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Spätabbrüche der Schwangerschaft bei pränatal diagnostizierter Behinderung und / oder Erkrankung des Fötus

Möglichkeiten und Grenzen der Sozialen Arbeit zwischen Recht auf Leben und Recht auf Selbstbestimmung

©2005 Diplomarbeit 93 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Relevanz des Themas:
‘217 Fälle von Zweifel und Leid’, titelte die Berliner Tageszeitung ‘taz’ im November 2004. Gemeint waren die 217 Schwangerschaftsabbrüche jenseits der 23. Schwangerschaftswoche, sogenannte ‘Spätabbrüche’, deren Anzahl das Statistische Bundesamt für das Jahr 2003 bekanntgegeben hatte.
Vorausgegangen ist solchen späten Abtreibungen eine schwierige und konfliktträchtige Zeit der Entscheidung für die betroffenen Schwangeren und ihre Partner. Die pränatale Diagnostik, heute weitestgehend zur Routine in der ärztlichen Schwangerenvorsorge gehörend, bietet die Möglichkeit, eine Vielzahl von Behinderungen und Erkrankungen des Ungeborenen bereits vorgeburtlich festzustellen. Therapien für diese erkennbaren Behinderungs- und Erkrankungsbilder gibt es bislang kaum. Wird eine Auffälligkeit entdeckt und ergibt sich durch weitere Untersuchungen eine Diagnose, kann dies eine medizinische Indikation zur Abtreibung darstellen. Die Frauen und Paare stehen dann vor der Entscheidung, ob sie dieses Kind austragen wollen oder die Schwangerschaft abbrechen. Da viele der Untersuchungen erst zu einem relativ späten Zeitpunkt während der Schwangerschaft, zu dem das Ungeborene in seiner Entwicklung bereits weit fortgeschritten ist, durchgeführt werden können, bedeutet ein Schwangerschaftsabbruch in diesem Stadium eine künstlich eingeleitet Totgeburt. Ermöglicht wird diese späte Abtreibung durch den §218a StGB, der die Straflosigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs für die Fälle vorsieht, in denen die Austragung den körperlichen oder geistigen Gesundheitszustand der Frau beeinzuträchtigen droht. Dazu zählt auch die erwartete psychische Belastung durch ein behindertes Kind.
Die letztlich bei den Eltern liegende Entscheidung für oder gegen diesen späten Schwangerschaftsabbruch bei diagnostizierter Behinderung oder Erkrankung des Ungeborenen erleben viele der Betroffenen als großen Konflikt. Während den Frauen als Patientinnen kaum Verantwortung für das Vorsorge- und Untersuchungsgeschehen zukommt, sollen sie im Falle einer festgestellten Erkrankung oder Behinderung des Ungeborenen plötzlich allein die Verantwortung für das weitere Vorgehen tragen. Die vielfältigen medizinischen, psychologischen, emotionalen, sozialen und natürlich ethischen Fragen, die dieser Entscheidungsprozess aufwirft, und die letztendliche Entscheidung über Leben und Tod des bislang erwünschten Ungeborenen können die Frauen und ihre Partner stark belasten […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Relevanz des Themas
1.2 Fragestellung und Kapitelübersicht
1.3 Eigener Zugang

2. Medizinische Grundlagen
2.1 Nicht-invasive Methoden
2.1.1 Ultraschall
2.1.2 Serumtest
2.2 Invasive Methoden
2.2.1 Chorionzottenbiopsie
2.2.2 Amniozentese
2.2.3 Cordozentese
2.3 Zusammenfassung

3. Entscheidungsprozess
3.1 Das Arzt/Ärztin-Patientin-Verhältnis
3.2 Die Diagnoseeröffnung
3.3 Die Information über den Verlauf des Spätabbruchs
3.4 Der Zeitdruck
3.5 Die Ängste und Vorurteile
3.6 Der Einfluss des Partners
3.7 Der Einfluss seitens der Familie und des sozialen Umfeldes
3.8 Der gesellschaftliche Einfluss
3.9 Zusammenfassung

4. Der Spätabbruch
4.1 Der Ablauf
4.2 Überlebende Föten
4.3 Fetozid
4.4 Nach dem Abbruch
4.4.1 Das Erleben des Spätabbruchs
4.4.2 Das Fällen der Entscheidung
4.4.3 Die mangelnde Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der PND
4.4.4 Der erschwerte Trauerprozess
4.4.5 Die Auswirkung auf die Partnerschaft und soziale Kontakte

5. Rechtliche Grundlagen
5.1 Überblick über die Entwicklung des §218 StGB
5.2 Rechtlicher Status des Ungeborenen
5.3 Aktuelle rechtliche Regelung
5.4 Politische Reformdiskussion
5.4.1 CDU/CSU
5.4.2 SPD und Bündnis 90/Die Grünen
5.4.3 Bundesärztekammer und Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)
5.4.4 Forderungskatalog

6. Ethisch-moralische Grundlagen
6.1 Ethische Begründung der Zulässigkeit von Spätabbrüchen
6.1.1 Utilitaristischer Ansatz
6.1.2 Teilbarkeit von Personalität und Menschenrechten
6.1.3 Wahrnehmung von Lebenszufriedenheit aus der Außenperspektive
6.1.4 Unbegrenztes Recht der Eltern auf Selbstbestimmung
6.2 Ethische Begründung der Ablehnung von Spätabbrüchen
6.2.1 Normativ-deontologischer Ansatz
6.2.2 Unteilbarkeit von Personalität und Menschenrechten
6.2.3 Wahrnehmung von Lebenszufriedenheit aus der Innenperspektive
6.2.4 Begrenztes Recht der Eltern auf Selbstbestimmung

7. Beratungssituation und Möglichkeiten der Sozialen Arbeit
7.1 Derzeitige Beratungssituation
7.2 Psychosoziale Beratung
7.3 Interdisziplinäre Beratung

8. Psychosoziale Beratung im Modellprojekt
8.1 Anforderungen an die psychosoziale Beratung
8.2 Aufgabenfelder der psychosozialen Beratung im Kontext von PND
8.2.1 Psychosoziale Beratung nach auffälligem Befund
8.2.2 Psychosoziale Beratung nach der Entscheidung für die Fortsetzung der Schwangerschaft
8.2.3 Psychosoziale Beratung nach der Entscheidung zum Spätabbruch
8.2.4 Psychosoziale Beratung nach dem Spätabbruch
8.2.5 Fazit des Modellprojektes

9. Zusammenfassung und Ausblick

10. Glossar

11. Literaturverzeichnis

Wer eine Entscheidung fällen muß,

muß eine Entscheidung fällen können.

(Hille Haker)

1. Einleitung

1.1 Relevanz des Themas

„217 Fälle von Zweifel und Leid“, titelte die Berliner Tageszeitung „taz“ im November 2004.[1] Gemeint waren die 217 Schwangerschaftsabbrüche jenseits der 23. Schwangerschaftswoche, sogenannte „Spätabbrüche“, deren Anzahl das Statistische Bundesamt für das Jahr 2003 bekanntgegeben hatte.[2]
Vorausgegangen ist solchen späten Abtreibungen eine schwierige und konfliktträchtige Zeit der Entscheidung für die betroffenen Schwangeren und ihre Partner. Die pränatale Diagnostik, heute weitestgehend zur Routine in der ärztlichen Schwangerenvorsorge gehörend, bietet die Möglichkeit, eine Vielzahl von Behinderungen und Erkrankungen des Ungeborenen bereits vorgeburtlich festzustellen. Therapien für diese erkennbaren Behinderungs- und Erkrankungsbilder gibt es bislang kaum. Wird eine Auffälligkeit entdeckt und ergibt sich durch weitere Untersuchungen eine Diagnose, kann dies eine medizinische Indikation zur Abtreibung darstellen. Die Frauen und Paare stehen dann vor der Entscheidung, ob sie dieses Kind austragen wollen oder die Schwangerschaft abbrechen. Da viele der Untersuchungen erst zu einem relativ späten Zeitpunkt während der Schwangerschaft, zu dem das Ungeborene in seiner Entwicklung bereits weit fortgeschritten ist, durchgeführt werden können, bedeutet ein Schwangerschaftsabbruch in diesem Stadium eine künstlich eingeleitet Totgeburt. Ermöglicht wird diese späte Abtreibung durch den §218a StGB, der die Straflosigkeit eines Schwangerschafts-abbruchs für die Fälle vorsieht, in denen die Austragung den körperlichen oder geistigen Gesundheitszustand der Frau beeinzuträchtigen droht. Dazu zählt auch die erwartete psychische Belastung durch ein behindertes Kind.

