Lade Inhalt...

Die Braut, die sich traut

Repräsentation und Praxis dynamischer Prozesse kultureller Hybridisierung im glokalen Kontext

©2008 Diplomarbeit 149 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In Zeiten, in welchen über neue Medien dynamische Verflechtungen von Traditionen, Orten und Menschen hergestellt werden und sich ein folgenträchtiger Wandel hinsichtlich (inter-)medialer bzw. (inter-)kultureller Kommunikation beobachten lässt, drängt es sich auf, die Welt, in der wir leben, hinsichtlich medial bedingter Veränderungen zu interpretieren.
Die folgende Arbeit nähert sich zu diesem Zweck einem Filmbeispiel aus der ‘Traumfabrik’ Hollywood an: Konkret stehen Praxis sowie Repräsentation kultureller Verflechtungen im und rund um den populären Actionfilm Kill Bill Vol. 1 und Vol. 2 (USA 2003/USA 2004) im Mittelpunkt meiner Analyse.
Ziel der Arbeit ist es der komplexen Dynamik kultureller Praktiken anhand des Films exemplarisch auf den Grund zu gehen. Denn die neuen Bedingungen der Verbreitung von Kommunikation sind vielfältig, ebenso wie auch die Veränderungen, die sich durch sie ergeben. Grundlage zeitgemäßer kulturwissenschaftlicher Forschung unter Bedingungen der Globalisierung ist es deshalb, mit veränderten Kategorien wie Kultur und Raum umgehen zu lernen.
Im Gegensatz zu anderen wissenschaftlichen Annäherungen geht die Anthropologie nicht primär von einer kulturellen Homogenisierung bei der Betrachtung von Globalisierungsprozessen aus. Politische und kulturelle Machtgefüge bewirken zwar immer auch ein gewisses Maß an Homogenisierung, dennoch stehe heute die Untersuchung von ‘(…) neuen Organisations- und Interaktionsformen von Vielfalt und Differenz, die von makrostrukturellen Machtverhältnissen beeinflusst werden, aber auch selbst auf diese einwirken’ im Zentrum des Interesses.
Menschen tragen Kultur mit sich, verbreiten und vermitteln, modifizieren und transformieren sie. Die Herausforderung liegt darin, globale und lokale Elemente einer glokalisierten Welt in ihrer Einheit zu verstehen, da diese Kategorien widersprüchlich zueinander stehen. Räume, in denen Globalisierung unter anderem durch neue Medien sowie durch eine globalisierte Warenwelt zum Tragen kommt, seien nicht an einen bestimmten Platz gebunden. Arjun Appadurai spricht in diesem Zusammenhang von einer deterritorialization bzw. ‘Entterritorialisierung’ von Kultur.
Anhand des Films Kill Bill können Bewegungen und Verflechtungen von Kultur auf verschiedenen Ebenen exemplarisch veranschaulicht werden. Von sozial- und kulturanthropologischem Erkenntnisinteresse ist bei einer ersten Sichtung vor allem Kill Bills interkulturelle Beschaffenheit, […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Martin Bernd Nagele
Die Braut, die sich traut
Repräsentation und Praxis dynamischer Prozesse kultureller Hybridisierung im glokalen
Kontext
ISBN: 978-3-8366-3911-8
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Universität Wien, Wien, Österreich, Diplomarbeit, 2008
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und der Verlag, die Autoren oder
Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl.
verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

4
0. Einleitung
7
1. Kulturelle Verflechtungen im Film
1.1. Tarantinouniverse Vol. I ­ Grindhouse Culture goes Hollywood
13
1.1.1. Biografische Eckdaten ­ Vom Konsumenten zum Produzenten
14
1.1.2. Hybridisierungsflüsse aus der ,,Entenpresse" ­ Funktionsweisen und
Kernhandlung des Rachefilms Kill Bill
21
1.2. Ein transkultureller Film und seine kulturellen Baukästen
27
1.2.1. Intertextuelle bzw. interkulturelle Liaisons lokaler Formen ­ Globale mythscapes in
Kill Bill
28
1.2.2. Überlagerungen auf den total hybriden Körper ­ Ideologie, Geschlecht, Kampf
37
1.2.2.1. Ideologische Identitätskonstruktionen und Genrekonventionen
40
1.2.2.2. Hybride Geschlechterwelten
53
1.2.2.2.1. Repräsentation von Frau im Film
54
1.2.2.2.2. Inkorporierung asiatischer Rachegeschichten
60
1.2.2.2.3. Konstruierte Frauenrollen und deren Zerstörung
67
1.2.2.3. Der mythische Weg und blutige Kampf einer poststrukturalen Heldin
71

5
2. Kulturelle Verflechtungen rund um den Film
2.1 . Tarantinouniverse Vol. II ­ Beyond the Movie Theatre
79
2.1.1. Imaginative Welten und Starsysteme ­ Authentizität im Spannungsfeld von
Multimedialität
80
2.1.2. Kill Bill zwischen World Cinema, New Hollywood, Mainstream und Independent
87
2.2. Kill Bill in Bewegung ­ Der Film als globale Ware
96
2.2.1. Zur Produktion und Verbreitung des Films
96
2.2.1.1.Macht- und Marktumstrukturierung in Zeiten postmoderner
Technologisierung
97
2.2.1.2. Verflechtungen Internationaler Filmzentren und Repräsentationen lokaler
Verbreitung
106
2.2.2. Soziokulturelle Konsumations- und digitale Reproduktionsprozesse
118
2.2.2.1. Praxis medialer Vervielfältigung ­ Transformationsprozesse im
Cyberspace
118
2.2.2.2. Kritische mediale Sinngebungsprozesse
129
3. Schluss
133

6
4. Literatur-/Quellenverzeichnis
141
4.1. Bibliographie
141
4.2. Enzyklopädien
146
4.3. Fachzeitschriften
146
4.4. Zeitungsartikel
146
4.5. Internetquellen
146
5. Filmographie
148
6. Anhang
149
6.1. Abbildungsverzeichnis
149

7
Einleitung
In Zeiten, in welchen über neue Medien dynamische Verflechtungen von Traditionen,
Orten und Menschen hergestellt werden und sich ein folgenträchtiger Wandel
hinsichtlich (inter-)medialer bzw. (inter-)kultureller Kommunikation beobachten lässt,
drängt es sich auf, die Welt, in der wir leben, hinsichtlich medial bedingter
Veränderungen zu interpretieren.
Die folgende Arbeit nähert sich zu diesem Zweck einem Filmbeispiel aus der
,,Traumfabrik" Hollywood an: Konkret stehen Praxis sowie Repräsentation kultureller
Verflechtungen im und rund um den populären Actionfilm Kill Bill Vol. 1 und Vol. 2 (USA
2003/USA 2004) im Mittelpunkt meiner Analyse.
Ziel der Arbeit ist es der komplexen Dynamik kultureller Praktiken anhand des Films
exemplarisch auf den Grund zu gehen. Denn die neuen Bedingungen der Verbreitung
von Kommunikation sind vielfältig, ebenso wie auch die Veränderungen, die sich durch
sie ergeben. Grundlage zeitgemäßer kulturwissenschaftlicher Forschung unter
Bedingungen der Globalisierung ist es deshalb, mit veränderten Kategorien wie Kultur
und Raum umgehen zu lernen (vgl. Mader 2008: 216).
Im Gegensatz zu anderen wissenschaftlichen Annäherungen geht die Anthropologie
nicht primär von einer kulturellen Homogenisierung bei der Betrachtung von
Globalisierungsprozessen aus. Politische und kulturelle Machtgefüge bewirken zwar
immer auch ein gewisses Maß an Homogenisierung, dennoch stehe heute die
Untersuchung von ,,(...) neuen Organisations- und Interaktionsformen von Vielfalt und
Differenz, die von makrostrukturellen Machtverhältnissen beeinflusst werden, aber auch
selbst auf diese einwirken" (Mader 2008: 216) im Zentrum des Interesses.
Menschen tragen Kultur mit sich, verbreiten und vermitteln, modifizieren und
transformieren sie. Die Herausforderung liegt darin, globale und lokale Elemente einer
glokalisierten Welt in ihrer Einheit zu verstehen, da diese Kategorien widersprüchlich
zueinander stehen (vgl. Hauser-Schäublin und Braukämpfer 2002: 10). Räume, in denen
Globalisierung unter anderem durch neue Medien sowie durch eine globalisierte
Warenwelt zum Tragen kommt, seien nicht an einen bestimmten Platz gebunden. Arjun
Appadurai (1996) spricht in diesem Zusammenhang von einer deterritorialization bzw.
,,Entterritorialisierung" von Kultur (vgl. Appadurai: 27-65).

8
Anhand des Films Kill Bill können Bewegungen und Verflechtungen von Kultur auf
verschiedenen Ebenen exemplarisch veranschaulicht werden. Von sozial- und
kulturanthropologischem Erkenntnisinteresse ist bei einer ersten Sichtung vor allem Kill
Bills interkulturelle Beschaffenheit, welche dem internationalen ,,Subgenre-Mainstream"
bzw. vielfältigen mythischen Traditionen entspringt.
Der in Hollywood und Hongkong produzierte Film kann auf Seiten östlicher
Filmtraditionen mit Kung Fu Kampfkunst ebenso wie mit japanischem Schwertfilm und
Anime aufwarten; auf Seiten der westlichen Einflüsse sind Italo-Western, Blaxploitation-
Kino und das europäische Autorenkino sowie der italienische giallo-Psychothriller
prägend für die Beschaffenheit des Films. Diese Melange macht aus Kill Bill neben vielen
weiteren kulturellen Verschmelzungen ein totales hybrides Produkt.
Der Film ­ so belegen es z. B. unterschiedliche interdisziplinäre Annäherungen des
Buchs Unfinished Business ­ Kill Bill und die offenen Rechnungen der Kulturwissenschaften (vgl.
Geisenhanslüke und Steltz 2006: 7-12) ­ vereint besonders hinsichtlich seiner
intertextuellen Beschaffenheit Popkultur und Hochkultur mit einer einzigartigen
Leichtigkeit und bestätigt damit auch neuere Theorien der Cultural Studies, die von einer
Aufhebung der Trennung beider ausgehen. Für das moderne Hollywood ist es offenbar
attraktiv geworden, auf als ,,B-Movies" abgewertete Genrerivalen zurückzugreifen. Eine
Aufwertung der so genannten grindhouse-Filme, und vor allem der Kung-Fu-Filmkultur, ist
die Folge von Tarantinos Würdigung, die sich im Spannungsfeld von lokalen,
translokalen und globalen Prozessen bewegt.
Durch eine Kombination aus kommunikatanalytischer (bzw. filmwissenschaftlicher)
Methodik und globalisierungstheoretischen (sozial- und kulturanthropologischen)
Ansätzen sowie Bewertungsstrategien hinsichtlich dynamischer Kultur- bzw. Mythen-
Räume soll der Transkulturalität, die den Erfolg des Films auf unterschiedlichen Ebenen
mitbestimmt, anschaulich Rechnung getragen werden. Die wichtigsten Ebenen des Films
Kill Bill erfahren, geleitet von denselben Kategorien, die bei ,,Kommunikatanalysen" in
der Filmwissenschaft untersucht werden, Aufschlüsselung. Damit einhergehend können
hybride Schnittpunkte für sozial- und kulturanthropologische, aber auch kultur-, film-
und literaturwissenschaftliche Stellungnahmen, vorwiegend hinsichtlich unterschiedlicher
Überlagerungsprozesse von Mythos und Film herausgebildet werden.
Bezüglich des spezialisierten Zweigs der ,,Kommunikat-Analyse", erklärt Thomas
Kuchenbuch (2005), dass diese einen oder mehrere Filme, Bücher, Plakate, etc. ins

