigkeit war.
34
Insofern verfolgten die Arbeitsagenturen und die
Sozialhilfeträger mit der Beseitigung der Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit das gleiche Ziel, allerdings mit unterschiedlichen Verfahrensweisen.
Trotz der gesetzlichen Verpflichtung zur Kooperation waren die Maßnahmen von
Arbeitsagentur und Sozialhilfeträger oft nur unzureichend aufeinander abgestimmt.
Hinzu kam, dass beide Leistungsträger ihre Tätigkeit auf unterschiedliche
Rechtsgrundlagen (SGB III bzw. BSHG) stützten. Rechtliche und systematische
Probleme erschwerten die erfolgreiche Eingliederung in den Arbeitsmarkt zusätzlich.
Daher war diese Art der Aufgabenwahrnehmung ,,insgesamt wenig effizient,
verwaltungsaufwendig und intransparent."
35
Deshalb wurden zum 01.01.2005 alle
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld in das SGB II,
die Erwerbsunfähigen in das Sozialgesetzbuch Zwölf (SGB XII)
36
überführt.
2. 2. Die Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II
Der Gesetzgeber hat den bisherigen § 16 SGB II mit dem Ziel der besseren Übersicht
und leichteren Rechtsanwendung zum 01.01.2009 umstrukturiert.
37
33
Vgl. BT-Drs. 15/1515, S. 95; § 260 Abs. 1 Nr. 1 SGB III.
Die bislang in
§ 16 Abs. 3 S. 2 SGB II a.F. enthaltene Verweisung auf Förderung durch eine ABM
nach dem SGB III ist aus diesem Grund entfallen. Ansonsten wurden die in § 16
34
Vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 41f.
35
a.a.O., S. 42.
36
,,Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003,
BGBl. I S. 3022), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I S.
2955)".
37
Vgl. BT-Drs. 16/10810, Seite 78.

13
Abs. 3 SGB II a.F. geregelten Arbeitsgelegenheiten im Zuge der Neuregelung
wortgleich in einen eigenen Paragraphen 16d SGB II verschoben. Damit hat der
Gesetzgeber auf die anhaltende Kritik zu § 16 Abs. 3 SGB II nicht hinreichend
reagiert, da auch der neue § 16d SGB II in der Praxis weiterhin Verständnis- und
Anwendungsschwierigkeiten bereitet.
38
Ein Problem folgt bereits aus der sehr
allgemeinen und ungenauen Formulierung. ,,Für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die
keine Arbeit finden können, sollen Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden", § 16d
S. 1 SGB II. Für eine Arbeitsgelegenheit käme damit grundsätzlich jeder nach § 7
SGB II Leistungsberechtigte infrage. Als Einschränkung enthält § 16d S. 1 SGB II
lediglich die Vorgabe, dass die Person keine Arbeit finden kann. Genauere Kriterien
für die Zuweisung an einen Hilfebedürftigen lassen sich daraus nicht ableiten. Auch
die rechtliche und inhaltliche Ausgestaltung der Arbeitsgelegenheiten bleibt
ungeklärt. Nach dem Wortlaut konkretisiert Satz 1 als Programmsatz lediglich die
Verpflichtung des Leistungsträgers, den Hilfebedürftigen entsprechend dem
Grundsatz des Förderns und Forderns durch die Schaffung von Arbeitsgelegenheiten
zu unterstützen. Insofern schreibt ihm Stahlmann daher eine ,,bloß deklaratorische
Bedeutung" zu.
39
Den Gesetzesmaterialien zu § 16 Abs. 3 SGB II a.F. lässt sich
entnehmen, dass dessen Satz 1 sich inhaltlich an § 19 BSHG orientiert.