Die letztlich bei den Eltern liegende Entscheidung für oder gegen diesen späten Schwangerschaftsabbruch bei diagnostizierter Behinderung oder Erkrankung des Ungeborenen erleben viele der Betroffenen als großen Konflikt. Während den Frauen als Patientinnen kaum Verantwortung für das Vorsorge- und Untersuchungsgeschehen zukommt, sollen sie im Falle einer festgestellten Erkrankung oder Behinderung des Ungeborenen plötzlich allein die Verantwortung für das weitere Vorgehen tragen. Die vielfältigen medizinischen, psychologischen, emotionalen, sozialen und natürlich ethischen Fragen, die dieser Entscheidungsprozess aufwirft, und die letztendliche Entscheidung über Leben und Tod des bislang erwünschten Ungeborenen können die Frauen und ihre Partner stark belasten oder auch überfordern. Die Brisanz des Themas spiegelt sich auch in der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion um den Spätabbruch wieder, die sich um die zentrale Frage der Abtreibung dreht: In welchem Verhältnis steht das Recht auf Selbstbestimmung der Eltern zum Recht auf Leben des Ungeborenen?

Originäre Aufgabe der Sozialen Arbeit ist es, Hilfe zur Lösung von Konflikten und Problemen von Menschen zu leisten, wenn die Betroffenen diese allein nicht bewältigen können oder wenn sie diese als Überforderung wahrnehmen.[3] Im Konflikt um die Frage der Fortführung oder des Abbruchs der Schwangerschaft kann die Soziale Arbeit durch psychosoziale Beratung einen Beitrag leisten, die Frauen und Paare beim Finden einer auch in Zukunft für sie tragbaren Entscheidung zu unterstützen, die ihren individuellen Lebensumständen entspricht und die auf der Grundlage fundierter Informationen getroffen wurde.

1.2 Fragestellung und Kapitelübersicht

Frauen und Paare, die über die Austragung oder die Spätabtreibung ihres Ungeborenen entscheiden müssen, sind mit einer Vielzahl von Fragestellungen aus Medizin, Recht und Politik, Psychologie und Ethik konfrontiert. Die Annahme, die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt, ist, dass Betroffene umfassende Informationen und Hilfsangebote für ihren Entscheidungsprozess benötigen, um später mit ihrer Entscheidung leben und sie in die eigene Biografie integrieren zu können.

Das bisherige Beratungsangebot scheint angesichts der Komplexität der Fragestellung vielfach unzureichend. Eine zentrale Frage dieser Arbeit ist daher, wie die Soziale Arbeit im Rahmen der psychosozialen Beratung die Betroffenen dabei unterstützen kann, in dieser schwierigen Situation eine Lösung zu finden, die sie selbst nachhaltig akzeptieren können.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es,

- einen Überblick über die im Zusammenhang mit der Pränataldiagnostik wichtigen medizinischen, rechtlichen und ethisch-moralischen Aspekte zu geben und den Ablauf des Entscheidungsprozesses sowie des Spätabbruchs selbst aufzuzeigen. Es sollen also diejenigen inhaltlichen Grundlagen dargestellt werden, die für die Information und Aufklärung der Betroffenen aber auch für die psychosoziale Beratung von Bedeutung sind
- die derzeitige Beratungssituation darzustellen und im Anschluss daran aufzuzeigen, welche Rolle die Soziale Arbeit im Rahmen psychosozialer und interdisziplinärer Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik einnehmen kann.

Die vorliegende Arbeit beleuchtet das Thema „Spätabbruch“ aus verschiedenen Perspektiven. In Kapitel 2 werden zunächst die medizinischen Grundlagen der pränatalen Diagnostik dargestellt. Der Entscheidungsprozess der betroffenen Frauen und Paare sowie die dabei relevanten Einflussfaktoren werden in Kapitel 3 erläutert. Kapitel 4 schildert den Ablauf eines Spätabbruchs. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der späten Abtreibung gemäß §218 StGB sowie unterschiedliche Reformbestrebungen werden in Kapitel 5 dargestellt. Kapitel 6 widmet sich den zu Grunde liegenden Fragen und Standpunkten bezüglich der ethischen Zulässigkeit des Spätabbruchs. Das derzeitige Beratungsangebot im Zusammenhang mit der PND sowie die Möglichkeiten der Sozialen Arbeit werden in Kapitel 7 diskutiert. Kapitel 8 stellt die Anforderungen und Aufgaben der psychosozialen Beratungsarbeit im Detail an Hand eines Modellprojekts des Bundesfamilienministeriums dar. Kapitel 9 gibt eine Zusammenfassung und einen Ausblick.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden im Text Berufsbezeichnungen in der weiblichen Form mit einem großen I, wie z.B. BeraterInnen, verwendet. Gemeint sind somit auch jeweils die männlichen Vertreter dieser Berufe. Des Weiteren wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff „Eltern“ sowohl für jene Paare verwendet, die bereits Kinder haben, als auch für solche, die sich in der Schwangerschaft befinden - unabhängig davon, ob diese letztlich ausgetragen oder durch einen Spätabbruch beendet wird.
Begriffe, die mit einem * gekennzeichnet sind, werden im Glossar erläutert.

1.3 Eigener Zugang

Die Idee zu dieser Arbeit entstand im Rahmen meiner langjährigen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die schwere Formen geistiger und/oder körperlicher Behinderungen aufweisen. Als ich dort ein Ehepaar kennenlernte, das sich entschieden hatte, seine Tochter trotz der pränatalen Diagnose einer Chromosomenanomalie zur Welt zu bringen, machte mir meine eigene Überraschung darüber die Seltenheit dieser Entscheidung bewusst. Die Einstellung, eine Schwangerschaft nach einem pränatal erhobenen positiven Befund abbrechen zu wollen, war in Diskussionen mit KollegInnen und Bekannten stets deutlich stärker vertreten. Und auch die erste Reaktion vieler Menschen im Umkreis dieser Familie war Unverständnis für die Entscheidung, da es doch „vermeidbar“ gewesen wäre, das Kind mit seiner geistigen und körperlichen Entwicklungsbeeinträchtigung zu bekommen. Doch für die Eltern war dieses Ungeborene nicht mehr „vermeidbar“, und trotz der Trauer darüber, dass es nicht gesund war, haben sie sich nicht zum Abbruch der Schwangerschaft entschieden. Diese Eltern, die sich trotz eines pränatalen Befundes für ihr Kind entscheiden konnten und ihre Tochter, die mit ihrer Lebensfreude und ihrem Entdeckungsdrang so ansteckend wie alle Kinder ist und deren Existenz weder für ihre Eltern noch für sie selbst als „Zumutung“ erscheint, haben mein Interesse am Thema „Spätabbruch“ gefestigt.
Nicht zuletzt ist es aber auch die eigene potenzielle Betroffenheit, die mich dazu brachte, mich dem Thema Pränataldiagnostik und den damit verbundenen Konsequenzen zu nähern. Was hätte ich selber im oben beschriebenen Fall gemacht?, habe ich mich gefragt. Ob in der Familie oder im Freundeskreis, in den Medien oder in der eigenen zukünftigen Familienplanung- am Thema Pränataldiagnostik führt kein Weg mehr vorbei. Die technischen Möglichkeiten der Medizin können aber auch schwerwiegende Entscheidungen verlangen, so dass es sinnvoll ist, sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen, um ausreichend informiert und ohne Druck zu entscheiden, ob und mit welchem Ziel man diese Möglichkeiten nutzen möchte.

2. Medizinische Grundlagen

Die moderne Medizin bietet schwangeren Frauen heutzutage eine Vielzahl diagnostischer Möglichkeiten und Verfahren, mit denen Fehlbildungen, Chromosomenanomalien*, Erbkrankheiten und Stoffwechselerkrankungen des Fötus* zu unterschiedlichen Zeitpunkten während der Schwangerschaft erkannt werden können. Diese stehen jedoch im Kontrast zu den bislang nur geringen therapeutischen Interventionsmöglichkeiten.[4] Ist eine Behinderung oder Erkrankung des Ungeborenen diagnostiziert, geraten die Frauen und Paare daher in den Konflikt, eine Entscheidung über die Austragung des Kindes oder einen Schwangerschaftsabbruch zu treffen.

