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Deklaratives und prozedurales Metagedächtnis bei familial retardierten Kindern von Schulen für Lernbehinderte und praktisch Bildbare

©2009 Diplomarbeit 229 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Weltmeisterschaft der Gedächtnissportler wird mit dem Startsignal ‘Neurons ready? Go’eingeleitet. Bei diesen Wettbewerben messen sich Teilnehmer aus der ganzen Welt in Wettkämpfen wie dem Memorieren von Zahlen, der Zuordnung von Namen und Gesichtern oder dem Merken von Spielkarten. Einige der Teilnehmer können sich die Reihenfolge von mehr als 1000 Ziffern oder 600 Spielkarten einprägen. Dies wirft bei einem aufmerksamen Beobachter die Frage auf, wie solche Gedächtnisleistungen möglich sind. Denkbar wäre z. B., durch das Üben von Gedächtnisstrategien dessen Leistung auf ein besseres Niveau zu bringen. Die Bedeutung des Gedächtnisses für Lern- und Orientierungsvorgänge der psychosozialen Identität betonte Ericsson indem er bemerkte, dass eine Person ohne ihr Gedächtnis keine Identität hat. Sich nicht an die Vergangenheit erinnern zu können, würde bedeuten, sich ohne zusammenhängende Ereignisse in der Gegenwart zurechtfinden zu müssen und Lernprozesse würden nicht stattfinden.
Der Beginn der experimentellen Gedächtnisforschung liegt in den Arbeiten von Hermann Ebbinghaus (1850-1909), der die Vorgänge des Lernens und Vergessens untersuchte. Mit Selbstversuchen und später mit ausgewählten Versuchspersonen erforschte er die Gedächtnisfunktionen. Ebbinghaus verwendete, nachdem er zuerst mit Prosatexten und Gedichten gearbeitet hatte, sinnfreie Silben, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach dem Einprägen, unter kontrollierten Laborbedingungen, reproduziert werden sollten. Durch seine Untersuchungen erstellte er die heute noch anerkannten Lern- und Vergessenskurven und durch die Einbeziehung von Probanden unterschiedlicher Altersstufen kam er zu ersten entwicklungspsychologischen Ergebnissen der Gedächtnisleistungen. Mit diesen Befunden konnte Ebbinghaus zeigen, dass die Spanne des Kurzeitgedächtnisses mit dem Alter ansteigt.
Sinnfreie Silben wurden verwendet, weil er bemerkte, dass Lernen und Behalten von sinnhaltigen Texten über mechanisches Einprägen hinaus reichte. Bei Verwendung von sinnhaltigem Material ist Lernen und Behalten vermischt mit Verstehen und früheren Erfahrungen. Um Einprägungsvorgänge in reiner Form zu erfassen, wurde durch Ebbinghaus unverständliches und ungewohntes Material konstruiert, welches im gewohnten Sprachgebrauch nicht vorkam. Oswald Külpe (1862- 1915), ein deutscher Psychologe, Philosoph und Begründer der Würzburger Schule der Denkpsychologie, die sich ebenfalls auf kontrollierte […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Heiko Kölle
Deklaratives und prozedurales Metagedächtnis bei familial retardierten Kindern von
Schulen für Lernbehinderte und praktisch Bildbare
ISBN: 978-3-8366-3951-4
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt am Main,
Deutschland, Diplomarbeit, 2009
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

,,Wenn man nicht versucht etwas zu tun, was jenseits des bereits Gemeisterten liegt, dann
wird man nicht wachsen."
- Ralph Waldo Emmerson ­
Dieses Zitat war mir ein wichtiger Begleiter auf dem zweiten Bildungsweg in Richtung meiner
Berufung. Natürlich möchte ich auch den Menschen danken, die mich auf diesem Weg mit
Unterstützung und Zuspruch begleitet haben. An erster Stelle natürlich meiner Frau und Freundin
Dipl.-Pädagogin Andrea Siewert-Kölle, mit der ich eine Familie gegründet habe. Aaron, meinem
ältesten Sohn, der mich lehrt das Wesentliche vom Unwichtigen zu trennen. Simon, dem zweiten Sohn,
der mich daran erinnert, dass nur zählt, wie oft wir am Tag lachen und seinem Zwillingsbruder
Bastian, dessen Füße die Erde nicht betreten durften.
Dank gilt ebenso Prof. Dr. Büttner, der mir kurzfristig die Chance einräumte an diesem Projekt zu
arbeiten und PD Dr. Mack, der mich mit seinem umfangreichen psychologischen und philosophischen
Wissen positiv beeinflusst und zum Lernen motiviert hat. Einige Menschen standen mir mit ihrer Zeit
und ihrem Wissen zur Verfügung dazu zählen Andrea Schuster, Petra Grom, Claudia Bremer
Alexander Tillmann, Esther de Waha, Jeff und Sue Allen sowie Julie Wookey.

Zusammenfassung
Für Lernprozesse und Gedächtnisleistungen sind neben anderen Determinanten vor allem das
deklarative und prozedurale Metagedächtnis von Bedeutung. Für die vorliegende Unter-
suchung kommt dem Metagedächtnismodell nach Neslon und Narens (1994) eine besondere
Rolle für die empirischen und theoretischen Ableitungen zu. Unterschieden werden die zwei
Grundlegende Prozesse des selbstregulierenden Lernens, zum einen die Überwachung
eigenere Lernprozesse (Überwachungsprozesse) und zum zweiten die Kontrolle der
Lernprozesse (Kontrollprozesse). Im Fokus der Analyse von Überwachungsprozessen steht
das ,,Judgements of learning" (JOL) das zeitverzögert nach den Lernphasen erhoben wurde,
und hinsichtlich der Kontrollprozesse ermöglicht die Lernzeitallokation Hinweise auf die
selbstregulativen Kontrollmechanismen. Mit dieser empirischen Untersuchung wurden
familial retardierte Viertklässler, chronologisch gleichaltrige unauffällige Viertklässler und
mental gleichaltrige Vorschüler im Bezug auf ihre Leistungen des prozedualen und
deklarativen Metagedächtnis untersucht. Das Studiendesign erlaubte darüber hinaus eine
Analyse von Beschulungseffekten bei unterschiedlich beschulten mental retardierten Kindern.
Je 20 unauffällige Vorschschüler und Viertklässler von Grundschulen sowie je 20 familial
retardierte Schüler aus Schulen für lernbehinderte und Schulen für praktisch bildbare
bekamen leichte (Socken-Schuhe) und schweren Bildpaare (Flugzeug-Fass) zum Lernen auf
einem Bildschirm dargeboten. Beim Lernen wurden die Anzahl der Lerndurchgänge, die frei
zu wählen war und die Lernzeiten für die leichten und schweren Items in beiden
Lerndurchgängen erfasst. Nach jedem Durchgang wurden die einzelnen JOLs erhoben, wobei
die Kinder einschätzten ob Sie nach einer zweiminütigen Pause das zweite Bild eines Paares
erinnern würden, bei Präsentation des ersten Bildes als Hinweisreiz. Erfasst wurden neben
den verzögerten Item-pro-Item Urteilen auch die agreggierten Urteile.
Für die Überwachungskompetenz des JOLs war ein Alterstrend erkennbar, die Grundschüler
konnten bedeutsam höhere Leistungen erreichen. Während für die Kontrollkompetenz kein
Alterstrend erkennbar war. Der Vergleich der unterschiedlich beschulten mental retardierten
zeigte keine Beschulungseffekte für die Überwachungs- und Kontrollkompetenzen.
Hinsichtlich des deklarativen Metagedächtnis konnte ein Alterstrend zugunsten der
Grundschüler nachgewiesen werden, während sich bei den unterschiedlich beschulten familial
retardierten ein Beschulungseffekt abzeichnete. Insgesamt Unterstützen die Befunde die
Entwicklungsverzögerungshypothese. Darüber hinaus scheinen verschiedene Komponenten
des Metagedächtnisses unabhängig vom mentalen Status oder der Beschulung ähnlichen
Entwicklungsverläufen zu folgen.

Inhaltsverzeichnis
1. Geschichte der Gedächtnisforschung
... ..1
2. Das Gedächtnis und seine Bedeutung für Behaltensleistungen
...
.
..5
2.1. Modelle zur Funktion und Aufbau des Gedächtnisses
...
.
..6
2.1.1. Zeitabhängiges Modell und Strategiebezug
...
.
..7
2.1.2. Inhaltsabhängiges Modell und Strategiebezug
...9
2.1.3. Prozessabhängiges Modell und Strategiebezug
... .10
2.2. Entwicklung und Determinanten der Gedächtnisleistung
... .11
2.2.1. Entwicklung der Gedächtnisleistung bis ins Vor- und
Grundschulalter
... .12
2.2.2. Gedächtniskapazität
... .14
2.2.3. Wissen im Langzeitgedächtnis
................................................. .16
3. Metakognition, Metagedächtnis und Gedächtnisstrategien
... .17
3.1. Die Definition von Metakognition und Metagedächtnis
... .17
3.2. Beziehungen zwischen Metagedächtnis und Gedächtnisleistungen
...21
3.3. Strategiedefinitionen und Formen strategischen Verhaltens
... .26
3.4. Modelle der Strategieentwicklung
... .28
3.5. Die Entwicklung des strategischen Verhaltens bis ins Vor- und
Grundschulalter und dessen Bedeutung für das Metagedächtnis
... .31
3.6. Die Entwicklung des deklarativen Metagedächtnis
... .33
3.7. Die Entwicklung des prozeduralen Metagedächtnis
... .37
3.7.1. Das Modell nach Nelson und Narrens
... .37
3.7.1.1.
Meta- und Objektebene... .37
3.7.1.2.
Kontroll- und Überwachungsprozesse...
.
.39
3.7.2. Überwachungsprozesse
... .45
3.7.2.1.
,,Judgement of learning" ... .45
3.7.2.2.
"Feeling of knowing" ...48
3.7.2.3.
"Ease of learning" ...50
3.7.3. Kontrollprozess
der
Lernzeitallokation
... .51
4. Devianter Entwicklungsverlauf bei mentaler Retardierung
... .54
4.1. Historie der Forschung zur mentalen Retardierung
... .55
4.2. Definition der mentalen Retardierung
... .57
4.3. Die ,,Developmental-Difference" Kontroverse
... .61
4.3.1.
,,Difference Position"
... .61
4.3.2.
,,Developmental Position"
... .63
4.3.3. Empirische Befunde zur Kontroverse
... .65
4.4. Kognitive Defizite, Kompetenzen und Gedächtnisleistungen
... .67
4.5. Strategieeinsatz
... .76
4.6. Beeinflussende Faktoren des Strategiegebrauchs
... .80

5. Entwicklung der Fragestellungen
... .83
5.1. Die Analyse von Kontroll- und Überwachungsprozessen
... .83
5.2. Untersuchung des prozeduralen Metagedächtnis
... .85
5.3. Untersuchung des deklarativen Metagedächtnis
... .86
5.4. Überprüfung der ,,Developmental-Difference"-Kontroverse
... .87
5.5. Präzision der Item-pro-Item und der aggregierten JOLs
... .88
5.6. Adaptives Lernverhalten bei Viertklässlern
... .88
6. Methoden und Material
... .88
6.1. Stichprobe
...
.
.89
6.2. Untersuchungsdesign
... .90
6.3. Versuchsmaterial
... .91
6.3.1. Erfassung der Intelligenz
mit der Columbia Mental Maturity Scale
...
.
.92
6.3.2. Die Bilder zur Erfassung
der Lernvorgänge und Gedächtnisleistungen
... .93
6.3.3. Das Interview zum Metagedächtnis
...................................... .93
6.4. Versuchsablauf
...
.
.94
6.5. Kodierung und Auswertung der empirischen Daten
... .98
7. Auswertung der Analysen
... .99
7.1. Voranalysen
... .99
7.2. Deskriptive
Ergebnisse
... 101
7.2.1. Die Genauigkeit des ,,Judgements of learning"
... 101
7.2.2. Präzision der Item-pro-Item und der aggregierten JOLs
..... 104
7.2.3. Anzahl der Lerndurchgänge
und Anpassung der Lernzeiten
... 105
7.2.4. Gedächtnisleistungen
... 108
7.2.5. Schwierigkeitseinschätzungen der Bildpaare
... 110
7.2.6. Schwierigkeitseinschätzung der Bildermappen
... 111
7.2.7. Metagedächtnisinterview
... 112
7.3. Überprüfung der Fragestellung
... 113
7.3.1. Überwachungs- und Kontrollkompetenzen
...
.
113
7.3.2. Deklarative Metakognitive Fähigkeiten
... 115
7.3.3. ,,Developmental-Difference"-Kontroverse
...116
7.3.4. Präzision der Item-pro-Item und aggregierten JOLs
...118
7.3.5. Anpassung der Lernzeiten bei ,,guten Lernenden"
...119
8. Diskussion
... 119
8.1. Überwachungs- und Kontrollkompetenzen...
...121
8.2. Deklaratives
Metagedächtnis
... 123
8.3. ,,Developmental-Difference"-Kontroverse
... 124
8.4. Präzision der Item-pro-Item und aggregierten JOLs
... 127
8.5. Anpassung der Lernzeiten bei guten ,,guten Lernenden"
...
.
128
8.6. Zusammenfassung und Ausblick
...
.
128

9. Literaturverzeichnis
...132
10. Abbildungsverzeichnis
... 162
11. Tabellenverzeichnis
... 164

1
1. Geschichte der Gedächtnisforschung
Die Weltmeisterschaft der Gedächtnissportler wird mit dem Startsignal ,,Neurons ready? Go"
eingeleitet. Bei diesen Wettbewerben messen sich Teilnehmer aus der ganzen Welt in Wett-
kämpfen wie dem Memorieren von Zahlen, der Zuordnung von Namen und Gesichtern oder
dem Merken von Spielkarten. Einige der Teilnehmer können sich die Reihenfolge von mehr
als 1000 Ziffern oder 600 Spielkarten einprägen. Dies wirft bei einem aufmerksamen Beob-
achter die Frage auf, wie solche Gedächtnisleistungen möglich sind. Denkbar wäre z. B.,
durch das Üben von Gedächtnisstrategien dessen Leistung auf ein besseres Niveau zu brin-
gen. Die Bedeutung des Gedächtnisses für Lern- und Orientierungsvorgänge der psychoso-
zialen Identität betonte Ericsson (1988) indem er bemerkte, dass eine Person ohne ihr Ge-
dächtnis keine Identität hat. Sich nicht an die Vergangenheit erinnern zu können, würde be-
deuten, sich ohne zusammenhängende Ereignisse in der Gegenwart zurechtfinden zu müssen
und Lernprozesse würden nicht stattfinden.
Der Beginn der experimentellen Gedächtnisforschung liegt in den Arbeiten von Hermann
Ebbinghaus (1850-1909), der die Vorgänge des Lernens und Vergessens untersuchte. Mit
Selbstversuchen und später mit ausgewählten Versuchspersonen erforschte er die Gedächtnis-
funktionen. Ebbinghaus (1992) verwendete, nachdem er zuerst mit Prosatexten und Gedich-
ten gearbeitet hatte, sinnfreie Silben, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach dem Einprä-
gen, unter kontrollierten Laborbedingungen, reproduziert werden sollten. Durch seine Unter-
suchungen erstellte er die heute noch anerkannten Lern- und Vergessenskurven und durch die
Einbeziehung von Probanden unterschiedlicher Altersstufen kam er zu ersten entwicklungs-
psychologischen Ergebnissen der Gedächtnisleistungen. Mit diesen Befunden konnte Eb-
binghaus zeigen, dass die Spanne des Kurzeitgedächtnisses mit dem Alter ansteigt (Hoffman,
Bringman, Bamberg & Klein, 1987).
Sinnfreie Silben wurden verwendet, weil er bemerkte, dass Lernen und Behalten von sinnhal-
tigen Texten über mechanisches Einprägen hinaus reichte. Bei Verwendung von sinnhaltigem
Material ist Lernen und Behalten vermischt mit Verstehen und früheren Erfahrungen. Um
Einprägungsvorgänge in reiner Form zu erfassen, wurde durch Ebbinghaus unverständliches
und ungewohntes Material konstruiert, welches im gewohnten Sprachgebrauch nicht vorkam.
Oswald Külpe (1862- 1915), ein deutscher Psychologe, Philosoph und Begründer der
Würzburger Schule der Denkpsychologie (1896), die sich ebenfalls auf kontrollierte Labor-
experimente durch die Methode der Beobachtung konzentrierte. Die Versuchspersonen wur-
den gebeten, über ihre Einfälle und Erlebnisse bei der Aufgabenbearbeitung zu berichten, um
Zugang zu gedanklichen Assoziationen und der willentlichen Steuerung von Lernvorgängen

