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Realismus in den Spielfilmen Jim Jarmuschs

©2007 Magisterarbeit 105 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der Spielfilm Coffee and Cigarettes (2003) des amerikanischen Independent-Regisseurs Jim Jarmusch zeigt in elffacher Variation die gleiche alltägliche Situation: Menschen, die rauchend und Kaffee trinkend miteinander reden oder es zumindest versuchen.
In Interviews bekundet Jarmusch immer wieder sein Interesse für diese undramatischen Situationen des Alltags: ‘I think our lives are made of little moments that are not necessarily dramatic, and for some odd reason I'm attracted to those moments’.
Diese Vorliebe für scheinbar unwichtige, alltägliche Situationen offenbart sich auch in den übrigen Spielfilmen Jarmuschs. Die Filme zeigen, oft in langen Einstellungen, wie die Protagonisten Auto oder Zug fahren, eine Straße entlang gehen, am Tisch sitzen. Mitunter reden die Protagonisten dabei gar nicht, wenn sie es tun, verstehen sie sich nur manchmal und nicht unbedingt deshalb, weil sie miteinander reden.
Die Virtuosität, mit der Jarmusch alltägliche Situationen und die Ziellosigkeit seiner Protagonisten portraitiert, zeigt sich vielleicht am deutlichsten in Jarmuschs zweitem Spielfilm Stranger than Paradise (1984), der 1984 bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Kamera gewann.
In den Filmen Jarmuschs werden auch gelegentlich zufällige Ereignisse inszeniert, die weder eine Bedeutung für den Fortgang der Handlung haben, noch zur Charakterisierung eines Protagonisten Wesentliches beitragen.
Auch werden in Jarmuschs Spielfilmen oft intertextuelle Bezüge zu anderen (dem Zuschauer potentiell bekannten) Genres, Filmen und Texten hergestellt.
Die oben erwähnten Merkmale, wie die Inszenierung alltäglicher und unbedeutender Ereignisse und die intertextuellen Anspielungen auf andere (Medien- und Film-) Texte, können meiner Ansicht nach durch ihre intersubjektive Übertragbarkeit auf die Alltagswirklichkeit und den Erfahrungshorizont des Zuschauers den Eindruck von Wirklichkeitsnähe hervorrufen und sind typisch für die Spielfilme von Jim Jarmusch.
Problemstellung:
Deshalb soll im Mittelpunkt dieser Arbeit die Frage stehen, welche Merkmale in den Filmen Jim Jarmuschs das Potential haben, einen Eindruck von Realität und Authentizität zu vermitteln, und wie sie diesen Eindruck vermitteln.
Bei der Untersuchung der Merkmale des filmischen Realismus’ soll die Frage, ob die Repräsentation im Film der Realität angemessen ist (beispielsweise, ob die Mafiafamilie in Ghost Dog [1999] besonders wirklichkeitsgetreu dargestellt ist oder […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Über den Regisseur Jim Jarmusch
2.1 Werdegang und bisheriges Filmwerk
2.2 Jim Jarmusch im Kontext der amerikanischen Independent Filmindustrie

3. Realismus
3.1 Roman Jakobson: „Über den Realismus in der Kunst“
3.2 Verisimilitude: ‚Wahrscheinlichkeit‘ als Anschein von Wahrheit und Wirklichkeit
3.3 Realismus und Film: Traditionen und Theorien

4. Realismus in den Spielfilmen von Jim Jarmusch
4.1 Rollenbesetzung und „ collaboration “ mit den Darstellern
4.1.1 Einsatz von Laiendarstellern
4.1.2 Die „backwards“-Methode
4.1.3 Improvisationen
4.2 Drehorte
4.2.1 Location Shooting
4.2.2 Inszenierte Schauplätze: Das Makah Dorf in Dead Man
4.3 Kamera und Schnitt
4.3.1 Tiefenschärfe
4.3.2 Schwarzblende als Stilmittel
4.3.3 Statische Kamera – dynamische Darsteller
4.3.4 Einflüsse des japanischen Kinos
4.3.5 Entwicklung seit den 90er Jahren
4.4 Inszenierung von Alltäglichkeit
4.4.1 Elliptische Erzählweisen
4.4.2 Episoden
4.4.3 ‚Zufälle‘ und ‚unwesentliche Merkmale‘
4.4.4 Inszenierung der Fortbewegung
4.5 Repräsentationen des Menschen
4.5.1 Einzelgängertum und Geschichtslosigkeit
4.5.2 Kommunikation
4.5.2.1 Sprachschwierigkeiten und Verständnisschwierigkeiten
4.5.2.2 Kommunikation durch Austausch: Schenken und Teilen
4.5.2.3 Kommunikation als kulturelle Grenzüberschreitung in Ghost Dog
4.6 Intertextualität
4.6.1 Ironisierung von nationalen Mythen, Genre-Merkmalen und Stereotypen
4.6.2 Der Star als Zeichen

5. Schlusswort

6. Filmografie

7. Bibliografie

1. Einleitung

Der Spielfilm Coffee and Cigarettes (2003) des amerikanischen Independent-Regisseurs Jim Jarmusch zeigt in elffacher Variation die gleiche alltägliche Situation: Menschen, die rauchend und Kaffee trinkend miteinander reden oder es zumindest versuchen.

In Interviews bekundet Jarmusch immer wieder sein Interesse für diese undramatischen Situationen des Alltags: „I think our lives are made of little moments that are not necessarily dramatic, and for some odd reason I'm attracted to those moments“.[1]

Diese Vorliebe für scheinbar unwichtige, alltägliche Situationen offenbart sich auch in den übrigen Spielfilmen Jarmuschs. Die Filme zeigen, oft in langen Einstellungen, wie die Protagonisten Auto oder Zug fahren, eine Straße entlang gehen, am Tisch sitzen. Mitunter reden die Protagonisten dabei gar nicht, wenn sie es tun, verstehen sie sich nur manchmal und nicht unbedingt deshalb, weil sie miteinander reden.

Die Virtuosität, mit der Jarmusch alltägliche Situationen und die Ziellosigkeit seiner Protagonisten portraitiert, zeigt sich vielleicht am deutlichsten in Jarmuschs zweitem Spielfilm Stranger than Paradise (1984), der 1984 bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Kamera gewann.

In den Filmen Jarmuschs werden auch gelegentlich zufällige Ereignisse inszeniert, die weder eine Bedeutung für den Fortgang der Handlung haben, noch zur Charakterisierung eines Protagonisten Wesentliches beitragen.

Auch werden in Jarmuschs Spielfilmen oft intertextuelle Bezüge zu anderen (dem Zuschauer potentiell bekannten) Genres, Filmen und Texten hergestellt.

Die oben erwähnten Merkmale, wie die Inszenierung alltäglicher und unbedeutender Ereignisse und die intertextuellen Anspielungen auf andere (Medien- und Film-) Texte, können meiner Ansicht nach durch ihre intersubjektive Übertragbarkeit auf die Alltagswirklichkeit und den Erfahrungshorizont des Zuschauers den Eindruck von Wirklichkeitsnähe hervorrufen und sind typisch für die Spielfilme von Jim Jarmusch.

Deshalb soll im Mittelpunkt dieser Arbeit die Frage stehen, welche Merkmale in den Filmen Jim Jarmuschs das Potential haben, einen Eindruck von Realität und Authentizität zu vermitteln, und wie sie diesen Eindruck vermitteln.

Bei der Untersuchung der Merkmale des filmischen Realismus’ soll die Frage, ob die Repräsentation im Film der Realität angemessen ist (beispielsweise, ob die Mafiafamilie in Ghost Dog [1999] besonders wirklichkeitsgetreu dargestellt ist oder nicht), hintangestellt werden und nur in dem Zusammenhang diskutiert werden, wo sie von Belang für die Wirkung auf den Zuschauer ist. Der Zuschauer kennt die in Filmen repräsentierte spezifische Wirklichkeit in der Regel nicht (zum Beispiel kennen eher wenige Zuschauer eine Mafiafamilie persönlich) und dennoch bildet er sich ein Urteil über die Glaubwürdigkeit der Darstellung. Die Gründe für den Realitätseindruck und die Glaubwürdigkeit der Darstellung können also nicht nur in einer adäquaten Darstellung der Wirklichkeit begründet liegen, es sei denn der Zuschauer hat von der der Darstellung zugrunde liegenden Wirklichkeit konkrete Kenntnis. In allen übrigen Fällen sind die Gründe für die evozierte Glaubwürdigkeit in anderen produktionstechnischen, stilistischen und narrativen Strukturen zu suchen.

Jarmuschs Filmen wird oft und zu Recht eine stilistische Nähe zum europäischen art cinema und Autorenfilm nachgesagt. Dies mag einer der Gründe dafür sein, warum seine Filme in Europa bisher mit größerem Enthusiasmus als in Amerika aufgenommen worden sind. Dieser Umstand zeigt sich auch hinsichtlich der veröffentlichten Literatur über Jarmuschs Filme: die Mehrzahl der selbständig erschienenen Arbeiten stammt aus Europa, davon drei aus Deutschland, dagegen sind nur zwei in den USA veröffentlicht worden: Dead Man[2] von Jonathan Rosenbaum und Jim Jarmusch: Interviews[3] herausgegeben von Ludvig Hertzberg.

In Dead Man geht Rosenbaum auf die Bedeutung des gleichnamigen Films hinsichtlich seiner innovativen Darstellung von amerikanischen Ureinwohnern ein und versucht den Film in die Tradition einer Reihe von Western aus den 70er Jahren zu stellen, die er wegen ihrer halluzinogenen Bildlichkeit als „Acid Western“ bezeichnet.

Die Aufsatzsammlung Jim Jarmusch[4] enthält unter anderem Essays zu den einzelnen Filmen sowie eine umfassende Bibliografie über den Filmemacher, in der auch zahlreiche unveröffentlichte Texte und Filmkritiken bis 2001 berücksichtigt sind. Die teilweise im feuilletonistischen Stil verfassten Essays beleuchten Produktionshintergründe, enthalten Ausschnitte von Interviews und Korrespondenzen und spiegeln die Filmrezeption der jeweiligen Autoren wieder.

Oliver Schindler versucht in Anlehnung an die Auteur -Theorie eine „filmische Handschrift“ in den von Jarmusch in den 80er Jahren gedrehten Filmen auszumachen.

Schindler attestiert Jarmusch eine „minimalistische, selbstreflexive und intertextuelle Ästhetik“, die auch versuche der „Komplexität, Relativität und Multiperspektivität des realen Lebens zu entsprechen“ und daher „in der Tradition des Realismus“ stehe.[5] Er geht jedoch nicht weiter auf dieses interessante Thema ein.

Roman Mauer hat die bisher umfangreichste Arbeit zu Jarmuschs Filmen verfasst mit dem Ziel, in Jarmuschs Spielfilmwerk „die Themen und ästhetischen Verfahren aufzuschlüsseln und vor dem Hintergrund der vielfältigen kulturhistorischen Kontexte zu beleuchten.“[6]

Mauers Arbeit zeichnet sich insbesondere durch die Untersuchung der komplexen Erzählstrukturen und intertextuellen Bezüge aus, die gekonnt in einen kulturhistorischen Zusammenhang gesetzt werden. Mauer erwähnt Realismus im Zusammenhang mit Jarmuschs Filmen nur am Rande. In der Einleitung bescheinigt er Jarmuschs Filmen „einen ins Poetische gehobene[n] Realismus“[7] und kommt gegen Ende seiner Arbeit zu dem Schluss, dass Jarmuschs „ästhetisches Verfahren darauf abzielt, Künstlichkeit zu entlarven, hinter dem Simulacrum die Realität aufzudecken, hinter der falschen Oberfläche das authentische Innere freizulegen.“[8] Auch über die Wirkung auf den Zuschauers macht Mauer sich im letzten Absatz seiner Arbeit kurz Gedanken, wenn er meint, die den Filmen eigentümliche „Reduktion im Ausdruck wurzelt in der Motivation, den Zuschauer im Geiste anzuregen.“[9]

Obwohl Realismus im Sinne von Lebens- beziehungsweise Wirklichkeitsnähe, Glaubwürdigkeit und Plausibilität seit Anbeginn des Kinos ein wichtiges Thema war und häufig als selbstverständlich vorausgesetzt wird, gibt es über filmischen Realismus im allgemeineren Sinne vergleichsweise wenig neuere Forschungsliteratur.[10]

Richard Allens Projecting Illusion[11] sowie Joel Blacks The Reality Effect[12] stehen den psychoanalytischen Filmtheorien der 70er und 80er Jahre nahe und sind für diese Arbeit nicht weiter von Interesse.

Joseph Anderson The Reality of Illusion[13] befasst sich ausschließlich mit der kognitiven Filmwahrnehmung im Allgemeinen ohne Bezüge zu spezifischen Filmen herzustellen und ist daher ebenfalls für die Fragestellung dieser Arbeit nicht von Belang.

Christopher Williams Anthologie Realism and the Cinema[14] ist eine etwas unübersichtliche Sammlung der Anschauungen einflussreicher Personen der Filmgeschichte zum Thema Realismus. Vom filmhistorischen Standpunkt aus gesehen durchaus von Interesse, trägt Williams Anthologie jedoch nicht viel zur Klärung des Zusammenhangs zwischen Realismus und Rezeption bei.

