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My Home is My Castle: Die Rückverlagerung von Auslandsproduktion nach Deutschland

©2009 Masterarbeit 83 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘Norden, Süden, Osten, Westen – zu Hause ist es doch am besten.’
Genau diese größtenteils schmerzhafte und sicherlich teure Einsicht mussten viele deutsche Unternehmer besonders in den letzten Jahren machen und ihre zuvor ins Ausland verlagerte Produktion aufgeben und wieder zurück nach Deutschland kommen. Die Gründe für ihr Scheitern sind vielfältig und reichen von schlechter Vorbereitung und mangelndem Marktverständnis über Unterschätzung von kulturellen Differenzen, arbeitsrechtlichen Bedingungen und anderen lokalen Gegebenheiten bis hin zu Korruption und hoher Fluktuation der Fachkräfte im Zielland.
‘Cocooning” (sich in einen Kokon einspinnen, sich verpuppen) bezeichnet das Zurückziehen in die eigenen vier Wände und ist laut Trend- und Marktforschern eine neue Tendenz im 21. Jahrhundert, die insbesondere in Zeiten von Krisen und Rezession (wie etwa nach den Terroranschlägen vom 11.09.2001 oder in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09) an Bedeutung gewinnt, wenn die Welt als zunehmend unsicher, unübersichtlich und bedrohlich empfunden wird. Die Menschen erhoffen sich durch ihren Rückzug ins Private weniger Stress, mehr Sicherheit und mehr Kontrolle. Besonders in den letzten Jahren ist genau diese Beobachtung auch auf ‘höherer Ebene’ aktueller denn je: Deutsche Unternehmen, die zuvor ihre Produktion ins Ausland verlagerten, treten etwas später den Rückzug aus dieser für sie unsichereren Umgebung in die behütete Heimat an – eine klassische Rückverlagerung, getreu dem Motto ‘My home is my castle’ bzw. dem sinngemäßen deutschen Äquivalent ‘Trautes Heim, Glück allein’.
Als allgemeine Problematik bei der Erstellung dieser Arbeit zeigte sich, dass Rückverlagerungen nicht in aktuell verfügbaren Statistiken erfasst oder gemessen werden und daher offiziell ‘unsichtbar’ erscheinen. Die Tatsache, dass das Phänomen der Rückverlagerung bisher in der Forschung, abgesehen von einigen wenigen empirischen Studien und Veröffentlichungen (die quantitativen Umfragen des Fraunhofer Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung ‚ISI’), nur wenig systematische Beachtung gefunden hat, erschwert die Recherche zu diesem Thema beträchtlich. Die Berichterstattung im Wirtschaftsteil nichtwissenschaftlicher Zeitungen und Zeitschriften (oder im Fernsehen) beschränkt sich meist auf willkürlich ausgewählte, plakative Fallbeispiele und beschreibt den Sachverhalt nur einseitig und oberflächlich: Eine Fokussierung auf die […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


INHALTSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

TABELLENVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

1 Einleitung

2 Warum ins Ausland? – Verlagerung des Produktionsstandortes
2.1 Wie fing es an? – Vorgeschichte der Internationalisierung
2.2 Wer verlagert? – Charakterisierung typischer Verlagerer
2.3 Warum wird verlagert? – Motive für die Produktionsverlagerung
2.4 Wohin wird verlagert? – Favorisierte Zielregionen

3 Warum zurück nach Deutschland? – Rückverlagerungsgründe
3.1 Qualität
3.2 Kosten
3.2.1 Lohn
3.2.2 Schnittstellenmanagement
3.2.3 Logistik und Transport
3.2.4 Unterschätzung der Komplexität
3.3 Personal
3.4 Kultur und Sprache
3.5 Lokale Anpassung
3.6 Standortwahl
3.7 Netzwerke
3.8 Gesetzeslage
3.9 Wirtschaftskriminalität
3.10 Weitere Aspekte

4 Was hätte man besser machen können? – „Lessons learned“
4.1 Informationsbeschaffung und Beratung
4.2 Standortwahl
4.3 Personal
4.4 Kultur
4.5 Wirtschaftskriminalität
4.6 Weitere Aspekte

5 Alternativen zur Verlagerung

6 Schlussbetrachtung

7 LITERATURVERZEICHNIS

EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Verlagerungs- und Rückverlagerungsmotive im Zeitverlauf

Abbildung 2: Anteile der Verlagerer und Rückverlagerer im Zeitverlauf

Abbildung 3: Vorgehensmodell bei der strategischen Standortbewertung

Abbildung 4: Systematik relevanter Standortfaktoren

Abbildung 5: Deutschland und China im Kulturvergleich nach Hofstede

TABELLENVERZEICHNIS

Tabelle 1: Rückverlagerungsgründe 2001-2003

Tabelle 2: Fachliche und persönliche Anforderungen an entsandte Mitarbeiter

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

„Norden, Süden, Osten, Westen – zu Hause ist es doch am besten.“

Genau diese größtenteils schmerzhafte und sicherlich teure Einsicht mussten viele deutsche Unternehmer besonders in den letzten Jahren machen und ihre zuvor ins Ausland verlagerte Produktion aufgeben und wieder zurück nach Deutschland kommen[1]. Die Gründe für ihr Scheitern sind vielfältig und reichen von schlechter Vorbereitung und mangelndem Marktverständnis über Unterschätzung von kulturellen Differenzen, arbeitsrechtlichen Bedingungen und anderen lokalen Gegebenheiten bis hin zu Korruption und hoher Fluktuation der Fachkräfte im Zielland.

“Cocooning” (sich in einen Kokon einspinnen, sich verpuppen) bezeichnet das Zurückziehen in die eigenen vier Wände und ist laut Trend- und Marktforschern (z. B. Gesellschaft für Konsumforschung GfK – Haslauer 2009) eine neue Tendenz im 21. Jahrhundert, die insbesondere in Zeiten von Krisen und Rezession (wie etwa nach den Terroranschlägen vom 11.09.2001 oder in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09) an Bedeutung gewinnt, wenn die Welt als zunehmend unsicher, unübersichtlich und bedrohlich empfunden wird (Haslauer 2009; http://egonet.de/ ego/1202/art3.php). Die Menschen erhoffen sich durch ihren Rückzug ins Private weniger Stress, mehr Sicherheit und mehr Kontrolle. Besonders in den letzten Jahren ist genau diese Beobachtung auch auf „höherer Ebene“ aktueller denn je: Deutsche Unternehmen, die zuvor ihre Produktion ins Ausland verlagerten, treten etwas später den Rückzug aus dieser für sie unsichereren Umgebung (siehe auch IfM 2007: 57) in die behütete Heimat an (siehe auch Hirsch-Kreinsen, Schulte 1999: 13 sowie Peters, Reinhardt, Seidel 2006: 86) – eine klassische Rückverlagerung, getreu dem Motto „My home is my castle“ bzw. dem sinngemäßen deutschen Äquivalent „Trautes Heim, Glück allein“.

