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Bildungsaufstieg und Soziale Arbeit

Sozialpädagogisches Handeln im Bildungswesen der frühen DDR

©2006 Diplomarbeit 62 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘Wissen ist Macht’ (Francis Bacon)
Ganz im Einklang mit dieser Weisheit steht das bildungspolitische Ziel der frühen DDR. Unter der ideologischen Perspektive des Arbeiter- und Bauernstaates sollte das Proletariat zur neuen herrschenden Klasse aufsteigen. Vorraussetzung für Machtausübung ist jedoch das Verfügen über Wissen. So sahen auch die politisch Verantwortlichen der SBZ/DDR die Notwendigkeit, Arbeiter und Bauern akademisch zu bilden. Ihnen musste ein Bildungsaufstieg ermöglicht werden. Hierzu wurden im Bildungswesen der frühen DDR gezielt Einrichtungen gegründet: die Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten (ABF). Sie verkörpern ein historisches Großexperiment des Bildungsaufstieges. Da in unserem Bildungswesen hinsichtlich Bildungschancen immer noch Ungleichheiten herrschen, die auf die soziale Herkunft zurückzuführen sind, muss die Thematik des Bildungsaufstieges eine aktuelle bleiben. Meiner Ansicht nach hat neben dem bildungspolitischen und schulpädagogischen Handlungsbedarf ebenso die Soziale Arbeit den Auftrag, nach ihren spezifischen Möglichkeiten dieser sozialen Ungleichheit Abhilfe zu schaffen, zu fragen. Mit der Perspektive Urbans, ‘Soziale Arbeit ist nicht logisch zu erklären, sondern nur historisch zu verstehen’, versuche ich mich in dieser Arbeit dem aktuellen Thema zu nähern. Meine Fragestellung lautet daher: Welches sozialpädagogische Handeln ist notwendiger und förderlicher Faktor eines erfolgreichen Bildungsaufstieges? Über die Analyse des Arbeitens an der historischen ABF, versuche ich auf diese Frage Antworten zu finden.
Die Theorie Bourdieus der Kapitalakkumulation bildet das theoretische Erklärungsmodell. Bordieus bildungssoziologische Sicht beschreibt die Bedingung zwischen Bildungserfolg und Kapitalvolumen der Person. Dabei kann die besondere Bedeutung des inkorporierten kulturellen Kapitals herausgearbeitet werden. Für meine Untersuchung wird daher das inkorporierte kulturelle Kapital entscheidender Indikator sein. Außerdem muss das Modell Bordieus hinsichtlich seiner Übertragbarkeit auf den Sozialismus überprüft werden. Anschließend wird der Begriff des Bildungsaufstieges näher beleuchtet. Und schließlich das zugrunde liegende sozialpädagogische Verständnis dargelegt. Dieses erste Kapitel stellt die theoretische Herleitung meiner Fragestellung dar.
Diese richte ich anschließend im zweiten Kapitel auf das empirische Beispiel der ABF. Das empirische Material bilden lebensgeschichtlich-narrative […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Theorierahmen und Begriffsklärung
1.1 Das Konzept der Kapitalakkumulation (Bourdieu)
1.1.1 Die drei Kapitalformen
1.1.2 Kapitalakkumulation im Sozialismus
1.2 Bildungsaufstieg
1.2.1 Zum Begriff Bildungsaufstieg
1.2.2 Zu Bildung und Kapital
1.3 Sozialpädagogik und Erwerb inkorporierten kulturellen Kapitals
1.3.1 Die Formen inkorporierten kulturellen Kapitals
1.3.2 Sozialpädagogisches Handeln
Exkurs: Sozialpädagogik im Sozialismus – die DDR
1.4 Zusammenfassung

2 Sozialpädagogik an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät?
2.1 Zu Methode und Untersuchungsmaterial
2.1.1 Qualitative Inhaltsanalyse (Mayring)
2.1.2 Vorstellung des Untersuchungsmaterials
2.2 Vorbereitung der qualitativen Inhaltsanalyse
2.2.1 Bestimmung des Ausgangsmaterials
2.2.2 Zur Fragestellung der Analyse
2.2.3 Zum Ablauf der Analyse
2.3 Kategoriensystem
2.4 Institutionsbeschreibung
2.5 Sozialpädagogisches Handeln an der ABF (Interviewauswertung)
2.5.1 Das „Lernen zu Lernen“
2.5.2 Die „Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes“
2.5.3 Die „ästhetische Erziehung“
2.5.4 Zusammenfassung

