Lade Inhalt...

Sammeln: Zur Bedeutung eines Kulturmusters

©1991 Magisterarbeit 109 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Vor einigen Jahren erhielt eine der größten französischen Kapazitäten der Neurologie, Professor X. den Besuch eines Klienten, dessen soziale Stellung diesen zu einer der wichtigsten Pariser Persönlichkeiten machte.
Wie seine Familie erzählte, litt er an psychischen Störungen, die es ihm zu verbergen gelang, sobald er sich bei einem Spezialisten befand.
Nach einer halben Stunde Befragung, während der sich der Kranke keinerlei Verwirrung anmerken ließ, beglückwünschte er während der Verabschiedung von dem großen Psychiater diesen zu seinem Geschmack und der Qualität der angesammelten Objekte in dem Zimmer.
'Sind Sie selber Sammler?' fragte ihn der Professor.
'Ja, antwortete der Patient, aber ich bin ein Spezialist. Ich habe die größte Croissantsammlung der Welt'.
'Croissants!' sagte der aus der Fassung gebrachte Mediziner.
'Ja, mein lieber Professor, seit meiner frühesten Kindheit häufe ich Croissants aus allen Pâtisserien und Bäckereien der gesamten Welt an. Diese Sammlung ist absolut geheim; sie füllt drei Räume eines Gebäudes an, das ich zu diesem Zweck einrichten und klimatisieren lassen habe. Nach meinem Tod wird sie an den Louvre gehen'.
Diese Anekdote bestätigt im Übermaß die immer noch herrschende Klischeevorstellung vom liebenswert verrückten, vollkommen weltfremden Sammler.
Unbestritten kann diese Leidenschaft krankhafte Züge annehmen. Bei einer näheren Betrachtung der Spezies 'Sammler' kommt allerdings zutage, dass der weitaus größte Teil von ihnen nicht am Rande der Psychiatrie, sondern als mehr oder weniger unauffälliger Mensch mitten im Leben steht.
Ein Ziel dieser Arbeit ist es, die Sammler des ausgehenden 20.Jahrhunderts von ihrer Charakterisierung als Einsiedler, Einzelgänger oder Existenz am Rande der Gesellschaft zu befreien, um sie vielmehr als einen in dieser Gesellschaft lebenden und von ihr geschaffenen Typus zu beschreiben.
Allenthalben tauchen in den Tageszeitungen Berichte über Sammler auf, wobei die Bandbreite der Sammelobjekte von den Klassikern der modernen Malerei bis zu Streichholzschachteletiketten reicht. Eine weite Verbreitung des Sammelns als Hobby ist - unabhängig von meinem selektiven Blick bei den Recherchen zu dieser Arbeit - augenfällig.
Eine kulturwissenschaftliche Untersuchung dieses Phänomens, das nicht nur als ein Bereich des individuellen Freizeitverhaltens, sondern auch als eine gesellschaftlich bedingte Erscheinung zu betrachten ist, liegt also nahe.
Jedem eröffnen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Martina Brenner
Sammeln: Zur Bedeutung eines Kulturmusters
ISBN: 978-3-8366-4002-2
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland, Magisterarbeit, 2019
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und der Verlag, die Autoren oder
Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl.
verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung ... 1
1.1.
Annäherung ... 3
1.2.
Bisherige Forschung ... 4
1.3.
Quellen ... 8
1.4.
Vorgehen ... 10
2.
Sammeln: Beziehungsgeflecht zwischen Personen und Objekten... 11
2.1.
Voraussetzungen in den Beziehungen zwischen Personen und
Objekten ... 11
2.1.1. Symbolische Handlungen im Rahmen des subjektiv-funktionalen
Objektumgangs ... 13
2.1.2. Objektkultivation als Prozess der Aneignung von Gegenständen ... 15
2.2.
Gegenstandsbeziehungen der Sammler ... 24
2.2.1. Entwicklung zum Sammler ... 25
2.2.2. Auslösende Faktoren für das Sammeln ... 31
3.
Sammeln heute ... 39
3.1.
Begriffserklärung ... 39
3.2.
Von den Dingen zur Sammlung ... 44
3.2.1. Erwerben ... 44
3.2.2. Sichten ... 48
3.2.3. Ordnen ... 50
3.2.4. Anhäufungen, Serien, Variationen ... 56
3.2.5. Streben nach Vollständigkeit ... 59
3.2.6. Eigendynamik der Sammlung ... 61
3.2.7. Zukunft der Sammlung ... 62

4.
Sammler in der BRD heute ... 65
4.1.
Soziogramm ... 65
4.2.
Beziehungen ... 72
5.
Schlussbetrachtungen ... 81
5.1.
Resümee ... 81
5.2.
Ausblick ... 83
6.
Anhang ... 85
6.1.
Kurzporträts der interviewten Sammler ... 85
6.1.1. Coca-Cola-Sammler: D.E. ... 85
6.1.2. Waagensammler: C.R. ... 87
6.1.3. Grammophonnadeldosen- und Zahltellersammler: L.A. ... 89
6.1.4. Antiquitätensammler: A.U. ... 92
6.2.
Fragebogen der Sammlerumfrage ... 96
6.3.
Literatur ... 99

1.
Einleitung
"Vor einigen Jahren erhielt eine der größten französischen Kapazitäten der Neurologie, Professor X... den Besuch
eines Klienten, dessen soziale Stellung diesen zu einer der wichtigsten Pariser Persönlichkeiten machte.
Wie seine Familie erzählte, litt er an psychischen Störungen, die es ihm zu verbergen gelang, sobald er sich bei
einem Spezialisten befand.
Nach einer halben Stunde Befragung, während der sich der Kranke keinerlei Verwirrung anmerken ließ,
beglückwünschte er während der Verabschiedung von dem großen Psychiater diesen zu seinem Geschmack und
der Qualität der angesammelten Objekte in dem Zimmer.
'Sind Sie selber Sammler?' fragte ihn der Professor.
'Ja, antwortete der Patient, aber ich bin ein Spezialist... Ich habe die größte Croissantsammlung der Welt.'
'Croissants!' sagte der aus der Fassung gebrachte Mediziner.
'Ja, mein lieber Professor, seit meiner frühesten Kindheit häufe ich Croissants aus allen Pâtisserien und
Bäckereien der gesamten Welt an. Diese Sammlung ist absolut geheim; sie füllt drei Räume eines Gebäudes an,
das ich zu diesem Zweck einrichten und klimatisieren lassen habe. Nach meinem Tod wird sie an den Louvre ge-
hen.'"
1
Diese Anekdote bestätigt im Übermaß die immer noch herrschende Klischeevorstellung vom
liebenswert verrückten, vollkommen weltfremden Sammler
2
.
Unbestritten kann diese Leidenschaft krankhafte Züge annehmen. Bei einer näheren Betrachtung
der Spezies 'Sammler' kommt allerdings zutage, dass der weitaus größte Teil von ihnen nicht am
Rande der Psychiatrie, sondern als mehr oder weniger unauffälliger Mensch mitten im Leben steht.
Ein Ziel dieser Arbeit ist es, die Sammler des ausgehenden 20.Jahrhunderts von ihrer
Charakterisierung als Einsiedler, Einzelgänger oder Existenz am Rande der Gesellschaft zu
befreien, um sie vielmehr als einen in dieser Gesellschaft lebenden und von ihr geschaffenen Typus
zu beschreiben.
Allenthalben tauchen in den Tageszeitungen Berichte über Sammler auf, wobei die Bandbreite
der Sammelobjekte von den Klassikern der modernen Malerei bis zu Streichholzschachteletiketten
reicht. Eine weite Verbreitung des Sammelns als Hobby ist - unabhängig von meinem selektiven
Blick bei den Recherchen zu dieser Arbeit - augenfällig.
Eine kulturwissenschaftliche Untersuchung dieses Phänomens, das nicht nur als ein Bereich des
individuellen Freizeitverhaltens, sondern auch als eine gesellschaftlich bedingte Erscheinung zu
betrachten ist, liegt also nahe.
1
La Vie Étrange des Objets. L'Histoire de la Curiosité. Paris 1959, S.50f. (wie alle folgenden französischen Maurice Rheims
Titel übersetzt von der Autorin).
2
Beginn dieser Arbeit möchte ich mich bei allen Sammlerinnen dafür entschuldigen, dass ich sie im Folgenden immer in
den Begriff der 'Sammler' mit einbeziehe.