Julia Hallams und Margaret Marshments Arbeit Realism and Popular Cinema nimmt zunächst Bezug auf historische und theoretische Aspekte filmischen Realismus’, um einen Überblick über ästhetische Strategien zu gewinnen. Im zweiten Teil ihrer Arbeit versuchen Hallam / Marshment die Strategien filmischen Realismus’ anhand zeitgenössischer Filme zu analysieren.[15] Trotz dieser einleuchtenden Herangehensweise hinterlässt Realism and Popular Cinema den Eindruck von inkohärenter Vielfältigkeit. Auch bleibt die Klärung des Begriffs Realismus unscharf. In der Einleitung heißt es „[...] we begin with a basic definition of realism as a mode of representation that, at the formal level, aims at verisimilitude (or mimesis).“[16] Aufgrund dieser Formulierung könnte man annehmen, dass eine differenziertere Definition im Verlauf der Arbeit folgen würde, dies ist jedoch nicht der Fall.

Richard Armstrongs Understanding Realism versteht sich weniger als wissenschaftlicher Beitrag, denn als eine auch für Laien verständliche Einführung zum Thema Realismus und Film.

Aufgrund ihres Einführungscharakters werden viele Bereiche sehr knapp behandelt, dennoch bietet die Arbeit durch ihre übersichtliche Struktur einen hilfreichen Überblick zum Thema. Hinsichtlich der Frage, was Realismus im Film sei, beruft sich Armstrong darauf, dass es im Film keinen „realism per se“ gäbe, stattdessen sieht er Realismus als eine graduelle Eigenschaft an: „Rather than standing for a particular aesthetic, realism exists on a sort of sliding scale“.[17]

In seinem Aufsatz „The Experience of Realism in Audiovisual Representations“[18] zieht Torben Grodal einige kluge Schlüsse darüber, wie der Zuschauer Realismus im Film wahrnimmt, auf die ich in Kapitel 3 dieser Arbeit noch eingehen werde.

Da sich in der Forschungsliteratur, die sich mit Realismus im Film befasst, keine für diese Arbeit adäquate Begriffsbestimmung für „Realismus“ finden ließ, wird Roman Jakobsons Aufsatz „Über den Realismus in der Kunst“[19] von 1921 als Grundlage der Diskussion des Realismus-Begriffs dienen. Die in diesem Aufsatz dargelegten Bedeutungen des Realismus-Begriffs werde ich hinsichtlich ihrer möglichen Anwendung auf den Film spezifizieren. Sodann werden die für diese Arbeit relevanten Theorien und Traditionen kurz vorgestellt. Vor allem die Strömung des italienischen Neorealismus (1942-1951) und die zwischen 1943 und 1960 entstandenen filmtheoretischen Schriften von André Bazin[20] und Siegfried Kracauer[21] sind in diesem Zusammenhang von Interesse, da sie die Grundlage für eine Reihe von Merkmalen bilden, die häufig mit filmischem Realismus assoziiert werden.

Einige dieser Merkmale, unter anderem das Location Shooting, die Einbeziehung von Laiendarstellern und die Verwendung elliptischer Erzählstrukturen, treten auch in Jarmuschs Spielfilmen auf. Diese sollen auch hinsichtlich ihrer möglichen Wirkung auf den Zuschauer analysiert werden. Neben diesen traditionell mit filmischem Realismus assoziierten Merkmalen werden weitere charakteristische Eigenschaften der Filme untersucht, die das Potential haben können, einen Eindruck von Realismus zu hinterlassen.

2. Über den Regisseur Jim Jarmusch

2.1 Werdegang und bisheriges Filmwerk

Jim Jarmusch wurde 1953 in der Industriestadt Akron in Ohio geboren. Von 1973 bis 1975 studierte er Literatur an der Columbia University in New York. Während eines Auslandssemester in Paris besuchte er häufig die Filmvorführungen der Cinémathèque Française[22], wo Filme von Regisseuren wie Dziga Vertov, Jean Vigo, Robert Bresson, Jean Renoir und Raúl Ruiz einen bleibenden Eindruck hinterließen und eine Verschiebung seines Interesses von der Literatur zum Film zur Folge hatte.[23] Auch einige Vertreter der Nouvelle Vague und des japanischen Kinos, wie Yasujiro Ozu und Kenji Mizogushi, erwähnte Jarmusch in Interviews immer wieder als Vorbilder.[24]

Mit einigen Texten und Fotografien bewarb Jarmusch sich 1976 an der Graduate Film School der New York University und erhielt ein Stipendium. Nach zwei Jahren beabsichtigte Jarmusch das Studium abzubrechen, zum einen aus finanziellen Gründen, zum anderen weil er meinte, eine Fortsetzung des Studiums sei nicht weiter der Mühe wert.[25]

Nicolas Ray, der zu jener Zeit einen Lehrauftrag an der New York University hatte, bot ihm an als studentische Hilfskraft für ihn zu arbeiten und Jarmusch entschloss sich, das Studium fortzusetzen. 1979 engagierte Ray ihn als Produktionsassistent für Lightning Over Water (1980), ein Gemeinschaftsprojekt von Nicolas Ray und Wim Wenders, das die letzten Lebensmonate des schwer an Krebs erkrankten Nicolas Ray dokumentierte. Im selben Jahr drehte Jarmusch seinen ersten Spielfilm Permanent Vacation (1980), ein teilweise biografisches Portrait des 16-jährigen Laiendarstellers Chris Parker, der ziellos in New York herumwandert und am Ende des Filmes zu einer Reise nach Frankreich aufbricht. Jarmusch verwendete einen Teil seines Stipendiums, von dem er eigentlich die Studiengebühren hätte begleichen sollen für diese 15.000 Dollar-Produktion, was dazu führte, dass er keinen Studienabschluss erhielt.[26]

In Interviews bezeichnete Jarmusch die Atmosphäre, die zu jener Zeit in Manhattans East Village herrschte, als inspirierend. Auch unabhängige Filmemacher, wie Amos Poe, Charlie Ahearn und Eric Mitchell, für dessen Underground USA (1980) Jarmusch die Tonaufnahmen machte, gehörten zur lokalen Künstlerszene. Die Beeinflussung Jarmuschs durch diese New Yorker Filmemacher-Szene war weniger inhaltlicher oder formaler als vielmehr motivierender Art: „It was just [...] a really strong sense that it was possible to make films, without much money and without really any expertise. And that was important.“[27]

Mit Permanent Vacation wäre Jarmuschs Karriere als Filmemacher vermutlich beendet gewesen, wenn er nicht 1980 eine Einladung zum Filmfestival in Mannheim erhalten hätte, wo Permanent Vacation den Josef-von-Sternberg-Preis gewann. Daraufhin kaufte der Westdeutsche Rundfunk die Senderechte für den Film und Permanent Vacation wurde 1981 unter dem Titel Dauernd Ferien ausgestrahlt. Mit dem Erlös aus dem Verkauf der Senderechte bestritt Jarmusch einen Teil der Kosten für Stranger than Paradise (1982), der zunächst als Kurzfilm in Rotterdam 1983 einen Kritikerpreis bekam[28] und schließlich in der Spielfilmversion Stranger than Paradise (1984), neben anderen Filmpreisen, 1984 in Cannes die ‚Goldene Kamera‘ gewann. Der oft erwähnte Umstand, dass Wim Wenders nach seinen Dreharbeiten zu The State of Things (1983) Jim Jarmusch das übrig gebliebene Filmmaterial für die erste Fassung von Stranger than Paradise überlassen hatte, lässt auf den ersten Blick den Eindruck einer hilfsbereiten internationalen Filmemacher-Gemeinde entstehen. Die Realität ist jedoch komplizierter und wirft ein Licht auf wirtschaftliche und strategische Aspekte, mit denen die „Unabhängigkeit“ eines Independent-Regisseurs auf die Probe gestellt werden kann. Nach dem Erfolg von Stranger than Paradise (1982) beim Hofer Filmfestival machte Chris Sievernich, ein Kompagnon in Wim Wenders Produktionsfirma, seine Besitzansprüche an dem (nun mit Stranger than Paradise belichteten) Originalnegativ geltend, was schließlich dazu führte, dass Jarmusch das ‚überlassene‘ Filmmaterial für 15.000 Dollar zurückkaufen musste.[29] Diese Erfahrung mit dem vermeintlich geschenkten Filmmaterial war sicher einer der Gründe dafür, dass Jarmusch im weiteren Verlauf seiner Karriere stets darauf bestand, als Regisseur die Eigentumsrechte an den Originalnegativen zu behalten, eine Praxis, die selbst im Bereich des unabhängigen Filmschaffens sehr unüblich ist.[30] Mithilfe des ZDFs, das die Senderechte kaufte und des deutschen Produzenten Otto Grokenberger[31] wurden schließlich die restlichen Produktionskosten für Stranger than Paradise (1984) aufgebracht.

Stranger than Paradise erzählt von einer jungen ungarischen Immigrantin (Eszter Balint), ihrem in den USA lebenden Cousin (John Lurie) und dessen Freund (Richard Edson), ihrem Alltag und einer höchst unspektakulären Reise nach Cleveland und Florida. Der narrative Aufbau dieses Filmes zeichnet sich durch das Weglassen jener Elemente aus, die im klassischen Erzählkino als unverzichtbar gelten: es gibt keinen Helden, keine nennenswerten Konflikte, keine eindeutigen dramatischen Höhepunkte. Der in Schwarzweiß gedrehte Spielfilm weist auch einige stilistische Besonderheiten auf: lange Einstellungen, wenige Schnitte, keine Nahaufnahmen sowie eine überproportionale Verwendung von Totalen und Halbtotalen. Die Akkuratesse und Ruhe mit der diese Szenen umgesetzt wurden, lassen auch den Einfluss Yasujiro Ozus erkennen, der in seinen Portraits japanischer Familien ähnliche Darstellungsweisen verwendet. Jarmusch hat versucht zu vermeiden, dass Stranger than Paradise als ein typischer 80er Jahre „New Wave“-Film kategorisiert wird: „The reason John and I even got the idea for this film [...] was because we wanted to make a character and a story that no one would say is New Wave [...]. It did avoid any specific reference to any kind of scene, which was important.“[32] Das erklärt auch, warum in dem Film keine Musik aus den 80ern verwendet wird und die Kleidung der Charaktere eher an die 60er Jahre erinnert. Vielleicht war auch gerade dieser Verzicht auf Bezüge zur zeitgenössischen Jugendkultur und der dadurch evozierte Eindruck von Zeitlosigkeit einer der Gründe, warum der Film den Nerv der Zeit traf.

Nach dem Erfolg von Stranger than Paradise in Europa fand der Film, der mit nur 120.000 Dollar Produktionskosten gedreht wurde, auch in den USA seinen Weg in die Kinos, erzielte dort Einnahmen von rund 2,4 Millionen Dollar[33] und wurde von der Filmkritik sehr positiv aufgenommen. Der Weg war nun für weitere Filmprojekte geebnet und 1986 folgte Down by Law sowie der erste Kurzfilm von Coffee and Cigarettes, letzterer entstand als Beitrag für die Fernsehsendung Saturday Night Live. In diese Zeit fiel auch der Beginn der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Kameramann Robby Müller, der auch für Wim Wenders und Lars von Trier arbeitete. Der ebenfalls in Schwarzweiß gedrehte Spielfilm Down by Law mit Tom Waits, John Lurie und Roberto Benigni in den Hauptrollen ist eine humorvolle Mischung aus Gefängnisfilm und Roadmovie und erzählt, wie zwei eitle Taugenichtse und ein unerschütterlich fröhlich-optimistischer Immigrant ihren Weg ins Gefängnis und wieder hinaus finden. Down by Law wurde vor allem von der europäischen Filmkritik positiv aufgenommen, fand allerdings „nicht die einhellige Begeisterung wie Stranger than Paradise.[34]

Neben weiteren Coffee and Cigarettes -Kurzfilmen folgten in den Jahren darauf die Episodenfilme Mystery Train (1989) und Night on Earth (1991).