Als allgemeine Problematik bei der Erstellung dieser Arbeit zeigte sich, dass Rückverlagerungen nicht in aktuell verfügbaren Statistiken erfasst oder gemessen werden und daher offiziell „unsichtbar“ erscheinen (siehe auch Schulte 2002: 51ff. und 115f.). Die Tatsache, dass das Phänomen der Rückverlagerung bisher in der Forschung, abgesehen von einigen wenigen empirischen Studien und Veröffentlichungen (die quantitativen Umfragen des Fraunhofer Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI), z. B. Kinkel, Lay, Maloca 2004; Schulte 2002; DIHK 2007), nur wenig systematische Beachtung gefunden hat, erschwert die Recherche zu diesem Thema beträchtlich. Die Berichterstattung im Wirtschaftsteil nichtwissenschaftlicher Zeitungen und Zeitschriften (oder im Fernsehen) beschränkt sich meist auf willkürlich ausgewählte, plakative Fallbeispiele und beschreibt den Sachverhalt nur einseitig und oberflächlich[2] (siehe auch Peters, Reinhardt, Seidel 2006: 82; IfM 2007: 55 und 150; Schulte 2002: 49, 103ff. u. A.; Fröbel, Heinrichs, Kreye 1987: 26): Eine Fokussierung auf die Kernbereiche („zurück zum Kern“ – Deutsch 1995: 84), ein „erfolgreicher Turnaround in Deutschland“ (o. V. 1998b: 89) oder ein „Bekenntnis zum Heimatstandort Deutschland“ (Hage 2007b; Leimbach 2003: 41) werden von den jeweiligen Pressesprechern gerne als offizieller Grund für die Rückverlagerung genannt – die „wahren“ Ursachen, Auslöser und Hintergründe der Entscheidung bleiben oft im Verborgenen. Da derartige Managemententscheidungen, zumindest aus Sicht der Verantwortlichen und wohl auch der breiten Öffentlichkeit, mit einem Eingeständnis des „Scheiterns“ verbunden werden (siehe auch Schulte 2002: 118f. und 234; „öffentliche[s] Bekenntnis […] zu peinlich“ – Müller 1996; „nicht gern über die eigenen Versäumnisse geredet“ – Kurzer 2006; „mit deutlich weniger Tamtam“ – Tietz 2008: 112), ist es auch nahezu unmöglich, eine objektive und ungeschönte Stellungnahme der betroffenen Unternehmen zu erhalten, um die Hintergründe und Motive tiefgehend beleuchten zu können[3].

Aufgrund dieser schwierigen „Faktenlage“ konnte nur sehr eingeschränkt (u. A. m. H. der Datenbanken Business Source Premier, EconPress, GENIOS, ScienceDirect) auf wissenschaftliche Veröffentlichungen und empirische Forschungsergebnisse o. Ä. zurückgegriffen werden, und die Informationsbeschaffung musste einfallsreicher gestaltet werden: Stichwortsuchen auf aktuellen deutschen und internationalen Internetseiten und in Suchmaschinen (z. B. „Rückverlagerung“, „Relocation“, „Rückkehr“, „Produktion zurück“, „zieht sich aus [Land] zurück“ mit allen Ländern dieser Welt, etc.), das Sichten der Archive einschlägiger Tageszeitungen und Wirtschaftszeitschriften ergänzt durch Recherchen bei Wirtschaftsverbänden und Bundesministerien lieferten vielfältige Berichte über betroffene deutsche Unternehmen; quantitative Daten fanden sich beim Statistischen Bundesamt und beim Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaften (Eurostat). Email-Anfragen bei sämtlichen Industrie- und Handelskammern (IHK) in Deutschland und allen deutschen Außenhandelskammern (AHK) und Botschaften der Welt lieferten allgemeine Hinweise und Erfahrungen. Darüber hinaus nahm die Verfasserin im August und September 2009 an einer Summer School in Shanghai teil, in dessen Rahmen chinesische Niederlassungen verschiedener deutscher Firmen besucht wurden. Die ausführlichen Erfahrungsberichte der deutschen Manager vor Ort bestätigten die zuvor aus der Theorie gewonnenen Erkenntnisse.

In der gängigen Managementliteratur werden verschiedene Theorien der Internationalisierung behandelt. Am bekanntesten sind sicherlich die sog. Phasen- oder Stufenmodelle, die die Entwicklung der Unternehmensaktivitäten vom ausschließlichen Export bis hin zum Aufbau einer eigenen Tochtergesellschaft im Ausland darstellen (sozusagen eine „Einbahnstraße in die Internationalität“; z. B. Johanson, Vahlne 1977; Kokalj, Wolff 2001: 2f.; Meissner, Gerber 1980: 224; siehe auch Winterhalder 2001: 3). Diese lediglich aufsteigenden Modelle sehen keine Möglichkeit für die Fälle vor, die Gegenstand dieser Arbeit sind, nämlich Fälle von gegenläufigen Entwicklungen: Firmen, die ihre ausländischen Betriebsstätten zurück nach Deutschland holen und somit auf der „Internationalisierungsleiter“ einen Schritt zurückgehen. Doch ist in diesem Fall ein Schritt zurück auch sogleich ein Rückschritt? Oft nicht, wie die Ausführungen im Folgenden zeigen.

Nach einer kurzen Charakterisierung des „typischen Verlagerers“ werden in Kapitel 2 mehrere Motive für den Schritt der Verlagerung ins Ausland aufgezeigt sowie die beliebtesten Zielregionen vorgestellt. Darauf aufbauend beschäftigt sich Kapitel 3 mit der Frage „Warum zurück?“, behandelt also ausführlich verschiedenste Gründe für das Scheitern des Auslandsengagements und die Rückkehr nach Deutschland. In Kapitel 4 werden Handlungsempfehlungen zu einigen zentralen Aspekten formuliert, um diesen Fehlern vorzubeugen und eine ausgewogene und systematische Standortentscheidung herbeizuführen. Kapitel 5 thematisiert Alternativen zur Verlagerung und macht auf Optimierungspotentiale am Heimatstandort aufmerksam. Eine Schlussbetrachtung in Kapitel 6 rundet diese Arbeit ab.

