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Die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie bis 2015 auf EU-Ebene

Ein deutsch-niederländischer Vergleich

©2009 Diplomarbeit 116 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Das Inkrafttreten der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) im Dezember 2000 mit dem Ziel, den guten ökologischen Zustand aller Gewässer bis 2015 zu erreichen, stellte einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer gemeinschaftlich, ökologisch orientierten Gewässerbewirtschaftung aller EU-Staaten dar.
Allerdings bedeutet die Umsetzung in die nationale Gesetzgebung bis zur Bewirtschaftungspraxis einen langjährigen Prozess und stellt neue Herausforderungen an die grenzübergreifende Zusammenarbeit der einzelnen Beteiligten. Deswegen wird zu Beginn das unterschiedliche Verständnis von Gewässerschutz aufgrund der historischen und politischen Ausgangssituationen der beiden Nachbarstaaten Deutschland und Niederlande dargestellt. Darauf folgt eine Einführung in den gewässerspezifischen Naturraum des Tieflandes und die nationalen Bestrebungen zum Schutz der Gewässer vor dem Jahr 2000.
Nach aktuellem Stand des Zeitplans der WRRL ist die Vorlage der Entwürfe zu den Bewirtschaftungsplänen und Maßnahmenprogrammen der Flusseinzugsgebiete (FGEs) vorgeschrieben, um der interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Stellungnahme und aktiven Einbeziehung aller Akteure zu bieten.
Deshalb wurden die zwei internationalen FGEs Rhein und Ems im Grenzgebiet Deutschland-Niederlande ausgewählt, um anhand dieser Pläne die Vorgehensweisen zwischen den unterschiedlichen Behörden zu untersuchen. Im Vordergrund stehen dabei der Aufbau der Koordinierungsstrukturen, Detaillierungsgrad und Aufbereitung der Pläne und Karten, Art der Informationsbereitstellung sowie Angaben zu Kosten-Nutzen-Analysen, um ein möglichst effizientes Ineinandergreifen der notwendigen Maßnahmen zu gewährleisten.
Bei der Beurteilung wurde nicht Wert darauf gelegt, die Unterschiede der einzelnen Managementpläne aufzuzeigen; vielmehr war es wichtig abzuschätzen, ob sie einen praxistauglichen und erfolgversprechenden Eindruck in Bezug auf die Anwendung im nun beginnenden ersten Bewirtschaftungszyklus machen. Denn jede FGE weist ihre besonderen Eigenarten auf und kann daher nicht nach einem mustergültigen Schema bewirtschaftet werden. Allerdings können und sollen die Erfahrungen und Erfolge einzelner Programme und Projekte durchaus international publik gemacht werden, um von anderen FGEs übernommen bzw. angepasst werden zu können. So kann die Erreichung des Ziels guter ökologischer Zustand bzw. Potenzial best möglich unterstützt und eine nachhaltige Bewirtschaftung […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Stefanie von Winnicki
Die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie bis 2015 auf EU-Ebene
Ein deutsch-niederländischer Vergleich
ISBN: 978-3-8366-3558-5
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Fachhochschule Weihenstephan, Diplomarbeit, 2009
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

4
Inhaltsverzeichnis
1
Bedeutung, Inhalt und Ziel...5
2
Definition der Zielvorstellung guter ökologischer Zustand...8
2.1
Verständnis auf deutscher Seite...8
2.2
Verständnis auf holländischer Seite...9
2.3
Interkalibrierung ­ Ermöglichen international vergleichbarer Messwerte...11
3
Ausgangssituation und Rahmenbedingungen...13
3.1
Allgemeine Limnologie des Zentralen Tieflandes...13
3.2
Deutschland...13
3.3
Niederlande...16
4
Rechtliche Situation...21
4.1
Gemeinsame EU-Strategie...21
4.2
Umsetzung in nationales Recht: Deutschland...24
4.3
Umsetzung in nationales Recht: Niederlande...27
5
Fließgewässertypen des Tieflandes...32
5.1
Regionale Fließgewässertypologie des Tieflandes...32
5.2
Typbeschreibung...32
5.3
Gefährdung und Schutz von Tieflandgewässern...34
5.4
Flussauen und WRRL...35
6
Bisheriger Gewässerschutz...36
6.1
Gewässerschutz zur Reinhaltung von Trink- und Brauchwasser...36
6.2
Gewässerschutz als Teil des Naturschutzes...36
6.3
Schutz vor Hochwasser...36
6.4
Praxisbeispiel: Rhein...37
7
Gewässerschutz aufgrund der WRRL...42
7.1
Übergeordneter Bewirtschaftungsplan Ems: Plan A...42
7.2
Übergeordneter Bewirtschaftungsplan Rhein: Plan A...50
7.3
Bewirtschaftungsplan Teil B: Niedersächsischer Anteil an der FGE Ems...57
7.4
Maßnahmenprogramm Niedersachsens zur Ems...61
7.5
Bewirtschaftungsplan Plan B: Deltarhein...62
7.6
Maßnahmenprogramm Nordrhein-Westfalens zum Deltarhein...71
8
Vergleich der Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme...74
8.1
Methodik...74
8.2
Vergleich der Bewirtschaftungspläne Teil A...77
8.3
Vergleich der Bewirtschaftungspläne Teil B...80
8.4
Vergleich der Maßnahmenprogramme...84
9
Fazit...88
A
Zusammenfassung...91
B
Summary...92
C
Abbildungen...93
D
Abbildungsverzeichnis...112
E
Abkürzungen...114
F
Literatur...115

1
B
EDEUTUNG
, I
NHALT
UND
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IEL
5
1 Bedeutung, Inhalt und Ziel
Schutzwürdigkeit
Das Element Wasser und seine natürlichen Erscheinungsformen als Flüsse, Seen, Meere oder
Grundwasserströme erfüllt für den Menschen eine Vielzahl von Aufgaben: vom alltäglichen Brauch-
wasser, zum Trinkwasser bis hin zur Schifffahrt, den wirtschaftlichen Nutzungen und den Auen als Er-
holungsgebiete, ist der Mensch auf intakte und funktionstüchtige Gewässer angewiesen. Das und die
Tatsache, dass auch Pflanzen und Tiere Bestandteile dieser sensiblen Ökosysteme sind, zeigt, dass wir
besonderen Wert auf die nachhaltige Bewirtschaftung dieses Schutzgutes legen müssen, um auch in
Zukunft unseren Nutzen aus den Gewässern ziehen zu können.
Da sich das Wasser nicht an politischen Grenzen orientiert, sondern sich oberirdisch als Flüsse
durch ganz Europa schlängelt und für zahlreiche wirtschaftliche Komponenten der einzelnen Anrai-
nerstaaten von Interesse ist, ist es wichtig, ein gemeinsames Schutzkonzept zu entwickeln. Nur so kön-
nen die natürlichen Funktionen der Gewässer als Grundwasserspeicher, Retentionsraum bei Hochwas-
ser oder Habitat für Wildtiere und Pflanzen gesichert werden und uns zuverlässige Prognosen und da-
mit Schutz vor Hochwasserschäden und Dürre ermöglichen.
Wasserrahmenrichtlinie
Als Folge langer internationaler Bestrebungen, den Raubbau an Gewässern zu unterbinden und den
Wasserhaushalt weltweit auf ein annehmbares Niveau zu bringen, wurden zahlreiche Regelungen ge-
troffen. Denn die politische Brisanz der Ressource Wasser liegt nicht erst seit der aktuellen Klimawan-
deldiskussion auf der Hand. Nach zahlreichen Reglementierungsversuchen innerhalb der EU, Gleich-
berechtigung und Nachhaltigkeit in der Wassernutzung für alle Staaten zu erreichen, wurde deutlich,
dass eine allumfassende Richtlinie benötigt wird, die den einzelnen Regionen genügend Handlungs-
freiraum lässt. Denn die bisherigen Ansätze, die einzelnen Bereiche getrennt von einander zu behan-
deln (Hochwasserschutz, Schutz vor gefährlichen Stoffen, Regelung zur Fischerei, etc.) führten dazu,
dass sich die Akteure oft gegenseitig blockierten und wichtige dazugehörige Themen wie die Auen
oder der Zusammenhang mit dem Naturschutz ganz außer Acht gelassen wurden. Auch die wider-
sprüchlichen Ansätze von Umweltqualitätsnormen (z.B. Fischgewässer, Badegewässer, Trinkwasser)
und Emissionsgrenzwerten (z.B. Nitrat-RL, Kommunalabwasser-RL) sollten in Einklang gebracht
werden.
Deswegen wurde die Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG von den damaligen Mitgliedstaaten erar-
beitet und trat am 22.12.2000 in Kraft. ,,Ziel dieser Richtlinie ist die Schaffung eines Ordnungsrah-
mens für den Schutz der Binnenoberflächengewässer, der Übergangsgewässer, der Küstengewässer
und des Grundwassers" (WRRL Artikel 1).
Mit dem Erlass dieser Richtlinie folgte ein langer Weg der Umstellung in Rechtslage, Verwaltung
und Umsetzungsorganen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten: Eine einheitliche Bewertungsmethode

