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Ist Fußball ein Mittel der Entwicklungspolitik?

Analyse der Bedeutung und der Wirkung des Fußballs auf die Gesellschaft, Politik und Entwicklungsziele aus afrikanischer Perspektive

©2008 Magisterarbeit 90 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘Der Sport ist ein Instrument von Entwicklung und Konfliktlösung, von Gesundheit, Bildung, nachhaltiger Entwicklung und Frieden, das wir bisher noch gar nicht wirklich in seinem Wert erkannt und noch gar nicht wirklich systematisch eingesetzt haben’.
Fußball ist weltweit einer der beliebtesten, wenn nicht sogar die beliebteste Sportart. Fußball begeistert und prägt aktive und passive Teilnehmer. Im letzten Jahrhundert entwickelte der Fußball sich zu einem Sport, der wahrscheinlich nicht zuletzt wegen seiner Einfachheit zu einem wichtigen Element im Leben der unteren Bevölkerungsschichten geworden ist.
Am 26. Oktober 1863 fing alles an. An diesem Tag wurde in England die Football Association gegründet, die das weitgehend bis heute gültige Regelwerk für das Fußballspiel definierte und kodifizierte. Mit dieser Verregelung wurde ein entscheidender Schritt zur Beilegung der Gewalt getan. Seitdem gilt: Fußball ist ein auf Regeln basierendes Spiel und kein Krieg, wie es einmal der holländische Trainer Rinus Michels gesagt haben soll. Im Krieg geht es um die Vernichtung des Feindes, im Fußball um den sportlichen Wettkampf mit einem Gegner. Im Gegensatz zum Krieg ist die Grundstruktur des Fußballs kooperativ und egalitär. Ohne eine gegnerische Mannschaft wäre kein Spiel möglich. Gespielt wird nach den für alle gültigen Regeln, die vom Schiedsrichter und gegebenenfalls von der zuständigen Sportsgerichtsbarkeit durchgesetzt werden.
Insofern ist die Fußballwelt der internationalen Politik und deren Fähigkeiten zur friedlichen Konfliktregelung weit voraus. Inwiefern jedoch der Fußball ein Mittel der Entwicklungspolitik sein kann, soll in der vorliegenden Arbeit analysiert werden.
Im Laufe der Zeit reifte der Fußball aber nicht nur im Profisport, sondern prägte ebenfalls sehr stark den Charakter vieler Regionen und Länder. Man spricht heutzutage beispielsweise von dem ‘Fußballland’ Brasilien oder der ‘Fußballkultur’ des deutschen Ruhrgebiets. Fußball ist demnach mehr als nur eine physische Betätigung.
Sicherlich gibt es viele Aspekte des Fußballs, die die nicht sportliche Perspektive betreffen. Insbesondere der Geschäftssinn der Vereine und Verbände ist dabei maßgebend. Allein über Marketing, Merchandising und Sponsoring, mit denen durch das ‘Zugpferd Fußball’ Geld verdient werden kann, gibt es zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten und Studien. Dieser Aspekt soll in der vorliegenden Arbeit jedoch völlig ausgespart werden. Es geht […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Colin Kraft
Ist Fußball ein Mittel der Entwicklungspolitik?
Analyse der Bedeutung und der Wirkung des Fußballs auf die Gesellschaft, Politik und
Entwicklungsziele aus afrikanischer Perspektive
ISBN: 978-3-8366-4172-2
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010
Zugl. Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH), Aachen,
Deutschland, Magisterarbeit, 2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2010

3
"Sport can play a role in improving the lives of individuals,
not only individuals, I might add, but whole communities.
I am convinced that the time is right to build on that understanding, to encourage
governments, development agencies and communities to think how sport can be
included more systematically in the plans to help children, particularly those living in
the midst of poverty, disease and conflict."
Kofi Annan, Secretary-General of the United Nations 1997-2006
Olympic Aid Roundtable Forum, Salt Lake City Olympic Games 2002

4
Inhaltverzeichnis
Seite
1.
Einleitung
7
2.
Sport für Entwicklung und Frieden
12
2.1.
Der Fußball: Kein Politikum?
12
2.2.
Staat und Fußball in Afrika: Brot und Spiele?
15
2.3.
Theorie vom ,,Nationbuilding" ­ Ist der Sport eine Lösung?
21
2.4.
Die Rolle der Fédération Internationale de Football
Association (FIFA)
24
2.5.
Die UN-Resolution 58/5
26
3.
Arbeitsfelder des Fußballs
31
3.1.
Bedingungen und Potenziale des Fußballs
als Mittel zur Entwicklung
32
3.2.
Fußball als ,,Lebensschule" ­ Schulung des sozialen Verhaltens
34
3.3.
Der mögliche Wirkungsgrad der Projektumsetzung
36
3.4.
Konkrete Arbeitsfelder für Sportprojekte
39
3.4.1.
HIV/Aids ­ Prävention
39
3.4.2.
Trauma- und Versöhnungsarbeit
42
3.4.3.
Gleichberechtigung ­ Kann Fußball helfen? ­ Ein Fallbeispiel.
43
4.
Entwicklung durch Fußball -
Die Arbeit der ,,NonGovermentOrganizations"
46
4.1.
,,Fußball" als Programm für die Entwicklungsarbeit
50
4.2.
Fußball als Mittel gegen soziale Isolation - ,,Streetfootballworld"
53
4.2.1.
Warum wird bei ,,Streetfootballworld" gerade Fußball verwendet? 55
4.3.
Fußball als Waffe gegen HIV ­ ,,Grassrootsoccer"
56
4.3.1.
Warum wird bei ,,Grassrootsoccer" gerade Fußball verwendet?
57
4.3.2.
Evaluationsergebnisse in Entwicklungsregionen
57