2
zu bekommen (Schönpflug, 2000). Zu diesen ersten Fortschritten der experimentellen Psy-
chologie fanden sich schon sehr bald kritische Stimmen. Zum Beispiel akzeptierte Wilhelm
Wundt (1907) die Würzburger Experimente zum Denken nicht, weil die planmäßige Variati-
on der Versuchsbedingungen und die zuverlässige Erfassung der Probandenäußerungen nicht
gewährleistet wurden, für beides fehlten zur damaligen Zeit noch apparative Hilfsmittel. Laut
Wundt ist damit die planmäßige Wiederholung eines Experiments, ein Hauptkriterium für
experimentelle Forschungen, nicht erfüllt.
Bühler (1907) dagegen verteidigte das Würzburger Verfahren, da z. B. um eine zuverlässige
Erfassung der Probandenäußerungen zu garantieren nur geschulte Personen eingesetzt wur-
den. Denkabläufe seien, laut Bühler, zwar nicht so beliebig zu wiederholen wie körperliche
Bewegungen auf Signale, aber bei gleichartigen Aufgabenstellungen seien durchaus überein-
stimmende Denkabläufe zu erwarten. Für die besonderen Einschätzungen des eigenen Den-
kens wurde in Würzburg der Begriff ,,Bewusstseinslagen" geprägt und die Grundlagen dieser
Untersuchungsmethode sind bis heute in den Forschungen zur Metakognition zu finden.
Charlotte und Karl Bühler konnten durch ihre Arbeiten im Bereich der Sprachpsychologie
und der kognitiven Entwicklung einen Grundstein für eine kognitiv-orientierte Entwick-
lungspsychologie legen (Schönpflug, 2000). Nach Bühler und Hetzer (1929) erfolgte der Er-
kenntnisgewinn in Bezug auf Entwicklungsfortschritte vorwiegend auf der Basis von Fallstu-
dien und Beobachtungen im natürlichen Umfeld der Kinder. Sie setzten dabei eine For-
schungstradition fort, da bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Beobachtungen an Kindern die
Hauptquelle für die Erkenntnisgewinnung innerhalb der Kinderpsychologie war. Dabei sind
William Preyer (1882) mit seinem Werk Die Seele des Kindes sowie Clara und William
Stern (1907; 1920) mit Die Kindersprache und Erinnerung, Aussage und Lüge in der ersten
Kindheit zu nennen.
Laut Schneider (2000) konnten die großen Fortschritte der Gedächtnisforschung im frühen
20. Jahrhundert vor allem in Deutschland aufgrund der Flucht führender Wissenschaftler erst
mal nicht weiterentwickelt werden. Nicht eine einzige Studie zur Gedächtnisentwicklung
wurde in Deutschland im Zeitraum von 1936-1965 veröffentlicht. Auch in Amerika waren
Lerntheoretiker kaum an Forschungsarbeiten zur Entwicklung interessiert, der Fokus lag dort
auf der Erforschung von allgemeinen Prinzipien. Bis 1965 herrschte in Amerika zudem auch
ein Mangel an Forschungen zur Gedächtnisentwicklung. Ab Mitte der sechziger Jahre wurde
die größere Mehrheit von Studien im Altersbereich von 5 ­ 15 Jahren im Bereich des Ge-

3
dächtnisses durchgeführt. Die Ergebnisse konnten aufzeigen, dass klar erkennbare Fortschrit-
te zwischen dem Alter von 6 und 12 Jahren zu beobachten sind.
Koopenaal, Krull und Katz (1964) benutzen z. B. Paarassoziationsaufgaben und konnten fest-
stellen, dass ältere Kinder stärker durch hoch assoziatives Lernmaterial beeinflusst werden
als jüngere.
Die aktuelle Forschung über das Gedächtnis ist beeinflusst durch Perspektiven der neueren
Informationsverarbeitungsansätze und der Neurowissenschaften (Kail, 1990; Schneider &
Bjorklund, 1998; Schneider & Pressley, 1997). Nach Schneider (2002) werden die einzelnen
Gedächtniskomponenten, die Entwicklung von Gedächtnisstrategien sowie deren Einfluss auf
die Gedächtnisleistung betrachtet. Im Fokus stehen vor allem komplexe Analysen des Zu-
sammenwirkens der einzelnen Elemente.
Nach Lockl und Schneider (2002) können unterschiedliche Gedächtnisleistungen erklärt wer-
den, indem insbesondere der Zusammenhang zwischen Lernverhalten und dem Lernergebnis
sowie Verlaufs- und Bedingungsanalysen des Lernverhaltens untersucht werden. Nach ihnen
lassen sich erfolgreiche Lernergebnisse nicht nur auf zeitlich stabile Fähigkeits- und Intelli-
genzmerkmale zurückführen, ein gutes Lernergebnis erfordert auch den Einsatz effizienter
Gedächtnisstrategien, z. B. sollte sich der Lerner während des Lernens immer wieder selbst
fragen, ob der Lernstoff verstanden wurde. Aus dieser Einschätzung kann dann eine Schluss-
folgerung gezogen werden, wann die Inhalte zufriedenstellend beherrscht werden. In den
siebziger Jahren beschäftigten sich Arbeiten mit dem Wissen über eigene Gedächtnisinhalte
und -vorgänge. Flavell (1971) prägte hierfür den Begriff des Metagedächtnisses, so dass sich
das deklarative und das prozedurale Metagedächtnis unterteilen lässt.
In der vorliegenden Arbeit soll der Entwicklungsstand der metakognitiven Kompetenzen ins-
besondere das prozedurale Metagedächtnis bei Vorschülern, bei Grundschülern der
4. Klasse und bei mental retardierten Schülern der 4. Klasse miteinander in einer empirischen
Untersuchung verglichen werden. Vor allem der Entwicklungsstand von familial retardierten
Grundschülern, die sich durch die Abwesenheit von organischen Schädigungen als Ursache
für die Beeinträchtigung auszeichnen, soll in dieser Arbeit in Bezug auf die ,,Development-
Deficit"-Kontroverse analysiert werden. Hierzu erfolgt ein Vergleich der familial retardierten
Schüler der 4. Klasse mit chronologisch gleichaltrigen Schülern der 4. Klassen aus Regel-
schulen, weiterhin werden die familial Retardierten mit mental gleichaltrigen unauffälligen
Vorschülern verglichen. Die Gruppe der familial retardierten Schüler besteht aus zwei Grup-
pen, die erste Gruppe besucht Schulen für praktisch Bildbare und die zweite Gruppe ent-

4
stammt aus Schulen für Lernbehinderte. Die unterschiedlich beschulten familial Retardierten
werden außerdem miteinander verglichen, um einen Effekt der Beschulungsart zu überprü-
fen.
Im Kapitel zwei wird auf den Aufbau, die Funktionen des Gedächtnisses sowie auf definitori-
sche Gesichtspunkte eingegangen. In den letzen Jahrzehnten wurden Gedächtnismodelle vor
allem aus kognitionspsychologischer Sicht entwickelt und die Theorie der Informationsverar-
beitung lieferte wichtige Erkenntnisse. Die zentralen Annahmen der Informationsverarbei-
tungstheorie werden vorgestellt und die Beziehungen zur prozessorientierten Gedächtnisfor-
schung hergestellt. Innerhalb der Informationsverarbeitungstheorie wurden zeit-, inhalts- und
prozessbezogene Gedächtnismodelle entwickelt und exemplarisch wird jeweils ein Modell
aus diesen drei Bereichen vorgestellt. Für die Gedächtnisleistung sind weitestgehend vier
verschiedene Determinanten verantwortlich, in der vorliegenden Arbeit werden vor allem die
Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses und das verfügbare Wissen im Langzeitgedächtnis
(Vorwissen), das Wissen über das eigene Gedächtnis (deklaratives Metagedächtnis) sowie
das strategische Verhalten (prozedurales Metagedächtnis) beim Wissenserwerb vorgestellt.
Auf die Gedächtniskapazität und das Wissen im Langzeitgedächtnis sowie die Entwicklung
der Gedächtnisleistung bis ins Vor- und Grundschulalter wird im zweiten Kapitel eingegan-
gen.
Die Darstellung des Aufbaus und der Entwicklung des deklarativen und des prozeduralen
Metagedächtnisses erfolgt im dritten Kapitel. Vorher werden innerhalb dieses Kapitels die
Begriffsdefinitionen zur Metakognition und zum Metagedächtnis vorgenommen, sowie der
Hinweis auf den Beginn der Metakognitionsforschung. Die Wechselbeziehungen zwischen
dem Metagedächtnis, dem strategischen Verhalten, der Gedächtniskapazität, der Intelligenz
und der Gedächtnisleistung werden ebenso beleuchtet wie die Definition des strategischen
Verhaltens und die unterschiedlichen Formen der Strategien. Darüber hinaus wird die Ent-
wicklung des strategischen Verhaltens bei Kindern nachgezeichnet und die Voraussetzungen
des strategischen Verhaltens verdeutlicht. Im Zentrum steht die Rahmenkonzeption des Me-
tagedächtnisses nach Nelson und Narens (1990, 1994). Dieses bildet die Basis für die vorlie-
gende empirische Arbeit zum Metagedächtnis und ermöglicht die umgesetzten Operationali-
sierungen um einen Einblick in die Prozesse des Metagedächtnisses zu bekommen.
Im vierten Kapitel erhalten wir einen Einblick in die Geschichte der Forschungen zur menta-
len Retardierung und der unterschiedlichen Definitionen von geistiger Behinderung. Die
zentralen Annahmen der ,,Development-Difference"-Kontroverse werden erläutert und deren
Ursprünge historisch zurückverfolgt. Darüber hinaus werden empirische Befunde zur Kon-

5
troverse vorgestellt und allgemeine Befunde zu kognitiven Kompetenzen und Defiziten von
mental retardierten Menschen betrachtet. Der Strategiegebrauch steht im Zentrum der vorlie-
genden Arbeit, aus diesem Grund betrachten wir empirische Befunde zum Strategiegebrauch
bei mental retardierten Personen und beeinflussende Faktoren des Strategiegebrauchs. Im
Zentrum stehen dabei die Befunde zum Vergleich zwischen mental gleichaltrigen und chro-
nologisch gleichaltrigen Kindern, die einen Beitrag zur Kontroverse liefern.
Im fünften Kapitel werden die Fragestellungen der vorliegenden empirischen Arbeit hergelei-
tet und die Operationalisierungen werden erläutert, welche sich aus dem Modell von Nelson
und Narens (1990,1994) ableiten lassen.
Im Verlauf des sechsten Kapitels wird die Zusammensetzung der Stichprobe und das
Versuchsdesign ausführlich dargestellt. Darüber hinaus erfolgt eine Darstellung der
verwendeten Testverfahren und eine Beschreibung des Versuchsablaufs sowie eine
Erläuterung der Kodierung und Auswertung der Daten.
Die Überprüfung der Fragestellungen, bei der die deskriptiven Daten und die interferenzsta-
tistische Auswertung detailliert beschrieben wird erfolgt im Kapitel sieben.
Eine anschließende Diskussion der Ergebnisse erfolgt innerhalb des achten Kapitels, wobei
eine Interpretation der Ergebnisse im Hinblick auf die bestehenden Theorien und Hypothesen
erfolgt. Insbesondere werden neue Impulse und Gesichtspunkte für die bestehenden Befunde
und für zukünftige Forschungen gegeben.
2. Das Gedächtnis und seine Bedeutung für Lernvorgänge
Um über Teilbereiche des Gedächtnis, wie dem deklarativen und prozeduralen Gedächtnis zu
forschen, sollte ein gemeinsames Grundverständnis über den Aufbau und die Funktionen des
selbigen vorhanden sein. Im Folgenden werden verschiedene Modelle der Gedächtnisfor-
schung exemplarisch aufgezeigt. Im Weiteren wird die Gedächtnisentwicklung für den Al-
tersbereich der vorliegenden Untersuchung nachgezeichnet. Als Determinanten für die Ge-
dächtnisentwicklung sind die Gedächtniskapazität und das Vorwissen von Bedeutung, beide
werden innerhalb dieses Kapitel erläutert. Der Bezug zur Strategienutzung, die bei dieser
empirischen Arbeit im Fokus steht wird ebenso herausgearbeitet. Zwei weitere wichtige De-
terminanten der Gedächtnisentwicklung sind das deklarative und das prozedurale Metage-
dächtnis, welche im Kapitel drei ausführlicher behandelt werden.

