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Integrationsprobleme von Russlanddeutschen

©2009 Bachelorarbeit 69 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In dieser Bachelorarbeit setze ich mich mit dem Thema ‘Integrationsprobleme von Russlanddeutschen’ auseinander.
Durch meinen Namen wird dem Leser schnell klar, dass ich keine Deutsche bin. Ich bin aber auch keine Aussiedlerin, sondern russische Staatsbürgerin. Genau wie die Aussiedler, versuche ich mich seit vier Jahren in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Jetzt stehe ich am Ende meines Studiums und hatte die Möglichkeit für meine Bachelorarbeit ein Thema zu wählen, das mich sehr interessiert.
Obwohl viel über Russlanddeutsche, Spätaussiedler und Aussiedler diskutiert und auch in den Medien berichtet wird, wissen die wenigsten Einheimischen wer eigentlich hinter diesen Bezeichnungen steckt (siehe hierzu Anhang 02).
Der Begriff ‘Russlanddeutsche’ wird allgemein für die Nachfahren deutscher Kolonisten verwendet, die in den Nachfolgestaaten der UdSSR leben. Diese Bezeichnung wurde aus dem Russischen abgeleitet und hat keinen rechtlichen Status. Die Russlanddeutschen nennen sich in ihrem Herkunftsland ‘russkie nemcy’.
Als Aussiedler wird eine Person (hier ein ‘Russlanddeutscher’) bezeichnet, die als deutscher Staatsangehöriger oder Volkszugehöriger nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen ihr Herkunftsgebiet verlassen und im Bundesgebiet ihren ständigen Aufenthaltsort hat. Der Begriff des Aussiedlers wurde ab dem 01.01.1993 durch den Begriff des Spätaussiedlers ersetzt.
Um ein Verständnis dafür zu bekommen, aus welchen Gründen Russlanddeutsche nach Deutschland eingewandert sind bzw. einwandern und woher sie ihre deutschen Wurzeln haben, wird in Kapitel 1 erläutert, warum sich eine deutschstämmige Minderheit in Russland entwickelt und wie sie sich dauerhaft etablieren konnte.
Die Aussiedlung nach Deutschland wird in Kapitel 2 behandelt. Im Jahr 1950 lebten rund vier Millionen Deutsche außerhalb der alten Reichsgrenzen von 1937 im Osten Europas, ein Großteil von ihnen in der Sowjetunion. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet diese Menschen und ihre Nachkommen als ‘deutsche Volkszugehörige’. Sie sind berechtigt, als Aussiedler nach Deutschland einzureisen. Wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, erhalten sie die deutsche Staatsbürgerschaft und können verschiedene Integrationshilfen in Anspruch nehmen. Bisher sind über fünf Millionen Aussiedler mit ihren Familienangehörigen in die Bundesrepublik Deutschland eingewandert. Sie bilden die größte Gruppe mit […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Die deutschstämmige Minderheit in Russland
1.1 Die ersten Deutschen im Zarenreich
1.2 Der erste Weltkrieg und seine Folgen
1.3 Revolution und Bürgerkrieg
1.4 Epoche des Stalinismus
1.5 Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen
1.6 Entwicklungen bis zum Ende der UdSSR

2 Die Einreise nach Deutschland
2.1 Aussiedler - Die Einwanderung ab Mitte der 1980er Jahre
2.2 Spätaussiedler - Die Einwanderung ab Anfang der 1990er Jahre

3 Probleme bei der Integration der Russlanddeutschen
3.1 Mangelnde Sprachkenntnisse
3.2 Koloniebildung
3.3 Fehlende Schulabschlüsse und Arbeitslosigkeit
3.4 Gewalterfahrung und –bereitschaft sowie Kriminalität
3.5 Alkohol- und Drogenkonsum
3.6 Medieneinfluss aus den Herkunftsländern
3.7 Orientierungslosigkeit bzw. Zugehörigkeitsprobleme
3.8 Maßnahmen für eine weitgehend problemlose Integration

4 Die Rückkehr nach Russland

Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Zitierte Literatur

Internetadressen

Einleitung

In dieser Bachelorarbeit setze ich mich mit dem Thema „Integrationsprobleme von Russlanddeutschen“ auseinander.

Durch meinen Namen wird dem Leser schnell klar, dass ich keine Deutsche bin. Ich bin aber auch keine Aussiedlerin, sondern russische Staatsbürgerin. Genau wie die Aussiedler, versuche ich mich seit vier Jahren in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Jetzt stehe ich am Ende meines Studiums und hatte die Möglichkeit für meine Bachelorarbeit ein Thema zu wählen, das mich sehr interessiert.

Obwohl viel über Russlanddeutsche, Spätaussiedler und Aussiedler diskutiert und auch in den Medien berichtet wird, wissen die wenigsten Einheimischen wer eigentlich hinter diesen Bezeichnungen steckt (siehe hierzu Anhang 02).

Der Begriff „Russlanddeutsche“ wird allgemein für die Nachfahren deutscher Kolonisten verwendet, die in den Nachfolgestaaten der UdSSR leben. Diese Bezeichnung wurde aus dem Russischen abgeleitet und hat keinen rechtlichen Status. Die Russlanddeutschen nennen sich in ihrem Herkunftsland „russkie nemcy“ („русские немцы“).