5
5.
Fußballschulen in Afrika ­ Ausbildung und ,,Football drain"
61
5.1.
Von den Slums ins Nou Camp - Migration von Afrikanischen
Fußballspielern in Europa
61
5.2.
Fußballmigration ­ ,,Satellitenklubs" als Exporthafen für Talente
65
5.3.
,,Culture Foot Solidaire" ­ Zum Schutz des Menschen
69
6.
Resümee und Ausblick
73
7.
Anhang 1: Resolution der Generalversammlung
der Vereinten Nationen vom 17. November 2003
76
Anhang 2: Die Spitznamen aller afrikanischen Fußballnational-
teams südlich der Sahara
79
8.
Literaturverzeichnis
81
9.
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
88

6
Abkürzungsverzeichnis
AFC
Asian Football Confederation
Asiatische Fußball-Konföderation
AIDS
Acquired Immune Deficiency Syndrome
Erworbenes Immundefektsyndrom
BSP
Bruttosozialprodukt
CAF
Confédération africaine de football
Afrikanischer Fußballverband
CONCACAF
Confederation of North and Central American and
Caribbean Association Football
Konföderation der nord- und zentralamerikanischen und
karibischen Fußballassoziation
CONMEBOL
Confederação Sul-Americana de Futebol
Südamerikanische Fußball-Konföderation
FIFA
Fédération Internationale de Football Association
Internationale Föderation des Verbandsfußballs
GRS
Grassrootsoccer
HIV
Humane Immundefizienz-Virus
NGO
Nongovernment-Organization
Nichtregierungsorganisation
NPO
Non-Profit-Organization
Organisation ohne kommerzielle Ziele
OECD
Organisation for Economic Co-Operation and Development
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
OFC
Oceania Football Confederation
Ozeanische Fußball-Konföderation
PVO
PrivateVoluntaryOrganizations
SFW
Streetfootballworld
UNO
United Nations Organization
Organisation der Vereinten Nationen
WHO
World Health Organization
Weltgesundheitsorganisation

7
1. Einleitung
,,Der Sport ist ein Instrument von Entwicklung und Konfliktlösung, von Gesundheit, Bildung,
nachhaltiger Entwicklung und Frieden, das wir bisher noch gar nicht wirklich in seinem Wert
erkannt und noch gar nicht wirklich systematisch eingesetzt haben."
1
Fußball ist weltweit einer der beliebtesten, wenn nicht sogar die beliebteste Sportart.
Fußball begeistert und prägt aktive und passive Teilnehmer. Im letzten Jahrhundert
entwickelte der Fußball sich zu einem Sport, der wahrscheinlich nicht zuletzt wegen
seiner Einfachheit zu einem wichtigen Element im Leben der unteren
Bevölkerungsschichten geworden ist.
Am 26. Oktober 1863 fing alles an. An diesem Tag wurde in England die Football
Association gegründet, die das weitgehend bis heute gültige Regelwerk für das
Fußballspiel definierte und kodifizierte. Mit dieser Verregelung wurde ein
entscheidender Schritt zur Beilegung der Gewalt getan. Seitdem gilt: Fußball ist ein
auf Regeln basierendes Spiel und kein Krieg, wie es einmal der holländische Trainer
Rinus Michels gesagt haben soll.
2
Im Krieg geht es um die Vernichtung des Feindes,
im Fußball um den sportlichen Wettkampf mit einem Gegner. Im Gegensatz zum
Krieg ist die Grundstruktur des Fußballs kooperativ und egalitär. Ohne eine
gegnerische Mannschaft wäre kein Spiel möglich. Gespielt wird nach den für alle
gültigen Regeln, die vom Schiedsrichter und gegebenenfalls von der zuständigen
Sportsgerichtsbarkeit durchgesetzt werden.
Insofern ist die Fußballwelt der internationalen Politik und deren Fähigkeiten zur
friedlichen Konfliktregelung weit voraus. Inwiefern jedoch der Fußball ein Mittel der
Entwicklungspolitik sein kann, soll in der vorliegenden Arbeit analysiert werden.
Im Laufe der Zeit reifte der Fußball aber nicht nur im Profisport, sondern prägte
ebenfalls sehr stark den Charakter vieler Regionen und Länder. Man spricht
heutzutage beispielsweise von dem ,,Fußballland" Brasilien oder der ,,Fußballkultur"
des deutschen Ruhrgebiets. Fußball ist demnach mehr als nur eine physische
Betätigung.
1
Zitat ,,Sonderberater für Sport im Dienste von Entwicklung und Frieden des Uno-Generalsekretärs" Adolf Ogi,
in: Ogi, Adolf ,,Unglaublich positive Kraft", in: Zeitschrift für Entwicklungspolitik 19/2005 September, S.23-26.
2
Hemker, Reinhold: Die friedliche Seite des Sports, in: Zeitschrift für Entwicklungspolitik 19/2005 September.
S.2.