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zum derzeitigen IST-Zustand der Gewässer und zum möglichen guten ökologischen Entwicklungspo-
tential musste gefunden werden, Handlungsempfehlungen (sog. Guidance-Dokumente) erstellt wer-
den, die Umsetzung ins jeweilige Rechtssystem erfolgen, Maßnahmen zur Verbesserung der Gewäs-
sersituation gefunden werden, usw. Dazu war und ist die Hilfestellung des Europäischen Umweltbüros
EEB, der Ländergemeinschaft Wasser LAWA oder der Koordinierungsgruppe der Wasserdirektoren
von zentraler Bedeutung.
Gegenstand dieser Diplomarbeit
Der gesteckte Zeitplan der WRRL (Bild C.1-1) sieht vor, dass Ende 2008 für alle Flusseinzugsge-
biete ein Entwurf des zu erstellenden Bewirtschaftungsplans mit Maßnahmenprogramm bei der Euro-
päischen Kommission vor zu liegen hat. Im Zuge dessen zeigt diese Diplomarbeit auf, wo sich der der-
zeitige Umsetzungsstand der WRRL befindet. Als besonders interessant bietet sich ein Vergleich der
Vorgehensweisen der einzelnen benachbarten Mitgliedsländer an; denn sowohl die Bewirtschaftungs-
ziele als auch die Schutzmaßnahmen müssen funktionell ineinander übergreifen, um ein ökonomisch
und ökologisch effizientes Resultat zu erreichen.
Wie Untersuchungen zu Überwachungsprogrammen gezeigt haben, befinden sich Deutschland und
die Niederlande auf ähnlich hohem Niveau was den Stand der Wissenschaft und Technik bezüglich
der Gewässerkunde betrifft.
Da sich Norddeutschland und die Niederlande auch den gleichen Naturraum, das Tiefland, teilen
und von den großen Flüssen Rhein und Ems durchflossen werden, soll hier der exemplarische Ver-
gleich der Managementpläne erfolgen. Um den Rahmen einer Diplomarbeit nicht zu sprengen, werden
die Themen Grundwasser und Chemismus bewusst nicht behandelt, was deren Wichtigkeit jedoch
nicht abstreiten soll.
Inhalt
Zur besseren Verdeutlichung der Ausgangssituationen auf deutscher und niederländischer Seite be-
fasst sich das 02. Kapitel mit dem Verständnis des Art. 1 WRRL: der bis 2015 zu erreichende gute
ökologische Zustand der Gewässer ist nicht eindeutig definiert und führt zu unterschiedlichen Interpre-
tationen der Staaten aufgrund ihrer Geschichte, Geologie und Tradition im Umgang mit Gewässern.
Diese geologischen und nutzungshistorischen Bedingungen und Unterschiede werden in Kapitel 03
erläutert. Kapitel 04 setzt sich mit der rechtlichen Umsetzung der WRRL in nationales Recht ausein-
ander: Von den verschiedenen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder in Deutsch-
land bis zu der Aufteilung der Kompetenzen zwischen Königreich, Provinzen und Water Boards in
den Niederlanden.
Kapitel 05 handelt von den aquatischen Ökosystemen des Tieflands allgemein und der besonderen
Bedeutung der integrierten Betrachtung von Fließgewässern und ihren Auen. Anschließend werden in
Kapitel 06 die bereits durchgeführten Maßnahmen zum Schutz der Gewässer in Deutschland und den
Niederlanden vorgestellt.

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IEL
7
Desweiteren werden im 07. und 08. Kapitel je zwei Bewirtschaftungspläne des Rheins und der Ems
auf deutscher und niederländischer Ebene untersucht und gegenübergestellt, was Bewirtschaftungszie-
le, Finanzierungsmodelle, Maßnahmen und Zuständigkeiten betrifft. Auf diese Weise wird geklärt, ob
geeignete Kooperationsstrukturen bestehen und die Managementpläne für den ersten Bewirtschaf-
tungszyklus gut umsetzbar sind. Die Resultate der Untersuchungen werden abschließend in Kapital 09,
dem Fazit, beleuchtet.

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2 Definition der Zielvorstellung guter ökologischer Zustand
Die Wasserrahmenrichtlinie stellt einen wichtigen Schritt zum ganzheitlichen Schutz der europäi-
schen Oberflächengewässer und auch des Grundwasser dar:
,,(...)die Mitgliedstaaten schützen und verbessern alle künstlichen und erheblich veränderten Was-
serkörper mit dem Ziel, spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie (...) ein gutes ökologi-
sches Potenzial und einen guten chemischen Zustand der Oberflächengewässer zu erreichen;" (WRRL
Artikel 1).
Schon bei dieser ersten Betrachtung des genauen Wortlauts der Richtlinie stellen sich Schwierigkei-
ten ein, da bei der Formulierung gutes ökologisches Potenzial
1
viel Spielraum für verschiedene Inter-
pretationen offen ist. Ist damit der potenzielle natürliche Zustand eines aquatischen Ökosystems ge-
meint, so geht man von dessen Zustand aus, wie es sich komplett ohne menschlichen Einfluss entwi-
ckelt hätte. Das mag dem natürlichen Idealzustand zwar am Nächsten sein, ist aber eindeutig kritisch
zu betrachten. Denn die mitteleuropäische Landschaft wurde in den letzten Jahrtausenden bereits so
oft gravierend überprägt, dass es z.B. ohne eine Rodung der dichten Wälder durch die Römer niemals
zu so einer großen Diversität an Landschaftsbildern gekommen wäre, wie wir sie heute noch kennen.
Deshalb ist es ratsam, sich beispielsweise den weitgehend ungestörten Umweltzustand um 1900 zum
Vorbild zu nehmen, bevor die Industrialisierung und damit Intensivbeeinflussung unserer Gewässer
rapide anstieg. Gleichzeitig muss auf heutige Nutzungen der Gewässer Rücksicht genommen werden,
was ebenfalls eine Minderung der ökologischen Bedingungen bedeutet.
2.1 Verständnis auf deutscher Seite
Die Begriffsdefinition des guten ökologischen Potenzials von aquatischen Ökosystemen ist damit aus-
schlaggebend für deren Bewertung. Zur Beurteilung des Gesamtzustands eines Gewässers werden in
Deutschland drei Komponenten untersucht:
·
biologische
·
hydromorphologische
·
physikalisch-chemische
Die biologische Betrachtung hat sich bisher auf die Untersuchung des Saprobie-Zustandes bezogen
(Gewässergütekarten) und wurde nun im Rahmen der WRRL auf alle Wasserorganismen ausgedehnt,
also Makrozoobenthos, Fischfauna und Gewässerflora, bestehend aus Phytoplankton, Großalgen, Ma-
krophyten und Phytobenthos. Diese biologischen Qualitätskomponenten sind zwar ausschlaggebend
für die Gewässerbewertung, allerdings spielt die Gewässermorphologie (Strukturreichtum, Verlauf der
Sohle, Aueninventar, etc.) nur eine Nebenrolle. Dennoch ist ein guter Bezug zur Bewertung von ge-
wässertypspezifischen Merkmalen anhand von Referenzbedingungen gegeben; denn am Abwei-
1
Besagter guter Zustand wird laut WRRL bei Oberflächengewässern an ökologischen und chemischen Kriterien, beim
Grundwasser an chemischen und mengenmäßigen Kriterien gemessen. Besonderes Augenmerk wird in dieser Arbeit nur auf
den ökologischen Aspekt geworfen.

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chungsgrad des aktuellen IST-Zustandes vom potentiell natürlichen SOLL-Zustand wird die ökologi-
sche Zustandsklasse bestimmt (Bild C.2-1).
Das heißt also, es werden ungestörte, anthropogen unbeeinflusste Gewässerabschnitte ausgewählt,
die als Vorbild (Referenz) in Bezug auf die jeweiligen Qualitätskomponenten gelten. Die wichtigsten
biologischen Komponenten sind Artenzusammensetzung und Artenhäufigkeit, bei der Fischfauna auch
die Altersstruktur des Bestandes und bei Phytoplankton die Biomasse
2
. Die hydromorphologischen
Komponenten bei Fließgewässern sind der Wasserhaushalt, die Durchgängigkeit für Lebewesen aller
Art und die Morphologie. Die physikalisch-chemischen Komponenten umfassen Sichttiefe, Tempera-
tur, Sauerstoffgehalt des Wassers, Nährstoff- und Schadstoffkonzentration.
Anhand des optimalen Natürlichkeitsgrades wird die Abweichung des zu beurteilenden Gewässers
gemessen und die Zustandsklasse bestimmt. Laut WRRL sind also nur die ersten beiden Klassen als
Zustand im Jahre 2015 zugelassen:
·
sehr guter Zustand, Klasse 1 mit keinen oder nur geringfügigen Abweichungen vom natürlichen
Zustand
·
guter Zustand, Klasse 2 mit geringen Abweichungen vom natürlichen Zustand
Dieses System scheint gut nachvollziehbar und praxistauglich zu sein, allerdings wird bislang in je-
dem Mitgliedstaat eine andere Verfahrensmethode zur Bestimmung des ökologischen Zustands ange-
wandt. Dies wirft die Frage der Vergleichbarkeit der jeweiligen Ergebnisse auf, da es zu unterschied-
lich sensiblen Bewertungsverfahren kommt.
2.2 Verständnis auf holländischer Seite
Die Niederlande befinden sich aufgrund ihrer geographischen Lage auf ­ in gewässerspezifischer
Sicht ­ sehr prekärem Terrain. Über 40 Prozent der Landesfläche liegt unter dem Meeresspiegel und
wurde im Laufe der letzten Jahrhunderte durch Deiche, Kanäle, Gräben, Pumpen und ausgeklügelte
Drainagesysteme bewohnbar gemacht. Deshalb fallen 95 Prozent der Frischwasser führenden Oberflä-
chengewässer unter die Kategorie künstlich oder erheblich verändert (Bild C.2-2).
Zudem münden vier große europäische Flüsse (Rhein, Meuse, Scheldt und Ems), die vorher durch
mehrere EU-Staaten geflossen sind, auf niederländischem Hoheitsgebiet in die Nordsee (Bild C.2-3)
und bringen damit vor allem ungewöhnlich hohe Schadstoffbelastungen der früheren Anrainerstaaten
mit sich.
Diese chemischen und physikalischen Belastungen resultieren aus Landwirtschaft, Luftverschmut-
zung, Industrie (vor allem aus dem Ruhrgebiet), gereinigten Abwassereinleitungen und der Binnen-
schifffahrt und kommen hauptsächlich aus den Ländern Österreich, Schweiz, Deutschland, Belgien
und Frankreich. Das gibt einen ersten Hinweis darauf, dass die Niederländer einen ganz anderen Be-
zug zu der Bezeichnung guter ökologischer Zustand zeigen als die restlichen EU-Mitglieder; schließ-
2
Die Bewertung dieser Merkmale ist allerdings verfahrensabhängig und oftmals fehlen genaue Zielvorgaben und Richtwerte.
Mehr zu diesem Thema lässt sich in der aktuellen Fachliteratur nachlesen [ARG06].