2
Abb.1 Es gibt sie also doch noch - die Einsiedler unter den Sammlern! (Südwestpresse 20.10.1989
)
Jedem eröffnen sich beim Stichwort 'Sammeln' zahlreiche Assoziationen: Die großen, heute
mehr denn je im Blickpunkt öffentlichen Interesses stehenden, sogar von Ministerpräsidenten
hofierten Kunstsammler; die scheinbar allen Moden trotzenden Briefmarkensammler, die ihr Hobby

3
mit der Genauigkeit eines Buchhalters betreiben; die schrulligen Käuze vom Typus des
'Croisssantsammlers'; die Jäger und Sammler aus der Vorzeit der Menschheitsgeschichte oder die
Sammler im staatlichen Auftrag, die professionell in Museen oder Bibliotheken sammeln. Und
Walter Benjamin, selbst Sammler - nicht nur von feinsinnigen Beobachtungen seiner Umwelt,
sondern zum Beispiel von Büchern -, war sich der Allgegenwärtigkeit des Sammelns bewusst, als er
schrieb: "Das Sammeln ist ein Urphänomen des Studiums: der Student sammelt Wissen."
3
3
Walter Benjamin: Der Sammler. In: Rolf Tiedemann (Hrsg.): Gesammelte Schriften. Bd. V.1., Das Passagen-Werk.
Aufzeichnungen und Materialien. Frankfurt/M. 1989, S.269 - 280; hier S.278.
1.1. Annäherung
Um das weite Feld einzugrenzen, wurde das Sammeln als Hobby herausgegriffen und die
Untersuchung weitgehend auf Sammler von Alltagsgegenständen beschränkt, eine spezialisierte und
in der Sammelgeschichte noch sehr junge Ausprägung dieser Tätigkeit.
Da viele der früheren Betrachtungen auf das Sammeln von Kunst-und Antiquitäten fixiert sind,
werden auch diese in die theoretischen Überlegungen mit einbezogen. Wenn also im Folgenden von
Sammlern die Rede ist, so sind Sammler von Alltagsobjekten im Besonderen, von Kunst und
Antiquitäten im Allgemeinen gemeint.
Gerade in der Auswahl der Sammelobjekte hat ein aufregender Wandel stattgefunden;
alltägliche Gebrauchsgegenstände haben während der vergangenen 30 Jahre eine enorme
Aufwertung erfahren, sie sind sammelwürdig geworden.
Am Anfang stand hier wie bei fast allen übrigen Betrachtungen der Sammelleidenschaft das
Interesse an den möglichen Motivationen, die zu den einzigartigen, skurrilen oder aber vollkommen
banalen Sammlungen angeregt haben mögen bzw. es mehr denn je tun.
Wichtig ist das Sammeln als eine der Möglichkeiten jedes Individuums, sich intensiv mit Dingen
auseinanderzusetzen. Inwieweit es sich dabei um eine wirkliche Auseinandersetzung handelt ist eine
Frage, die in den Bereich des Umgangs der Sammler mit ihrer Sammlung gehört und von Fall zu
Fall verschieden beantwortet werden wird. Aufgabe ist es also, das Verhältnis der Sammler zu ihren
Dingen genau zu überprüfen.
Die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung wurde nach einiger Zeit der Auseinandersetzung
mit dem Thema immer deutlicher, als sich die aktuelle Dimension des Phänomens Sammeln
eröffnete. Denn das Sammeln hat seit etwa 20, 30 Jahren einen enormen Aufschwung erfahren.
Deshalb wurde bei der Suche nach Erklärungsmustern ein besonderes Augenmerk auf die private
Sammeltätigkeit der letzten Jahrzehnte gerichtet, die von zunehmender Popularisierung, Professio-
nalisierung und Kommerzialisierung gekennzeichnet ist.
Das Phänomen des Sammelns ist derart weit gefächert, dass es keine allgemeingültige 'Theorie des

4
Sammelns' gibt. So war es im Vorfeld der Arbeit schwer möglich, Hypothesen aufzustellen. Die
intensive Beschäftigung führte letzten Endes doch zu einigen Annahmen, die über die bisherige
Motivationsforschung hinausreichen.
In Anbetracht der vielen interessanten und des Nachdenkens werten Aspekte, die in der
Auseinandersetzung mit dem Thema auftauchen, wäre es zu einfach, gar kurzsichtig, nur eine
Forschungsrichtung einzuschlagen. Dies widerspräche zudem der Tatsache, dass es sich beim
Sammeln schließlich um eine menschliche Tätigkeit handelt, die in ihren individuellen
Ausformungen vom einen zum anderen Menschen nicht deckungsgleich sein muss, ja sogar
Widersprüche aufweisen kann.
In meinen Betrachtungen des Kulturmusters Sammeln wird daher ein kaleidoskopischer Blick
auf das Phänomen geworfen, bei dem die vielen Steinchen erst das Ganze ausmachen. Abweichend
- um bei dem Modell des Kaleidoskops zu bleiben - ist es bei der inhomogenen Struktur der
Sammler allerdings immer möglich, dass das eine oder andere Steinchen aus dem Gesamtbild
herausfällt, wenn man den Blick auf ein Individuum lenkt.
1.2. Bisherige Forschung
Die Annäherung an das Thema erwies sich als nicht ganz einfach, da schätzungsweise drei Viertel
der Literatur, die unter dem Stichwort 'Sammeln' zu finden ist, eher der un- bzw. vorwissen-
schaftlichen Kategorie von Sammelbetrachtungen zuzuordnen sind.
Insbesondere die 50er und 60er Jahre können als eine Blütezeit der Werke angesehen werden,
die Sammel- und Sammlergeschichten sowie einzelne Sammelbereiche im anekdotischen Stil
beschreiben. Nicht selten schwingen sich die Autoren zu Ratgebern für eine 'sinnvolle'
Freizeitgestaltung auf, die sie in dem Steckenpferd Sammeln sehen. In den Titeln dieser Bücher und
Aufsätze, die in allen denkbaren Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind, klingt der heiter-
spielerische Ton an, in dem die Autoren das Thema angegangen sind: "Kleine Liebhabereien"
4
,
"Vom Glück des Sammelns"
5
, "Schnickschnack aus dem Souterrain. Vom Lob des Sammelns
törichter Dinge"
6
oder "Kleines Lexikon des Sammelns"
7
.
In den 70er Jahren treten dann vermehrt Hobbybücher mit Farbfotos auf, die sich eingehender
mit einem speziellen Sammelgebiet befassen und vor allem praktische Tipps zum Erwerb, zur
4
Peter Omm: Kleine Liebhabereien. München 1957.
5
Friedrich Wallisch: Vom Glück des Sammelns. o.O. 1958.
6
Günther Böhmer: Schnickschnack aus dem Souterrain. Vom Lob des Sammelns törrichter Dinge. In: Die Kunst und das
schöne Heim. Nr.1, 61.Jg., 1962, S.14 - 18.
7
Franz Hadamowsky: Kleines Lexikon des Sammelns. Salzburg 1965.

5
Geschichte, zum Katalogisieren und zur Pflege der Objekte liefern.
Ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Thema Sammeln als Hobby sind,
abgesehen von solchen Geschichten des Sammelns, die den Bogen von den Griechen über die
mittelalterlichen Kirchenschätze, die Raritäten- und Wunderkammern der Renaissancefürsten bis zu
den zeitgenössischen Kunst- und Antiquitätensammlern hohen Ranges spannen, rar. So wird die
"Psychologie des Kunstsammelns"
8
von Adolf Donath ihrem Titel in keinster Weise gerecht, da es
sich darin nicht um eine Betrachtung der psychologischen Strukturen der Sammler, sondern um
deren Geschichte handelt.
Die erste weiterführende Arbeit aus diesem Jahrhundert ist die Dissertation des französischen
Arztes Henri Codet, ein "Essai sur le collectionnisme"
9
von 1921. Er konstatierte bei den von ihm
untersuchten Sammlern vier psychologische Konstellationen, nämlich das Verlangen nach Besitz,
das Bedürfnis nach einer zweckfreien Beschäftigung, den Wettbewerbssinn und den Hang zum
Ordnen und Klassifizieren. Zudem betrachtete er das Phänomen in geschichtlichem sowie
soziologischem Kontext und unterschied das leidenschaftliche Sammeln, die Sammelmanie und das
Sammeln bei psychisch Kranken voneinander.
In den USA entstanden um 1930 Untersuchungen im Bereich der Erziehungspsychologie, die
sich allerdings auf das Sammelverhalten bei Kindern beschränken
10
.
1946 erschien eine weitere französische Arbeit von Georges Grappe mit dem Titel "Savoir
Collectionner"
11
. Dabei handelt es sich aber weniger um einen Ratgeber, wie der Titel vermuten
lässt, sondern um die Darstellung der diversen Formen der Leidenschaft und Eigenheiten berühmter
Sammler.
Neue Aspekte vermittelte der französische Kunsthistoriker Maurice Rheims in seinem Buch
über das "Seltsame Leben der Dinge" von 1959
12
. Er lehnte sich in weiten Teilen an die Thesen
Henri Codets an und hat zumeist Kunst- und Antiquitätensammler im Auge. Darüberhinaus
betrachtete er den Sammler im gesellschaftlichen Zusammenhang und betonte die Bedeutung des
Sammelns im Laufe der kindlichen Entwicklungsphasen, um daraus Rückschlüsse auf die
Hintergründe des Sammelns der Erwachsenen zu ziehen.
Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre erschienen an zuerst vollkommen unvermuteter Stelle
Abhandlungen über das menschliche Sammelverhalten und die damaligen Sammelmoden. Es
handelt sich dabei um die "Zeitschrift für Absatzwirtschaft"
13
und das "Jahrbuch für Absatz- und
8
Adolf Donath: Psychologie des Kunstsammelns. Bibliothek für Kunst- und Antiquitätenfreunde, Bd.9, Berlin 1911.
9
Henri Codet: Essai sur le Collectionnisme. Thèse pour le doctorat en Médecine. Faculté de Médecine de Paris. Paris 1921.
10
Paul A. Witty/ Harvey C. Lehman: Sex differences: Collecting interests. In: Journal of educational psychology, Bd.22,
Baltimore 1932, S.221 - 228.
11
Georges Grappe: Savoir Collectionner. Philosophie, images et souvenirs. Paris 1946.
12
Maurice Rheims: La Vie Étrange des Objets. Histoire de la Curiosité. Paris 1959.
13
Paul Beck: Briefmarken, Reiseandenken und Schallplatten. Welche Gegenstände werden gesammelt? In: Zeitschrift für
Absatzwirtschaft. Hrsg. von der Absatzwirtschaftlichen Gesellschaft Nürnberg e.V. und der Vereinigung Deutscher
Verkaufsleiter-Clubs im Verlag Handelsblatt GmbH, Düsseldorf, 2.Jg., Heft 9, Düsseldorf 1959. S.414 - 416.
Christiane Weniger: Kennen wir den Freizeitmarkt? Neue Erkenntnisse über ungenutzte Absatzchancen. In: Die
Absatzwirtschaft. Zeitschrift für Marketing. 7.Jg., Heft 18, 1964, S.1001 und 1004.