Als Aussiedler wird eine Person (hier ein „Russlanddeutscher“) bezeichnet, die als deutscher Staatsangehöriger oder Volkszugehöriger nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen ihr Herkunftsgebiet verlassen und im Bundesgebiet ihren ständigen Aufenthaltsort hat. Der Begriff des Aussiedlers wurde ab dem 01.01.1993 durch den Begriff des Spätaussiedlers ersetzt.

Um ein Verständnis dafür zu bekommen, aus welchen Gründen Russlanddeutsche nach Deutschland eingewandert sind bzw. einwandern und woher sie ihre deutschen Wurzeln haben, wird in Kapitel 1 erläutert, warum sich eine deutschstämmige Minderheit in Russland entwickelt und wie sie sich dauerhaft etablieren konnte.

Die Aussiedlung nach Deutschland wird in Kapitel 2 behandelt. Im Jahr 1950 lebten rund vier Millionen Deutsche außerhalb der alten Reichsgrenzen von 1937 im Osten Europas, ein Großteil von ihnen in der Sowjetunion. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet diese Menschen und ihre Nachkommen als "deutsche Volkszugehörige". Sie sind berechtigt, als Aussiedler nach Deutschland einzureisen. Wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, erhalten sie die deutsche Staatsbürgerschaft und können verschiedene Integrationshilfen in Anspruch nehmen. Bisher sind über fünf Millionen Aussiedler mit ihren Familienangehörigen in die Bundesrepublik Deutschland eingewandert. Sie bilden die größte Gruppe mit Migrationshintergrund innerhalb der Gesamtbevölkerung. Hohe Zuwachszahlen wurden zwischen 1991 und 1995 erreicht. Pro Jahr verzeichnete man jeweils über 200.000 Zuzüge. Inzwischen kommen jährlich nur noch wenige Tausend.

Mit dem Schwerpunkt „Integrationsprobleme“ setze ich mich im Kapitel 3 auseinander. Relativ gute Deutschkenntnisse bei der Einreise und großzügige staatliche Eingliederungshilfen sorgten bis in die 1990er Jahre für eine erfolgreiche Integration der Aussiedler. Eine große Zahl der jüngeren Einwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion hat dagegen nur wenig Bindung zur deutschen Sprache und Kultur. Neben mangelnden Sprachkenntnissen können u.a. schlechte Bildung, Kriminalität und mangelnde Akzeptanz in der deutschen Gesellschaft zu Problemen bei der Integration führen.

In Kapitel 4 wird beschrieben, warum Russlanddeutsche wieder zurück nach Russland kehren wollen und inwiefern sie von der russischen Regierung bei ihrem Vorhaben unterstützt werden.

Den Fokus meiner Bachelorarbeit richte ich auf:

1. die Erläuterung der Migrationsbewegungen
- Die deutschstämmige Minderheit in Russland
- Die Einreise nach Deutschland

2. und die Darstellungen der Probleme die bei der Integration von Russlanddeutschen auftreten.

Ich werde mich in meinen weiteren Ausführungen bei der Verwendung der Begriffe Aussiedler bzw. Spätaussiedler immer nur auf die Russlanddeutschen bzw. Sowjetdeutschen (Bezeichnung der Russlanddeutschen zur Zeit der Sowjetunion) beziehen, auch wenn die Aussiedler nicht nur aus der ehemaligen Sowjetunion, sondern ebenso aus der Republik Polen, aus der ehemaligenTschechoslowakei, aus Ungarn, aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus sonstigen Gebieten stammen. Wird auf die Gesamtheit der Aussiedler Bezug genommen, ist darauf hingewiesen.

Aus Gründen der Einfachheit werden in dieser Bachelorarbeit z.T. die Bezeichnungen „Aussiedler“ sowie „Deutsche“ verwendet. Die Spätaussiedler sind in der Gruppe der Aussiedler enthalten und nicht immer extra aufgeführt. Als „Deutsche“ werden die in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Personen deutscher Nationalität bezeichnet.

An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass im Text verwendete spezifische Begriffe, die einer Erklärung bedürfen, im Glossar (siehe Anhang 01) erläutert werden.

1 Die deutschstämmige Minderheit in Russland

In diesem Kapitel wird erläutert, seit wann deutschsprachige Auswanderer nach Russland emigrierten und was sie dazu bewegte. Des Weiteren wird beschrieben, wie sich im Lauf der Geschichte die Situation für die Auswanderer in ihrer neuen Heimat gestaltete.

Die Phase der Einwanderung nach Russland geht bis auf das 10. Jahrhundert zurück und endete etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein Leben als Minorität unter verschiedenen Systemen und damit verbundenen positiven oder negativen Bedingungen schloss sich daran an. Während des Zweiten Weltkrieges – besonders nach dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion - war die Lage für die Russlanddeutschen nahezu unerträglich.

Aufgrund dieser Situation begann ab Mitte des 20. Jahrhunderts die Zeit der Migration, erlebte ab dem Ende der 1980er Jahre ihr Maximum und dauert bis heute an (Ingenhorst, H.: 1997, S.17).