3 Zusammenfassung und Ausblick

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Anhang

Transkriptionszeichen

Liste der Interviewpartner(innen)

Einleitung

„Wissen ist Macht“ Francis Bacon

Ganz im Einklang mit dieser Weisheit steht das bildungspolitische Ziel der frühen DDR. Unter der ideologischen Perspektive des Arbeiter- und Bauernstaates sollte das Proletariat zur neuen herrschenden Klasse aufsteigen. Vorraussetzung für Machtausübung ist jedoch das Verfügen über Wissen. So sahen auch die politisch Verantwortlichen der SBZ/DDR die Notwendigkeit, Arbeiter und Bauern akademisch zu bilden. Ihnen musste ein Bildungsaufstieg ermöglicht werden. Hierzu wurden im Bildungswesen der frühen DDR gezielt Einrichtungen gegründet: die Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten (ABF). Sie verkörpern ein historisches Großexperiment des Bildungsaufstieges. Da in unserem Bildungswesen hinsichtlich Bildungschancen immer noch Ungleichheiten herrschen, die auf die soziale Herkunft zurückzuführen sind (OECD 2001), muss die Thematik des Bildungsaufstieges eine aktuelle bleiben. Meiner Ansicht nach hat neben dem bildungspolitischen und schulpädagogischen Handlungsbedarf ebenso die Soziale Arbeit den Auftrag, nach ihren spezifischen Möglichkeiten dieser sozialen Ungleichheit Abhilfe zu schaffen, zu fragen. Mit der Perspektive Urbans, „Soziale Arbeit ist nicht logisch zu erklären, sondern nur historisch zu verstehen“ (2004: 382), versuche ich mich in dieser Arbeit dem aktuellen Thema zu nähern. Meine Fragestellung lautet daher: Welches sozialpädagogische Handeln ist notwendiger und förderlicher Faktor eines erfolgreichen Bildungsaufstieges? Über die Analyse des Arbeitens an der historischen ABF, versuche ich auf diese Frage Antworten zu finden.

Die Theorie Bourdieus der Kapitalakkumulation bildet das theoretische Erklärungsmodell. Bourdieus bildungssoziologische Sicht beschreibt die Bedingung zwischen Bildungserfolg und Kapitalvolumen der Person. Dabei kann die besondere Bedeutung des inkorporierten kulturellen Kapitals herausgearbeitet werden. Für meine Untersuchung wird daher das inkorporierte kulturelle Kapital entscheidender Indikator sein. Außerdem muss das Modell Bourdieus hinsichtlich seiner Übertragbarkeit auf den Sozialismus überprüft werden. Anschließend wird der Begriff des Bildungsaufstieges näher beleuchtet. Und schließlich das zugrunde liegende sozialpädagogische Verständnis dargelegt. Dieses erste Kapitel stellt die theoretische Herleitung meiner Fragestellung dar.

Diese richte ich anschließend im zweiten Kapitel auf das empirische Beispiel der ABF. Das empirische Material bilden lebensgeschichtlich-narrative Interviews (Schütze 1977) ehemaliger ABF-Lehrkräfte, die ich nach der Methode der qualitativen Inhaltanalyse (Mayring 2003) auswerte. Die Wahl eines Untersuchungsbeispieles der frühen DDR ist insbesondere deshalb interessant, da in diesem gesellschaftlichen Kontext keine konzeptionellen sozialpädagogischen Ansätze vorhanden waren. Das Kategoriensystem mit den drei Dimensionen (I) „Lernen zu lernen“, (II) „Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes“ und (III) „Ästhetische Erziehung“ konkretisiert das zugrunde liegende sozialpädagogische Verständnis und bildet den Kern des Analyseinstrumentes. Kapitel zwei stellt neben der Interviewauswertung selbst auch die Schritte der qualitativen Inhaltsanalyse detailliert dar.

Den Abschluss der Arbeit bildet Kapitel drei mit einem Ausblick für die Sozialpädagogik im Rahmen des Bildungsaufstieges.