2 Warum ins Ausland? – Verlagerung des Produktionsstandortes

„Globalisierung ist für unsere Volkswirtschaften das, was für die Physik die Schwerkraft ist. Man kann nicht für oder gegen das Gesetz der Schwerkraft sein - man muss damit leben“ (o. V. 1998a). Dieses Zitat des französischen Ökonomen Alain Minc wird oft im Zusammenhang mit dem Thema Globalisierung genannt: eine unausweichliche Entwicklung, die die Betroffenen nicht nur akzeptieren müssen, sondern deren Chancen und Risiken jedes einzelne Unternehmen für sich evaluieren sollte. Die Verflechtung von Volkswirtschaften, Märkten und Unternehmen wird immer stärker, sodass nicht nur die traditionellen „Global Player“, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zunehmend ihr Auslandsengagement aufnehmen bzw. erweitern und damit ebenfalls internationale Standortentscheidungen treffen (Feldmeier, Lukas, Simmet 2007: 19; Hirsch-Kreinsen, Schulte 1999: 1f.; Schulte 2002: insb. 59f. und 82; Kinkel 2004: 2; siehe auch EY 2007: 22 und 35; von Behr 2000: 2; siehe auch DIHK 2003: 1ff.).

2.1 Wie fing es an? – Vorgeschichte der Internationalisierung

Nach dem 2. Weltkrieg war ein starker Anstieg im internationalen Handel zu verzeichnen, vor allem bedingt durch den Abbau von Handelshemmnissen im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens („General Agreement on Tariffs and Trade“) GATT (Römer 2007: 12). Die fortschreitende Deregulierung der Märkte in den folgenden Jahren unterstützte diese Entwicklung (siehe auch Dunning 1993: 129f.). Flugzeug und Computer läuteten eine neue Ära von Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten ein (siehe auch Peters, Reinhardt, Seidel 2006: 44 sowie Schulte 2002: 66; BDI 2001a: 23f.; dennoch ist die Distanz zwischen den Ländern nicht zu unterschätzen – Ghemawat 2001: 138 und 147). So ist es nicht überraschend, dass der internationale Handel in den Jahren 1945 bis 1960 einen sehr bemerkenswerten Anstieg zu verzeichnen hatte[4] (Dunning 1993: 126). In den folgenden Jahrzehnten begannen die Länder zunehmend, die Vorteile der Arbeitsteilung und der fortschreitenden Internationalisierung zu sehen (Dunning 1993: 128; siehe auch Fröbel, Heinrichs, Kreye 1987: 26). Insbesondere seit Beginn der 90er Jahre ist neben wachsenden Exporten ein starker Anstieg deutscher Direktinvestitionen im Ausland zu beobachten (Römer 2007: 7 und 14; Kinkel, Lay 2000: 3; Kokalj, Wolff 2001: 18ff.). Kritiker sehen die Gefahr, Deutschland könne zu einer „Basarökonomie“[5], also zu einem bloßen Umschlagplatz für Güter, werden, da die Fertigungstiefe abgenommen[6] und die Vorleistungsverflechtung mit dem Ausland zugenommen hat – letztlich lediglich ein Ausdruck zunehmender internationaler Arbeitsteilung (ibid.: 59).

Globalisierung sei eine Entwicklung, die die Welt näher zusammenrücken lasse und Arbeitsteilung in der Wirtschaft vorantreibe, so Rogowski (2002: 5; siehe auch BMWi 2006: 9). Die Globalisierung der Weltwirtschaft nimmt somit auch zunehmenden Einfluss auf die deutsche Wirtschaft. Investitionsentscheidungen werden heutzutage zunehmend aus global ausgerichteter Perspektive, d. h. auch unter Berücksichtigung von Produktionsstandorten außerhalb der eigenen Landesgrenzen, getroffen[7] (Hickel 1996: 711; von Behr 2000: 3; siehe auch „global sourcing“ - Gelbrich, Greipl, Müller 2005: 96ff.; „worldwide sourcing“ - Fröbel, Heinrichs, Kreye 1987: 25; Schulte 2002: 65f.).

Gegner dieser fortschreitenden Entwicklung werfen den verlagernden Unternehmen mangelnden Patriotismus und Flucht aus dem Standort Deutschland vor und machen sie für die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland verantwortlich[8] (siehe auch Schulte 2002: 98f.). Tatsächlich zeigen empirische Studien lediglich, dass ungelernte Niedrigverdiener die Verlierer und gut ausgebildete Gutverdiener die Gewinner von Globalisierung und Auslandsverlagerung sind (Geishecker, Görg 2004a und 2004b; Hijzen, Görg, Hine 2004). Eine Untersuchung der Boston Consulting Group (Kröger 2004) zeigt außerdem, dass der Trend zur Produktionsverlagerung in Niedriglohnländer noch am Anfang stehe und bis 2015 dadurch rund 2 Millionen Industriearbeitsplätze in Deutschland wegfallen könnten. Andere wissenschaftliche Studien (z. B. Römer 2007: besonders 51ff.; Kinkel, Jung Erceg, Lay 2002: 10f.; siehe auch Becker, Jäckle, Mündler 2005: 23 und 31) konnten allerdings belegen, dass die Arbeitsplatzeffekte bei Weitem nicht so groß wären wie in Kritikerkreisen konstatiert wird. Ganz im Gegenteil sicherten Auslandsinvestitionen nicht zuletzt auch Erfolg und Wachstum am Heimatstandort[9] und damit die Arbeitsplätze im Inland (BDI 1999; DIHK 2007: 32; Geishecker, Görg 2004a; Hage 2007a; IfM 2007: 60f.; Nederstigt, Roos, Louven 2005: 20; Piotti 2007: 22; Schulte 2002: 222; http://www.standorte-bewerten.de/; siehe auch Nusser et al. 2007: 62). Sie geben Wachstumsimpulse für den deutschen Betrieb und erhalten und steigern dadurch seine Wettbewerbsfähigkeit (siehe auch Hölper 2008)[10].

Die Zielsetzung, deutsche Unternehmen von Verlagerungen abzuhalten, ist also kontraproduktiv, wenn die langfristigen positiven Effekte auch anfängliche negative Auswirkungen nachhaltig kompensieren können[11] (Kinkel, Jung Erceg, Lay: 11; IfM 2007: 160f.). Darüber hinaus wird auf die Gefahr hingewiesen, in nationalstaatlichen Protektionismus als anderes Extrem zu verfallen[12] (Rogowski 2002: 6; siehe auch BMWi 2006: 11, 26f. und 31).