6
2.1. Modelle zur Funktion und zum Aufbau des Gedächtnisses
Im Folgenden werden verschiedene heute bedeutsame Modelle der Leistungen des Gedächt-
nisses vorgestellt und diskutiert, um den einen Einblick in den bisherigen Forschungsstand
zum Aufbau und Verständnis des Gedächtnis zu gewähren.
Die außergewöhnliche Fähigkeit unseres Gehirns Millionen Informationseinheiten zu spei-
chern und abzurufen wird dem Gedächtnis zugeschrieben. Der Gedächtnisspeicher umfasst
unseren Wortschatz, unser Sprach- und Faktenwissen, die Erinnerung an die eigene Lebens-
erfahrung, erworbene motorische Fertigkeiten etc. und ist Gegenstand verschiedener Fach-
richtungen (Thompson, 1994). Von Siegel (2001) existiert eine breit angelegte Definition:
,,...the way past evens affect future function. Memory represents the way the brain is
affected by experience and subesquently alters its responses. In other words, the brain
experiences the world and encodes this interaction in a manner that alters future ways
of responding. This process affects both the information and the very nature of the
processes that encode such information." (S. 998).
Die eingespeicherten Informationen sind uns nicht immer vollkommen zugänglich, sondern
nur bedingt abrufbar. Das abgespeicherte Wissen beeinflusst fortwährend die Informations-
verarbeitung und die Antizipation der Zukunft. Die Erinnerung findet nur zum Teil bewusst
statt, genau wie die Beeinflussung vorhandener Erfahrungen auf aktuelle Handlungen und
Speichervorgänge. Nach Büttner (1998, 2003) sind die Funktionen des Gedächtnisses die
Aufnahme, das kurz-, mittel- und längerfristige Speichern sowie das Abrufen von Informati-
onen.
Entwicklungspsychologische Forscher/innen verstehen unter Gedächtnis die Fähigkeit, die
Ereignisse der Vergangenheit bewusst zu erinnern und abrufen zu können, wobei das Erin-
nern nicht durch andauernde perzeptuelle Hilfestellungen gefördert wird (Bauer, 1997; Fi-
vush, 1997; Mandler, 1986).
In den letzten Jahrzehnten sind nach Büttner (1998, 2003) verschiedene Modelle des Ge-
dächtnisses vor allem aus kognitions-psychologischer Sichtweise entwickelt worden. Die
Theorie der Informationsverarbeitung betrachtet Gedächtnisprozesse als Teilprozesse der In-
formationsverarbeitung, die in Verbindung zu Prozessen der Wahrnehmung, des Denkens
oder des Problemlösens stehen. Büttner (1998, 2003) beschreibt die folgenden Grundannah-
men der Informationsverarbeitungstheorie:

7
1.) Externe Informationen werden in mehreren Schritten verarbeitet, diese sind zeitlich
voneinander abgrenzbar.
2.) Jeder Verarbeitungsschritt beansprucht mentale Ressourcen und diese sind nur in be-
grenztem Maße verfügbar.
3.) Die Verarbeitungsschritte beanspruchen unterschiedliche Mengen an Ressourcen, wo-
bei automatische weniger Ressourcen beanspruchen als bewusste und kontrollierende
Prozesse.
4.) Verarbeitungsschritte, die einen hohen Ressourcenaufwand erfordern, können durch
Übung automatisiert werden.
5.) Verarbeitete Informationen können als Wissen gespeichert werden.
6.) Das Wissen teilt sich auf in deklaratives und prozedurales Wissen, wobei das prozedu-
rale Wissen als Metakognition (vgl. Kapitel 3) bezeichnet wird. Deklaratives Wissen
bezeichnet Faktenwissen über Sachverhalte (z. B. Berlin ist die Hauptstadt der BRD),
während sich prozedurales Wissen darauf bezieht, wie etwas erzeugt wird. Anteile des
deklarativen und prozeduralen Wissens haben einen Bezug zum Lernen, dem Ge-
dächtnis, zum Denken sowie der Wahrnehmung, also zu verschiedenen wichtigen
kognitiven Prozessen. Bei diesen beiden Wissensarten kann angesetzt werden, um die
Informationsverarbeitung zu verbessern und damit die Gedächtnisleistung zu erhöhen.
Von besonderer Bedeutung ist dabei die Schulung der Gedächtnisleistung von familial retar-
dierten Kindern, da mangelnde Gedächtnisleistungen bei ihnen als Ursache unterdurch-
schnittlicher kognitiver Leistung betrachtet wird (Büttner, 1998). Der Informationsverarbei-
tungsansatz hingegen betont die internen mentalen Prozesse und Strategien bei der Aufnahme
und weiteren Verarbeitung, dies sind Prozesse die durchaus trainiert und optimiert werden
können. Die langlebige These, dass vorhandene individuelle Behaltensunterschiede auf kaum
beeinflussbaren strukturellen bzw. neuronalen Unterschieden beruhen, wurde mit diesem An-
satz in Frage gestellt.
Innerhalb der Informationsverarbeitungstheorie wurden zeit-, inhalts- und prozessbezogene
Gedächtnismodelle entwickelt. Im Folgenden wird jeweils auszugsweise ein Modell für die
o. a. Ansätze dargestellt.
2.1.1. Zeitabhängiges Gedächtnismodell und der Strategiebezug
Das Drei-Speicher-Modell von Atkinson und Shifrin (1968) unterteilt das Gedächtnis auf der
Basis von Zeitfaktoren in einen sensorischen Speicher, einen Kurzzeit- und einen Langzeit-

8
speicher. Informationen werden nur für einen bestimmten Zeitraum in den Subsystemen ge-
speichert und anschließend werden sie gelöscht oder in den nächsten Speicher weitergeleitet.
In Abbildung 1 ist das interagierende Drei-Speicher-Modell graphisch dargestellt:
Abb. 1: Darstellung des interagierenden Drei-Speicher-Modells.
Der sensorische Speicher dient der kurzzeitigen Aufnahme von großen Informationsmengen,
wobei die Informationen direkt von den Sinnesrezeptoren gesendet werden. Die begrenzte
Speicherdauer liegt nach Thompson (1994) im Bereich von wenigen hundert Millisekunden
für visuelles Material und die Speicherkapazität ist für eine große Menge ausreichend. Die
vorrangige Aufgabe des sensorischen Speichers ist nach Büttner (2003), die aufgenommenen
Informationen solange zugänglich zu haben, bis ein Vergleich mit den Inhalten im Langzeit-
gedächtnis erfolgt ist, der eine erfolgreiche Mustererkennung ermöglicht. Bei erfolgreicher
Mustererkennung kann den Informationen Bedeutung verliehen werden und dadurch wird ei-
ne anschließende Weiterverarbeitung im Kurz- und Langzeitgedächtnis erst ermöglicht.
Im Kurzzeitgedächtnis werden nach Laroche (2003) bewusst Informationen verarbeitet und
die Speicherkapazität beträgt ca. sieben +/- zwei Informationseinheiten (sog. Chunks). Die
Behaltensspanne liegt bei etwa 30 Sekunden und sie kann durch erhaltendes Wiederholen
(Rehearsal) aktiv verlängert werden, während zusätzlich durch das Wiederholen eine Abspei-
cherung im Langzeitspeicher erreicht wird. In Abgrenzung der Kontrollprozesse des erhal-
tenden Wiederholens zum elaborierenden Wiederholen, bewirkt das elaborierende Wiederho-
len die Anreicherung der zu lernenden Informationen mit bedeutungshaltendem Material aus
dem Langzeitspeicher. Die Informationen in diesem Speicher verblassen, wenn sie nicht be-
arbeitet werden oder die Weiterverarbeitung durch Interferenzprozesse gestört wird.
Das Langzeitgedächtnis speichert das gesamte Wissen einer Person sowie alle motorischen
Fertigkeiten (Thompson, 1994). Auch die Klassifikation des Langzeitgedächtnisses unterteilt
zwischen dem deklarativen und dem prozeduralen Wissen. Das deklarative Wissen, Wissen

9
über Sachverhalte, wird hier nochmals unterteilt in semantisches und episodisches Wissen.
Episodisches Wissen reflektiert eigene Erfahrungen und ist autobiografisch organisiert, wäh-
rend das semantische Wissen allgemeines Faktenwissen, Wissen über Sprache, Wissen über
begriffliche Konzepte etc. umfasst. Das prozedurale Wissen bezieht sich hingegen auf Pro-
zesse, d. h. darauf, wie körperliche oder kognitive Fertigkeiten in Form des vorhandenen
Wissens umgesetzt werden.
Die Gedächtnisstrukturen nach Atkinson und Shiffrin (1968) werden durch neuropsychologi-
sche Befunde bestätigt (Roediger, Gallo & Geraci, 2002). Dabei wird auch der Zerfall von
Gedächtnisinhalten bei ausbleibenden Wiederholungen anschaulich erklärt, wobei der kom-
plexe Aufbau des Gedächtnisses nur unzureichend abgebildet wird. Nach Healy & McNama-
ra (1996) lassen sich Gedächtnisleistungen deutlich aktiver beeinflussen als dies im Mehr-
speichermodell angenommen wird.
In der vorliegenden Studie wird das strategische Verhalten beim Lernen untersucht, wobei
der Bezug zu dem zeitbezogenen Drei-Speicher-Modell darin liegt, dass eine begrenzte Ver-
arbeitungskapazität angenommen wird. Der Einsatz von Strategien beim Lernen erfordert in
Abhängigkeit vom Automatisierungsgrad und von der Komplexität der Strategie unterschied-
liche Mengen an kognitiven Ressourcen. Vorhandene Unterschiede in der Gedächtnisleistung
könnten somit z. B. aufgrund von Altersdifferenzen, kognitiven Differenzen oder unter-
schiedlichen Lernerfahrungen (z. B. Beschulungsart) erklärt werden. Der komplizierte Ein-
satz von Strategien kann erfordern, dass Informationen aus dem Langzeitgedächtnis im Kurz-
zeitspeicher integriert werden müssen und es dadurch zu einer Auslastung des Speichers
kommt. Erst durch die Automatisierung der Strategie sind dann höhere Gedächtnisleistungen
möglich.
2.1.2. Inhaltsbezogenes Modell und Strategiebezug
Das Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley (1986) betont als inhaltsbezogenes Modell die
abgespeicherten Inhalte in den Vordergrund und ist eine vernünftige Weiterentwicklung des
Drei-Speicher-Modells. Befunde von Anderson (2000) konnten aufzeigen, dass die Begren-
zung der Gedächtniskapazität nicht allein von der Menge an Informationseinheiten abhängig
sind, wie ursprünglich von Atkinson und Shiffrin (1968) angenommen, sondern auch von der
Länge der Informationseinheiten. Dieses Ergebnis ist durch das Arbeitsgedächtnismodell er-
klärbar. Nach Baddeley (1986) steuert eine zentrale Exekutive zwei unselbstständige Unter-

10
systeme, die phonologische Schleife und das visuo-räumliche System. Die Funktionen der
zentralen Exekutive ist erstens das Speichern und das Ausführen von Prozessfunktionen hö-
herer Art und zweitens die metakognitive Überwachung der Prozesse in den Untersystemen.
Die Subsysteme sind für die Aufnahme, Speicherung und aktive Reproduktion von Informa-
tionen zuständig. Akustische und verbale Reize werden von der phonologischen Schleife ver-
arbeitet, wobei die Reize durch Wiederholungsprozesse innerhalb des artikulatorischen Wie-
derholungssystems in den phonologischen Speicher gelangen. Bei ausbleibenden Wiederho-
lungen werden, laut Baddeley (2002), die akustischen und verbalen Reize nach ca. zwei Se-
kunden gelöscht. Geschriebene Informationen werden, bevor sie in den Speicher gelangen,
innerhalb der phonologischen Schleife kodiert. Das visuo-räumliche System verarbeitet und
speichert z. B. räumliche Informationen, Bilder oder Zeichen.
Der Effekt, dass die Länge der Informationseinheiten die Gedächtnisleistung beeinflusst,
wird im Arbeitsgedächtnismodell dadurch erklärt, dass die Leistung von der Verarbeitungs-
geschwindigkeit abhängig ist. Kürzere Worte können in der phonologischen Schleife schnel-
ler wiederholt werden und dadurch wird eine bessere Gedächtnisleistung, die in der gelernten
Wortanzahl gemessen wird, für kürzere Worte möglich (Baddeley, Thomson & Buchanan,
1975).
Die Verbindung zu den Gedächtnisstrategien liegt beim Arbeitsmodell von Baddeley (1986)
darin, dass die Artikulationsgeschwindigkeit abhängig ist von der Vertrautheit der Begriffe,
dem Wortschatz und dem Alter. Aus diesem Zusammenhang könnten sich Alterseffekte beim
Anwenden der Strategie des Wiederholens erklären. Darüber hinaus ist beim Einsatz der Or-
ganisationsstrategien (vgl. Kapitel 3) das Verstehen des einzuprägenden Materials notwendig.
Somit wird die erfolgreiche Anwendung von Organisationsstrategien auch von der Länge und
Vertrautheit der Begriffe beeinflusst.
2.1.3. Prozessabhängiges Modell und Strategiebezug
Die traditionellen Mehrspeichermodelle führten dazu, dass die Weiterentwicklung von Ge-
dächtnismodellen nicht allein den Zeitfaktor, sondern auch inhaltliche Faktoren oder Pro-
zessmerkmale berücksichtigte. Das Modell von Rumhelhart und McClelland (1989) fokus-
siert sich nicht ausschließlich auf Gedächtnisfunktionen, sondern erklärt darüber hinaus auch
wie Wissen repräsentiert wird und Handlungen zustande kommen.
Das Modell von Rumelhart und McClelland (1989) gilt als konnektionistisches Netzwerkmo-
dell und beschreibt kognitive Vorgänge als Netzwerk von interagierenden Einheiten, ähnlich
dem neuronalen Netzwerk. Nach Sigel (2001) sind diese interagierenden Einheiten in Modu-

11
len zusammengefügt zwischen denen hemmende und aktivierende Verbindungen bestehen,
wobei die Stärke der Verbindung von der jeweiligen Aktivität abhängig ist. Innerhalb der
konnektivistischen Netzwerkmodelle wird Lernen als Änderung der Verbindungsstärke defi-
niert.
Das Netzwerkmodell konnte durch neuropsychologische Forschungsarbeiten und Computer-
simulationen mit neuronalen Netzwerken bestätigt werden (Anderson, 2000; Ellis & Humph-
reys, 1999; Habib, McIntosh, Wheeler & Tulving, 2003). Über das Gedächtnis hinaus be-
rücksichtigt das Modell kognitive Funktionen wie Wahrnehmung, Sprachverarbeitung und
Denkvorgänge.
Prozessbezogene Modelle können die Funktion von Gedächtnisstrategien, wie der Organisa-
tionsstrategie, ausgezeichnet erklären. Begriffe, die für eine Kategorie typisch sind, haben ei-
ne höhere Assoziativität und können leichter erinnert werden, als Begriffe, die für eine Kate-
gorie atypisch sind. Nach dem Netzwerkmodell lässt sich die höhere Assoziativität und damit
die leichtere Erinnerung auf eine stärkere Verbindung zwischen den Wissenseinheiten sowie
auf eine bessere Organisation beim Abrufen zurückführen. Bei einzelnen Abrufen werden als
Erstes übergeordnete kategoriale Informationen aktiviert und erst danach werden die darunter
liegenden Informationen leichter zugänglich.
2.2. Entwicklung und Determinanten der Gedächtnisleistung
Innerhalb der letzten Jahrzehnte wurden in der entwicklungspsychologischen Forschung die
relevanten Bedingungsfaktoren aufgedeckt, die für eine Verbesserung der Gedächtnisleistung
im Kindes- und Jugendalter verantwortlich zu sein scheinen. Als relevant für die Entwicklung
und Verbesserung der Gedächtnisleistung werden vier Hauptbereiche angeführt:
1) die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses (Gedächtniskapazität),
2) das verfügbare Wissen im Langzeitgedächtnis (Vorwissen),
3) das Wissen über das eigene Gedächtnis, also das Metagedächtnis
1
(vgl. Kapitel 3),
4) das strategische Verhalten beim Erwerb von Wissen (Strategiegebrauch vgl.
Kapitel 3) (Schneider & Büttner, 2002; Siegler, 1991).
Das ,,Good information processing"-Modell von Pressley, Borkowski und Schneider (1989,
Schneider & Pressley, 1997) beschreibt die eben genannten Bereiche als wesentliche Fakto-
ren der Gedächtnisentwicklung. Personen, welche nach diesem Modell Informationen gut
1
Das Metagedächtnis und insbesondere der Strategiegebrauch spielen in der vorliegenden Arbeit eine zentrale
Rolle, auf diese wird in Kapitel 3 ausführlich und differenziert eingegangen.