1.1 Die ersten Deutschen im Zarenreich

Die ersten „deutschen“ Siedlungen im Osten wurden im 10. Jahrhundert gegründet. Es ist allerdings anzumerken, dass es strenggenommen zu dieser Zeit noch keinen deutschen Staat nach einem modernen Verständnis gab. Durch die „deutsche Ostbewegung“ wurde neues Land besiedelt und nutzbar gemacht. Es entstanden Städte (z.B. Riga) und landbesitzender deutschsprachiger Adel ließ sich nieder.

Handelsbeziehungen wurden eingerichtet und im 16. Jahrhundert Städte auf der russischen Seite und auf der Seite der Deutschen Hanse zu wichtigen Handelspunkten ausgebaut (Ingenhorst, H.: 1997, S.17f).

Im 16. Jahrhundert begann die systematische Ansiedlung Deutscher im russischen Zarenreich. Während der Herrschaft des Zaren Iwan IV. des Schrecklichen (Herrschaft: 1547-1584) wurden die ersten Deutschen wegen des Bedarfs an Spezialisten angeworben (Pfister-Heckmann, H.: 1998, S.23). Auch Zar Peter I. der Große (Herrschaft: 1682-1725) holte Menschen der Oberschicht (Militärexperten, Ärzte, Beamte, Techniker und Handwerker) aus den deutschen Fürstentümern in sein Reich um es zu modernisieren (Dietz, B. et al.: 1992, S.13). Zarin Katharina II. (Herrschaft: 1762-1796) warb dagegen Siedler bäuerlicher Herkunft an, um damit die Steppengebiete der unteren Wolga zu bewirtschaften (Dietz, B. et al.: 1992, S.14). Russische Bauern selbst waren durch Leibeigenschaft an die Gutsbesitzer gebunden. Als Anreiz für eine Umsiedlung wurden den Bauern durch das Anwerbemanifest von 22.07.1763 die folgenden Privilegien versprochen (Ingenhorst, H.: 1997, S.20):

1. freie Religionsausübung
2. Steuerfreiheit und Befreiung von gewöhnlichen und außerordentlichen Diensten
3. Befreiung von Zivil- und Militärdienst
4. Erhalt von Grund und Boden als Gemeingut einer Kolonie auf ewige Zeiten
5. Erlaubnis zum Kauf von Grundstücken von Privatpersonen
6. Landanteile werden an den jüngsten Sohn vererbt
7. Reisefreiheit nach der Zahlung von Steuern auf alles in Russland erworbene Vermögen.

Bauern anderer europäischer Länder (England, Niederlande, Spanien,…) durften nicht auswandern, da sie für die eigenen Kolonien gebraucht wurden. Für die Einwohner der deutschen Gebiete waren die Privilegien nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) ein sehr verlockendes Angebot und eine Alternative zu Not, Unterdrückung und Hunger. Die neuen Siedler sollten die Anbauflächen vergrößern, den Ertrag und die Produktivität erhöhen, fortschrittliche Anbaumethoden einführen und als Vorbild für die russischen Bauern dienen (Ingenhorst, H.: 1997, S.20f). Nach Ferstl et al. (1990, S.32) sollten sie bei Konflikten mit Nachbarländern auch als eine Art menschlicher Schutzwall in den Grenzregionen dienen.

Im Jahr 1768 waren es etwa 27.000 Siedlern, zu denen neben den Landwirten auch Handwerker, Soldaten und Heimatlose zählten (Ingenhorst, H.: 1997, S.21). Zu den Hauptauswandergebieten gehörten Württemberg, die Pfalz, das Elsass, Rheinhessen und Bayrisch-Schwaben (Kulturrat der Deutschen aus Russland e.V.: 1993, S.4).

Ziele der Siedler waren u.a. das Schwarzmeergebiet, das Umland von St. Petersburg und vor allem das Wolgagebiet (Dietz, B. et al.: 1992, S.15). Die mehr als 3000 km lange Reise erwies sich für die Auswanderer als eine große Belastung. Viele Menschen starben oder kehrten um. Als die Kolonisten im Jahr 1764 an ihrem Zielort ankamen, wurden sie direkt mit dem unwirtlichen Steppenklima, besonders in den Wolgagebieten rund um die Stadt Saratow, konfrontiert. Auch die fehlende Infrastruktur und Probleme wie Missernten, Hungersnöte, Krankheiten oder Überfälle durch Nomaden zwangen sehr viele der Siedler unter harten Alltagsbedingungen neu anzufangen (Ingenhorst, H.: 1997, S.21f). Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich die Lage in den Kolonien stabilisiert und die Siedler hatten sich u.a. durch Fleiß und Disziplin erfolgreich akklimatisiert und eingerichtet (Ingenhorst, H.: 1997, S.23).

Einen erneuten Zustrom von Siedlern gab es zur Zeit Alexanders I. (Herrschaft: 1801-1825). Sie wurden angeworben, um in den Gebieten der heutigen Ukraine, der Krim, des Transkaukasus und Bessarabiens Kolonien zu gründen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden auch im europäischen Teil Russlands, in Sibirien, im Kaukasus, in Mittelasien und in Kasachstan Siedlungen errichtet (Dietz, B. et al.: 1992, S.15).