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lich müssen sie sich der schwierigen Aufgabe stellen, mit den vorbelasteten Gewässern umzugehen.
Gerade bei dem hohen Nutzungsdruck, der auf der niederländischen Umwelt lastet, wird deutlich, dass
eine sehr gute Handlungsstrategie von Nöten ist: im europaweiten Vergleich haben die Niederlande
die größte Einwohnerdichte, den höchsten Viehbestand und den meisten Transit-Verkehr [Lig06 S. 8].
Damit ist der Druck auf die abiotischen Ressourcen Boden und Wasser aufgrund von Versauerung,
Stickstoff- und Phosphorbelastungen durch Überdüngung und intensiven Pestizideinsatz in Holland so
hoch wie in sonst keinem anderen EU-Staat. Dadurch geraten die Niederlande durch die Forderungen
der WRRL in Interessenskonflikte zwischen dem ökologischen Entwicklungspotenzial und den wirt-
schaftlichen Nutzungen der Gewässer.
Die Mindestanforderung der WRRL Vermeidung einer weiteren Verschlechterung ist bereits in frü-
heren und auch zukünftigen politischen Plänen erfasst. Dies bezieht sich vor allem auf die Phosphatbe-
lastung, die auf einem konstanten Niveau gehalten und langfristig gesehen zu einer fünf prozentigen
Senkung bis zum Jahr 2030 gebracht werden soll. Dieses Stillstand-Prinzip wird die ökologische Si-
tuation der Gewässer zwar noch nicht verbessern, allerdings stellt es schon einen wichtigen Schritt dar.
Um eine weitere Senkung der Phosphorwerte zu erreichen, müssten ­ laut Berechnungen der Nether-
lands Environmental Assessment Agency MNP ­ sowohl Landwirtschaft als auch Kläranlagen 20­25
Prozent ihres Jahresausstoßes reduzieren, was einen finanziellen Mehraufwand von 30­60 Prozent bei
der landwirtschaftlichen Erzeugung bzw. 4­15 Prozent bei der Klärung von Abwässern der jährlichen
Kosten betragen würde (ca. 60­100 Mio. Euro) [Lig06 S. 3].
Reelle Chancen auf die Umsetzung einer ökologischen Aufwertung gibt es allerdings in den bereits
ausgewiesenen NATURA 2000 Schutzgebieten. Hier sind vor allem der anthropogen gesenkte Grund-
wasserspiegel zu erhöhen und für eine Zufuhr von möglichst reinem Frischwasser zu sorgen, um eine
Verbesserung der ökologischen Bedingungen zu erreichen.
Aufgrund dieser Tatsachen ist der Ansatz der Gewässerbeurteilung dem deutschen System ähnlich,
das Leitbild oder Referenzszenario allerdings wird nicht über den potentiell natürlichen, sondern den
historischen Zustand definiert [Umw98 S. 3]. Dies zeigt, dass in den Niederlanden keine oder nur zur
sehr vereinzelt natürliche Ökosysteme erhalten sind.
Um die Methoden zur Gewässergüteermittlung der wichtigsten inner- aber auch außereuropäischen
Staaten in Erfahrung zu bringen und auf deren Qualität hin miteinander zu vergleichen, wurde bereits
1996 die Studie ,,Darstellung und vergleichende Bewertung nationaler und internationaler Ansätze zur
Klassifizierung der Beschaffenheit von Fließgewässer" vom Umweltbundesamt in Auftrag gegeben.
Die untersuchten Aspekte waren:
·
Referenzzustand/Leitbild
·
Schutzgüter/Schutzziele
·
Qualitätsmerkmale und Kenngrößen
·
Qualitätsanforderungen und deren Ableitungen

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·
Klassifizierungssystem
·
Darstellung der klassifizierten Beschaffenheit [Umw98 S. 2]
Die Ergebnisse dieses Vergleichs für Deutschland und Holland zeigen, dass diese beiden Länder
sehr ähnliche Konzepte verfolgen und damit auch ihre Messwerte in einen sinnvollen Zusammenhang
miteinander gebracht werden können (Bild C.2-4).
2.3 Interkalibrierung ­ Ermöglichen international vergleichbarer Messwerte
Da die WRRL kein konkretes Verfahren zur internationalen Anwendung vorgibt, erfolgte schon in
den 90er Jahren eine EU-Studie zur Prüfung der bisher angewandten Methoden. Das Ergebnis zeigte,
dass keine den fachlichen Anforderungen der WRRL nachkommen konnte. Die daraufhin von der
Ländergemeinschaft Wasser (LAWA) in Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltministerium
(BMU), dem Umweltbundesamt (UBA) und mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums
für Umwelt und Forschung entwickelten Lösungsmethoden zur Beurteilung der biologischen Kompo-
nenten eines Gewässers werden derzeit noch auf ihre Anwendbarkeit überprüft [Rum06 S. 122].
Um dennoch international vergleichbare Ergebnisse durch Umrechnung zu erzielen, wurde der sog.
Umweltqualitätsquotient (Environmental Quality Ratio, EQR) im Rahmen des Interkalibrierungspro-
zesses eingeführt. Er wird ermittelt, indem das Ergebnis für den IST-Zustand des zu untersuchenden
Gewässers durch den SOLL-Zustand (Referenzzustand) geteilt wird. Die Abweichung zeigt den Ver-
änderungsgrad an und befindet sich zwischen Null bei sehr hoher biologischer Verödung und Eins bei
nahezu idealen naturraumtypischen Lebensgemeinschaften.
In Artikel 1.4.1 WRRL wird die Interkalibrierung angeordnet, die die Mitgliedstaaten in einem be-
stimmten Zeitrahmen durchführen müssen. Das heißt, dass mit Hilfe von europaweit gemeldeten Inter-
kalibrierungsmessstellen eine einfache Typologie ermittelt wird, um die biologischen Komponenten
auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die ermittelte Zahl für einen guten ökologischen Zustand
könnte sich dann z.B. bei 0,8 befinden. Betreut und durchgeführt wird dieser Prozess von der EU-Ar-
beitsgruppe ECOSTAT und zur Koordinierung der nationalen Experten wurde das European Centre
for Ecological Water Quality and Intercalibration (EEWAI) des Joint Research Centre eingerichtet.
Für die Ausweisung dieser Messstellen wurden die Gewässertypen zu geographischen Interkalibrie-
rungsgruppen (sog. GIGs) zusammengefasst.
Für diese Diplomarbeit interessant sind die GIGs, die sowohl Deutschland als auch die Niederlande
aufweisen. Denn nur in ähnlichen Naturräumen können die Maßnahmen zur Umsetzung der WRRL
sinnvoll miteinander verglichen werden. Diese betreffen die Kategorie zentraler/baltischer Raum
(Bild C.2-5).
Bis 2008 sollte der Stand der durchgeführten Interkalibrierung veröffentlicht werden, um eine zwei-
te Runde von 2008 bis 2011 zu starten. Allerdings lagen bis Juni 2008 nur Ergebnisse für bestimmte
Biokomponenten und Gewässerkategorien vor und nicht für alle. Die bisherigen Ergebnisse für

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Deutschland und die Niederlande stehen wie Bild C.2-6 zeigt fest und sollen nach dem Kommissions-
beschluss Anfang 2009 komplett veröffentlicht werden [Seb08].