12
verarbeiten, haben eine schnelle Auffassungsgabe und eine zeiteffiziente Weiterleitung. Eine
Auswahl von Gedächtnisstrategien wird beherrscht, in passenden Momenten effektiv einge-
setzt und die Wirkung wird metakognitiv überwacht. Durch ein breites Allgemeinwissen
werden diese Personen in die Lage versetzt, geeignete Rück- und Analogieschlüsse zu voll-
ziehen. Zwischen dem Strategiewissen, den metakognitiven Kompetenzen und dem Allge-
meinwissen bestehen positive Interaktionen bei der Aufgabenbearbeitung.
2.2.1. Entwicklung der Gedächtnisleistung bis ins Vor- und Grundschulalter
In der vorliegenden Arbeit werden ausschließlich Vor- und Grundschulkinder untersucht, aus
diesem Grund wird sich die Beschreibung der allgemeinen Gedächtnisentwicklung stärker
auf diese entsprechende Altersgruppe konzentrieren. Methodisch bleibt anzumerken, dass die
Entwicklung durch Längsschnittstudien untersucht werden sollte nach Weinert, Schneider,
Stefanek und Weber (1999) erfüllen nur ca. 10% der Studien diese empirische Forderung zur
Untersuchung von Entwicklungsveränderungen über die Zeit.
Ausschlaggebend für die frühe systematische Beschäftigung mit dem kognitiven System und
der Erforschung des kindlichen Gedächtnisses waren zwei Arbeiten aus der Mitte des ver-
gangenen Jahrhunderts. Solokov (1963) entdeckte eine reflexartige Orientierungsreaktion
nach einer Reizpräsentation und eine Habituation, d. h. eine Abschwächung der Orientie-
rungsreaktion nach mehrmaliger Wiederholung bei Säuglingen. Die zweite Arbeit stammt
von Fantz (1958), der eine Präferenzreaktion bei der Präsentation von zwei Reizen bei weni-
ge Wochen alten Babys nachweisen konnte. In weitgehend bekannten Studien von DeCasper
und Spence (1986; DeCasper und Fifer, 1980) konnte aufzeigt werden, dass Gedächtnisein-
träge bis in den vorgeburtlichen Zeitraum nachzuweisen sind. Nach Mehler et al. (1988) kön-
nen vier Tage alte Säuglinge Äußerungen in der Muttersprache von fremdsprachlichen Lau-
ten unterscheiden. Nach Krist, Natour, Jäger & Knopf (1998) ist das Gedächtnis bei Säuglin-
gen in hohem Maße entwicklungsabhängig, vor allem verbessert sich innerhalb der ersten
Wochen und Monate nach der Geburt die Fähigkeit einmal repräsentierte Materialien für
immer längere Zeiträume im Gedächtnis zu behalten (Entwicklung des Langzeitgedächtnis-
ses). Anscheinend sind frühe Einträge im Gedächtnis von vergleichbaren Bedingungsfaktoren
beeinflusst, wie dies für das Gedächtnis von älteren Kindern und Erwachsenen nachgewiesen
wurde. Diese sind z. B. die wiederholte Präsentation der Items, das Aufgabenmaterial, die
Kontexteffekte in Auswirkungen auf die Behaltensleitung und die Bedeutung des Behaltens-
zeitraums für das Vergessen.

13
Nach Schneider und Büttner (1995) sind die vorhandenen Kenntnisse über die Gedächtnis-
entwicklung bei zwei- bis vierjährigen Kindern im Vergleich zu dem Wissen über Gedächt-
nisvorgänge bei Kindergarten-, Schulkindern und Jugendlichen eher gering. Zum Einen aus
dem Grund, weil die frühe amerikanische Gedächtnisforschung im Rahmen des ,,modal me-
mory experiments" jüngere Probanden lediglich zur Bestimmung der Base Line und nicht zur
Erkenntnisgewinnung einsetzten. Dadurch erfahren die Forscher nur, was die Kinder nicht
können oder nicht tun wollen. Der zweite Grund ist die noch sehr begrenzte Sprachfähigkeit
der Kinder, da Instruktionen unter Umständen nicht vollständig erfasst werden. Laut Autoren
sind die Gruppe der Fünfjährigen für die Gedächtnisforschung interessant, denn Vorschul-
kinder verstehen die Anforderungen herkömmlicher Gedächtnisaufgaben und zeigen sich
auch kooperationsbereit. Eine frühe umfassend angelegte Studie mit ca. 700 Kindern und Ju-
gendlichen im Alter von sechs bis achtzehn Jahren zur Gedächtnisentwicklung wurde von
Brunswik, Goldscheider und Pilek (1932) durchgeführt. Der größte Zuwachs in dem aggre-
gierten Index ,,Gedächtnisstärke" ergab sich in der Phase zwischen dem sechsten und zehnten
Lebensjahr, also mit der ersten Beschulung innerhalb der Grundschulzeit. Schumann-
Hengsteler (1995) konnte aufzeigen, dass dieses Entwicklungsmuster nicht für alle Gedächt-
nisdimensionen gilt, das visuell-räumliche Gedächtnis weist mit Abstand geringere Leis-
tungszuwächse auf. Sophian (1984 zitiert nach Oerter & Montada, 2002) führt Verbesserun-
gen im Ortsgedächtnis, in den Altersstufen zwischen zwei und vier Jahren, auf die ansteigen-
de Flexibilität der Suchfertigkeiten, die zunehmende Konsistenz der Suchaktivitäten und den
Wegfall angepasster Suchmuster zurück.
Die Entwicklung des Gedächtnisses wird wie o. a. durch vier Hauptbereiche beeinflusst, wo-
bei ebenso andere Faktoren zur Gedächtnisentwicklung eine Rolle spielen. In einer Untersu-
chung von Hudson & Fivush (1991 zitiert nach Oerter & Montada 2002) wird der wichtige
Einfluss der Eltern beim Aufbau von langfristigen Gedächtniseinträgen aufgezeigt: Durch
häufige Familiengespräche über bestimmte Ereignisse werden überdauernde Einträge der ent-
sprechenden Gesprächsinhalte erzeugt. Laut den Autoren kommt vor allem dem vermehrten
Nachfragen und der Bereitschaft der Eltern, die richtigen Antworten zu geben, eine besonde-
re Bedeutung zu. Insbesondere bei ausbleibender Erinnerung der Kinder wird dabei eine bes-
sere Bewusstheit für Gedächtnisvorgänge geschaffen.

14
2.2.2. Gedächtniskapazität
Nach Büttner (2003) umfasst der Begriff Gedächtniskapazität einerseits die passive Spei-
cherkapazität des Kurzzeitgedächtnisses und andererseits die aktive Verarbeitungskapazität
des Arbeitsgedächtnisses. Die passive Speicherkapazität gibt an, wie viel Informationen si-
multan gespeichert werden können. Diese wird über die Gedächtnisspanne erfasst, d. h. über
die Anzahl von Einheiten, die gerade noch fehlerfrei in der dargebotenen Reihenfolge repro-
duziert werden können. Über die Aufgabenstellungen, die zusätzlich zur Speicherung von In-
formationen einen Transformationsprozess verlangen, d. h. die Wiedergabe der Items in um-
gekehrter Reihenfolge, wird die aktive Verarbeitungskapazität erfasst.
In Abhängigkeit von Material und Aufgabenstellung liegt die Gedächtnisspanne bei Erst-
klässlern bei drei bis vier Einheiten und bei Erwachsenen bei sechs bis sieben Einheiten
(Büttner, 2003; Siegler, 1991; Glassmann, Leniek & Haegrich, 1998). Kinder innerhalb einer
Altersstufe können jedoch auch, in Abhängigkeit von ihrem Gesundheitszustand, deutliche
Unterschiede in ihrer Gedächtniskapazität aufweisen und daraus resultieren veränderte Ge-
dächtnisleistungen. Blair (1957) fand bei gehörlosen Kindern eine Gedächtnisspanne, die
weit unter der Gedächtnisspanne von hörenden Kindern lag.
Pascual-Leone (1970) diskutierte reifungsbedingte Veränderungen von strukturellen Faktoren
als Ursache für die altersbedingte Zunahme der Gedächtniskapazität. Unter strukturellen Fak-
toren verstand er die zunehmende Myelisierung der Neuronen, eine Zunahme an Neuronen
insgesamt und die wachsende Anzahl von Verbindungen zwischen den Neuronen. Hingegen
geht Case (1985; 1995) davon aus, dass den strukturell bedingten Zuwächsen der Gedächt-
niskapazität ab dem fünften Lebensjahr keine tragende Rolle mehr zugeschrieben werden
kann. Er betont die funktionalen Veränderungen in Auswirkungen auf die Gedächtniskapazi-
tät, wie z. B. die effizientere und damit schnellere Informationsverarbeitung. Die Gründe für
die Erhöhung der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit liegt nach Case (1985; 1995) in
der breiteren Wissensgrundlage und in der größeren Erfahrung bei Übungs- und Automatisie-
rungsprozessen sowie in epigenetischen Reifungsprozessen.
Laut Baddeley (1986; 1992) resultiert der Alterstrend in der Gedächtnisspanne nicht aus der
Informationsverarbeitungs- sondern aus der Artikulationsgeschwindigkeit. Der Grund dafür
liegt in der zeitlichen Begrenzung der Schleife, weswegen kann nur eine bestimmte Anzahl
von Informationseinheiten in Abhängigkeit von der Artikulationsgeschwindigkeit in der
Schleife wiederholt und vor dem Löschen bewahrt werden. Neben der Artikulationsrate wir-
ken nach Tehan und Lalor (2000) weitere Einflussfaktoren auf die Gedächtnisspanne: Die Er-

15
innerungsleistung der Gedächtnisspanne wird durch Platzierungseffekte, Pausen zwischen
einzuspeichernden Items und die Geschwindigkeit des Zugriffs auf das lexikalische Gedächt-
nis beeinflusst (Hulme, Newton, Cowan, Stuart und Brown, 1999).
McNamara und Scott (2001) hingegen sehen die immer bessere Anwendung von Strategien
als Ursache für die Altersabhängigkeit der Gedächtniskapazität, mit zunehmenden Alter wer-
den Strategien erworben und immer besser eingesetzt. Durch die Ergebnisse von Schneider
und Büttner (2002) konnte jedoch aufgezeigt werden, dass die Strategieanwendung nicht der
einzige Faktor für den vorgefundenen Alterstrend der Gedächtniskapazität ist. In ihrer Ver-
suchsanordnung verhinderten sie den Einsatz von Strategien, so dass der Alterstrend weiter-
hin erkennbar war. Eine Untersuchung von Woloshyn, Pressley und Schneider (1992, 1994)
zeigte, dass Vorwissen unter besonderen Umständen einen größeren Einfluss auf die Ge-
dächtnisleistung haben kann als Gedächtnisstrategien. Die Autoren verglichen Experten für
Länder mit Novizen, die Probanden sollten Fakten über Länder durch verständnisbasiertes
Lesen eines Textes enkodieren. Strategiewissen und Vorwissen zeigten einen Einfluss auf die
Abrufleistung, wobei der Vorwissenseffekt größer war. Die bessere Leistung erklären die Au-
toren damit, dass Fakten, welche mit dem Vorwissen einer Person konsistent sind, leichter zu
behalten sind als solche, die nicht in bestehendes Wissen integriert werden können.
Schon Cole und Scribner (1977) wiesen mit ihren Ergebnissen darauf hin, dass auch andere
Faktoren neben den Gedächtnisstrategien für die Gedächtnisleistung eine Rolle spielen. Die
Strategien sind ein Produkt der Zivilisation und kommen daher bei Naturvölkern nicht spon-
tan vor, obwohl diese über ein Gedächtnis verfügen.
In einer Übersichtsarbeit von Cowan (2002) werden insgesamt sechs Einflussfaktoren auf die
Gedächtniskapazität identifiziert: eine Zunahme der Wissensbasis, verbesserte Strategien, ei-
ne höhere Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, bessere Aufmerksamkeitsleistung, ein
geringerer passiver Gedächtnisverlust über einen längeren Zeitraum und eine expandierte
Speicherkapazität. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die altersabhängigen
Leistungsunterschiede nicht allein durch Kapazitäts- oder Strategiedefizite erklärt werden
können, die Wissensgrundlage sollte ebenfalls zur Erklärung herangezogen werden
(Bjorklund, 1987; Chi & Ceci, 1987).

16
2.2.3.
Wissen im Langzeitgedächtnis
In Überblicksarbeiten wird der Faktor Wissen als einer der bedeutendsten Komponenten zur
Erklärung für Gedächtnisleistungen angesehen Bjorklund & Schneider (1996), Hasselhorn,
(1994) und Weinert und Schneider (1996 zitiert nach Oerter & Montada, 2002). Nach Büttner
(2003) werden unter der Wissensbasis die im Langzeitgedächtnis abgespeicherten Informati-
onseinheiten verstanden. Wissen wird wie o. a. in prozedurales (vgl. Metakognition Kapitel
3) und deklaratives Wissen unterteilt, wobei das deklarative Wissen sich nochmals in das all-
gemeine Weltwissen und das bereichsspezifische Wissen, also Wissen über spezifische Do-
mänen oder Inhalte, einteilen lässt.
Durch das Experten-Novizen-Paradigma gelang Chi (1978) eine bemerkenswerte Demon-
stration von Vorwissenseffekten auf die Gedächtnisleistung. Bei diesem Experiment konnte
eine Umkehrung des Alterseffekts bei Gedächtnisleistungen erreicht werden, indem zehn Jah-
re alte Kinder (Schachexperten) mit Erwachsenen (Novizen), die kaum Schacherfahrungen
hatten in Bezug auf ihre Gedächtnisleistung verglichen wurden. Die Kinder konnten Schach-
konstellationen, also Informationen aus ihrer Wissensdomäne, wesentlich besser rekonstruie-
ren und sie benötigten weniger Lernversuche als die älteren Novizen. Opwis (1990 zitiert
nach Oerter & Montada, 2002) fand, dass der Experteneffekt bei sinnlosen Schachstellungen
verschwand.
Der Effekt des Vorwissens auf die Gedächtnisleistung könnte durch eine bessere Enkodie-
rung des spezifischen Domänwissens erklärt werden. Die Theorie von Kail und Pellegrino
(1989), welche in der psychologischen Gedächtnisforschung weitgehend akzeptiert ist, geht
davon aus, dass Wissen in Netzwerken organisiert ist. Jeder Knoten repräsentiert eine Wis-
senseinheit und die Bahnen zwischen den Knoten entsprechen der assoziativen Verbindung
der Wissenseinheiten. Nach Kail und Pellegrino (1989) nimmt mit steigendem Alter die Er-
fahrung mit der Umwelt zu, dadurch steigert sich die Assoziativität zwischen einzelnen Ge-
dächtnisinhalten und dies erleichtert die Abrufbarkeit.
Beeinträchtigungen der Gedächtnisleistung bei einem bestehenden engen Netzwerk können
dann auftreten, wenn sich die zu erinnernden Inhalte nicht konform zu bestehenden Schemata
oder zum Stereotyp-Verhalten (Hayes, Foster und Gadd, 2003; Kaplan & Murphy, 2000). In
der Untersuchung von Heit, Briggs und Bott (2004) konnte gezeigt werden, dass stereotype
Items einer Kategorie im Vergleich zu a-stereotypischen Items einer Kategorie, umso schnel-
ler gelernt werden, desto mehr Items erinnert werden sollen.