1 Theorierahmen und Begriffsklärung

Die Diskussion der Arbeiten Bourdieus ist für die Soziale Arbeit von besonderem Interesse. Das Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit ist oft durch Defizite und Ungleichheiten des Sozialen gekennzeichnet; soziale Defizite, soziale Ungleichheiten, d.h. Differenzen in den Dingen, die den gesellschaftlichen Zusammenhang betreffen. Das Modell Bourdieus der Kapitalakkumulation versucht eine theoretische Erklärung dieser Differenzen. Des Weiteren erscheint mir die Beachtung des Werkes Boudieus für die Soziale Arbeit als anregend, lässt er sich doch nur schwer in einer Wissenschaftsdisziplin festschreiben. Seine Ansätze sind nicht auf eine rein soziologische Betrachtungsweise zu reduzieren, sondern sind vielmehr durch sein soziales Umfeld – kulturell, politisch wie auch akademisch – beeinflusst und geprägt (vgl. Kalthoff 2004: 115f.). Da die Soziale Arbeit selbst meist in einem interdisziplinären Raum arbeitet, erachte ich diese Auseinandersetzung als bereichernd.

Für den in dieser Arbeit behandelten Kontext des Bildungsaufstieges sind Bourdieus Gedanken insbesondere durch seinen Schwerpunkt in der Bildungssoziologie von Interesse. In der Konsequenz seines gesellschaftstheoretischen Erklärungsmodells ist aufzeigbar, weshalb Bildungs- und Qualifikationswege bei einigen mehr begünstigt sind, als bei anderen. Die Möglichkeiten, Ausbildungswege erfolgreich zu absolvieren, sind von Person zu Person verschieden. Wie diese Ungleichheiten durch Bourdieu erklärt werden, stellt der folgende Teil dar. Es wird Erstens nach tragenden Faktoren für einen erfolgreichen Bildungsweg gefragt. Diese evtl. notwendigen Faktoren werden daraufhin Zweitens im Kontext des Bildungsaufstieges beleuchtet. Schließlich wird Drittens nach der Bedeutung dieser Ergebnisse für die Sozialpädagogik gefragt.

1.1 Das Konzept der Kapitalakkumulation (Bourdieu)

Bourdieu stellt das „Konzept der Kapitalakkumulation“ (1983: 183) als gesellschaftstheoretisches Erklärungsmodell auf. Dieser Ansatz trägt der Geschichtsbezogenheit gesellschaftlicher Verhältnisse Rechung. Er berücksichtigt, dass gesellschaftliche Prozesse in Trägheit, Akkumulation und Vererbung ablaufen. Ihre Trägheit, Akkumulation und Vererbung zeigen sich in ihrer Abhängigkeit zu Vergangenem, Tradiertem. Gesellschaftliche Prozesse laufen nicht in völliger Willkür ab, aber auch weder in totaler Konkurrenz noch in absoluter Chancengleichheit. Bourdieu definiert Kapital als „akkumulierte Arbeit“ (1983: 183), das materieller oder „inkorporierter“ Art sein kann. Es ist eine Kraft, die die Verhältnismäßigkeit reguliert, so dass „nicht alles gleich möglich oder gleich unmöglich ist“ (Bourdieu 1983: 183). Mit Kapital gehen die Eigenschaft des Substantiellen einher. Das heißt Kapital ist existent und träge, wodurch es der Regulation gesellschaftliche Abläufe dient.

Der Kapitalbegriff wird bei Bourdieu allerdings nicht auf ein wirtschaftstheoretisches Verständnis reduziert, sondern bezieht mit den drei Dimensionen – ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital – verschiedene Erscheinungsformen ein.

1.1.1 Die drei Kapitalformen

Das ökonomische Kapital

Die Form des ökonomischen Kapitals steht für die wirtschaftliche Perspektive, es sind hiermit Besitztümer gemeint. Kapital dieser Form kann „unmittelbar und direkt in Geld“ (Bourdieu 1983: 185) umgesetzt werden. Für die vorliegende Arbeit ist mit dem Bezug auf die Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zu fragen, welchen Stellenwert hier ökonomisches Kapital hatte (vgl. Kap. 1.1.2). Da in einem sozialistischen Gesellschaftssystem Privateigentum nicht besteht, sondern in Gemeinbesitz übergeht, ist fraglich, inwiefern ökonomisches Kapital der Einzelperson vorhanden ist, bzw. in welcher Weise dies geltend gemacht werden kann.