8
Sicherlich gibt es viele Aspekte des Fußballs, die die nicht sportliche Perspektive
betreffen. Insbesondere der Geschäftssinn der Vereine und Verbände ist dabei
maßgebend. Allein über Marketing, Merchandising und Sponsoring, mit denen durch
das ,,Zugpferd Fußball" Geld verdient werden kann, gibt es zahlreiche
wissenschaftliche Arbeiten und Studien. Dieser Aspekt soll in der vorliegenden Arbeit
jedoch völlig ausgespart werden. Es geht hier vielmehr um den sozialen,
wahrscheinlich auch weniger zu berechnenden Charakter des Fußballs. Dieser Sport
hat eine außerordentliche Magnetwirkung. Gerade in Regionen, in denen die
wirtschaftlichen Rahmenbedinungen begrenzt sind. Auch dort, wo junge Menschen
nicht regelmäßig zur Schule gehen können und sogar traumatische Erfahrungen
machen, bietet dieser Sport manchmal die einzige Möglichkeit, zu einer sozialen
Freizeitgestaltung.
Weltweit ist die Zahl derer, die sich für Fußball interessieren, regelmäßig zuschauen
oder spielen unzählbar. In Afrika spielen nach Schätzungen des Weltverbandes FIFA
80 Millionen Menschen regelmäßig Fußball.
3
Bei 924 Mio. in Afrika lebenden
Menschen ist dieses ein Anteil von etwa 9 Prozent an der Gesamtbevölkerungszahl.
4
Das ist enorm! Die Antwort auf die Frage, welche Kraft und Möglichkeiten der Fußball
auf Kinder, Männer und Frauen in Afrika hat, ist daher einerseits einfach andererseits
vielschichtig.
Fußball ist nicht nur die oft einzige Chance, mit einem Engagement als
professioneller Spieler einem wirtschaftlich schwachen Milieu zu entfliehen, sondern
die Politik möchte ebenso die Möglichkeit nutzen, die Entwicklung in den betroffenen
Ländern durch Sport zu fördern. Inwiefern das diskutiert, geplant und sogar schon
praktiziert wird, wird hier dargelegt und analysiert. Es zeigt, wie viel Potenzial für die
Entwicklungsarbeit tatsächlich im Fußball steckt.
Ein wichtiges politisches Signal haben die Vereinten Nationen bereits gesetzt: Die
Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete am 17. November
2003 die Resolution 58/5 ,,Sport als Mittel zur Förderung der Bildung, der
Gesundheit, der Entwicklung und des Friedens". Der Sport soll als Werkzeug dienen,
Entwicklungsziele zu erreichen.
3
http://de.fifa.com/worldcup/organisation/committees/fifa.html
[03.06.08]
4
http://www.dsw-online.de/pdf/dsw_datenreport_06.pdf
[03.06.08]

9
Diese Resolution ist als Zugeständnis der internationalen Politik zu werten, dass
Sport nicht nur als körperliche Betätigung verstanden, sondern durchaus als Mittel
zum Erreichen der Entwicklungsziele in der sogenannten Dritten Welt ernst
genommen wird. ,,Das UN-Jahr des Sports und der Leibeserziehung 2005"
5
war der
Anstoß, um weltweit auf die Potenziale von Sport als Mittel in der
Entwicklungszusammenarbeit aufmerksam zu machen. Inwiefern diese Ziele der UN-
Resolution und die damit zusammenhängende Politik des Dachverbandes FIFA und
der betroffenen Staaten interpretiert werden und welche Wirkung sie haben, soll im
ersten Teil der Arbeit dargelegt und diskutiert werden.
Zuerst muss aber eine grundlegende Frage beantwortet werden, wie Entwicklung in
diesem Sinne definiert wird. Es ist unumgänglich, den entwicklungspolitischen,
theoretischen Rahmen abzustecken. Die Antwort soll sich hier aber lediglich auf den
nötigen Rahmen beschränken. Der Sport, insbesondere der Fußball, kann keine
großflächigen Wirtschaftshilfen ersetzen. Die Entwicklungshilfe der westlichen
Staaten, die laut ,,UN-Ziel"
6
der 70er Jahre jeweils 0,7 Prozent des
Bruttosozialproduktes (BSP) betragen soll, ist im Laufe der letzten 25 Jahre stetig
gesunken. Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts beträgt der Durchschnitt
der Organisation
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nur
noch 0,22 Prozent, was ein Indiz für die sinkende Bereitschaft oder Fähigkeit ist,
große Geldsummern für die Entwicklungsländer zu generieren.
7
Deshalb muss die
Unterstützung für die Entwicklungsmaßnahmen immer vielfältiger werden.
Nichtregierungsorganisationen, private Initiativen und kirchliche Vereinigungen
springen
in
die
Bresche
und
übernehmen
insbesondere
humanitäre
Entwicklungsaufgaben. Diese Aufgaben haben keinen messbaren Einfluss auf die
Wirtschaftsfähigkeit eines Landes, leisten aber einen großen Beitrag für die lokalen
bzw. regionalen Entwicklungen.
8
Beim Sport ist dies ähnlich. Es geht hier vor allem
um die mit in die Programme eingebundenen Menschen vor Ort. Die Wirkung und
Vorgehensweise sowie das Verhältnis zum Aufwand zu analysieren, ist einer der
Aspekte dieser Arbeit.
5
Vgl. Ogi, Adolf ,,Unglaublich positive Kraft", in: Zeitschrift für Entwicklungspolitik 19/2005, Frankfurt am
Main 2005, S.23f.
6
Vgl. Nucheler, Franz: Entwicklungspolitik, Bonn 2006, S. 12f.
7
Vgl.Ebenda.
8
Vgl.Ebenda.