17
Der Einsatz von Strategien und anderen metakognitiven Fertigkeiten wird gefördert durch ein
breites bereichsspezifisches Wissen. Durch die altersbedingte zunehmende Erfahrung mit der
Umwelt und dem damit verbundenen höheren Automatisierungsgrad wird die Aktivierung
von Wissenseinheiten leichter und setzt kognitive Kapazitäten für einen effektiveren Strate-
gieeinsatz frei (Alexander & Schwanenflugel, 1994; Bjorklund & Jacobs, 1985; Ornstein &
Haden, 2001).
3. Metakognition, Metagedächtnis und Gedächtnisstrategien
Für die vorliegende empirische Untersuchung im Bereich der Gedächtnisstrategien und des
deklarativen Metagedächtnisses ist ein Einblick in die Definitionslage der Metagedächtnis-
forschung und insbesondere der kognitiven Strategien unerlässlich. Von Interesse ist weiter-
hin der Forschungsstand zur altersabhängigen Entwicklung in einzelnen Bereichen, wie dem
des deklarativen Metagedächtnisses und dem strategischen Verhalten. Die Befunde zum Wir-
kungsgefüge zwischen den unterschiedlichen Bereichen des Metagedächtnisses und den ge-
dächtnisbeeinflussenden Faktoren in ihren Auswirkungen auf die Metagedächtnisleistung
wird ebenso beleuchtet. Die verschiedenen Modelle zum Entwicklungsverlauf von Strategien
werden vorgestellt, wobei Defizite und Kompetenzen der verschiedenen Alterstufen bei Kin-
dern beschrieben werden. Es wird aufgezeigt, dass eine der Voraussetzungen für strategisches
Verhalten unter anderem die Entwicklung von deklarativem Wissen ist, diese entwickelt sich
basierend auf dem Verständnis von mentalen Verben. Weiterhin wird innerhalb dieses Kapi-
tels das Modell von Nelson und Narrens (1990, 1994), das für die vorliegende Untersuchung
von zentraler Bedeutung ist, vorgestellt. Dieses unterteilt die Prozesse des Metagedächtnisses
in Überwachungs- und Kontrollprozesse und zeigt deren Möglichkeiten zur Operationalisie-
rung auf, die eine Erfassung der Vorgänge im Metagedächtnis ermöglicht.
3.1. Die Definition von Metakognition und Metagedächtnis
Ursprünglich wurde die Metakognitionsforschung von Flavell (1971) angestoßen. Mit dem
Begriff Metagedächtnis bezeichnete er ursprünglich das verbalisierbare Wissen von Kindern
über ihr Gedächtnis, wobei damit Wissen über die Speicherung und über die Wiedergabe der
Informationen gemeint war. Später wurde der Begriff durch Flavell (1979) ausgedehnt und
als Metakognition bezeichnet, er beinhaltete auch das Wissen über allgemeine kognitive
Vorgänge und nicht mehr nur Wissen über gedächtnisbezogene Inhalte. Metakognition wurde

18
durch Flavell und Wellmann (1977) definiert als die Auseinandersetzung mit den eigenen
Prozessen der Kognition, d. h. wie Menschen mit Gedanken, Meinungen, Einstellungen und
ihren Urteilen über eigene Lernvorgänge umgehen, um dadurch die Kontrolle und Wissen
über das eigene Wissen zu haben.
Die Bezeichnung Metakognition enthält den Begriff Kognition, der Bezeichnung für geistige
mentale Vorgänge und Inhalte des Erkennens und Gewahrwerdens. Die Grenze zwischen den
Begriffen Kognition und Metakognition ist fließend. Einige Anzeichen sprechen dafür, dass
Metakognitionen eine entscheidende Rolle bei den unterschiedlichsten Kognitionen spielen,
dies beinhaltet das Abrufen aus dem Gedächtnis (Reder, 1987; Reder & Ritter, 1992), das
Enkodieren von Informationen (Metcalfe, 1993), problemlösendes Denken (Metcalfe, 1986;
Simon & Newell, 1971) und selbstregulierendes Lernen (Neslon & Narrens, 1994). Schon in
den siebziger Jahren betonten Flavell (1979; Flavell & Wellmann, 1977) die Bedeutung von
selbstreflexiven Prozessen für den kontrollierten und sinnvollen geführten Einsatz der
menschlichen Kognitionen. Schiefele und Pekrun (1996) nennen die folgenden drei kogniti-
ven Komponenten der Selbststeuerung beim Lernen:
1) die kognitiven Lernstrategien (Wiederholungs-, Elaborations-, und Organisationsstra-
tegien),
2) metakognitives Wissen (über Aufgaben, Personen, Strategien) und metakognitive
Strategien (Prozesse der Kontrolle, Überwachung und Regulation) sowie
3) Ressourcenmanagement (Gestaltung der Lernumgebung, Hilfe suchen, effektive
Zeitplanung etc.).
Das Metakognitionskonzept wurde wegen seiner Unschärfe stark kritisiert, wobei Wellmann
(1983) die Bezeichung ,,fuzzy conzept" wählte. Brown (1984) meint, dass die Metakognition
eine Vielzahl an ungeklärten Eigenschaften aufweist. Die Definitionsprobleme der
Metakognitionsforschung werden von einigen Autoren stark kritisiert und der Umgang mit
dem Präfix ,,Meta-" wird ebenso in Frage gestellt (Cavanaugh & Perlmutter, 1982; Kluwe,
1981; Schneider, 1989; Schneider & Weinert, 1990; Weinert, 1990).
Das Metagedächtnis ist eine der am häufigsten empirisch untersuchten Gegenstände im Be-
reich der Metakognitionsforschung (Flavell, 1999). Unter dem Begriff Metagedächtnis wird
nach Flevall & Wellmann (1977; Brown, 1978) Wissen über die eigene Leistungsfähigkeit
und die Funktionen des Gedächtnisses verstanden, wobei dieses nicht unbedingt verbalisier-
bar sein muss. Metagedächtnis bezeichnet somit Wissen über die Verfügbarkeit und Effiziens

19
von Denk- und Gedächtnisstrategien, Kenntnis über die eigene Gedächtniskapazität und die
Auswahl von geeigneten Bearbeitungsstrategien. Bei Hasselhorn (2001; Metcalfe, 2000) wird
das Metagedächtnis definiert als Wissen und die Kontrolle über das Gedächtnis und seine
Prozesse. Das Gedächtnis und seine Funktionsweise sind also Gegenstand einer bewussten
Reflexion, die eine zielgerichtete Selbstregulation ermöglicht.
Gemeinsam haben weitestgehend alle in der Literatur bestehenden Definitionen des Metage-
dächtnisses, dass sie Unterteilungen des Metagedächtnisses vornehmen. Das deklarative Me-
tagedächtnis bezeichnet die Wissenskomponenten und das prozedurale die Kontroll- und
Steuerkomponenten (Flavell, 1976; Flavell & Wellmann, 1977; Schneider, 1989; 1998a).
Büttner (1998) bezeichnet deklaratives Wissen und prozedurales Wissen, das auf kognitive
Prozesse und deren Bedingungen bezogen ist, als Metakognition. Dies entspricht der ge-
dächtnispsychologischen Sichtweise, bei der metakognitive Fähigkeiten unter dem Begriff
Metagedächtnis, das bedeutet Wissen über Gedächtnisinhalte und -prozesse, zusammenge-
fasst werden. Diese Definition gilt als Grundlage für die vorliegende Arbeit und der ur-
sprüngliche Begriff von Flavell (1971) wurde damit wieder aufgegriffen.
Nach Büttner (2003) beinhaltet das deklarative Metagedächtnis Faktenwissen über relevante
Bedingungsfaktoren der Gedächtnisleistung. Flavell & Wellmann (1977; Büttner, 2003) leg-
ten ein Klassifikationsschema vor, das für die Metagedächtnisforschung eine bedeutende
Grundlage darstellt, da in diesem eine weitere Ausdifferenzierung des Konzepts zum Meta-
gedächtnis vorgenommen wurde. Das deklarative Metagedächtnis lässt sich demzufolge wei-
ter ausdifferenzieren, in Person-, Aufgabenwissen sowie Aspekte des strategischen Verhal-
tens bzw. Wissens über metakognitive Strategien (Speicher- und Abrufstrategien).
Das Personenwissen umfasst Wissen über intra- und interindividuelle Unterschiede der Ge-
dächtnisleistung und universelle Personenmerkmale, wie z. B. Kenntnisse der psychischen
Verfassung, des Alters oder der Gedächtnisleistung. Untersuchungen zeigen, dass jüngere
Kinder sich im Hinblick auf ihre Gedächtnisleistung überschätzen und somit noch über ein
unrealistisches Selbstkonzept in Bezug auf die Gedächtnisleistung verfügen (Büttner, 2003;
Schneider, 1985a).
Büttner (2003) versteht unter aufgabenbezogenem Wissen, z. B. Kenntnisse über die Materi-
alart, Komplexität und Schwierigkeit der Aufgabe. Das bedeutet Wissen darüber, welche
Faktoren der Aufgabeneigenschaft eine Gedächtnisaufgabe leichter oder schwerer machen.
Dies kann sich darauf beziehen, dass Lernen von einer größeren Anzahl von Items schwieri-
ger ist oder dass Items, die einen höheren Bezug zueinander haben (Assoziativität) leichter
einzuprägen sind als Items, die einen geringen Bezug zueinander aufweisen.

20
Strategiewissen beinhaltet z. B. Wissen über Lern- und Erinnerungsstrategien und welche
Strategie bei einer Aufgabe besonders effektiv ist. Am Anfang der Metagedächtnisforschung
wurden deklarative Inhalte mit strukturierten Interviews erfasst (vgl. Kreutzer, 1975), weiter-
hin wurden Fragebogen oder Ratingverfahren, d. h. Paarvergleiche eingesetzt (vgl. Schlag-
müller, Visé & Schneider, 2001; Weinert & Schneider, 1999), um das deklarative Metage-
dächtniswissen zu bestimmen. Uneinigkeit besteht in der Literatur über die Bewusstheit des
strategischen Verhaltens von Kindern in Bezug auf die Fähigkeit über das strategische Ver-
halten zu reflektieren. Die Frage beschäftigt sich damit, ob strategisches Wissen das automa-
tisch angewendet wird und sich der Verbalisierung entzieht, als Strategiewissen akzeptiert
werden kann oder ob metakognitives Wissen wenigstens potenziell verbalisierbar sein sollte.
Für die Erfassung von metakognitivem Wissen ist in jedem Fall von Bedeutung, dass jüngere
Kinder aufgrund ihrer verminderten verbalen Fähigkeiten Nachteile erfahren, die nicht unter
direktem Einfluss der metakognitiven Kompetenzen stehen, sondern unter dem Einfluss von
sprachlichen Entwicklungsfaktoren (Joyner & Kurtz-Costes, 2002).
Das prozedurale Metagedächtnis bezieht sich laut Schneider & Büttner (2002) auf die Fähig-
keit zur Kontrolle und Regulation von gedächtnisbezogenen Aktivitäten. Die Autoren bemer-
ken, dass Kinder mit zunehmendem Alter eine höhere Sensibilität für Gedächtniserfahrungen
entwickeln. Die Kinder verfügen mit fortschreitendem Alter über ein feineres Gespür, welche
Anstrengung für eine bestimmte Gedächtnisaufgabe aufgewendet werden muss, damit eine
Erinnerung zum späteren Zeitpunkt möglich ist. Im Laufe der Entwicklung können sie quali-
tativ bessere Einschätzungen und Vorhersagen abgeben, z. B. wie viel Informationen sie rich-
tig abrufen werden. Die Erfassung des prozeduralen Metagedächtnisses kann über die Lern-
zeitallokation (vgl. Kapitel 3), die Güte der Gedächtnisleistung, das laute Denken während
der Bearbeitung einer Gedächtnisaufgabe oder Reaktionszeitmasse zur Einschätzung der Si-
cherheit in einem Urteil erfolgen (Koriat, Goldsmith & Pansky, 2000; Schneider, 1989,
1999). Das prozedurale Metagedächtnis wird bei der Bearbeitung einer Gedächtnisaufgabe
(,,online") gemessen und kann nicht, wie das deklarative Metagedächtnis, über introspektive
Messungen erfasst werden.
Die Bedeutung der Metakognition liegt nach Heller (1991 zitiert nach Perleth, 1992) darin,
dass Erkenntnisse über metakognitives Wissen und Handeln zu einem tieferen Verständnis
der Interaktionen bei Lern- und Problemlöseleistungen führen. Nach Weinert (1987) zeigen
Trainingsstudien zur Denk- und Lernkompetenz kein homogenes Bild, trotzdem wird die
Vermittlung von metakognitiver Kompetenz vor allem bei begabten Schülern als wichtig ein-