Schätzungen zufolge sind bis zum Ende des 19.Jahrhunderts mehr als 100.000 deutsche Siedler in das Russische Reich ausgewandert (Tröster, I.: 2003, S.19). Es wurden mehr als 3000 konfessionell homogene (rein lutherisch, katholisch, mennonitisch oder andersgläubig) Kolonien gegründet, Handelsbeziehungen aufgebaut oder intensiviert. Die deutschen Kolonisten entwickelten sich zu einer politisch, wirtschaftlich und finanziell sehr einflussreichen Gruppe (Ingenhorst, H.: 1997, S.27f). Mit der russischen Bevölkerung kam es aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgs, der Privilegien und der sprachlichen und religiösen Diskrepanzen der Siedler zunehmend zu Konflikten (Dietz, B. et al.: 1992, S.15f). Die Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 und die panslawistischen Bestrebungen verschlechterten zudem den Rechtsstatus der Deutschen in Russland (Ingenhorst, H.: 1997, S.29).

Nach der Bauernbefreiung in Russland im Jahr 1871 wurden durch Reformen Alexanders II. (Herrschaft: 1855-1881) viele der Privilegien der deutschen Siedler zurückgenommen. Die Tatsache, dass sie jetzt auch wieder Militärdienst leisten mussten, veranlasste vor allem die Mennoniten (aus Glaubensgründen) umzusiedeln oder Russland zu verlassen und z.B. nach Amerika auszuwandern (Dietz, B. et al.: 1992, S.16).

Im Jahr 1887 wurde das Schulsystem in den deutschen Kolonien russifiziert (Ferstl, L. et al.: 1990, S.34). Des Weiteren wurde der Grundbesitz, das Recht auf Landerwerb sowie das Erb- und das Wahlrecht eingeschränkt (Ingenhorst, H.: 1997, S.30). Obwohl sie jetzt unter erschwerten Bedingungen in der neuen Heimat leben mussten, blieb die Mehrzahl der deutschen Auswanderer in Russland (Dietz, B. et al.: 1992, S. 16). Viele hatten sich durch wirtschaftliche Verflechtungen mit dem gesamtrussischen Markt bereits eine Existenz aufgebaut und wollten diese nicht aufgeben (Eisfeld, A.: 1999, S.50).

Die deutschsprachige Bevölkerung in Russland erreichte 1897 eine Zahl von 1,8 Millionen (Ingenhorst, H.: 1997, S.28). Die Volkszählung, auf der diese Zahlen beruhen, zeigt auch, dass sich die Deutschen mittlerweile auf das Wolgagebiet, das Schwarze Meer, das ehemalige polnische Gebiet, die Ostseeprovinzen, Mittelasien und Sibirien verteilt hatten und die Kolonien zu ca. 76% aus Lutheranern, ca. 13,5% aus Katholiken und ca. 4% aus Mennoniten bestanden.

Sowohl durch große räumliche Distanzen und geographische Hindernisse als auch durch soziale und religiöse Differenzen voneinander getrennt, kann nicht von einem Zusammenhalt der deutschen Kolonien gesprochen werden. Verschiedene deutsche Dialekte, Traditionen und Verhaltensweisen blieben deswegen bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges weitgehend erhalten (Dietz, B. et al.: 1992, S. 16f). Obwohl bis zum Jahr 1912 ca. 300.000 bis 400.000 Kolonisten nach Amerika ausgewandert waren, lag die Zahl der Russlanddeutschen im Jahr 1914 sogar bei ca. 2,4 Millionen (Ingenhorst, H.: 1997, S. 31).

1.2 Der erste Weltkrieg und seine Folgen

Aufgrund des Ersten Weltkrieges (1914-1918) blieb die Situation für die Deutschen in Russland weiter schwierig, da sie zu der Nation gehörten, die sich mit dem russischen Zarenreich im Krieg befand. Als im Januar und Dezember des Jahres 1915 die Liquidationsgesetze erlassen wurden, führte dies dazu, dass ganze Siedlergruppen aufgrund ihrer Herkunft mit Zwangsmaßnahmen rechnen mussten und gerade die Deutschen aus dem Wolhyniengebiet enteignet oder deportiert wurden. So wurden aus dem bis zu 150 km breiten westlichen Grenzstreifen zu Polen ca. 150.000 Menschen ins Landesinnere bis nach Sibirien „umgesiedelt“. Nahezu die Hälfte überlebte die damit verbundenen Strapazen nicht.

Neben Enteignung und Deportation wurden auch die Schulen der Russlanddeutschen geschlossen und das Herausgeben von deutschsprachigen Zeitungen sowie der öffentliche Gebrauch der deutschen Sprache verboten (Ingenhorst, H.: 1997, S.32f). Im weiteren Verlauf wurde auch die Deportation der übrigen deutschen Bevölkerung geplant aber aufgrund der Revolution im Jahr 1917 nicht mehr umgesetzt (Dietz, B. et al.: 1992, S.17).