Die Pränataldiagnostik (PND) ist mittlerweile zur Routine in der ärztlichen Schwangerenvorsorge geworden: Die Mutterschaftsrichtlinien*, erarbeitet vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zur Regelung der gynäkologischen Schwangerenvorsorge, empfehlen drei Ultraschall-Untersuchungen während der Schwangerschaft, und auch ein Blutserum-Test und Fruchtwasseruntersuchungen sind zu einem festen Bestandteil der Vorsorge geworden.[5]

Bei der PND wird grundsätzlich zwischen nicht-invasiven und invasiven (in den Körper der schwangeren Frau eingreifenden) Methoden unterschieden. Letztere sind verknüpft mit dem Risiko eines eingriffbedingten Aborts*.[6] Ergibt eine nicht-invasive Untersuchung bei den niedergelassenen GynäkologInnen einen auffälligen Befund*, erfolgt eine Überweisung der Schwangeren zu einer pränatadiagnostischen Praxis oder einer entsprechenden Klinik-Abteilung, um dort weitere, meist invasive Untersuchungen vorzunehmen und zuverlässigere Ergebnisse über das Vorliegen einer Behinderung oder Erkrankung beim Fötus zu gewinnen. Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über die derzeitig gängigen Methoden der Pränataldiagnostik sowie deren Indikationen, Risiken und Aussagekraft.

2.1 Nicht-invasive Methoden

Zu den nicht-invasiven Methoden der pränatalen Diagnostik zählen der Ultraschall und die Entnahme mütterlichen Blutes für Serum-Tests.

2.1.1 Ultraschall

Bei einer Ultraschall-Untersuchung (Sonographie) werden Schallwellen durch die Bauchdecke der Schwangeren gesandt. Die vom embryonalen*/fötalen* Gewebe zurückreflektierten Wellen werden am Monitor in zwei-, seltener in dreidimensionale Bilder[7] umgesetzt. In den Mutterschaftsrichtlinien wird für jedes Schwangerschafts-drittel jeweils eine Ultraschalluntersuchung empfohlen:

1. Ultraschall: 9.- 12. Schwangerschaftswoche
2. Ultraschall: 19.- 22. Schwangerschaftswoche
3. Ultraschall: 29.- 32. Schwangerschaftswoche[8]

Für die sonographischen Untersuchungen bestehen je nach Zeitpunkt der Inanspruchnahme folgende Gründe:

- Feststellung der Schwangerschaft
- Ausschluss einer Bauchhöhlen- oder Eileiterschwangerschaft
- Erkennen von Mehrlingsschwangerschaft
- Kontrolle von Wachstum und Herztätigkeit
- Bestimmung von Sitz und Struktur der Plazenta*, der Fruchtwassermenge und der Kindslage
- Untersuchung des Blutflusses in Nabelschnur, Plazenta und fötalen Gefäßen
- Vorbereitung und Überwachung von invasiven Eingriffen wie z.B. Amniozentese*
- Suche nach Fehlbildungen[9]

Im Zeitraum der 12.-14. Schwangerschaftswoche (SSW) kann sonographisch die sogenannte Nackentransparenzmessung durchgeführt werden. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich eine physiologische* Flüssigkeitsansammlung (Ödem) unter der Nackenhaut des Ungeborenen, die sich später wieder zurückbildet. Diese Verdickung wird am Ultraschallmonitor millimetergenau vermessen. Untersuchungen haben ergeben, dass beim Vorliegen einer Trisomie, also dem dreifachen anstatt zweifachen Vorkommen eines Chromosoms im Chromosomensatz wie zum Beispiel bei der als Down-Syndrom bekannten Trisomie 21, dieses Ödem besonders ausgeprägt sein kann.[10]

Gesundheitsschädigende Risiken für die Schwangere oder den Fötus durch Ultraschall-Untersuchungen sind bislang nicht bekannt.[11] Trotzdem weisen KritikerInnen darauf hin, dass sie auch nicht auszuschließen seien: „Der ehemalige WHO-Repräsentant für Geburtshilfe, Dr. med. Marsden Wagner, warnte auf einem Gynäkologenkongress: >Alle Ärzte, die den Ultraschall in der Schwangerschaft sowohl teratogen (=Fehlbildungen erzeugend) als auch genetisch als absolut unbedenklich einstufen, sollten öfter daran denken, dass es auch bei den Röntgenstrahlen 50 Jahre gedauert hat, bis iatrogene (=durch ärztliche Maßnahmen entstandene) Schäden nachgewiesen werden konnten.<“ (Einfügungen im Original, d. Verf.)[12]

Als Nachteile des Ultraschalls gelten für die Frauen neben den körperlichen Unannehmlichkeiten oder Schmerzen durch Vaginal-Ultraschall auch die seelischen Belastungen, insbesondere durch das Auslösen einer Reihe von Diagnoseverfahren nach auffälligem Befund. Für das Ungeborene ergibt sich durch die Beschallung durch die Bauchdecke ein hoher Geräuschpegel und eine geringe Wärmeentwicklung, die derzeit aber als gesundheitlich unbedenklich für den Fötus eingestuft werden.[13]

2.1.2 Serumtest

Durch die Entnahme mütterlichen Blutes kann zwischen der 16. und 18. SSW ein Serumtest durchgeführt werden. Durch die Bestimmung von biochemischen Markern im Serum der Blutprobe kann unter Berücksichtigung von weiteren Faktoren, wie z.B. dem Schwangerschaftsalter und dem Körpergewicht der Frau, eine individuelle statistische Wahrscheinlichkeitsberechnung für das Vorliegen einer Behinderung beim Fötus erstellt werden.[14]

Die gegenwärtig am häufigsten eingesetzten Serum-Tests sind der AFP*-Test, der allein die Konzentration dieses Proteins im mütterlichen Blut als Ausgangsbasis für die Berechnungen nutzt, und der Triple-Test, der neben dem AFP-Wert auch die Konzentration der Hormone b- HCG* und Östriol* zur Analyse heranzieht.[15]

Die Risikoberechnung konzentriert sich insbesondere auf die statistische Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Trisomie 21 und eines Neuralrohrdefektes*, darüber hinaus auch auf Fehlbildungen der Bauchdecke sowie von Blase, Niere und anderen inneren Organen. Die Ergebnisse der Serum-Tests sind lediglich statistische Berechnungen des individuellen Risikos anhand ausgewählter Parameter. Sie ermöglichen keine Diagnose und sagen nichts über den tatsächlichen Zustand des Fötus aus. Die heftigste Kritik an den Blutserum-Tests betrifft daher ihre Ungenauigkeit: Die Zuverlässigkeit des Ergebnisses bezüglich des Vorliegens eines Neuralrohrdefektes wird in der Literatur mit 60%-90% angegeben, hinsichtlich einer Chromosomenaberration* (hauptsächlich dem Down-Syndrom) liegt sie bei 50%-65%.[16]

Es liegen keine speziellen Indikationen für den Einsatz dieses Tests vor, vielmehr hat sich der Triple-Test in der ärztlichen Schwangerenvorsorge mittlerweile als Routinemaßnahme etabliert. Als nachteilig wird neben den möglichen falsch-positiven* und falsch-negativen* Ergebnissen und deren psychischen Auswirkungen das mögliche Auslösen invasiver Diagnostik und den damit verbundenen Risiken und Ängsten gesehen.[17]

2.2 Invasive Methoden

An die non-invasiven Methoden schließen sich nach auffälligen Befunden zumeist die invasiven Methoden der pränatalen Diagnostik an, die mit einem Eingriff in die Gebärmutter der Schwangeren verbunden sind. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen lassen verlässlichere Aussagen über den Zustand des Fötus zu, da hier hauptsächlich fötale Zellen entnommen und anschließend untersucht werden. Gegenwärtig angewandte Methoden der invasiven Diagnostik sind die Chorionzottenbiopsie, die Amniozentese (Fruchtwasserpunktion) und die Cordozentese (Nabelschnurpunktion).