9
Zentrum stelle, wobei auch der Information zu den Kommunikatoren, den möglichen
RezipientInnen und dem Präsentationsrahmen eine wichtige Rolle zukomme.
Ausgangspunkt bleibe der Film, so der Kommunikationswissenschaftler, aus dem
möglichst viel über die reale und mögliche Kommunikation, die er auslöst oder auslösen
könnte, herausgelesen werden solle. ,,Ausgangspunkt der Analyse bleibt aber die Eigenart
des Kommunikats, die Auswahl und Anordnung seiner Elemente, also die Stilmittel (...),
die sich darin manifestierende persönliche Handschrift des Kommunikators (...), das
Genre, auf das das Kommunikat zielt, und sein mutmaßliches (angestrebtes oder
tatsächliches) Publikum." (Kuchenbuch 2005: 27)
Mein Augenmerk bei der Analyse des Films wird auf transkulturellen Interaktionsformen
sowohl auf Mikro- (Filmdetails) als auch auf Makroebene (Produktion/Konsumation)
liegen. Die Arbeit gliedert sich dementsprechend in zwei große Teile. Meinem
Erkenntnisinteresse
entsprechend,
und
Kuchenbuchs
,,Kommunikatanalyse"
entspringenden Fragen folgend, stellt sich die Gliederung der Arbeit wie folgt dar:
Zu Beginn des ersten Teils der Arbeit wird nach dem Autor des Films und den seinen
Werdegang prägenden Erfahrungen gefragt, um einerseits Zusammenhänge zwischen der
Identität des Autors und der Identität seines vierten Films zu offenbaren, andererseits um
die Frage nach der ,,Kommunikationsabsicht des Autors" auszumachen. So wird das nötige
Vorverständnis erzeugt, das für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Auftreten
kultureller Verflechtungen im Film Kill Bill notwendig ist (vgl. Kapitel 1.1.).
Das zweite große Kapitel des ersten Teils widmet sich dann der Frage nach den
,,Stilmitteln" sowie der ,,Frage nach dem Genre", wobei das Ziel verfolgt wird, die
genrespezifische Intertextualität als Interkulturalität auszuweisen, einhergehend mit der
Frage nach der ,,Stellung des Kommunikats zu fachspezifischen Traditionen" (vgl. Kapitel 1.2.).
Anhand einer historischen Annäherung an eines der ,,Hauptgenres", Kung Fu, das in
Zusammenhang mit Theorien zu Mythos und kultureller Globalisierung als offene,
bewegte Kulturlandschaft erscheint und dabei dezentralisierend wirkt, aber in der
räumlichen Präsentation auch reterritorialisierend Darstellung erfährt, versuche ich
aufzudecken, welche soziokulturellen Traditionen, Codes und Regeln hier bei der
medialen Erschaffung neuer mythscapes Anwendung erfahren (vgl. Kapitel 1.2.1.).
Die Genres dienen den ZuseherInnen dazu, sich Orientierung zu verschaffen und dem
geschulten Rezipienten öffnen sich darüber hinaus neue Welten. Die verbindende Kraft
oder besser gesagt den roten Faden zwischen den Genres, die bereits von sich aus

10
dynamisch und offen sind, stellt eine spezielle Form von Splatter-Ästhetik dar, die jedem
Kampf des Films ihren eigenen Stempel verleiht. Dabei kommt es zu einer besonderen
Ästhetik der Gewaltdarstellung, die ebenso wie die generelle Überlagerung von
Genrespezifika auf den Körper zu Erklärungsbedarf führt (vgl. 1.2.2.). Mein Blickfeld
wendet sich deshalb nach einer theoretischen Einbettung zu untersuchender Kultur-
Räume, der Praxis mythisch inspirierter Handlungen anhand der vielfältigen
Projektionsfläche des filmisch in Szene gesetzten Körpers zu.
Anhand der Analyse ritueller und ideologischer Inkorporierungen in den Körper der
mythischen Heldin können multiple Filmidentitäten aufgeschlüsselt werden. Um
außerdem zu zeigen, auf welche Art die globale Rachegeschichte gängige
Geschlechternarrationen hinterfragt und über die Einschreibung fernöstlicher
Vorgängermythen - abseits stereotyper Hollywood-Inkorporierungen - eventuell sogar
ein neues Frauenbild entwirft und gängige Rollenbilder zerstört, habe ich an zentraler
Stelle der Arbeit einen Gender-Schwerpunkt gesetzt.
Der mythische bzw. spirituelle Weg der globalen Kriegerin, die ihrem Ehrenkodex
folgend gewaltvoll um Gerechtigkeit kämpft, wird ebenfalls Teil meiner Ausführungen
sein. Dabei wird es möglich, die gezeigten Kämpfe und Konflikte sowie die Figuren in
mythologische Traditionen einzuordnen und nach der Macht zu fragen, mit der und um
die hier gekämpft wird.
Vladimir Propps syntagmatische Strukturanalyse (1928) werde ich verwenden, um die
Funktionen der HandlungsträgerInnen in Kill Bill schließlich als konstante Größen
auszuweisen und eine gemeinsame Struktur von Mythen und populären Filmen sichtbar
zu machen.
Mein übergeordnetes Ziel ist es, mithilfe des ersten Teils der Arbeit ein vermeintlich
neuartiges popkulturelles Produkt in seinen historisch gewachsenen Zusammenhängen
wahrzunehmen und die mythischen Handlungselemente und -räume, als losgelöst von
etwaigen Zentren, zu verstehen. Somit widmet sich der erste Teil meiner Arbeit der
übergeordneten Frage nach den kulturellen Baukästen des Films und versucht anhand der
angesprochenen Ebenen darzulegen, wie sich hier dynamische dezentralisierte Kultur-
Landschaften miteinander vernetzen und in Form spezieller Codes die Körperdarstellung
der HandlungsträgerInnen prägen.
Verflechtungen bzw. Prozesse der Hybridisierung sollten immer aus verschiedenen
Blickwinkeln betrachtet werden: Sie stellen einen Wandel durch Verschmelzung, bei dem

11
sich Elemente des Eigenen und des Fremden zu neuen symbolischen Formen und
Praktiken verbinden dar. Wolf spricht in diesem Zusammenhang von ,,kulturellen
Baukästen, aus denen sich bestimmte Akteure unter bestimmten historischen
Voraussetzungen bedienen." (Wolf 1986: 539) Zum anderen gehen kulturelle
Verflechtungen immer mit bestimmten Machtverhältnissen einher. Der Zwang der
Anpassung an eine dominante Kultur führt dabei zu einer Neudefinition von Identität,
Ethnizität und zu Prozessen der Abgrenzung (vgl. http://www.lateinamerika-
studien.at/content/kultur/ethnologie/ethnologie-1141.html).
Im zweiten Teil der Arbeit rückt die übergeordnete Frage nach den Wirkungsweisen der
globalen Ware Kill Bill ins Zentrum des Erkenntnisinteresses. Ich frage zuerst nach der
,,Kommuniktionssituation" (vgl. die Schritte der Kommunikatanalyse bei Kuchenbuch 2005)
bzw. danach, wer die Anspielungen versteht, wobei dabei insbesondere die speziellen
Starsysteme, die über neue Medien anschaulich gemacht werden können, von Interesse
sind. Die ,,Frage nach dem intendierten ,,Publikum" und dem wirklich erreichten
(Zielpublikum und Realpublikum);" (Kuchenbuch 2005: 28) geht in meiner
Untersuchung Hand in Hand mit der Frage nach der Akkumulation und Erweiterung von
Bedeutung, die speziell bei der Rezeption im Sinne von cult media ­ innerhalb virtueller
Gemeinschaften ­ von Fans weltweit Würdigung erfahren (vgl. Jenkins 2006a, b).
Der Regisseur des Autorenfilms wird außerdem als international gefeierter (Pop)-Star und
besondere Zone, an der sich kulturelle Verflechtungen beobachten lassen, vorgestellt.
Unter anderem soll darlegt werden, auf welche Weise die HauptdarstellerInnen mitunter
sich selbst bzw. ihre früheren Rollen in abgewandelter Form spielen, was u. a. durch
einen Vergleich verschiedener Rollen und der Frage nach Authentizität zu erreichen ist.
Der Starkult schafft imaginative Welten. Der Umgang der Fans mit den in Gang
gesetzten
Starsystemen,
in
Anlehnung
an
die
Mechanismen
besonderer
Erscheinungsformen von Fan Art (vgl. Jenkins 2006a, b) wird dabei Betrachtung finden.
Die Ware Film kennzeichnende marktökonomische Aura und technisch bedingte
Transformationsprozesse auf Seiten der Produktion und des Publikums sind ebenfalls ein
zentrales Thema (vgl. Nitsche 2002: 59) meiner Annäherung. Bei der Darstellung des
Films Kill Bill als Ware werden globale ­ mit ökonomischen Gegebenheiten in
Zusammenhang stehende ­ Prozesse der Verschmelzung untersucht, um der weltweiten
Verbreitung von Kill Bill gerecht werden zu können. Nochmals soll vorgeführt werden,
dass amerikanische Kulturgüter nicht zwangsläufig zu Uniformität führen. Hierfür setze