21
gestuft. Hasselhorn (1987a) bewertet die Vermittlung von metakognitiven Kompetenzen über
Strategietrainings als geeignet, um bei schwächer begabten und bei (lern-) behinderten Schü-
lern entscheidende Defizite abzubauen. Nach seiner Auffassung zeigen viele Belege, dass zu
großen Anteilen ungünstige Metakognitionen für die Rückstände verantwortlich sind. Neben
motivational-emotionalen Faktoren gelten metakognitive Kompetenzen als ein fundamentaler
Baustein des selbstregulierenden Lernens (vgl. Boekarts, 1990; Corno, 1986; Winne, 1996).
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den metakognitiven Fähigkeiten bei Vorschul-
und Schulkindern und den Auswirkungen auf die Gedächtnisleistung. Eine Verbesserung der
Metakognition bedeutet eine immer höhere Fähigkeit zu entwickeln, die Kenntnisse über den
Stand des eigenen Lernniveaus angemessen einschätzen zu können und damit die Lernzeiten
sinnvoller zu steuern, d. h. an das erreichte Lernniveau anzupassen und somit bessere Ge-
dächtnisleistungen zu erreichen.
3.2. Beziehungen zwischen Metagedächtnis und Gedächtnisleistung
Im Folgenden werden empirische Studien zur Wirkungsbeziehung zwischen Metagedächtnis
und Gedächtnisleistung diskutiert, um den Einfluss einzelner Faktoren auf die Gedächtnis-
leistung zu verdeutlichen. Um die Gedächtnisleistung zu bestimmen existieren unterschiedli-
che Methoden. Nach Gross, Hayne, Herbert & Sowerby (2002) sollte berücksichtigt werden,
dass die unterschiedlichen Messmethoden nicht genau ein Gedächtniskonstrukt messen, son-
dern sie geben Auskunft über spezielle Untereinheiten der Erinnerungsfähigkeit, die auf ei-
nem gemeinsamen Gedächtnisfaktor laden.
Die Gedächtnisleistung wird in der Regel über Erinnerungsleistungen oder Wiedererken-
nungsleistungen bestimmt. Bei Erinnerungsleistungen muss das zu lernende Objekt ohne eine
erneute Präsentation nach der Lernphase frei erinnert werden. Bei den Wiedererkennungsleis-
tungen wird das zu lernende Objekt nach der Lernphase erneut vorgegeben, wobei die Ver-
suchsperson beurteilt, ob das Objekt bei der ursprünglichen Präsentation dargeboten wurde.
Das Wiedererkennen ist, nach Koriat & Goldsmith (1996), kognitiv wesentlich weniger an-
spruchsvoll als die Erinnerung, und bei der Bearbeitung kommen unterschiedliche Ebenen
zum Einsatz.
Die Methode zur Wiedererkennung kann erstens eine dichotome ,,List-Testing"-Aufgabe
oder zweitens über eine ,,Forced-Choice-Aufgabe" verwirklicht werden. Bei der ersten Auf-
gabe wird angegeben, ob ein Item oder die ganze Liste schon zu einem früheren Zeitpunkt

22
gezeigt wurde. Bei der zweiten Aufgabe wird beurteilt, welches Item von dem dargebotenen
Itempaar vorher schon einmal präsentiert wurde.
Die Erinnerungsleistung kann z. B. über die freien Reproduktionsaufgaben, über das semanti-
sche Organisieren oder über die Reproduktion mit Hinweisreizen erfasst werden. Bei der
freien Reproduktion wird eine bestimmte Anzahl von Items zum Einprägen vorgegeben, wel-
che in einer späteren Abrufphase in beliebiger Reihenfolge frei erinnert werden sollen. Wäh-
rend der freien Reproduktion wird das Organisationsverhalten gemessen. Beim semantischen
Organisieren von Mandler & Stephens (1967) können die präsentierten Items unterschiedli-
chen Kategorien zugeordnet werden. Diese Vorgehensweise erlaubt das Organisationsverhal-
ten beim Einspeichern und beim Abrufen zu erfassen. Das serielle Erinnern verlangt von den
Versuchspersonen, dass die Items in einer festgelegten Reihenfolge gelernt und wieder erin-
nert werden sollen. Die Reproduktion mit Hinweisreizen kam in der vorliegenden Studie zum
Einsatz. Den Probanden werden Itempaare zum Einprägen vorgegeben, später wird ihnen nur
ein Item des Itempaares gezeigt und sie werden aufgefordert den dazugehörigen Begriff zu
erinnern (z. B. Schlange-Würfel; Boot-Haus).
Die Messung der Gedächtnisleistung wird noch differenziert in explizite und implizite Ge-
dächtnisleistung. Das Explizite umfasst dem Bewusstsein zugängliche Gedächtnisinhalte für
Fakten und Ereignisse und dies kann durch sprachliche Äußerungen erfasst werden. Das Im-
plizite bezieht sich auf nicht bewusste Gedächtnisinhalte und kann z. B. über Reaktionstests
oder Priming-Effekte erfasst werden.
Eine große Anzahl von frühen empirischen Arbeiten über das Metagedächtnis wurde von der
theoretischen Annahme beeinflusst, dass eine enge korrelative Beziehung zwischen dem Ge-
dächtniswissen und der Gedächtnisleistung besteht (Brown, 1978). Aus Übersichtsarbeiten
von Cavanaugh & Perlmutter (1980) geht hervor, dass der erwartete Zusammenhang zwi-
schen dem Metagedächtnis und der Gedächtnisleistung in ersten empirischen Arbeiten nicht
bestätigt werden konnte. Gründe dafür, dass keine oder nur niedrige Zusammenhänge zwi-
schen dem Metagedächtnis und der Gedächtnisleistung gefunden wurden, ließen sich auf me-
thodologische Probleme zurückführen.
Die unzureichenden Operationalisierungen vom Metagedächtnis beeinträchtigten die Ergeb-
nisse der frühen Arbeiten erheblich (Cavanaugh & Perlmutter, 1982; Schneider, 1985a). In-
terpretationsprobleme ergaben sich z. B. im Hinblick auf die Bedeutung des Metagedächtnis-
ses da nicht klar war, ob das Metagedächtnis von jüngeren Kindern tatsächlich Defizite auf-
weist. Nach Schneider (1985a) könnten die Defizite ein Artefakt sein, weil der Gesichtspunkt

23
der Reliabilität bei der Konstruktion der Fragebögen zum Metagedächtnis unzureichend be-
rücksichtigt wurde. In Reanalysen der klassischen Studien zum Zusammenhang zwischen
Gedächtnisleistung und Gedächtniswissen war auffallend, dass die Erfassung des Metage-
dächtnisses unzureichend erfolgte, da überwiegend nur zwei oder drei Interviewfragen zur
Bildung des Metagedächtnis-Index herangezogen wurden (Kurtz, Reid, Borkowski & Cava-
naugh, 1983). Die metakognitive Bewusstheit wird hauptsächlich durch Fragebögen oder In-
terviewdaten erhoben. Schlagmüller, Visé & Schneider (2001) verweisen darauf, dass die
vorhandenen Instrumente nur schlechte bis mittlere Gütekriterien aufweisen. Hasselhorn, Ha-
ger & Baving (1989) machen auf die Konfundierungen mit zusätzlichen Konstrukten, wie
z. B. dem Selbstkonstrukt oder der Motivation, aufmerksam.
Durch die Berücksichtigung von aufgabenbezogenem Wissen, allgemein-deklarativem Wis-
sen und dem strategiespezifischen Metagedächtnis bei der Konstruktion von neueren Frage-
bögen konnten gute Gütekriterien, vor allem in Bezug auf Validität und Reliabilität erreicht
werden (Hasselhorn, 1994; Schlagmüller, Visé & Schneider, 2001).
Studien mit wesentlich umfangreicheren Metagedächtnis-Interviews kamen übereinstimmend
zu dem Ergebnis, dass vorhandenes Metagedächtniswissen einen bedeutenden Einfluss auf
die Strategienutzung und die Gedächtnisleistung von älteren Grundschülern hat, wobei ineffi-
ziente Strategien und niedrige Gedächtnisleistungen bei Schulanfängern mit Defiziten im
Metagedächtnis kovariieren (Hasselhorn, 1986; Körkel, 1987; Schneider, 1985a). Diese Er-
gebnisse könnten darauf hinweisen, dass der Zusammenhang zwischen der Gedächtnisleis-
tung und dem Metagedächtnis mit fortschreitendem Alter zunimmt.
Ringel & Springer (1980) kamen in ihrer Analyse über die Entwicklung des Zusammenhangs
zwischen dem Metagedächtnis und der Gedächtnisleistung bei Dritt- und Fünftklässlern zu
dem Ergebnis, dass der Zusammenhang mit fortschreitendem Alter zunimmt. Der Zusam-
menhang im Jugendalter ist nach Joyner & Kurtz-Costes (2002) nicht perfekt und dies ver-
weist darauf, dass die Entwicklung des Metagedächtnisses von weiteren Faktoren abhängig
ist. Eine Metaanalyse ermittelte nur eine mittlere Korrelation von r = .41 zwischen dem Ge-
dächtnis und dem Metagedächtnis, die Korrelation zeigte eine Abhängigkeit von der Ver-
suchsanordnung und der Aufgabenstellung (Schneider, 1985b).
Eine weitere Rahmenbedingung für methodische Verbesserungen von Untersuchungen des
Zusammenhangs zwischen dem Metagedächtnis und der Gedächtnisleistung bezieht sich auf
den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben. Weinert (1984) verweist darauf, dass enge Beziehun-
gen zwischen Metagedächtnis und Gedächtnisleistung nur auftauchen können, wenn der
Schwierigkeitsgrad der Gedächtnisaufgaben im mittleren Bereich liegt. Bei sehr schwierigen

24
Aufgaben führt selbst ein gutes Metagedächtnis zum Abbruch des Lernvorgangs, weil die
Aufgaben nicht zu bewältigen sind und damit zu einer niedrigen Korrelation zwischen der
Gedächtnisleistung und dem Metagedächtnis führen, während bei sehr leichten Aufgaben das
Metagedächtniswissen kaum Leistungsunterschiede erzeugt, weil die geeigneten Strategien
für die Bewältigung nicht erforderlich sind. Dies könnte auch die Untersuchungsergebnisse
von Alexander & Schwanenflugel (1994) erklären, bei denen eine gute Metagedächtnisleis-
tung im Zusammenhang mit einer guten Gedächtnisleistung stand, wenn die Kinder gleich-
zeitig über wenig Vorwissen in Bezug auf den Inhaltsbereich der Aufgabe verfügten. Für die
Kinder mit dem größeren Vorwissen ist die Aufgabe leichter zu bewältigen und demzufolge
kommen weniger Strategien zum Einsatz. Daraus resultiert die niedrigere Korrelation zwi-
schen dem Metagedächtnis und der Gedächtnisleistung.
Nach Cavanaugh & Borkowski (1980; Borkowski, Reid & Kurtz, 1984) liegen bei Trainings-
studien im Vergleich zu den weitestgehend verwendeten Querschnittsanalysen günstigere
Voraussetzungen vor, um signifikante Beziehungen zwischen dem Metagedächtnis und dem
Gedächtnisverhalten zu erhalten.
Methodische Verbesserungen der Untersuchung können ebenfalls über die Berücksichtigung
von weiteren Einflussfaktoren auf die Zusammenhänge zwischen dem Metagedächtnis und
der Gedächtnisleistung erreicht werden, wie z. B. dem Vorwissen (Alexander & Schwa-
nenflugel, 1994), der Intelligenz oder dem Selbstkonzept (Schneider, 1989; Alexander, Carr
& Schwanenflugel, 1995).
In der Metaanalyse von Schneider (1985b) ist die Korrelation zwischen der Metakognition
und dem Strategiegebrauch höher, als zwischen der Metakognition und der Leistung. Mitt-
lerweile existieren eine Reihe von Modellen, die Stärke und Form des Einflusses von Meta-
gedächtnis, Strategieanwendung und Gedächtnisleistung durch Kausalmodelle bestimmt ha-
ben (Fabricius & Hagen, 1984; Hasselhorn, 1986; Kurtz & Weinert, 1989; Schneider, Körkel
& Weinert, 1987). Hasselhorn (2001) bezweifelt, dass es ein einzig richtiges Modell gibt
bzw. den einzig richtigen Einflussweg.
Generell deuten eine Vielzahl von korrelativen Studien darauf hin, dass ein bidirketionaler
Zusammenhang zwischen dem Metagedächtnis und dem Gedächtnisverhalten besteht. Die
Ergebnisse der Studien zeigen, dass schon sehr junge Grundschulkinder über Metagedächt-
niswissen verfügen, was direkte Auswirkungen auf das strategische Verhalten hat (Bor-
kowski, Milstead & Hale, 1988; Brown, 1978; Schneider, 1985b). Exemplarisch stellt das
Kausalmodell von Schneider, Schlagmüller & Visé (1998) die komplexen Zusammenhänge
des Strukturgleichungsmodells mit seinen Kennwerten in Abbildung 2 dar:

25
Abb. 2: Strukturgleichungsmodell zur Vorhersage der Abrufleistung nach Schneider & Lockl (2003, S. 244).
Dieses Modell wurde auf der Basis von 600 neun- und zehnjährigen Kindern gewonnen, bei
denen allgemeines Gedächtniswissen und aufgabenspezifisches Wissen über Kategorisie-
rungsstrategien erhoben wurden. Die Strukturgleichungsanalyse (Lineares Strukturglei-
chungsmodell) zeigte moderate direkte kausale Zusammenhänge des verbalen Intelligenzquo-
tienten (IQ) und der Gedächtniskapazität auf das Metagedächtnis. Das Metagedächtnis hatte
einen beachtlichen indirekten Effekt von 0,6 über den Strategiegebrauch auf die Abrufleis-
tung. Der direkte Zusammenhang zwischen dem Strategiegebrauch und der Abrufleistung
war mit 0,81 ebenfalls beträchtlich. Die direkte Verbindung zwischen dem Metagedächtnis
und der Abrufleistung war mit 0,19 wesentlich kleiner. Zusammenfassend weisen die Ergeb-
nisse darauf hin, dass die Abrufleistung in großem Maße vom strategischen Verhalten beein-
flusst wird, wobei das Metagedächtnis auch einen starken Einfluss auf das Strategieverhalten
hat. Das Kausalmodell von Schneider, Körkel und Weinert (1987) hingegen konnte einen
wesentlich größeren Einfluss der Intelligenz bei Kindern der dritten und der vierten Schul-
klassen auf das Metagedächtnis nachweisen.
Die Modelle belegen, dass schon bei Grundschulkindern der dritten Klasse Gedächtnisleis-
tungen über das vorhandene Intelligenzniveau, die Gedächtniskapazität und das metakogniti-
ve Wissen vorhergesagt werden können. Demnach ist die Gedächtnisleistung zwar vom Me-
tagedächtnis, der Intelligenz sowie der Gedächtniskapazität abhängig, aber das strategische
Verhalten ist eine der stärksten Faktoren.