40
Die in § 19
Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BSHG vorgesehene Arbeitsgelegenheit gegen Entgelt wurde nicht
explizit in § 16 Abs. 3 SGB II übernommen, soll aber gleichwohl in § 16 Abs. 3 S. 1
SGB II enthalten sein. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen
Arbeitsgelegenheiten im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsverhältnisses in Betrieben gefördert werden, wenn auf absehbare Zeit eine
Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht in Betracht kommt.
41
Das Arbeitsverhältnis kann bei allen öffentlichen und privaten Trägern begründet
werden. Die Vorschriften des § 16d S. 2 SGB II sind nicht anwendbar. Seit dem
01.01.2009 ist diese Maßnahme gemäß § 27 Abs. 3 Nr. 5b SGB III nicht mehr
arbeitslosenversicherungspflichtig.
Der Maßnahmeträger
.
42
38
Vgl. Stahlmann, info also 06/2005, S. 234.
erhält
vom
39
Siehe Stahlmann, in: Stahlmann, Handbuch Ein-Euro-Jobs, S. 138; auch Eicher, in:
Eicher/Spellbrink, § 16 Rn 201, bezweifelt die eigenständige Bedeutung des § 16d Satz 1 SGB II a.F.
40
Vgl. BT-Drs. 15/1749, S. 32.
41
a.a.O.
42
Siehe Bundesagentur für Arbeit: Arbeitshilfe AGH: Fachliche Hinweise und Empfehlungen vom
27.07.2007: ,,Träger von Zusatzjobs (Maßnahmeträger) können nur geeignete natürliche oder
juristische Personen oder Personengesellschaften sein. Es kommen neben kommunalen
Einrichtungen, Wohlfahrtsverbänden oder Vereinen auch privatrechtlich organisierte Träger (z.B.

14
Leistungsträger eine monatliche Fallpauschale, während dem Teilnehmer anstelle des
Alg II das übliche Arbeitsentgelt gezahlt wird. Daher wird auch die Bezeichnung
,,Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante" verwendet.
43
§ 16d S. 2 SGB II besitzt in der Praxis ungleich größere Bedeutung. Als weitere
Eingliederungsleistung
normiert
dieser
die ,,Arbeitsgelegenheit mit
Mehraufwandsentschädigung". Der Begriff Ein-Euro-Job ist gleichwohl die
landläufig häufigste Bezeichnung.
44
Die Arbeitsagentur gebraucht den Namen
,,Zusatzjob", wohl auch wegen der unglücklichen (weil falsche Assoziationen
auslösenden) Begrifflichkeit des Ein-Euro-Jobs.
45
Eine solche Tätigkeit kann gefördert werden, wenn sie im öffentlichen Interesse liegt
und zusätzlich ist. Aus der systematischen Stellung des Satz 2 ergibt sich, dass für
die Zuweisung in einen Ein-Euro-Job die Voraussetzungen des Satz 1 vorliegen
müssen, also ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger keine Arbeit finden kann. Im
Umkehrschluss muss die Arbeitsgelegenheit nach Satz 1 nicht zwingend im
öffentlichen Interesse liegen und zusätzlich sein.
46
2. 3. Bedeutung und grundlegende Problematik des § 16d SGB II
Im Unterschied zu § 19 Abs. 2 HS 2 BSHG wird der Begriff der Zusätzlichkeit in
§ 16d SGB II nicht definiert. Auch der Begriff des öffentlichen Interesses an der
Arbeit wird nicht konkretisiert.
Unklarheit besteht neben den Tatbestandsvoraussetzungen auch auf der
Rechtsfolgenseite bezüglich der rechtlichen Ausgestaltung des Ein-Euro-Jobs. § 16d
S. 2 HS 2 SGB II besagt, dass durch den Zusatzjob kein Arbeitsverhältnis begründet
wird. Gleichwohl sind die für ein Arbeitsverhältnis typischen arbeitsrechtlichen
Schutzvorschriften wie das Bundesurlaubsgesetz anwendbar, und bei der Ausübung
Alten- oder Pflegeeinrichtungen) in Betracht." Der Begriff des Maßnahmeträgers ist aus § 21 SGB
III übernommen. Im Folgenden wird damit die Gesamtheit der in der Arbeitshilfe aufgeführten
Träger bezeichnet.