2.2.1 Chorionzottenbiopsie

Bei der Chorionzottenbiopsie wird mittels einer Hohlnadel durch die Bauchdecke der Frau Gewebe aus dem Chorion frondosum (ein zottiges Gewebe, welches in den ersten Schwangerschaftswochen den Embryo samt Fruchthülle umschließt und aus dem später die Plazenta hervorgeht) entnommen. Diese Entnahme kann ab der 11. SSW durchgeführt werden. Aus dem gewonnenen Gewebe werden eine Kurzzeitkultur, deren Ergebnisse nach einem Tag vorliegen, und eine Langzeitkultur, deren Resultate nach zwei bis drei Wochen vorliegen, angelegt. Erkannt werden können mit dieser Methode das Vorliegen von Chromosomenveränderungen und bei gezielter Suche durch DNA- oder biochemische Analyse auch das Auftreten einer vererbbaren Erkrankung der Muskeln oder des Stoffwechsels. Darüber hinaus ermöglicht die Gewebeuntersuchung die Bestimmung des Geschlechts des Ungeborenen.[18]

Die Risiken und Nachteile der Chorionzottenbiopsie sind vielfältig. Neben möglichen Schmerzen und Blutungen nach dem Eingriff besteht vor allem das Risiko einer durch die Untersuchung ausgelösten Fehlgeburt von 3,5 - 7,2 Prozent (Das natürliche Fehlgeburtsrisiko liegt während dieser Phase der Schwangerschaft bei 2,5 - 4 Prozent).[19] In seltenen Fällen können durch den Eingriff Fehlbildungen an Fingern, Zehen, Zunge und Unterkiefer des Fötus entstehen. Ein weiteres Risiko besteht in der Gefahr der Blutgruppenunverträglichkeit bei Schwangeren mit negativem Rhesusfaktor*, gegen die medikamentös vorgebeugt werden muss. Als nachteilig werden auch die Möglichkeit eines Mosaikbefundes* und des unklaren Befundes aufgrund Beimischung mütterlicher Zellen bewertet, die jeweils kein eindeutiges Ergebnis zulassen. Hier erfolgt zumeist eine Wiederholung des Eingriffs oder eine Amniozentese. Bestimmte Erkrankungen und Fehlbildungen wie z.B. Neuralrohrdefekte können mit dieser Methode nicht erkannt werden.

2.2.2 Amniozentese

Bei der Amniozentese, auch Fruchtwasseruntersuchung genannt, werden kindliche Zellen, die im Fruchtwasser schwimmen, entnommen. Für die Entnahme von 10-20 ml Fruchtwasser wird unter örtlicher Betäubung und Ultraschallüberwachung eine Hohlnadel durch die Bauchdecke der Frau in die Fruchtblase gestochen. Dieser Eingriff wird zumeist zwischen der 15. und 18. SSW vorgenommen.[20]

Aus den gewonnenen Zellen werden im Labor Kulturen angelegt, deren Zellkerne anschließend untersucht werden. Nach zwei bis drei Wochen liegt das Ergebnis der daraus vorgenommenen Chromosomenanalyse oder der DNA-Analyse vor. Durch die Amniozentese lassen sich Chromosomenveränderungen, Hinweise auf einen Neuralrohrdefekt und das Auftreten einer erblich bedingten Behinderung oder Erkrankung des Stoffwechsels und der Muskeln feststellen.[21]

Die Indikationen für eine Amniozentese sind neben festgestellten Auffälligkeiten beim Ultraschall oder dem Triple-Test auch Chromosomenveränderungen bei früher geborenen Kindern des Paares, familiäre Disposition einer genetisch bedingten Erkrankung/ Behinderung, die Abklärung von Blutgruppenunverträglichkeiten, die generelle Suche nach Chromosomenveränderungen und die Altersindikation.[22]

Neben dem Fehlgeburtsrisiko, dessen Höhe bei 0,5-1 Prozent liegt, besteht auch die Gefahr von Schmerzen, Blutungen, Fruchtwasserverlust, Wehen und Infektionen bei der schwangeren Frau.[23] Sehr selten kommen beim Fötus auch Stichverletzungen durch die Nadel vor.[24] Die lange Wartezeit auf das Testergebnis bedeutet für die Frauen und Paare eine enorm hohe psychische Belastung. Falsch-positive (auffällige) Befunde sind bei der Amniozentese praktisch ausgeschlossen, falsch-negative (unauffällige) Befunde sind theoretisch möglich. Wie auch bei der Chorionzottenbiopsie sind Mosaikbefunde möglich, die keine eindeutigen Diagnosen zulassen. In diesem Fall wird meistens eine weitere Amniozentese angeraten, die mit den gleichen Risiken verbunden ist und erneut eine Wartezeit von zwei bis drei Wochen bis zum Ergebnis bedeutet.

2.2.3 Cordozentese

Die Cordozentese, auch Nabelschnurpunktion genannt, gilt als technisch sehr anspruchsvoller und aufwendiger Eingriff. Über eine Kanüle wird durch die Bauchdecke der Schwangeren die Nabelvene des Fötus punktiert, um 1-2 ml Blut zu entnehmen. Die Cordozentese kann ab der 21. SSW vorgenommen werden und dient der Feststellung von Chromosomenveränderungen, Neuralrohrdefekten und Infektions-, Stoffwechsel-, Blut- und Muskelerkrankungen, auch genetisch bedingter Art. Da Analysen aus Blutzellen schneller als aus Fruchtwasserzellen erstellt werden können, liegt das Ergebnis bereits nach wenigen Tagen vor. Das Fehlgeburtsrisiko wird in der Literatur unterschiedlich hoch beziffert, die Werte liegen dabei zwischen 1 und 7 Prozent.[25] Die Cordozentese ist derzeit die einzige Methode der PND, die neben der Diagnostik auf gleichem Wege auch eine pränatale Therapie ermöglicht.[26]

Weitere Gründe für die Durchführung der Nabelschnurpunktion sind unklare Befunde aus Chorionzottenbiopsie und Amniozentese sowie Auffälligkeiten im Ultraschall, Blutuntersuchungen des Ungeborenen und potenziell auf den Fötus übergehende und Fehlbildungen verursachende Infektionen der Schwangeren wie Röteln oder Toxoplasmose* während der Schwangerschaft.

Neben dem erwähnten Abortrisiko besteht auch hier die Gefahr von Blutungen und Schmerzen sowie das Risiko einer Rhesussensibilisierung*.

2.3 Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der heutige Stand der pränatalen Medizin ein großes Spektrum möglicher Erkrankungen oder Behinderungen am Fötus während der Schwangerschaft mehr oder minder zuverlässig erkennen lässt. Darin kann die Chance liegen, in wenigen Fällen bereits vorgeburtlich eine für das Ungeborene lebensrettende Therapie einzuleiten. Werdenden Eltern kann eine pränatal gestellte Diagnose einer Erkrankung oder Behinderung ihres Kindes auch helfen, sich schon vor dessen Geburt mit den auf sie zukommenden Besonderheiten und Beeinträchtigungen auseinanderzusetzen und sich auf diese einzustellen. Auch für das Geburtsmanagement, also die Planung einer für das Kind möglicherweise schonenderen, kontrollierten Geburt per Kaiserschnitt bei Vorliegen einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Fötus, ist die PND ein Hilfsmittel.

Andererseits besteht nur bei sehr wenigen vorgeburtlich erkennbaren Krankheiten eine Möglichkeit zur Therapie. Chromosomenveränderungen, Neuralrohrdefekte oder Erbkrankheiten sind nicht „heilbar“. Die Schwangere und ihr Partner werden durch das Auffinden einer solchen Behinderung oder Erkrankung des Ungeborenen plötzlich mit der Frage konfrontiert, ob sie die Schwangerschaft fortführen oder abbrechen möchten. Der schwierige Entscheidungsprozess, der den betroffenen Frauen und Paaren bevorsteht, soll im folgenden Kapitel näher erläutert werden.

3. Entscheidungsprozess

Nach einem pränatal erhobenen, pathologischen Befund steht den Frauen und Paaren eine konfliktreiche Zeit bevor. Sie müssen die schwerwiegende Entscheidung treffen, ob die Schwangerschaft, die bis dahin zumeist erwünscht war,[27] aufgrund der Diagnose abgebrochen oder fortgesetzt werden soll. Dieser Entscheidungsprozess ist von Beeinflussung unterschiedlichster Art geprägt und findet häufig unter Zeitdruck statt, der von den Frauen und Paaren subjektiv empfunden wird und der auch durch eine oft rasche Überweisung in die Klinik zum Abbruch entsteht. Wesentlich für die Überlegungen der betroffenen Frauen und Paare ist das klassische Arzt/Ärztin-Patientin-Verhältnis, die Art und Weise der Diagnoseeröffnung, der Stand der Information hinsichtlich der festgestellten Erkrankung oder Behinderung und hinsichtlich des Abbruchgeschehens sowie das Stattfinden von Beratung, deren inhaltliche Ausrichtung (im Kontext von PND werden medizinische, genetische und psychosoziale Beratung bzw. Information sowie Hebammenbegleitung angeboten) und deren Qualität. Darüber hinaus sind Faktoren wie der Zeitdruck und die Einflussnahme auf die Entscheidung seitens des Partners, der Familie, des sozialen Umfeldes und schließlich auch durch das gesellschaftliche Klima sowie die eigenen Vorurteile und Ängste von großer Bedeutung. Auch die eigenen Lebensperspektiven, die sich durch Austragung oder Abbruch der Schwangerschaft bieten und die Frage, wie sich die Entscheidung in die Lebensplanung integrieren lässt, sind zentrale Aspekte des Entscheidungsprozesses.