Mystery Train[35] ist im Gegensatz zu seinen Vorgängern in leuchtenden Farben inszeniert und zeigt in bester episodischer Manier die Erlebnisse einiger Gäste eines heruntergekommenen Hotels in Memphis. Der Film erzählt die sich in 24 Stunden abspielenden kleineren und größeren Missgeschicke eines japanischen Touristenpärchens (Youki Kudoh, Masatoshi Nagase), einer Italienerin auf der Durchreise (Nicoletta Braschi) und einiger lokal Ansässiger (Steve Buscemi, Joe Strummer, u. a.). Mit den Rollenbesetzungen von Screamin’ Jay Hawkins und Joe Strummer[36] wird hier wieder Jarmuschs Faible erkennbar, Rollen mit Musikern aus seinem Bekanntenkreis zu besetzen . Mystery Train gewann 1989 in Cannes einen Sonderpreis als ‚bester künstlerischer Beitrag‘.[37]

„Die Resonanz auf Mystery Train fällt tendenziell knapper und nüchterner aus als auf Stranger than Paradise und Down by Law”, schreibt Roman Mauer. In Europa, vor allem in Deutschland, wurde der Film überwiegend gelobt. In der angloamerikanischen Presse fielen die Reaktionen gemischt aus.[38]

In den 90ern gewann der Independent Sektor in Amerika beträchtlich an Ansehen, was sich auch darin äußerte, dass bekannte Schauspieler für eine geringe Gage in Independent Filmen mitwirkten, wenn ihnen die Rolle zusagte.[39] Dieser Umstand mag auch eine Rolle dabei gespielt haben, dass Jarmusch bekannte Schauspielerinnen, wie Gena Rowlands und den Teenagerstar Winona Ryder, für die Übernahme von Hauptrollen in dem Episodenfilm Night on Earth (1991) interessieren konnte. Night on Earth erzählt in fünf Episoden die tragisch-komischen und skurrilen Erlebnisse von Taxifahrern und ihren Fahrgästen in verschiedenen amerikanischen und europäischen Metropolen. In Night on Earth greift Jarmusch auf die gleiche chronologische Struktur zurück, die er schon in Mystery Train verwendet hatte, denn die Episoden finden unter Berücksichtigung der verschiedenen Zeitzonen gleichzeitig statt. Night on Earth hat zahlreiche positive Filmkritiken bekommen und lief monatelang in einigen Premiere-Kinos Manhattans.[40]

Was Inhalt, Genre und Stilmittel betrifft, beschreitet Jarmusch 1995 mit Dead Man neues Terrain. Während seine bisherigen Filme mehr oder weniger in der Gegenwart und an urbanen Schauplätzen spielen, lässt Jarmusch in Dead Man den amerikanischen Westen der 1870er wieder aufleben. Der in imposanten Schwarzweißbildern gedrehte Western weist eine beeindruckende Starbesetzung auf (Johnny Depp, Robert Mitchum, John Hurt, u. a.); die brachial klingende Filmmusik basiert auf einem für den Film improvisierten Elektrogitarrensolo von Neil Young. Dead Man erzählt die Geschichte eines sensiblen verarmten Buchhalters (Johnny Depp) dessen Reise in den Nordwesten der USA gleichzeitig seine Reise in den Tod bedeutet. Die im klassischen Hollywood Western verwendeten Formeln und nationalen Mythen werden in Dead Man teils ironisiert, teils demontiert. Was diese Verweigerung von klassischen Genreformeln betrifft, knüpft Jarmusch mit Dead Man an die Tradition des Neo-Western an, die in den 60ern und 70ern mit Filmen wie The Wild Bunch (1969) von Sam Peckinpah, Arthur Penns Little Big Man (1970) oder Robert Altmans McCabe & Mrs. Miller (1971) begonnen hatte. Die Kamera ist weniger statisch und der Schnitt zeigt mehr Ähnlichkeiten zum Hollywoodkino, als das bei den bisherigen Filmen der Fall war.

Nach Roman Mauers Auswertungen der Rezensionen fanden Filmkritiker die halluzinatorische und visionäre Athmosphäre und Robby Müllers Kamerarbeit in Dead Man sehr gelungen. In Deutschland werde „die allegorische Seite des Films eher gelobt, die exzentrischen Züge kritisiert”, in Amerika sei es genau umgekehrt.[41] Die angloamerikanische Tagespresse habe den Film jedoch überwiegend negativ bewertet und die Einspielergebnisse waren mager. Dead Man stellte sich aber „im Nachhinein als einer der meist besprochenen Filme der 90er Jahre heraus”.[42]

Drei Jahre später folgt die Uraufführung von Ghost Dog: The Way of the Samurai (1999) in Cannes. Held des Films ist der einzelgängerische afroamerikanische Auftragsmörder Ghost Dog (Forrest Whitaker), der sein gesamtes Handeln und Denken nach einem japanischen Samurai-Kodex ausrichtet. Sein selbstauferlegter Kodex verpflichtet ihn zu unbedingter Loyalität gegenüber seinem Auftraggeber (John Tormey als Mafia-Mitglied) und resultiert schließlich in der Erschießung des Helden durch den Auftraggeber.

Ghost Dog ähnelt, was die grobe Handlungsstruktur betrifft, dem vorhergehenden Film Dead Man. In beiden Filmen wird der Held von Feinden verfolgt, eliminiert sodann alle Feinde und muss am Ende sterben. Ein Novum in Ghost Dog im Vergleich zu Jarmuschs früheren Spielfilmen ist das Zitieren von Szenen aus anderen Filmen. Die weißen Handschuhe, die Ghost Dog bei seinen Aufträgen trägt und der Vogel, der sich im entscheidenden Moment auf das Zielfernrohr setzt, sind verschiedenen Gangsterfilmen der 60er Jahre entlehnt.[43] Laut eines Interviews diente Jarmusch das musikalische Zitieren und die Sampling-Technik in Jazz und Hip-Hop als Vorbild für sein filmisches Zitieren.[44]

Auffällig bei Ghost Dog ist auch die Verwendung einiger stilistischer Manierismen, wie Überblendungen, jump cuts und Bewegungsunschärfe, die von den zurückhaltenden Darstellungsmitteln der früheren Spielfilme deutlich abweichen.

Zur Rezeption schreibt Mauer, dass in Ghost Dog vor allem die Schauspielarbeit Forest Whitakers „einstimmig gepriesen” wurde. In deutschen Rezensionen bemängelte man „Manierismus und ironische Distanz”, wohingegen die Atmosphäre, wie schon bei Dead Man, sehr gelobt wurde. Die Reaktionen der angloamerikanischen Presse sei „[p]ositiv bis gemischt” ausgefallen.[45]

Mit der Spielfilmversion von Coffee and Cigarettes (2003) kehrt Jarmusch scheinbar zu seinen minimalistischen Wurzeln zurück, denn die in Schwarzweiß gedrehten Gesprächszenen in Cafés erinnern in ihrem zurückhaltenden Stil und der Darstellung von unspektakulärer Alltäglichkeit an Stranger than Paradise. Allerdings legte schon der Entstehungsprozess diese Rückkehr zum Stil der 80er Jahre nahe, denn der erste Kurzfilm wurde 1986 gedreht und diente formal als Grundlage für die in den folgenden Jahren entstandenen Coffee and Cigarettes Episoden: „they're all shot exactly the same: a wide shot, a two-shot, single shots, and over the table.“[46]

Die dritte Episode „Somewhere in California” mit Iggy Pop und Tom Waits gewann 1996 den Kurzfilmpreis in Cannes. Die Schauspieler in Coffee and Cigarettes sind überwiegend prominente Personen der Film- und Musikbranche, wie etwa Cate Blanchett, Bill Murray, Iggy Pop, Tom Waits sowie Mitglieder der populären Hip-Hop Band The Wu-Tang-Clan (letztere hatten schon den Soundtrack für Ghost Dog komponiert). In Coffee and Cigarettes spielen die meisten Darsteller einerseits „sich selber“, andererseits sind ihre Dialoge fiktiv. Diese Ambiguität hinsichtlich fiktiver Rolle und realer Person lädt den Zuschauer zu einem Spiel mit Vermutungen ein, ob und in welchem Grade sich die Charaktere der realen Personen in den fiktiven Dialogen niederschlagen.

Die Rezensionen von Coffee and Cigarettes in Amerika fallen insgesamt etwas negativer aus als bei den vorherigen Spielfilmen. Die Reaktionen reichen von „cool and funny”[47] bis „painfully boring”.[48] Einige Episoden, z. B. „Cousins?” mit Alfred Molina und Steve Coogan sowie „Cousins” mit Cate Blanchett werden aber auch in tendenziell negativeren Kritiken wegen ihres überzeugenden Schauspiels lobend erwähnt. In Deutschland wird die Rückkehr zu dem Stil der 80er Jahre teilweise positiv, teilweise zwiespältig bewertet.[49]

In Broken Flowers (2005) wird der Leidensweg des wohlhabenden Don Johnston erzählt, der aufgrund eines mysteriösen Briefs und der Überredungskunst seines Nachbars nach der Mutter seines angeblichen Sohnes fahndet. Die episodische Struktur sowie das Reisemotiv erinnern an die Filme der 80er Jahre. Die Kamerarbeit von Frederick Elmes, der auch schon für Night on Earth engagiert wurde, wirkt eher konventionell. Abgesehen davon, dass die Rollen fast ausnahmslos mit bekannten Hollywoodstars besetzt wurden, sind bei Broken Flower keine nennenswerten Besonderheiten im Vergleich zum bisherigen Filmwerk auszumachen.

Im Jahr 2005 gewann Broken Flowers (2005) bei seiner Uraufführung in Cannes den ‚Großen Preis der Jury‘.

Die Filmkritik äußerte sich, möglicherweise auch bedingt durch die Auszeichnung in Cannes, erwartungsgemäß positiv, sowohl in den USA als auch in Deutschland.[50]

2.2 Jim Jarmusch im Kontext der amerikanischen Independent Filmindustrie

Seit den enormen Einspielergebnissen, die 1975 mit Jaws („Der weiße Hai“) und zwei Jahre später mit Star Trek erzielt wurden, verfolgte Hollywood die Strategie, Blockbuster zu produzieren, die reich an spektakulärer Handlung ein vorwiegend jugendliches Massenpublikum anvisierten.[51]

Hollywood hatte mit dieser Marktstrategie nach den kommerziellen Krisen der 60er Jahre wieder Fuß gefasst und die Zeit der innovativen Tendenzen des New Hollywood[52] war damit ebenfalls vorbei.[53]

Anfang der 80er Jahre begannen außerhalb des Studiosystems produzierte Filme jene Marktnischen zu besetzen, welche die Hollywood Studios durch ihre Konzentration auf normierte Blockbuster geschaffen hatten. Zu diesen Independent Filmen zählten David Lynchs Eraserhead (1977), John Sayles Return of the Secaucus 7 (1980), Paul Bartels Eating Raoul (1982), Joel und Ethan Coens Blood Simple (1984) und Jim Jarmuschs Stranger than Paradise (1984) die, trotz geringer Produktionskosten, in den USA zwischen 2 und 4 Millionen Dollar einspielten.[54]

Mit dem Begriff „Independent Film” wird meistens nicht nur eine wirtschaftliche Unabhängigkeit von Hollywood assoziiert, sondern auch, wie schon bei den unabhängigen Filmemachern der vorherigen Jahrzehnte (John Cassavetes, Kenneth Anger, Stan Brakhage u. a.), eine deutliche inhaltliche und stilistische Abweichung vom Hollywoodkino: „Ideally, an indie is a fresh, low-budget movie with a gritty style and off-beat subject matter that express the filmmaker’s personal vision.“[55]

In den folgenden Jahren waren es vor allem Independent Filme, die wichtige Auszeichnungen gewannen: „In 1987, all five nominees for the Best Picture Oscar were made outside the Hollywood establishment.“[56]

1989 gewann Stephen Soderbergs Sex, Lies and Videotape (1989) eine Auszeichnung auf dem Sundance Festival sowie die Goldene Palme in Cannes. Der Film, dessen Produktionskosten 1,2 Millionen Dollar betragen hatten, wurde von der Firma Miramax gekauft und spielte mit Hilfe einer 2,5 Millionen Dollar teuren Marketingkampagne schließlich 24 Millionen Dollar allein in Amerika ein.[57]

Die Erkenntnis, dass Independent Filme dieses wirtschaftliche Potential hatten, führte dazu, dass Hollywoodstudios in den 90er Jahren verstärkt Independent Firmen aufkauften.[58]

Das wachsende Prestige der Independent Produktionen veranlasste auch bekannte Stars Hauptrollen darin zu übernehmen. Das hatte jedoch auch zur Folge, dass es in den 90er Jahren zunehmend schwierig wurde, überhaupt noch finanzkräftige Geldgeber zu finden, wenn keine bekannten Schauspieler für die Rollen vorgesehen waren.[59]

Roman Mauer sieht einen Zusammenhang zwischen diesen Vermarktungsstrategien des kommerziellen Kinos und dem wachsenden Staraufgebot in Jarmuschs Filmen:

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Jarmuschs Zusammenarbeit mit Stars zu dem Zeitpunkt einsetzte, als er zunehmende Schwierigkeiten hatte, seine kreative Freiheit abseits von Hollywood zu behaupten: Nach Mystery Train (1989).[60]

In den 90ern bildeten sich innerhalb des amerikanischen Independent Sektors institutionelle Strukturen heraus, die denen der Hollywood Industrie immer ähnlicher wurden.[61]

Der „Minimajor” Miramax avancierte zum größten Independent Distributor und produzierte seit der Übernahme durch Disney im Jahre 1993 auch selber Filme. Die Firma war bald berüchtigt für ihre schlechte Zahlungsmoral,[62] die Praxis aufgekaufte Filme nachträglich zu schneiden, wenn diese dem Testpublikum nicht zusagten[63] und auch dafür, dass sie mitunter Filme erwarb, die dann niemals oder nur mit großer zeitlicher Verzögerung in die Kinos kamen.[64]

Diese negative Erfahrung machte auch Jarmusch, als er 1995 nach der Uraufführung von Dead Man in Cannes die Distributionsrechte an Miramax verkaufte:

Back in May 1995, after Harvey [Weinstein] had acquired, seen and hated Dead Man – in that order – at Cannes, he vigorously tried to persuade director Jim Jarmusch to recut it. Failing, he held the film for a year, until May 1996, and then released it without much enthusiasm. [...] In January of the new year Jarmusch, a presenter at the New York Film Critics Circle Awards, publicly rebuked Miramax, to the merriment of the assembled guests, saying that Dead Man had been seen at more private screenings than public ones, alluding to Miramax's failure to support the film.[65]

Einige Strategien haben sich für Jarmusch hinsichtlich einer größtmöglichen künstlerischen Unabhängigkeit trotz der wachsenden Kommerzialisierung im Independent Sektor bewährt.