Das soziale Kapital

Unter der Form des sozialen Kapitals[1] fasst Bourdieu alle „Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen“ [Hervorh. i. Orig.] (Bourdieu 1983: 190f) zusammen. Durch die Integration in eine Gruppe, die Teilhabe an einem sozialen Netzwerk, stehen die jeweiligen Personen in Beziehungen zueinander. Diese Beziehungen können Ressourcen freisetzen, welche sowohl materieller, als auch symbolischer Art sein können. Die Beziehungen, aus denen sich ein soziales Netzwerk aufbaut, sind Austauschbeziehungen. Netzwerkteilhaber(innen) können so zum Einen auf das Kapital anderer Netzwerkteilhaber(innen) zurückgreifen und zum Anderen kommt das Prinzip der Emergenz eines Netzwerkes, die Beziehungen an und für sich selbst, zum Tragen und stellt Kapital dar. Wie Aristoteles erklärt: Das Ganze ist mehr als die Summe der Einzelteile, so bildet sich im Sinne Bourdieus soziales Kapital in einem sozialen Netzwerk, einem Beziehungsnetz. Für das Volumen des Sozialkapitals lässt sich folgern, dass dieses zum Einen von der Größe des zur Verfügung stehenden Netzwerkes, der Zahl der Beziehungen, sowie dem Volumen des dort vorhandenen Kapitals selbst abhängig ist. Auf je mehr Beziehungen zurückgegriffen werden kann und je mehr Kapital die Netzwerkbeteiligten einbringen, umso größer ist das Sozialkapital einer Person (vgl. Bourdieu 1983: 191f).

Das kulturelle Kapital

Folgende drei Formen des kulturellen Kapitals zeigt Bourdieu (1983: 185 ff.) auf.

a) Inkorporiertes Kulturkapital

Unter dem inkorporierten Kulturkapital werden die persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften einer Person verstanden. Diese sind „zu einem festen Bestandteil der ‚Person’, zum Habitus geworden […]; aus ‚Haben’ ist ‚Sein’ geworden.“ (Bourdieu 1983: 187). Verinnerlichte Fähigkeiten sind „ körpergebunden “ [Hervorh. i. Orig.] (Bourdieu 1983: 186) und müssen angeeignet werden. Nur durch Bildung[2] kann ihre Aneignung und Akkumulation stattfinden. Damit das „Sich-bilden“ in allen Bereichen der Lebensführung – insbesondere in Familie und Schule, den große Sozialisationsinstitutionen – stattfinden kann, muss entsprechend Zeit investiert werden. Im Gegensatz zu anderen Besitztümern, wie beispielsweise finanzielles Vermögen oder Grundeigentum, kann inkorporiertes Kapital aus diesem Grunde „nicht durch Schenkung, Vererbung, Kauf oder Tausch kurzfristig weitergegeben werden.“ [Hervorh. i. Orig.] (Bourdieu 1983: 187).[3]

b) Objektiviertes Kulturkapital

Objektiviertes Kulturkapital kann entweder in materieller – womit stets auch ökonomisches Kapital verbunden ist, da diese potentiell ineinander transformiert werden können – oder symbolischer Substanz vorhanden sein. Die Entfaltung seiner Eigenschaften ist jedoch immer auch abhängig von der Verfügbarkeit entsprechendem kulturellem Kapital der inkorporierten Form. Diese Kapitalform steht somit erstens in Beziehung zu ökonomischen Kapital, da materielle Objekte, wie beispielsweise Produktionsmaschinen oder auch Kunstsammlungen und Bücher, Gegenstand dieses Kapitals sind. Zweitens besteht eine Beziehung zu dem zuvor beschriebenen kulturellen Kapital inkorporierter Art, da es letztlich um den Gebrauch der Gegenstände geht. Indikator dieses Kapitals sind die Umgangsmöglichkeiten mit bestimmten Gegenständen. So reicht es nicht allein aus ein Buch zu besitzen, sondern es muss auch gelesen werden können; ein Produktionsmittel bringt dem Besitzer erst dann Profit ein, wenn es auch funktionsgerecht genutzt wird.