12
ich mich mit historisch gewachsenen Machtverhältnissen rund um global vernetzte
Medien und der Rolle globaler technologisierter Räume auseinander, deren Beeinflussung
sowie Veränderungen des Filmbetriebs am konkreten Beispiel Kill Bill gut zu
veranschaulichen sind.
Gefragt wird auch danach, wie der moderne Mythos Kill Bill es schafft, in seiner globalen
Verbreitung ökonomisch erfolgreich zu zirkulieren und welche Möglichkeiten genutzt
werden, um den globalen Blick auf sich zu ziehen. Ich beschäftige mich zu diesem Zweck
mit neuen Medien und den Rahmenbedingungen für spezifische Lebenswelten unter
Bedingungen der kulturellen Globalisierung (vgl. Mader 2008: 216) in Verbindung mit
ökonomischen Hintergründen.
Anhand des Films soll exemplarisch untersucht werden, wie die globale Verbreitung in
Zeiten des DVD- bzw. Internet-Zeitalters vor sich geht, welche Veränderungen und Ent-
Territorialisierungsbewegungen dabei ersichtlich werden, und wie das Ereignis Kill Bill
von seinen Zusehern und Fans, medial wiederverwertet, uminterpretiert und
weiterverbreitet wird. Letztlich steht eine kurze filmkritische Auseinandersetzung am
Programm, die u.a. eine Zusammenfassung besprochener Themenfelder darstellt, in dem
sie Auskunft über die kritische journalistische Rezeption gibt.
Bleibt zu sagen, dass sich die Ethnologie heute keineswegs zum ersten Mal mit
kulturellen Veflechtungen unter Bedingungen der Globalisierung beschäftigt. Dank
verschiedenartiger Definitionen und Konzeptionen des Kultur-Begriffs durch
bedeutende Kulturtheoretiker ist aber im Gegensatz zu früheren Ansätzen, davon
auszugehen, dass sich Kulturen immer schon wechselseitig verändert und beeinflusst
haben und niemals lediglich in sich geschlossene, an bestimmte Orte gebundene Systeme,
waren.
Der gewählte Film fordert es, weil er, als moderner Mythos der Popindustrie, ein global
zirkulierendes Kommunikationsereignis darstellt, heraus, seine strukturellen Merkmale,
Funktions- und Wirkungsweisen genau zu überprüfen. Während Zeit und Raum in
Zeiten fortgeschrittener Globalisierungskonfigurationen sowohl im realen Leben eine
Neustrukturierung sowie -bewertung erfahren, spielt das Filmbeispiel Kill Bill nicht nur
mit einem Wandel des gängigen Hollywoodkinos, sondern auch mit einem Wandel von
Kultur an sich.

13
1. Kulturelle Verflechtungen im Film
1.1. Tarantinouniverse Vol. I ­ Grindhouse Culture goes Hollywood
Die ersten beiden Kapitel dieser Arbeit dienen der soziokulturellen Einbettung des
Autors bzw. seines Werdegangs sowie einer Offenlegung verschiedener interdisziplinärer
Zugänge zu den Funktionsweisen des zweiteiligen Films Kill Bill. Das Schaffen des
Autors und Regisseurs von Kill Bill Vol. 1 und Vol. 2 lässt sich in die Kategorie
Autorenfilm einordnen. Tarantinos Weg zum Film wird in Form eines quellenkritischen
Überblicks Darstellung finden. Anschließend steht eine Bedeutungsverortung hinsichtlich
der in Zusammenhang mit Kill Bill viel zitierten ,,Entenpressenmetapher" am Beginn
dieser Arbeit. Sowohl die Funktionsweisen als auch die Kernhandlung des Films werden
im Zuge dessen Darstellung erfahren.
Die Namensgebung für meine beiden großen übergeordneten Kapitel ,,Tarantinouniverse
Vol. I" und im zweiten Teil der Arbeit ,,Tarantinouniverse Vol. II" begründet sich in der
vielerorts beschriebenen Kosmologie Tarantinos. Seine eigenen Ausführungen haben
mich dazu inspiriert, sie für meine Untergliederung zu adaptieren. Tarantino spricht von
zwei verschiedenen Universen: Einerseits gebe es das normale Quentin Universum, in
welchem für ihn ,,der ganze Spaß eines Film-Films" stecke. Dieses Universum sei ,,(...)
realer als das reale Leben." Reale Lebenssituationen würden dabei auf die Konventionen
verschiedener Film-Genres prallen." (vgl. Körte 2004b: 32), erläutert Tarantino.
Das zweite Universum, das so genannte ,,Film-Film-Universum", handle alleine von
Filmen und eben nicht vom realen Leben. Die einzige Verbindung zwischen den beiden
Universen bestünde darin, dass sich die Figuren aus dem ersten Universum die Filme aus
dem zweiten anschauen würden. Dieses Universum existiere alleine auf der Leinwand
und im Projektor. Kill Bill sei laut Tarantino der erste seiner Filme, der in diesem
Universum spiele (vgl. ebd., 32).
Im Rahmen dieser Arbeit hat es sich angeboten, die Titel ,,Tarantinouniverse Vol. I" und
,,Tarantinouniverse Vol. II" in abgewandelter Form in Verwendung zu nehmen, nämlich,
um in meiner Untergliederung der Arbeit auf eine andere vom Filmemacher selbst
dargelegte Sichtweise anzuspielen. Nach eigenen Angaben hätte sein Leben, bzw. ,,der
zweite Teil" seines Lebens, die Erfüllung seines Traumes, mit der Zusage zur Produktion
seines ersten eigenen Filmprojekts Reservoir Dogs begonnen.

14
Die Bezeichnung ,,Tarantinouniverse Vol. I" habe ich also gewählt, um zu Beginn der
Arbeit, welche sich mit dem Aufstieg zum Autorenfilmer und dem speziellen
Konstruktionsverfahren des Films Kill Bill auseinandersetzt, benennungstechnisch
gerecht zu werden. ,,Tarantinouniverse Vol. II" befasst sich dann zu Beginn des zweiten
Teils der Arbeit mit dem Starsystem Tarantino.
1.1.1. Biografische Eckdaten ­ Vom Konsumenten zum Produzenten
Gegenwärtig vollzieht sich durch die Möglichkeiten, welche neue Medien wie das
Internet eröffnen, unter anderen Veränderungen auch ein bemerkenswerter Wandel von
passiver zu aktiver Nutzung von Medien. Bestehende und neue Web 2.0 Anwendungen
1
werden auch zukünftig ihren Teil dazu beitragen, dass weltweit noch mehr Menschen
vom Konsumenten zum Produzenten, und damit zu Schöpfern neuartiger
Medienrealitäten werden.
Quentin Tarantino, ,,dezidierter Verächter von Computer und Internet" (Körte 2004b:
18), hat den Seitenwechsel auf andere Weise vollzogen. Aus dem unbekannten
Kinokonsument wurde ein weltberühmter Kinoproduzent und Kill Bill
2
ist der vierte
Film, für dessen Buch als auch Regie sich Tarantino verantwortlich zeigt. Laut Robert
Fischer (2004), handelt es sich bei Kill Bill um Tarantinos persönlichsten Film, ,,denn
ebenso wie kaum eine Szene des Films denkbar wäre ohne eine andere Szene, so ist keine
Sekunde des Films denkbar ohne Tarantinos eigene, private Erinnerung an jene
Momente und Emotionen, da er die zitierten Filme, Figuren, Muster und Musiken
verinnerlicht, in sein Herz geschlossen und sich zu eigen gemacht hat." (Fischer 2004:
216)
Die kulturellen Merkmale des Films scheinen den kulturellen Baukästen seines Autors zu
entsprechen, denn Tarantinos Filme, und im besonderen Ausmaß Kill Bill, stellen eine Art
der Reflexion sämtlicher Leinwand- und Videoerfahrungen eines von Filmen Besessenen
1
,,Web 2.0 ist ein Begriff für eine Reihe interaktiver und kollaborativer Elemente des Internets, speziell des
WWWs. (...) Der Begriff ,,Web 2.0" bezieht sich weniger auf spezifische Technologien oder Innovationen,
sondern primär auf eine veränderte Nutzung und Wahrnehmung des Internet. Hauptaspekt: Benutzer
erstellen und bearbeiten Inhalte in quantitativ und qualitativ entscheidendem Maße selbst."
(http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0)
2
Vol. 1 und Vol. 2 bilden eigentlich gemeinsam einen Film bzw. war es ursprünglich geplant, eine
Langversion zu produzieren; wenn also in dieser Arbeit allgemein über Kill Bill ohne Differenzierung
zwischen Vol. 1 und Vol. 2 gesprochen wird, sind immer beide Teile gemeint.

15
dar. Dementsprechend führt der Tarantino-Experte Fischer fort: ,,Seine Erfahrung ist
nicht Lebens-, sondern Kinoerfahrung, zwischen dem von der Leinwand Absorbierten
und dem auf die Leinwand Gebrachten gibt es keinen Umweg über banale Realität."
(Fischer 2004: 216)
Um die Welt und das Wirken von Kill Bill im Rahmen dieser Arbeit aufschlüsseln zu
können, muss zu allererst erläutert werden, welche medialen bzw. kulturellen
Spezifikationen den heute international berühmten Autoren-Filmer in seiner Jugend
nachhaltig geprägt haben. Zu diesem Zweck gehe ich vorerst der Frage nach, wer sich
laut Historie hinter der Marke Quentin Tarantino, verbirgt.
Mein erstes Ziel ist es, die wichtigsten Eckpunkte von Tarantinos Erfolgsgeschichte
auszumachen, ihren Realitätsgehalt zu überprüfen und die in der Literatur als ,,kulturelle
Baukästen" des Autors beschriebenen Prägungen in seinem Lebenslauf zu verorten.
Vertiefende theoretische Ausführungen zum Themenfeld der medial-funktionellen
Autorschaft und der Praxis des Quentin Tarantino Star- und Fankults, finden am Beginn
des zweiten Teils der Arbeit Platz.
Über Quentin Tarantino, geboren am 27. März 1963 in Knoxville, Tennessee, gab es
bereits im Alter von 33 Jahren drei Biografien. Der Feuilletonredakteur Peter Körte,
filmkritischer Wegbegleiter und langjähriger Beobachter Tarantinos, stellt fest, dass es
schon alleine aus diesem Grund schwer möglich sei, genau zwischen ,,Fakten und
Fiktionen" zu unterscheiden (vgl. Körte 2004b: 13). Öffentliche Bekanntheit erlangte
Tarantino im Verhältnis zu der inzwischen stetig weiter anwachsenden Zahl ihm
gewidmeter Publikationen dagegen eher spät, nämlich als er fast 30 war.
Unzählige sich voneinander unterscheidende Informationspools aus wissenschaftlichen
Untersuchungen, Zeitungsberichten oder Internetplattformen, präsentieren sich nicht
immer im Gleichklang, wenn es darum geht, neben den gängigen Eckdaten auch Details,
z. B. jahresspezifisch, aus Tarantinos Biografie in ihrer Darstellung wiederzugeben. Die
wichtigsten Pfeiler, auf welche die Vita der Persona Quentin Tarantino baut, sind aber bei
verschiedenen Experten (vgl. z. B. bei Peary 1998 und Körte 2004b) in
übereinstimmender Form nachzulesen.
Quentin Tarantinos Leben beginnt ,,mit einer geradezu schicksalhaften Namensgebung".
Namenspate sei laut Körte u. a. Autoren einerseits Burt Reynolds´ Figur des Quint aus
Gunsmoke, einer von 1955-75 produzierten Fernsehserie, gewesen; andererseits hätte seine
Mutter den Namen auch nach dem Mädchen Quentin aus William Faulkners Buch The