Eine Möglichkeit der Finanzierung seiner Filme, bei gleichzeitiger Maximierung der Unabhängigkeit von der amerikanischen Filmindustrie, zeichnete sich schon zu Beginn von Jarmuschs Karriere ab und bestand darin, europäische Fernsehsender und Produzenten als finanzielle Ressourcen zu nutzen. Der Grundstein für diese Art der Finanzierung wurde schon mit dem Verkauf der Senderechte von Permanent Vacation an den Westdeutschen Rundfunk gelegt und Jarmusch ist im Großen und Ganzen bei dieser Strategie geblieben: „[...] I have a system where I try to avoid having American money in my films, because with that comes a lot of strings attached and script meetings and casting consultations.“[66]

Seit Mystery Train hat Jarmusch auch häufig den japanischen Elektronikkonzern JVC als Investor für die Produktion seiner Filme gewinnen können. Die Ablehnung von Auftragsarbeiten der finanzkräftigen Studios und der weitgehende Verzicht auf Finanzierung seiner Filme durch amerikanische Geldgeber hatte allerdings zur Folge, dass Jarmuschs Gesamtwerk mit 9 Spielfilmen über einen Zeitraum von 26 Jahren vergleichsweise klein geblieben ist.[67] Andererseits gewährleistete diese Unabhängigkeit eine künstlerische Konsistenz, die bei Regisseuren, die sowohl innerhalb als auch außerhalb Hollywoods arbeiten (beispielsweise Spike Lee, Gus van Sant und Steven Soderbergh) nur selten erreicht wird.

3. Realismus

3.1 Roman Jakobson: „Über den Realismus in der Kunst“

Roman Jakobson beanstandet in seinem Aufsatz „Über den Realismus in der Kunst“ (1921) den unkritischen Gebrauch des Begriffs „Realismus“ in der Kunst- und Literaturwissenschaft. Mit dem Begriff werde umgegangen „wie mit einem unendlich dehnbaren Sack, in dem man alles, was man will, verstauen kann.“[68]

Man könnte vermuten, dass sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts ein kritischerer und eindeutigerer Umgang mit dem Begriff durchgesetzt hätte, dies ist jedoch, insbesondere was den Film betrifft, nicht der Fall. Stattdessen erfuhr der Begriff „Realismus“ im Zusammenhang mit Film eine ebenso breite wie verwirrende Bedeutungsvielfalt.[69]

Es gab zwar einige Versuche,[70] den Begriff „Realismus“ im Kontext Film hinreichend zu differenzieren, was aber meiner Ansicht nach nicht sehr erfolgreich war, weil die zur Differenzierung eingeführten Kategorien sich teilweise überschneiden und dadurch weitere begriffliche Unschärfen mit sich brachten. Beispielsweise unterteilt Birger Langkjaer „realism“ in verschiedene Kategorien wie „perceptual realism“, „realism of style“ und so weiter.[71] Er fragt sich aber nicht, wie denn der „realism“ wohl in den „style“ hineingeraten ist. Irgendjemandes ‚perception‘, sei es die des Filmemachers oder die einer Rezipientengruppe, muss ja daran beteiligt gewesen sein, denn außerhalb eines solchen Kontextes existiert kein „style“. Hier überlagern sich also teilweise bereits die Kategorien „perception“ und „style“.

In Ermangelung eines adäquaten Realismusbegriffes im Kontext des Films werde ich mich auf Jakobsons differenzierte und einleuchtende Definitionen von „Realismus“ beziehen und diese für den Film spezifizieren.

Jakobson unterscheidet in „Über den Realismus in der Kunst“ zunächst zwischen zwei Hauptbedeutungen von Realismus und kritisiert, dass die Kunstgeschichte „diese beiden Bedeutungen des Terminus ‚Realismus‘ in hoffnungsloser Weise zu vermengen“ pflege:[72]

Bedeutung A: „Es handelt sich um ein Streben, eine Tendenz, d. h. unter einem realistischen Werk wird ein Werk verstanden, das von einem bestimmten Autor als wahrscheinlich konzipiert worden ist.“[73]

Bedeutung B: „Realistisch wird ein Werk genannt, das ich kraft meines Urteilsvermögens als wahrscheinlich rezipiere.“[74]

Jakobson unterscheidet bei den beiden letztgenannten Bedeutungen noch genauer zwischen einer avantgardistischen, revolutionären (A1,B1) und einer traditionellen, konservativen (A2,B2) Realismusauffassung.[75]

Darüber hinaus lassen sich laut Jakobson noch drei weitere Bedeutungen ausmachen:

Bedeutung C: Realismus meint die „Summe charakteristischer Merkmale einer bestimmten Kunstrichtung des 19. Jahrhunderts [...]“[76]

Bedeutung D: Als Realismus wird ein „Verfahren“ bezeichnet, das viele für die Handlungskette „unwesentliche Merkmal[e]“ verwendet. Dieses Verfahren ist häufig in C vertreten.[77]

Bedeutung E: Realismus kann auch „die Forderung nach konsequenter Motivierung, nach Realisierung der poetischen Verfahren“[78] sein.

Eine Übertragung auf den Film lässt sich wie folgt vornehmen:

Analog zu Bedeutung A („von einem bestimmten Autor als wahrscheinlich konzipiert“):

Was den Film betrifft, lässt sich dieses Streben immer dort feststellen, wo eine entsprechende Absicht durch die Wahl des Genres (etwa dem Dokumentarfilm), der Arbeitsweise (etwa dem außergewöhnlichen Bemühen um die wirklichkeitsgetreue Gestaltung von Schauplätzen und Kostümen) oder durch die Formulierung einer entsprechenden Wirkungsabsicht wie z. B. bei der „Dogma 95“ Bewegung,[79] offenkundig wird.

Analog zu Bedeutung B („als wahrscheinlich“ rezipiert):

Diese Bedeutung von Realismus als Rezeptionseindruck bedarf eigentlich keiner weiteren Übertragung auf den Film, sie ist hier ebenso gültig wie in der Literatur und bildenden Kunst.

Hinsichtlich einer wissenschaftlichen Diskussion ergibt sich allerdings das Problem, dass der Rezeptionseindruck allein nicht den Anforderungen wissenschaftlicher Objektivität gerecht wird. Dies kann dann dazu führen, dass die anderen Bedeutungen des Realismusbegriffs (etwa Bedeutung A oder C) dazu verwendet werden, den Rezeptionseindruck zu legitimieren und argumentativ zu untermauern, wobei der Umstand, dass es sich ursprünglich um einen Rezeptionseindruck handelte, völlig in den Hintergrund treten kann. Das Resultat ist jene „hoffnungslose[...] Weise“ der Begriffsvermengung, die Jakobson kritisiert hatte.

Bedeutungsdifferenzierung A1/B1 und A2/B2:

Die Einordnung von Intention und Rezeption in avantgardistisch-revolutionäre und traditionell-konservative ist, auch was den Film betrifft, abhängig von dem jeweiligen historischen Kontext.

Beispielsweise war der italienische Neorealismus früher eher als avantgardistisch einzustufen, weil er sich von den historischen Epen und Melodramen der Filmindustrie unter Mussolini absetzen wollte.[80] Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet ist es aber sinnvoller, den italienischen Neorealismus unter die Kategorie B2 zu setzen, also als eine Bewegung, die im traditionell-konservativen Sinne als „wahrscheinlich“ rezipiert wird. Denn die zu jener Zeit vom italienischen Neorealismus eingeführten Neuerungen werden heute häufig als klassische Beispiele für filmischen Realismus angeführt.

Analog zu Bedeutung C (die „Summe charakteristischer Merkmale einer bestimmten Kunstrichtung des 19. Jahrhunderts [...]“):

Zur Übertragung auf den Spielfilm muss in diesem Zusammenhang, in Ermangelung einer konsistenteren „Richtung“, wieder der italienische Neorealismus herhalten. Die zugrundeliegenden charakteristischen Merkmale wären dabei beispielsweise: Filmdrehs an lokalen Schauplätzen, Einbeziehung von Laienschauspielern, Einbeziehung von kausal nicht motivierten Details, ein Hang zu Ambiguität und zur ‚slice-of-life‘ Handlungsstruktur.[81]

Analog zu Bedeutung D ( „Verfahren“, das viele „unwesentliche Merkmal[e]“ verwendet und häufig in C vertreten ist.):

Ein Unterschied zwischen Literatur und Film ergibt sich hier aus dem Umstand, dass der Film ein bestimmtes Maß an Detailreichtum immer schon zeigt, wo die Literatur sie nur beschreiben kann. Eine sehr ausführliche Beschreibung, etwa der Physiognomie einer Person, könnte man in der Literatur als Ansammlung solcher unwesentlichen Merkmale ansehen. Im Film sind diese Merkmale aber schon in der Abbildung der Person zwangsläufig vorhanden. Eine Abgrenzung zwischen notwendigen und unwesentlichen Merkmalen auf der visuellen Ebene ist daher schwierig. Deshalb lassen sich im Film diese unwesentlichen Merkmale am ehesten auf erzählerischer Ebene untersuchen, etwa hinsichtlich der Einführung von Personen, die für die Handlungskette nicht von Bedeutung sind oder anhand von Ereignissen, die keine erkennbare Funktion für die Handlung aufweisen.

Analog zu Bedeutung E (Realismus kann auch „die Forderung nach konsequenter Motivierung, nach Realisierung der poetischen Verfahren“ sein):

Dieser Realismus, der phantastische oder mit der physischen Welt unvereinbare Dinge durch erzählerische Strategien[82] wieder in einen plausiblen Kontext zurückholt, wird im Film ebenso angewandt wie in der Literatur.

Bei dieser Arbeit soll es hauptsächlich um die Bedeutung „Realismus“ als Rezeption gehen (Bedeutung B). In einigen Fällen, wo etwas über die Wirkungsabsicht des Regisseurs aus Interviews bekannt ist, zum Beispiel was die Auswahl der Schauplätze betrifft, wird auch „Realismus“ in der Bedeutung A (Wirkungsabsicht) in die Überlegungen miteinbezogen. Bedeutung C (charakteristische Merkmale einer realistischen Strömung) und Bedeutung D („unwesentliche Merkmale“) spielen insofern eine Rolle, dass sie eine Gruppe von Merkmalen bilden, die eine gute Ausgangsbasis für eine Analyse des Realismus als Rezeptionseindruck (Bedeutung B) darstellen. Das heißt, wenn sich zum Beispiel ein charakteristisches Merkmal einer realistischen Filmströmung, wie z. B. das Location Shooting, in den Filmen Jarmuschs finden lässt, soll der Frage nachgegangen werden, was dessen Potential für den Rezeptionseindruck „Realismus“ ausmacht.

3.2 Verisimilitude : ‚Wahrscheinlichkeit‘ als Anschein von Wahrheit und Wirklichkeit

Wie oben gezeigt wurde, handelt es sich laut Jakobson um ein realistisches Werk gemäß der Bedeutungen A und B, wenn es als „wahrscheinlich“ intendiert oder rezipiert wird.

Der Begriff „Wahrscheinlichkeit“ wird im literaturwissenschaftlichen oder philosophischen Zusammenhang manchmal im Sinne von verisimilitude gebraucht.[83] Überwiegend wird „Wahrscheinlichkeit“ jedoch, vor allem in der Alltagssprache und der Mathematik, eher im Sinne von probability verwendet. In letztgenannter Bedeutung meint er nicht den bloßen Eindruck (als Anschein, den etwas erweckt), sondern eher eine prognostizierbare oder berechenbare „Wahrscheinlichkeit“.

Wegen dieser Mehrdeutigkeit verwende ich in dieser Arbeit dort, wo es um einen Eindruck von Realismus oder Authentizität geht, den Begriff v erisimilitude in der Bedeutung „the appearance of being true or real.“[84]

3.3 Realismus und Film: Traditionen und Theorien

Die Filme der Brüder Lumière, die zu den ersten der Filmgeschichte überhaupt zählen, waren Aufzeichnungen mit dokumentarischem Charakter: Arbeiter, die eine Fabrik verließen, die Einfahrt eines Zuges, Badende am Meer.[85] Es dauerte aber nicht lange bis man herausfand, wofür das neue Medium noch eingesetzt werden konnte. Georges Méliès drehte die ersten Trick- und Fantasyfilme,[86] die Abbildung einer gegebenen äußeren Wirklichkeit spielte dabei kaum eine Rolle mehr.