43
Vgl. Niewald, in: Münder, Johannes (Hg.): Sozialgesetzbuch II: Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Lehr- und Praxiskommentar, 2. Auflage, Baden-Baden 2007, Randnummer (Rn) 30 zu § 16;
Arbeitshilfe AGH der BA, S. 25.
44
Je nach Schreibweise listet eine Google- Suche zum Begriff Ein-Euro-Job (beschränkt auf
deutschsprachige Seiten) zwischen 300.000 und 11 Millionen Treffer; die Suche nach
Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung ergibt ungefähr 21.000 Treffer.
45
Da sich die umgangssprachliche Bezeichnung ,,Ein-Euro-Job" mittlerweile auch in der Fachliteratur
eingebürgert hat, wird dieser Begriff ebenfalls in dieser Arbeit verwendet.
46
Vgl. Voelzke, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 16 Rn 377; Stahlmann, in: Stahlmann, Handbuch Ein-Euro-
Jobs, S. 136.

15
ihrer Tätigkeit haften die Beschäftigten wie Arbeitnehmer in einem
Arbeitsverhältnis, § 16d S. 2 HS 1-3 SGB II. Damit wird ein Arbeitsverhältnis
explizit ausgeschlossen, während gleichzeitig die für dieses Rechtsverhältnis
charakteristischen Vorschriften für anwendbar erklärt werden. Nach dem Willen des
Gesetzgebers begründet die Tätigkeit in einem Zusatzjob ein
Sozialrechtsverhältnis.
47
Angesichts der Bedeutung, die der Gesetzgeber den Beschäftigung schaffenden
Maßnahmen und hier insbesondere den Ein-Euro-Jobs als Leistung zur
Eingliederung in Arbeit zugedacht hat, überrascht die untypische, weil schwammige
und lückenhafte Regelung des jetzigen § 16d SGB II. Die Beschäftigung schaffenden
Maßnahmen sind von ihrer Konzeption her eine Eingliederungsleistung für eine sehr
inhomogene Gruppe von Hilfebedürftigen. Den dadurch bedingten unterschiedlichen
individuellen Problemen bei der Eingliederung sollte eigentlich durch eine
dementsprechend differenzierte Ausgestaltung der Maßnahme entsprochen werden
können. Die bisherige Regelung entbehrt jedoch jeglicher Flexibilität und ist, wie
Stahlmann plakativ konstatiert, mehr ,,ein Leckerbissen für juristische Konstrukteure,
für die Betroffenen hingegen eher ein Irrgarten von Meinungen und
Gerichtsentscheidungen."
Die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten des
Hilfebedürftigen ­ insbesondere zum Träger der Maßnahme ­ bleiben dennoch
weitgehend unklar.
48
Obwohl § 16d SGB II aus sich heraus nicht verständlich ist, sind
Rechtsverordnungen, die nach § 47 Abs. 1 S. 2 SGB II die Auslegung und
Anwendung der einzelnen Vorschriften verbindlich regeln (wie z.B. die Alg II-VO
49
nach § 13 SGB II), nicht erlassen worden. Als Auslegungshilfe wurde am 20.01.2005
von der Bundesagentur für Arbeit unter Mitarbeit des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales eine ,,Arbeitshilfe zur Umsetzung von Arbeitsgelegenheiten"
veröffentlicht.
50
47
Vgl. BT-Drs. 15/1749, S. 32.
Deren unverbindliche Empfehlungen und Vorschläge sollten den
Fallmanagern eine erste Orientierung bei der Auslegung des § 16 Abs. 3 SGB II a.F.
geben. Nach Auswertung des Berichts des Bundesrechnungshofes zur Umsetzung
48
Vgl. Stahlmann, info also 06/2005, S. 242.