16
Sound and the Fury ausgesucht, das sie während der Schwangerschaft gelesen haben soll
(vgl. Körte 2004b: 13).
Im Alter von 2 Jahren, am Beginn der anbrechenden Fernsehära in den 60ern, übersiedelt
Quentin
gemeinsam
mit
seiner
Mutter
nach
Los
Angeles
(vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Quentin_Tarantino, 4.3.2008). Seine Kindheit und Jugend
verbringt er am Südrand von Los Angeles, in der South Bay. Schon früh wird Quentins
Interesse am Film geweckt. Als Einzelkind verbringt er einen Großteil seiner Freizeit in
Vorstadtkinos, so genannten grindhouses, die vorwiegend B-Movies zeigen.
Fortan will er Filme machen. Quentin sei ­ so legt beispielsweise Körte dar - ein
hyperaktives Kind gewesen. In den Biografien ist nachzulesen, dass er einen sehr hohen
IQ (zwischen 140 und 160) aufzuweisen hätte. Als Legastheniker brach er aber aufgrund
von schulischen Problemen die Highschool in der zehnten Klasse ab. Nach der
verfrühten Beendigung seiner schulischen Karriere arbeitet Tarantino beispielsweise als
Kartenabreißer in einem Pornokino und nimmt Schauspielunterricht (vgl. Körte 2004b:
13). Daneben kursieren noch einige weitere übereinstimmende Stories über
zwischenzeitliche Brotzeiterwerbe, auf die an dieser Stelle verzichtet wird, um
ausführlicher auf die Mythologisierung seines Aufstiegs zu sprechen zu kommen.
,,Mit besonderer Faszination ist in der Tarantino-Rezeption auf die Entdeckung und den
Werdegang des Regisseurs hingewiesen worden", betont Lutz Nitsche in seinem Buch
Hitchcock-Greenaway-Tarantino (2002). Dabei hätte sich ­ so führt der Filmwissenschaftler,
der spezifische Mechanismen der Authentisierung des Autorenkinos untersucht -
Tarantinos Lebensgeschichte in der Zeit, in welche die Premiere von Pulp Fiction (1994)
fiel, in den zahlreichen Zeitschriftenportraits schnell ,,auf einige stereotype Eckdaten
seines Lebens" fokussiert.
Nitsche fasst Tarantinos Aufstieg - den einstimmigen Kanon wiedergebend ­ wie folgt
zusammen: ,,Scheidungskind aus einfachen Verhältnisse [sic!], schon die Mutter bringt
den Sohn ins Kino, der junge Tarantino träumt von einer Schauspiellaufbahn, verlässt die
Highschool ohne Abschluss, arbeitet mehrere Jahre in einer Videothek am Südrand von
Los Angeles und beginnt dort, Drehbücher zu verfassen." (Nitsche 2002: 145)
Quentin Tarantinos Erfolgsweg und vor allem die Rezeption dessen innerhalb der
Biografien, entsprechen nach einer vergleichenden Lektüre verschiedener Autoren,
jedenfalls dem Modell eines erfolgreich in die Realität eines Individuums transferierten
Mythos des American Dream. Nitsche hält fest: ,,Der Regisseur verkörpert den

17
amerikanischen Mythos vom sozialen Aufstieg aus einfachen Verhältnissen ­ allerdings
nicht, indem er diesen biographischen Hintergrund überwindet, sondern indem er die
Mediokrität seiner Herkunft monumentalisiert und die Unterhaltungskultur im Modus
eines Fans glorifiziert." Der Ort der Videothek, Tarantinos institutionelles und
popkulturelles Archiv, heble in ihrer archivarischen Struktur außerdem jeglichen
Filmkanon aus, weil statt einer hierarchischen Ordnung der Filmgeschichte, eine
alphabetische zum Tragen komme, vermerkt Nitsche (vgl. ebd., 157).
Der Weg zum Weltruhm erfolgte ausnehmend schnell. Darauf angesprochen, betont
Tarantino selbst dagegen eine lange Zeit von acht harten Jahren, in welchen er sich mit
,,blöden Aushilfsjobs" herumschlagen musste und kein Geld hatte. Der Filmemacher
Scott Spiegel, ein Freund von Tarantino, sagt in einem Interview, er könne sich noch gut
an die Zeit erinnern, in der Tarantino wegen Geldmangels bei ihm auf der Couch
schlafen musste (vgl. Pulp Fiction - DVD Bonusmaterial 2006: Fakten).
Körte erklärt, dass wenn es einen ,,magischen Ort" in Tarantinos Geschichte gebe, die
Video Archives, ein Videoladen, der für Tarantino und seine filmische Spezifizierung die
ideale Welt darzustellen schien, zu nennen seien (vgl. Körte 2004: 12-13). Nitsche
bestätigt, dass ,,dieser mythologische Ort im Tarantino-Fankult" als sein spezieller Raum
für das Studium von Filmgeschichte zu verstehen sei, an dem eine Spezifikation
hinsichtlich des ,,Spektrums seiner Vorlieben" stattfinden konnte (vgl. Nitsche 2002:
145). Damit widerspricht er dem in der Literatur zum Zwecke der Simplifizierung und
Legendisierung ebenfalls verbreiteten Mythos, erst der Videoladen hätte den damals 22-
jährigen Tarantino zum ,,movie maniac" (Körte 2004: 13) gemacht.
Nitsche führt aus: ,,Diese Latenzphase in den Videoarchives bildet ein zentrales Element
in der biografischen Legende des Regisseurs. Tarantino befindet sich dort in der
stereotypen Situation des verkannten Genies, dessen kinematografisches Talent noch der
öffentlichen Entfaltung harrt." (Nitsche 2002: 146) Tarantinos Spektrum an
genrespezifischen Vorlieben reicht schließlich ­ wie die Untersuchung von Kill Bill
veranschaulichen wird - vom Kung Fu Hongkongkino und japanischen Schwertfilm und
Anime über den schwedischen Autorenfilm bis hin zum italienischen Spaghetti-Western
und ,,giallo"-Psychothriller sowie dem US-amerikanischen ,,blaxploitation"- und
Gangsterfilm, was wiederum mit dem genrespezifischen Spielplan der bereits erwähnten
Vorstadtkinos zu tun hat.

18
Kulturanthropologisches Interesse an Kill Bill erzeugt, das wie es Fischer nennt, ,, (...)
dichte Netz aus Anspielungen und Zitaten, (...)" aus asiatischen, europäischen und
amerikanischen Einflüssen, welchen Tarantino seine Existenz verdanke. Kill Bill ließe sich
nach Fischers Ansicht auch wie folgt deuten: ,,Die asiatische Popkultur hat die westliche
in den letzten Jahrzehnten so stark beeinflusst und umgekehrt, dass sich im Action-Kino
unweigerlich ein neuer Stil aus einer Mischung aus beidem entwickeln musste." (Fischer
2004: 233-34)
Mittlerweile - so Körte ­ seien unter anderen biografischen Stationen auch die von
Tarantino früher in seinem Lebenslauf fälschlicherweise angegebenen Gastspiele in Jean-
Luc Godards King Lear (1987) oder in George Romeros Knightriders (1980) unendlich oft
wiederholt worden. Godards Film würde ­ so führte Tarantino hinsichtlich seines
eigenen Schwindels aus - in den USA ohnehin keiner kennen; zum anderen fiktiven
Filmauftritt kam es, weil er einem der Motorradfahrer in Knightriders wage geähnelt haben
soll (vgl. Körte 2004b: 14).
Dass man im Zuge der biografischen Annäherung an Quentin Tarantino hinsichtlich des
Realitätsgehalts der verbreiteten Informationen Acht geben muss, zeigt sich
beispielsweise auch an der Tatsache der realen Präsenz Tarantinos in einer Folge der
Fernsehserie Golden Girls (1985-1992), in welcher er einen ,,Elvis-Impersonator" spielte.
Diese Tatsache verschwieg er nämlich (vgl. ebd., 14).
Neben den Richtigstellungen in filmwissenschaftlichen Auseinandersetzungen, finden
derartige Hinweise über den scheinbar allgegenwärtigen Star bereits in den 90ern
vielseitige und ausgiebige Diskussionen und Stellungnahmen in Foren und Bloggs im
Internet. Die weit reichende Bedeutung dieser für den Erfolg von Tarantino, wird zu
Beginn des zweiten Teils der Arbeit (vgl. 2.1.1.) näher erläutert.
Die präzisen Eckpunkte von Tarantinos Eintritt in die Welt der Schönen und Reichen
werden den Fans Jahre danach, nämlich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von
Reservoir Dogs und Pulp Fiction DVDs, mithilfe weiterführender Bonus-Materialien
nachgeliefert. Die zusätzlich zu den in bisherigen Biografien dargelegten Details und
Ausführungen, die großteils aus Interviews mit Tarantino selbst stammen, bilden durch
die persönliche Darstellung von Tarantino und Kollegen eine ergänzende Bereicherung in
der Darstellung seiner Lebensgeschichte.
Das DVD Bonusmaterial zum Film Reservoir Dogs, der rund 10 Jahre nach seinem
Erscheinen auf DVD gepresst wurde, beinhaltet ein Interview mit Quentin Tarantinos