26
3.3. Strategiedefinition und Formen strategischen Verhaltens
Das prozedurale Metagedächtnis wird mit der vorliegenden Arbeit untersucht und an dieser
Stelle geben wir einen Einblick in die verschiedenen Formen des strategischen Verhaltens
und den Begriff. Innerhalb der Kognitions- und Entwicklungspsychologie ist die Erforschung
von strategischen Verhaltensweisen bei der Bearbeitung von Gedächtnisaufgaben seit der
kognitiven Wende ein bedeutendes Thema mit hoher Aktualität (Bjorklund & Miller, Coyle,
Slawinski, 1997; Bower, 2000). Der Übergang bzw. die Rückkehr vom behavioristischen An-
satz ist recht deutlich dargestellt in Neissers Cognitive Psychology aus dem Jahre 1967, ein
Buch das häufig als hervorstechendes Werk für die kognitive Wende angeführt wird. In dieser
Zeit wurde der heutige Strategiebegriff als Plan für die Steuerung und Koordination des Ver-
haltens bezeichnet.
Kognitive Strategien sind allgemeine Lernaktivitäten von Kindern, die für das Erreichen von
kognitiven Zielen hilfreich sind. In diesem Kontext werden als Strategien nur diejenige Akti-
vitäten bezeichnet, die nicht unbedingt mit der Aufgabenlösung verbunden sind. Gedächtnis-
strategien hingegen sind solche Lernaktivitäten, die direkt eine Lösung von Gedächtnisaufga-
ben erleichtern (Hasselhorn, 1986). Zur Strategiedefinition wurden unterschiedliche Krite-
rien aufgestellt (Bjorklund & Harnishfeger, 1990; Brown, 1978; Flavel, 1970; Pressley, For-
rest-Pressley, Elliot- Faust & Miller, 1985; Siegler & Jenkins, 1989). Eine Übereinstimmung
bei der Definition herrscht darüber, dass strategisches Verhalten über normales Lernverhal-
ten, also Aufmerksamkeit und Beschäftigung mit der Aufgabe, hinausgehen und zielgerichtet
erfolgen muss. Spezifischere Kriterien wie z. B. Selektivität, Intentionalität, Kontrolliertheit,
Kapazitätsbeanspruchung und Bewusstheit wurden in Bezug auf ihre jeweilige Bedeutung
kontrovers diskutiert (Bjorklund, 1990; Brown, Bransford, Ferrara & Campione, 1983; Press-
ley, Ross, Levin & Ghatala, 1985; Siegler & Jenkins, 1989). Bei einer allgemeinen Definition
des Strategiebegriffs können die spezifischen Kriterien kaum gleichberechtigt nebeneinander
stehen. Genügend flexibel erscheint die Begriffsdefinition von Hasselhorn (1996), wobei
wahlweise zwei übergeordnete Merkmale durch Einbeziehung anderer Eigenschaften ausge-
tauscht werden können:
,,Strategien werden als Prozesse aufgefasst, die auf ein Lern- oder Behaltensziel aus-
gerichtet sind und die mehr als die obligatorischen Konsequenzen der Bearbeitung ei-
ner Gedächtnisanforderung darstellen (notwendige bzw. obligatorische Merkmale).
Darüber hinaus müssen sie wenigstens eine zusätzliche akzessorische Eigenschaft

27
aufweisen. Als akzessorische Eigenschaften kommen in Frage, dass sie intentional,
bewusst, spontan, kontrolliert, kapazitätsbelastend und/oder selektiv sind." (S. 61)
Jedem spezifischen Kriterium bzw. jeder akzessorischen Eigenschaft kann in Abhängigkeit
von der Betrachtungsebene, der konkreten Zielsetzung, der Fragestellung, der untersuchten
Stichprobe und den realisierten Rahmenbedingungen eine besondere Bedeutung zukommen
oder sie kann diese auch verlieren.
In der vorliegenden Literatur zur Gedächtnisliteratur herrscht z. B. weitestgehend eine Un-
stimmigkeit über den bewussten Zugang zur Strategieanwendung (Bjorklund, 1997; Folds,
Footo, Guttentag & Ornstein, 1990; Hasselhorn, 1996; Pressley & Van Meter, 1993). Unge-
achtet der theoretischen Diskussion ergibt sich hierbei ein empirisches Problem, bei der Beur-
teilung der Bewusstheit sind entwicklungspsychologische Forscher/innen auf Selbstaussagen
von Kindern angewiesen. Der fehlenden Möglichkeit zur Verbalisierung bei Kindern über
zuvor oder zukünftig ausgeübtes Verhalten können vielschichtige Ursachen zugrunde liegen.
Zum Einen sind, nach Welsch-Ross, Diecidue & Miller (2000), die mündlichen Befragungen
von Kindern mit den verbalen Fähigkeiten der Kinder konfundiert. Zum Anderen besteht die
Möglichkeit, dass bei eingeübten Verhaltensweisen ein hoher Grad der Automatisierung er-
reicht worden ist und dadurch die Auskunft über das gezeigte Verhalten erschwert wird. Bei
hoher Automatisierung benötigen die strategischen Abläufe immer weniger kognitive Kapa-
zitäten, damit sinkt die bewusste kognitive Kontrolle des Verhaltens und die Möglichkeit der
bewussten Auskunft über das gezeigte Verhalten ebenso.
Gedächtnisstrategien wie das Wiederholen des Lernmaterials, Ordnungs-, Elaborationsstrate-
gien (z. B. eine Geschichte zum Vokabellernen erfinden) oder die Schlüsselwortmethode ste-
hen oftmals im Mittelpunkt des Forschungsinteresses (Hasselhorn, 1986). Während der
Lern-, der Behaltens- und der Abrufphase kommen unterschiedliche Formen von strategi-
schen Verhaltensweisen zur Anwendung.
Um Elaborationsstrategien anzuwenden wird eine breite Wissensbasis vorausgesetzt. Aus
diesem Grund sind Elaborationsstrategien oftmals erst im Jugendalter zu beobachten (Beuh-
ring & Kee, 1987; Flavell, 1970). Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Kindern im Al-
ter von 5 bis 11 Jahren. Aufgrund der frühen Verfügbarkeit der Strategien des Wiederholens
und des Organisierens erscheint eine ausführlichere Darstellung dieser Strategien als sinnvoll.
Bei der Wiederholungsstrategie werden die zu lernenden Items einzeln oder in Gruppen wie-
derholt. Diese Strategie kommt, nach Schneider & Pressley (1997), schon im Alter von acht

28
bis zehn Jahren zur spontanen Anwendung, während ein spontaner Einsatz bei Kindergarten-
kindern kaum zu beobachten ist. Turley-Ames & Whitfield (2003) stellen fest, dass der Ein-
satz von Wiederholungsstrategien einen positiven Zusammenhang mit der Gedächtnisleistung
aufweist. Nach Ornstein, Baker-Ward & Naus (1988) ist hauptsächlich die Art und Weise für
eine Verbesserung der Gedächtnisleistung verantwortlich, die Anzahl der Wiederholungen
spielt nur eine untergeordnete Rolle. Das aktive Wiederholen von Begriffsverbänden hat ei-
nen positiven Einfluss auf den Abruf, während einzelne Wiederholungen weniger förderlich
für die Leistung sind. Schneider und Pressley (1997) sehen die Ursache hierfür darin, dass
beim kumulativen Wiederholen die Assoziativität mehr erhöht wird als bei einzelnen Wie-
derholungen und zusätzlich dabei die eigene Gedächtnisleistung besser überprüft wird. Das
Organisieren nach Kategorien stellt eine weitere Strategie dar, wobei diese grundsätzlich da-
zu dient, eine Ordnung in das zu lernende Material zu bringen. Eine Struktur kann unabhän-
gig von den Bedeutungsinhalten der Merkmale der Items erfolgen, über gemeinsame charak-
teristische und zeitüberdauernde Merkmale von Items oder über semantische Relationen.
Bjorklund und Douglas (2002) hat gezeigt, dass Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren
einen Wechsel in der Art und Weise des Kategorisierens von den funktionsgeleiteten Eintei-
lungen hin zu taxonomischen Verknüpfungen vornehmen. Die taxonomische Relation ist in
Bezug auf die Gedächtnisleistung der funktionalen überlegen. Der Einsatz der Organisations-
strategien weist einen leicht entwicklungsverzögerten Verlauf im Vergleich zur Wiederho-
lungsstrategie auf. Hasselhorn (1996) verweist darauf, dass ein Erwerb der Strategie des Or-
ganisierens erst mit acht bis zehn Jahren auftaucht.
3.4. Modelle der Strategieentwicklung
In Bezug auf den Verlauf der Strategieentwicklung bestehen unterschiedliche Ansichten. Ei-
nige Forscher gehen von einer sprunghaften Verbesserung der strategischen Kompetenzen
aus (Sodian & Schneider, 1999; Bjorklund, 1985, 1987; Hasselhorn, 1996), während Siegler
(1996) mit dem Strategiewahlmodell eine Alternative zu den starren Stufenmodellen anbietet.
Bjorklunds (1985, 1987) Ansatz wird als Entwicklung semantischer Organisationsstrategien
bezeichnet, dabei wird eine automatische Ausbildung von strategischen Verhaltensweisen
zugrunde gelegt. Die Theorie ist an die Netzwerktheorie des Gedächtnisses angelegt und die
Fähigkeit der Strategieanwendung ist abhängig von dem im semantischen Netzwerk abge-
speicherten Wissen. Das semantische Netzwerk wächst und wird komplexer mit der Wis-
sensvermehrung und mit zunehmendem Alter verändert sich die Stärke der Verbindungen

29
zwischen den Items. Dadurch entwickelt sich eine höhere Assoziativität und die Items kön-
nen leichter abgerufen werden. Diese Entwicklung verläuft phasenweise und baut aufeinan-
der auf.
Die Strategie-Emergenz-Theorie von Hasselhorn (1996) geht nicht von einer automatischen
Ausbildung des strategischen Verhaltens aus, denn er schreibt den Kindern eine aktivere Rol-
le beim Prozess des Strategieerwerbs zu. Hasselhorn (1996) richtet die Kritik an dem Modell
von Bjorklund auf die Vernachlässigung von Einflussfaktoren, wie z. B. dem aufgabenspezi-
fischen Metagedächtnis oder dem Aufgabenkontext. Weitergehend bezweifelt er, dass die
verfügbaren mentalen Ressourcen eine direkte Ursache für den Einsatz von Organisations-
strategien sind. Für Hasselhorn (1996) ist die Entwicklung von effektiven strategischen Ver-
haltensweisen abhängig von einem gut ausgebildeten Metagedächtnis. Die besondere Bedeu-
tung des Metagedächtnisses für den Einsatz von Organisationsstrategien konnten er und an-
dere in zahlreichen empirischen Befunden nachweisen (Hasselhorn, 1990; Hasselhorn, Lind-
ner & Müller, 1995).
Die beiden exemplarisch kurz dargestellten Erklärungsmodelle beleuchten nur einzelne As-
pekte des strategischen Verhaltens. Beide Modelle repräsentieren eine theoretische For-
schungsrichtung, die über eine lange Zeit aufrecht erhalten wurde (DeMarie, 2003 & Ferron),
wobei dabei das komplexe Wirkungsgeflecht von allen beteiligten Faktoren vernachlässigt
wurde. Das Strategiewahlmodell von Siegler (1996) versucht zu erklären, wie im Laufe der
Entwicklung weniger effiziente durch effizientere Faktoren ersetzt werden können bzw. auf
welche Art und Weise diese nebeneinander existieren. Siegler (1995, 1996), bevorzugt statt
eines starren Stufenmodells eine Entwicklungsabfolge. Diese kann am besten durch eine be-
stimmte Anzahl von überlagernden Wellen veranschaulicht werden (siehe Abbildung 3) so-
wie durch eine fortwährende Entwicklung von kognitiven Funktionen.
Abb. 3: Schematische Darstellung des Overlapping-Waves-Modells für die Strategieentwicklung nach Siegler
(1996, S. 89).

30
Die Wellen symbolisieren die einzelnen verschiedenen Strategien, wobei die Strategien paral-
lel existieren können. Das Strategieverhalten wird als multiple kognitive Entwicklung be-
trachtet, welche Schwankungen unterliegen kann. Dadurch können interindividuelle Unter-
schiede im Strategieverhalten von Kindern gleichen Alters erklärt werden als auch intraindi-
viduelle Unterschiede eines Kindes beim Durchlaufen von mehreren Durchgängen
(Bjorklund & Douglas, 2002). Durch die überlagernden Wellen lässt sich so auch gut erklä-
ren, dass eine Strategie beibehalten wird, obwohl sie beim anfänglichen Einsatz nicht zum
Erfolg führt. Siegler (1998) behauptet, dass zu gleicher Zeit verschiedene Strategien mitein-
ander konkurrieren, wobei weniger nützliche mit steigendem Alter und größerer Erfahrung in
ihrer Anwendungshäufigkeit absinken. Kinder sind nach diesem Modell nicht strategielos,
sondern sie zeigen fortwährend Ansätze von planvollem und zielgerichtetem Verhalten.
Der multiple Strategiegebrauch wurde erstmals durch McGilly & Siegler (1989, 1990) mit
der Entwicklung von mathematischen Strategien bei Kindern erforscht. Dann folgten Unter-
suchungen mit Kindern im Altersbereich von fünf bis neun Jahren, die den Einsatz von mul-
tiplen Strategien bestätigen konnten. Miller & Aloise-Young (1995) konnte bei drei- bis vier-
jährigen Kindern einen multiplen Strategiegebrauch feststellen, wobei die Kinder in hinter-
einander geschalteten Durchgängen verschiedene Wechsel und Abfolgen der Strategie, unab-
hängig vom Erfolg oder Versagen der unmittelbar vorher eingesetzten Strategie zeigten.
Auch Coyle & Borklund (1997) konnten bei Kindern der zweiten, dritten und vierten Schul-
klassen häufiger den Gebrauch von multiplen Strategien feststellen im Vergleich zu einem
konstanten Strategieeinsatz. Nach Schlagmüller & Schneider (2002; Coyle & Bjorklund,
1997) steht der Gebrauch von multiplen Strategien im Zusammenhang mit einer höheren Ge-
dächtnisleistung, wobei bei jüngeren Kindern sich die höhere Gedächtnisleistung erst mit ei-
ner Zunahme der Durchgänge einstellen konnte.
Das Erlernen und der Einsatz neuer Strategien weist in den Anfängen erst einmal wenig Ef-
fektivität auf und verbraucht eine Menge der kognitiven Ressourcen, so dass der Einsatz neu-
er Strategien nicht sofort in einem besseren Ergebnis mündet. Mit zunehmender Übung wird
der Strategieeinsatz automatisiert, d. h. die kognitiven Ressourcen stehen somit wieder für
andere Prozesse zur Verfügung und bessere Gedächtnisleistungen können erzielt werden.

31
3.5.
Die Entwicklung des strategischen Verhaltens bis ins Vor- und Grund-
schulalter und dessen Bedeutung für das Metagedächtnis
Kennzeichen für die Entwicklung einer Strategie ist der Zeitpunkt bei dem das strategische
Verhalten das erste Mal beobachtet werden kann. Am weiteren Verlauf lässt sich ablesen, ob
das gezeigte Verhalten bereits als eine stabile Fähigkeit ausgebildet ist oder ob es sich um ein
vorübergehendes Phänomen handelt. Der intentionale Strategieeinsatz beim Lernen und Er-
innern lässt sich bereits bei Zwei- bis Vierjährigen z. B. bei Aufgaben der räumlichen Anord-
nung beobachten (DeLoache, Cassidy & Brown, 1985; Wellmann, 1988, Willats, 1990).
Der Strategieneinsatz ist in diesem frühen Stadium störanfällig und an bestimmte Rahmenbe-
dingungen geknüpft, z. B. ist er nur bei sehr einfachen Aufgabenstellungen oder bei einem
hohen Vertrautheitsgrad zu beobachten (Blair, Perlmutter & Myers, 1978; Loughlin & Daeh-
ler, 1973; Ratner & Myers, 1980; Sophian & Wellman, 1983). Außerdem erfordert die Stra-
tegieanwendung bei jüngeren Kindern mehr Anstrengung als bei älteren (Guttentag, 1984).
Kategorisierungsverhalten konnten Namy, Smith und Gershoff-Stowe (1997) schon bei 18
Monate alten Kindern nachweisen, indem die Kinder zwei Items aus unterschiedlichen Kate-
gorien miteinander vergleichen mussten. DeLoache, Cassidy & Brown (1985) konnten schon
bei 18 bis 24 Monate alten Kindern gezieltes Memorierverhalten anhand von sehr einfachen
Strategien, wie Deuten oder mehrmaliges Beobachten des Verstecks bei einem Versteckspiel
nachweisen. Pressely & van Meter (1993) konnten diese Ergebnisse für zweijährige Kinder
bestätigen. Ritter (1978) konnte bei drei-, fünf- und achtjährigen Kindern einen spontanen
Strategieeinsatz nur für die älteste Gruppe feststellen, jüngere Kinder setzen strategisches
Verhalten erst nach einer gezielten Aufforderung ein. Nach Sodian (1986; Schneider, 1993)
kann der spontane Einsatz von Wiederholungsstrategien im Vorschulalter und der Einsatz
von Organisationsstrategien im Laufe des Grundschulalters beobachtet werden. Bjorklund
(1985, 1987) postuliert eine bewusste und zielgerichtete Anwendung von kategorialen Orga-
nisationsstrategien erst für das Alter von dreizehn Jahren. Nach Moely, Olson, Halwes, &
Flavell (1969) ist die spätere Entwicklung von Organisationsstrategien im Vergleich zu
Wiederholungsstrategien damit zu erklären, dass die Entdeckung semantischer Relationen
zwischen Items ein wesentlich komplexerer Prozess ist.
Ob semantische Organisationsstrategien zum Einsatz kommen ist weiterhin abhängig von der
Aufgabenschwierigkeit (Ornstein, 1988). Schneider & Sodian (1997) stellten fest, dass Kin-
der im Altersbereich von zehn bis elf Jahren eine spontane Anwendung von Organisations-
strategien zeigen, wenn die Aufgabe einen mittleren Schwierigkeitsgrad aufweist.