6
Verbraucherforschung"
14
. Dort wurden die kommerziellen Aspekte des Sammelns erstmals von
professioneller Seite untersucht und für Marketingstrategien verfügbar gemacht.
Und endlich begann auch die Volkskunde, sich dem Sammelhobby zuzuwenden: in den
"Beiträgen zur deutschen Volks- und Altertumskunde" streifte Herbert Freudenthal 1959
15
das
Thema als eine von vielen Freizeitbeschäftigungen, um sich 1970
16
näher darauf einzulassen.
Susanne Schenda hat 1967 eine damals in Frankreich grassierende Sammelwut untersucht und dabei
insbesondere die kommerziellen Aspekte berücksichtigt
17
. Diese Aufsätze widmeten sich jeweils
nur Teilbereichen des Phänomens, so dass eine eingehendere Abhandlung des privaten Sammelns
unter kulturwissenschaftlichen Aspekten noch immer auf sich warten lässt.
Eine erstmalige große Öffentlichkeit erhielten sowohl anspruchsvolle als auch bescheidene
Privatsammlungen bei einer Ausstellung 1974 im Pariser Musée des Arts Décoratifs. "Ils collection-
nent...", - sie sammeln -, so der Titel der Ausstellung, war die erste und wegweisende Präsentation
von 79 Einzelsammlungen. Im Katalog
18
sind Fotos von den Arrangements der Sammlungen und
Kommentare ihrer Besitzer zu den Schätzen enthalten.
Diese erste Zurschaustellung von Privatsammlungen, die aus dem üblichen Dunstkreis von
Kunst und Antiquitäten heraustrat, hat in der Bundesrepublik eine ganze Reihe von Folgeaus-
stellungen ausgelöst
19
.
Wie 1974 in Paris so präsentierte auch 1981 in Köln eine etablierte Kunstinstitution, nämlich der
Kölner Kunstverein, das Thema Privatsammlungen. Die Ausstellung "38 Sammlungen in Köln"
20
,
auf der einige der privaten Sammelleidenschaften offenbart wurden, erfuhr ein großes und positives
Echo in vielen deutschen Tageszeitungen. Der dazugehörige Katalog ist ein Kuriosum für sich: eine
Sammlung von Faltblättern, - für jede Sammlung eines -, ist in einen braunen Pappkarton eingelegt
und wird von Bemerkungen zum Sammeln ergänzt.
Ebenfalls 1981 stellte eine Arbeitsgruppe von Volkskundlern der Universität Freiburg ihre
Ergebnisse einer Untersuchung von Sammelbildchen in einer Ausstellung vor
21
, und am Hessischen
14
Paul Beck: Sammelgewohnheiten. Eine Erhebung der GfK. In: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung. Hrsg. im
Auftrag der GfK - Gesellschaft für Konsumforschung e.V. Berlin, 4.Jg., Heft 4, Berlin 1958, S.259 - 302.
Georg Bergler: Fußnote, die sich dem Sammeln und den Sammlern widmet. In: Ebd., 14.Jg., Heft 2, Kallmünz 1968, S.154
- 164.
15
Herbert Freudenthal: Volkskundliche Streiflichter auf das Zeitgeschehen 11 - 19; hier 13. In: Ders./ Walter Hävernick
(Hrsg.): Beiträge zur deutschen Volks- und Altertumskunde, Bd.4, 1959, S.17 - 36; hier S.22f.
16
Ders.: Volkskundliche Streiflichter auf das Zeitgeschehen XII 51. In: Ebd., Bd.14, 1970, S.115 -123.
17
Susanne Schenda: Copocléphilie. In: Ebd., Bd.11, 1967, S.85 - 93.
18
François Mathey (Hrsg.): Ils collectionnent... Musée des Arts Décoratifs Paris 1974. Paris 1974.
19
Zu den kleineren unter diesen gehören die Jahresausstellung des Historischen Vereins Erding e.V. mit dem Titel "Sammler
zeigen ihre Schätze" von 1979 sowie die Ausstellung "Das Sammeln ist des Lebens Lust", die 1980 in Kolvenburg in
Billerbeck (Kreis Coesfeld) stattgefunden hat. Dazu gibt es Kataloghefte, in denen meist die ortsbekannten Sammler zu
Wort kommen.
20
Kölnischer Kunstverein (Hrsg.): 38 Sammlungen in Köln. 27.1. - 22.2.1981. Ausstellungskatalog, Köln 1981.
21
In Sammelbildchen rund um die Welt. Populäre Kleingraphik zwischen Schaulust und Profit im 19. und 20.Jahrhundert.
Begleitheft zur Ausstellung einer Arbeitsgruppe von Volkskundlern an der Universität Freiburg 1981. Freiburg i.Br. 1981.

7
Landesmuseum Darmstadt fand "Eine Ausstellung zur Geschichte und den Formen der Sammel-
tätigkeit" statt, die von einem kleinen, aber ausführlichen Katalog begleitet wurde
22
.
1984 nahm der Kunstverein Oldenburg das Vorbild der Kölner Ausstellung auf, betonte jedoch
im Ausstellungskatalog die Herkunft der Sammelobjekte aus der Alltagskultur
23
.
Der Katalog der Ausstellung "Sammeln - Sammelsurium" aus demselben Jahr in Reckling-
hausen entbehrt jeder wissenschaftlichen Dokumentation und gehört vielmehr zu den
Veröffentlichungen, die zum Sammeln anregen möchten
24
.
Großes Interesse der Öffentlichkeit - zumindest der 'kulturell aktiven' - an Sammlern und ihren
oft kuriosen Objekten belegen auch die Zeitungsserien, die seit Beginn der 80er Jahre zahlreich
erschienen und z.B. im Schwäbischen Tagblatt
25
, im Berliner Tagesspiegel
26
sowie in der Neuen
Züricher Zeitung
27
Sammler von Knöpfen, Weinkorken oder Nikoläusen porträtierten. Auch
gegenwärtig werden auf der samstäglichen Freizeit-Hobby-Seite der Stuttgarter Zeitung häufig
Sammelgebiete oder Sammlervereinigungen in Kurzform präsentiert.
An der Universität Trier wurde im Wintersemester 1982/83 das Sammeln bei einer Ringvorlesung
unter dem Titel: "Sammeln - Kulturtat oder Marotte?" thematisiert und von soziologischer wie
philosophischer Seite hinterfragt
28
.
Umfassendere, vor allen Dingen auch empirische Untersuchungen werden seit 1982 wiederum
in Frankreich durchgeführt, wo dem Sammeln als einer kulturellen Äußerung aller Volksschichten
bisher offensichtlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als in Deutschland. Bestimmt ist dieser
Umstand dem in Frankreich populären Begriff der 'Civilisation' zu verdanken, einem erweiterten
Kulturbegriff, der nicht nur die kulturellen Objektivationen der künstlerischen und geistigen Elite,
sondern auch die Kultur des Volkes, die Alltagskultur, umfasst. Zwar hat sich in den vergangenen
Jahrzehnten auch in Deutschland in dieser Hinsicht eine veränderte Auffassung etabliert, die aber
noch zu neu ist, um im Bewusstsein breiter Bevölkerungskreise verankert zu sein.
1982 hat das Centre d'ethnologie française auf dem Foire des Collectionneurs, dem großen
22
Matthias Bleyl/ Hanns Feustel/ Jan Peter Thorbecke/ Klaus Wolbert: Sammeln. Eine Ausstellung zur Geschichte und den
Formen der Sammeltätigkeit. Hessisches Landesmuseum Darmstadt 19.8. - 18.10.1981.
Besonders ausführlich werden dort die Entstehung, Geschichte und Funktion der Kunst- und Wunderkammer beschrieben.
23
Peter Springer (Hrsg.): Gesammelt in und um Oldenburg. Aspekte der Alltagskultur. Zur Ausstellung im Oldenburger
Kunstverein 8.1.- 17.2.1984. Oldenburg 1984.
24
Anneliese Schröder: Sammeln - Sammelsurium. Ausstellung 9.12. - 10.2. 1985. Kunsthalle Recklinghausen.
25
Was man nicht alles sammeln kann. In: Schwäbisches Tagblatt vom 16.4.81, 4.8.81, 18.9.81, 24.12.81, 23.1.82 und
3.9.85.
26
Cordula Moritz: Gesammelte Sammler. In: Tagesspiegel vom 3.4.83, 10.4.83, 17.4.83 und 24.4.83.
27
Karl Hofer: Ungewöhnliche Sammlungen. In: Neue Züricher Zeitung vom 19.7.86, 26.7.86, 1.8.86, 9.8.86, 16.8.86,
6.9.86, 20.9.86, 27.9.86.
28
Norbert Hinske/ Manfred J. Müller (Hrsg.): Sammeln - Kulturtat oder Marotte? Trierer Beiträge. Aus Forschung und Lehre
an der Universität Trier. Öffentliche Ringvorlesung Wintersemester 1982/83, Bd.XIV. Trier 1984.