Diese gegensätzlichen Ansätze das Potential des Filmmediums zu nutzen, beeinflussten in den folgenden Jahrzehnten immer wieder die Debatte der Filmästhetik, die sich an einer realistischen Tendenz einerseits und einer formativen[87] Tendenz andererseits polarisierte. Die formative Tendenz spielte anfangs auch für die Legitimation des Films als Kunstwerk eine Rolle, da die gestalterische Komponente eines ihrer wesentlichen Merkmale war. Die formative Tendenz wurde mit dem Kino des Expressionismus, dem surrealistischem Film (Luis Buñuel) sowie mit dem sowjetischen Montagestil (Sergej Eisenstein) assoziiert. Die Dokumentarfilme der 20er Jahre (John Grierson, Robert Flaherty), der poetische Realismus (Jean Renoir, Marcel Carné) und der italienische Neorealismus wurden dagegen als Fortsetzung der realistischen Tendenz angesehen.[88]

Der italienische Neorealismus (1942-1951) mit Vertretern wie Luchino Visconti, Vittorio de Sica und Roberto Rosselini wird als wichtigste Strömung des filmischen Realismus angesehen. Die Filmemacher des Neorealismus wollten die von Diktatur, Armut und Krieg geprägte Lebenswirklichkeit der damaligen Zeit vermitteln und sich von den bürgerlichen Melodramen der Mussolini-Diktatur absetzen.[89]

In den 40er und 50er Jahren schrieb André Bazin, Mitbegründer der einflussreichen Zeitschrift Les Cahiers du Cinéma, eine Reihe von filmtheoretischen Aufsätzen, die zusammen mit Siegfried Kracauers 1960 veröffentlichter Theory of Film als einflussreichste Texte der Filmtheorie des Realismus gelten. Sowohl Bazin als auch Kracauer begründen die Bedeutung des Realismus für den Film damit, dass der Film als Medium wie kein anderes geeignet sei, Wirklichkeit abzubilden. Beide leiten dieses Abbildungspotential aus der Verwandtschaft des Films mit der Fotografie ab.[90]

Auch betonen beide, dass die formativen beziehungsweise künstlerischen Aspekte im Film wichtig seien, es geht ihnen nicht um eine bloße Abbildung der äußeren Wirklichkeit, sondern um eine dem Medium angemessene Integration derselben.[91]

Bazin befasste sich ausgiebig mit der Ästhetik des italienischen Neorealismus. Zwar räumt er ein, dass viele Filme des Neorealismus, wenn man sie auf ihre reine Handlung reduziere, „moralizing melodramas“ seien, aber „on the screen everybody in the film is overwhelmingly real.“[92]

Der dokumentarische Eindruck der Filme basiere auf deren Verwurzelung im sozialhistorischen Kontext der Zeit.[93] Anhand der Untersuchung verschiedener Filme kristallisieren sich bei Bazin weitere Aspekte heraus, die den Eindruck von Realismus fördern können. Dazu zählen der richtige Einsatz von Laienschaupielern[94], eine Einbeziehung von Mehrdeutigkeit durch reale Fakten[95] sowie eine elliptische Erzählstruktur sofern sie nicht, wie bei der klassischen Montage, als Stil eingesetzt werde.[96] Zur Förderung des Realismus im Film plädiert Bazin auch für eine zurückhaltende Montage und die Verwendung von mehr Tiefenschärfe, da dadurch das räumliche und zeitliche Kontinuum der Realität gewahrt bleibe und dem Filmbild ein Grad an Ambiguität zurückgegeben werde.[97]

Kracauer meint, dass es bedeutend für den Grad des Realismus’ sei, welche Dinge der Film zeige. Im Widerspruch zu filmischem Realismus stehe zum Beispiel das Bühnenhafte, weil es dem Potential des Films nicht gerecht wird: „ [...] the artificiality of stagy settings or compositions runs counter to the medium’s declared preference for nature in the raw [...].“[98] Analog dazu sei auch die theatralische Handlung, wenn sie sich zu sehr am Bühnenstück orientiere, eine „uncinematic story form“.[99]

Wie die Fotografie habe der Film eine Affinät zum Flüchtigen, Zufälligen, Ausschnitthaften und Unbestimmbaren.[100] Deshalb seien manche Inhalte besonders für die filmische Wiedergabe geeignet: Straßen und öffentliche Räume, Bewegung, Menschenmassen sowie Dinge, die in der Alltagswahrnehmung oft unbeachtet blieben.[101]

Der Mensch habe unter dem Einfluss von Wissenschaft und Technologie eine Gewohnheit des abstrakten Denkens entwickelt durch die die physische Realität ungreifbar geworden sei. Der Film mache diese Dinge wieder zugänglich: „Film renders visible what we did not, or perhaps could not, see before its advent.“[102]

In den 70ern und 80ern orientierte sich die filmtheoretische Debatte in Bezug auf Realismus vor allem an neo-marxistischen und psychoanalytischen Ansätzen. Der von Colin MacCabe geprägte Begriff ‚classical realism‘ bezeichnete dabei eine manipulative, illusionsfördernde Technik vor allem des Hollywood-Kinos, um vorherrschende Ideologien zu transportieren.[103]

Den neoformalistischen[104] Ansätzen von David Bordwell und Kristin Thompson gebührt vor allem das Verdienst, dass sie die filmtheoretische Debatte von dem einschränkenden Blickwinkel der psychoanalytischen Filmtheorie befreit haben. Der Zuschauer wird bei ihnen nicht mehr als passives, manipuliertes Subjekt angesehen: „The point is [...] the spectator thinks.“[105]

Bordwell geht es allerdings in Narration of the Fiction Film hauptsächlich darum, wie Zuschauer Filme, und vor allem deren Erzählweisen, verstehen. Realismus sieht Bordwell dabei nur als eine Spielart des art cinema an und charakterisiert Realismus mithilfe derselben Merkmalgruppe und derselben Filme, die schon Bazin herausgearbeitet beziehungsweise behandelt hatte.[106] Bordwell bezieht einige Begriffe aus der Kognitionspsychologie in seine Überlegungen hinsichtlich des Filmverstehens mit ein. Dazu zählt auch der für diese Arbeit relevante Begriff der „schemata“. Als „schemata“ werden „organized clusters of knowledge“ bezeichnet; beispielsweise sei das mentale Bild eines Vogels ein Schema für visuelles Wiedererkennen.[107]

Kristin Thompson stellt sich die vielversprechende Frage, warum der Zuschauer den neorealistischen Klassiker Bicycle Thieves (Ladri di Biciclette, 1948) als realistisch wahrnimmt.[108] Ihre Antworten kreisen aber, ebenso wie bei Bordwell, hauptsächlich um jene Merkmale, die Bazin schon erwähnt hatte. Sie argumentiert etwa mit „historically recurring notions“, dass Arbeiter- und Bauernklassen für realistische Darstellungen besonders geeignet seien und Laiendarsteller sowie Location Shooting den Stil „obviously realistic“ erscheinen lassen.[109] Diese Argumente belegen zwar Realismus im Sinne einer traditionellen Merkmalgruppe und Strömung, beantworten jedoch nicht Thompsons anfängliche Frage, warum dieser Film auf den Zuschauer realistisch wirke. Im Kontext von Jakobsons Realismus-Definitionen könnte man sagen, Thompson hat eine Frage zum Realismus in der Bedeutung B gestellt, diese jedoch mittels der Bedeutung C zu beantworten versucht.

Torben Grodal stellt in seinem Aufsatz „The Experience of Realism in Audiovisual Representation“ einige wertvolle Überlegungen an, was die Rezeption von Realismus im Film betrifft.

Grodal greift den Schema-Begriff, den Bordwell schon im Kontext des Filmverstehens verwendet hatte, wieder auf. Während der Mensch die spezifische „uniqueness“ etwa eines Baumes wahrnehme, erkenne er auch dessen unspezifische Eigenschaften, wie Stamm, Blätter und Äste. Diese allgemeinen, typischen Eigenschaften werden in Schemata gespeichert und bilden die Basis für das Begreifen der Umwelt.[110]

„Uniqueness“ und Komplexität erhöhten dagegen den Eindruck von Realismus, weil sie der Wahrnehmung der äußeren Realität am ehesten entsprächen. Ein Strichmännchen sei entsprechend weniger realistisch, als eine gute Fotografie.[111] Dies gelte aber nur, solange die komplexe, spezifische Darstellung nicht allzu sehr von unseren Schemata abweiche. Deshalb sei Realismus immer auch eine Gradwanderung: „Realism could therefore be considered a balancing act between the unique which provides the ‚salience of the real‘, and the typical which provides the cognitive credibility and familiarity of the real.“[112]

Diese Schlussfolgerungen Grodals erscheinen mir sehr einleuchtend. Es ließe sich anhand dieser Erkenntnisse vielleicht auch erklären, warum das Hollywoodkino einerseits[113] und der Experimentalfilm andererseits selten mit Realismus assoziiert werden: Während ersteres aufgrund stereotyper Darstellungen zu wenig „unique“ ist, weicht letzterer zu sehr von den vertrauten Schemata des Publikums ab.

Seit dem italienischen Neorealismus hat es immer wieder filmische Strömungen gegeben, die mit Realismus assoziiert wurden.

Dazu zählt die in den 60er Jahren entstandene französische Dokumentarfilmbewegung cinéma vérité und deren amerikanisches Pendant direct cinema. Inspiriert von dem russischen Filmemacher Dziga Vertov und dessen in den 20er Jahren entstandener Dokumentarfilmreihe Kino Pravda („Filmwahrheit“), portraitierten und interviewten die Filmemacher Leute in der Öffentlichkeit.[114]

Die britische New Wave -Bewegung (1959-1963) hatte ihre ästhetischen Wurzeln im britischen Dokumentarfilm der 30er und 50er Jahre sowie im Neorealismus.[115] Unter anderem Karel Reisz und Tony Richardson schufen diese sogenannten ‚ kitchen sink ‘-Dramen, bei denen es sich oft um Adaptionen von Theaterstücken handelte. Inhaltlich behandelten diese Filme, wie Saturday Night and Sunday Morning (Karel Reisz, 1960) oft das Alltagsleben junger Männer der Arbeiterschicht.[116]

In den 90er Jahren proklamierten die dänischen Regisseure Lars von Trier und Thomas Vinterberg das „Dogma 95“-Manifest, in welchem sie sich von der illusionären Ästhetik des Mainstreamkinos distanzierten, um ein wahrhaftigeres und authentischeres Kino zu etablieren. Zu den selbstauferlegten Regeln der Gruppe gehörte der Verzicht auf Spezialeffekte und künstliches Licht ebenso wie die Benutzung von Handkameras und Location Shooting. Nach einem vielversprechenden Anfang mit Filmen wie Festen (Thomas Vinterberg, 1998) und Idioterne (Lars von Trier, 1998) zerfiel die Bewegung jedoch recht schnell und brachte danach kaum noch nennenswerte Filme hervor.[117]

Realismus gepaart mit poetischer Sensibilität und selbstreflexiver Experimentierfreudigkeit seien die Hauptcharakteristiken des neuen iranischen Kinos seit den 90er Jahren, meint Richard Armstrong.[118]

Damit ist nicht die iranische Filmproduktion insgesamt gemeint, sondern Filme von Regisseuren wie Abbas Kiarostami (And life goes on ..., 1992) und Mohsen Makhmalbaf (Kandahar, 2001), die auf Filmfestspielen internationale Anerkennung gefunden haben. Thematisch befassen sie sich mit den Schicksalen „of ordinary people as they deal with economic hardship, natural disaster, crime and religious and gender oppression [...]“[119]

Eine Tendenz zum Realismus sieht Armstrong auch im amerikanischen Independent Film Sektor, vor allem in dessen Bemühen, das gewöhnliche amerikanische Leben zu repräsentieren.[120] Der „indie realism“ von Richard Linklaters Slacker (1991) sowie Kevin Smiths Clerks (1994) sei zwar berüchtigt für exzessive Redseligkeit und übertriebene Verschrobenheit. Insgesamt gesehen habe der „indie realism“ jedoch ein Potential durch seine Bekenntnis zum Anderen: „its commitment to other American lives and microcultures has made for some effective replies to the homogenizing technologies and star turns of Hollywood.“[121]

4. Realismus in den Spielfilmen von Jim Jarmusch

4.1 Rollenbesetzung und „ collaboration “ mit den Darstellern

4.1.1 Einsatz von Laiendarstellern

In verschiedenen, einem filmischen Realismus zugerechneten Strömungen wurden Laiendarsteller in Hauptrollen eingesetzt, so zum Beispiel vereinzelt im französischen ‚poetischen Realismus‘ (Toni, 1935), vor allem im italienischen Neorealismus (z. B. La Terra Trema [1948] , Ladri di Biciclette, [1948]) und teilweise im jüngeren iranischen Kino.