19
persönlicher Darstellung seines Wegs zum Regisseur, in welchem er erzählt, dass es
Harvey Keitel ­ einer seiner Lieblingsschauspieler ­ gewesen wäre, welcher auf seiner
Liste der Schauspieler für den Film Reservoir Dogs die Nummer eins dargestellt hätte.
Die auf der genannten DVD enthaltene, märchenhafte Erzählung über die ersten Schritte
als Autorenfilmer (vgl. Reservoir Dogs ­ DVD-Bonusmaterial 2003: A Tail of Tarantino)
reflektiert und persifliert zum Zeitpunkt der späten Wiederveröffentlichung (2003) von
Reservoir Dogs ein wenig die an sich stereotype Eckdatenreproduktion, die dem Mythos
Quentin Tarantino, der selbst eine Zone kultureller Verflechtungen darstellt, zugrunde
liegt.
Mehrere Belege überliefern, dass Tarantinos Weg zum Erfolg über Harvey Keitel führte,
zu dem er über Lawrence Bender Kontakt bekommen haben soll. Lawrence Bender hatte
bereits einen Scott Spiegel Film produziert, als er Tarantino bei einer Party kennen lernen
sollte. Der Filmemacher Spiegel, soll ebenfalls maßgeblich an Tarantinos ersten Schritten
beteiligt gewesen sein; weil Bender nach der Vermittlung durch Spiegel auch von
Tarantinos Drehbuch begeistert gewesen wäre, soll er Tarantino die Zusage gegeben
haben, seinen ersten Film, den er sowohl schrieb als auch inszenierte, unter dem Titel
Reservoir Dogs mit ihm gemeinsam zu realisieren (vgl. Pulp Fiction - DVD Bonusmaterial
2006: Fakten).
Lawrence Bender habe es über Umwege geschafft, Harvey Keitel das Drehbuch
zukommen zu lassen. Keitels Zusage hätte Tarantino und Bender viel gebracht, führt
Tarantino aus; hätte Keitel abgelehnt, so wäre Reservoir Dogs ­ nach Ansicht von
Tarantino ­ ganz einfach keine Legitimität zugesprochen worden. (vgl. z.B. bei Nitsche,
146) Mit Keitels Hilfe gelang es schließlich, mehr Geld aufzutreiben und Keitel sollte
später zu einem von Tarantinos Stammschauspielern werden. Wirklich zum Film
verholfen hätte Tarantino dann - so beschreibt er selbst - Richard Gladstein. Weil
Gladstein ebenfalls ein Fan von Harvey Keitel gewesen sein soll, und obwohl Tarantino
bei seinem Gespräch keinerlei Material vorzuweisen gehabt hätte, machte er Tarantino
letztendlich zum Regisseur. Nach Tarantinos Aussage beginnt an dieser Stelle der zweite
Teil seines Lebens: ,,And that was the beginning of my life ... basically, part II". (Reservoir
Dogs ­ DVD-Bonusmaterial 2003: A Tail of Tarantino).
Die ,,bekannt aggressive Vermarktung der Weinstein Brothers hätte dem Film Reservoir Dogs
­ so führt Körte aus ­ ,,auf die Sprünge" geholfen. Die internationale Resonanz sei
überwältigend gewesen, wobei Tarantinos Selbst-Promotion, verbunden mit den

20
Werbstrategien von Miramax, seiner Produktionsfirma, die Rezeption maßgeblich
beeinfluss hätten. Vorerst sollten die Ergebnisse der Kinoauswertung finanziell gesehen
aber bescheiden ausfallen (vgl. Körte 2004b: 36). Kapitel 2.2.1. wird sich unter anderem
den Produktionsmitteln und -kosten von Kill Bill als globale Ware zuwenden, um sie
repräsentativen Vergleichen zu unterziehen und die bestimmenden Voraussetzungen zu
veranschaulichen, die vorhanden sein müssen, um Filme heutzutage erfolgreich zu
vermarkten.
Nach der anerkennenden Entdeckung von Reservoir Dogs 1992 beim damals noch jungen
Sundance Filmfestival für ,,independent-cinema", findet der Film weltweite Anerkennung.
1994 wird Tarantino in Cannes für Pulp Fiction eine goldene Palme überreicht, was
schließlich als Zeitpunkt des internationalen Durchbruchs betrachtet werden kann. Der
genannte Film wird 1995 nach 7 Oskarnominierungen unter vielen weiteren Preisen mit
einem Oskar für das beste Originaldrehbuch ausgezeichnet. 1997 folgt Tarantinos dritter
Streich: Jackie Brown.
Bei einer sozial- und kulturanthropologisch orientierten Annäherung an den sechs Jahre
später veröffentlichten Film Kill Bill Vol. 1 (2003) und Kill Bill Vol. 2 (2004) ist ­ auch
wenn Film nicht gleich Autor ist ­ die weit reichende Rolle der Autorschaft schon
aufgrund der den Film bestimmenden kulturellen Baukästen nicht zu übersehen. Mit den
verschiedenen Mechanismen und Funktionen des Autorenkinos bzw. der komplexen
Inszenierung des Popstars seitens der Produktion und des Publikums, setzt sich das
Kapitel 2.1.1. ausführlich auseinander.
Vorausgeschickt werden kann, dass Quentin Tarantino allgemein als sehr
begeisterungsfähiges, engagiertes und eloquentes PR-Wesen wahrgenommen wird. Wenn
ein neuer Film auf den Markt gebracht wird, steht der Produzent, Autor, Regisseur und
Schauspieler Tarantino als global player bereit und absolviert unzählige Interviews im
Rahmen weltweit stattfindender Pressekonferenzen, TV-Shows und Zeitungsartikel, in
welchen er ­ so am Beispiel Kill Bill nachzuprüfen ­ im Grunde immer wieder dieselben
Statements der inhaltlichen Bewerbung herunter betet, um den Verkauf (Mythen
produzierend) anzukurbeln.
Neben neuartigen Beziehungen und Strukturen im Bereich der Produktion und
Verbreitung, finden im zweiten Teil der Arbeit, der sich mit den kulturellen
Verflechtungen rund um den Film befasst, vor allem Untersuchungen des Wandels
spezifischer Repräsentations-, Rezeptions- und Vervielfältigungsräume rund um Kill Bill

21
Platz. Die in Gang gebrachten Starsysteme erscheinen dabei ebenso wie die
verschiedenen Aktivitäten von Fan Art (vgl. Kapitel 2.1.1. und 2.2.2.1.) als Dimensionen
der Verflechtung von Mythos und Film. Um Tarantinos Platz in der internationalen
Kinolandschaft historisch und geographisch verorten zu können, wird das Filmprodukt
Kill Bill außerdem Einbettung zwischen Hollywood, ,,World Cinema" und ,,New
Hollywood" finden.
Das nun folgende Kapitel beschäftigt sich aber vorerst einmal mit den Funktionsweisen
und der Kernhandlung des vermeintlichen Exploitation-Films
3
Kill Bill.
1.1.2. Hybridisierungsflüsse aus der ,,Entenpresse" ­ Funktionsweisen und die
Kernhandlung des Rachefilms Kill Bill
Dieses Kapitel zeichnet mithilfe interdisziplinärer Perspektiven aus literatur-, medien-
und kulturwissenschaftlicher Fachrichtungen einige Funktionsweisen sowie die
Kernhandlung des Rachefilms Kill Bill nach, um daran anschließend rezente Theorien
zum Thema Mythen und Film Diskurs erweiternd in Anwendung bringen zu können.
Der kampfbetonte erste und um einiges ,,blutigere" Teil des Action-Films Kill Bill steht
großteils im Zeichen einer Eastern-Film Einbettung. Der zweite Teil ist abseits der im
Vergleich mit dem ersten Teil verhältnismäßig kurz gehaltenen Kung Fu-Kampfszenarien
- von der klassischen Meister-Schüler Ausbildung der Hauptfigur bei Pai Mei abgesehen -
vorwiegend in die Umgebung des Western Films eingebettet. Daneben sind die
filmischen Räume der Hybridisierung in beiden Teilen mit zahlreichen weiteren
Genreanspielungen in Form von direkten und indirekten Zitaten und Verweisen aus der
internationalen Filmgeschichte voll gepackt. Diese werden in Kapitel 1.2. teilweise
genauer unter die Lupe genommen und aus ihrer Verschmelzung gelöst, um ihre
Ursprünge separat untersuchen zu können, und ihre Verwendung im Film Bedeutung
generierend darlegen zu können.
Zuvor soll aber noch geklärt werden, wie der Film funktioniert. In einem Interview mit
Peter Körte vergleicht Quentin Tarantino sein in Kill Bill angewandtes Verfahren bzw. die
Funktion des Films mit einer ,,Entenpresse". Dabei handle es sich um ein Küchengerät,
das Knochen zerquetschen kann, um aus ihrem Mark und Saft den Geschmack des
3
Der Exploitation Film bildet ein Äquivalent zum Groschenroman.

22
Essens zu maximieren (vgl. Körte 2004a: 8). ,,Nur dass ich in meine Entenpresse
Spaghetti-Western reintue, einen billigen italienischen Thriller, Pop-Samurai-Filme, hier
noch einen Monsterfilm, dort noch einen Rachefilm, und dann presse ich das aus. Am
Ende kommt eine kleine Pastetenfüllung heraus, und ich hoffe, der Geschmack
bereichert den Film. Ich werfe einfach weg, was ich nicht mag, und behalte, was mir
gefällt." (ebd., 8)
Für einen kulturanthropologisch angelegten Rezeptionsvorgang präsentiert sich die
hybride Genremischung aus der ,,Entenpresse" als ein weit reichendes und heterogenes
Feld der Verschmelzung lokaler und globaler Formen und Praktiken, das vorwiegend
zum Zwecke der Unterhaltung und Rentabilität erschaffen wurde. Ähnlich wie in der
Haute Cuisine entsteht durch den raffinierten Umgang mit erlesenen, teils sehr einfachen,
Grundzutaten und einer Menge Expertenwissen, ein komplexes und qualitativ
hochwertiges Gesamtkunstwerk, abgerundet durch die gezielte Beimengung
außergewöhnlicher Gewürzmischungen.
Christian Steltz, Literaturwissenschaftler, zeigt sich von der ,,Entenpressen" Metapher
überrascht. Er beschäftigt sich mit der Intertextualität im Film und stellt u. a. in
Anspielung auf die Tarantinos Phantasie entsprungenen und in Pulp Fiction
angesprochenen ,,Big Kahuna Burger" fest, dass Tarantino schließlich gemeinhin ,,(...)
weniger der French Cuisine als der amerikanischen Junk-Food-Kultur zugerechnet wird,
(...)"(Steltz 2006: 54).
Steltz zeigt sich im Zuge seiner Argumentation insbesondere von der in Kill Bill erfolgten
Überwindung der Grenzen zwischen Unterhaltungs- und Popkultur angetan. Tarantino
sei einzigartig unter den zeitgenössischen Filmregisseuren, wenn es darum gehe,
populärkulturelle Inhalte ästhetisch aufzuwerten. In der Pastete erkennt der Autor einen
deutlichen Verweis zur Literatur von William Shakespeare; bei ihm habe die Pastete in
Form eines ,,klassischen(s) Tragödienelement(s)", eingerahmt in einen Racheplan,
ebenfalls Anwendung erfahren (vgl. Steltz 2006: 53-56).
Steltz erörtert: ,,Die Pastete, die in Tarantinos Metapher von der Entenpresse anzitiert
wird, lässt sich in Shakespeares Theater finden. Sie muss als äußerst blutiges Gericht
gedacht werden." (ebd., 56) Der Autor entdeckt und beschäftigt sich unter anderem mit
Parallelen zwischen Kill Bill und Shakespeares Titus Andronicus, die sich zum Beispiel über
Brautraub, Kindsmord und vor allem über die explizite Darstellung von Gewalt und den
viel beschworenen roten Faden aus Blut, ausdrücken würden (vgl. ebd., 59).