1.3 Revolution und Bürgerkrieg

Unter dem Druck der Februarrevolution musste Zar Nikolaus II. am 02.03.1917 abdanken (Herrschaftsbeginn: 1894). Danach wurde das Land bis zur Oktoberrevolution sowohl von den mehrheitlich sozialistischen Sowjets als auch einer provisorischen Regierung gelenkt (Ingenhorst, H.: 1997, S. 34). Die provisorische Regierung gab am 21.03.1917 bekannt, dass alle Bewohner Russlands mit dem „Akt über die Gleichheit aller russischen Bürger ohne Ansehen der Nation und Religion“ die Bürgerrechte erhielten (Ingenhorst, H.: 1997, S. 37). Als Folge dessen versuchten viele Völker des Reiches das Selbstbestimmungsrecht für sich in Anspruch zu nehmen um damit selbst ihre Zukunft zu gestalten. Die daraufhin entstandenen deutschen Autonomiebewegungen mit regionalen Zentren in Odessa, Saratow, Moskau, Tiflis, Omsk und Slawgorod hatten zwar die gleichen Ziele, waren aber aufgrund der politischen Entwicklung nicht mehr in der Lage sich zu einer großen Bewegung zusammenzuschließen (Eisfeld, A.: 2000, S.19).

Anfang des Jahres 1918, entflammte ein Bürgerkrieg zwischen den Bolschewiki (Rote Garden) und der Koalition der Konterrevolution (Weiße Garden) denen ausländische Interventionstruppen beistanden. Die Entwicklung in den einzelnen Gebieten Russlands verlief dabei völlig unterschiedlich (Ingenhorst, H.: 1997, S.38). Im Wolgagebiet brachen aufgrund des Bürgerkrieges schwere Hungersnöte aus und die dort ansässige deutsche Bevölkerung schrumpfte im Zeitraum von 1914 bis 1926 von 1.621.000 Millionen auf 1.238.500 Millionen Menschen (Kulturrat der Deutschen aus Russland e.V. 1993, S.14).

Im Oktober 1918 wurde durch ein Dekret die „Arbeitskommune des Gebiets der Wolgadeutschen“ gegründet. Lenin unterzeichnete diese Verordnung (Ingenhorst, H.: 1997, S.38). Sein Ziel war es, dieses für die Ernährung wichtige Gebiet loyal an Russland zu binden. Des Weiteren sollte die Arbeitskommune ein Bindeglied zwischen Deutschland und Russland werden und so auch dem sozialistischen Umsturz und der damit verbundenen sozialistischen Weltrevolution dienen. Deutsch als Muttersprache durfte wieder in der Öffentlichkeit benutzt werden (Ingenhorst, H.: 1997, S.39-40).

Während das Wolgagebiet zur Zeit des Bürgerkrieges durchgehend in der Hand der Bolschewiken war, befanden sich die Kolonien im Ural, in Sibirien, in Kasachstan und im Kaukasus längere Zeit im Machtbereich der Gegenrevolutionäre. Nach dem Frieden zwischen ukrainischer Regierung und Mittelmächten wurde das Gebiet der heutigen Ukraine durch deutsche und österreichische Truppen besetzt.

Die Hoffnung der deutschen Siedler war, dass sich die Lage normalisieren und die Lebensumstände verbessern würden. Hoffnung bestand auch auf die Gründung einer deutschen Kronkolonie in der alle Kolonisten leben könnten oder auf die Auswanderung auf deutsches Reichsgebiet. Eine solche Kolonie wurde allerdings nie Realität und nach dem Abzug der deutschen bzw. österreichischen Truppen waren die Kolonien auf sich allein gestellt (Eisfeld, A.: 2000, S.19). Die deutschen Selbstschutztruppen waren den ukrainischen Partisanen und Räuberbanden schutzlos ausgeliefert (Ingenhorst, H.: 1997, S.41). Deutsche Kolonien in Bessarabien wurden nach der Besetzung durch rumänische Truppen Rumänien zugeteilt. Bis ins Jahr 1940 hatten sie keine Verbindung mehr zu den Nachbarkolonien in Odessa. Viele familiäre Bindungen wurden infolge des Bürgerkrieges auseinandergerissen (Eisfeld, A.: 2000, S.19).

Aufgrund der Hungersnöte wurde in den Jahren 1921-1928 eine „Neue Ökonomische Politik“ (NEP) umgesetzt. Den Bauern wurde begrenztes Eigentum gestattet. Die Produktion stieg daraufhin schnell wieder an. Die Deutschen versprachen sich durch die Gründung der „Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen“ (ASSR NP) am 06.01.1924 positive Effekte für die Zukunft. Auch in anderen Teilen der Sowjetunion entstanden Rajons mit begrenzter Autonomie. Es wurden deutsche Bildungseinrichtungen (z.B. Schulen, Hochschulen), Theater oder Verlage gebaut und die Wirtschaft entwickelte sich zu rasch (Ingenhorst, H.: 1997, S. 41).