3
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UND
R
AHMENBEDINGUNGEN
13
3 Ausgangssituation und Rahmenbedingungen
Um im Weiteren eine gute Basis für den Vergleich der Vorgehensweisen zur Umsetzung der WRRL
zu erstreben, zeigt dieses Kapitel die geologischen, historischen und naturräumlichen Gegebenheiten,
aber auch die für den Menschen gewässerspezifischen Probleme der Regionen auf.
3.1 Allgemeine Limnologie des Zentralen Tieflandes
Die Limnologie
3
des norddeutschen und niederländischen Tieflands ist geprägt von Tieflandfließge-
wässern, die sich merklich von den allgemeinen Charakteristika der Mittelgebirgsfließgewässer unter-
scheiden: Ein ausgeprägtes Gefälle ist nicht vorhanden, auch die kühlen Temperaturen, schnellen Strö-
mungsverhältnisse und das grobe Substrat im Oberlauf, das sich im Mittel- und Unterlauf eines monta-
nen Fließgewässers beruhigt und verfeinert, sind nicht gegeben. Anstatt dessen fließt beispielsweise
ein im Tiefland entspringender kleiner Sandbach mit breiter Sohle träge durch ein Niedermoor und en-
det anschließend in einem Ostsee gestauten und mit Röhricht bestandenem Küstengewässer.
Auch die tiefländische Biozönosenstruktur ist damit, abhängig vom Sohlsubstrat aber auch der Hy-
drologie, ganz anders: ,,Ein vorwiegend oberflächenwassergeprägtes, ,grundwasserarmes`, Abflussre-
gime bedingt andere Lebensgemeinschaften als ein durch Tiefengrundwasser beeinflusstes, ,grund-
wassergeprägtes`, wie es für die ,Forellenbäche des Tieflandes` kennzeichnend ist; ganz eigenständige
Lebensräume sind temporäre, in der Regel sommertrockene Gewässer." [Som03 S. 3].
Diese Unterschiede zum montanen Gewässerlauf spiegeln sich auch in den Saprobie-Verhältnissen
wider. Die Saprobieuntersuchung auf Datengrundlage von südlichen Fließgewässern führte in der Ver-
gangenheit oft zu einer fälschlichen Beurteilung der realen Gewässergüte im Tiefland. Deswegen müs-
sen auch bei der Leitbilddefinition diese tieflandspezifischen Charakteristika beachtet werden, um ein
naturraumendsprechendes Maßnahmenkonzept zu finden.
3.2 Deutschland
Da die Bundesrepublik Deutschland eine geographisch gesehen sehr weite Ausdehnung einnimmt,
wird im Folgenden das Bundesland Nordrhein-Westfalen NRW besonders betrachtet, da es an der
Grenze zu den Niederlanden liegt.
3.2.1
Geographische Lage und geologische Entstehungsgeschichte Norddeutschlands
Das norddeutsche Tiefland befindet sich auf einer Höhe von 0 bis maximal 200m über NN und er-
streckt sich von den Küsten der Nord- und Ostsee, über die Landesgrenzen zu Belgien, Niederlande,
Dänemark und Polen. Im Süden, Westen und Osten sind die Grenzen zum jeweiligen Fuß der Mittel-
3
Die Limnologie ist die Wissenschaft von den Binnengewässern als Ökosystemen, deren Struktur, Stoff- und Energiehaus-
halt und biologisch-ökologische Struktur und Funktion sie erforscht.
Binnengewässer umfassen stehende Gewässer, wie Weiher und Seen ohne Verbindung zu den Ozeanen, Fließgewässer und
Grundwasserkörper. Außer Süßwasser-Ökosystemen gehören auch Salzwasser-Binnengewässersysteme (z.B. das Tote Meer)
zum Gegenstand der Limnologie.

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A
USGANGSSITUATION
UND
R
AHMENBEDINGUNGEN
14
bzw. Erzgebirge definiert.
Das Erdzeitalter des Quartärs (Bild C.3-1) prägte das durchaus wellige Relief, das aber bei weitem
keine so ausschweifende Energie zeigt wie im Süden Deutschlands. Die geschichtlich jungen Ablage-
rungen des Pleistozän Eiszeitalters bedecken weite Teile mit einer mal mehr, mal weniger dicken
Schicht. In den letzten 65 Mio. Jahren wurde das Tiefland bis zu den Mittelgebirgsregionen immer
wieder und auch für längere Zeit von Meeren bedeckt, was ergiebige Sedimentation zu Folge hatte. Im
Laufe der Jahrmillionen bildeten sich tonige Ablagerungen, die heute noch lokal in Bachbetten zu fin-
den sind, ausgeglichene weitflächige Rumpfebenen und flachmuldige Täler.
Während der Endphase des Tertiärs, des sog. Pliozäns, hatten Rhein und Maas bereits in etwa das
gleiche Mündungsgebiet; wobei erst im jüngsten Pliozän die aus den Alpen kommende Aare an das
Einzugsgebiet des Rheinsystems angeschlossen wurde und so die jährliche Abflussmenge fast verdop-
pelte.
Durch die immer wieder aus Skandinavien kommenden und abrückenden Gletscher, kam es im
Tiefland zur Ausbildung der sog. Endmoräne, einer wallartigen Geschiebeakkumulation aus Felsen
(,Findlingen`) und groben Substraten bis hin zu fein zermahlenen tonigen und lehmigen Materialien.
Mit diesem leicht verformbaren Untergrund bildeten die Flüsse stark mäandrierende Gewässerläufe
aus und entwickelten erst langsam im Spiel aus Kalt- und Warmzeiten ein ausgereiftes Gewässernetz.
Nordrhein-Westfalen ist ein altglazial geprägtes Gebiet, welches von der fluviatilen Terrassenbil-
dung durch Rhein und Maas gestaltet ist. Plattentektonische Bewegungen (Anheben des rheinischen
Schiefergebirges und Einsinken der Köllner/Niederrheinischen Bucht nach Norden) waren der Auslö-
ser, dass sich der Rhein in den Warmphasen immer tiefer in die plane Altfläche ein grub. In den darauf
folgenden Kaltphasen wurden im Rheintal die als obere Mittelterrassen zusammengefassten Schotter-
körper aufgeschüttet. Ähnlich verlief es auch bei der Ems und weiteren norddeutschen Flüssen, die
über die Niederlande in eine weit und tief vorgelagerte Nordsee mündeten [Som03 S. 27].
Flora und Fauna der Flussauen lassen sich gut aufgrund fossiler Funde zurück verfolgen und zeigen
eine ähnliche Zusammensetzung an Wasserpflanzen und -mollusken wie heute. Allerdings waren die
Auenlandschaften zur Holsteinwarmzeit vor rund 330.000 Jahren von mittlerweile ausgestorbenen
Großsäugetieren wie Urelefanten, einer Nashornart, einer Nilpferdart, Wildpferden und Hirschen be-
wohnt.
3.2.2
Geschichtliche Nutzung und anthropogener Einfluss
Mit dem Einsetzen menschlicher Besiedlung durch den Steinzeitmenschen nach der Weichseleiszeit
begann auch der anthropogene Einfluss auf die Landschaft. Die undurchdringlichen Ulmen- und Lin-
denwälder wurden gerodet um Brennholz und Ackerfläche zu erhalten, was zu ersten Sedimentfrach-
ten in Bächen und Flüssen führte.
Auf den aufgegebenen Rodungsinseln konnte die Rotbuche ihren Vormarsch über den ganzen euro-
päischen Kontinent antreten, versetzt mit der Eiche, die als Bauholz genutzt wurde und der Esche. Die

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Auflichtung dieser dichten Urwälder wird durch die weitflächige Viehbeweidung, die sog. Hudewäl-
der, begründet. Prähistorische Pollenfunde belegen, dass eine Zeit der intensiven Acker- und Grün-
landnutzung folgte: neben Getreide- und Ruderalpflanzenpollen fand man nur sehr wenig Baumpollen.
Auch in der Römerzeit hielt diese Form der Landnutzung überwiegend an, bis die politischen Wirren
jener Zeit und die darauf folgende Völkerwanderung die Wiederbewaldung mit dem Vorreiter Rotbu-
che zu ließen.
Im Mittelalter wurde dann die Dreifelderwirtschaft
4
betrieben, mit der Kornblume als Indiz für Win-
tergetreide. Eine radikale Waldrodung setzte allerdings bereits im 13. und 14. Jhd. wieder ein, um das
Land für Neusiedlungen bewohnbar zu machen. Durch erneut kalte Klimaverhältnisse und die Pest um
1400 klang die landwirtschaftliche Nutzung wieder ab und nach den Bauernkriegen im 16. Jhd. setzten
bei der inzwischen weitgehend offenen Lösslandschaft so intensive Erosionsprozesse ein, dass die
Niedermoore mit mächtigen Abschwemmungen überdeckt wurden und so das Pollenarchiv schlossen.
Die zunehmende Entwaldung bedingte allerdings auch, dass sandig-schluffiger Boden mobilisiert
und in den Flussbetten deponiert wurde. Mit diesem feinen Material wurde das Hochflutbett zwar auf-
gebaut, was die Entstehung von Hartholzauen begünstigte, der Fluss selbst grub sich aber auch immer
tiefer ein. Die natürlichen Transpirationsverhältnisse dieser waldarmen Landschaft waren so beein-
trächtigt, dass es zu einem erhöhten Abfluss, hohem Grundwasserstand und einer daraus resultieren-
den Vermoorung kam.
Eine weitere Folge der rigoros veränderten Vegetation waren nicht nur Bodenabschwemmungen,
sondern auch -verwehungen. Lokal lagerten sich Flugsanddecken ab, die verheideten (z.B. im
Schwalm-Nette-Raum und entlang der Ems). Da diese Böden nur wenig Nährstoffe boten, ging man
zu Plaggenwirtschaft
5
und anhaltender Beweidung über, was vor allem die Geestböden in Nordwest-
deutschland zusätzlich verarmen ließ und zu Dünenbildung führte.
Zu den jüngsten anthropogenen Einflüssen zählen Eutrophierung und Begradigung. Mit der intensi-
ven landwirtschaftlichen Düngung gelangen Nährstoffe in starkem Ausmaß in die Gewässer, wo sie in
den Seen und später im Meer zu einer erhöhten Primärproduktion führen. Nach der Ausrottung des Bi-
bers um 1900, der den wichtigsten Gestalter der natürlichen Fließdynamik darstellte, erhöhte sich die
Abflussgeschwindigkeit bei der gleichen Abflussmenge und führte damit schneller zu Hochwasser und
Überschwemmungen. Um die Kontrolle über die Gewässer zu erlangen, wurden vor allem nach dem
ersten Weltkrieg Stauwerke und korsettartige Begradigungen gebaut, die die weitläufigen Moore und
Niederungsflächen drainierten. Durch die Belüftung dieser Niedermoorböden oxidierten Stickstoffver-
bindungen, die vorher für Pflanzen unzugänglich waren und ergaben so ertragreiche Weideflächen
[Som03 S. 39].
4
Im jährlichen Wechsel wurde ein Acker mit dem vor dem Winter gesäten Wintergetreide (damals Roggen und Emmer) und
ein zweiter mit dem nach dem Winter gesäten Sommergetreide (Hafer, Hirse, Gerste) bestellt. Das dritte Feld lag in diesem
Jahr brach, so dass sich der Boden hier erholen konnte. Es diente jedoch als Viehweide.
5
Sog. Plaggen, obere Humus enthaltende Bodenschichten, werden in unbenutzten Heideflächen abgestochen, mit Viehdung
vermischt und auf dem Feld aufgetragen. Dadurch erhöht sich der Nähstoffanteil auf dem Feld, während der Heideboden im-
mer mehr verarmt.