23
Als ob es nicht genug wäre, dass Tarantino die Mittel einer nicht selten als low culture
verschmähten Popkultur bewusst einsetzt und sie letztlich zur high culture erhebt.
Zusätzlich lässt er in Kill Bill internationale Genres interagieren, die einen neuartigen
Dialog miteinander führen dürfen, der ­ so exotisch er im ersten Moment anmuten möge
­ neben der besonderen Filmkunst Tarantinos auch aufgrund der langjährigen
Berührungen, Aneignungen und Verflechtungen unterschiedlichster Filmtraditionen so
einwandfrei zu funktionieren scheint.
Durch die bunte Zusammensetzung der Bestandteile entsteht der Eindruck, als würden
in der Kill Bill Welt die letzten Trennlinien zwischen den unterschiedlichen Spielarten des
,,Kinos der Welt" und dem klassischem Hollywoodfilm, sowie zwischen Majors und
Indies, Rockkonzert und Oper, Pop und Kunst, längst und zur Gänze, aufgehoben sein.
Tarantino gelingt es damit auch in seinem vierten Film, seiner ersten richtigen
Hollywoodgroßproduktion, nach wie vor und über weite Strecken erfrischend und sogar
überaus independent zu erscheinen.
Tarantinos Kunst in Kill Bill, einem ­ wie er ihn nennt ­ ,,film pur", der nicht in der realen
Welt stattfinde und den sich nach Einschätzung von Tarantino die Figuren aus Pulp
Fiction ansehen würden, da er in einem Film-Film-Universum (vgl. die Begiffsdefinition in
der Einleitung zu Kapitel 1.1.) spiele, besteht darin, durch die Kombination von Altem,
etwas Neues zu kreieren.
Die Story des Films Kill Bill, dessen einzelne Erzählsegmente sich, laut Uwe Lindemann
und Michaela Schmidt (2006), bis in die griechische Antike zurückverfolgen lassen
würden, überzeuge im Gegensatz zu ihrer filmischen Umsetzung laut Ansicht der beiden
Autoren keineswegs über ihren Originalitätsgehalt, der ihrer Meinung nach ,,gegen Null"
tendiere. Indem die ästhetischen Nuancen des Films in den Vordergrund rücken, wie die
beiden Literaturwissenschaftler vorführen, bleibe die Story ihrem Ursprung entsprechend
lediglich Anlass des Erzählens. Den Reiz an der Geschichte würde demnach weniger der
Inhalt als die Art und Weise, wie sie erzählt ist, ausmachen (vgl. Lindemann und Schmidt
2006: 133f.).
Die narrativen Grundelemente der zweiteiligen Rache-Story Kill Bill lassen sich
tatsächlich kurz und bündig aufschlüsseln: Eine junge Auftragskillerin wird schwanger.
Sie entscheidet sich dafür, unter anderer Identität ein neues Leben zu beginnen und ihre
Bande zu verlassen. Der Chef der Bande, gleichzeitig auch Vater ihres Kindes, sucht und
findet sie; er versucht sie umzubringen. Die Frau und ihr Kind überleben ein blutiges

24
Massaker. Nach mehreren Jahren im Koma erwacht die Braut, in der Annahme, ihre
Tochter sei tot. Sie rächt sich an den ehemaligen Bandenmitgliedern, einschließlich des
Drahtziehers, ihrem einstigen Auftraggeber und Liebhaber. Mutter und Kind sind am
Ende wieder vereint.
Auch für Fischer, der sein Interesse auf filmische statt auf theatralische Vorbilder zum
Film richtet, ist klar: Da Kill Bill zum Subgenre des Rachefilms gehöre, laufe ,,die
Kernhandlung nach klassischem, erprobten Muster" ab: ,,Ein ruchloser Schurke oder
eine Gruppe von Schurken misshandelt oder ermordet jemanden und wird von einem
Rächer gnadenlos gejagt." Für dieses Erzählmuster rund um Vergeltung gebe es laut
Fischer Vorbilder ,,(...) aus allen Perioden der Filmgeschichte und in allen Gattungen: im
klassischen Hollywood-Western und im Thriller ebenso wie im Science-Fiction-Film,
sogar im Autorenkino der Nouvelle-Vague-Regisseure und im Pornofilm. Ganz
besonders viel Rachegeschichten gibt es aber in den fünf Genres, denen Tarantino mit
KILL BILL [sic!] explizit und auf gewohnte Weise Tribut zollt: im Samurai-Film und im
Anime aus Japan, im chinesischen Kung Fu-Film sowie im Italo-Western und im
italienischen giallo bzw. (Splatter-Krimi)." (Fischer 2004: 217)
Warum aber funktioniert der Genremix aus der ,,Entenpresse", wo doch ein und dieselbe
Geschichte der Rache bereits unzählige Male wiederbelebt bzw. nacherzählt wurde, und
auf den ersten Blick wenig originell wirkt? Je nach gewählter Perspektive auf den
Untersuchungsgegenstand,
ergeben
sich
durch
differentielle
Ansatzpunkte,
unterschiedliche Einsichten:
Fischer ist Recht zu geben, wenn er urteilt, dass bei der Entscheidung für ,,(...) die
Geschichte eines Rächers oder einer Rächerin, der oder die nach erlittenem Unrecht
einen Feldzug in eigener Sache unternimmt, (...)" aufgrund des besonderen
dramaturgischem Mechanismus, der damit eröffnet werde, eigentlich nicht viel schief
gehen könne. Der Autor spricht damit eine Maschinerie der Rache an, die ,,motion"
ebenso wie ,,emotion" garantiere (vgl. Fischer 2004: 217).
Lindemann und Schmidt beurteilen die Funktionsweise dahingehend, dass sich der Inhalt
der Form des Films unterzuordnen hätte: ,,Die genrespezifischen Kodierungen lenken im
Film die erzählerische und ästhetische Aufbereitung der Story und nicht umgekehrt." Der
Inhalt werde als integraler Bestandteil der genrespezifischen Kodierung lesbar. Die Art
und Weise wie die Story erzählt werde, mache dementsprechend das Reizvolle an Kill Bill
aus.

25
Aus einer einfachen Story ­ so Lindemann und Schmidt - würde über unterschiedliche
erzählerische und filmische Behelfe aus einem sich ständig wiederholenden
,,Minimalplot" ,,(...) ein visuell und intellektuell attraktives Filmereignis (...)".
(Lindemann und Schmidt 2006: 133) Die Story sei nicht mehr als der Anstoß des
Erzählens. Dies erkläre auch, warum sich der Film vom ,,(...) inhaltlichen Ballast der
Story (...)" befreie und sich nicht mit ,,moralischen, juridischen oder
geschlechterspezifischen Ambivalenzen", die mit der Darstellung von Rache
normalerweise einhergehen würden, auseinander setze (vgl. ebd., 134).
Peter Körte erläutert die besondere Rolle der genrespezifischen Anleihen bei Tarantino
wie folgt: ,,Doch nirgends sind die Anleihen, Verweise und Assoziationen ein so
integraler Bestandteil der Komposition wie in Tarantinos Filmen ­ was selbst die Kritiker
dieses Verfahrens einräumen." (Körte 2004b: 19) Ergänzend können abermals
Lindemann und Schmidt herangezogen werden, die postulieren, dass sich der Film zur
Gänze der ästhetischen Maximierung selbstreferenzieller Momente widmen würde.
Georg Mein stellt der Aussage, dass der Film wie eine ,,Entenpresse" funktioniere, eine
weitere Sicht gegenüber. Der Literaturwissenschaftler fragt hinsichtlich der Analyse des
Films als filmischer Raum der Hybridisierung, ob Tarantinos ,,Entenpresse" das von
Claude Levi-Strauss als ,,bricolage" bezeichnete Verfahren potenziere; das noch
Brauchbare werde demnach aufgehoben, möglicherweise entkontextualisiert und neu
arrangiert.
Sinn könne Meins Meinung nach ,,(...) das möglicherweise überraschende Ergebnis von
Kombinatorik und Assoziation sein." Seiner Ansicht nach sei es fraglich, ob die
Rekontextualisierung der Bilder das richtige Verfahren darstelle, um dem Plot einen
tieferen Sinn zu geben. "Wenn der Film tatsächlich wie eine Entenpresse funktioniere",
sagt Mein, ,,so drückt er seinen Interpreten mit derselben Gewalt das Mark aus dem Hirn,
wie er die Bilder, die er zitiert, verstümmelt." Für Mein liegt die Vermutung nahe, dass es
für die Rezeption des Films aufgrund verschiedener Gründe nötig wäre, in der von vielen
Seiten gelobten ,,ästhetischen Rahmung" rund um die Gewalt ein Legitimationsmuster zu
erkennen (vgl. Mein 2006: 80).
Auch wenn der Film Georg Meins moralischen Vorgaben offenbar nicht gerecht werden
kann, so ist nicht zu leugnen, dass beide Teile des Films Kill Bill nicht nur hinsichtlich der
Gewalt in eigenständiger ästhetischer Art und Weise auf die Codes und Konventionen

26
internationaler Genretraditionen anspielen. Mein ist hingegen der Meinung, dass einzig
und allein die Kampfszenen als ästhetisch bezeichnet werden könnten (vgl. ebd., 79).
Sowohl Christian Steltz als auch Rolf Parr haben auf die Frage, ob Kill Bill lediglich als
Aufguss des asiatischen Martial Arts-Kinos zu verstehen sei, mit einem eindeutigen Nein
geantwortet. Beide drangen über unterschiedliche Pfade in komplexe Felder vor, die über
die Untersuchung intertextueller Verweise bis in die Literatur bzw. ins Theater führen,
zum anderen den Film als Wechselrhythmus von das ,,normalistische Leben"
kennzeichnenden ,,De-Normalisierungs- und Re-Normalisierungsbewegungen" zu
erkennen geben (Parr).
Was kann nun ausgehend von der Erkenntnis, dass Kill Bill mehr als ein Martial Arts-Film
Aufguss zu sein scheint, untersucht werden? Der Wunsch einer gesamtheitlichen
Offenlegung aller intertextueller Verweise des von einem film-geek
4
erschaffenen ,,Zitat-
Films" Kill Bill, wird sich aufgrund der Fülle an Verweisen, für die darin ein Ziel
Sehenden, möglicherweise niemals erfüllen. Körtes viel zitiertes Statement beinhaltet eine
etwas positivere Sichtweise. Ein klares Ergebnis scheint für ihn durchaus möglich, wenn
er schreibt: ,,Vermutlich wird es noch Jahre dauern, bis ein emsiger Doktorand alle
Bezüge und Filmtitel entschlüsselt hat, die sich allein in KILL BILL [sic!] finden." (Körte
2004b: 19)
Steltz, der bei seiner Untersuchung in Anlehnung an Körtes Beurteilung betont, keinen
Anspruch auf Vollständigkeit und Allgemeingültigkeit erheben zu wollen, sieht jedenfalls
keinen Grund, dieses Unterfangen einer totalen Entschlüsselung auf sich zu nehmen. Er
bevorzugt stattdessen assoziativ zu arbeiten, um den Film in literarische Kontexte zu
setzen (vgl. Steltz 2006: 55).
Ins Blickfeld meiner Untersuchung rücken nach dieser grundlegenden Darlegung der
Kernhandlung sowie der Funktionsweise bzw. Komposition des Films die, im filmischen
Medium auffindbaren und über dynamische Hybridisierungsprozesse entstandenen,
Verflechtungen und Abgrenzungen verschiedenartiger Kultur- bzw. Mythen-Räume, die
der Film repräsentiert, sowie hybride Identitäten und Geschlechter, die im Film anhand
der Schnittstelle des Körpers vorzufinden sind.
4
Der englische Begriff geek hat sich im Laufe der Zeit von der umgangssprachlichen Bezeichnung für
Streber oder Stubengelehrter zur Bezeichnung für eine Person gewandelt, die sich durch großes Interesse
an wissenschaftlichen oder fiktionalen Themen auszeichnet. Außerdem steht geek in seiner abfälligen
Bedeutung häufig für begabte Menschen mit überdurchschnittlich hoher Intelligenz mit schwachen
sozialen Fähigkeiten bzw. für jemanden, der diesen Anschein erweckt (sh. nerd) (vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Geek).