2.2 Wer verlagert? – Charakterisierung typischer Verlagerer

Parallel zur zunehmenden Integration der Weltmärkte zeigt sich eine Desintegration der Produktionsprozesse (Brautzsch, Ludwig 2005: 513). Ein Drittel der von Kinkel, Jung Erceg und Lay (2002: 7) befragten Betriebe verfügt bereits über mindestens einen Produktionsstandort im Ausland. In einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) gaben 41% der befragten Unternehmen an, im Ausland investieren zu wollen (2006: 5f.). Insbesondere Unternehmen, die traditionell exportstark und investitionsgüterorientiert sind, tendieren zu Auslandsinvestitionen (Römer 2007: 44; IfM 2007: 63). In einer Studie des Fraunhofer ISI (Kinkel 1996) gaben 17% der Betriebe im investitionsgüterproduzierenden Gewerbe an, in den letzten zwei Jahren Teile ihrer Produktion ins Ausland verlagert zu haben (siehe Kinkel, Lay 2000 zu ihrer starken Orientierung an globalen Märkten); bei den großen Betrieben mit 500 und mehr Mitarbeitern waren es sogar 54% (siehe auch Kinkel, Wengel 2998: 3; Peters, Reinhardt, Seidel 2006: 89f.; DIHK 2007: 23; IfM 2007: 107f. und 151ff.). Verlagerer sind also eher die großen Unternehmen und weniger der Mittelstand (Brenken et al. 2005: 650; EY 2009: 24; Römer 2007: 45; kleine Unternehmen entscheiden sich tendenziell für Outsourcing, große Unternehmen favorisieren eine eigene Niederlassung – Kinkel, Lay, Maloca 2004: 3), da gerade KMU erfolgskritischen Faktoren wie Standortproblemen und Wettbewerbsdruck viel stärker ausgesetzt sind[13] (Winterhalder 2001: 2f.).

Eine Schwerpunktsetzung in den Bereichen Innovation und Technologie spricht für die Errichtung einer Auslandspräsenz des Unternehmens, wohingegen Betriebe, bei denen hohe Qualität von Bedeutung ist, eher weniger im Ausland präsent sind (Kinkel, Lay 2000: 4). In geringerem Maße betroffen sind außerdem Produkte, die pünktlich zu einem vereinbarten Termin geliefert werden müssen, nur mit großem Aufwand oder Risiko transportierbar oder sehr stark auf den örtlichen Markt ausgerichtet sind (Kröger 2004).

Kinkel und Lay (2004b: 4) beobachten folgende sektorspezifische Verlagerungs- und Rückverlagerungsmuster: Hersteller von Metallerzeugnissen sind besonders standortverbunden, Hersteller von Geräten der Elektrizitätserzeugung u. Ä. stellen sich als Verlagerer mit geringer Rückkehrneigung heraus, Unternehmen der chemischen Industrie verlagern eher zurückhaltend und neigen zur Rückkehr, wohingegen insbesondere Unternehmen aus dem Fahrzeugbau als „flexible Out- und Backsourcer“ auffallen (siehe auch Kinkel 1996; Kinkel, Maloca 2008a: 9), gefolgt von der Elektroindustrie und der Textil- und Bekleidungsindustrie (Kinkel, Maloca 2008a: 5; siehe auch Fröbel, Heinrichs, Kreye 1987: 33). Eine Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM 2007) im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) ergab: Am meisten verlagern die Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, am wenigsten im Dienstleistungsbereich – IfM 2007: 74ff. und 152; BDI 2001a: 113).

Kinkel und Lay (2004b: 9) beobachten weiterhin, dass Produktionsverlagerungen am wahrscheinlichsten sind bei großen Serien (http://www.standorte-bewerten.de/; siehe auch Kinkel, Jung Erceg, Lay 2002: 2; Fleisch et al. 2004: 14f.), geringer FuE-Quote (Forschung und Entwicklung), mittlerer Produktkomplexität (siehe auch Peters, Reinhardt, Seidel 2006: 75 und 89f.), geringer regionaler Vernetzung, einem niedrigen Kapital-Arbeitskosten-Verhältnis (bzw. hohem Lohnkostenanteil, siehe Feldmeier, Lukas, Simmet 2007: 63; siehe auch Kinkel, Lay, Maloca 2004: 56 und 62), hohem Montageaufwand und gut transportierbaren Gütern (Kröger 2004; weiterführend siehe Kapitel 5).

Die von Feldmeier, Lukas und Simmet (2007) untersuchten mittelständischen Unternehmen mit erfolgreichem Auslandsengagement differenzieren sich durch ihre klare Angebotsspezialisierung, hohe Schnelligkeit, Zuverlässigkeit und Flexibilität sowie führende Technologie- und Qualitätsstandards (insb. ibid.: 5, 36 und 42).

2.3 Warum wird verlagert? – Motive für die Produktionsverlagerung

Das internationale Geschäft ist Deutschlands Konjunkturmotor und um der Konkurrenz voraus zu sein, muss man im Ausland wachsen (WV 2009; siehe auch Kinkel, Wengel 1998), da sind sich die Unternehmen mit erfolgreichen Auslandsengagements einig.

Als Erklärung von internationalem Güteraustausch und Direktinvestitionen im Ausland argumentierte der Ökonom Adam Smith bereits 1776 mit seiner „Theorie der absoluten Kostenvorteile“[14]. Starker (inländischer und ausländischer) Wettbewerb (siehe auch Feldmeier, Lukas, Simmet 2007) und ein dadurch verursachter hoher Kostendruck (siehe auch Kurzer 2006) verstärken diese Entwicklung noch (Habedank 2006: 39).

Zusätzlich begünstigt wird diese Tendenz durch sinkende Transaktions-, Transport- und vor allem Kommunikationskosten (Fröbel, Heinrichs, Kreye 1987: 26; Hickel 1996: 711; Piotti 2007: 5; Brautzsch, Ludwig 2005: 513; vgl. auch Doig et al. 2001: 25; Nusser et al. 2007: 65; Kannegiesser 2006: 382; „technische Revolution“ – Rogowski 2002: 7; von Behr 2000: 2; siehe auch Rothengatter, Schaffer 2008: 25f. zur wachsenden Bedeutung des internationalen Handels) und die zunehmende Deregulierung der Märkte („institutionelle Ursache“ der Standortverlagerung – Peters, Reinhardt, Seidel 2006: 44; siehe auch Feldmeier, Lukas, Simmet 2007: 75f.; von Behr 2000: 2; beispielsweise durch die Gründung der Welthandelsorganisation („World Trade Organization“) WTO[15] ; Rogowski 2002: 22; Schulte 2002: 65).