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3.2.3
Zerstörung der Moore
Die Entstehung der Moorlandschaften ist auf den Jahrtausende dauernden Einfluss von hohen Was-
serpegeln zurück zu führen. Damit entstanden außerordentlich sensible Ökosysteme mit hoch speziali-
sierten Arten.
Da Moore Torfkörper sind, deren Porenvolumen zu 85 bis 98 Prozent mit Wasser gesättigt sind,
liegt also die Ursache für den Verlust dieses mittlerweile selten gewordenen Lebensraums am herab-
gesetzten Wasserstand durch Drainagemaßnahmen (Entwässerungsgräben, etc.). Wenn der Wasserauf-
trieb fehlt, beginnt der Boden abzusacken; Luft dringt in die Poren ein und der Abbau der organischen
Substanzen beginnt. Aber auch das Torfstechen stellt seit dem Mittelalter immer noch eine große Be-
drohung der noch verbliebenen Moorflächen dar: Als Brennmaterial oder als fruchtbarer Zusatz für
Gartenerde wird er industriell abgebaut und verkauft.
Niedermoore, die durch ihren Kontakt zum Grundwasser minerotroph (also mit Mineralien angerei-
chert) sind, wurden ab 1700 mit verschiedenen Kulturmethoden bewirtschaftet. Dies führte zu extre-
men Wechseln zwischen Austrocknung in den Sommermonaten und Aufquellen und damit Luftab-
schluss im Winter. Dadurch haben sich Niedermoore von Wasser- und Stoffspeichern zu Stoffquellen
(Stickstoff) und Wasserdurchzugsgebieten im Landschaftshaushalt verändert.
Hochmoore hingegen waren zur Nutzung lange Zeit uninteressant, bis man zur Energieerzeugung
anfing, Schwarztorfe abzubauen. Erst mit der Entwicklung von modernen Düngern ab 1880 setze auch
dort die Landwirtschaft ein. Dazu kam, dass Preußen eine Aufforstung des Ödlandes beschlossen hatte
und die aufwachsenden Waldflächen das Wasser aus dem Boden zogen.
Heute gibt es nur mehr vereinzelte Relikte an unveränderten Moorflächen und eine große Anzahl
solcher mit ackerbaulicher Nutzung. Renaturierungsbestrebungen setzten auf einen Wasseranstau mit
Schwarztorf und hoffen auf verminderte Nährstoffeinträge.
3.3 Niederlande
Die Niederlande sind regierungstechnisch in zwölf Provinzen aufgeteilt:
·
Utrecht, Nord- und Südholland im Westen
·
Zeeland, Nord-Brabant und Limburg im Süden
·
Flevoland, Gelderland und Overijssel im Osten
·
Drenthe, Groningen und Friesland im Norden
Da alle Regionen naturräumlich nicht all zu weit von einander entfernt sind (Gesamtfläche: 41.029
km²), werden sie im Folgenden gemeinsam behandelt; bei auftretenden Besonderheiten werden die
östlichen Provinzen aufgrund ihrer Nähe zu Deutschland genauer betrachtet.
3.3.1
Geographische Lage und geologische Entstehungsgeschichte der Niederlande
Wie schon zu Beginn dieser Arbeit erwähnt, liegen die Niederlande an einem Knotenpunkt Europas:

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Angrenzend zu Belgien und Deutschland mit einer weiten Küstenlinie zur Nordsee. Das ganze Land
befindet sich ausgesprochen nahe am Meeresspiegel und auch der Grundwasserstand ist oft sehr dicht
an der Erdoberfläche. Die höchste Erhebung einiger niedriger Hügel befindet sich am äußersten Rand
Limburgs auf etwa 300m üNN und ist als Ausläufer der Ardennen zu betrachten.
Da das Land sehr flach ist und fast durchgehend landwirtschaftlich genutzt wird, ist auch überall die
menschliche Überprägung der Landschaft präsent: Flüsse sind durch Deiche begrenzt, die meisten Bä-
che sind kanalisiert, Sümpfe, Seen und ein Großteil des Inlandes sind zu Poldern
6
umgewandelt wor-
den und in sehr vielen Gegenden wird die Küstenlinie ebenfalls durch Deiche gestärkt. Ohne diese
Eindeichungen wäre heute über die Hälfte der Landesfläche überflutet. Um die Polder trocken und da-
mit nutzbar zu halten, gibt es Pumpstationen (sog. Gemaal), die das überschüssige Wasser kontinuier-
lich in begrenzte künstliche Wasserkörper befördern. Diese Drainage führt, wie schon beschrieben, zu
Oxidationsprozessen, zum Schrumpfen des Bodenvolumens und damit zur Absenkung.
Seit dem Mittelalter ist das Land auf diese Weise vor allem im Norden und Westen um mehrere
Meter gesunken, so dass das Wasserlevel in Flüssen und Kanälen heutzutage meist um einiges höher
ist als die Bodenoberfläche hinter den Deichen.
Trotz dieser weit verbreiteten Abweichung von natürlichen Gewässern teilt die Kommission der Eu-
ropäischen Gemeinschaft in ihrem 2008 erschienen Entwurf über das Ergebnis der Interkalibrierung
den Niederlanden folgende verschiedene Gewässertypen zu: zentrale/baltische Flüsse und Seen sowie
Küsten- und Übergangsgewässer im Nordostatlantischen Raum. Diese beiden Kategorien sind auch für
Norddeutschland zugewiesen.
Die geologische Entstehungsgeschichte ist der des bereits behandelten norddeutschen Tieflandes
sehr ähnlich. Die ältesten präglazialen Kiese und Sande (Prä- und Saalglazial, vor ca. 380.000 bis
150.000 Jahren) sind heute nur noch vereinzelt an der Oberfläche erkennbar, wenn sie vom Gletscher
in sog. Eisrandlagen hoch gedrückt wurden. Beispiele hierfür sind der Utrechtse Heuvelrug, die Velu-
we und der Sallandse Heuvelrug (dt.: Hügelrücken). Als Folge dieser Stauchmoränen, die den weites-
ten Inlandeisvorstoß anzeigen, wurde sogar der Flusslauf des Rheins, dort wo heute Arnheim liegt,
von Norden nach Westen abgelenkt. Die Erhebung der Veluwe bildet heute den nördlichsten Ausläu-
fer dieser Stauchendmoränenlandschaft. Ein Großteil der oberflächlichen Sedimente jedoch stammt
6
Ein Polder ist ein eingedeichtes niedrig gelegenes Gelände in der Nähe von Gewässern. Dabei gibt es in Bezug auf den
Hochwasserschutz zwei gegensätzliche Bedeutungen:
a) In der klassischen niederländischen Bedeutung ist ein Polder ein Gebiet, das selber durch Deiche vor Hochwasser ge-
schützt wird. Bei den meisten dieser Polder liegt der Wasserspiegel benachbarter größerer Gewässer (Meer oder Flüsse)
oft oder dauerhaft über dem Bodenniveau. Darum muss das Wasser aus den Entwässerungsgräben des Polders über den
Deich gepumpt werden, in heutiger Zeit zumeist mit Motorkraft, in vorindustrieller Zeit mit Windkraft.
b) Ein Hochwasserpolder ist dagegen ein Retentionsgebiet, das bei Flusshochwassern geflutet werden kann, um die Wasser-
führung flussabwärts gelegener Flussabschnitte zu vermindern und dadurch den Gipfel einer Flutwelle zu erniedrigen.
Derartige Polder unterliegen Nutzungsbeschränkungen, beispielsweise einem Bebauungsverbot. Sie sind sowohl vom
Flussbett als auch von benachbarten intensiver genutzten Flächen durch Deiche getrennt. Die Deiche zu intensiver genutz-
ten Nachbarflächen verhindern, dass jene bei Flutung des Polders mit geflutet werden. Deiche zum Gewässer verbessern
die Nutzbarkeit des Poldergeländes, indem sie verhindern, dass der Polder schon bei geringeren Hochwassern geflutet
wird, die in anschließenden Flussabschnitten keine Bedrohung darstellen. Sie ermöglichen, das dem Fluss entzogene Was-
ser länger zurückzuhalten als in einer natürlich überfluteten Flussaue. Derartige Polder werden vor allem zum Hochwas-
serschutz von Großstädten und engen Tälern in oberhalb gelegenen geräumigen Talabschnitten angelegt, beispielsweise
am Oberrhein bei Ingelheim.