3.1 Das Arzt/Ärztin-Patientin-Verhältnis

Die Zeit der Schwangerschaft bedeutet auch immer eine Zeit der Ängste und Unsicherheit für die Frau und ihren Partner. In dieser Situation wirkt das Angebot der pränatalen Diagnostik, vermeintliche Sicherheit zu schaffen, verlockend. Schindele (1995) schreibt hierzu: „Schwangere Frauen finden sich heute in einem Gewirr von vermeintlichen Komplikationen und Risiken, die sie selbst häufig nicht überschauen können und möglicherweise auch nicht wollen. Deshalb neigen manche dazu, vorsichtshalber einfach alles wahrzunehmen, was die Medizin ihnen offeriert; so glauben sie, könnten sie ihrem Wunsch nach einem gesunden Kind näherkommen.“[28] Die Gynäkologie biete sich als Instanz an, Struktur und Orientierung zu finden und Verantwortung zu delegieren, so die Autorin weiter. Damit enteigneten sich die Frauen selbst ihres Körpers und ihrer Schwangerschaft. „In dem Maße, wie die Veränderungen in der Schwangerschaft den Frauen fremd geworden sind, sind sie auf die Erklärungen der Experten geradezu angewiesen, deren Autorität und Glaubwürdigkeit wiederum zum Teil auf der Unmündigkeit ihrer Patientinnen beruht.“[29]

Das Verhältnis zwischen den Patientinnen und ihren Partnern auf der einen Seite und dem Arzt oder der Ärztin auf der anderen ist, wie Lambeck (1992) beschreibt, „strukturell asymmetrisch zugunsten des Arztes“.[30] Kurmann (1999) bezeichnet es sogar als paternalistisches Verhältnis, aus dessen Machtgefälle resultiert, dass ein Hinweis von einem Arzt oder einer Ärztin zur bedeutungsvollen Empfehlung wird.[31] Dem Arzt oder der Ärztin wird demnach von vornherein eine außerordentlich hohe Kompetenz hinsichtlich des Ratschlages zur Inanspruchnahme der pränatalen Diagnostik, aber auch hinsichtlich eines Hinweises bezüglich der Fortführung der Schwangerschaft oder ihres Abbruchs zugeschrieben. Dieser kann die Entscheidung maßgeblich mit beeinflussen. Problematisch daran ist, dass aus ärztlicher Sicht vermehrt ein Anraten zum Abbruch der Schwangerschaft zu befürchten ist, um eventuellen Klagen auf Unterhalt zu vermeiden.[32] In der Vergangenheit haben mehrere Gerichtsurteile für Aufsehen gesorgt, in denen die behandelnden ÄrztInnen das Risiko einer Behinderung des Fötus als gering ansahen, schließlich aber doch Kinder mit Behinderungen zur Welt kamen. Den Klagen auf Schadensersatz und Unterhaltsanspruch seitens der Eltern wurde stattgegeben.[33] Dazu schreibt Tolmein (1999): „Die Schadenersatz-Rechtsprechung der Revisionsgerichte, die auch bei äußerst geringen Wahrscheinlichkeiten fordern, auf eine umfassende pränatale Diagnostik zu drängen, birgt in sich aber die Tendenz, die Geburt jedes Kindes mit zumindest theoretisch identifizierbarer angeborener Behinderung als Behandlungsfehler zu sehen.“[34] Auch dieser Hintergrund prägt das Verhältnis von Arzt oder Ärztin und schwangerer Patientin. Für die ÄrztInnen besteht also ein struktureller Anreiz, sich selbst abzusichern und den Betroffenen einen Schwangerschaftsabbruch nahezulegen. Von daher ist ein neutraler Rat, was nach einem auffälligen Befund geschehen soll, nicht immer gewährleistet. Die Schwangere aber wird meines Erachtens in diesem Moment kaum an eventuelle eigennützige Interessen der MedizinerInnen denken, sondern ihre Empfehlung als Ausdruck der fachlichen Kompetenz werten und dementsprechend in ihrer Entscheidung berücksichtigen.

3.2 Die Diagnoseeröffnung

Die beschriebene Asymmetrie in der Kommunikation zwischen ÄrztInnen und Patientinnen findet sich laut Lambeck (1992) in allen Bereichen der Arzt-Patienten-Interaktion, auch in der Mitteilung der Diagnose und der Bereitschaft zum Befolgen der ärztlichen Anweisungen und Empfehlungen. Neben der „Expertenmacht“, medizinisches Hintergrundwissen zu haben, während die Patientinnen Laien sind, besteht auf ärztlicher Seite auch die sogenannte „Definitionsmacht“, die insbesondere für die Diagnoseeröffnung von Bedeutung ist. „Der als Definitionsmacht bezeichneten Möglichkeit des Arztes kommt (...) eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu, da ärztliche Aussagen - sei es die bloße Diagnose oder der Versuch der Einschätzung der sozialen Folgen von Behinderung anhand sogenannter Krankheitswerte - ebensowenig wie andere auch wissenschaftliche Aussagen keineswegs wertneutral sein können. Es werden immer implizit oder auch explizit Bewertungen transportiert, die aber aufgrund des Definitionsmonopols in der asymmetrischen Gesprächssituation meist nicht problematisiert oder gemeinsam hinterfragt werden können. (...) Definiert der Arzt die Chancen des Kindes auf Entwicklung, Lebensmöglichkeiten etc. als gering, so werden die betroffenen Eltern ihre Situation als hoffnungs- und perspektivlos einschätzen.“[35]

Die eigenen Vorstellungen der ÄrztInnen, welches Leben lebenswert und welche Form von Erkrankung zumutbar für die Familie und das Ungeborene selbst sein sollen, beeinflusst die Art der Diagnoseeröffnung also wesentlich. Erfahrungsberichte von Frauen, bei deren Ungeborenen auffällige Befunde vorlagen, beschreiben häufig Aussagen von ÄrztInnen wie „Das ist eigentlich kein Mensch, eher etwas wie ein Vogel“ (nach sonographisch festgestellter Anencephalie)[36], „Es hat einen mißgebildeten Kopf und ist sowieso nicht lebensfähig. Sie können zur Abtreibung gleich hier bleiben“[37] oder ähnliches. Diese Urteile in der Schocksituation der Diagnosestellung haben einen erheblichen Einfluss auf die Bewertung der Situation durch die Schwangere und ihren Entschluss bezüglich eines Abbruchs. Nach solchen Befundmitteilungen werden von Frauen häufig Fremdheitsgefühle gegenüber dem heranwachsenden Leben berichtet, die Frauen beschreiben das Gefühl, „etwas Verkehrtes im Bauch“ zu haben, andere berichten, sich durch den Fötus plötzlich bedroht gefühlt zu haben, „wie von einem Tumor, den man möglichst schnell herausoperieren muss“.[38] Es ist daher anzunehmen, dass eine derart wertende Diagnoseeröffnung zu überstürzten Entscheidungen hinsichtlich eines Schwangerschaftsabbruchs führen kann. Haker (1998) stellt dazu fest: „Wenn nach einem Befund das medizinische Personal durch sein Verhalten suggeriert oder explizit nahelegt, daß die Schwangerschaft abgebrochen werden sollte, ist die Entscheidungsfreiheit massiv eingeschränkt, obwohl in einem rechtlichen Sinne nicht von Manipulation die Rede sein kann.“[39]

Schindele (1997) geht sogar davon aus, dass eine pathologische Diagnose für die Betroffenen einen normativen Charakter hat und fast zwangsläufig zum Schwangerschaftsabbruch führt: „Dieses Beispiel zeigt, dass ein medizinischer Befund in der Schwangerschaft, sei er durch genetische Tests festgestellt oder durch Ultraschall erhoben, normativen Charakter hat. Er kann in der konkreten Situation nicht überprüft werden. Das potentielle Kind ist eben noch kein Gegenüber, sondern es schrumpft zu einem nüchternen Krankheitsmerkmal zusammen, von dem man sich überfordert fühlt. (...) So hat sich ein Automatismus zwischen normabweichendem Befund und Abbruch eingebürgert, sogar oft unabhängig davon, wie gut oder schlecht die Prognose für das Kind ist.“[40]