8
Pariser Sammlermarkt, eine Umfrage unter dem Publikum gemacht, und im Musée d'ethnographie
Neuchâtel fand im selben Jahr eine Ausstellung über das Sammeln statt
29
.
Auch an der Universität Straßburg existiert zurzeit eine Arbeitsgruppe, die sich ebenfalls der
starken Ausbreitung des privaten Sammelns in den letzten Jahrzehnten widmet
30
.
In Deutschland wurden bisher keine Anstrengungen zur Erforschung dieses Phänomens von
institutioneller Seite unternommen
31
; prinzipiell scheint es dennoch möglich zu sein, die Untersu-
chungsergebnisse der französischen Forschungen in die Analyse mit einzubeziehen, denn trotz der
Andersartigkeit des dort gebräuchlichen Kulturbegriffes unterscheiden sich die gegenwärtigen
Motivationen und die ihnen zugrunde liegenden mentalen Strukturen nicht wesentlich von den hier
herrschenden.
Damit ist ein Überblick über die zurzeit zugängliche und explizit zum Thema Sammeln
ausgewiesene Literatur gegeben. Gewiss müssen darüber hinaus kulturhistorische, soziologische
und psychologische Theorien berücksichtigt werden, um zu einer vielseitigen Anschauung des
Phänomens zu gelangen.
1.3. Quellen
Neben der Literatur existieren einige vortreffliche Quellen, die dem 'Laien' einen Einblick in die
bunte Welt des Sammelns erlauben, zumal wenn er sich von der Seite der Alltagskulturforschung
nähert.
Eine davon sind die Fachzeitschriften der Sammlergemeinde - um gleich den dort üblichen
Jargon zu gebrauchen - die uns hinter die Kulissen schauen lassen, von Freud und Leid des
Sammlers Bericht erstatten, das faszinierende Hobby preisen und nicht zuletzt eine wichtige Infor-
mationsquelle für ihre Leser darstellen.
Das in Deutschland bekannteste Magazin dieses Genres, das 'Sammler-Journal', vermittelt einen
Einblick auf den derzeitigen Stand der Sammeltätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland. Auf der
29
Die Ergebnisse dieser Umfrage wurden in folgenden Beiträgen veröffentlicht:
Claude Frère-Michelat: Eh bien! j'aimerais mieux la voir mourir... In: Jacques Hainard/ Roland Kaehr (Hrsg.): Collections
passion. Musée d'ethnographie, Neuchâtel, Suisse. Exposition du 5 juin au 31 décembre 1982. Neuchâtel 1982, S.151 -
162.
Claude Frère-Michelat: En voyant ces merveilles: les collectionneurs des cartes postales. In: Ethnologie française XIII.,
1983.3, S.283 -290.
30
Erste Ergebnisse sind abgedruckt in:
Juan Matas: L'univers refuge du collectionneur. In: Revue des Sciences Sociales de la France de l'Est, Nº17, 1989-90,
S.245 - 253.
31
Eine erste Antwort hierzulande auf die seit drei Jahrzehnten zunehmende Sammelkonjunktur ist die Arbeit von:
Gabriele Grimm-Piecha: Der Sammler. Versuch einer Annäherung. Magisterarbeit im Fach Europäische Ethnologie,
Universität Marburg 1989.
Die Autorin hat sich darin insbesondere der Fragestellung nach dem 'Sammeln von Altem' verschrieben.

9
Internationalen Sammler und Antiquitäten Ausstellung (ISA) 1990 in Stuttgart fand ein Gespräch
mit den RedakteurInnen dieser Zeitschrift statt, die einen nicht zu übersehenden Einfluss auf die
Entwicklung des Sammelns seit Anfang der 70er Jahre ausübt.
Ein weiteres interessantes Feld zur Beobachtung der Sammler sind die Verkaufsausstellungen,
auf denen Sammelobjekte angeboten werden. Und was liegt der Untersuchung einer menschlichen
Tätigkeit näher, als die Ausführenden einmal selbst zu studieren?
Bei der diesjährigen ISA in Stuttgart wurde deshalb eine Fragebogenerhebung durchgeführt.
Wider Erwarten hat schon diese kleine Erhebung Ergebnisse zutage gebracht, die sich mit sehr viel
umfangreicheren Studien decken und zur Bestätigung oder Widerlegung einzelner Hypothesen
anwenden lassen
32
.
Tieferen Einblick in die Sammlernaturen erlauben qualitative Interviews. Nicht als Schwerpunkt
der Arbeit, sondern zur Illustration und Einarbeitung in eigene Überlegungen wurden vier
Interviews mit Sammlern gemacht
33
. Auf eine Kleinanzeige, mit der potentielle Interviewpartner
angesprochen werden sollten kam nur eine, aber positive Antwort. Die drei weiteren Sammler, die
allesamt bereit waren, von ihrem Hobby zu erzählen, konnten aufgrund von Zeitungsartikeln
ausfindig gemacht werden. Die Interviews orientierten sich an einem Leitfaden, wobei aber der freie
Lauf des Gespräches nicht unterbrochen wurde.
Ohnehin wäre es bei der Auswahl der Interviewpartner nicht möglich gewesen, vergleichbare
Gesprächsstrukturen aufzubauen, weil die Voraussetzungen in Bezug auf Alter, Bildungsstand, die
Fähigkeit, sich auszudrücken und nicht zuletzt Erwartungen an mich als Forscherin oder gar Be-
sucherin sehr unterschiedlich waren. Da mit den Interviews eben die individuellen Auffassungen
vom Sammeln erarbeitet werden sollten, lag es nicht im Forschungsinteresse, auf eine standardi-
sierte Interviewsituation hinzuwirken.
Die Erkenntnis von der Verschiedenartigkeit der Interviewpartner und somit der Sammlertypen
war eine Mahnung für den weiteren Verlauf der Arbeit, nicht den Sammler schlechthin zu
skizzieren, da sich trotz aller Gemeinsamkeiten recht unterschiedliche Arten des Herangehens an
diese Tätigkeit und des Umgangs mit einer Sammlung herausstellten.
32
Bei der Fragebogenaktion habe ich während zwei Stunden an einem Samstagnachmittag im Foyer der Messehallen 50
Fragebögen mit offenen und geschlossenen Fragestellungen verteilt. Sieben davon wurden vor Ort ausgefüllt, weitere 14
Bögen zurückgeschickt, was eine Rücklaufquote von etwa 40% bedeutet. Der Fragebogen ist im Anhang unter 6.2.
beigefügt.
33
Ein fünftes Interview kam bei dem Gespräch mit den RedakteurInnen des Sammler-Journals auf der ISA zustande, die mir
einen Schweizer Sammler vorgestellt haben, der auf dem Messestand des Journal Verlages die Gelegenheit zu einer
Miniausstellung seiner Sammlung bekommen hatte. In dem spontanen und unvorbereiteten Interview, konnten aufgrund
der Situation im Messegewühl und der Anwesenheit der Journal Redaktion nicht alle Punkte des Leitfadens berücksichtigt
werden. Von diesem Sammler lässt sich kein Porträt aufstellen, aber zu einzelnen Punkten hat das Gespräch wichtige
Aussagen geliefert, die an entsprechender Stelle zitiert werden.

1.4. Vorgehen
Das Sammeln wird in dieser Arbeit im Kontext menschlicher Objektaneignungsweisen betrachtet,
welche die grundlegenden Voraussetzungen für dieses Phänomen darstellen. Deshalb ist in der
Abfolge der Kapitel den Tätigkeiten, Formen und Anlässen des Sammelns ein theoretischer Teil
vorangestellt. In Kapitel 2 werden also die grundlegenden Begriffe und Modelle, die das Bezie-
hungsgeflecht zwischen Personen und Objekten bestimmen, ausführlich erläutert. Auf dieser Basis
kann ein neuer Blick auf die Tätigkeiten der Sammler geworfen werden.
Im 3.Kapitel folgen auf eine Eingrenzung und Definition des 'Sammelbegriffes' die
Beschreibungen und Deutungsansätze der Einzelhandlungen, die unter dieser Definition subsumiert
werden.
Daran schließt sich eine Art Soziogramm der Sammler unserer Tage in der BRD an, welches die
weite Verbreitung des Sammelns in der Bevölkerung veranschaulichen wird. Der Sammler wird
dort sowohl als Einzel- wie auch als Sozialwesen geschildert.
Den Abschluss bilden das Resümee der erarbeiteten Zusammenhänge und Ergebnisse sowie ein
Ausblick auf weiterführende Untersuchungen.