c) Institutionalisiertes Kulturkapital

In dieser dritten Form des Kulturkapitals sind „schulische und akademische Titel“ (Bourdieu 1983: 190) gefasst. Jene werden dem/der Besitzer(in) als „Zeugnis für kulturelle Kompetenzen“ (a.a.O.) ausgestellt. Bourdieu arbeitete jedoch heraus, dass die „Alchimie des gesellschaftlichen Lebens“ (a.a.O.) dieser Kapitalform eine Bedeutung geschaffen hat, die immer unabhängiger von dem tatsächlichen kulturellen Kapitalvolumen des jeweiligen Trägers ist. An einem Beispiel veranschaulicht: dem Chefarzt einer Klink werden zumeist bestimmte Kompetenzen zugeschrieben, ohne jedoch seine tatsächlichen Qualifikationen und Fähigkeiten, sowie ob er zum aktuellen Zeitpunkt über diese in vollem Maße verfügen kann, überprüft zu haben.

1.1.2 Kapitalakkumulation im Sozialismus

Das Modell Bourdieus wird nun hinsichtlich seiner Übertragbarkeit auf ein staatsozialistisches Gesellschaftssystem – wie dem der DDR – überprüft und etwaige notwendige Modifikationen werden skizziert. An erster Stelle ist danach zu fragen, welche Bedeutung dem ökonomischen Kapital im Staatsozialismus zukommt. Denn im sozialistischen Gesellschaftssystem sind die Produktionsmittel in staatlichem Besitz, Warenproduktion und –verteilung werden staatlich kontrolliert und Privateigentum existiert nicht (Duden 1974: 680). Bourdieu selbst stellt sich dieser Problematik (Bourdieu 1991) und führt aus, dass ökonomisches Kapital in einem staatssozialistischen Gesellschaftssystem tatsächlich keine Bedeutung hat, erklärt jedoch weiter, dass andere Kapitalformen dessen Bedeutung übernehmen. Ist das Prinzip der Akkumulation und damit das Volumen der einzelnen Kapitalarten staatlich kontrolliert, d.h. durch Regierungsinstanzen vorportioniert und bemessen, so werde „das politische Kapital zum wesentlichen Differenzierungsprinzip“ (Bourdieu 1991: 37). Da die Anhäufung und selbstbestimmte Investition ökonomischen Kapitals nicht, oder nur in sehr begrenztem Maße, möglich ist, muss in dem staatlich regulierten Gesellschaftssystem anstelle des ökonomischen Kapitals auf politisches Kapital zurückgegriffen und eingesetzt werden.

Bourdieu zeigt bezüglich des politischen Kapitals, welches er als einen Untertypus des sozialen Kapitals einführt (1991: 36), auf, dass es Funktionen des ökonomischen Kapitals, exquisite Zugänge und Bevorzugungen zu ermöglichen, übernimmt. Alheit u.a. (1998) und Miethe (2005) haben das Modell Bourdieus für die sozialistische Gesellschaft weiter ausgebaut. Bourdieu weißt außerdem darauf hin, dass die Bedeutung des kulturellen Kapitals in der sozialistischen Gesellschaft zunehme (Bourdieu 1991: 36).

Für die Untersuchung der ABF kann das ökonomische Kapital weiterhin unberücksichtigt bleiben, da das ABF-Studium zumeist durch Stipendien abgesichert war und auch der weitere universitäre Ausbildungsweg nicht an ökonomische Ressourcen gebunden war (Miethe 2005: 276). Diese Arbeit ist auf die Untersuchung des kulturellen Kapitals begrenzt.

1.2 Bildungsaufstieg

Nach der allgemeinen Einführung des Modells Bourdieus und dessen Modifizierung für eine sozialistische Gesellschaft soll dieses nun für die Thematik des Bildungsaufstieges konkretisiert werden. Zunächst wird der Begriff Bildungsaufstieg eingeführt und im Theorieansatz Bourdieus beschrieben, bevor dessen Bildungsverständnis diskutiert und auf die Frage, inwiefern bestimmte Kapitalformen Bildungsprozesse positiv befördern können, eingegangen wird.