1.4 Epoche des Stalinismus

Nachdem sich die Lebensbedingungen und die Versorgungslage in der Sowjetunion und damit auch bei den deutschen Kolonisten erheblich verbessert hatten, wurde 1928 der erste Fünfjahresplan für die Entwicklung der sowjetischen Wirtschaft ausgerufen. Speziell für die nationalen Minderheiten verschlechterte sich damit durch die Kollektivierung der Landwirtschaft, der Lösung der Kirchenfrage und der forcierten Industrialisierung die Lage in der Sowjetunion.

Widerstand gegen die Zusammenlegung der bäuerlichen Betriebe kam vor allem von den Großbauern, zu denen sehr viele Sowjetdeutsche gehörten. Im Dezember 1929 kündigte Stalin an, die Klasse der Kulaken zu beseitigen. So wurden ca. 5 Millionen Menschen (darunter ca. 50.000 Deutsche) nach Sibirien, in den Ural und nach Kasachstan verschleppt. Viele kamen in den Zwangsarbeitslagern um. Ende 1929 wurde 5.583 deutschen Kolonisten noch rechtzeitig die Ausreise bewilligt (Ingenhorst, H.: 1997, S.42f).

Die „Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen“ wurde bis zum 01.07.1931 zu ca. 95% kollektiviert, ganz entgegen dem Landesdurchschnitt von ca. 58% (Eisfeld, A.: 2000, S.19).

Da die schnell „zusammengewürfelten“ Kollektivbetriebe nicht produktiv arbeiteten, kam es in den Jahren 1932 und 1933 zu einer großen Hungerkatastrophe. Zwischen 5 und 11 Millionen Menschen (darunter ca. 300.000 Sowjetdeutsche) verhungerten in der Sowjetunion. Mit der Machtergreifung Hitlers und der Ausrufung des Dritten Reiches kam es 1933 parallel zur Hungersnot zu meist massenhaft durchgeführten Verhaftungen, Deportationen, Säuberungswellen und Liquidationen. Weiterhin wurden verschiedene Rechte und die Selbstverwaltung abgeschafft. Der Gebrauch der deutschen Sprache wurde erneut verboten (Ingenhorst, H.: 1997, S.42f).

Zwischen 1936 und 1938 erlebte der stalinistische Terror seinen Höhepunkt, dem nicht mehr nur Bauern zum Opfer fielen, sondern Menschen aller Bevölkerungsschichten. Besonders die „Intelligenz“ war betroffen. Darunter waren auch viele deutsche Pfarrer, Lehrer, Ärzte, Beamte und politische Gegenspieler. Sie alle wurden wegen Spionage, illegalen Verbindungen ins Ausland oder der Zellenbildung einer antisowjetischen Partei angeklagt und entweder hingerichtet oder in Lagern inhaftiert. Viele starben hier aufgrund der schweren Arbeit und der harten Lebensbedingungen. Zwischen 5 und 10 Millionen Menschen saßen Ende der 1930er Jahre in den Lagern ein. Unverhältnismäßig viele Häftlinge entstammten nationalen Minderheiten (Ingenhorst, H.: 1997, S.44f). Neben der Kollektivierung der landwirtschaftlichen Betriebe wurde ab 1928 auch gegen die Religionsgemeinschaften vorgegangen. Für die Sowjetdeutschen, deren gemeinschafts- und identitätsstiftende Elemente Religion und Kirche waren, war die Schließung der Kirchen, die Verhaftung von Priestern und das Verbot der Ausübung der religiösen Riten besonders dramatisch.

Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war die Lage der deutschen Kolonisten sehr ernst. Viele der Männer waren tot oder in den Arbeitslagern und die Frauen waren für den Lebensunterhalt der Familie zuständig. Trotzdem wurden Rekordernten eingefahren, ein hoher Mechanisierungs- und Industrialisierungsgrad erreicht und ein guter Bildungsstandard vermittelt. Bis zum Jahr 1939 lebten ca. 20% der Sowjetdeutschen in den Städten, die Gesamtbevölkerung zu ca. 33%.

Der Prozess der Sowjetisierung verlief weiterhin nur sehr schleppend. Mischehen sind die Ausnahme: Nur jede zehnte Ehe wurde im Jahr 1926 zwischen Einheimischen und Einwanderern geschlossen. Des Weiteren lag der Anteil der Sowjetdeutschen für die Deutsch die Muttersprache ist, im Jahr 1939 bei ca. 84%. Die sprachliche Anpassung erfolgte erst in den folgenden Jahren (Ingenhorst, H.: 1997, S.46f).

1.5 Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen

Durch den Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die Lage der Sowjetdeutschen erneut negativ beeinflusst. Sie wurden zwischen 1939 und 1940 aus den baltischen Ländern, Galizien, Wolhynien, Bessarabien und Bukowina ausgesiedelt und im Reichsgau Wartheland und in Westpreußen wieder angesiedelt. Den ca. 400.000 deutschen Kolonisten wurden Höfe von vertriebenen Polen und Juden überlassen und die verschiedenen regionalen Gruppen dabei vermischt um die sozialen Strukturen zu schwächen bzw. ganz aufzulösen (Ingenhorst, H.: 1997, S.48).