2.
Sammeln: Beziehungsgeflecht zwischen Personen und
Objekten
In jedem Beitrag zur Thematik des Sammelns steht der Versuch, Erklärungsmuster für dieses
Phänomen zu finden an oberster Stelle. Und nicht zuletzt ist es auch das Anliegen dieser Arbeit,
einer Antwort auf dieses 'Warum' näherzukommen.
Die geläufigen Motivationen von 'purem Zeitvertreib' bis hin zur 'Kompensation sogenannter
sexueller Fehlentwicklungen', treffen mehr oder weniger oft zu. Einer Durchdringung des Problems
genügen sie nicht, da sie noch viele Fragen offen lassen.
Denn was führt einen Menschen dazu, in seiner Freizeit immer wieder Briefe zu schreiben, um
Coca-Cola-Flaschen aus der ganzen Welt zu bekommen, obwohl nur jeder zehnte davon
beantwortet wird? Weshalb ist jemand bereit, relativ hohe Summen seines Gehaltes in den Erwerb
von Dingen zu stecken, die in den Augen der anderen Menschen allenfalls Schrottwert besitzen?
Warum verzichtet einer lieber auf die Lebensgefährtin als auf seine Ansammlung von Zeppelin-
Erinnerungsstücken? Diese Fragen zielen allesamt darauf ab, den Unterschied zwischen dem
Sammler und dem 'normalen' Menschen zu benennen.
Um einmal vom traditionellen Katalog der Antworten und der gewohnten Typisierung des
Sammlers wegzukommen, wird in dieser Arbeit zuerst nach den Voraussetzungen für die Tätigkeit
des Sammelns gesucht. Diesem Plan liegt die im Folgenden ausgeführte Idee vom Sammeln als
einer 'weit verbreiteten Form menschlichen Handelns' zugrunde.
2.1. Die Voraussetzungen in den Beziehungen zwischen
Personen und Objekten
Das Sammeln ist eine Tätigkeit des Menschen, bei der er Dinge an sich nimmt, um diese
aufzubewahren, um sie bei sich zu haben. Es handelt sich also um den Vorgang der Aneignung von
Gegenständen durch den Menschen. Aneignung, das meint hier in einem zweifachen Sinn sowohl
den physischen Akt der Inbesitznahme von Objekten als auch das Vertraut werden, die
aufmerksame geistige Auseinandersetzung mit denselben.
Die Tatsache, dass Menschen ein Verhältnis zu Dingen eingehen, ist eine Grundvoraussetzung für
das Sammeln. Deshalb bedarf dieses Verhältnis einer Klärung, denn mit Kategorien wie ästhetischer
Genuss, Habsucht oder Erinnerung allein ist es nicht zu fassen, weil das eine nicht das andere
bedingt, auch wenn Zusammenhänge bestehen.
Das herrschende Klischee vom schrulligen, zurückgezogenen Sammler, der weltfremd und
beziehungslos lebt, beweist, dass im allgemeinen Verständnis die Beziehung zu Dingen meist nur in

12
ihrer krankhaften Form erkannt und als Fehlen von zwischenmenschlichen Beziehungen angesehen
wird. Den weniger introvertierten Sammlern werden ihre Objektbeziehungen nachgesehen, ja man
schätzt sie oft als Bewahrer des Kulturgutes. Selbstverständlich treten nicht nur Sammler mit
Dingen in Beziehung; jeder tut es, allerdings mehr oder weniger, wenn er sich mit der in unserem
Kulturkreis ganz besonders von der Präsenz der Dinge geprägten Umwelt auseinandersetzt.
Wie entstehen nun solche 'Mensch-Ding-Beziehungen' und was liegt ihnen zugrunde? Wie sehen
sie bei Sammlern und wie bei Nichtsammlern aus? Warum umgeben sich die Menschen mit einer so
großen Anzahl von Gegenständen, insbesondere in den Kulturen der hochindustrialisierten Länder?
Diese Fragen gilt es zu klären, wenn man sich mit einer so extremen Form der Dinganeignung
wie der des Sammelns befassen will.
Seit Jahrzehnten beschäftigt sich die Soziologie eingehend mit den Beziehungen der Menschen
untereinander. Dabei ist es heute mehr denn je offensichtlich, dass auch Objekte eine wichtige Rolle
in der Lebenspraxis des Individuums spielen. Und so ist die soziale und psychologische Bedeutung
der Dinge in den vergangenen zehn Jahren stärker in den Blickpunkt wissenschaftlichen Interesses
gerückt.
Zwei Theorien der menschlichen Objektbeziehungen sollen im Folgenden vorgestellt werden,
um sie später auf ihre Anwendbarkeit zu einer Erklärung der Dinganeignung und des Dingge-
brauchs in der Sammelpraxis zu prüfen.
Dabei handelt es sich um den als kulturpsychologisch bezeichneten Ansatz von Ernst E. Boesch,
der eine Psychologie der Objektbeziehungen entworfen hat
34
.
Die zweite Studie ist die von Mihaly Csikszentmihaly und Eugene Rochberg-Halton, die aus
sozial- und persönlichkeitspsychologischer Sicht dem Sinn der Dinge nachgegangen sind
35
.
34
Ernst E. Boesch: Das persönliche Objekt. In: Ernst D. Lantermann (Hrsg.): Wechselwirkungen. Psychologische Analysen
der Mensch-Umwelt-Beziehung. Göttingen 1982, S.29 - 41.
35
Mihaly Csikszentmihaly/ Eugene Rochberg-Halton: Der Sinn der Dinge. Das Selbst und die Symbole des Wohnbereichs.
Alfred Lang (Hrsg.). München, Weinheim 1989 (Amerikanische Originalausgabe 1981).

2.1.1. Symbolische Handlungen im Rahmen des subjektiv-
funktionalen Objektumgangs
Zuerst zu Boeschs Sichtweise der Mensch-Ding-Beziehungen. Bei der Interaktion von Personen mit
Gegenständen, die zur Bildung von persönlichen Objekten führt, unterscheidet er zwischen
'Objektkonzept' und 'Objektschema'.
Die Objektkonzepte setzen sich aus den Benennungen und den Handlungsmustern zusammen,
die sozial festgelegt sind. Die individuelle Erstellung eines Objektkonzeptes beruht aber nicht allein
auf gesellschaftlichen Vorgaben. Sie erfolgt hauptsächlich in der Kindheit und im Jugendalter,
wobei sich die von außen kommenden, tradierten Objektkonzepte mit subjektiven Erfahrungen
vermischen.
Den 'subjektiv-funktionalen' Objektumgang umschreibt Boesch mit dem Begriff des
Objektschemas, das eine aktive Zuwendung des agierenden Subjektes zum Gegenstand der
Handlung voraussetzt.
"Es gibt indessen einen Objektumgang anderer, nicht instrumental-rationaler Art, der uns fragen lässt, ob die
geschilderte Entwicklung zum rationalen Konzept ausreiche, um den menschlichen Dingbezug zu verstehen. Wir
finden diese Art der Objektbeziehung in der Psychopathologie - etwa bei Phobien oder beim Fetischismus -, in
der Kunst, in der Mode, in Religion und Magie, um nur auf die Orte der deutlichsten Manifestation hinzuweisen.
Ich nenne ihn den 'subjektiv-funktionalen'..."
36
Während über das Objektkonzept Objekte und die dazugehörigen Handlungen in der frühkindlichen
Phase definiert werden, bilden sich im weiteren Verlauf der kindlichen Entwicklung - und noch im
späteren Leben der Erwachsenen - die Objektschemata, die man als Kategorien des Ob-
jektgebrauchs infolge von erlebten Erfahrungen beschreiben kann. Die Objektschemata spiegeln im
weitesten Sinne die individuellen Subjekt-Objekt-Verbindungen wider.
Sowohl das Objektkonzept als auch das Objektschema beinhalten Bewertungsweisen des
Objekts; beim Objektkonzept sind dies gesellschaftlich verankerte Zeichenfunktionen, beim
Objektschema subjektive Bedeutungszuweisungen, die Boesch Anmutungsqualitäten nennt. Beide
Male handelt es sich um die Symbolqualitäten der Objekte, die vielen Situationen von Mensch-
Objekt-Beziehungen ihren Sinn geben.
"Ohne Beachtung dieser Symbolqualitäten wäre eine Vielzahl von objektbezogenen Handlungsweisen - etwa
Besitzen, Schenken, Sammeln - nicht zu verstehen.
...Das Objekt stellt ja dar, es konkretisiert, spezifiziert die in ihm enthaltenen Konnotationen durch seine
Gegenwart; anders gesagt, es reflektiert die Bedeutungen, die ich mit ihm verbinde. 'Reflexion' bedeutet hier,
Inneres im Außen wieder anzutreffen und es dadurch bestätigt zu fühlen. Die äußere 'Wirklichkeit' konkretisiert
innerlich Gefühltes, und dadurch wird sie mehr als ein einfacher erfahrungsbestimmter Anreiz: sie präzisiert,
spezifiziert, bestätigt, korrigiert, verfestigt, eben dadurch, dass die inneren Strukturen im Äußeren nie exakt
abgebildet oder widergespiegelt erscheinen können, sondern immer wieder ihre akkomodative Forderung mitent-
halten; Skis sind nie nur eine Bestätigung meines Skifahrens, sondern immer auch eine Aufforderung zum
erneuten Beweis der Geschicklichkeit. Einzig das gewohnte Objekt - der Rasierapparat, die Kochpfanne, die
Schreibmaschine - repräsentiert reine Kongruenz und wird dadurch entweder leicht uninteressant (weshalb man
periodisch dazu neigt, es durch ein anderes zu ersetzen) oder trägt zu den Selbstverständlichkeiten alltäglicher
Bezüge bei und erhöht so Geborgenheiten."
37
36
E.E. Boesch: Das persönliche Objekt, S.31.
37
Ebd., S.35.