27
Die folgenden Annäherungen an die Inhalte des Films, können Bedeutung generierend
und Diskurs erweiternd wirken, indem sie nicht nur nach Beispielen für Intertextualität,
sondern ­ inspiriert vom sozial- und kulturanthropologischen Erkenntnisinteresse - auch
nach Mechanismen der Interkulturalität zwischen den verschiedenen Mainstream-
Subgenres des globalen Kinoapparates fragen und populäre Filme als Mythen der
Gegenwart wahrnehmen.
1.2. Ein transkultureller Film und seine kulturellen Baukästen
Als Basis für weitere Überlegungen zur transkulturellen Beschaffenheit des Films
betrachte ich Kill Bill als global verbreiteten Mythos unter den neuen
Rahmenbedingungen, die Marc Augé in seinem Buch Non-Places (1995) als
,,Supermodernität" definiert hat.
Für Augé steht nach wie vor das klassische anthropologische Rohmaterial im Zentrum
des ethnologischen Erkenntnisinteresses. Allerdings postuliert er - einhergehend mit
dynamischen Globalisierungsprozessen und ihren Auswirkungen - neue Konditionen bei
der Erforschung eines veränderten Objekts der Anthropologie. Solche Konditionen, wie
etwa die Organisation des Raums im Spannungsfeld von lokalen, translokalen und
globalen Prozessen, seien bei der Untersuchung von traditionellen Kategorien wie z. B.
Ritual oder Mythos zu berücksichtigen (vgl. Augé 1995: 22).
Mithilfe einer Übersetzung der im Film vorgeführten Intertextualität als Interkulturalität
verfolge ich an erster Stelle das Ziel, dem angesprochenen Wandel von Kultur und
Kulturkonzepten gerecht zu werden. Von besonderem Interesse sind die im Film
vorgeführten genrespezifischen Räume, da ihnen eine handlungs- und rezeptionsleitende
Funktion zukommt (vgl. Lindemann und Schmidt 2006: 145).
Elke Mader arbeitet in ihrem Buch Anthropologie der Mythen (2008) u. a. heraus, dass es
durch Mechanismen der Verbreitung und Verflechtung zu einer verstärkten
transkulturellen Rezeption mythischer Stoffe aus verschiedenen lokalen Traditionen,
inklusive ihrer narrativen Traditionen und ihrer Wertsysteme, komme. Als Beispiele für
eine Untersuchung des Sachverhalts nennt Mader die Themenfelder Bollywood und
Kung Fu (vgl. Mader 2008:179).

28
Der Kung Fu Kultur und ihren vielfältigen Darstellungsmitteln kommt in der folgenden
Annäherung eine übergeordnete Rolle zu. Die Genres bzw. lokalen Formen bilden eine
wichtige Orientierungseinheit im globalen Gefüge, das der Film vorführt. Ich frage
hinsichtlich der Verflechtungen unterschiedlicher Genres nach neuen Formen von
mythscapes bzw. Mythen-Räumen besonderer Art, die sich wiederum mit anderen
kulturellen Praktiken vermischen (vgl. ebd., 179).
Das Neben- und Miteinander unterschiedlicher Zeichen- und Bedeutungssysteme bzw.
Genrekonventionen, geht mit der Entstehung neuer Formen bzw. einer neu geschaffenen
Vielfalt einher, wie anhand des Films Kill Bill in Hinblick auf interkulturelle Liaisons
lokaler Formen ­ zuerst auf theoretischer Ebene (vgl. Kapitel 1.2.1.) und danach anhand
der multiplen Schnittstelle des Körpers in der Praxis des Films (vgl. Kapitel 1.2.2.) ­
veranschaulicht wird.
1.2.1. Intertextuelle bzw. interkulturelle Liaisons lokaler Formen ­ Globale
mythscapes in Kill Bill
In Anbetracht der bereits über 80 definierten Filmzitate in Kill Bill spricht die Sprach-,
Kultur- und Medienwissenschaftlerin Patricia Feise von einem ,,postmodernen Film par
excellence" (vgl. Feise 2006: 237). Die Intertextualität des Films Kill Bill, seine
Verbindungen zu anderen Filmen und Texten, ist eine bestimmende Kraft bei der
Konstruktion des modernen Mythos. Dass es sich dabei auch gleichzeitig um
interkulturelle Liaisons lokaler (mythischer) Formen in einem globalen transkulturellen
Gefüge handelt, wird in diesem Kapitel hervorgehoben.
Die in Kill Bill verwendeten Genres präsentieren sich als lokale, aber auch offene und
dynamische Kultur- bzw. Mythenräume medialer Transformation, weshalb der erste Teil
dieses Kapitels eine theoretische Annäherung an kulturelle Verflechtungen sowie damit in
Zusammenhang stehende, im Wandel befindliche Kultur- und Mythenkonzepte der
Anthropologie umfasst.
Fischer betrachtet das dichte Netz aus Anspielungen und Zitaten, das von Tarantino in
Kill Bill gesponnen wurde, auch als Möglichkeit deutlich zu machen, dass sich die
asiatische Popkultur und die westliche in den letzten Jahrzehnten so stark beeinflusst

29
haben, dass sich im Action Kino ein neuer Stil aus der Mischung beider Richtungen
entwickeln musste (vgl. Fischer 2004: 233f.)
Im zweiten Teil dieses Kapitels analysiere ich Fischers Sicht bestätigend vor allem
Zusammenhänge zwischen der historisch gewachsenen Expansion des wu shu- bzw. Kung
Fu-Genres ­ das im engeren Sinn eine süd-chinesische Kriegskunst darstellt und
innerhalb dieser Arbeit im üblichen umgangssprachlichen Sinn als Überbegriff für
verschiedene chinesische Kampfkünste definiert ist ­ und ihrem Auftreten als Martial
Arts-Kampfkunst in Kill Bill.
Der Film über das ,,unfinished business" stellt als zeitgemäßer Blockbuster unter den
Rahmenbedingungen gegenwärtiger Globalisierungsprozesse, die Marc Augé als
,,Supermodernität" (vgl. Augé 1995) beschreibt und Arjun Appadurai als ,,globale
kulturelle Ökonomie" (vgl. Appadurai 1996) definiert, eine Zone vielfältiger kultureller
Reflexionen, Bedeutungserweiterungen und Verflechtungen, u. a. zwischen Mythos und
Kino, dar.
Brigitte Hauser Schäublin und Ulrich Braukämpfer (2002) bemerken, dass weltweite
Verflechtungen in den letzten Jahren für die Ethnologie von immer größerem Interesse
geworden sind. Sie sprechen von ,,Verflechtungen verschiedenster Art und von
verschiedenster Qualität, Verflechtungen, die in unterschiedlichste Richtungen verlaufen,
Verflechtungen mittels der verschiedensten Medien, Verflechtungen, die mit
unterschiedlichster Macht ausgestattet sind und Verflechtungen, die zur Erinnerung von
Herrschaft und/oder Profit unterschiedlichster Gruppierungen dienen." (Hauser-
Schäublin und Braukämpfer 2002: 10)
Die Begrifflichkeiten der Globalisierung und Lokalisierung wie auch der die beiden
verbindende Terminus der ,,Glokalisierung" bzw. glocalization werden verwendet, um sich
mit dem weltweit Verbreiteten und insbesondere mit dem ,,andauernden Prozess des
Divergierens, aber auch des Sich-Vereinigens von globalen und lokalen Elementen"
auseinanderzusetzen. Denn, wenn es so etwas wie ,,globale Kultur" geben sollte,
bemerken die beiden Autorinnen, sei diese ,,nur als ein kontingenter und dialektischer
Prozess" zu verstehen. Globalisierung wäre letztlich nur in lokalen Kultursymbolen
greifbar (vgl. ebd, 10).
Ich versuche dementsprechend, dynamische Prozesse der Verflechtung lokaler und
globaler Formen an einem konkreten Beispiel sichtbar zu machen. Der die Mythe von
der einsamen Rächerin Beatrix Kiddo erschaffende Erzähler, Quentin Tarantino,

30
orientiert sich an verschiedenen film- und literaturspezifischen Zeichensystemen.
Gemeinsam prägen diese im Sinne von Kulturrecycling die Erscheinung als auch den
Verlauf des Films und bilden einen neuen Meta-Mythos, welcher wiederum auf die ihn
prägenden Bedeutungssysteme rückwirkt.
Wie von Lee Drummond in seinem Buch American Dreamtime (1996) gefordert, betrachte
ich Kill Bill als kulturelle Produktion einer Gruppe von Menschen, die in einem
Bedeutungsgefüge verankert ist, das eine Quelle kultureller Produktion darstellt und sich
als Teil des globalen Kinos ,ebenso wie Mythen, auf verschiedene Dimensionen eines
sozialen und kulturellen Gefüges bezieht. Drummond zeigt, dass man populäres Kino
generell als eine Form von Mythen im kulturellen Gefüge der Gegenwart betrachten
könne.
Zentrale Aspekte bei der Untersuchung der Verflechtungen von Mythen und Kino sind
beispielsweise Bezüge zwischen lokalen filmischen Traditionen und mythischen
Erzählstoffen, ihren Inhalten, Motiven, Figuren und strukturellen Schemata (vgl. Kapitel
1.2.2.). Kultur stellt in diesem Zusammenhang einen Raum von Bedeutungen dar, den
Drummond als semiospace (vgl. Drummond 1996: 56f.) bezeichnet und welcher auch im
Kino Ausdruck erfährt. Generell sei es notwendig, populärkulturelle Produktionen in
Industriegesellschaften mit derselben Seriosität zu analysieren wie andere Themenfelder
auch. Schließlich würden gerade erfolgreiche Filme eine Fülle an kulturellen
Vorstellungen und Praktiken vorführen und prägen (vgl. Drummond 1996: 1-22)
In seinem Buch Modernity at Large (1996) spricht Appadurai von Räumen, Orten bzw.
Landschaften, so genannten scapes, die er als zentrales Ordnungsschema für die
Strukturierung und Interpretation der Welt vorstellt. In derartigen ortsungebundenen
Räumen findet Globalisierung statt. Die scapes manifestieren sich in der Gegenwart als
verschiedene Dimensionen von globalen Bewegungen, wobei sie von ungleichmäßigen
Formen mit fließenden Übergängen zu anderen Konfigurationen gekennzeichnet sind
(vgl. Appadurai 1996: 27-65).
Arjun Appadurais Konzept, das hinsichtlich der gegenwärtigen Konditionen nach der
Zirkulation von Bildern in einem globalen medialen Gefüge fragt, welches der Autor als
mediascape bezeichnet (vgl. Appadurai 1996: 27-65), eignet sich beispielsweise sehr gut, so
führt Elke Mader (2008) vor, um zum Zwecke einer Erweiterung und Ausdehnung
herkömmlicher Mythentheorien, mythscapes in einer Welt globaler Kulturströme bzw.
cultural flows (vgl. Hannerz 1996) zu analysieren.