Heutzutage sind Unternehmen oft durch Änderungen im Marktgeschehen zu schnellen und unmittelbaren Reaktionen gezwungen (Römer 2007: 11). Außerdem sind die Aktivitäten multinationaler Unternehmen meist motiviert durch die Interessen ihrer Anspruchsberechtigten, wie Mitarbeiter, Manager und Anteilseigner (Dunning 1993: 54). Die vielschichtigen Gründe für Auslandsinvestitionen und -verlagerungen liegen also in der Situation des Unternehmens, der Wettbewerbsposition und den Rahmenbedingungen (Hage 2007a; IKB 2001: 9).

Geishecker und Görg (2004a: 2) unterscheiden zwischen horizontalen und vertikalen Auslandsinvestitionen: Horizontale Investitionen beziehen sich auf die Erschließung und Sicherung neuer Absatzmärkte (SZ 1995; BDI 1999), folgen also einem Marktmotiv (siehe auch Römer 2007: 19f.) und stellen eine Alternative zum klassischen Export dar. Diesem Marktmotiv ist den Ergebnissen mehrerer empirischer Studien zufolge der Großteil der Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen zuzuschreiben (IKB 2001: 10; Habedank 2006: 83; ca. 65% nach Römer 2007: 43; Kinkel, Lay 2004b; Kinkel, Wengel 1998; Kinkel, Jung Erceg, Lay 2002; Kinkel, Maloca 2008a; Kinkel, Maloca 2008b).

Vertikale Investitionen haben eine Reduzierung der Produktionskosten zum Ziel, sind also in einem Kostenmotiv[16] begründet (Geishecker, Görg 2004a: 2; Habedank 2006: 83; IKB 2001: 10; ca. 35% nach Römer 2007: 43; siehe auch Becker, Jäckle, Mündler 2005: 32).

Nach Schulte (2002: 71f. und 133ff.; siehe auch Kinkel 2009; Kinkel 2004: 4f.; Peters, Reinhardt, Seidel 2006: 85f.) werden grundlegend vier Internationalisierungsstrategien unterschieden: (1) Kostenreduktion, (2) Markterschließung, (3) „Follow the Customer“ und (4) Technologie- bzw. Wissenserschließung.

(1) Je stärker der Anteil von Lohn- oder Arbeitskosten an den Gesamtkosten der Produktion ist, desto wichtiger wird das Motiv der „Kostenreduktion“, was gleichzeitig der meistgenannte Verlagerungsgrund in allen Erhebungen und Umfragen ist (Nusser et al. 2007: 65; Schulte 2002: 155; Fleisch et al. 2004: 13; DIHK 2003: 6; 96% der befragten Unternehmen gaben Personalkosten als einen Verlagerungsgrund an – Kinkel, Lay, Maloca 2008a: 8). Hohe Lohnnebenkosten in Deutschland (EY 2007: 20; siehe auch Fleisch et al. 2004: 16 für die gleichen Probleme in der Schweiz) und z. B. die Regelung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sind oft Gründe für eine Produktionsverlagerung ins Ausland (Kinkel 1996; Schulte 2002: 72 und 134). Um komparative Kostenvorteile zu nutzen und damit den Schwächen des Produktionsstandorts Deutschland, wie etwa Arbeitskosten oder Steuerbelastungen (EY 2007: 31; IfM 2007: 55 und 154f.; DIHK 2003: 5f.), entgegenzutreten (ASW 1997: 86; BDI 1999; BDI 2001a: 116; „ständige Kompensation der steigenden Lohnkosten im Inland mittels einer Verlagerung in Billiglohnländer“ – Feldmeier, Lukas, Simmet 2007: 65; „Lohnveredelung“ – http://www.wirtschaftslexikon24.net/d/verlaengerte-werkbank/verlaengerte-werkbank.htm; http://www.standorte-bewerten.de/), wird die Produktion ins Ausland verlagert oder lediglich Outsourcing von Produktionsteilen betrieben und die bisherige Fertigungstiefe reduziert (Hickel 1996: 711). Es entsteht eine klassische „verlängerte Werkbank“[17], oft auch ein zusätzliches Standbein zur Expansion (Hage 2007b). Hier gibt es allerdings einschränkend zu beachten, dass den niedrigeren Lohnkosten im Ausland noch die Kosten der Neuinvestition, des Wissenstransfers (siehe auch Specht, Lutz 2007: 51) und der Koordination der Verlagerungsaktivitäten gegenüberzustellen sind, die dann auf den Heimatstandort zukommen (Kannegiesser 2006: 390; Hauch-Fleck 1997: 31, Schulte 2002: 102f.; siehe auch Kapitel 3.2 und Anhang 8.2).

Auf der Bezugsseite zielt das Kostenmotiv auf die Sicherung der Versorgung mit qualitativ hochwertigen Rohwaren und der direkten Beschaffung günstiger Vorprodukte zur Kostensenkung ab (Feldmeier, Lukas, Simmet 2007: 30). Nicht zuletzt aufgrund der starken deutschen (bzw. später europäischen) Währung fallen auch Vorteile im Hinblick auf Produktionskosten immer stärker ins Gewicht (SZ 1995).

(2) Je stärker die Exportorientierung eines Unternehmens ist, desto stärker ausgeprägt ist auch das Motiv der „Markterschließung“. Diese Unternehmen handeln in der Rolle der Marktsucher („market seekers“), die die Sicherung bestehender und Eroberung neuer Absatzmärkte bei gleichzeitiger lokaler Anpassung der Produkte zum Ziel haben (DIHK 2007: 26f.; EY 2007: 20; IfM 2007: 55f. und 155; BDI 2001a: 21f. und 116; Becker, Jäckle, Mündler 2005: 23; Fleisch et al. 2004: 15f.; DIHK 2003: 8f.; siehe auch Nusser et al. 2007: 65 sowie Feldmeier, Lukas, Simmet 2007: 30).

Zu geringe regionale und nationale Marktpotentiale (Feldmeier, Lukas, Simmet 2007: 5), tendenziell stagnierende Märkte und zusätzlich steigender Druck durch aufholende Auslandskonkurrenz (ibid.: 32; Peters, Reinhardt, Seidel 2006: 87; Specht, Lutz 2007: 44) sind typische Gründe für eine Auslandsverlagerung mit dem Ziel, sich neue Möglichkeiten zu eröffnen (Schulte 2002: 135) und nicht mehr nur auf den Inlandsmarkt beschränkt und von dessen Entwicklung abhängig zu sein (WV 2009: 6). Die Saarbrücker Zeitung nennt bereits in einem Artikel vom 28.11.1995 Markterschließung nach wie vor als Hauptgrund für deutsches Auslandsengagement (SZ 1995), verweist allerdings auf Nachholbedarf im Bezug auf die Wachstumsmärkte außerhalb Europas.