14
Indem wir Objekte als Träger von Symbolbedeutungen betrachten, können wir uns mittels ihres
Besitzes den symbolischen Gehalt zu Eigen machen:
"Kaufen, Herstellen, Sammeln, Besitzen, Verfügen sind alles Tätigkeiten, die vorerst einmal das konkrete Gefühl
vermitteln, über ein Objekt zu bestimmen, es sich zu sichern. Das beschränkt sich indessen nicht auf die
Materialität des Objektes, sondern umfasst auch - meist wohl vor allem - seine Bedeutungen, seien es die
subjektiv-funktionalen Inhalte, seien es die sozial mit ihm verbundenen Werte (die natürlich auch ihre
subjektiven Konnotationen besitzen)."
38
In seiner weiteren Argumentation zeigt Boesch, dass die Objekte wegen ihres Symbolgehaltes etwas
darstellen, was entweder räumlich oder zeitlich abwesend ist. Wenn wir uns mit solchermaßen
symbolgeladenen Objekten unserer eigenen Wahl umgeben, verfügen wir damit stellvertretend über
Raum und Zeit, erfassen die Geschichte und Zukunft unserer individuellen Existenz und verschaf-
fen ihr Kontinuität. Außerdem geben wir dadurch Signale an die Umwelt, die zumindest einen Teil
der Objektkonnotationen zu entschlüsseln vermag und dadurch zu Rückschlüssen auf die Besitzer
der Objekte befähigt wird.
Abschließend unterstreicht Boesch die große Bedeutung der Objektbeziehungen gerade für
unsere Kultur und stellt fest, dass ein menschliches Bedürfnis nach solchen Beziehungen besteht,
das von sozialen Gegebenheiten beeinflusst wird:
"Diese drei Aspekte - funktionale Potentialität, Kontinuität und Konkretisierung des Selbst, kommunikative
Valenz - bieten möglicherweise einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis unserer abendländischen
objektzentrierten Kultur. Man mag sich in der Tat fragen, ob unser Bedürfnis nach persönlichen Objektbezügen,
nach einer individuellen Objekt-Welt, die wir um uns herum bilden, nicht gerade aus einer weit getriebenen
Divergenz von Konzept und Schema entspringt, daraus also, dass rational-kausale und subjektiv-funktionale
Objektbedeutungen in einer technischen Welt sich nicht mehr zu decken vermögen.
... Es erscheint deshalb durchaus folgerichtig, dass die Entfremdung des Einzelnen von seiner Gruppe, die die
Industrialisierung mit sich brachte, zugleich auch Konsumbestrebungen mit den entsprechenden emotionalen
Objekt-Bewertungen verstärkte."
39
Für das spezielle Problem des Sammelns hat Boesch zwar keine ausführliche Theorie der Mensch-
Objekt-Beziehungen aufgestellt; seine Feststellung von emotionalen Dingbeziehungen und die
daraus folgende Zuordnung des Sammelns in den Bereich von symbolischen Handlungen vermittelt
jedoch einen ersten Einblick in die Wechselwirkung, die zwischen Menschen und Dingen aufgebaut
werden kann.
38
Ebd., S.39.
39
Ebd., S.40.

15
2.1.2. Objektkultivation als Prozess der Aneignung von
Gegenständen
In der zweiten oben erwähnten Untersuchung von Csikszentmihaly und Rochberg-Halton
40
stehen
nicht Objekte allgemeiner Art, sondern sogenannte 'Lieblingsdinge' im Mittelpunkt des Interesses.
Gemeinsam haben sie in einem Projekt
41
den Prozess der Auseinandersetzung von Menschen
mit Dingen und die Bedeutung dieses Prozesses für das Selbst der Individuen und deren
Persönlichkeitsentwicklung untersucht. Aus ihren Grundgedanken, die im Folgenden dargestellt
und kommentiert werden, lassen sich für den Typus des Sammlers als 'Spezialisten' im Umgang mit
Dingen theoretische Grundlagen ableiten.
Im Vorwort gibt der Herausgeber eine Definition des Begriffes der 'Kultivation', die am Anfang
aller theoretischen Überlegungen steht:
"In Absprache mit Eugene Rochberg-Halton haben wir uns für den Ausdruck Kultivation als Äquivalent für
cultivation entschieden, um sowohl den Vorgang (Kultivierung) wie das Ergebnis (die Kultur und das Selbst) der
Transaktionen zwischen Menschen und Dingen einzufangen; die in Kultiviertheit mitschwingende Konnotation
der Verfeinerung soll nicht betont, das Bild der Bodenkultivation und die damit verbundene Arbeit hingegen
durchaus evoziert werden."
42
Das Modell der Transaktion stellen sich Csikszentmihaly und Rochberg-Halton so vor: beschäftigt
sich jemand mit einem Ding, so wendet er psychische Energien auf. Diese Energien verschwinden
nicht, sondern verbleiben gewissermaßen als Ladung in dem Objekt. Hatte sich die agierende
Person bei ihrer Handlung ein Ziel gesetzt und erreicht dieses dann auch, wird die Energie freige-
setzt, wirkt als positive Erfahrung auf die Person zurück und fördert den Ausbau ihrer Individualität.
"Somit ist also folgendes zu resümieren: Persönlichkeitsentfaltung beruht auf der Möglichkeit zu freigewähltem
Einsatz psychischer Energie. Ein Individuum kann nur durch Kultivation seiner Zielorientiertheit eine
Persönlichkeit - und somit ein Selbstkonzept - entwickeln."
43
An dieser Stelle verweisen die Autoren auf das Phänomen der Entfremdung der Arbeit, wie es in
40
M. Csikszentmihaly/ E. Rochberg-Halton: Der Sinn der Dinge.
41
Dazu der Herausgeber Alfred Lang im Vorwort:
"Die philosophischen und soziologischen Linien ergänzen Csikszentmihaly und Rochberg-Halton also mit einer
sozialpsychologischen und persönlichkeitspsychologischen Sicht. An der Chicago University im Bereich der Verhaltens-
und Gesellschaftswissenschaften beheimatet, verfügen sie über einen breiten kulturwissenschaftlichen Hintergrund,
zugleich aber auch über erfahrungswissenschaftliche Kompetenz, welche als Voraussetzung für ein solches Unterfangen
unentbehrlich sind.
Bei 315 Angehörigen dreier Generationen von 82 Familien haben die Autoren ein Inventar jener Dinge aufgenommen, die
einem 'lieb geworden' sind. Die Befragten haben ausführlich diese Dinge in ihrem Lebenszusammenhang kommentiert.
Antworten auf Standardfragen und freie Äußerungen wurden aufgenommen und analysiert."
In: Ebd., S.7 - 12; hier S.8.
42
Alfred Lang: In: Ebd., S.11.
43
M. Csikszentmihaly/ E. Rochberg-Halton: Ebd., S.28.