In einem Essay über den italienischen Neorealismus bezeichnet Bazin die gelungene gemischte Besetzung aus Laiendarstellern und professionellen Schauspielern als ein „Amalgam“, aus dem im günstigen Fall ein „extraordinary feeling of truth“ resultieren könne.[122] In der Filmkritik und Filmtheorie wird der Einsatz von Laiendarstellern in tragenden Rollen seither häufig als eines der Merkmale für Realismus im Film angesehen.[123] Bill Nichols meint, dass durch die Verwendung von Laiendarstellern, wie z. B. im Neorealismus, eine Nähe zum dokumentarischen Film entstehe, diese Spielfilme besetzten ein „fuzzy territory between fiction and non-fiction“.[124]

Im Übrigen wird der Darstellung von Laiendarstellern insbesondere dann ein höherer Grad von Realismus und Authentizität zugeschrieben, wenn die Darsteller sich zu einem gewissen Grade „selber“ spielen, dass heißt eine Rolle übernehmen, die hinsichtlich ihres Milieus derjenigen entspricht, die sie auch im wirklichen Leben einnehmen.

Es scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar, dass ein Laiendarsteller, der sich in diesem Sinne „selbst“ spielt, authentischer wirken kann, als ein professioneller Schauspieler, da jener bestimmte Fähigkeiten besitzt, die der professionelle Schauspieler sich erst mühsam aneignen muss. Dabei kann es sich beispielweise um routinierte Bewegungsabläufe handeln, die den Filmcharakter als zu einer bestimmten Berufgruppe zugehörig ausweisen, oder um die Verwendung von Idiomen und Dialekten, die ihn als Mitglied eines spezifischen lokalen und sozialen Milieus glaubwürdig erscheinen lassen.

Dem Einsatz von Laiendarstellern wird jedoch, was deren authentisierende Wirkung betrifft, meiner Ansicht nach zuviel Gewicht beigemessen. Beispielsweise kann man in der Praxis davon ausgehen, dass die Anwesenheit des technischen Equipments am Drehort und die ungewohnte Situation einen Laiendarsteller mehr verunsichern, als einen professionellen Darsteller, was sich negativ auf die Darstellung auswirken kann. Auch kann die Ungeübtheit im professionellen Sprechen den Eindruck von Authentizität wieder zerstören.

Außerdem stellt sich die Frage, wie der Zuschauer die Glaubwürdigkeit der Darstellung von Laienschaupielern überhaupt beurteilen kann, wenn er das den Rollen zu Grunde liegende soziale Milieu gar nicht kennt.

Beispielsweise kann die überwiegende Zahl der Zuschauer bei Viscontis neorealistischem Klassiker La Terra Trema (1948) kaum beurteilen, ob die Darstellung der Einwohner eines sizilianischen Fischerdorfes einer außerfilmischen Wirklichkeit entspricht oder nicht, weil er kein solches Dorf aus eigener Anschauung kennt. Was der Zuschauer jedoch aufgrund seiner Erfahrung mit Spielfilmen schnell erkennen wird, sind Unsicherheiten in der Darstellung der Laienschauspieler, die einen eventuell erreichten Authentizitätseindruck wieder zerstören können.

Deshalb ist der Einsatz von Laiendarstellern im Spielfilm, auch wenn diese Darsteller Rollen übernehmen, die ihrem gesellschaftlichen Leben weitgehend ähneln, nur bedingt dazu geeignet verisimilitude hervorzurufen. Ob dies gelingt ist abhängig von der Art der Rolle, der Begabung und Beschaffenheit des Laiendarstellers und der Fähigkeit des Regisseurs diese zu erkennen und sinnvoll zu integrieren.

Jarmusch hat in seinen frühen Filmen häufig auf Amateur- und Laienschauspieler zurückgegriffen. Oft handelte es sich um Musiker aus seinem Bekanntenkreis, wie etwa Tom Waits, John Lurie, Joe Strummer, Screamin’ Jay Hawkins und Iggy Pop. Einige dieser Darsteller, wie John Lurie, konnten sich seitdem als Schauspieler etablieren. 1985 sagte Jarmusch, er könne mit ausgebildeten Schauspielern nicht so gut arbeiten, weil bei deren Anwendung schauspielerischer Techniken der zu entwickelnde Charakter verloren gehe und weil sie oft eine Tendenz zur überdramatisierten Ausdrucksform hätten.[125] In einem Interview von 1989 bekundete Jarmusch seine Sympathie für den Einsatz von Laiendarstellern im Neorealismus und für „[John] Cassavete’s way of blending them with more experienced actors“ und erklärt „I’m trying to learn to work that way.“[126]

Ein gutes Beispiel dafür, dass Laiendarsteller sehr authentisch und realistisch wirken können, zeigt sich in der Rolle von Evas und Willis ungarischer Tante (Cecilia Stark) in Stranger than Paradise. Ihr Ungarisch wird nicht synchronisiert sondern in Untertiteln übersetzt, wie Jarmusch dies stets mit nicht nicht-englischsprachigen Rollen handhabt.[127] Die Tante redet oft nicht klar und deutlich (wie Schauspieler dies tun, damit die Zuschauer sie verstehen) sondern etwas undeutlich und monoton, als spräche sie zu sich selber. Durch diese „Rücksichtslosigkeit“ gegenüber dem Zuschauer wirkt der Auftritt der Tante weniger wie eine Inszenierung, sondern eher wie die filmische Aufzeichnung von einer real vorhandenen Person, die unabhängig vom Vorhandensein des Zuschauers existiert. Dieser Eindruck einer „Nicht-Inszenierung“ wird noch von der Kameraperspektive unterstützt: während sie den Besuchern Gulasch bringt, ist sie zunächst nur von hinten oder perspektivisch verzerrt am Bildrand zu sehen. Auch ihre Angewohnheit, mit der Hand über die Sessellehne zu streichen, hinterlässt den Eindruck einer authentischen Geste. Diese Geste kann ein echter Ausdruck von Nervosität der Laienschauspielerin hinsichtlich des Filmdrehs sein, oder eine reale persönliche Angewohnheit der Darstellerin oder das Resultat einer Regieanweisung. In den ersten beiden Fällen wäre der Zuwachs an verisimilitude also das Ergebnis davon, dass eine Laiendarstellerin für diese Rolle eingesetzt wurde. Unabhängig davon, welche der drei Ursachen für die Geste verantwortlich war, resultiert deren Wirkung letztlich daraus, dass sie in jeder Hinsicht auch in den Kontext der Filmhandlung passt. Denn die Geste wäre sowohl als Ausdruck einer nervösen Befangenheit hinsichtlich des ungewohnten Besuchs Willies nachvollziehbar als auch als eine persönliche Angewohnheit der Filmfigur Tante Lotte.

Ein weiteres Beispiel für die gelungene Besetzung von Rollen mit Laiendarstellern sind die Bewohner des Makah Dorfes in Dead Man. Auch hier geht es nicht um eine schauspielerische Kompetenz, die sich durch feinfühlig intonierte Sprache oder gestische und mimische Techniken auszeichnet. Die Rolle der Dorfbewohner ist in erster Linie darauf ausgerichtet, dem Protagonisten Blake (und dem Zuschauer) den Eindruck von vollkommener gegenseitiger Fremdheit zu vermitteln. Die Dorfbewohner entsprechen keiner der stereotypen „Indianer“-Klischees, sie sind Blake weder übermäßig freundlich noch feindlich gesinnt, ihr Interesse an dem Fremdkörper Blake äußert sich allenfalls in verhaltener Neugier. Um diese Fremdheit und Neutralität gegenüber Blake zu vermitteln, eignet sich die „natürliche“ Ausdruckslosigkeit der Laiendarsteller hier vermutlich besser, als sich die gespielte Ausdruckslosigkeit von professionellen Schauspielern eignen würde.

Tom Waits’ Rolle in Down by Law zeigt, wie Elemente der tatsächlichen Person in die Rolle des Filmcharakters integriert werden können. In Down by Law spielt Waits einen eitlen, exzentrischen Radio DJ, der schließlich im Gefängnis landet.

Roman Mauer vergleicht Waits’ Schauspiel mit anderen kleinen Spielfilmrollen des Musikers in den 80er Jahren und kommt zu dem Schluss, dass Waits in jenen Filmen für einen Schauspieler viel zu unflexibel agierte.[128] Durch Jarmuschs geschickte Integration der persönlichen Eigenheiten des Darstellers gelinge in Down by Law aber ein überzeugender Gesamteindruck, denn Waits „Unvermögen Rollen zu verkörpern und statt dessen Manierismen und persönliche Ticks auszustellen – hat Jarmusch aufgenommen und [...] zum Vorteil des Films umfunktioniert.“[129]

Es gibt allerdings auch negative Reaktionen auf Laiendarsteller in Jarmuschs Filmen.

Jonathan Rosenbaum mokiert sich etwa über den auffälligen New Yorker Dialekt von einigen Darstellern in Mystery Train, was für den Schauplatz Memphis wenig überzeugend wirke.[130] Angesichts des Umstands, dass Memphis hier nicht ein beliebiger Schauplatz ist, sondern der Film auch ansonsten versucht, Einzelheiten des sozialen und kulturellen Lokalkolorits der Stadt einzufangen, kann man Rosenbaum hier zustimmen.

In Permanent Vacation bemängelt Mauer die „mangelnde Überzeugungskraft des Schaupiels“ in der Dialogszene zwischen Allie und seiner psychisch kranken Mutter, während hinsichtlich des Hauptdarstellers „die Unfähigkeit des Laiendarstellers auf glückliche Weise mit dem künstlichen Gehabe“ der Filmfigur korrespondiere.[131] Auch die Laienhaftigkeit des Schauspiels der White Stripes in der Tesla Coil -Episode von Coffee and Cigarettes ist laut Mauer sehr auffällig.[132]

Was den ersten Punkt betrifft, ist Mauers Urteil meiner Ansicht nach nicht ganz gerechtfertigt, denn die „gestelzten Wiederholungen“ der Mutter, die Mauer unter anderem kritisiert, lassen sich durch deren Geisteszustand erklären. Eher fällt dagegen der Auftritt der Krankenschwester (Jane Fire), die wie ein Fotomodell durch die psychiatrische Anstalt stolziert, als sie Allie zum Patientenzimmer führt, als laienhaftes Schauspiel auf.

Noch 1994 antwortete Jarmusch, nach seinen Erfahrungen mit Laiendarstellern befragt:

I think certain people are capable of being good actors or being relaxed and becoming real in front of the camera. They could be someone who studied acting academically for years, or they could be your plumber. It really depends on the person and the character and how you work.[133]

Trotz dieser positiven Äußerungen hinsichtlich des Potentials von Laiendarstellern hat Jarmusch seit Mystery Train (1989) mit einer Ausnahme[134] Laienschauspieler nur noch in kleineren Nebenrollen eingesetzt. Offensichtlich hat sich der Einsatz von Laiendarstellern auf lange Sicht für Jarmusch doch nicht bewährt. Zunächst ist natürlich die ökonomische Notwendigkeit der Anfangsjahre weggefallen, auf Freunde und Bekannte als Schauspieler zurückgreifen zu müssen. Weitere Gründe sind möglicherweise, dass sich Laiendarsteller weniger universell einsetzen lassen, als ausgebildete Schauspieler und das ein Ensemble von bekannten Stars die Finanzierung der Produktionskosten vereinfacht, weil potentielle Geldgeber die Werbewirksamkeit bekannter Schauspieler zu schätzen wissen. Betrachtet man die bisherigen Spielfilme Jarmuschs im Rückblick, ist hinsichtlich der Rollenbesetzungen eine graduelle Verschiebung vom überwiegenden Einsatz von Laiendarstellern (Permanent Vacation und Stranger than Paradise) bis hin zur einer Besetzung, die fast ausschließlich aus Stars und bekannten Schauspielern (Broken Flowers) besteht, zu beobachten.

4.1.2 Die „backwards“-Methode

Auf die Frage nach dem Entstehungsprozess seiner Filme hat Jim Jarmusch in Interviews häufig darauf hingewiesen, dass die Auswahl der in Frage kommenden Schauspieler noch vor der Ausarbeitung des Drehbuchs stattfinde, oft sogar bevor eine konkrete Idee für die Filmhandlung vorhanden sei: „Usually I write for specific actors and have an idea of a character I want to collaborate with them on. The story is suggested by those characters.“[135] Der für den Protagonisten eines Filmprojekts ins Auge gefasste Schauspieler (oder Laiendarsteller), dessen schauspielerisches Potential, seine Persönlichkeit und die Assoziationen, die Jarmusch damit verbindet, inspirieren den Regisseur bei der Ausarbeitung der Rolle und des Drehbuchs.[136]

Wenn man sich nach dem verisimilitude -Potential dieser „backwards“-Methode fragt, lässt sich zunächst eine Tatsache feststellen: Der Fiktion des Spielfilms liegt eine in der realen Welt aktuell vorhandene Person (dem im Voraus gewählten Schauspieler) als Ausgangspunkt und Quelle der Inspiration zu Grunde.

Aus diesem Umstand ein im Film zum Ausdruck kommendes realistisches Moment abzuleiten mag zunächst abwegig erscheinen. Man sollte meinen, dass ein talentierter und gut ausgebildeter Schauspieler, der vielleicht auch von seinem physischen Erscheinungsbild gut zu einer gegebenen Rolle passt, in der Lage ist, diese Rolle überzeugend und „realistisch“ darzustellen.