31
Der Begriff der mythscapes findet in der Anthropologie der Mythen bereits in
unterschiedlichen Kontexten Verwendung. Mader betont das besondere Interesse an
einer neuen Kontextualisierung unter den Bedingungen der Globalisierung (vgl. Mader
2008: 224-231). In Anbetracht rezenter Ansätze führender internationaler Sozial- und
KulturanthropologInnen zum Thema Mythen bzw. Globalisierung führt Mader vor, dass
die Verbindung von Denkmodellen zu Mythen mit Theorien der Anthropologie der
Globalisierung zu gewinnbringenden Erweiterungen hinsichtlich der Überschneidung
von etablierten Begrifflichkeiten führen kann (vgl. Mader 2008: 224).
Appadurais sich wechselseitig durchdringende scapes (ethnoscapes, ideoscapes, mediascapes,
technoscapes, finance scapes) erweisen sich als flexibel anwendbare Einheiten zur Analyse von
Verflechtungen verschiedenster Art. Für Joanna Overing (2004) ist das Alltagsleben
äußerst eng mit dem Raum der Mythen verbunden.
5
Elke Mader (2008) setzt Overings
Ansatz zum Verhältnis von Alltag und Mythos und die von Overing als mythscapes
bezeichneten Formen mit Appadurais scapes Modell in Zusammenhang, und stellt sich die
Frage nach dem Verhältnis solcher mythischer Räume zu anderen scapes unter
Bedingungen der Globalisierung.
Sucht man beispielsweise nach Verbindungen zwischen mythscapes und ethnoscapes,
erscheint die Mythe über den Rachefeldzug Kill Bill ,,als Teil einer semantischen Matrix in
Zusammenhang mit neuen Konfigurationen" von Multikulturalität. Sie verbindet
Mythen, Raum und rituelle Praxis in einer Form von translokalen mythscapes, die auf
mehreren Ebenen mit dem Konzept von ethnoscapes verbunden sind. Die fernöstlichen
ethnoscapes sind zum einen stark mit bestimmten Orten und Landschaften verbunden.
Neue Konfigurationen von Kung Fu ethnoscapes weisen zum anderen auch eine de-
territoriale Dimension auf. Die Einheit von Vielfalt als Prinzip der Organisation von
kulturellem Pluralismus bestimmt sowohl die Identität der Heldin des Films als auch ihre
Handlungen (vgl. Mader 2008: 229).
Ein ebenso brisanter Schnittpunkt, dem sich Mader zuwendet, betrifft Verbindungen aus
mythscapes und mediascapes bzw. global vernetzten Medien. ,,Medien bilden einen
5
Joanna Overings (2004) mythscapes-Konzept beispielsweise sieht Alltagswelt und mythisches Geschehen in
Form von mythscapes miteinander verwoben. Dem Begriff mythscape werde dabei auch eine räumliche
Dimension zu teil, die auf verschiedenen Ebenen zum Ausdruck kommen könne (vgl. Mader 2008: 90,
227). Mythen sind für Overing keine Texte, die sich im Sinne von Claude Lévi-Strauss primär auf sich
selbst beziehen: ,,The myths come alive through the performance of them, along with the multitude of
messages having to do with the possibilities of human experience in the world." (Mader zitiert nach
Overing 2004: 71)

32
wesentlichen Bestandteil der globalen kulturellen Ökonomie, sie verbinden und
vermitteln weltweit ein großes und komplexes Repertoire von Bildern und Vorstellungen,
die mit ethnoscapes verwoben sind und die Basis für die Konstruktion imaginierter Welten
aus verschiedenen Perspektiven bilden." (Mader 2008: 229)
Eine besondere Funktion von Mythen ist es, der Repräsentation und Kommunikation
von Bedeutungsgefügen zu dienen. Nach dem Überblick über maßgebliche theoretische
Annäherungsmöglichkeiten an Verflechtungen von Mythos und Kino sollen die Genres
auch für eine weitere Interpretation des Films als besondere Form von mythscapes
verstanden werden. Diese führen lokale visuelle, und narrative Traditionen weiter und
sind eng mit anderen scapes und sozio-kulturellen Handlungsweisen verbunden.
Mythscapes äußern sich auch bei der Konstruktion besonderer (trans-)kultureller Räume
bzw. Raumvorstellungen. Orientierung innerhalb der verschiedenen Genres verschafft
sich der/die RezipientIn über die Liste der Braut und die im Film vorgeführten Räume,
welche von Lindemann und Schmidt näher bestimmt werden: ,,Die Räume markieren das
Filmgenre, indem sich die Protagonisten bewegen. Mehr noch: Sie bestimmen sogar die
genrespezifischen Regeln, nach denen sich die Protagonisten an diesen Orten zu
verhalten haben. Während also die Zeitebene des Films von einem hohen
Deterritorialisierungskoefffizienten bestimmt wird, der die einzelnen Handlungselemente
fragmentiert und austauschbar erscheinen lässt, wird die räumliche Ebene des Films in
den Kampfszenen von einem starken Reterritorialisierungskoeffizienten beherrscht."
(Lindemann und Schmidt 2006: 144f.)
Das Ziel, den mythischen Code (vgl. Kuchenbuch 2005) des Films zu entschlüsseln, führt
über ein Konglomerat aus verschiedenen Erzähltraditionen, die filmkundigen
ZuseherInnen großteils vertraut sind und damit dem ,,kollektiven Imaginären" im Sinne
von Marc Augé (1999) entsprechen. Die Imagination als soziale Praxis bildet eine
Verbindung von Lokalem und Globalem.
In Kill Bill erweist sich besonders die von David Bordwell (2001a) als hongcongification
bezeichnete Bewegung im Action-Film und anderen Bereichen, als eines der
bestimmenden Elemente der Darstellung des Mythos. Die bereits lange Zeit anhaltende
hongcongification betrifft beispielsweise die Transformation narrativer Elemente, äußert sich
u. a. über den massiven spezieller chinesischer Technologien (high-flying wire-action
techniques), führt zum Transfer chinesischer Stars nach Hollywood ebenso wie sie generell

33
zu einer Bedeutungs- und Funktionsakquirierung (vgl. dazu auch Kapitel 2.1.1. und
Kapitel 2.2.2.1.) führt (vgl. Hunt 2003: 197-200).
Carmen Sztob (2006) versucht dem momentanen internationalen Erfolg des
Hongkongkinos gerecht zu werden, indem sie ihn als Antwort des Publikums auf dessen
Erfahrungen in einer von zunehmenden Globalisierungsprozessen geprägten Umwelt
betrachtet. In ihrem Artikel Happy Together ­ Glücklich Vereint? Zur Dimension von
Globalisierung und Nationalkinematografie im Hongkong Film (2006) geht sie der Frage nach,
warum außerhalb Hollywoods ausgerechnet Hongkong am besten dazu geeignet wäre,
global verwertbare Produkte herzustellen.
Sztob rät dazu, ,,Hongkong als einen Ort der kumulierten Globalisierungserfahrung"
wahrzunehmen. In einer Art von ,,Hypermoderne" würden in Hongkong aufgrund seiner
speziellen
Situation,
weltweit
stattfindende
Entfaltungen
zusammenlaufen.
(http://www.chinafokus.de/kultur/film/globallokal/index.phb)
Der deutlich in den Traditionen des Hongkongkinos verankerte Hollywood-Film Kill Bill,
spiegelt die Verschmelzungen einer zunehmend globalisierten Welt auf Ebene der
Produktion und Distribution (vgl. Kapitel 1.2.2.) ebenso wieder wie innerhalb der
filmischen Umsetzung.
Letztlich lässt sich der aktuelle Einfluss des Hongkong-Kinos auf weite Teile der
internationalen Filmindustrie ebenso wie der Erfolg des zeitgemäßen Action-Films Kill
Bill zu einem großen Teil auch über historisch gewachsene Verflechtungen weiter Teile
eines ,,Kinos der Welt" erklären.
Eine Stärke von Kung Fu im Sinne Grenzen überwindender dynamischer mythscapes lässt
sich in der (den Mythen ebenfalls inhärenten) Fähigkeit des Wandels und der flexiblen
Anpassung an scheinbar beliebige Umstände beschreiben. Ein kurzer historischer
Überblick über spezifische Traditionen und dynamische Bewegungen des ,,Kung Fu
Kinos" unterstreicht diesen Sachverhalt:
In Leo Mosers Eastern Lexikon (2001) ist nachzulesen, dass am 11. August 1896 die erste
Filmvorführung der Brüder Lumiere in Shanghai stattgefunden habe, woraufhin China im
Jahre 1903 seine eigene Filmindustrie begründet und im Jahr 1905 den ersten Film
Dinjung Mountain Peking, eine filmische Aufzeichnung der gleichnamigen Peking-Oper
produzierte (Moser 2001: 7).
David Bordwell (2001b) definiert das Wuxia Pian als ritterliche Kampfkunst, welche tief
in einem mythischen China verwurzelt wäre, sich als Genre aber immer wieder ,,für jedes

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836639118
Dateigröße
1.8 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Wien – Sozialwissenschaftliche Fakultät, Studiengang Kultur- und Sozialanthropologie
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
kill bill quentin tarantino populärkultur medienanthropologie kultur raum
Zurück

Titel: Die Braut, die sich traut
Cookie-Einstellungen