Durch den Überfall der Nationalsozialisten auf die Sowjetunion am 22.06.1941 erlebte die deutsche Bevölkerung in der Sowjetunion einen „tiefen Einschnitt in ihre Lebensbedingungen, der bis heute ihre Biographien prägt“ (Dietz, B. et al.: 1992, S. 23). Aus Angst vor Spionen und Überläufern zur Wehrmacht ordnete die sowjetische Regierung durch einen Erlass (28.08.1941) die Deportation der Sowjetdeutschen des westlichen Teils der Sowjetunion an. Sie wurden nach Sibirien, Mittelasien und Kasachstan deportiert. Wie bereits in den 30er Jahren überlebten viele Menschen den Transport nicht oder starben als Teil der „Arbeitsarmee“ in Kohlegruben oder auf Baustellen in der Taiga (Dietz, B. et al.: 1992, S. 24).

Im Westen war es nicht schnell genug gelungen Teile der Sowjetdeutschen vor dem Eintreffen der Wehrmacht zu deportieren. Sie wurden beim Rückzug der Wehrmacht nach der Niederlage in Stalingrad im Winter 1942/43 von den deutschen Truppen ausgesiedelt. In zwei großen Trecks wurde versucht, sie „Heim ins Reich“ zu bringen. Im Zeitraum vom November 1943 bis zum Juli 1944 wurden ca. 130.000 Sowjetdeutsche ins „Altreich“ gebracht und ca. 220.000 nach „Warthegau“.

Währenddessen verschob sich die Front und die Rote Armee griff erneut etwa 200.000 fliehende Sowjetdeutsche auf. Diese sollten schnellstmöglich in die Sowjetunion zurückgeholt werden. Aufgrund des Kriegsendes gelang es der Hälfte sich der Auslieferung zu entziehen. Die andere Hälfte wurde abermals in Lager oder Sondersiedlungen nach Sibirien und Mittelasien gebracht. Auf dem Weg dorthin starben zwischen 15.000 und 30.000 Menschen. Am Zielort angekommen wurden alle der Kollaboration verdächtigt und auch nach der Niederlage Deutschlands dementsprechend behandelt (Ingenhorst, H.: 1997, S.55).

Bis Ende 1948 befanden sich in den Siedlungen und Lagern über eine Million Deutsche. Sie hatten schwere Arbeiten zu verrichten, die Möglichkeiten zum Schulbesuch waren stark eingeschränkt und der Gebrauch der deutschen Sprache war verboten. Durch ein Dekret vom 26.11.1948 wurde die Verbannung der Sowjetdeutschen in die Sondersiedlungen auf ewige Zeiten festgeschrieben. Dies brachte die hoffnungslose Situation der Betroffenen endgültig zum Ausdruck (Dietz, B. et al.: 1992, S.28).

1.6 Entwicklungen bis zum Ende der UdSSR

Im Alltag mussten sich die Sowjetdeutschen mit russischen Behörden und der russischen Bevölkerung auseinandersetzen. Gerade die jüngeren Generationen näherten sich immer mehr den Russen an und leugneten ihren deutschen Ursprung. So wollten sie den Diskriminierungen und Beschimpfungen entgegenwirken.

Nach Stalins Tod 1953 und Adenauers Besuch 1955 in Moskau, bei dem beschlossen wurde die verbliebenen Kriegsgefangenen freizulassen, verstärkte sich bei den Sowjetdeutschen die Hoffnung, dass sie in ihre alte Heimat, d.h. die Vertreibungsgebiete zurückkehren durften.

Bis zum 13.12.1955 blieben die rund 1,5 Millionen Sowjetdeutschen in Haft und damit ohne Rechte (Ingenhorst, H.: 1997, S.56). An diesem Tag wurden, aufgrund eines Dekrets des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, die Sondersiedlungen aufgelöst und die deutsche Bevölkerung begnadigt. Sie erhielten zwar die Bürgerrechte, aber es wurde ihnen nicht gestattet in die ursprünglichen Gebiete heimzukehren. Ihr beschlagnahmter Besitz und ihr Vermögen wurden ebenfalls einbehalten (Dietz, B. et al.: 1992, S.28-29). So wurde „auf lange Zeit die Entstehung (oder Restauration) von geschlossenen deutschen Siedlungen und damit von Kristallisationspunkten für den Kampf um die deutsche Sprache und Kultur, sowie neuer deutscher Autonomie“ verhindert (Ingenhorst, H.: 1997, S.57). Nach der Auflösung der Sondersiedlungen wanderten die Sowjetdeutschen schwerpunktmäßig nach Kasachstan und in die Regionen östlich des Urals aus. Dort wollten sie, unter leichteren Lebensbedingungen als z.B. in Sibirien, eine neue Heimat und eine neue Arbeit finden.

Des Weiteren sollten zerrissene Familien wieder zusammengeführt werden (Dietz, B. et al.: 1992, S.29). Familien fingen an nach vermissten Angehörigen zu suchen. Sowjetdeutsche, die zu den 100.000 nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland Untergetauchten gehörten, wurden zu wichtigen Verbindungsgliedern für die Deutschen in der Sowjetunion. Diese wurden weiterhin als Vaterlandsverräter oder Faschisten beschimpft und blieben Vertriebene im eigenen Land. Für die meisten stellte sich damals die Frage nach der eigenen Identität und Zugehörigkeit.