10
Ein weiteres Kapitel der Arbeit ist dem Einfluss des Fußballs auf die Politik gewidmet.
Nicht wenige Sportwissenschaftler, Historiker und Journalisten behaupten, dass der
Erfolg bzw. Misserfolg der jeweiligen Fußballnationalmannschaft durchaus Einfluss
auf die Wirtschaft oder sogar auf die innenpolitische Sicherheitslage eines
afrikanischen Staates haben kann, weil die Fußballnationalmannschaft oft als
patriotisches Machtmittel der Politik instrumentalisiert wird.
9
Ein europäisches Beispiel waren die nach dem verlorenen Weltmeisterschaftsfinale
1954
ausbrechenden
Unruhen
in
Ungran.
Da
die
,,unbesiegbare"
Fußballnationalmannschaft damals als ,,sozialer Kitt" zwischen Sozialistischem
Regime und der Arbeiterklasse galt, wurde die Hoffnung auf eine bessere
wirtschaftliche Zukunft auf den sportlichen Erfolg des Teams projiziert.
10
Diese Entwicklungen oder Reaktionen auf Misserfolge sind in Afrika heute ebenso zu
beobachten. Der Fußball wird in den politisch labilen Staaten des afrikanischen
Kontinents oftmals dafür benutzt, um diktatorische Regime aufrecht zu erhalten oder
Regierungen zu stürzen. Misserfolge der Fußballnationalmannschaft in afrikanischen
Staaten können die Sicherheitslage in einem Land ebenso bedrohen wie große
Erfolge die Regierung deutlich festigen können.
Da das Thema Entwicklung durch bzw. mit Sport in der Forschung wie oben erwähnt
mehrere Ansatzpunkte liefert, ist es besonders wichtig, die methodische
Herangehensweise zu erläutern. Um das Ziel der vorliegenden Arbeit zu definieren,
ist die Analyse von zwei Schwerpunkten nötig.
·
Die Darstellung der Entwicklungspolitik und der Plan der Vereinten Nationen,
mit Hilfe der Resolution 58/5 den Sport als Mittel einzuspannen, wird im
zweiten Kapitel dargestellt. Dabei soll auf die politische Bedeutung des
Fußballs im afrikanischen ,,Nationbuilding"-Prozess und die daraus folgende
Politik der FIFA eingegangen werden.
·
Die sportpädagogische Tätigkeit des Fußballs in der Entwicklungsarbeit ,,am
Menschen". Die Darlegung der Arbeitsfelder sowie die aktuelle Realisierung
am Beispiel von Nichtregierungsorganisationen soll im dritten und vierten
Kapitel im Fokus stehen.
9
z.B. Unruhen in Ungarn nach dem verlorenen Weltmeisterschaftsfinale 1954.
10
Vgl. Kasza, Peter: 1954 ­ Fußball schreibt Geschichte, Das Wunder von Bern, Bonn 2004, S. 43ff.

11
Als ein in sich geschlossener Exkurs soll darüber hinaus im fünften Kapitel noch auf
den
afrikanischen
Kontinent
als
,,Investitionsfeld"
für
professionelle
Nachwuchsförderung eingegangen werden. Denn Fußball bietet für die Beteiligten
nicht nur Chancen im entwicklungspolitischen Sinne. Fußball hat sich gerade im
Europäischen Profisport mehr denn je zu einem Geschäft entwickelt. Talentierte
ausländische Spieler aus dem verarmten Afrika zu verpflichten, hat insbesondere in
den europäischen Profiligen Schule gemacht. Zahlreiche Vereine nutzen die hiesige
Armut in Afrika aus, um möglichst günstig an gutes ,,Spielermaterial" zu kommen, sie
nach Europa zu lotsen und später an größere Vereine teuer weiter zu verkaufen. Das
Modell des Geschäfts mit Fußball und deren Akteuren birgt auch viele Gefahren für
junge Afrikaner. Ob es sich jedoch um die Gefahr einer modernen Art des
Sklavenhandels handelt, soll im letzten Kapitel ebenso Beachtung finden.
Die wissenschaftliche Analyse wird durch zwei Faktoren geprägt, was in der
Forschung stets bedauert wird: Trotz vieler Projekte in Afrika gibt es aufgrund des
noch sehr jungen Arbeitsfeldes zu wenig wissenschaftliche Evaluation. Des Weiteren
können direkte Zusammenhänge zwischen dem Einsatz von Sport und positiven
Veränderungen in der Entwicklungsarbeit bis jetzt kaum nachgewiesen werden.
Dennoch ist die Zielsetzung der Politik, Sport mehr in die Entwicklungsarbeit zu
integrieren, evident. Den beliebtesten Sport der Welt, der als ,,kleinster gemeinsamer
Nenner" oder ,,Weltsprache" bezeichnet wird, zu nutzen, um Entwicklung zu fördern
und einen Teil zur Linderung von Leid und Lösung von Problemen beizutragen.