Allerdings ist es für die Umsetzung eines geplanten Autorenfilmes wichtig, dass die ursprüngliche Vision beziehungsweise Idee intakt bleibt, und das setzt ein hohes Maß an Vermittlung dieser Idee voraus. Selbst wenn der Schauspieler alle Voraussetzungen für eine Rolle erfüllt, kann die Umsetzung dieser Idee zu einer glaubwürdig dargestellten Rolle daran scheitern, dass die Idee sich nicht angemessen vermitteln lässt. Je charakterzentrierter ein Film ist und je differenzierter die Nuancen, die eine bestimmte Idee und Atmosphäre transportieren sollen – und bei dem minimalistischen Stil Jarmuschs ist es häufig das Zusammenspiel kleiner Details, von denen die Gesamtwirkung abhängt – desto größer ist die Gefahr, dass bei der Vermittlung zwischen Regisseur und Darsteller wesentliche Nuancen verloren gehen.

Bei der „backwards“-Methode von Jarmusch wird dieser Vermittlungsverlust minimiert, da sich das Darzustellende (sowohl auf der Ebene der Handlung als auch auf der Ebene der Interpretation durch den Schauspieler) erst aus dem Potential des Darstellers ergibt.

Die „backwards“-Methode kann in Einzelfällen auch andere praktische Vorteile bieten. Beispielsweise hat Jarmusch den Komödienschauspieler Roberto Benigni in Italien kennengelernt und für ihn die Rolle eines italienischen Einwanderes ausgearbeitet. Weil Benigni zu Drehbeginn tatsächlich nicht viel Englisch sprach, sind dessen Sprachschwierigkeiten in Down by Law nur teilweise gespielt. Hätte Jarmusch zuerst das Drehbuch geschrieben und erst dann jemanden gecastet, der die Sprachschwierigkeiten „nur“ spielt, wäre das Gesamtergebnis vermutlich weniger glaubwürdig gewesen.

4.1.3 Improvisationen

Ein weiterer Faktor, der bei der Arbeit mit Darstellern den Eindruck von Authentizität erwecken kann, liegt in der Einbeziehung improvisatorischer Elemente. Etwa, wenn bei den Dreharbeiten Situationen oder spontane Dialogänderungen zu Tage treten, die trotz ihrer Abweichung vom Drehbuch beibehalten werden, weil sie der Inszenierung mehr Glaubwürdigkeit oder Ausdruckskraft, mitunter auch Komik, verleihen.

Roberto Benignis Satz „It’s a sad and beautiful world“ in Down by Law war ursprünglich ein Versprecher,[137] seine absurde Frage „Do you know my mother?“ in der ersten Episode von Coffee and Cigarettes eine Improvisation, weil er den Text vergessen hatte.[138]

Benignis Monolog als römischer Taxifahrer in Night on Earth entspricht zwar inhaltlich dem Drehbuch, die Formulierung ist aber zu weiten Teilen ebenso improvisiert[139] wie die mysteriösen Bemerkungen des Heizers[140] (Crispin Glover) zu Beginn von Dead Man. Ebenfalls das Resultat einer Improvisation ist die Szene mit dem toten Reh in Dead Man, bei der William Blake (Johnny Depp) mit dem Blut des Rehs seine „Kriegsbemalung“ auffrischt.[141]

Die evozierte Glaubwürdigkeit bei (teil-)improvisierten Dialogen kann einerseits darin liegen, dass die Schauspieler, wenn sie ihre eigene Formulierung verwenden dürfen, diese als angemessener empfinden, dadurch motivierter und natürlicher agieren, wodurch auch ein authentischerer Eindruck entstehen kann.

Zudem sind einige dieser (teil-)improvisierten Szenen, wie die Rede des Heizers oder Blakes Kriegsbemalung in Dead Man, vieldeutig. Diese Ambiguität kann beim Zuschauer einen mentalen Prozess der Reflexion und des Vermutens auslösen, welcher der Reaktion auf unklare Situationen in der außerfilmischen Alltagswirklichkeit ähnelt, was ebenfalls das Potential hat, den Grad an verisimilitude zu erhöhen.

4.2 Drehorte

4.2.1 Location Shooting

Location Shooting[142] war nicht nur während der schon im vorherigen Kapitel erwähnten realistischen Strömungen beliebt, sondern wurde darüber hinaus auch von einer Vielzahl anderer Bewegungen, wie z. B. der Nouvelle Vague, der „Dogma 95“ Bewegung und dem amerikanischen Independent Film aufgegriffen. Aber auch manche Hollywoodfilme werden zum Teil an realen Schauplätzen gedreht.

Häufig wird auf Location Shooting zurückgegriffen, wenn keine finanziellen Mittel für Studioaufnahmen vorhanden sind oder wenn sich der Regisseur durch die Einbeziehung realer Schauplätze eine authentisierende Wirkung verspricht.

[...]


[1] Erica Abeel: „Looking For Love Over Nicotine and Caffeine; Jim Jarmusch Talks About ‘Coffee and Cigarettes’ ”, in: Indiewire <http://www.indiewire.com/people/people_030925jarmusch.html>. Stand: 10.03.2007.

[2] Jonathan Rosenbaum: Dead Man, London: British Film Institute , 2000.

[3] Ludvig Hertzberg (Hrsg.): Jim Jarmusch. Interviews, Jackson: University Press of Mississippi, 2001.

[4] Rolf Aurich / Stefan Reinecke (Hrsg.): Jim Jarmusch. – film: 10, Berlin: Bertz, 2001.

[5] Oliver Schindler: Jim Jarmusch: Independent-auteur der achtziger Jahre. Alfeld: Coppi-Verlag, 2000, S. 46.

[6] Roman Mauer: Jim Jarmusch: Filme zum anderen Amerika, Mainz: Bender, 2006, S. 9.

[7] Mauer: Jim Jarmusch, S. 7

[8] Mauer: Jim Jarmusch, S. 359

[9] Mauer: Jim Jarmusch, S. 360

[10] So kritisieren Julia Hallam und Margaret Marshment etwa, dass dem Realismus als „most dominant form of representation in Western culture“ in der wissenschaftlichen Diskussion der letzten 20 Jahre kaum Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Vgl. Julia Hallam / Margaret Marshment: Realism and Popular Cinema, Manchester [u. a.]: Manchester Univ. Press, 2000, S. xii.

[11] Richard Allen: Projecting Illusion: Film Spectatorship and the Impression of Reality, Cambridge University Press, 1995.

[12] Joel Black: The Reality Effect. Film Culture and the Graphic Imperative, New York [u. a.]: Routledge, 2002.

[13] Joseph D. Anderson: The Reality of Illusion. An Ecological Approach to Cognitive Film Theory, Carbondale [u. a.]: Southern Illinois University Press, 1996.

[14] Christopher Williams: Realism and the Cinema. A Reader, London: Routledge, 1980.

[15] vgl. Julia Hallam / Margaret Marshment: Realism and Popular Cinema, Manchester [u. a.]: Manchester Univ. Press, 2000, S. xv

[16] Hallam / Marshment: Realism and Popular Cinema, S. xii

[17] Richard Armstrong: Understanding Realism, London: BFI Publishing, 2005, S. ix-x.

[18] Torben Grodal: Moving pictures. A New Theory of Film Genres, Feelings and Cognition, Oxford: Clarendon Press, 2002.

[19] Roman Jakobson: „Über den Realismus in der Kunst“ (1921), in: Jurij Striedter (Hrsg.): Russischer Formalismus. München: Wilhelm Fink, 1969, S. 373-392.

[20] André Bazin: What is Cinema? Vol. I und Vol. II, Berkeley [u. a.]: Univ. of California Press, 1967 / 1971.

[21] Siegfried Kracauer: Theory of Film. The Redemption of Physical Reality, London: Oxford University Press, 1970.

[22] Die Cinémathèque Française, heute eines der größten internationalen Filmarchive der Welt, wurde 1936 von Henri Langlois und Georges Franju in Paris gegründet.

[23] vgl. Peter Belsito: „Jim Jarmusch“ (1985), in: Hertzberg: Interviews, S. 23

[24] vgl. Cassandra Stark: „The Jim Jarmusch Interview“ (1985), in: Hertzberg: Interviews, S. 56

[25] Belsito: „Jim Jarmusch“ (1985), in: Hertzberg: Interviews, S. 24.

[26] Belsito: „Jim Jarmusch“ (1985), in: Hertzberg: Interviews, S. 25. Erst Jahre später, als Jarmusch sich in einem Interview darüber mokierte, dass die NYU mit seinem Namen warb, obwohl er gar keinen Abschluss dort bekommen hatte, sendete die Universität ihm einen „honourary degree“ zu.

[27] Belsito: „Jim Jarmusch“ (1985), in: Hertzberg: Interviews, S. 29

[28] siehe Rolf Aurich: „Zwischen zwei Kontinenten – Der frühe Jim Jarmusch in New York und Europa“, in: Aurich/Reine>

[29] Vgl. Rolf Aurich: „Zwischen zwei Kontinenten – Der frühe Jim Jarmusch in New York und Europa“ in: Aurich/Reine>

[30] vgl. Rosenbaum: Dead Man, S. 15

[31] Der Name dieses Produzenten inspirierte später die Namensgebung für den überforderten Taxifahrer „Helmut Grokenberger“ (Armin-Müller Stahl) in Night on Earth (1991).

[32] Belsito: „Jim Jarmusch“ (1985), in: Hertzberg: Interviews, S. 41f.

[33] siehe: Box Office Mojo <http://www.boxofficemojo.com/movies/?id=strangerthanparadise.htm>

[34] Mauer: Jim Jarmusch, S. 117

[35] „Mystery Train“ ist auch ein Songtitel des Blues Musikers Junior Parker, der später von Elvis gecovert wurde. Beide Songs kommen im Film als Soundtrack vor .

[36] Joe Strummer (1952-2002) war Mitbegründer und Sänger der britischen Punkband The Clash.

[37] Den „Prix de la meilleure contribution artistique“, siehe „Mystery Train“, Festival de Cannes, <http://www.festival-cannes.fr/index.php/en/archives/film/226>, (Stand: 03.05.2007)

[38] Mauer: Jim Jarmusch, S. 155f.

[39] siehe Emanuel Levy: Cinema of Outsiders: the Rise of American Independent Film, New York: New York University Press, 1999, S. 14.

[40] J. Hobermann.: „Roadside Attractions“, in: Hillier, Jim (Hrsg.): American Independent Cinema. A Sight and Sound Reader, London: British Film Institute, 2000, S. 123.

[41] Mauer: Jim Jarmusch, S. 233f.

[42] Mauer: Jim Jarmusch, S. 234

[43] Die erwähnten Zitate stammen aus Jean-Pierre Melvilles Le Samourai (1967) und Seijun Suzukis Koroshi no rakuin (Beruf Mörder) (1967), siehe Mauer: Jim Jarmusch, S. 254.

[44] Geoff Andrew: „Jim Jarmusch Interview” (1999), in: Hertzberg: Interviews, S. 189f.

[45] Mauer: Jim Jarmusch, S. 279f.

[46] Jim Jarmusch zit. in: Abeel, Erica: „Looking For Love Over Nicotine and Caffeine; Jim Jarmusch Talks About 'Coffee and Cigarettes“, in: indie W ire, <http://www.indiewire.com/people/people_030925jarmusch.html>. Stand: 12.05.2007.

[47] Richard Schickel: „Caffeine and Nikotine”, in: Time Magazine (online), 16.05.2004, <http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,1101040524-638402,00.html>. Stand: 16.05.2007.

[48] Mick LaSalle: „Despite its rich cast, 'Coffee' is weak”, in: San Francisco Chronicle (online), 14.05.2004, <http://www.sfgate.com/cgi-bin/article.cgi?f=/c/a/2004/05/14/DDGE26KQL71.DTL>. Stand: 18.05.2007.

[49] Vgl. Hauke Goos: „Szenen, Gesten, Sprüche”, in KulturSPIEGEL 8/2004, S. 42 und Anke Leweke: „Blauer Dunst”, in Die Zeit – Kultur (online), 35/2004< http://www.zeit.de/2004/35/Blauer_Dunst>. Stand: 18.05.2007.

[50] Vgl. Übersicht amerikanischer Filmkritiken: „Broken Flowers (2005)”, in: Rottentomatoes.com, <http://www.rottentomatoes.com/m/broken_flowers/>, Stand: 18.05.2007. Beispiele für positive Rezensionen in Deutschland: Lars-Olav Beier: „Dritter Frühling“, in: Der Spiegel, 36/2005, S. 160 und Jörg Lau: „Vom Sofa in die Vorstadthölle”, in: Die Zeit – Kultur (online), Nr.37, 08.09.2005, <http://www.zeit.de/2005/37/Jim_Jarmusch?page=1>. Stand: 18.05.2007.

[51] Deidre E. Pribram: Cinema&Culture. Independent Film in the United States, 1980-2001, New York: Peter Lang Publishing, 2002, S. 16.