Die Schockartigkeit der Diagnose wird erheblich durch den Umstand begünstigt, dass sich die schwangeren Frauen und ihre Partner offensichtlich bei Inanspruchnahme der PND nicht ausreichend über deren Ziele und inhärente Konsequenzen bewußt sind. Schindele (1997) betont, die schwangeren Frauen und ihre Partner nähmen vorgeburtliche Diagnoseverfahren nicht mehr als „... Werkzeuge der Auslese wahr, sondern mehr und mehr unter dem beschwörenden Aspekt: Damit es ein gesundes Baby wird!“.[41] Wird trotzdem eine Auffälligkeit beim Fötus diagnostiziert, trifft die Mitteilung die Betroffenen häufig unerwartet, die Möglichkeit eines auffälligen Befundes wird oftmals bis zum Vorliegen des Ergebnisses verdrängt und verleugnet.[42]

Baldus (2001) betont, dass die Eröffnung einer positiven Diagnose ein kritisches Lebensereignis für die prospektiven Eltern darstellt und ein zentraler Moment professionellen Handelns ist. Sie sollte daher „ausgewogen, einfühlsam und kompetent“ erfolgen.[43]

Die geringen therapeutischen Interventionsmöglichkeiten und die nach pathologischem Befund zwangsläufig anstehende Entscheidung über einen eventuellen Schwangerschaftsabbruch scheinen den Frauen und Paaren nicht hinreichend bekannt zu sein.[44] Feldhaus-Plumin (2005) stellt fest: „Der Zugang der Frauen zu Informationen ist unterschiedlich und hängt (...) auch von ihren Intentionen ab. Informationsquellen sind neben den MedizinerInnen meist die Medien, deren Darstellung von Pränataldiagnostik zur Überschätzung der pränataldiagnostischen Möglichkeiten führt, wenn sich Einzelbeispiele therapeutischer Erfolge für die Frauen als etablierte Verfahren darstellen.“[45] Dieser Widerspruch und die realen therapeutischen Optionen werden nach Ansicht von Schindele (1997) nicht ausreichend in der gynäkologischen Praxis beleuchtet. Vielmehr wird der selektive Charakter der PND sogar sowohl auf ärztlicher Seite als auch in der Wahrnehmung der Schwangeren ausgeblendet.[46] Auch die Fehleinschätzung, die PND könne gesunde Kinder garantieren, kann dazu führen, dass eine festgestellte Auffälligkeit beim Fötus die Schwangere und ihren Partner völlig überrascht und überfordert. Wesche (2001) geht davon aus, dass die Paare, insbesondere jedoch die Frauen, nach der Eröffnung der Diagnose oftmals unter Schock stehen und „nicht entscheidungsfähig“ sind.[47]

3.3 Die Information über den Verlauf des Spätabbruchs

Zum Zeitpunkt der Entscheidung für oder gegen die Austragung des Ungeborenen, bei dem eine Erkrankung oder Behinderung festgestellt wurde, sind viele der betroffenen Frauen und Paare nicht darüber informiert, wie ein Spätabbruch von statten geht.[48] Vielfach herrscht die Ansicht vor, er könnte ähnlich dem Abbruch einer Frühschwangerschaft schnell und komplikationslos durchgeführt werden, ohne dass die Frau viel davon mitbekommt. Dass eine künstlich eingeleitete Geburt bevorsteht, weiß ein Großteil der Frauen nicht, wenn sie ihre Entscheidung treffen. Schindele (1995) berichtet, dass einige dieser Frauen nach dem Informationsgespräch in der Klinik, in der der Abbruch durchgeführt werden sollte, „... am liebsten gleich wieder umgekehrt“ wären, als sie erfuhren, was ihnen bevorstand.[49]

3.4 Der Zeitdruck

Auch nach dem Wegfall der Fristenlösung bei embryopathischem Befund entscheiden Frauen und Paare über die Fortsetzung oder den Abbruch der Schwangerschaft unter Zeitdruck. Zum einen wird, wie Friedrich et al. (1998) feststellen, der Zeitdruck subjektiv wahrgenommen, da mit dem Fortschreiten der Schwangerschaft die physische und psychische Belastung des Abbruchs für die Betroffenen stärker erscheint.[50] Zum anderen kann auch das beschriebene Gefühl der Bedrohung durch den Fötus, der in der Phantasie der Frau zu einem monströsen Wesen werden kann, ein Faktor sein, der dazu führt, dass die Betroffenen eilig und unter Druck entscheiden.[51] Die gängige Praxis in vielen pränataldiagnostischen Zentren und gynäkologischen Praxen, nach Erhebung eines Befundes sofort einen Termin für die Abtreibung festzulegen, führt sicherlich ebenfalls dazu, dass die Schwangere und ihr Partner den verbleibenden knappen Zeitraum als „letzte Frist“ sehen, die Entscheidung zu überdenken. Dabei haben sie aber kaum Zeit, den Schock zu verarbeiten, die dadurch ausgelöste Krise zu bewältigen und sich auf den Entscheidungskonflikt einzulassen. Auch fehlt die Zeit, sich mit der Diagnose vertraut zu machen und eigene Informationen einzuholen, möglicherweise Kontakte zu Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen oder anderen Eltern herzustellen, die mit einem Kind mit einer solchen Behinderung oder Erkrankung leben, um so zu einer persönlichen und reflektierten Entscheidung zu kommen.[52]

Die mit zunehmender Schwangerschaftsdauer steigende Wahrscheinlichkeit, dass der Fötus die Abtreibungsprozedur womöglich überlebt, sieht Cramer (2002) als einen weiteren Grund für den Zeitdruck, unter dem Frauen und Paare ihre Entscheidung treffen. Allerdings ist fraglich, inwieweit die Betroffenen tatsächlich über diese Wahrscheinlichkeit informiert sind.[53]

Beutel (1996) beschreibt, dass „... die betroffenen Frauen und Paare unter schweren Entscheidungs- und Zeitdruck geraten, der mehr mit Angst und Schuldabwehr zu tun hat als mit medizinischer Notwendigkeit.“[54] Die „unerträgliche Entscheidung, für die es keine Hilfe und keinen Ausweg zu geben scheint“, wollen die Frauen und Paare seiner Ansicht nach so schnell wie möglich hinter sich bringen.[55]

Wesche (2001) sieht die mangelnde Auseinandersetzung der Frauen und Paare vor und während der Inanspruchnahme der Pränataldiagnostik mit deren möglichen Konsequenzen als Grund für den empfundenen zeitlichen Druck. Nach der Diagnose würde hektisch reagiert, anstatt ruhig abzuwägen. Dies, so die Autorin, ließe sich vor allem durch Beratung vor, während und nach pränataldiagnostischen Untersuchungen vermeiden.[56]

3.5 Die Ängste und Vorurteile

Wesentliche Motivation für die Inanspruchnahme pränataler Diagnoseverfahren, die auch durch die offensive Screening-Praxis* gefördert wird, ist neben der gewünschten “Garantie“ für ein gesundes Kind auch die Angst vor einem Kind mit Behinderung.[57] Latent bereits vorhandene eigene und fremdinduzierte Befürchtungen sollen durch die Diagnostik ausgeräumt werden, paradoxerweise rufen sie jedoch vermehrt sekundäre Ängste hervor: Zeigt sich ein Hinweis auf eine Entwicklungsabweichung beim Fötus, ergibt sich daraus als „einzig mögliche Strategie der Abwehr von Angst vor einem behinderten Kind“[58] die weitere, invasive Diagnostik, die wiederum eine angsterfüllte Wartezeit bedeutet.