12
2. Sport für Entwicklung und Frieden
Wie bereits erwähnt, wird der Sport von den Vereinten Nationen als ein Instrument
von Entwicklung und Konfliktlösung durchaus ernst genommen. Jedoch ist die
tatsächliche Kraft des Sports wohl nur an seinem Einfluss im sozialen Bereich
abzulesen. Die soziale Rolle des Sports, insbesondere des Fußballsports, ist
wahrscheinlich seine wichtigste Aufgabe. Nicht nur, dass Fußball als Armen- oder
Arbeitersport der populärste Sport der Welt ist. Er ist eine der Sportarten, die mit
jeglichen Gegenständen als Spielgerät zu spielen ist. Wenn afrikanische Kinder
gegen eine aus Stofffetzen zusammengenähte Kugel treten, so ist dies ein
vergleichbares Fußballspiel wie das, was die sogenannten ,,Straßenfußballer" der
deutschen Nachkriegszeit ausmachte. Es wird ,,gespielt". Dass dieses Spiel alle
sozialen Schichten, ob passiv oder aktiv, interessiert, steht dabei mittlerweile außer
Frage. Aber wie reagieren die Entwicklungspolitiker und Staatsoberhäupter auf einen
solchen mächtigen Faktor eines gemeinsamen Nenners? Kann Fußball Politik
machen? Kann Politik den Fußball für ihre Zwecke instrumentalisieren? Sport hat
selbstverständlich eher einen praktischen Charakter. Daher ist es auf den ersten
Blick ungewöhnlich, von einem Zusammenhang zwischen Politik und Sport zu
sprechen. Im Nachfolgenden soll gezeigt werden, inwiefern Politik und Fußball in
Beziehung stehen. Ob es dabei überhaupt einen Zusammenhang gibt und was die
Politik bewerkstelligt, um den Sport zu fördern, zu organisieren und ihn für andere
Ziele auszunutzen, soll hier beleuchtet werden.
2.1. Der Fußball: Kein Politikum?
Obwohl Fußball seinem Selbstverständnis nach eigentlich universalistisch ist, spielen
nationale Grenzen, auch im Zeitalter der Globalisierung, eine wichtige Rolle. Nach
Artikel 10 des FIFA-Statuts, können normalerweise nur Verbände Mitglied werden,
die in einem von der Staatengemeinschaft anerkannten Land für die Organisation
und Kontrolle des Fußballs verantwortlich sind. Fußball und Staatlichkeit bilden also
in gewissem Sinne eine Einheit.
11
11
Vgl. Ehrhart, Hans-Georg: Fußball und Völkerverständigung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 19/2006,
Bonn 2006, S. 20f.

13
Gerade weil dieser Sport auch mit Hilfe der Massenmedien die Welt umreißt, ist er
ein mächtiges Mittel, die Menschen zu erreichen. Daher lassen sich die beiden
Komponenten ,,Sport" und ,,Politik" bzw. ,,Staat" nicht voneinander trennen. Gerade
nicht in der multimedialen Welt von heute. Aber ist die Politik und der Fußball eine
moderne Synergie? Die Geschichte gibt eine klare Antwort: Nein!
Zwei bekannte Beispiele sprechen dabei für sich.
Das wahrscheinlich bekannteste Beispiel der deutschen Fußballgeschichte der
europäischen Nachkriegszeit ist das Finale der Fußballweltmeisterschaft 1954 in der
Schweizer Hauptstadt Bern, das Deutschland sportlich unerwartet mit 3:2 gegen
Ungarn für sich entschied. Es war mehr ein politischer als ein sportlicher
Wendepunkt.
Der sportliche Sieg der deutschen Fußballmannschaft wurde als ,,eigentliche
Geburtsstunde"
12
der Bundesrepublik zitiert. Die Niederlage der Ungarn dagegen
stürzte das Land in eine große politische Krise.
13
Historiker Peter Kasza bezieht sich
in seinem Buch auf seinen Kollegen Joachim Fest, der in Konrad Adenauer, Ludwig
Erhard und Mannschaftskapitän Fritz Walter die ,,drei Gründungsväter der
Bundesrepublik Deutschland" sieht.
14
Kasza benennt das Verhältnis Politik, Volk und
Sport als magisches Dreieck, das nicht auseinander zu reißen ist. ,,Wenn
Fußballmannschaften auf internationaler Ebene gegeneinander antreten, dann finden
sich ganze Nationen hinter ihren Teams zusammen."
15
Interessant wird es jedoch beim Umgang der Politik mit diesen Ereignissen. In West-
Deutschland leugnete man von Seiten der Politik zwanghaft jegliche politische
Bedeutung des Sportes ­ in Ungarn wurde der Sport am Volk vorbei zum Zeichen
der Überlegenheit eines ganzen Gesellschaftssystems stilisiert.
16
Während des
Kalten Krieges sollte der Sport als weiterer ,,Kriegsschauplatz", wie bei den
Olympischen Spielen, immer wieder im Mittelpunkt stehen. Insbesondere im
Verhältnis der beiden ,,Klassenfeinde" UdSSR und den Vereinigten Staaten von
Amerika. Die beiden Weltmächte projizierten stets den bilateralen Machtvergleich in
sportliche Großereignisse, worauf aber nicht weiter eingegangen werden soll.
12
Vgl. Kasza, Peter: 1954 ­ Fußball spielt Geschichte, Bonn 2004, S.8f.
13
Vgl. Ehrhart, Hans-Georg: Fußball und Völkerverständigung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 19/2006,
Bonn 2006, S. 20f.
14
Vgl. Kasza, Peter: 1954 ­ Fußball spielt Geschichte, Bonn 2004, S.8f.
15
Vgl.Ebenda.
16
Vgl.Ebenda.

14
Während die Krise in Ungarn nach dem verlorenen Spiel lediglich einen bedingten
Zusammenhang mit dem sportlichen Misserfolg hatte, ist die direkte Folge eines
Fußballspiels bei dem zweiten Beispiel nicht zu leugnen.
Nach dem entscheidenden WM-Qualifikationsspiel zwischen Honduras und El-
Salvador am 26. Juni 1969 in Mexiko Stadt kam es zum wiederholten Mal zu
Straßenunruhen. In den zwei Spielen zuvor, aus denen sportlich kein Qualifikant
hervorging, verbrannten die Zuschauer der beiden Mannschaften die Nationalflaggen
des Gegners. Bei den folgenden Straßenunruhen kamen Menschen zu Tode, die als
Auslöser einer kriegerischen Auseinandersetzung gewertet wurden. Zwischen dem
14.7.1969 und dem 18.7.1969 fand darauf der sogenannte ,,Fußballkrieg" statt, der
ca. 3000 Opfer forderte.
17
Der eigentliche Grund waren Spannungen wegen
sogenannter Wirtschaftsflüchtlinge aus El Salvador und nicht die sportliche
Niederlage. Deshalb ist diese Bezeichnung ,,Fußballkrieg" sicherlich falsch, was
ebenso Ehrhart bestätigt.
18
Aber allein die Tatsache, dass das sportliche
Aufeinandertreffen der beiden Nationen zum Auslöser eines Krieges mutierte, weist
darauf hin, welchen Einfluss der Fußball auf andere Sphären wie die Politik haben
kann.
Die beiden Beispiele, denen noch unzählige Beispiele folgen könnten, zeigen, dass
die Politik und der Sport durchaus verbunden und keinesfalls zu trennen sind.
17
Vgl. Kapuciski, Ryszard: Der Fußballkrieg. Berichte aus der Dritten Welt, Frankfurt Juli 2001, S.25ff.
18
Vgl. Ehrhart, Hans-Georg: Fußball und Völkerverständigung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 19/2006,
Bonn 2006, S. 22f.