[52] Regisseure, wie Francis Ford Coppola, Martin Scorsese, Arthur Penn und Dennis Hopper hatten das Hollywoodkino durch innovative Erzählstrategien und tendenziell gesellschaftskritische und politische Themen belebt. Mit Filmen wie Easy Rider (1969, Dennis Hopper) wurde auch das Genre des Road Movies etabliert.

[53] Vgl. Peter Biskind: Down and Dirty Pictures. Miramax, Sundance, and the Rise of Independent Film, New York: Simon&Schuster Paperbacks, 2004, S. 8f.

[54] vgl. Biskind: Down and Dirty Pictures, S.17

[55] Emanuel Levy: Cinema of Outsiders: the Rise of American Independent Film, New York: New York University Press, 1999, S.3.

[56] Levy: Cinema of Outsider s, S. 15

[57] Siehe Biskind: Down and Dirty Pictures, S. 29 und S. 82

[58] Vgl. Levy: Cinema of Outsiders, S. 31: In den 90er Jahren wurde Miramax von Disney gekauft, Sony kaufte Orion Classics, Universal kaufte October Films, Twentieth Century Fox gründete den Ableger Fox Searchlight.

[59] vgl. Levy: Cinema of Outsiders, S. 14 und S. 505

[60] Mauer: Jim Jarmusch, S. 307

[61] vgl. Levy: Cinema of Outsiders, S. 105

[62] vgl. Biskind: Down and Dirty Pictures, S. 111ff. und S. 310

[63] Vgl. Biskind: Down and Dirty Pictures, S. 183f: Beispielsweise weigerte sich Miramax monatelang den Film Little Buddha (1993) des Regisseurs Bernardo Bertolucci in die Kinos zu bringen, bis Bertolucci schließlich nachgab und den Film drastisch kürzte.

[64] vgl. Pribram: Cinema&Culture, S. 24

[65] Biskind: Down and Dirty Pictures, S. 409

[66] Geoff Andrew: „Jim Jarmusch Interview“ (1999), in: Ludvig Hertzberg: Jim Jarmusch. Interviews, Jackson: University Press of Mississippi, 2001, S. 193.

[67] Vgl. Luc Sante: „Mystery Man“ (1989), in: Hertzberg: Interviews, S. 91f.

[68] Jakobson, Roman: „Über den Realismus in der Kunst“ (1921), in: Jurij Striedter (Hrsg.): Russischer Formalismus. München: Wilhelm Fink, 1969, S. 389.

[69] Vgl. Birger Langkjaer: „Realism and Danish Cinema”, in: Ann Jerslev (Hrsg:): Realism and ‘Reality’ in Film and Media, S.17ff.

[70] Neben den oben zitierten Definitionsversuchen von Langkjaer finden sich weitere zum Beispiel in: Hallam / Marshment: Realism and Popular Cinema, S. xii. Ebenso bei: Torben Grodal: „The Experience of Realism in Audiovisual Representation“, in: Jerslev: Realism and 'Reality', S. 68.

[71] Langkjaer: „Realism and Danish Cinema”, in: Jerslev: Realism and ‘Reality’, S. 17.

[72] Jakobson: „Über den Realismus in der Kunst“, S. 375

[73] Jakobson: „Über den Realismus in der Kunst“, S. 375

[74] Jakobson: „Über den Realismus in der Kunst“, S. 375

[75] vgl. Jakobson: „Über den Realismus in der Kunst“, S. 382

[76] Jakobson: „Über den Realismus in der Kunst“, S. 375

[77] Vgl. Jakobson: „Über den Realismus in der Kunst“, S. 387. Jakobson nennt hier als Beispiel etwa einen Helden, der einen „überflüssigen Passanten“ trifft, was keine Konsequenzen für den weiteren Handlungsverlauf hat.

[78] Jakobson: „Über den Realismus in der Kunst“, S. 389. Ein Beispiel für dieses Verfahren wäre nach Jakobson, wenn die phantastischen Züge einer Erzählung dadurch gerechtfertigt werden, dass sie sich nur in der Phantasie eines fieberkranken Protagonisten abspielen.

[79] Etwa: „To DOGME 95 the movie is not illusion!” Die von Lars von Trier und Thomas Vinterberg ins Leben gerufene „Dogma 95” Bewegung wandte sich in einem Manifest gegen das artifizielle, auf Pathos und Spezialeffekte ausgerichtete zeitgenössische Kino, und verfasste Richtlinien, um dem Film zu mehr Wahrheit und Authentizität zu verhelfen. Siehe: Lars von Trier / Thomas Vinterberg: Dogme95 / Manifesto. <http://www.dogme95.dk>, Stand: 02.07.07.

[80] vgl. Bordwell/Thompson: Film Art, S. 485

[81] vgl. Bordwell Thompson: Film Art, S. 485f.

[82] Ich denke dieses Verfahren, ein an sich unplausibles Ereignis wirklichkeitskompatibel zu gestalten, ist nicht nur auf der Ebene der Erzählstrategien möglich. Dies kann auch schon durch die Wahl eines bestimmten Genres geschehen, wie etwa dem Science Fiction Film, wodurch von vorneherein der Spielraum dessen erweitert wird, was im Einvernehmen mit dem Zuschauer noch als realitätskompatibel akzeptiert wird.

[83] „Wahrscheinlichkeit” wird im Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft als „Anschein der Übereinstimmung eines dargestellten Geschehens mit der gewöhnlichen Erfahrung” definiert und ist dem lateinischen Begriff verisimilis bzw. verisimilitudo nachgebildet. Im literaturgeschichtlichen Kontext geht der Begriff auf Aristoteles’ Abgrenzung des Dichters vom Geschichtsschreiber zurück. Siehe Bernd W. Seiler: „Wahrscheinlichkeit”, in : Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. III (P-Z). Jan-Dirk Müller (Hrsg.): Berlin, 2003, S. 813-815.

[84] „verisimilitude“. In: The Oxford English Dictionary, James A.H. Murray [u. a.] (Hrsg.), Band XII, Oxford: Clarendon Press, 1961, S. 130.

[85] La Sortie de l'Usine Lumière à Lyon (1895) , L'Arrivée d'un train à La Ciotat (1896), Baignade en Mer (1895)

[86] z. B. Le Voyage dans la lune (1902), Le Monstre (1903), Le Sorcier (1903)

[87] Der Begriff „formativ“ meint den formgebenden Einfluss durch den Filmemacher und wurde ursprünglich von Kracauer eingeführt, vgl. Kracauer, Theory of Film, S. 35 und Tudor, Theories of Film, S.19.

[88] Vgl. Tudor, Andrew: Theories of Film, New York: The Viking Press, 1973. S. 19ff.

[89] vgl. Armstrong: Understanding Realism, S. 71ff.

[90] Vgl. André Bazin: „The Ontology of the Photographic Image”, in: André Bazin: What is Cinema?, Berkeley [u.a.]: Univ. of California Press, 1967, S. 12ff. und Siegfried Kracauer: Theory of Film. The Redemption of Physical Reality, London: Oxford University Press, 1970, S. 28.

[91] Vgl. André Bazin: „An Aesthetic of Reality: Cinematic Realism and the Italian School of the Liberation”, in: André Bazin: What is Cinema?, Vol. II, Berkeley [u. a.]: Univ. of California Press, 1971. S. 26f. und Kracauer, Theory of Film, S. 37ff.

[92] Bazin: „An Aesthetic of Reality”, S. 21

[93] siehe Bazin: „An Aesthetic of Reality”, S. 20

[94] siehe Bazin: „An Aesthetic of Reality”, S. 24

[95] vgl. Bazin: „An Aesthetic of Reality”, S. 37

[96] Siehe Bazin: „De Sica: Metteur en Scène”, in Bazin: What is Cinema?, Vol. II, S.66

[97] André Bazin: „The Evolution of the Language of Cinema”, in: Bazin: What is Cinema?, S.35ff.

[98] Kracauer: Theory of Film, S. 60

[99] Kracauer: Theory of Film, S. 216

[100] siehe Kracauer: Theory of Film, S. 18ff. und S. 60

[101] Siehe Kracauer: Theory of Film. Zur Straße: S. 72, zur Bewegung: S. 41f., zu Menschenmengen: S. 50 , zu unbeachteten Dingen: S. 46.

[102] Kracauer, Theory of Film, S. 300

[103] Vgl. Hallam, Realism and Popular Cinema, S. xii und Colin MacCabe: „Realism and the Cinema: Notes on some Brechtian Theses“ (1974), in: Screen 15:2. S. 7-27. Als weitere wichtige Vertreter dieses Zweigs der Filmtheorie gelten Christian Metz und Jean-Louis Baudry.

[104] Bordwell und Thompsons Ansätze heißen „neoformalistisch”, weil sie sich auf Theorien des russischen Formalismus (vor allem von Boris Eichenbaum, Viktor Shklovsky und Yuri Tynjanov ) beziehen.

[105] David Bordwell: Narration in the Fiction Film, London, Methuen, 1985, S. 33.

[106] vgl. Bordwell: Narration in the Fiction Film, S. 206

[107] siehe Bordwell: Narration in the Fiction Film, S. 31

[108] siehe Kristin Thompson : Breaking the Glass Armor, S. 203

[109] siehe Kristin Thompson : Breaking the Glass Armor, S. 205

[110] Siehe Grodal: „The Experience of Realism in Audiovisual Representations“, in: Jerslev: Realism and Reality in Film and Media, S. 70f.

[111] siehe Grodal: „The Experience of Realism in Audiovisual Representations“, S. 71

[112] Grodal: „The Experience of Realism in Audiovisual Representations“, S. 73

[113] Mit Ausnahme der bereits erwähnten psychoanalytischen Filmtheorie wird Realismus eher mit Filmen assoziiert, die sich vom Hollywoodkino bewußt absetzen wollen, vgl. Thompson: Breaking the Glass Armor, S. 201.

[114] vgl. Armstrong: Understanding Realism, S. 81

[115] vgl. Hallam / Marshment: Realism and Popular Cinema, S. 45

[116] vgl. Hallam / Marshment: Realism and Popular Cinema, S. 45ff.

[117] vgl. Armstrong: Understanding Realism, S. 85 f.

[118] vgl. Armstrong: Understanding Realism, S. 84

[119] Armstrong: Understanding Realism, S. 84

[120] siehe Armstrong: Understanding Realism, S. 86

[121] Armstrong: Understanding Realism, S. 87

[122] Bazin: „An Aesthetic of Reality ”, in: André Bazin: What is Cinema?, Vol.II, S. 24.

[123] Vgl. Bordwell: Narration in the Fiction Film, S. 206 und Thompson: Breaking the Glass Armor, S. 205.

[124] Bill Nichols: Introduction to Documentary, Bloomington, Indiana University Press, 2001. S.5.

[125] Siehe Peter Belsito: „Jim Jarmusch“ (1985), in: Hertzberg: Interviews, S. 33.

[126] Siehe Luc Sante: „Mystery Man“ (1989), in: Hertzberg: Interviews, S. 96.

[127] Mit Ausnahme von Dead Man, wo Jarmusch bei den indigenen Sprachen nicht nur auf die Synchronisation sondern sogar auf die Untertitel verzichtet.

[128] Etwa in einer Nebenrolle in Francis Ford Coppolas Cotton Club (1984), in der Waits wirke „wie ein kleiner Junge, den die Mutter herausgeputzt und auf die Schulbühne gestupst hat“. Siehe Mauer: Jim Jarmusch, S. 97

[129] Mauer: Jim Jarmusch, S.100

[130] vgl. Rosenbaum: Dead Man, S. 11

[131] Mauer: Jim Jarmusch, S. 29f. und S. 25

[132] Mauer: Jim Jarmusch, S. 308

[133] Siehe Danny Plotnick: „Jim Jarmusch“ (1994), in: Hertzberg: Interviews, S. 138.

[134] Renée French in dem Coffee and Cigarettes Segment „Renée“.

[135] Siehe Peter Keogh: „Home and Away“ (1992), in: Hertzberg, Interviews, S. 104.

[136] Siehe Geoff Andrew: „Jim Jarmusch Interview“ (1999), in: Hertzberg, Interviews, S. 181.

[137] siehe David Lee Simmons: „Sad and Beautiful World“, Best of New Orleans <http://www.bestofneworleans.com/dispatch/2002-11-26/ae_feat.html>, Stand: 05.06.2007.

[138] Jarmusch im Interview mit Richard Raskin. Siehe Richard Raskin: The Art of the Short Fiction Film. A Shot by Shot Study of Nine Modern Classics. Jefferson, N.C.[u. a.]: McFarland, 2002, S. 42.

[139] siehe Plotnick: „Regis Filmmaker’s Dialogue: Jim Jarmusch“ (1994), in: Hertzberg, Interviews, S. 140.

[140] siehe Rosenbaum: Dead Man, S. 83f.

[141] siehe Rosenbaum: Dead Man, S. 67f.

[142] Mit Location Shooting beziehe ich mich auf alle Aufnahmen, die außerhalb eines Studiogeländes gedreht werden.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836639743
Dateigröße
782 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Freie Universität Berlin – John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
2,0
Schlagworte
jarmusch film realismus nordamerikanistik kultur
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Titel: Realismus in den Spielfilmen Jim Jarmuschs
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