16
der marxistischen Theorie beschrieben wird. Es beruht auf einem negativen Feedback. Die
investierte Energie wirkt sich zwar als Mehrwert ihres Arbeitsproduktes aus, daran dürfen die
Arbeiter allerdings nicht in solchem Maß teilhaben, als dass sie eine Zielerreichung im positiven
Sinne wahrnehmen könnten.
44
Die Beschränkung dieser Studie auf eine Betrachtung der Dinge im Wohnbereich legt
Vergleiche und Überleitungen zu meinem Forschungsgegenstand nahe, werden die gesammelten
Ding doch in der Mehrzahl der Fälle in der Wohnung aufbewahrt, oft sogar in die gesamte
Einrichtung integriert.
Wie gezeigt sind die Dinge, mit denen man sich im häuslichen, im privaten Bereich umgibt, eine
Art Abbild der Persönlichkeit ihrer Besitzer und wirken ebenso auf diese zurück, da sie nach freier
Wahl ausgesucht und aufgestellt wurden, jederzeit entfernt oder durch andere ersetzt werden
können. Anders verhält es sich mit den Dingen, die außerhalb des Privatbereiches existieren, ins-
besondere denen der Arbeitswelt, auf die man keinen oder nur wenig Einfluss hat.
"Aber es ist zu bedenken, dass der Haushalt die spezifischsten Objekte aufweist: Man hat die dort befindlichen
Dinge mit dem Ziel ausgewählt, sich ihnen regelmäßig zuzuwenden oder sie zur Hand haben zu können. Sie
sorgen innerhalb der Privatsphäre des Menschen für Kontinuität und stehen somit in enger Beziehung zu
Vorgängen der Identitätsbildung. Die Dinge im Wohnbereich repräsentieren, zumindest potentiell, das
Innenleben ihres Eigentümers. ... Die Objekte der häuslichen Domäne bilden also ein ökologisches
Zeichensystem, welches die Persönlichkeit ihres Besitzers sowohl abbildet wie formt."
45
Unter 'Zeichen' verstehen die Autoren nicht nur das, was im allgemeinen Sprachgebrauch
ausdrücklich als Symbol ausgewiesen wird. Sie gehen davon aus, dass alle Objekte ihres
Untersuchungsbereiches eine Zeichenfunktion besitzen, selbst wenn ihre instrumentelle Funktion
vielleicht offensichtlicher ist.
"Sogar rein instrumentelle Objekte dienen dazu, eine Person im Sinne der Ausbildung einer bestimmten
Gewohnheit oder einer bestimmten Lebensweise zu sozialisieren und repräsentieren als Zeichen diesen
Lebensstil.
Wenn ein Ding jemandem 'etwas bedeutet', so interpretiert er dieses im Bezugssystem seiner persönlichen
Erfahrung."
46
Auf der anderen Seite sind Symbole auch Abstraktionen von Erfahrungen und Gefühlen innerhalb
eines Kulturkreises, die zwar an nachfolgende Generationen tradiert werden, dabei aber einem
ständigen Wandel unterliegen.
Csikszentmihaly und Rochberg-Halton haben in ihrem Kapitel über "Das Wozu der Dinge" die
Auseinandersetzung mit Symbolen in den Bereichen der Tiefenpsychologie, Ethnologie und
Soziologie verfolgt, von denen nun die Rede sein soll.
Eine Grundannahme der Freudschen Tiefenpsychologie ist die, dass Objekte als Symbole des
44
Ebd., S.28.
45
Ebd., S.36.
46
Ebd., S.38f.

17
Verbotenen oder Verdrängten, also der innerpsychischen Kräfte, auftreten und diesen damit einen
Spannungsausgleich verschaffen. Entscheidend ist für ihn wie auch für Carl Gustav Jung der latente
Inhalt und nicht der reale Wert der Dinge in der Alltagspraxis.
47
In der ethnologischen Forschung werden Objekte in erster Linie auf ihre Funktion als
Machtsymbole untersucht. Dabei können "... Symbole ... sowohl 'Darstellung von' als auch 'Modell
für' Realität sein ..."
48
, das heißt sie sind nicht nur ein Zeichen für die reale Situation, sondern auch
für die Wunschvorstellungen der Zeichenträger
49
. Anders gesagt: Objekte können bestehende
Eigenschaften des menschlichen Selbst abbilden, reflektieren oder neue hervorrufen.
Die dritte Form des Gebrauchs von Objekten als Ausdrucksmittel des Selbst, die Gegenstand der
soziologischen Forschung und auch im öffentlichen Bewusstsein verankert ist, stellt das
Statusobjekt dar. Ursprünglich waren es physische Überlegenheit und Kraft, die Ansehen, Respekt
und auch den Neid anderer einbrachten. In Industriegesellschaften bedeutet Status Kontrolle über
psychische Energie anderer, die zu demjenigen aufschauen, der einen bestimmten Status verkörpert.
"Ein Statusträger setzt Maßstäbe und Normen, nach denen andere sich verhalten werden, und er verkörpert so
gesehen die Ziele einer Kultur."
50
Die Dinge, mit denen sich die Statusträger umgeben, werden zu den Symbolen ihres Ranges und für
alle begehrlich, die sich dieses Ansehen selbst verschaffen wollen. Wie erlangen die Objekte nun
den Wert von Statussymbolen?
"Ein gegebenes Objekt kann auf mancherlei Art zum Status-Symbol werden. Beispielsweise eignen sich selten
vorkommende Objekte als Status-Symbole, denn Seltenheit bedeutet, dass das Ding schwierig zu beschaffen oder
zu erwerben ist und daher für die Herstellung und Lokalisation große Investitionen an psychischer Energie
notwendig sind. Ein solches Objekt wird wiederum beachtet werden - vorausgesetzt, die Mitwelt erkennt ihre
Seltenheit - und so kann der Besitzer indirekt die Kontrolle über die psychische Energie anderer erlangen.
Wesentlich auf dieselbe Art wirken teure Objekte. In der Tat sind Seltenheit und Geldwert im Großen und
Ganzen gleichbedeutend, denn beide Begriffe beziehen sich auf das zur Herstellung eines Dings benötigte
Aufmerksamkeitsquantum. Auch das Alter eines Objekts erhöht seinen Statuswert, denn die meisten Produkte
menschlicher Tätigkeit sind nicht sehr langlebig."
51
47
Ebd., S.40 - 43.
48
Ebd., S.44.
49
Hier möchte ich ein interessantes Beispiel für die Bestätigung dieser Annahme zitieren, das nicht ohne Parallelen zum
Verhalten mancher Sammler ist:
"Natürlich beschränkt sich die individuelle Darstellung oder die Weckung von Machtgefühlen mittels Objektgebrauch
nicht auf schriftlose Gesellschaften. In unserer eigenen Kultur ist die enorme symbolische Bedeutsamkeit von
Verkehrsmitteln derart evident, dass man sie zu leicht schon für selbstverständlich hält. Vom ersten Dreirad im Kindesalter
bis hin zum 10-Gang-Fahrrad und später bis zum Motorrad oder Auto findet eine Vermehrung des physischen
Kraftpotentials des Besitzers durch eine immer mächtigere Maschinerie statt. Der Mensch kann dabei selber wie sein
Fahrzeug sein: auto-mobil, also im Wortsinne 'selbstbewegt'... In diesem beinahe narzistischen Interesse kann man eine
libidinöse, phallische Fixierung erkennen. Es scheint aber mehr daran zu sein, nämlich ein Ausdruck des Eros im weitesten
Sinne: Das Bedürfnis zu zeigen, dass man lebendig, bedeutsam und an seinem Platz in der Welt nicht austauschbar ist."
In: Ebd., S.44f.
50
Ebd., S.46.
51
Ebd., S.47.

18
An dieser Stelle darf schon auf die Praxis des Sammelns vorgegriffen werden: Seltene, teure und
vor allem alte Dinge gehören seit Jahrhunderten zu den beliebtesten Sammelobjekten. Noch heute
genießen Antiquitäten höchstes Ansehen; ihre Sammler distanzieren sich gerne von denen einfacher
Alltagsgegenstände und Massenartikel.
Die Verwendung von Statusobjekten dient einerseits der Distinktion des Individuums von
anderen Mitgliedern der Gesellschaft - andererseits sind Symbole auch Zugehörigkeitszeichen
52
zu
familiären, religiösen, politischen oder anderen Gruppierungen.
Die beiden Autoren gehen von drei Ebenen aus, in denen sich das Individuum in seinem Leben
orientiert, nämlich der persönlichen, der sozialen und der kosmischen. Innerhalb dieser drei Ebenen
kann es Objekte in differenzierender oder integrierender Weise verwenden, um seinen Platz in der
Welt zu bestimmen. Die Dialektik der menschlichen Existenz zwischen Individualität und Abhän-
gigkeit vom sozialen und kosmischen Umfeld findet je nach der Art der Gesellschaftsstruktur eine
andere Betonung:
"Verfolgt man anhand ethnographischer und historischer Quellen, wie sich der Begriff des 'Selbst' entwickelt hat,
so entsteht der Eindruck, dass die meisten Naturvölker das integrierte oder soziale Selbstkonzept zum Nachteil
personaler Einzigartigkeit stark betont haben. In neuzeitlichen westlichen Kulturen dagegen herrscht die Tendenz
vor, eine differenzierte und besonders stark individualisierte Auffassung des Selbst zu betonen."
53
Daraus leiten die Autoren die Gefahr einer unkontrollierbaren Fragmentierung in unserer Kultur ab,
die mit dem Schwinden der traditionellen Wertvorstellungen und der Rationalisierung der
Arbeitswelt einhergehen. Zusammenfassend beschreiben sie diese Dialektik so:
"Objekte dienen also dem Ausdruck oder der Übermittlung dynamischer Prozesse im intrapersonalen und im
interpersonalen Bereich sowie im Felde der Mensch-Umwelt-Relation. Der Effekt dieser Prozesse kann in zwei
verschiedene Richtungen gehen: zunehmend spezifische Differenzierung oder wachsende Integration. Objekt-
Transaktionen sind entweder abbildender Natur, also eine Darstellung ('model of') eines bestimmten
Umweltaspekts, oder sie sind in aktiv stimulierender und schöpferischer Weise ein Modell ('model for') für die
Umgebung."
54
Infolgedessen ist das Verhältnis zwischen investierter Energie und dem Feedback, das die Dinge
bieten oder auch nicht, immer entscheidend für das Konstruieren des Selbst. Stimmt dieses
Verhältnis, dann ist die Entfaltung der Persönlichkeit des Handelnden gewährleistet. Die Interaktion
mit Objekten beeinflusst aber auch die Sozialisation, kann sie fördern oder hemmen:
"Wenn unsere Aufmerksamkeit von der Welt der Dinge exzessiv absorbiert wird, bleibt nicht genügend
psychische Energie zur Kultivation der Interaktionen mit der restlichen Welt. Wenn die Aufmerksamkeit
ausschließlich auf ein Ziel des materiellen Konsums - oder des Materialismus - gelenkt wird, so besteht die
Gefahr, dass man sich nicht genügend der Kultivation der Persönlichkeit, der zwischenmenschlichen
Beziehungen oder umfassenderen, lebenswirksamen Sinnvollzügen zuwenden kann. ... Objekte beeinflussen die
52
Ebd., S.54 - 57.
53
Ebd., S.57.
54
Ebd., S.59f.