15
2.2. Staat und Fußball in Afrika: Brot und Spiele?
In Afrika sind seit der Unabhängigkeit der Staaten unzählige soziale und politische
Problemherde aufgetreten. Nicht nur wegen Armut und Aids stehen die einzelnen
Staaten vor schier unlösbaren Problemen, sondern Bürgerkriege und maßlose
Korruption erschweren zusätzlich die Entwicklungsarbeit.
19
Diese Probleme sollen für
die Staatschefs dann oftmals durch die Erfolge der Fußballnationalmannschaft gelöst
bzw. beschönigt werden.
20
Insbesondere bei fragilen autokratischen Regierungen der
subsaharischen Länder werden die Fußballnationalmannschaften oftmals für
politische Zwecke instrumentalisiert. Gewinnt die Nationalmannschaft, geht das Volk
auf die Straße und feiert, akzeptiert Fehler und Misserfolge von Regierungen, ist
zufrieden.
21
Bleibt der sportliche Erfolg aus, werden komplette Mannschaften von der Regierung
sanktioniert. Die Formen lassen da großen Spielraum. Das reicht von Kasernierung
der Spieler bis zur angekündigten Folter bei einer eventuellen Niederlage.
22
Aber die Namen einer afrikanischen Fußballnationalmannschaft tragen bereits eine
politische Aussage in sich. Die meisten afrikanischen Teams haben einen Namen
aus der Welt der Fauna: Von den ,,Sperbern" Togos über die ,,Kathargo-Adler"
Tunesiens bis zu den ,,Hengsten" Burkina Fasos schwingt immer nationaler Stolz,
Geschichte und Kultur mit.
23
Einen politischen Beigeschmack gibt es, wenn die
,,Leoparden" Zaires sozusagen durch die ,,Simbas" der Demokratischen Republik
Kongo verjagt werden ­ nach der gewaltsamen Beendigung der Mobutu-Diktatur im
größten Staat Zentralafrikas. Natürlich sind Rivalitäten, die durch nationale Kultur
und Stolz auf den Sport übertragen werden, durchaus nicht ungewöhnlich.
Beispielsweise wird von einem ,,Derby", einem ,,Revierkampf" oder ,,Duell"
gesprochen, wenn zwei lokal oder regional rivalisierende Vereine gegeneinander
antreten. Dabei geht die Initiative eher von den Fangruppen als von den Vereinen
aus, da die Spieler meist nicht mit dem Verein verwurzelt sind.
19
Nucheler, Franz: Entwicklungspolitik, Bonn 2006, S.
20
Vgl. Mehler, Andreas: GIGA Focus, Nummer 6, Juni 2006, Hamburg 2006, S. 2.
21
Vgl.Ebenda.
22
Vgl. Ehrhart, Hans-Georg: Fußball und Völkerverständigung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 19/2006,
Bonn 2006, S. 22f.
23
Die Spitznamen aller Afrikanischen Mannschaften im Anhang S.79.

16
Anders ist es bei den internationalen Vergleichen der Nationalteams. Ein Spiel, bei
dem beispielsweise Nigeria gegen Kamerun oder ein afrikanische Mannschaft gegen
das Nationalteam der ehemaligen Kolonialmacht antritt, hat natürlich aus historischen
Gründen mehr Brisanz als andere Partien. Sportlich wahrscheinlich nicht attraktiver,
bieten solche Spiele aus kulturellen und historischen Gründen sowohl bei den
Fangruppen als auch bei den Akteuren eine besonders große Rivalität. Im
Fußballjargon finden sich viele kriegerische Begriffe und Redewendungen wieder wie
,,Killerinstinkt", ,,bomben" oder ,,kämpfen bis auf Messer". Die Fernsehreporter
sprechen je nach Spielverlauf dann auch gerne von einem ,,Abnutzungskrieg" oder
einer ,,Abwehrschlacht".
24
Im Vergleich zu Afrika hält sich jedoch die tatsächliche Politik in Europa heutzutage
aus dem öffentlichen Leben des Fußballs heraus ­ Sport bleibt meist Sport und
Politik bleibt meist Politik. Jedenfalls muss schon viel passieren, damit eine
Kontroverse zwischen Politik und Sport entsteht. Beispielsweise wie im Vorfeld der
Olympischen Spielen 2008 in Peking.
25
Eine Ausnahme stellen dabei sicherlich die
großen Turniere wie Welt- und Europameisterschaften dar, bei denen die
Staatschefs selbstverständlich anwesend sind. Dies ist jedoch nicht ungewöhnlich.
Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa gab sich wie andere Staatschefs und Politiker
bei der WM 2006 stets als Fußballbegeisterte aus. Für politische Aussagen
instrumentalisierte kein Staatschef das Großereignis, dennoch sonnten sich Politiker
aller teilnehmenden Staaten in der Aufmerksamkeit für den Fußball.
In Afrika ist es ähnlich, aber im Detail doch entschieden anders. Fast alle
afrikanischen Staatschefs verfolgen aufmerksam ihre nationalen Teams und nutzen
sie auch durch Intervention für ihr politisches Kalkül. Einmischung in sportliche
Entscheidungen sind dabei keine Seltenheit.
26
Die enge Verquickung von Politik und Spiel führt auch dazu, dass Spieler und Trainer
die Nähe zum Präsidenten suchen.
27
Genauso suchen Spieler den Präsidenten auf,
um nach Ihrer sportlichen Karriere in ihrem Heimatland politischen Einfluss zu
24
Vgl. Ehrhart, Hans-Georg: Fußball und Völkerverständigung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 19/2006,
Bonn 2006, S. 23f..
25
Hier wurden die deutschen Athleten von der Politik vor die Wahl gestellt, die Eröffnungsfeier der
Olympischen Spiele aufgrund der Menschenrechtsverletzungen Chinas gegenüber der tibetischen Bevölkerung
zu boykottieren.
26
Vgl. Mehler, Andreas: GIGA Focus, Nummer 6, Juni 2006, Hamburg 2006, S. 2.
27
Vgl.Ebenda.