1.2.1 Zum Begriff Bildungsaufstieg

Der Begriff Bildungsaufstieg bezieht sich auf Herkunftsmilieu und dessen tradierten Lebensperspektiven. Die bildungsorientierte Überschreitung dieser vorskizzierten Grenzen wird als Bildungsaufstieg verstanden. So sollen hier unter Bildungsaufsteiger(inne)n Personen verstanden werden, in deren familialen Hintergrund und Sozialisation das Bildungsniveau niedriger angelegt ist, als jenes, welches sie schließlich erlangen. Es werden Studierende betrachtet, deren Eltern aufgrund des Herkunftsmilieus für sie weder Abitur noch ein Hochschulstudium anvisieren. Es handelt sich um Studierende aus einem Hintergrund, dessen Bildungsziele nicht im akademischen Bereich angesiedelt sind, sondern deren berufliche Perspektiven im Bereich der Bauern, Arbeiter und Handwerker liegt. Das Herkunftsmilieu kann als bildungsfern bezeichnet werden.

Für das Modell Bourdieus übertragen heißt dies: Studierende, die einen Bildungsaufstieg vollziehen, konnten erstens während ihres Aufwachsens nur ein geringes kulturelles Kapital heranbilden und kommen zweitens meistens aus Familien, die über ein geringes ökonomischen Kapital verfügen. Verkürzt gesagt kann der Inhalt des Bildungsaufstieges verstanden werden als: Personen bildungsferner Herkunft vollziehen eine bildungsorientierte Karriere.

1.2.2 Zu Bildung und Kapital

Das Bildungsverständnis Bourdieus integriert Sozialisation und Erziehung. Damit findet für Bourdieu schulische Bildung und die damit verbundene Heranbildung kulturellen Kapitals nie voraussetzungslos statt, sondern greift immer auf das in der Familie übertragene „vererbte“ kulturelle Kapital zurück. Bourdieu benennt dies als „ Transmission kulturellen Kapitals in der Familie “ [Hervorh. i. Orig.] (2001: 113). „Der schulische Ertrag schulischen Handelns [ist] vom kulturellen Kapital abhängig, das die Familie zuvor investiert hat, und […] der ökonomische und soziale Ertrag des schulischen Titels von dem ebenfalls ererbten sozialen Kapital […], das zu seiner Unterstützung zum Einsatz gebracht werden kann.“ (Bourdieu 1983: 186). Damit kritisiert er die Betrachtungsweise der Humankapital-Theorie, die die Heranbildung schulischen Kapitals für alle als gleichermaßen möglich erachtet (Krais 1983: 213).

Die Bedeutung des Kapitalvermögens für den Bildungsprozess wird an dieser Stelle detaillierter dargestellt. Der Begriff des kulturellen Kapitals“ drängt sich in Bourdieus Ansatz „als theoretische Hypothese auf […], die es gestattet, die Ungleichheit der schulischen Leistungen von Kindern aus verschiedenen sozialen Klassen zu begreifen.“ (Bourdieu 2001: 112). Schulische Bildung produziert kulturelles Kapital, dies findet jedoch nicht in einem voraussetzungslosen Raum statt, sondern die sich bildenden Personen bringen immer bereits Disposition kulturellen Kapitals mit, welche in der Regel aus Erziehung und Sozialisation innerhalb der Familie und deren Milieu stammt. Das Volumen wie auch die spezifische Ausprägung sind jedoch von Person zu Person verschieden, so dass diese Vorprägung sich sowohl förderlich auf den Bildungsprozess auswirken kann – wenn inkorporierte Verhaltensweise den gesellschaftlich anerkannten Verhaltensweisen, den „guten Manieren“ entsprechen, wie beispielsweise in unserem Kulturraum Zuverlässigkeit und Selbstdisziplin – wie aber auch nachteilig, wenn inkorporiertes Verhalten erst revidiert werden muss. Der/Die Lernende gleicht nie einem „weißen Blatt“. Bildungsprozesse können daher nie ohne Berücksichtung dieser mitgebrachten Dispositionen stattfinden.

Auch Zinnecker und Georg (1996) kommen in ihrer sozialisationstheoretischen Arbeit zu Schulleistung und –erfolg zu einem Konzept, das im Sinne des Kapitalmodells interpretiert werden kann. Den Zusammenhang zwischen „Ressourcen“ (Zinnecker/ Georg) bzw. „Kapitalvolumen“ (Bourdieu), über welche(s) die Familie verfügt, und dem Schulerfolg des Kindes skizziert Abbildung 1. Sie visualisiert den Prozess der Kapitaltransformation. Die Ressourcen der Eltern übertragen sich auf das Schulverhalten des Kindes und wirken sich (positiv) auf dessen Schulerfolg aus.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Kapitaltransformation innerhalb der Familie[4]