Willenbring (1999) stellt weiterhin in ihrer Untersuchung fest, dass die Ängste vor einem Kind mit Behinderung allgemein gesellschaftlich anerkannt sind. Den Begriff der „Angst vor Behinderung“ sieht sie als Konstrukt, „das für viele Ängste, Unsicherheiten und individuelle Konflikte der jeweiligen Frau steht“, die auch einen psychosozialen Hintergrund haben.[59] Friedrich et al. (1998) stellen in ihrer Untersuchung fest, dass die Vorstellung, Berufsperspektiven und soziale Bezüge durch ein behindertes Kind zu verlieren, wesentliche Grundlage der Angst sind: „Unabhängig von ihrem Alter heben nahezu alle Frauen als zentralen Aspekt die Befürchtung hervor, nach der Geburt eines behinderten Kindes Ausbildungs- und Berufspläne aufgeben zu müssen. Damit gehen Sorgen und Ängste einher, die sozialen Bezüge und Identifikationsmöglichkeiten außerhalb der Familie zu verlieren und zu einer tradierten Lebensform gezwungen zu sein, die bestenfalls temporär, aber nicht auf Dauer tragbar wäre. Vor dem Hintergrund, dass Mütter im allgemeinen nach der Geburt eines Kindes zugleich mit den familiären Verpflichtungen und den Anforderungen der Berufswelt konfrontiert sind und ohnehin das Risiko einer erschwerten Rückkehr in das Berufsleben zu tragen haben, erscheint es ihnen nahezu unmöglich, den zusätzlichen Betreuungsaufwand zu bewältigen, der mit einem behinderten Kind verbunden ist. Viele Paare haben düstere Vorstellungen von einer lebenslangen Aufgabe und Verpflichtung.“[60] Weiterhin stellen die AutorInnen fest, dass die Vorstellung, ein Kind mit Behinderung zu bekommen, für die befragten Paare „... den Beginn einer bedrohlichen Dauerbelastung“ darstelle, die sie sowohl für sich selber als auch für das Kind als „... körperlich und psychisch erschöpfend“ antizipieren. Die meisten dieser Paare gehen zudem von einer lebenslangen „... Pflege- und Betreuungsrolle“ sowie von „... kaum zu bewältigenden materiellen Belastungen“ aus.[61]

Baldus (2001) beschreibt, dass trotz einer prinzipiellen Toleranz gegenüber Menschen mit Behinderung diese Haltung umschlägt, wenn es um die persönliche Betroffenheit in Form eines potenziellen Kindes geht: „Zuvor geäußerte positive und akzeptierende Einstellungen drohten unter der eigenen Betroffenheit plötzlich wegzukippen.“[62] Hintergrund für diese Ängste scheint die Annahme zu sein, ein Kind mit Behinderung würde eine schwerwiegende Belastung für die Partnerschaft und die Familie darstellen, an der diese zu scheitern drohen. Wie Baldus (2001) feststellt, sind diese Befürchtungen aus wissenschaftlicher Sicht dagegen nicht haltbar. Vielmehr habe sich gezeigt, so die Autorin, dass die Entdeckung einer ressourcenorientierten Perspektive aktive Bewältigungstrategien der Familien in den Vordergrund rücke und „... pathologische Zuschreibungen relativiere“.[63]

Jansen (1987) kommt in seinen Untersuchungen zu der Erkenntnis, dass der Informationsstand zu einzelnen Behinderungsarten in der Bevölkerung sehr gering ist. Dieser Mangel an Information führt seiner Ansicht nach zu „... emotional oft gefährlichen Vermutungen“, die die Vorstellungen von Behinderungsarten unvollständig und überwiegend negativ prägen. Geistige Behinderungen werden noch negativer wahrgenommen als körperliche Beeinträchtigungen. Allerdings werden auch starke physische Abweichungen (besonders das Gesicht betreffend) sehr negativ bewertet.[64] Auch Cloerkes (1985) kommt zu der Erkenntnis, dass nicht die absolute Schwere der Behinderung bei der negativen Beurteilung entscheidend ist, sondern das Ausmaß ihrer Sichtbarkeit.[65] So verwundert es nicht, dass insbesondere das Down-Syndrom, bei dem eine geistige Beeinträchtigung mit einer äußerlichen Sichtbarkeit einhergeht, für die meisten Frauen und Paare mit einem solchen Befund ein Grund für einen Abbruch darstellt.[66]

3.6 Der Einfluss des Partners

Der Einfluss des Partners der Schwangeren auf die Inanspruchnahme der Pränataldiagnostik und auf die Entscheidung über einen möglichen Schwangerschaftsabbruch ist in der Literatur nur unzureichend beschrieben. Friedrich et al. (1998) gehen davon aus, dass aufgrund der engen physischen Verbundenheit der Frau mit dem Ungeborenen die letztendliche Entscheidung über die Inanspruchnahme der Pränataldiagnostik allein bei der Frau zu liegen scheint. Der Partner verspüre die Grenzen seiner imaginativen und empathischen Fähigkeiten und befinde sich in einer labilen Position, da er zwar Verantwortung übernehmen wolle, sich aber aus Mangel der physischen Verbundenheit selbst nicht als Entscheidungsträger definiere.[67] Inwieweit sich diese Erkenntnisse auch auf den Entscheidungsprozess bezüglich eines Spätabbruchs übertragen lässt, ist allerdings unklar.

Die in der Untersuchung von Feldhaus-Plumin (2005) befragten GynäkologInnen und PränataldiagnostikerInnen bestätigen, dass die Frauen während der vorgeburtlichen Untersuchungen überwiegend alleine erscheinen und die Situation ohne ihren Partner bewältigen müssen.[68] Dennoch kann man davon ausgehen, dass der Einfluss des Partners darauf, ob ein auffälliger Befund zum Schwangerschaftsabbruch führen soll, erheblich sein kann. So geht aus den Interviews von Friedrich et al. (1998) hervor, dass viele Frauen, die pränataldiagnostische Untersuchungen vornehmen lassen, sich bei auffälligem Befund tendenziell für einen Abbruch entscheiden, weil der Partner im Vorfeld signalisiert hat, seine Unterstützung für den Fall, dass die Frau ein Kind mit Behinderung austragen will, zu verweigern.[69] In einer Untersuchung von Nippert (1998) gaben immerhin 55,5% der befragten Frauen als Motivation für die Inanspruchnahme der PND an, daß sie Sorge hätten, dass ihre Ehe/Partnerschaft die Belastung durch ein Kind mit Behinderung nicht verkraften würde.[70] Neben dem Partner der schwangeren Frau kommt auch ihrem weiteren sozialen Umfeld bei der Entscheidungsfindung Bedeutung zu.

3.7 Der Einfluss seitens der Familie und des sozialen Umfeldes

Aus den Interviews von Friedrich et al. (1998) geht hervor, dass auch das soziale Umfeld des Paares Einfluss auf die Inanspruchnahme der PND und die Entscheidung über das weitere Vorgehen nach pathologischem Befund hat. Dabei spielen sowohl tatsächlich geäußerte Ansichten und Bewertungen eine Rolle als auch die möglichen, zunächst nur in der Phantasie der Betroffenen vorgestellten Reaktionen von Familie, FreundInnen, NachbarInnen, Bekannten und KollegInnen. Eine der Interviewpartnerinnen sagte dazu: „Ich kann mir schon so Reaktionen vorstellen: >Was, ihr wußtet, das Kind ist mongoloid, und bekommt es trotzdem, seid ihr irgendwie bescheuert oder was? < (...) ich kann mir vorstellen, daß solche Reaktionen im Freundeskreis kommen oder auch im Kollegenkreis.“[71]

Willenbring (1999) stellt in ihrer Untersuchung ebenfalls fest, dass das Verhalten der Schwangeren im Entscheidungsprozess auch von Reaktionen aus dem Umfeld beeinflusst wird.[72] Viele der befragten Frauen befürchten negative Reaktionen aus ihrem sozialem Umfeld, wenn sie sich für ein Kind mit einer Behinderung oder Erkrankung entscheiden. Insbesondere der Meinung gleichaltriger Frauen, der Freundinnen, ihrer Schwestern oder Schwägerinnen, die möglicherweise selbst schon Erfahrungen mit der Pränataldiagnostik gesammelt haben, messen die Frauen einen hohen Stellenwert bei.[73] Aus den Interviews von Feldhaus-Plumin (2005) geht hervor, dass „... das psychosoziale Umfeld in Bezug auf die Entscheidungsprozesse im Kontext pränataler Diagnostik eine unterschiedlich stützende oder belastende Rolle spielen kann. In den Herkunftsfamilien sowie in den Familien des Partners erfahren die interviewten Frauen sowohl unterstützende als auch nicht-unterstützende Angebote. Gespräche und Ratschläge vor der Inanspruchnahme der Pränataldiagnostik, aber auch Sprach- und Hilflosigkeit im Falle eines Spätabbruches, sowie Unterstützung oder Ablehnung bis hin zum Rückzug bei der Entscheidung für die Austragung des Kindes mit Behinderung prägen den Einfluss des psychosozialen Umfeldes.“[74] Es ist daher anzunehmen, dass in diesem „... Zwiespalt zwischen eigenen Wünschen und den Erwartungen von außen“[75] der Einfluss des direkten sozialen Umfeldes erheblich sein kann. Eine möglicherweise erwogene Entscheidung für die Austragung eines Kindes mit Behinderung kann daher durch signalisierte mangelnde Unterstützung des sozialen Umfelds deutlich erschwert werden. Auch ein in Betracht gezogener Spätabbruch kann durch Ablehnung dieser Entscheidung auf seiten der FreundInnen und Familien der Betroffenen sehr erschwert werden. Auch der Glauben und die Religionszugehörigkeit können eine Rolle in der Entscheidung für oder gegen den Schwangerschaftsabbruch spielen.[76]

[...]