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aus dem Zeitalter des Quartärs und kann eine Mächtigkeit von über 800m aufweisen. Gestein aus dem
Tertiär, dem Mesozoikum und sogar dem Paleozoikum tritt nur lokal entlang der östlichen und südli-
chen Grenzen auf.
Im Küstenbereich sind holozäne Ablagerungen zu finden, die durch Flussmündungen und Sedimen-
te der Gezeiten beeinträchtigt werden, gefolgt von einer Küstenebene aus dem Holozän, die zum In-
land hin großflächige Sandablagerungen auf niedrigem und meist flachem Relief aus dem Pleistozän
aufweist.
Durch den Wechsel zwischen Vorstoßen und Abrücken der Gletscher während des Quartärs, kam es
zu starken Höhenschwankungen des Meeresspiegels und Verschiebungen der Küstenlinie, ein beacht-
licher Teil der Nordsee fiel sogar trocken. Dadurch kam es zu unterschiedlichen Ablagerungstypen
(glazial, marin, fluviatil und lagunenartig). An manchen Orten treten auch Schichten aus Windablage-
rungen auf. Die äolischen Sedimente Decksand und Löss haben die Eigenschaft, das Relief der Land-
schaft durch allmähliche Überdeckung von Geländevertiefungen und Gefälleknicken auszugleichen.
Beim Großteil des ständig nassen Landesinneren bildeten sich Moore mit stetig wachsenden Torf-
schichten (Bild C.3-2). Das gewöhnliche Nacharbeiten der Sedimente führt zu einigen Komplikatio-
nen bei der Betrachtung des stratigraphischen Aufbaus und nicht zu letzt hat der Mensch zu Verände-
rungen der Bodenoberfläche beigetragen: Torf wurde lange Zeit als Energielieferant abgebaut; Sand,
Kies und Lehm werden als Bodenschätze gewonnen und der Grundwasserleiter in Schichten des Quar-
tärs dient zur Trinkwasserbereitung [Won07 S. 173].
Der Start des Holozäns, der jüngsten Warmzeit, ist geprägt durch das Ansteigen des Meeresniveaus,
das rasche Anwachsen der Vegetation und den Beginn menschlicher Nutzung. Durch die Veränderun-
gen der Küstenlinie kam es zu großen Sandablagerungen, die zu bis zu 10m hohen Dünen aufgetürmt
wurden, den ,Older Dunes`. Durch diese Barrieren wurden betroffene Bereiche von der Salzwasserzu-
fuhr abgeschnitten und änderten sich zu Frischwasserlagunen gegen Ende der Atlantischen Periode,
wo erneut Sedimentation einsetzte. Auf den Ablagerungen der Gezeiten bildeten sich in Holland und
Zeeland Niedermoore mit Torf. Durch das Fehlen von Sedimenten blieben die Waddenzee und das
Flevomeer (heutiges IJsselmeer) offen. In der späten Subatlantischen Periode kam es zu weiteren Leh-
mablagerungen in den Flussmündungen und auf die Torfgebiete. Vor circa 1.100 Jahren endeten die
Ablagerungsprozesse an der Küste und Erosion durch die Nordsee setzte ein.
Genauso wie in Deutschland veränderten die Flüsse ihr breites, vielarmiges und seichtes Bett (Brai-
ded River) aufgrund der dichten Baumvegetation zu mäandrierenden Strömen. Die Festigung der Küs-
tenbereiche und die stabilisierten Flussläufe von Rhein und Meuse führten zur Entwicklung des Zen-
trums der Niederlande. Der Oude Rijn bildete aktiv ein Delta und später eine wichtige Flussmündung
bei Katwijk aus, da andere Rheinnebenarme (Waal, Hollandse IJssel und Lek) ihren Weg zu dieser
Mündung fanden und ausgedehnte Lehmschichten über dem Torf ablagerten.
Auch im Inland reicherten sich mächtige Torfschichten bis zu 10m Dicke an, vor allem im Süd-
Westen Groningens, in Teilen von Drenthe und Overijssel, im Gelderse Vallei (Utrecht-Gelderland)

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und bei Peel (Nordbrabant-Limburg). Dieser Torf setzt sich zusammen aus eutrophem Material am
Grund (aus Holz entstanden ­ ,bosveen`) und verändert sich nach oben hin allmählich zu oligotro-
phem Material (Sphagnum Torf ­ ,mosveen`) [Won07].
3.3.2
Geschichtliche Nutzung und anthropogener Einfluss
Seit dem Beginn des Subboreals wurden die Wälder für ackerbauliche Nutzung gerodet, was schon
im Subatlantikum dazu führte, dass sich ausgedehnte Heidelandflächen einstellten. Die ersten Deich-
und Kanalisationsbestrebungen lassen sich auf die Römerzeit datieren (um 500 n.Chr.) und begannen
damals schon, gravierende Veränderungen im Erosions- und Sedimentationsmuster von Flüssen und
Küstengebieten hervor zu rufen.
Die landwirtschaftliche Nutzung der Niedermoorböden führte zu den bereits erwähnten Absenkun-
gen, Bodenabschwemmungen, Heideflächen und künstlich erhöhten Bodenpartien (,Essen`). An der
Küste ging das Bodenniveau in den letzten 1.000 Jahren sogar von +4m auf -1 bis -2m zurück und die-
se Oxidationsprozesse halten noch immer an. Die Überbeweidung führte zu offenen Bodenpartien, wo
äolische Abtragung erneut ansetzte. Ebenfalls wie in Deutschland ermöglichte die Forschung Justus
von Liebigs Anfang des 20. Jhd. den gezielten Einsatz chemischer Düngemittel und führte so zu einer
regelrechten Bodenausbeutung.
Wo Torf abgebaut wurde, bildeten sich Seen, deren Ufer sich durch den Wellenschlag des Windes
noch mehr in das Landesinnere eingruben. Seit dem 16.Jhd. wurden diese Seen mit Deichen umgrenzt,
leer gepumpt und so zu Poldern gemacht. Die Oberfläche der Polder befindet sich heutzutage zwi-
schen -4 und -5m unter dem Meeresspiegel, wobei einer der ältesten in der Nähe von Rotterdam auf
einer Tiefe von -6,72m liegt [Won07 S. 191].
Durch Eindeichen der Flüsse ist auf der einen Seite der Ablagerungsprozess auf den Überflutungs-
flächen, den sog. ,uiterwaarden`, zwischen den Deichen zwar ermöglicht, auf der anderen Seite senkt
sich jedoch das trocken gelegte Land hinter den Deichen immer mehr ab. Der Höhenunterschied ver-
größert sich also automatisch von Jahr zu Jahr, was die Notwendigkeit aufwirft, auch die Deiche im-
mer höher und höher zu bauen, um ihren Durchbruch zu vermeiden.
Diese Tatsache und das erst in jüngster Zeit hinzugekommene Ansteigen der Meere aufgrund des
Klimawandels bescheren den Niederlanden auch in der Zukunft ein sehr hohes Überflutungsrisiko.
Erst im späten 20.Jhd. änderte sich die Sichtweise der Bevölkerung über das Land: Natur bekam
eine neue Bedeutung und wurde nicht mehr nur als "ungenützte Fläche" verstanden. Die heute beste-
henden 19 Nationalparks sollen laut Aussage des Niederländischen Außenministeriums bis 2018 mit
weiteren Naturschutzgebieten auf 700.000 ha vergrößert werden, um ein funktionierendes Biotopver-
bundsystem zu etablieren. Aufgrund der hohen Siedlungsdichte und der damit einher gehenden Infra-
struktur, werden diese Bestrebungen allerdings äußerst schwierig umzusetzen sein.

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3.3.3
Zerstörung der Moore
Die Ursachen für Bedrohung und Verlust der wertvollen Moor- und Sumpfflächen in den Nieder-
landen gestaltet sich analog zu den deutschen Gebieten, wie schon in Punkt 3.2.3 beschrieben.