(3) Je stärker die Abhängigkeit eines Unternehmens von seinem Hauptkunden ist, desto größer ist der Druck, ihm ins Ausland zu folgen. „Follow the Customer“ bezieht sich auf Unternehmen, die bei der Auslandsverlagerung ihrer Produktion unter dem Einfluss wichtiger Kunden stehen und deren internationalen Engagements folgen sowie vor Ort unterstützende Service-Leistungen bieten wollen (Nusser et al. 2007: 65 und 79; Winterhalder 2001: 3; BDI 2001a: 116). Bei hohen Handelskosten und wenn die Nähe zwischen Produzent und Konsument ein wichtiger Faktor ist, macht dies durchaus Sinn (Geishecker, Görg 2004a). Vorteile dieser Art von Auslandsinvestition sind eine größere Kundennähe sowie geringere Koordinations- und Organisationskosten[18] (Habedank 2006: 83; IKB 2001: 15).

Besonders häufig ist dieses Motiv in der Automobilbranche anzutreffen, wenn von den Zulieferern erwartet wird, sich unmittelbar bei den ausländischen Werken anzusiedeln, um auf diese Weise eine sichere Belieferung zu gewährleisten und durch die entstehenden Synergien auf beiden Seiten Logistikkosten zu sparen (Kinkel, Zanker 2007: 27; Schulte 2002: 72 und 135f.; siehe auch Kannegiesser 2006: 382 und 391ff.). Hier kann bei Verlagerungen oft ein „Zuliefererdilemma“ und damit eine Art „Kettenreaktion“ beobachtet werden (Piotti 2007: 5; Zulieferer, speziell direkte Lieferanten, sog. „first tier supplier“, sind von wenigen großen, mächtigen und daher marktbestimmenden Kunden abhängig – Kinkel, Lay 2004a: 2 und 5; siehe auch Hage 2007b).

(4) Je spezifischer das Wissen in der jeweiligen Branche des Unternehmens ist, desto stärker ist das Motiv der „Technologie- bzw. Wissenserschließung“ an einem neuen Standort ausgeprägt. Hier geht es also proaktiv um den Zugang zu Knowhow und Fertigkeiten im Ausland und damit um eine Orientierung am Potential regionaler Cluster (Schulte 2002: 136f.; Nusser et al. 2007: 65).

Die regelmäßig durchgeführte empirische Studie des Fraunhofer ISI[19] kommt zu folgenden Ergebnissen (vgl. auch Abbildung 1): 80% der Verlagerer zwischen 1995 und 1997 nennen Personalkosten als Grund für ihre Entscheidung (bei über 25% ist dies sogar der alleinige Grund! – Kinkel, Wengel 1998: 7), gut ein Viertel verlagerte zur Erschließung eines neuen Absatzmarktes. In der Befragung von 1997 bis 1999 gewinnen absatz- und kapazitätsgetriebene Verlagerungen an Gewicht, der Kostenpunkt bleibt weiterhin sehr wichtig (Kinkel, Lay 2000: 5). In den folgenden zwei Jahren zeigt sich das Ergebnis wie folgt: Zu 65% sind die Kosten der Produktionsfaktoren ein Grund zur Verlagerung (Personalkosten noch immer dominant), zu 60% das Motiv der Markterschließung (erstrangiger Grund bei Technologieführerstrategie), zu 34% „Follow the customer“, zu 21% die hohen Steuern und Abgaben in Deutschland bzw. Subventionen im Zielland (entgegen der weit verbreiteten Meinung, dass dies einer der wichtigsten Beweggründe sei - http://www.standorte-bewerten.de/), und lediglich zu einem bemerkenswert niedrigen Anteil von 8% das Motiv der Technologieerschließung (Kinkel, Jung Erceg, Lay 2002: 4f.). Die Verlagerungsgründe von 2001 bis 2003 [Werte von 2003 bis 2005 in eckigen Klammern – Kinkel, Maloca 2008a: 9] zeigen eine deutliche Steigerung in Bezug auf Faktorkosten (85% [80%]) und Einbußen für das Motiv der Markterschließung (40% [27%]; dieser Aspekt gewinnt mit steigender Firmengröße an Bedeutung); neu hinzugekommen ist „Flexibilität und Lieferfähigkeit“ (35%), die Problematik von Kapazitätsengpässen in Deutschland erreichte 28% [34%], Steuern, Abgaben und Subventionen sind mit 27% [11%] nicht so bedeutend, wie vielfach unterstellt wird, und die Wichtigkeit der Nähe zu Großkunden erzielt einen Anteil von 23% [21%] (Kinkel, Lay 2004b: 4).

Des Weiteren hat das Hauptmotiv der jeweiligen Produktionsverlagerung entscheidende Auswirkungen auf den Erfolg der Auslandsaktivitäten. So beobachteten Kinkel und Wengel (1998: 8ff.; siehe auch Kinkel, Lay, Maloca 2004), dass bei einer primär personalkostenorientierten Verlagerung die damit verbundenen Nebenwirkungen (wie längere Lieferzeiten, höhere „time to market“ für Innovationen – sog. „Strategiefalle“) die betriebliche Innovationskraft und Flexibilität erheblich schwächen können (siehe auch Heise et al. 2005: 53; Kinkel 2004: 2; Schulte 2002: 155) und sich die Chancen der Globalisierung (und damit auch positive Rückkopplungseffekte auf den Heimatstandort) eher zeigen, wenn die Präsenz im Absatzgebiet der vorrangige Grund für die Verlagerung war (win-win-Situation). Eine Studie der Deutschen Bundesbank (zitiert nach Kinkel, Lay, Maloca 2004: 58) kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass insbesondere Branchen, die Motiven der Markterschließung folgen, an Beschäftigung gewinnen (siehe auch Nusser et al. 2007: 62), wohingegen kostengetriebene Verlagerungen zu Beschäftigungseinbußen im Inland führen (siehe auch Kinkel, Lay 2004b: 10; http://www.standorte-bewerten.de/; Hauch-Fleck 1997: 31; DIHK 2007: 28 und 34f.; Kinkel, Wengel 1998: 10).

Eine andere mögliche Unterscheidung ist zwischen proaktiven Auslandsinvestitionen, als Teil einer nach vorne gerichteten Unternehmensstrategie in Wachstumsphasen (aus einer entspannten Wettbewerbssituation heraus, aufgrund technischer und innovativer Überlegenheit; begründet durch erhofften Gewinn – IKB 2001: 5; „entrepreneurial vision“ – Peters, Reinhardt, Seidel 2006: 77f.), und reaktiven Auslandsinvestitionen, die meist in Folge eines Globalisierungsdrucks von außen (teilweise gewissermaßen aus der Verzweiflung heraus) erfolgen (Hirsch-Kreinsen, Schulte 1999: 2f.; IKB 2001: 9; Schulte 2002: 130ff.; Winterhalder 2001: 2ff.).