[1] Die Tageszeitung taz vom 12.11. 2004, S. 7

[2] vgl. Statistisches Bundesamt 2004. Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass die Definition „Spätabbruch“ in der Literatur unterschiedlich verwendet wird. Abweichend von der Bundesstatisik geht beispielsweise Feldhaus-Plumin (2005, S. 327) davon aus, dass alle Schwangerschaftsabbrüche jenseits der 12. Schwangerschaftswoche (SSW) als Spätabbrüche zu bezeichnen sind, bei Hofstätter (2000, S. 21) hingegen fallen erst Abbrüche ab der 20. SSW unter diese Definition.

[3] vgl. Staatl. Pädagogische Universität Wologda und Ev. Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe 2002, S. 234f

[4] vgl. Feldhaus-Plumin 2005, S. 27, Lammert et al. 2002, S. 24, Wüstner 2000, S. 172-173

[5] vgl. Schindele 1997, S. 12

[6] vgl. de Crespigny/Dredge 1993, S. 14, Feldhaus-Plumin 2005, S. 39f, Weigert 2001, S. 81ff,

[7] vgl. Feldhaus-Plumin 2005, S. 39: Diese Technik wird als sogenannter „Feinultraschall“ von PränataldiagnostikerInnen und SpezialistInnen eingesetzt.

[8] vgl. Feldhaus-Plumin 2005, S. 39

[9] vgl. de Crespigny/Dredge 1993, S. 28ff, Feldhaus-Plumin 2005, S. 39

[10] vgl. Feldhaus-Plumin 2005, S. 39, Weigert 2001, S. 67

[11] vgl. de Crespigny/Dredge 1993, S. 29

[12] Weigert 2001, S. 73

[13] vgl. de Crespigny/Dredge, S. 107ff

[14] vgl. Feldhaus-Plumin 2005, S. 41, Weigert 2001, S. 75

[15] vgl. Weigert 2001, S. 75

[16] vgl. Feldhaus-Plumin 2005, S. 41, Weigert 2001, S. 77

[17] vgl. Feldhaus-Plumin 2005, S. 41

[18] vgl. Feldhaus-Plumin 2005, S. 43f, Weigert 2001, S. 93

[19] vgl. de Crespigny/Dredge 1993, S. 134, Feldhaus-Plumin 2005, S. 44, Weigert 2001, S. 95

[20] vgl. Feldhaus-Plumin 2005, S. 42, Weigert 2001, S. 81

[21] vgl. Feldhaus-Plumin 2005, S. 42

[22] vgl. de Crespigny/Dredge 1993, S. 109, Feldhaus-Plumin 2005, S. 43: Die Altersindikation ergibt sich aus der Erkenntnis, dass das Risiko einer chromosomalen Abweichung beim Fötus einer 35jährigen Schwangeren statistisch gesehen genauso hoch ist, wie das Risiko einer Fehlgeburt durch Amniozentese (1%). Ist die Schwangere unter 35, ist also die Gefahr eines eingriffbedingten Aborts höher als die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer genetischen Abweichung beim Fötus.

[23] vgl. Feldhaus-Plumin 2005, S. 43

[24] vgl. Weigert 2001, S. 85

[25] vgl. ebd. S. 98, Feldhaus-Plumin 2005, S. 44

[26] vgl. Feldhaus-Plumin 2005, S. 27: Bei einer Rhesusunverträglichkeit des Ungeborenen kann über den beschriebenen Weg ein Blutaustausch durchgeführt werden oder es können Medikamente verabreicht werden. Weitere vorgeburtliche Therapien sind chirurgischer Natur und erfolgen unter hohem Risiko.

[27] Von der grundsätzlichen Erwünschtheit wird ausgegangen, weil die Schwangerschaft nicht innerhalb der ersten 12 Wochen gemäß der Fristenlösung zur Abtreibung bei sozialer Indikation abgebrochen worden ist.

[28] Schindele 1995, S. 86

[29] ebd. S. 89

[30] Lambeck 1992, S. 63

[31] vgl. Kurmann 1999, S. 13, Willenbring 1999, S. 247

[32] vgl. DGGG 2002, S. 35f, Hofstätter 2002, S. 320ff, Krieger 2002, S. 15, Schindele 1999, S.17

[33] vgl. Tolmein 1999, S. 50ff

[34] ebd. S. 51

[35] Lambeck 1992, S. 64

[36] Beutel 1996, S. 102

[37] Schindele 1995, S. 304

[38] Friedrich et al. 1998, S. 157-160

[39] Haker 1998, S. 235, vgl. a. Baumann-Hölzle/Kind 1998, S. 133

[40] Schindele 1997, S. 14: In dem erwähnten Beispiel entschied sich eine 38jährige Frau zu einem Schwangerschaftsabbruch nach dem Befund “xyy-Syndrom“, welches in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts als sogenanntes Verbrechersyndrom galt, da angeblich bei Kriminellen diese genetische Konstellation auffällig häufig aufgefunden worden war. Diese These ist inzwischen mehrfach wissenschaftlich widerlegt worden, heutzutage ist keine Auswirkung dieser Abweichung bekannt- dennoch befürchtete die Schwangere, dieses Kind „nicht mehr vorbehaltlos lieben zu können“ und entschied sich für eine Abtreibung.

vgl. a. Baumann-Hölzle/Kind 1998, S. 133, Feldhaus-Plumin 2005, S. 289

[41] Schindele 1997, S. 12

[42] Baldus 2001, S. 738: „Die negativen Implikationen werden in der Regel bis zur letztendlichen Konfrontation mit einem positiven Befund erfolgreich verdrängt.“, vgl. a. Friedrich et al. 1998, S. 116f

[43] vgl. Baldus 2001, S. 737

[44] vgl. Cramer 2002, S. 19, de Crespigny/Dredge 1993, S. 12, Willenbring 1999, S. 245

[45] Feldhaus-Plumin 2005, S. 227

[46] vgl. Schindele 1997, S. 13

[47] Wesche 2001, S. 14

[48] vgl. Cramer 2002, S. 20, Feldhaus-Plumin 2005, S. 197, Schindle 1997, S. 13, Wesche 2001 S. 14

[49] Schindele 1995, S. 309

[50] vgl. Friedrich et al. 1998, S. 166, Feldhaus-Plumin 2005, S. 220

[51] vgl. Baldus 2001, S. 744

[52] vgl. Cramer 2002, S. 20, Weiss 2001, S. 398

[53] vgl. Cramer 2002, S. 20

[54] Beutel 1996, S. 102

[55] ebd. S. 102

[56] vgl. Wesche 2001, S. 14

[57] vgl. Baldus 2001, S. 740

[58] Willenbring 1999, S. 245

[59] vgl. ebd. S. 227

[60] Friedrich et al. 1998, S. 99

[61] ebd. S. 100

[62] Baldus 2001, S. 742

[63] ebd. S. 742, vgl. a. Willenbring 1999, S. 50f

[64] vgl. Jansen 1987 zit. n. Willenbring 1999, S. 48f

[65] vgl. Cloerkes 1985 zit. n.Willenbring 1999, S. 49

[66] vgl. Wunder 2000, S. 69: Im Falle der Diagnose „Down-Syndrom“ entscheiden sich 95%-98% der Frauen und Paare für einen Schwangerschaftsabbruch, vgl. a. Bonfranchi 1995, S. 366

[67] vgl. Friedrich et al. 1998, S. 80

[68] vgl. Feldhaus-Plumin 2005, S. 225

[69] vgl. Friedrich et al. 1998, S. 93-96, Feldhaus-Plumin 2005, S. 240

[70] vgl. Nippert 1998, S. 160

[71] Friedrich et al. 1998, S. 102

[72] vgl. Willenbring 1999, S. 244

[73] vgl. ebd. S. 227f

[74] Feldhaus-Plumin 2005, S. 294

[75] vgl. ebd. S. 226

[76] vgl. ebd. S. 193

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783836636780
DOI
10.3239/9783836636780
Dateigröße
775 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Alice-Salomon Hochschule Berlin – Sozialarbeit / Sozialpädagogik
Erscheinungsdatum
2009 (Oktober)
Note
1,0
Schlagworte
schwangerschaftsabbruch spätabbruch pränataldiagnostik behinderung psychosoziale beratung
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Titel: Spätabbrüche der Schwangerschaft bei pränatal diagnostizierter Behinderung und / oder Erkrankung des Fötus
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