4
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4 Rechtliche Situation
Dieses Kapitel beleuchtet die rechtlichen Grundlagen der WRRL. Da es sich um eine Richtlinie
7
und keinen direkten Gesetzestext handelt, wollen das Europäische Parlament und der Europäische Rat
einen Handlungsrahmen vorgeben, in dem sich die 27 Mitgliedstaaten bewegen können. Die damit zu-
gestandene Selbstbestimmtheit und der Handlungsspielraum in der Ausübung setzen einen verantwor-
tungsbewussten Umgang jedes einzelnen Mitgliedstaates voraus.
Allerdings muss auch bei aller Autonomie eine Gleichheit und Vergleichbarkeit der Ergebnisse er-
zielt werden, sonst ist das Gelingen der angestrebten Ziele keine Verschlechterung und guter ökologi-
scher Zustand zur nachhaltigen Bewirtschaftung unserer europäischen Gewässer gefährdet.
4.1 Gemeinsame EU-Strategie
Um die Umsetzung besser begleiten zu können, wurde die Zusammenarbeit zwischen der Kommis-
sion und den Mitgliedstaaten nach dem Inkrafttreten der WRRL im Dezember 2000 nicht beendet.
Eine auf dieser Ebene neue Organisationsstruktur half mit Hilfe von Guidance-Dokumenten ohne ge-
setzliche Kraft als Leitfaden bei der Umsetzung. Diese Dokumente wurden von Arbeitsgruppen er-
stellt, die unter dem Vorsitz eines oder auch zweier Mitgliedstaaten standen. Um die Arbeit der Grup-
pen koordinieren zu können, wurde eine Koordinierungsgruppe unter Leitung der Kommission ge-
gründet. Diese bereitet auch die zweimal im Jahr statt findenden Treffen der Wasserdirektoren vor.
Eine gemeinsame Strategie ist ratsam, um eine kohärente und kosteneffiziente Lösung zum Umgang
mit grenzüberschreitenden Gewässern für alle Beteiligten erreichen zu können.
Nach der Ausarbeitung aller Guidance-Dokumente Ende 2002 wurde die Organisationsstruktur
zwar beibehalten, aber deutlich geschmälert. Da die WRRL Revisionen und Fortschreibungen anderer
europäischer Wasserrichtlinien fordert und auch das Berichtswesen sehr umfangreich ist, wird so si-
cher gestellt, dass auch in Zukunft alle Mitgliedstaaten in der Regionalpolitik, der Agrarpolitik, der Fi-
scherei- und der Meerespolitik zusammenarbeiten müssen. So kann ein Gleichklang bei den Umset-
zungsmaßnahmen gewährleistet werden.
4.1.1
Organisation der Umsetzungsstrategie
Einen der wichtigsten Schritte stellte die Bildung von zehn Arbeitsgruppen dar, die sich um die Un-
tersuchung der Schlüsselbereiche der WRRL kümmerten. Die Themenbereiche für die Leitfadendoku-
mente sind:
·
Analyse von Einträgen und ihre Auswirkungen im Gewässer
UK, D
·
Kriterien für die Ausweisung erheblich veränderter Gewässer
UK, D
·
Referenzbedingungen für Oberflächengewässer
S
7
Eine Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich,
überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel (Art. 249 Abs. 3 EG).

4
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22
·
Typologie und Klassifizierung von Küsten- und Übergangsgewässern
UK, ES
·
Interkalibrierung
JRC
·
Ökonomische Analyse
F, com.
·
Kriterien zur Überwachung (Monitoring)
I, EEA
·
Bewertung und Klassifizierung von Grundwasser
AU
·
Beste Praktiken zur Flussgebietsplanung
ES
·
Ausarbeitung eines geographischen Informationssystems
JRC
Eine weitere Arbeitsgruppe zur Prüfung der Anwendbarkeit der entstandenen Dokumente wurde un-
ter dem Vorsitz des Joint Research Center (JRC) gebildet, einer Forschungseinrichtung der Kommissi-
on [Rum06 S. 14].
Da bis 2002 alle Dokumente fertig gestellt sein sollten, wurde zu Beginn hohe Priorität auf die Aus-
arbeitung von Kriterien zur Charakterisierung der Flussgebiete gelegt. Hierauf konnten die weiteren
Gruppen ihre Arbeit zur Einschätzung von Einträgen und deren Auswirkungen, über die ökonomische
Analyse und die Ausweisung erheblich veränderter Gewässer aufbauen.
Die strategische Koordinierungsgruppe legt auch die Aufgabenplanung der Arbeitsgruppen fest. Sie
wird von der Kommission geleitet und die Teilnehmer setzen sich aus allen 27 Mitgliedstaaten, Nicht-
regierungsorganisationen (NGOs) und weiteren Expertenteams mit Entscheidungsfunktion zusammen.
Durch die Einbeziehung der NGOs soll auf EU-Ebene erreicht werden, dass sie bei der Umsetzung der
WRRL mitwirken. Allerdings kann durch diese Öffnung des Teilnehmerkreises die Handlungsfähig-
keit der Koordinierungsgruppe eingeschränkt werden. Eines der wichtigsten Ziele, die Vermeidung
von Widersprüchlichkeiten, erreichte die Kommission durch die Einbeziehung der Vorsitzenden der
einzelnen Arbeitsgruppen in die Abstimmung der Strategiegruppe.
Um den Umsetzungsprozess weiterhin bestmöglich voran zu treiben, wurden weitere Arbeitseinhei-
ten und Institutionen eingeschaltet: die Europäische Umweltbehörde in Kopenhagen und Eurostat sind
auf EDV Ebene mit eingebunden und das Joint Research Center in Ispra/Italien kümmert sich um
Aufbau und Pflege des Interkalibrationsnetzwerks. Zusätzlich wurde die Internetplattform CIRCA
(Communication Information Ressource Centre Administrator) eingerichtet, um einen der Allgemein-
heit zugänglichen Austausch der einzelnen Mitwirkenden zu ermöglichen.
4.1.2
Normierung der Verwaltungsstruktur (Art. 3 WRRL)
Kern der WRRL ist das Flussgebietsmanagement, nach dem die Koordinierung der erforderlichen
Maßnahmen zur Erreichung der Ziele innerhalb einer Flussgebietseinheit zu erfolgen hat. Demnach
orientiert sich die Art der Bewirtschaftung nicht an den Staatsgrenzen, sondern an den natürlichen, hy-
drologischen Gegebenheiten
8
.
8
Mehr dazu siehe Eurowater 2 [Cor971 S. 381 ff].

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23
Ausweisen der Einzugsgebiete
Die Mitgliedstaaten bestimmen die Einzugsgebiete innerhalb ihres Hoheitsgebietes und ordnen sie
der jeweiligen Flussgebietseinheit zu (nach Art.3 Abs.1 S.1 WRRL). Ein Einzugsgebiet ist definiert
als ,,ein Gebiet, aus welchem über Ströme, Flüsse und möglicherweise Seen der gesamte Oberflächen-
abfluss an einer einzigen Flussmündung
9
, einem Ästuar
10
oder Delta
11
ins Meer gelangt" (Kotulla, M.
In: [Sol06]).
Eine Flussgebietseinheit ist ,,ein gemäß Art.3 Abs.1 als Haupteinheit für die Bewirtschaftung von
Einzugsgebieten festgelegtes Land- oder Meeresgebiet, das aus einem oder mehreren benachbarten
Einzugsgebieten und den ihnen zugeordneten Grundwässern und Küstengewässern besteht." (Art. 2
Nr. 15 WRRL).
Damit ist die verwaltungsrechtliche Einheit für das Aufstellen der geforderten Maßnahmenprogram-
me und Bewirtschaftungspläne festgelegt. Weiterhin mussten die Mitgliedstaaten geeignete zuständige
Behörden benennen, damit die Umsetzung der Richtlinie sowohl bei nationalen als auch internationa-
len Flussgebieten fristgerecht zur Anwendung kommt.
Koordinierungspflicht
Hinzu kommt die Koordinierungspflicht der Verwaltungsvereinbarung, der jeder Mitgliedstaat un-
tersteht. Allerdings werden keine genaueren Angaben zu diesen Koordinierungsstrukturen gemacht,
sondern nur auf das Aufstellen von Maßnahmenprogrammen innerhalb der eigenen Grenzen verwie-
sen; deshalb hat auf internationaler Ebene eine Abstimmung der verschiedenen Maßnahmenprogram-
me zu erfolgen. Ebenso ist mit den Bewirtschaftungsplänen zu verfahren. Bei Flussgebietseinheiten,
die vollständig im Gemeinschaftsgebiet liegen, sollte erzielt werden, einen einzigen Plan zu erstellen.
Nicht zu letzt sollen nicht nur Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne, sondern auch die
Erreichung der festgelegten Umweltziele miteinander koordiniert werden. Dazu gehören unter ande-
rem die Feststellung des IST-Zustands und die Ausweisung von Schutzgebieten [Sol06 S. 37].
Probleme
Eine der größten Herausforderungen der WRRL stellt mit Sicherheit die Neukonzeption der inte-
grierten Betrachtungsweise dar. Gewässer sollen als Ganzes von der Quelle bis zur Mündung betrach-
tet, bewirtschaftet und geschützt werden, anstatt wie bisher an administrativen Zuständigkeiten und
politischen Grenzen orientiert zu sein. ,,Dieser Ansatz ist zukunftsweisend und problemorientiert, denn
nur die Gesamtschau der Gewässerschutzprobleme ermöglicht es, die maßgeblichen Belastungsquellen
und Problempunkte zu erfassen und die erforderlichen Maßnahmen zur Konfliktbewältigung zu ergrei-
9
Als Flussmündung wird die Stelle bezeichnet, an der das von der Erdoberfläche abfließende Wasser über ein größtenteils
oberirdisch fließendes Binnengewässer (Fluss) das Küstengewässer erreicht [Kot99].
10
Unter einem Ästuar versteht man eine unter dem Einfluss der Gezeitenströme schlauch- und trichterförmig erweiterte
Flussmündung, an der sich abfließendes Süßwasser und eindringendes Meerwasser vermischen und mit den Gezeiten wech-
selnde Fließrichtungen vorherrschen [Kot99].
11
Bei einem Delta handelt es sich um eine fächerförmige Strommündung, die sich immer weiter in das Mündungsbecken
(See oder Meer) vorschiebt und dabei durch die Verminderung der Strömungsgeschwindigkeit die mitgeführten Stickstoffe
ablagert [Kot99].