19
Möglichkeiten des Menschen entweder durch Erweiterung oder durch Einengung des persönlichen Horizonts von
Denken und Handeln. Und weil jemandes Tun zu weiten Teilen seine Persönlichkeit ausmacht, kann man sagen,
dass Objekte einen determinierenden Einfluss auf seine personale Entwicklung haben. Deshalb ist es so
entscheidend, die zwischen Menschen und Dingen existierende Art von Beziehung zu verstehen."
55
Weil die Transaktionen mit Objekten einen so bedeutenden Einfluss auf das Verhältnis des
Individuums zu sich selbst, seinen Mitmenschen und seiner kosmischen Umwelt haben, ist es
unerlässlich, die menschliche Individualentwicklung in Bezug auf den Umgang mit Dingen zu
untersuchen. Dabei lassen sich in den aufeinanderfolgenden Phasen des Lebenszyklus im
Allgemeinen jeweils andere Objektinteraktionen feststellen
56
.
In den ersten Lebensjahren findet eine Formung des Selbst vor allem durch motorische
Interaktionen mit allen erreichbaren Objekten statt, das Baby und Kleinkind lernt, seine Umwelt im
doppelten Wortsinn zu 'begreifen', um sich gleichzeitig als Individuum von ihr abzugrenzen.
Die Heranwachsenden legen die Grenzen ihres Ichs fest, indem sie ihre Gefühlswelt zu ordnen
versuchen. Die Untersuchung von Csikszentmihaly und Rochberg-Halton hat gezeigt, dass für
Jugendliche der Umgang mit Stereoanlagen, Musikinstrumenten und Fernsehgeräten sehr wichtig
ist
57
, da diese Instrumente einerseits Entspannung verschaffen und andererseits Möglichkeiten des
Umgangs mit Gefühlen aufzeigen, indem sie Vorbilder dafür anbieten.
Im Erwachsenenalter werden die Intentionen zunehmend auf Dritte (z.B. die Familie)
ausgerichtet. Das wird damit erklärt, dass den meisten Menschen die auf sie selbst gerichteten Ziele
im Laufe ihrer persönlichen Entwicklung nicht mehr genügen. Die Erkenntnis der eigenen
Vergänglichkeit mag dabei mitspielen, dass das ganz persönliche Wertesystem allein nicht mehr
befriedigt.
"So gesehen ist die Kultivation umfassenderer Ziele und dauerhafterer Formen der Ordnung attraktiver. ...
Objekte, die für Erinnerungen, für soziale Beziehungen, für die Familie und für Werthaltungen stehen, werden
wichtiger. Im fortgeschrittenen Alter steht der Objektbesitz, der Zugehörigkeit und Bindung repräsentiert, im
Mittelpunkt."
58
Das bedeutet, dass es einen Zusammenhang zwischen der Qualität der Objektbeziehungen und den
menschlichen Lebensphasen gibt.
Die Auswahl der Ziele ist geschlechtsspezifisch, so überwiegt bei den Frauen die klassische
Betonung der familiären Sphäre. Aber auch bei den männlichen Untersuchten wurde eine
Zuwendung zu Zielen aus dem Bereich der Privatumwelt festgestellt:
55
Ebd., S.69.
56
Ebd., S.131 - 135.
57
Hier drängt sich die Frage auf, was wohl vor der Existenz dieser Unterhaltungsmaschinerie dazu gedient hat? Es könnten
Bücher und später Schallplatten gewesen sein, die sowohl den funktionalen Nutzen als Mittel zur Zerstreuung als auch den
differenzierenden Aspekt durch die Wahl der Autoren oder Interpreten in sich tragen. Ein Beispiel aus dem Bereich der
sammelbaren Dinge sind Starpostkarten, die in den 50er Jahren ein bei Teenagern überaus beliebtes Sammelobjekt waren.
58
M. Csikszentmihaly/ E. Rochberg-Halton: Der Sinn der Dinge, S.134.

20
"Möglicherweise ist es schon immer so gewesen, und wir haben einfach den Stellenwert religiöser, politischer
und kultureller Ziele der Menschen in vergangenen Zeiten überschätzt. Möglich ist aber auch, dass wir Zeugen
einer Rückkehr zu Zielstrebungen sind, die man mit einem persönlich nahestehenden Menschen teilen kann, dass
wir eine Abwendung von der Partizipation an umfassenderen Zielsystemen miterleben. Möglich ist auch, dass wir
von der Praktikabilität einer Verklammerung individualer und gemeinschaftlicher Ziele in unserer Gesellschaft
enttäuscht worden sind. Vielleicht haben wir erfahren, dass religiöse und politische Wertsysteme fragil und ohne
Bestand sind und bisher keine neue Ordnung hervorgetreten ist, um an ihre Stelle zu treten. Daher haben wir uns
wieder Zielen zugewandt, die dem Heim näher sind."
59
Im empirischen Teil ihrer Studie sind Csikszentmihaly und Rochberg-Halton der Bedeutung des
Heimes als symbolische Umwelt nachgegangen. Es würde hier zu weit führen, die für die Kultur-
wissenschaft durchaus interessanten Ergebnisse vollständig aufzulisten.
Entscheidend ist aber ihre Feststellung, dass die Objekte des Wohnbereiches "... Zeichen eines
größeren Netzes von Bedeutungen werden, welche die ganze 'Welt' umspannen."
60
Nach den
Aussagen mancher Interviewpartner gewinnen sie über ihre Lieblingsobjekte einen Blick hinaus in
die Welt, Freude, Freiheit und Autonomie. Das Heim gilt als der ideale Platz, seine Ideen
auszuleben:
"Die Bedeutung des Heims beruht auf der Tatsache, dass es Raum für Aktion und Interaktion bietet, in dem man
seine Identität entwickeln, pflegen und verändern kann. In der Privatheit des Heims kann man ohne Furcht vor
Ächtung oder Spott eigene Zielsetzungen kultivieren. Das Heim ist ein Ort für eben die Personen und Objekte,
die unser Selbstkonzept bestimmen. Dadurch wird es für die meisten Menschen ein unverzichtbares symbolisches
Ambiente."
61
Im bisherigen Verlauf haben die Autoren die Bedeutung der Dinge für den Menschen betont. Wie
erlangen diese Dinge aber ihre spezifische Bedeutung?
Dazu greifen Csikszentmihaly und Rochberg-Halton das eingangs erläuterte Modell von der
Aufwendung psychischer Energie in der Transaktion mit Objekten auf:
"Sie (die Objekte; d.Verf.) selbst sind Zeichen, objektivierte Formen psychischer Energie."
"Zusammenfassend ist also zu sagen, dass die Bedeutung liebgewordener persönlicher Dinge in der Transaktion
zwischen Person und Objekt verwirklicht wird. Transaktionen sind psychische Aktivitäten (oder kommunikative
Zeichenprozesse) und nicht lediglich physische Verhaltensweisen per se, wenngleich physisches Verhalten
beteiligt sein kann. Schließlich gibt es verschiedene Transaktionsmodi."
62
Drei Transaktionsmodi sind an dem Kultivationsprozess zwischen Personen und Dingen
maßgeblich beteiligt. Diese sind erstens die Rezeption der ästhetischen Qualität des Objektes,
zweitens die Aufwendung psychischer Energien in Form von Aufmerksamkeit für das Objekt und
drittens der Verlauf einer Transaktion, "Ziel" genannt.
59
Ebd., S.135.
60
Ebd., S.153.
61
Ebd., S.157.
62
Ebd., S.185 und S.186.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1991
ISBN (eBook)
9783836640022
Dateigröße
4.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen – Sozial- und Verhaltenswissenschaften 08, Empirische Kulturwissenschaft
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
sammler dingkultur objektbeziehung alltagskultur sachkultur
Zurück

Titel: Sammeln: Zur Bedeutung eines Kulturmusters
Cookie-Einstellungen