Die Sowjetdeutschen waren in der Regel, aufgrund fehlender Schulausbildung, bis in die 1960er Jahre als ungelernte Arbeiter beschäftigt. Der Urbanisierungsgrad betrug damals ca. 40% und die wenigsten betrieben noch Landwirtschaft. Bis zum Jahr 1979 lebte ca. die Hälfte der damals 1,94 Millionen Sowjetdeutschen auf sowjetischem Gebiet in Städten. Sie verteilten sich wie folgt: in Kasachstan ca. 47%, in Sibirien ca. 24%, im europäischen Teil (ohne die Ukraine) ca. 19%, in Mittelasien ca. 9% und in der Ukraine (inkl. Krim und Karpato-Ukraine) ca. 2%.

Durch die Urbanisierung und die Verteilung der Deutschen in der Sowjetunion erhöhte sich der Grad der Russifizierung. Hauptsächlich die jungen Erwachsenen wollten sich eine Zukunft in der UdSSR aufbauen (Ingenhorst, H.: 1997, S.58f). Im Verlauf der 60er Jahre stieg die Zahl der Sowjetdeutschen, welche als Ingenieure, Techniker, Lehrer oder Ärzte arbeiteten. Trotz meist nicht vorhandenem Deutschunterricht in den Schulen, aufgrund fehlender Lehrer oder Unterrichtsmaterials, meist nicht zustande kam, lag der Anteil derjenigen Sowjetdeutschen, die Deutsch ihre Muttersprache nannten, im Jahr 1959 bei noch ca. 75%. Im Jahr 1970 lag er bei ca. 67%, 1979 bei ca. 58% und 1989 bei nur noch ca. 49% (Ferstl, L. et al.: 1990, S.38f).

Obwohl die Russifizierung voranschritt, wurden die Sowjetdeutschen aufgrund ihres rechtlichen und politischen Status diskriminiert. Bei den Behörden und innerhalb der Bevölkerung waren sie nicht gleichberechtigt (Eisfeld, A.: 2000, S.23). Sowjetdeutsche Studenten konnten z.B. bis in die 1980er Jahre hinein nicht jeden Studiengang studieren. Als Antwort darauf „russifizierten“ sowjetdeutsche Familien ihre Familiennamen oder gingen interethnische Ehen ein (Exner, T.: 2007, S.17).

Dessen ungeachtet gab es aber auch die Deutschen, die offen zu ihrem Hintergrund standen und ihr „Deutschsein“ nicht verheimlichten (Tröster, I.: 2003, S.27). Vereinzelte Personen und kleine Gruppen versuchten seit den 1960er Jahren immer wieder die sowjetische Regierung dazu zu bewegen, die Autonome Republik an der Wolga neu zu gründen. Dieses Ziel wurde jedoch nicht erreicht, was neben zunehmender Resignation auch zu einer Ausreisebewegung in den 1970er Jahren führen sollte (Eisfeld, A.: 2000, S.23).

Aufgrund der Tatsache, dass sich das politische Klima und die Beziehungen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland ab Anfang der 1970er Jahre verbesserten, gab es zu dieser Zeit wiederholt verstärkte Ausreiseforderungen seitens der Sowjetdeutschen sowie weitere Autonomieforderungen gepaart mit einer immer offener werdenden Kritik am System der Sowjetunion. Kritisiert wurde hier vor allem die Diskriminierung der Minderheiten vor allem der Sowjetdeutschen. Die Ausreiseanträge wurden mehr und mehr zum Instrument der Kritik. Die Aktionen der „Protestler“ während der 1970er und frühen 1980er Jahre beschränkten sich allerdings sehr oft auf den Untergrund. Wurden solche Aktivitäten und Gespräche bekannt, folgten unter den Regierungen Breschnew (bis 1982), Andropow (bis 1984) und Tschernenko (bis 1985) oft Sanktionen.

Bis Mitte der 1980er Jahre sank die Zahl der Ausreisegenehmigungen unter 1.000 pro Jahr. Mit der Ernennung Gorbatschows zum Generalsekretär der KPdSU im Jahr 1985 geschah ein umfassender gesellschaftlicher Umbruch in der Sowjetunion, aus dem dann der Zusammenbruch der UdSSR resultierte. Gorbatschows Verkündung der Prinzipien von „Glasnost“ (Öffentlichkeit, Durchschaubarkeit von Zielsetzungen) und „Perestrojka“ (Umbau, Neugestaltung des Systems) wurden eher distanziert wahrgenommen. Man hatte gelernt, misstrauisch zu sein, besonders der Regierung gegenüber (Ingenhorst, H.: 1997, S.62).

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836636094
Dateigröße
3.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Vechta; früher Hochschule Vechta – Sozialwissenschaft, Bachelor Sozial-, Kultur- und Naturwissenschaft
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,1
Schlagworte
migration minderheit stalinismus koloniebildung herkunftsland
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Titel: Integrationsprobleme von Russlanddeutschen
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