17
erhalten oder lukrative Geschäftspartner zu finden.
28
In Angola befördert der Sport
politische Karrieren, indem zahllose Politiker sich im Vereinsfußball engagieren. Der
Staatspräsident lässt es sich nicht nehmen, den Benfica-Legionär Mantorras bei
Besuchen in der Heimat zu empfangen und mit ihm zu speisen.
29
Kameruns
Starspieler Roger Milla verdankte seine sportlich nicht mehr gerechtfertigte
Aufstellung bei der WM 1994 der Gnade des Präsidenten. Leider schnitt die
Nationalmannschaft dann nicht so gut ab wie vier Jahre zuvor. Bei der WM 1990 in
Italien sicherte der sportliche Erfolg Kameruns für den innenpolitisch unter Druck
geratenen Präsidenten Biya den Machterhalt.
30
Bei weiteren Beispielen wurden die
Kündigungen afrikanischer Nationaltrainer durch die politischen Machthaber
veranlasst. Winfried Schäfer räumte seinen Stuhl als Kamerunischer Nationaltrainer,
weil der Staatspräsident ihm 2005 vorschrieb, wen er aufzustellen habe.
Aber in Afrika geht es meistens um mehr als um sportliche Entscheidungen. Vor der
WM 2006 in Deutschland war die politische Situation in den teilnehmenden
südafrikanischen Staaten Angola, die Elfenbeinküste, Ghana und Togo schwierig.
Diese Situation sollte mit einem Erfolg des jeweiligen Nationalteams verbessert,
wenn nicht sogar gelöst werden. Eine in der Tat große Verantwortung, die die
Staatschefs den Sportlern für, in der Regel, drei WM-Spiele auferlegen.
In Teilnehmerland Togo wurde nach 40 jähriger Militärdiktatur unter Eyadéma 2005
sein Sohn mit Hilfe einer gefälschten Präsidialwahl zum Staatsoberhaupt gemacht.
31
Die Korruption innerhalb des Verbandes macht es den Sportlern immer schwieriger
für ihr Land anzutreten.
32
Kurz vor Turnierbeginn streikten zuerst die Spieler, später
verließ der deutsche Trainer Otto Pfister das Hotel, da der Verband seit mehreren
Monaten vertraglich zugesicherte Prämien nicht auszahlte, die von der FIFA für die
Spieler an den Verband gezahlt wurden.
33
Dennoch ist Fußball die beliebteste Sache
in Togo. Rund 150 Vereine sind registriert und an Wochenenden gehen
Zehntausende zu den Spielen. ,,Das Land ist mit seinen vielen Ethnien stolz auf
seine Fußballnationalmannschaft, die ein Vorbild geben soll für ein friedliches
28
Fichtner, Ullrich: Der Krieg der Elefanten, in: Spiegel Special, Nr.2 2006, Planet Fußball, Hamburg 2006.
29
Vgl. Schmitz, Manfred, Doppelpass, Fußball und Politik in Angola, in: Afrika Süd, Zeitschrift zum südlichen
Afrika, Nr.3 Mai/Juni 2006, S.28.
30
Vgl. Mehler, Andreas: GIGA Focus, Nummer 6, Juni 2006, Hamburg 2006, S. 2.
31
Hofmeier: R., Afrika-Jahrbuch: Politik, Wirtschaft and Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara. Opladen
2005.S.25ff.
32
http://www.stern.de/sport-motor/wm2006/news/:Pfister-Interview-Das-Sklavenhandel/562579.html
[26.06.08]
33
Vgl.Ebenda.