32
Nach Miller Haynes DeMarie-Dreblow & Woody Ramsey (1986) werden mit zunehmendem
Alter Strategien immer flexibler eingesetzt, wobei die jüngsten Kinder im Alter von sechs
Jahren weitestgehend nur eine Strategie verwendeten und die Kinder im Alter von acht und
zehn Jahren Strategien in Abhängigkeit von der Aufgabenstellung einsetzten. Zu berücksich-
tigen bleibt, dass die Entwicklung der Strategien ein komplexer Vorgang ist, so fließt in die
Altersangabe auch die bisher gemachte Erfahrung ein. In einer Untersuchung mit tauben und
hörenden Kindern konnten Bebko & Mc Kinnon (1990) aufzeigen, dass die Altersangabe al-
lein kaum ausreichte um Unterschiede beim Einsatz der Wiederholungsstrategien zu erklären.
In diesem Fall war die bisher gemachte sprachliche Erfahrung der Kinder entscheidend für
den Zeitpunkt der Anwendung von Wiederholungsstrategien.
Die Entwicklung der Strategien wurde bisher kurz dargestellt, wobei in verschiedenen Phasen
der Entwicklung unterschiedliche Defizite, wie das Mediationsdefizit, das Produktionsdefizit
oder das Nutzungsdefizit, auftreten können.
Das Mediationsdefizit bezeichnet einen Zustand, in dem Kinder nicht in der Lage sind Stra-
tegien zu produzieren und Hilfestellungen bei der Aufgabenbearbeitung keine Veränderung
bewirken können. (Reese, 1962). Blöte, Resing, Mazer & Van Moort (1999) untersuchten
vierjährige Kinder bei der Lösung einer leichten kognitiven Aufgabe, dabei konnte bei den
meisten Kindern ein spontaner Strategieeinsatz beobachtet werden. Kinder, die keinen spon-
tanen Strategieeinsatz zeigten, konnten erfolgreich dazu instruiert werden. Flavell (1970)
bezeichnete den Sachverhalt, dass Kinder keinen spontanen Strategieeinsatz zeigen, obwohl
sie nach einer Aufforderung die entsprechende Strategie anwenden können, als Produktions-
defizit. Das Nutzungsdefizit beschreibt Miller (1990; Miller & Seier, 1994) so, dass sponta-
ner Strategiegebrauch zwar auftritt, aber die Kinder erreichen durch den Einsatz der Strategie
keinen Leistungszuwachs. Die ausbleibende Verbesserung in der Abrufleistung wird durch
die starke Beanspruchung der Gedächtniskapazität bei der ersten Verwendung von neuen
Strategien erklärt. Die Beobachtung des Nutzungsdefizits setzt nach den Annahmen des
Defizit-Modells von Flavell (1971) die Überwindung des Mediations- und des Produktions-
defizits voraus. Ursache für das ausbleibende strategische Verhalten kann mangelhaftes Me-
tagedächtniswissen sein oder das Anwenden von bisher automatisierten einfacheren Strate-
gien aus Kapazitätsgründen.
Insgesamt sollten bei der Darstellung und der Zuordnung der strategischen Kompetenzen zu
bestimmten Alterstufen empirische Ergebnisse zur Strategieentwicklung berücksichtigt wer-
den. Die vorliegende Literatur zeigt, dass ein Auftreten von strategischen Kompetenzen von
der individuellen Entwicklung abhängig ist. Eine Beobachtung des individuellen Entwick-

33
lungsverlaufs von Schneider, Hasselhorn & Körkel (2003) zeigte starke interindividuelle Un-
terschiede in Bezug auf den Einsatz von Organisationsstrategien zu bestimmten Altersstufen.
Im Alter von vier bis sechs Jahren entdeckten 40%, im Alter von sieben bis acht Jahren 24%
und im Alter von neun bis zehn Jahren entdeckten 21% der Kinder die Organisationsstrate-
gie. Während 5% der Kinder im Alter von fünf Jahren die Strategie anwenden konnten, wa-
ren 5% im Alter von 17 Jahren noch nicht in der Lage diese Strategie einzusetzen. Durch die
individuelle Entwicklung wird die Bedeutung des strategischen Verhaltens für die Gedächt-
nisleistung aber nicht gemindert.
Büttner (2001) untersuchte, ob die Anwendung von Gedächtnisstrategien einen größeren Ein-
fluss auf die Abrufleistung hat als basale Prozesse. Bei Kindern der zweiten und vierten
Schulklassen wurde der Cognitive Triage-Effekt
2
mit dem Effekt der Anwendung von Orga-
nisationsstrategien verglichen. Die Ergebnisse von Büttner (2001) deuten darauf hin, dass
kognitive Prozesse höherer Art einen stärkeren Einfluss auf die Gedächtnisleistung haben als
basale Prozesse.
3.6. Entwicklung des deklarativen Metagedächtnisses
Das deklarative Metagedächtnis bezieht sich auf das verbalisierbare Wissen über die Stärken
und Schwächen des eigenen Gedächtnisses, der Gedächtnisstrategien und deren Einsatzmög-
lichkeiten (Lockl & Schneider, 2002; 2003). Allgemein kann davon ausgegangen werden,
dass sich bei Kindern das deklarative Gedächtniswissen mit fortschreitendem Alter verbes-
sert. Der durchschnittlich größte Zuwachs des deklarativen Metagedächtnisses findet zwi-
schen dem dritten und vierten Grundschuljahr statt, wobei erst am Ende der Grundschulzeit
von einer Festigung der sich entwickelnden Fertigkeiten auszugehen ist (Hasselhorn, 1994;
Joyner & Kurtz-Costes, 2002; Lockl & Schneider, 2002; Schneider, 1999; Schneider &
Pressley, 1997, Weinert & Schneider, 1999).
Schlagmüller & Schneider (2002) konnten in ihrer Studie mit Kindern von acht bis zwölf
Jahren zeigen, dass sich das deklarative Wissen vor dem Strategieeinsatz entwickelt. Die
Kenntnis der Strategie und die Überzeugung, dass der Strategieeinsatz zu einer besseren Leis-
tung führt, ist bei der Entwicklung der neuen Strategien von entscheidender Bedeutung. Nach
Lockl & Schneider (2002) ist eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung des deklarativen
2
Cognitive Triage-Effekt: Durch Interferenzprozesse bedingte Wiedergabereihenfolge von Informationen aus dem Lang-
zeitgedächtnis (schwach ­ stark ­ schwach). Dieser Effekt wird nach der Fuzzy Trace Theorie als eine entscheidende Vor-
aussetzung für eine gute Gedächtnisleistung gesehen und für wichtiger erachtet als z. B. die Anwendung von Gedächtnis-
strategien.

34
Gedächtnisses das Verständnis von mentalen Verben, wie z. B. Denken, Vergessen oder Wis-
sen. Misciones, Marvin, O´Brien, & Greenburg, (1978; Wellmann & Johnson, 1979) fanden,
dass schon vier Jahre alte Kinder ein signifikant besseres Verständnis für mentale Verben ha-
ben als drei Jahre alte Kinder. Johnson & Wellmann (1980) konnten aufzeigen, dass mentale
Verben ab dem Alter von vier Jahren für mentale Zustände korrekt angewendet werden kön-
nen. Obwohl es so erscheint, dass Vorschüler noch Probleme mit dem Verständnis des Ge-
dächtniskonzepts haben, können diese schon einige Grundbegriffe richtig anwenden. Die ers-
ten Anzeichen für das Vorhandensein des deklarativen Gedächtnisses sind, nach Büttner
(2003), im Vorschulalter nachweisbar.
Nach Kreutzer, Leonard & Flavell (1975) wissen Kinder im Vorschulalter z. B., dass etwas
vergessen werden kann oder das kürzlich zurück liegende Ereignisse besser zu erinnern sind
als länger zurückliegende Begebenheiten. In ihrer klassischen Studie mit 80 Kindern im Kin-
dergartenalter, der ersten, dritten und fünften Klasse stellten Kreutzer, Leonard & Flavell den
Kindern Fragen zum Gedächtniswissen, wobei schon die jüngsten Kinder Wissen über die
Leistungen und Funktionen des Gedächtnisses hatten. Sie wussten z. B., dass es schwerer ist
eine große Menge von Lernmaterialien zu behalten als eine kleinere. Das Wissen wird mit
zunehmendem Alter spezifischer, ältere Kinder und ca. 50 % der Kindergartenkinder sowie
der Erstklässler können erkennen, dass die Wiedergabeleistung eine Folge der investierten
Lernzeit ist. Die Kinder konnten auch erkennen, dass eine exakte Wiedergabe des Inhalts
schwerer ist als eine sinngemäße. Die Autoren fanden, dass die Kinder verstanden haben,
dass ablenkende Aktivitäten zwischen der Lernperiode und der Behaltensprüfung die Abruf-
leistung beeinträchtigen kann, und dass eine Ordnung nach Oberbegriffen, also das Anwen-
den von Kategorisierungsstrategien, die Einspeicherung von Bildern erleichtert.
Besonders interessant in Bezug auf die vorliegende Studie ist, dass in der Studie von Kreutzer
et al. (1975) nur ein Drittel der Kindergartenkinder und der Erstklässler den Zusammenhang
zwischen einer längeren Lernzeit und einer daraus resultierenden höheren Gedächtnisleistung
herstellen konnten. Daraus lässt sich ableiten, dass sich die Bedeutung der Lernzeit für die
Abrufleistung erst im Verlauf der Grundschulzeit entwickelt. Diese Befunde konnten in der
bekannten Münchener LOGIK-Studie (Longitudinalstudie zur Genese individueller Kompe-
tenzen) weitestgehend repliziert werden (vgl. Knopf & Schneider; 1998).
Zu erwähnen bleibt allerdings, dass ca. ein Drittel der Kindergartenkinder in der Studie von
Kreutzer et al. (1975) die eigene Gedächtnisleistung unrealistisch einschätzen, sie geben an
niemals etwas zu vergessen. Nach Schneider (1998b) liegt die Ursache dieser unrealistischen
Einschätzungen der eigenen Leistungsfähigkeit nicht nur in den mangelnden metakognitiven

35
Fertigkeiten, sondern auch an dem Wunschdenken der jüngeren Kinder. Kinder im Vorschul-
alter ändern nach Heckhausen (1984) ihre äußerst positive Erwartungshaltung auch nach ei-
ner Serie von Misserfolgen kaum, und Rückmeldungen zur Leistungen werden nicht in eine
zukünftige Leistungseinschätzung einbezogen. Nach Stipek, Roberts & Sandbek (1984) kön-
nen Kinder im Vorschulalter nicht zwischen den eigenen Wünschen und den Erwartungen
differenzieren. Die Kinder haben übersteigerte Leistungserwartungen für sich selbst, dagegen
können sie realistische Einschätzungen für andere Kinder abgeben. Die Ergebnisse von Has-
selhorn (1987b; Schneider, 1998b) deuten darauf hin, dass die unrealistischen Vorhersagen
der Gedächtnisspanne im Vorschulalter im großen Maße über motivationale anstatt über kog-
nitive Gründe zu erklären sind, dem Wunschdenken ist hier eine besondere Rolle zuzuschrei-
ben. Bei einer Studie von Butler (1990) trat bei Vorschulkindern die Überschätzung nur in
sozialen Vergleichsituationen, d. h. in Konkurrenzsituationen auf. In anderen Situationen wa-
ren sie durchaus in der Lage eine genaue Einschätzung abzugeben, der Grund dafür liegt
wahrscheinlich in der positiven Selbstdarstellung.
Die Studie von Visé & Schneider (2000) konnte die folgenden drei Hypothesen zur Erklärung
der unrealistischen Selbsteinschätzung überprüfen:
1.) Das metakognitive Defizite in Bezug auf unzureichende Gedächtnisüberwachung und
Kontrollprozesse vorliegen,
2.) die ,,Anstrengungsattributionshypothese" (Wellmann, 1983), dass unrealistische Ein-
schätzungen auf der Basis von Anstrengungen und der Menge des Lernmaterials zu-
stande kommen (Stipek & McIver, 1989) und
3.) die Wunschdenkhypothese (Stipek & Mc Giver, 1984), welche beschreibt, dass jünge-
re Kinder aufgrund ihrer egozentrischen Grundhaltung nicht zwischen ihren Wün-
schen und den Erwartungen unterscheiden können, so dass Leistungsprognosen durch
Wunschdenken verzerrt werden.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Metakognitionshypothese verworfen werden
kann. Die Wunschdenkhypothese konnte teilweise Unterstützung finden, wobei deutliche
Hinweise auf eine Überbewertung der Anstrengung bei den Kindergartenkindern zu erkennen
war. Die ,,Anstrengungsattributionshypothese" von Revelle, Wellmann und Karabenick
(1985) besagt im Detail, dass idealistische Prognosen junger Kinder auf der Fokussierung der
Anstrengung als bedeutendstem Faktor basieren und dass weitere Faktoren wie der Lernauf-
wand oder die Schwierigkeit der Aufgabe vernachlässigt werden. Nicht unerwähnt sollte die
durchaus zweckmäßige, funktionale und motivationale Bedeutung der unrealistischen Über-

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836639514
DOI
10.3239/9783836639514
Dateigröße
2.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main – Psychologie
Erscheinungsdatum
2009 (Dezember)
Note
1,0
Schlagworte
strategienutzung metagedächtnis intelligenz grundschule vorschule
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Titel: Deklaratives und prozedurales Metagedächtnis bei familial retardierten Kindern von Schulen für Lernbehinderte und praktisch Bildbare
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