Beschaffungsmotive beziehen sich auf Auslandsinvestitionen, die getätigt werden, um Wechselkursrisiken zu vermeiden (siehe auch Böhmer 1997: 102), wie etwa in den USA und China, sowie um Importbeschränkungen und –hemmnisse zu umgehen (IKB 2001: 13; Römer 2007: 41). Wirtschaftsförderungsprogramme im Gastland (siehe auch Abbildung 4) können ein weiterer Grund für die Verlagerung der deutschen Produktion ins Ausland sein. Das brasilianische „Draw-Back-Verfahren“ (Habedank 2006: 158 f.) beispielsweise zielt darauf ab, ausländische Firmen zu Investitionen in Brasilien zu bewegen, und dient gleichzeitig der Exportförderung. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt eine sog. Local-Content-Politik[20]: Dies sind etwa Vorschriften der chinesischen Regierung, nach denen mindestens 80% der Wertschöpfung in China erwirtschaftet werden muss, Vorschriften zur ausschließlichen Rekrutierung inländischer Mitarbeiter oder bestimmte Einschränkungen bei der internationalen Gewinnverteilung (Nusser et al. 2007: 84f.). Die Aufnahme einer Auslandsproduktion ist ratsam, wenn derartige Umweltbedingungen dies erfordern oder Handelsbarrieren nicht anders zu umgehen sind (Schule 2002: 29, 71 und 135; siehe auch Römer 2007: 20). Dadurch kann sich ein Unternehmen auch gegenüber Konkurrenten, die nicht vor Ort produzieren, differenzieren und einen Vorteil verschaffen (weiterführend siehe auch Nusser et al. 2007: 85 zu „buy local“-Forderungen).

Eine additive Verlagerung, also der Aufbau einer Parallelproduktion im Ausland, wird von Unternehmen zur Erweiterung der Kapazitäten und Erhöhung der Flexibilität vorgenommen (Schulte 2002: 138; Rudorfer 2001: 4ff.) und gibt finanzielle „Rückendeckung“ durch den internationalen Kostenmix (hier sollte allerdings genau untersucht werden, ab welcher Auslastung sich die Duplizierung der Anlagen rechnet – Nusser et al. 2007: 86).

Weitere Motive beziehen sich auf steuerliche Gründe (ASW 1997: 86; Römer 2007: 42) oder die Überwindung administrativer Hemmnisse und Hürden, was z. B. relativ häufig Anlass zu Investitionen in Spanien, Frankreich und England gibt (IKB 2001: 13). Auch längere Arbeitszeiten oder Maschinenlaufzeiten im Zielland können Grund für eine Entscheidung zugunsten einer Auslandsproduktion sein (ASW 1997: 86).

[...]


[1] Parallel dazu lässt sich die Entwicklung im Bereich Outsourcing beobachten: Viele Unternehmen betreiben heutzutage „Insourcing“, beispielsweise um frisch sanierte Werke wieder auszulasten und Arbeitsplätze zu halten (Deutsch 1995: 84).

[2] „Reumütige Rückkehrer“ (Hage 2007b; Heise et al. 2005; Müller 1996), „blauäugige Kalkulation“ (Hauch-Fleck 1997: 31), „desillusioniert“ (Tietz 2008: 112) und „schmerzhafte Lektionen“ (Willershausen 2008) sind beliebte Schlagwörter in diesem Zusammenhang. Parolen à la „Salto rückwärts“ (Erling, Grabitz, Hartmann 2008) oder „Kommando zurück“ (o. V. 1998b) dominieren die Berichterstattung, umrahmt von Formulierungen wie „plötzliche Kehrtwende“ (ibid.: 88) und „zurück in die Heimat“ (Burger 2008b: 5).

[3] Schulte 2002 (11 und 121ff.) berichtet von defensiven und teilweise äußerst abwehrenden Reaktionen auf ihre Anfrage nach einem Interview bei betroffenen KMU. Diese Beobachtungen lassen aber wiederum auf die Relevanz und Brisanz des Themas schließen.

[4] Als Zeichen einer verstärkten internationalen Vernetzung kann gelten, wenn die Exporte stärker wachsen als das Welt-Inlandsprodukt (Römer 2007: 13; siehe auch Sinn 2005 sowie Kokalj, Wolff 2001: 4f.).

[5] „Die Basar-Hypothese besagt, dass der inländische Wertschöpfungsanteil an der Industrieproduktion, die sogenannte Fertigungstiefe, zugunsten des Auslands fällt und dass sich Deutschland zunehmend auf Basar-Tätigkeiten spezialisiert“ (Sinn 2005: 7; siehe auch Brautzsch, Ludwig 2005: 514 sowie IfM 2007: 1). Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung (http://www.cesifo-group.de/ portal/page/portal/ifoHome), verwandte diese sprachliche Karikatur erstmals in einer Rede von 2003 – seitdem ist diese Bezeichnung zum geflügelten Wort geworden (Sinn 2005: 5f. und 18).

[6] Besonders seit 1995 hat die Fertigungstiefe in Deutschland stark abgenommen (Sinn 2005: 8 mit Zahlenmaterial des Statistischen Bundesamts), was darin begründet sein könnte, dass sich die ehemals kommunistischen Länder verstärkt öffneten und auch die Osterweiterung der EU bereits beschlossen war.

[7] Nach dem Verlagerungsboom Ende der 90er Jahre fand allerdings zu Anfang des neuen Jahrtausends wieder ein Rückgang statt (Kinkel, Jung Erceg, Lay 2002: 2).

[8] Ein Grund für diese verzerrte Wahrnehmung in der breiten Öffentlichkeit (siehe auch Brenken et al. 2005: 652) liegt wahrscheinlich in der Tatsache, dass die „Verlierer“ bzw. Verluste der Internationalisierung meist sehr zentral anzutreffen, die Gewinner bzw. Gewinne jedoch weiträumig verteilt sind (siehe auch BMWi 2006: 10; für weitergehende Argumente und Ansichten siehe Rogowski 2002: 3f.; Nusser et al. 2007: 283; Kinkel, Lay 2004b: 11).

[9] Internationaler Wettbewerbsdruck war außerdem schon immer Motivation und Anlass für Innovationen und höhere Produktivität in Deutschland (siehe auch Römer 2007: 59) und hat letztendlich durch hohe Unternehmensgewinne und höhere Löhne zum heutigen Wohlstand geführt.