18
Zusammenleben."
34
So beschreibt der Spiegel in seiner Sonderausgabe zur WM
2006 die Bedeutung des Fußballs im Land.
Der Nationalmannschaft der Elfenbeinküste wurde ebenfalls eine psychologische
Bürde im Vorfeld des Turniers auferlegt. Wie bei den anderen afrikanischen WM-
Teilnehmern sollte der vermeintliche Erfolg genauso emotionale Lücken des Landes
füllen und für Frieden sorgen. Seit 2002 befindet sich das Land in einem
bürgerkriegsähnlichen Zustand und ist in einen muslimisch geprägten Norden und
einen eher christlichen Süden gespalten.
35
Zwischen den Fronten standen
zwischenzeitlich bis zu 4000 französische Soldaten und 7000 Blauhelme. Seit Ende
2007 beruhigt sich im Zuge der Abrüstung der kämpfenden Partien die
Sicherheitslage im Land. Um den Konflikt zu verstehen, müsste näher darauf
eingegangen werden, was aber nicht möglich ist. Für das vorliegende Thema ist es
lediglich wichtig zu wissen, dass es in diesem Konflikt auch um die Vielschichtigkeit
der Ivorischen Kultur geht.
36
Abbilung 1: Ethnien der Elfenbeinküste
37
In der Elfenbeinküste leben nicht weniger als 60 grundverschiedene Ethnien auf
einem Gebiet zusammen, das ein wenig kleiner ist als das der Bundesrepublik
Deutschland. Neben der Amtsprache Französisch (die aus der Kolonialzeit resultiert)
bestehen 70 verschiedene Landessprachen. Die Fußballnationalmannschaft ist aus
dieser komplizierten Ethnien-Konstellation zusammengestellt. Sicherlich ist dies ein
stabilisierender Faktor für das Land. Bis heute ist das Team der Elfenbeinküste eine
34
Vgl. Fußball Almanach, in: Spiegel Special, Nr.2 2006, Planet Fußball, Hamburg 2006, S.171.
35
Ebenda.
36
Vgl. Itzel, Ralf: Das Ende der Drogbamanie, in: Süddeutsche Zeitung WM Bibliothek, Die Fußball-
Welmeisterschaft 2006 Deutschland, München 2006, S..47.
37
http://www.abidjan.net/actualites/reportages/table_roude_paris/images/ethnies.jpg
[15.06.08]

19
Mischung der verschiedenen Landesstämme und Religionen, was innerhalb der
Mannschaft auch noch nie ein Problem war.
38
Im Landeskonflikt geht es darum, wer
ein ,,richtiger" Ivorer und wer ,,zugewandert" ist.
39
,,Dass Sport und Politik miteinander
nichts zu tun hätten, das ist kaum irgendwo eine so leere Behauptung wie im Lande
der Cote d´Ivoire",
40
stellt Fichtner weiterhin fest. Die Spieler fühlen sich seit dem
Bürgerkrieg zum Siegen verpflichtet, da sie wissen, dass ein Sieg die Menschen
glücklich macht und die ethnische Herkunft vergessen lässt. In der Tat kam das
öffentliche Leben im Lande in den Tagen nach der WM-Qualifikation für 2006 fast
zum Erliegen. Diskotheken hatten zwei Tage durchgehend geöffnet und sowohl im
Süden als auch im Norden wurde unablässig gefeiert.
41
Die Spieler bekundeten bei
der Siegesfeier öffentlich den Wunsch nach einer Aussöhnung des Landes, worauf
sich Verbandpräsident Anouma an den Staatspräsidenten Gbago wandte.
42
Obwohl
die militärische Abrüstung bis dahin schleppend verlief, kam doch ein
Friedensprozess in Gang, der auch von den Vereinten Nationen gefordert wurde.
Inwiefern der Fußball einen Anteil daran hatte ist nicht messbar, aber allein die
sportliche Qualifikation trug dazu bei, dass sich die vielen verfeindeten Ethnien als
Nation und somit als Ivorer fühlten und so agierten.
In Angola sieht es ähnlich aus. Nach 27 Jahren Bürgerkrieg und den
Korruptionsvorwürfen gegen den Präsidenten José Eduardo dos Santos ist es nicht
einfach, einen friedlichen Staat zu errichten.
43
Mit dem großen Ölvorkommen hat
Angola große (wirtschaftliche) Möglichkeiten, jedoch hat das Land bisher keine
Chance erhalten, sie zu nutzen.
44
Nach der ,,Hitliste"
45
von Transparency
International gehört das Land zu den zehn korruptesten der Welt. Während der
Erdölverkauf sich jährlich auf gut zehn Milliarden Dollar beläuft, müssen 90 Prozent
der Bevölkerung mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen.
46
Zur Einigung der
Nation soll hier ebenso der Fußball verhelfen.
38
Vgl. Fußball Almanach, in: Spiegel Special, Nr.2 2006, Planet Fußball, Hamburg 2006, S.152.
39
Vgl. Fichtner, Ullrich: Der Krieg der Elefanten, in: Spiegel Special, Nr.2 2006, Planet Fußball, Hamburg
2006, S.53.
40
Vgl.Ebenda.
41
Vgl. Fußball Almanach, in: Spiegel Special, Nr.2 2006, Planet Fußball, Hamburg 2006, S.152.
42
Vgl.Ebenda.
43
Vgl.Ebenda.
44
Vgl. Schmitz, Manfred: Doppelpass, Fußball und Politik in Angola, in: Afrika Süd, Zeitschrift zum südlichen
Afrika, Nr.3 Mai/Juni 2006, S.27.
45
Vgl.Ebenda.
46
Vgl.Ebenda.

20
Die Nationalmannschaften dienen in ganz Afrika als besonderes Symbol nationaler
Einheit. Jede Nation steht begeistert hinter ihren ,,Schwarzen Antilopen", ,,Super
Adlern" oder ,,Elefanten", verkennt jedoch ihre politische Instrumentalisierung. Umso
wichtiger ist es, dass Verbände und die internationale Politik von außen Stellung
beziehen, worauf später noch einzugehen ist.
47
47
Vgl. Ebenda.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836641722
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen – Philosophische Fakultät, Politische Wissenschaften
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,7
Schlagworte
fußball entwicklungspolitik sport afrika weltmeisterschaft
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Titel: Ist Fußball ein Mittel der Entwicklungspolitik?
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