Die verschiedenen Kapitale sind in den Einzelteilen der Ressourcen wiederzufinden, ihre Summe bilden die familialen Ressourcen. Aus ihnen leitet sich das Verhalten der Eltern ab. Sie bestimmen die kulturelle Praxis, das Empathievermögen, sowie die Schulaufmerksamkeit der Eltern. Das Verhalten der Eltern wiederum hat einen direkten Einfluss auf das (Schul-)Verhalten des Kindes und damit auf dessen Schulerfolg. Die Ressourcen der Familie haben so einen zweifachen Einfluss auf die schulischen Möglichkeiten des Kindes. Zum Einen hat das Kind einen direkten Zugriff auf diese Ressourcen – kann sie sich zu Eigen machen – zum anderen prägt das durch die Ressourcen bestimmte Verhalten der Eltern das Verhalten des Kindes. In diesem Modell wird außerdem neben den Ressourcen – dem Kapitalvolumen – selbst auch die Qualität der Beziehungen – Eltern-Kind – beachtet. Es reicht danach nicht alleine aus, dass die Familie über entsprechende Ressourcen verfügt, sondern diese müssen auch weitergegeben, transformiert werden können. Dies ist über das Medium der Beziehungen möglich. Die Eltern-Kind-Beziehung ist der Kanal zur Kapitaltransformation und daher ebenfalls von besonderer Bedeutung für die Entwicklung des Kindes und im Speziellen für den Schulerfolg des Kindes. Dass familiales Kapital den Schulverlauf des Kindes förderlich beeinflusst, hängt somit auch von den familialen Beziehungen ab.[5]

Zurück zu Bourdieu: Er bringt an den Bildungssystemen der Klassengesellschaften[6] die Kritik vor, diese würden durch das Postulat „formale[r] Gleichheit aller Studenten“ (Bourdieu 2001: 144) verschiedene Herkunft und soziale Ungleichheiten unberücksichtigt lassen und anstelle eines entsprechend differenzierten Blickes eine „Begabungsideologie“ (Bourdieu 2001: 148) setzen. Mit seinem „Plädoyer für eine rationale Hochschulpolitik“ (Bourdieu 2001: 144-152) spricht er sich dafür aus, sich diesem durch den Einbezug der „tatsächlichen Ungleichheit in der Lehre selbst “ [Hervorh. i. Orig.] (Bourdieu 2001: 147) entgegenzusetzen. Dies bedeutet, die zumeist der familialen Sozialisation und Primärerziehung überlassenen „intellektuellen Techniken und Denkgewohnheiten“ dort zu lehren, „wo die Unterprivilegierten sie erwerben können: in der Schule“ (Bourdieu 2001: 150). Anstelle unteilbarer Begabung würde so ein schrittweises Lernen stehen. Weder Zufall noch Vorherbestimmung bedingen Schulerfolge, sondern entscheidend ist das in Bildung investierbare Kapital. Ein früh akkumuliertes kulturelles Kapital begünstigt schulischen Erfolg ungemein. Ist dies jedoch nicht oder nur in geringem Umfang verfügbar, so darf dies für Bourdieu nicht zum Scheitern im Bildungssystem führen, sondern dem Bildungssystem selbst obliege es das notwendige Kapital heranbilden zu können. So muss „eine rationale Pädagogik [sich] an einer genauen Kenntnis der sozial bedingten kulturellen Ungleichheit orientieren und entschlossen sein […], sie zu verringern“ (Bourdieu 2001: 151).

Für eine erfolgreiche Karriere kommt es zuzüglich des erfolgreichen Bildungsprozesses auf die Einsetzbarkeit des dadurch entwickelten kulturellen Kapitals an, welche für Bourdieu wiederum von dem zur Verfügung stehenden sozialen Kapital abhängig ist. Existentielle Substanz für gesellschaftlichen Erfolg ist so zwar das kulturelle Kapital, dieses kann jedoch nur durch den Rückgriff auf soziales Kapital auch erfolgreich eingesetzt werden. Eine gute schulische Qualifikation bringt eine Person nur auf einen adäquaten Arbeitsplatz, wenn sie auch einen Zugang zu diesem erhält, d.h. dieser für sie verfügbar ist.