49
,,Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung vom 17. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2942), geändert
durch die Verordnung vom 18. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2780)".
50
Bundesagentur für Arbeit: Arbeitshilfe AGH: Fachliche Hinweise und Empfehlungen vom 20.01.05
i.d.F. v. 27.07.2007.

16
der Arbeitsgelegenheiten vom 19.05.2006
51
wurde die Arbeitshilfe überarbeitet und
neben reinen Empfehlungen auch mit fachlichen Hinweisen zur verbindlichen
Rechtsauslegung versehen. Die fachlichen Hinweise entfalten Bindungswirkung
allerdings nur gegenüber den Arbeitsgemeinschaften bzw. den Kommunen, die im
Wege der getrennten Trägerschaft tätig werden. Bei den Optionskommunen, die
gem. § 47 Abs. 1 S. 3 SGB II unter der Aufsicht der zuständigen Landesbehörde
stehen, ist eine Einflussnahme des Bundes ausgeschlossen. Allerdings kann die
Arbeitshilfe auch bei den Optionskommunen nach Art. 2 GG mittelbare
Bindungswirkung entfalten, wenn diese sich - wie von der Bundesregierung bei den
Landesbehörden angeregt
52
- ausschließlich an der Arbeitshilfe orientieren. Soweit
auch durch die Arbeitshilfe einzelne Fragen nicht geklärt werden können, muss die
Auslegung nach den Prinzipien des SGB II erfolgen. Dabei sind insbesondere die für
die Eingliederungsleistungen aufgestellten Grundsätze zu beachten.
2. 4. Zielsetzung des SGB II
Zum besseren Verständnis des Instruments der Arbeitsgelegenheiten nach § 16d
SGB II ist ein Überblick über die Zielsetzungen des SGB II erforderlich.
Hauptziel des SGB II ist die Aktivierung des Hilfebedürftigen hin zur Aufnahme
einer Erwerbstätigkeit, so dass dieser den Lebensunterhalt für sich und seine
Angehörigen unabhängig von Grundsicherungsleistungen bestreiten kann, vgl. § 1
Abs. 1 S. 1 SGB II.
Durch aktive Leistungen zur Eingliederung in Arbeit soll die Erwerbsfähigkeit des
Bedürftigen erhalten, verbessert oder wieder hergestellt werden, während die
passiven Leistungen der Sicherung des Lebensunterhalts dienen. Grundsätzlich sind
die passiven Leistungen nachrangig gegenüber der Eingliederung in den
Arbeitsmarkt.
53
51
Bundesrechnungshof: Bericht an den Haushaltsausschuss und an den Ausschuss für Arbeit und
Soziales des Deutschen Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO. Durchführung der Grundsicherung für
Arbeitsuchende ­ Wesentliche Ergebnisse der Prüfungen im Rechtskreis des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch ­ Bonn, 19.05.06.
Das in § 1 Abs. 1 S. 1 SGB II statuierte Ziel der Vermeidung von
Hilfebedürftigkeit durch Stärkung der Eigenverantwortung des Betroffenen ist
explizit als ,,Grundsatz des Forderns" in § 2 SGB II normiert. Ein bloß passives
Reagieren des Hilfebedürftigen auf die Vermittlungstätigkeit der BA reicht damit
52
Vgl. BT-Drs. 16/9545, S. 2.
53
Vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 44, 50; § 1 SGB II.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836640220
DOI
10.3239/9783836640220
Dateigröße
623 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Fulda – Sozial- und Kulturwissenschaften, Studiengang Sozialrecht
Erscheinungsdatum
2009 (Dezember)
Note
1,7
Schlagworte
ein-euro-job arbeitsbeschaffungsmaßnahme sozialrecht arbeitsmarkt
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Titel: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach dem SGB II und SGB III, insbesondere die Ein-Euro-Jobs
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