4
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24
fen" [Bar97]. Diese administrative Sicht der Bewirtschaftung ist im Gegensatz zu Deutschland in
Großbritannien und Frankreich schon seit vielen Jahren gebräuchlich: in Frankreich wurden die Flüsse
seit 1966 in sechs Einzugsgebiete mit jeweiligen Verwaltungssitzen (agences de bassin) unterteilt und
auch in Großbritannien unterstehen die acht river basins seit dem Water Act 1973 der National River
Authority, die inzwischen Teil der Environment Agency
12
ist.
In Deutschland wurde die Wasserwirtschaftsverwaltung bisher nach politischen Verwaltungsgren-
zen und fachlichen Sektoren ausgelegt. Außerdem besteht auch bei europäischen Richtlinien weiterhin
die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz von Bund und Ländern.
Pflicht zur Umsetzung in nationales Recht
Nach Art. 24 Abs. 1 WRRL haben sich alle Mitgliedstaaten verpflichtet, die Richtlinie bis zum
22.12.2003 in nationales Recht umzusetzen. Das heißt, dass jeder Mitgliedstaat seine rechtliche Situa-
tion so anpassen muss, dass die WRRL verbindlich greifen kann. Dazu wurde ein Zeitraum von drei
Jahren angesetzt.
Die Rechtsgrundlage der WRRL selbst steht unter der Erreichung der Ziele des Art. 175 Abs. 1 EG:
Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie Verbesserung ihrer Qualität, Schutz der menschlichen Ge-
sundheit, umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen und die Förderung von
Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler und globaler Umweltprobleme.
Damit handelt es sich bei der WRRL also um einen zweistufigen Rechtsakt, der erst an die Mit-
gliedstaaten gerichtet wird und dann in nationales Recht umzusetzen ist. So wird gewährleistet, dass
nationale Besonderheiten in die rechtliche Ausgestaltung mit einfließen können.
4.2 Umsetzung in nationales Recht: Deutschland
Um die WRRL in nationales Recht umzusetzen, mussten Änderungen des Wasserhaushaltsgesetzes
(WHG) und der Landeswassergesetze durchgeführt werden und der Erlass von Landesverordnungen
geschehen.
Der Bund hat bereits 2002 seinen Teil zur Erfüllung, die 7. Novelle des WHG, geleistet. Dennoch
tragen die Länder seit der Modifizierung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Verfassungsre-
form 1994 die Hauptlast im Bereich der normativen Umsetzung. Da die Frist zur Umsetzung der
WRRL Ende 2003 ab lief und die Bundesländer größtenteils ihrer Verpflichtung zur Änderung ihrer
Landesgesetze nicht nachgekommen waren, drohte ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Euro-
päischen Gerichtshof wegen Fristversäumnis.
Das letzte Bundesland, bei dem erst 2006 die Änderung des Landeswassergesetzes in Kraft trat, war
Nordrhein-Westfalen. Mit diesem letzten Länderrechtsakt ist die WRRL komplett in nationales Recht
umgesetzt worden.
Mittlerweile betreiben Bund und Länder gemeinsam eine Internetplattform, die zur allgemeinen In-
12
Mehr dazu siehe Eurowater 1 ­ Vereinigtes Königreich [Cor97 S. 597 f].

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formation dient und auf der fast alle auf Englisch verfassten Guidance-Dokumente auf Deutsch bereit
gestellt werden. Dieses Forum ,,WasserBLIcK" wird von der Bundesanstalt für Gewässerkunde im
Auftrag des Bundesumweltministeriums und der LAWA unterhalten.
4.2.1
Neuerungen
Zu den wichtigen Neuerungen der WRRL im deutschen Wasserrecht gehören die flächendeckende,
an Naturräumen orientierte Gewässerbewirtschaftung und die neuen Instrumente Maßnahmenpro-
gramm und Bewirtschaftungsplan. Da es darüber bereits schon früher Diskussionen in der BRD gab,
war hier nur die Verpflichtung neu, die erteilten Genehmigungen bzw. Ge- und Verbote regelmäßig zu
überprüfen und zu aktualisieren (Art. 11 Abs. 3 WRRL). Dass die Bewirtschaftung allerdings an dem
festgelegten Qualitätsziel (guter Zustand) orientiert ist, bedeutet für Deutschland eine neue Betrach-
tungsweise der ökologischen Qualitätsmerkmale [Hol01 S. 173]. Ebenso bedeutend ist die Pflicht, die
Öffentlichkeit zu informieren und aktiv zu beteiligen (Art. 14 WRRL). Auch ökonomische Aspekte
fließen neuerdings in die Betrachtungen mit ein, um Entscheidungen über das Verhältnis von Kosten
und kostenwirksame Kombinationen von Maßnahmen zu fällen.
Der Grundsatz zur Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen (Art. 9 Abs. 1 WRRL) ist eben-
falls innovativ, da bisher nur wenige Bundesländer Gebühren zur Wasserentnahme verlangten und das
ohne Bezug zu Umwelt- und Ressourcenkosten. Dazu gehören auch die Abwasserentsorgung, das
Aufstauen von Gewässern zur Trinkwasserversorgung, die Schifffahrt und die Energiegewinnung mit-
tels Wasserkraftwerke. In diesem Nutzung-Ressourcen-Ungleichgewicht soll von nun an eine Kosten-
deckung nach dem Verursacherprinzip angestrebt werden, was wohl vor allem die Landwirte betreffen
wird. Auf diese Weise werden auch Anreize für einen sinnvollen und effizienten Umgang mit Wasser
geliefert.
4.2.2
Gesetzgebungskompetenz
Der Bund ist aufgrund der Gesetzgebungszuständigkeit in der Bundesrepublik Deutschland nur
dazu befugt, im Sachgebiet Wasserhaushalt Rahmenvorschriften zu erlassen (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3
GG). Sogar diese Rahmenvorschriften dürfen nur dann erlassen werden, wenn es der Herstellung
gleichwertiger Lebensbedingungen in der BRD dient oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschafts-
einheit in gesamtstaatlichem Interesse liegt.
Da die Rahmengesetzgebung noch keine Richtliniengesetzgebung ist, ist dem Landesgesetzgeber
die Ausfüllung dieses Rahmens vorbehalten. Deshalb hielt sich der Bund größtenteils zurück und
überließ den Ländern die Regelungen zum Aufstellen von Maßnahmenprogrammen und Bewirtschaf-
tungsplänen, die Vorschriften zum regelmäßigen Überprüfen wasserrechtlicher Bewilligungen und be-
sonders die Einbeziehung der Öffentlichkeit.
Wegen der eingeschränkten Geltung des Rahmengesetzes WHG reichte dessen 7. Novellierung
durch den Bund noch nicht zur normativen Umsetzung der WRRL aus. Erst die sechzehn Landeswas-

4
R
ECHTLICHE
S
ITUATION
26
sergesetze und weitere sechzehn Länderverordnungen mussten mit Hilfe der LAWA entsprechend ge-
ändert werden. Dass diese Rechtsakte lange hinaus gezögert und nicht fristgerecht abgeschlossen wur-
den, wurde schon zu Beginn des Kapitels beschrieben.
4.2.3
Verwaltungskompetenz
Die organisationsrechtlichen Anforderungen zur Verwaltung der Flusseinzugsgebiete gestalteten
sich schwierig. Denn je mehr Partner vorhanden sind, umso mehr Institutionen sind beteiligt: an der
Flussgebietseinheit Warnow/Peene sind gerade mal zwei Bundesländer beteiligt, während am Rhein
insgesamt neun Staaten und acht deutsche Bundesländer betroffen sind.
Für die Bewirtschaftung dieser internationalen Flusseinzugsgebiete bietet sich das 3-Ebenen-Mo-
dell
13
an:
·
Ebene 1: EU-Bewirtschaftungsplan für das gesamte Flusseinzugsgebiet
·
Ebene 2: regionale Flussgebietspläne für die wichtigsten Nebenflüsse
·
Ebene 3: lokale Flussgebietspläne für kleine Nebenflüsse
Der Vorwurf der Länder, die WRRL würde eine bestimmte Form der Verwaltungsstruktur der
Flussgebietseinheiten vorschreiben und damit ihren Kompetenzbereich untergraben, kann nicht unter-
mauert werden. Denn tatsächlich verpflichtet die Richtlinie zur Ausweisung einer oder mehrerer zu-
ständiger koordinierender Behörden (Art. 3 Abs. 2 WRRL), allerdings macht sie in Anhang I keine ge-
naueren Vorgaben dazu. In der englischen Originalversion ist der Begriff Verwaltungsbehörde sogar
noch etwas weiter gefasst als dessen deutsche Übersetzung: administrativ arrangement [Rum06 S.
35].
Damit muss es also eine für die Verwaltung der Flussgebietseinheiten zuständige bzw. alle beteilig-
ten Abschnitte koordinierende Behörde geben, die jedoch die Kompetenzen der Länder zur Form und
Ausgestaltung nicht beeinträchtigt.
4.2.4
Umsetzung auf Länderebene
Die Aufgabenbereiche auf Ebene des Landesrechts gliedern sich wie folgt:
·
Umsetzung der Regelungsaufträge aus der 7. WHG-Novelle
·
Festlegung neuer Verfahrensvorschriften zum Erstellen von Maßnahmenprogrammen und Be-
wirtschaftungsplänen
·
Umsetzung der Detailregelungen der Anhänge II und V WRRL
Davon kommen dem zweiten Punkt und der Regelung, die Bewirtschaftung der Flussgebietseinhei-
ten zu koordinieren, größte Bedeutung zu [Rum06 S. 41].
Planungsverband vs. Koordinierungsverbund
Um die Koordinierung der Umsetzungsmaßnahmen möglichst effizient und unkompliziert zu errei-
13
Mehr dazu siehe Europäisches Flussgebietsmanagement [Sol06 S. 152 ff].

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836635585
Dateigröße
11 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Weihenstephan; Abteilung Triesdorf – Landschaftsarchitektur
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
wasserwirtschaft gewässerschutz managementpläne eu-richtlinie landschaftsplanung
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Titel: Die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie bis 2015 auf EU-Ebene
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