1.3 Sozialpädagogik und Erwerb inkorporierten kulturellen Kapitals

Schule ist mehr als Wissenserwerb. Die Notwendigkeit des Erwerbs kulturellen Kapitals im Rahmen eines erfolgreichen Bildungsverlaufes zeigte die Auseinandersetzung mit dem Theoriekonzept Bourdieus. Dass Bildung immer auch Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung aufweist – dem „Sich-Bilden“, hat mit Wilhelm von Humboldt[7] in das Bildungsverständnis Einzug gehalten. Bildung – und damit das Lernen an der Schule – ist mehr als kognitiver Wissenserwerb oder berufsbezogene Qualifikation, sie ist eine Ressource der Lebensbewältigung (Böhnisch 1999: 56). Durch die Entwicklung von Lebenskompetenzen wird Bildung „zur entscheidenden Vorraussetzung für ein gelingendes Leben“ (Münchmeier 2002: 17). Lebenskompetenzen können sehr allgemein definiert werden als „die Ausbildung aller vielfältigen in ihm [dem Menschen, Anm. S.S.] angelegten Möglichkeiten, der Kompetenzen von Kopf, Herz und Hand, der Kompetenzen des Fühlens, Denkens, Handelns und Sich-Verantwortens“ (Thiersch 2002: 61). Alle Kompetenzen der Lebensführung werden hierunter gefasst: Kompetenzen für ein soziales Zusammenleben, Interaktionskompetenzen, Handlungskompetenzen, Kommunikationskompetenzen. Wie auch Thiersch (2002) postuliert, wird Bildung in diesem Verständnis in Teilen zu einem Auftrag für die Soziale Arbeit. Während in Bildungsinstitutionen die Inhalte des zu lehrenden und lernenden kognitiven Wissens in Curricula manifestiert sind, gestaltet sich dies für den Teil der Lebenskompetenzen vage. Welchen Beitrag kann die Sozialpädagogik in diesem Feld leisten? Ich zentriere in dieser Arbeit die Fragestellung weiter, indem ich sie auf den Fall des Bildungsaufstieges beziehe. Inwiefern sind sozialpädagogische Elemente in diesem Kontext förderliche, den Bildungsaufstieg begünstigende Faktoren? Daher wird nun auf die beiden relevanten Indikatoren der Untersuchung kulturelles Kapital und sozialpädagogisches Handeln näher eingegangen.

Es werden erstens nach der Übersicht in Kapitel 1.3 mögliche Formen des inkorporierten kulturellen Kapitals beschrieben und zweitens auf das Verständnis sozialpädagogischen Handelns eingegangen. Das in Kapitel 2.3 aufgestellte Kategoriensystem kann als Instrumentalisierung dieses Überblicks für die spätere Interviewanalyse verstanden werden.

[...]


[1] In der soziologischen, wie auch ökonomischen Diskussion wird immer wieder auch der Begriff „Sozialkapital“ gebraucht. Die Begriffsdefinitionen differenzieren in den einzelnen Arbeiten leicht, lassen sich jedoch mit folgender Definition zusammenfassen. „Die Premise hinter dem Begriff des Sozialkapitals ist ziemlich einfach und direkt: Investition in soziale Beziehungen mit erwarteter Rückkehr im Markt.“ (Lin 2001: 19, Hervorh. i. Orig., Übersetzung S.S.). Bourdieu integriert sich in diese Diskussion und verwendet den Begriff auch selbst.

[2] Zum Bildungsverständnis Bourdieus vgl. Kap. 1.2.2.

[3] Vgl. zur Vertiefung Kap. 1.3.1.

[4] Die Grafik ist an Zinnecker/ Georg (1996: 310) angelehnt.

[5] Vgl. für den empirischen Beleg der Weitergabe kulturellen Kapitals in der Familie die Studie zur Besetzung von Spitzenposition in der Wirtschaft (Hartmann 2001).

[6] Vgl. zum Gesellschaftsverständnis Bourdieus Krais 1983: 215ff.

[7] Vgl. zum Bildungsverständnis Humboldts Benner 1990: 47ff.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783836639231
DOI
10.3239/9783836639231
Dateigröße
413 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Evangelische Hochschule Darmstadt, ehem. Evangelische Fachhochschule Darmstadt – Soziale Arbeit, Sozialpädagogik
Erscheinungsdatum
2009 (Dezember)
Note
1,3
Schlagworte
sozialismus bildungsgerechtigkeit bourdieu kapitalakkumulation lerntechnik
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