[10] Nach Schätzungen des DIHK verlor Deutschland im Jahr 2006 zwar 50.000 Stellen ans Ausland (meist einfache Tätigkeiten, die stark von ausländischer Konkurrenz bedroht sind), doch auf der anderen Seite sind 60.000 neue Stellen entstanden (Hage 2007b; siehe auch Kinkel, Zanker 2007: 19). Dennoch gilt einschränkend darauf hinzuweisen, dass in Deutschland auf dem relativ starren Arbeitsmarkt eine problemlose Wanderung zwischen den Sektoren kaum möglich ist, und Arbeitslosigkeit resultieren kann (Römer 2007: 56; siehe auch Nederstigt, Roos, Louven 2005: 20).

[11] Ein weiterer Aspekt wird in dieser Diskussion oft vernachlässigt: Nicht nur deutsche Firmen investieren im Ausland, sondern auch ausländische Firmen investieren in Deutschland und schaffen hier Arbeitsplätze (Geishecker, Görg 2004a).

[12] Als Beispiele seien hier der sog. „Eiserne Vorhang“, eine von Winston Churchill geprägte Bezeichnung für die Abschottung des Ostblocks gegenüber dem Westen (siehe auch Kreile 1999: 802), sowie Autarkie-Experimente vieler Entwicklungsländer (Rogowski 2002: 6) genannt. In jüngster Vergangenheit sorgte die geplante „Buy American“-Klausel im US-amerikanischen Konjunkturpaket für Furore (Hengst 2009). Wolf (2007) kritisiert in diesem Zusammenhang die Bestrebungen des hessischen Ministerpräsidenten Koch, ausländische Beteiligungen (insbesondere aus China und Russland) an deutschen Unternehmen ab einem Anteil von 25% abzuwehren.

[13] Aufgrund des sehr geringen Anteils an Auslandsinvestitionen im deutschen Mittelstand ist auch nicht mit einer großflächigen Abwanderung der heimischen KMU ins Ausland zu rechnen, die Kritiker und Pessimisten befürchten („Exodusthese des deutschen Mittelstands“ – Brenken et al. 2005; Römer 2007: 46ff.; siehe auch Schulte 2002).

[14] In seinem Werk „The Wealth of Nations“ von 1776 legt Adam Smith (1723-1790) den Grundstein für alle Außenhandelstheorien und erkennt die Produktivitätssteigerung durch Arbeitsteilung (siehe auch Schulte 2002: 16ff.; siehe auch BMWi 2006: 16). Allerdings funktioniert die praktische Umsetzung dieser Idealvorstellung nur, wenn sich die Produktionsfaktoren (besonders Arbeit) rasch aus den schrumpfenden in die wachsenden Sektoren bewegen (Dauderstädt 2006: 2; Stichwort „invisible hand“ – die unsichtbare Hand, durch die der Marktmechanismus zum volkswirtschaftlichen Optimum führt).

[15] Die WTO trat am 01.01.1995 in Kraft, löste das GATT ab (http://www.wto.org/english/thewto_e/ whatis_e/tif_e/fact1_e.htm) und ist heute das bedeutendste Forum zur Liberalisierung des internationalen Handels. Die Gründung überregionaler Handelsabkommen ist darüber hinaus ein wichtiger Einflussfaktor auf dem Weg zum Ziel der multilateralen Handelsliberalisierung.

[16] Die relativen Faktorausstattungen und damit die relativen Kosten der alternativen Standorte werden verglichen (siehe auch Peters, Reinhardt, Seidel 2006: 43; Boddewyn 1985: 60ff.); in diesem Zusammenhang sind natürlich niedrigere Arbeitskosten besonders attraktiv. Außerdem spielen die Entwicklung der Wechselkurse oder auch Bürokratiekosten eine Rolle (Römer 2007: 20 und 41; siehe auch IfM 2007: 154; Feldmeier, Lukas, Simmet 2007: 75; DIHK 2003: 7): Während am 25. Oktober 2000 ein Euro nur 0,827 US-Dollar wert war, erreichte der Wechselkurs am 15.07.2008 ein Allzeithoch von 1,5923 US-Dollar – ein Anstieg von über 90% innerhalb von knapp 8 Jahren (http://x-rates.com/cgi-bin/hlookup.cgi; http://www.finanzen.net/devisen/dollarkurs).

[17] Als „verlängerte Werkbank“ werden im ursprünglichen Sinne solche Betriebe oder Länder bezeichnet, die lediglich nach Auftrag produzieren, aber keine eigene FuE betreiben. Der Begriff beschreibt die Auslagerung gewisser Arbeiten an einem Produkt (http://www.wirtschaftslexikon24.net/d/verlaengerte-werkbank/verlaengerte-werkbank.htm).

[18] Umgekehrt ist zuweilen auch eine „Follow the supplier“-Strategie zu beobachten. Diese bezeichnet Unternehmen, die ins Ausland gehen, um in der Nähe ihrer Zulieferer präsent zu sein und damit ihre Vorleistungsbasis zu sichern. Habedank (2006: 83) führt die Folge eines wichtigen Konkurrenten an.

[19] Die Publikationen im Rahmen des Forschungsprojekts „Erhebung Modernisierung der Produktion“ (vormals Innovationen in der Produktion) des Fraunhofer ISI liefern aufschlussreiche und ausführliche empirische Ergebnisse zum Phänomen der Rückverlagerung. Seit 1993 werden im Abstand von 2 Jahren über 1500 Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland ausführlich zu verschiedenen Themen befragt, die sich u. A. mit Verlagerungstendenzen und deren wirtschaftlichen Effekten beschäftigen (http://www.isi.fraunhofer.de/i/ projekte/erhebung_pi.htm).

[20] Hinter Local-Content-Politik verbergen sich Vorschriften, die eine Mindesthöhe des inländischen Wertschöpfungsanteils bei Auslandsengagements festlegen und somit Standortentscheidungen der Unternehmen sowie Fertigungstiefe, Lieferbeziehungen und Beschaffungsmanagement beeinflussen (http://www.wirtschaftslexikon24.net/d/local-content-politik/local-content-politik.htm).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836639903
DOI
10.3239/9783836639903
Dateigröße
664 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Paderborn – Wirtschaftswissenschaften, Studiengang International Business Studies
Erscheinungsdatum
2009 (Dezember)
Note
1,2
Schlagworte
rückverlagerung auslandsproduktion produktionsverlagerung heimatstandort standortdebatte
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Titel: My Home is My Castle: Die Rückverlagerung von Auslandsproduktion nach Deutschland
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