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Theaterpädagogik und Systemtheorie

©2009 Bachelorarbeit 69 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der Sozialarbeiter benötigt, um angemessen und professionell arbeiten zu können, eine umfangreiche Wissens- und Methodenbasis. Dazu werden im Folgenden professionelle Qualitäten (Wissen, Können, Haltung) herausgestellt, die sich auf die Rolle des Sozialarbeiters als Dienstleister stützen. Zuvor soll die gesellschaftliche Legitimation der ‘Sozialen Arbeit als Dienstleistung’ erfolgen.
In der heutigen modernen Gesellschaft kann Soziale Arbeit nicht mehr von ‘Problemgruppen’ ausgehen. Die Pluralisierung fordert sie auf, einzelne individuelle Problemlagen wahrzunehmen, denn jeder kann unabhängig von seinem Status von belastenden Situationen betroffen werden. Dementsprechend gehören neben den klassischen Aufgaben (Bildung, Erziehung, Problemlösung) der Sozialen Arbeit, Aufgaben und Fragen der Identitätsfindung und Lebensführung des Adressaten zum Aufgabenfeld. Konkret bedeutet das für Organisationen und für die spezielle Fallarbeit, dass sie sich an den Wünschen und Vorstellungen der Adressaten orientieren oder darüber hinaus die Bedürfnisse als Ausgangspunkt betrachten sollen. Die Wünsche sollen gemäß des ‘uno-actu-Prinzips’ gemeinsam mit ihm ausgehandelt werden. Die drei Qualitätskompetenzen Wissen, Können, Haltung bedürfen einer kurzen Beschreibung. Mit dem Begriff Wissen ist ein Theorie- und Konzeptionsbestand gemeint, der die Praxis legitimieren soll. Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf das Wissen (Kopf) des systemisch-konstruktivistischen Ansatzes, der sich aus verschiedenen Theorieansätzen zusammensetzt. Diese werden in Kapitel Eins beschrieben und in Kapitel Drei anhand des spezifischen Arbeitsbereiches Theaterpädagogik angewendet. Das Können (Hand) beschreibt das Methodenrepertoire des Sozialarbeiters und ist im Wesentlichen erlernbar und weiter ausbaufähig. Die Methoden in der Theaterpädagogik beruhen hauptsächlich auf Spieleinheiten, die sogenannte Schlüsselkompetenzen schulen. Darunter fallen Selbstkompetenzen, Sozialkompetenzen, kulturelle Kompetenzen, Methodenkompetenzen und künstlerische Kompetenzen. Diese werden im Kapitel Zwei erläutert. Die Förderung und Entwicklung der Kompetenzen beruht im Grunde auf der Haltung (Herz) des Sozialarbeiters, die Adressaten dahingehend zu fördern, dass sie in der heutigen ausdifferenzierten Gesellschaft ein solides Selbstbewusstsein aufbauen und ihre eigene Identität herausbilden können.
Ausgehend von der Frage, welchen Beitrag die Systemtheorie für den Adressaten und den […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Verena Münch
Theaterpädagogik und Systemtheorie
ISBN: 978-3-8366-3418-2
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Katholische Fachhochschule NRW Abteilung Münster, Münster, Deutschland,
Bachelorarbeit, 2009
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung ...1
1 Beschreibung des Analyseinstrumentariums: Die Systemtheorie...5
1.1 Grundannahmen ...6
1.2 Soziale Systeme ...9
1.3 Systemisch-konstruktivistische Pädagogik...10
1.3.1 Gründe für eine systemisch-konstruktivistische Pädagogik...11
1.3.2 Voraussetzungen systemisch-konstruktivistischer Beobachtung. 12
1.3.3 Kommunikationstheorien...13
1.3.4 Unterscheidung zwischen Beziehungs-, Inhalts- und Weltebene.
Die pädagogische Beobachtung. ...14
1.3.5 Symbolwelten, Imagination und Realität ...17
1.3.6 Neutralität und Allparteilichkeit ...18
1.3.7 Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion...19
2 Beschreibung des Analysegegenstandes: Die Theaterpädagogik...20
2.1 Entstehung der Theaterpädagogik...20
2.1.1 Das Medium Theater ...20
2.1.2 Ziele und deren Gewichtung in theaterpädagogischen Feldern ...21
2.2 Der Spielleiter nach Nickel ...23
2.2.1 Reflektierend-intellektuelle Aufgaben des Theaterpädagogen ...23
2.2.2 Konkret-gestaltende Aufgaben des Theaterpädagogen...26
2.2.3 Lernerfahrungen oder Transfer in die Realität...29
3 Systemisch-konstruktivistische Theaterpädagogik ...34
3.1 Abgrenzung zu anderen Systemen...34
3.1.1 Reflektierend-intellektuelle Aufgaben eines systemisch-
konstruktivistischen Theaterpädagogen ...37
3.1.2 Konkret-gestaltende Aufgaben eines systemisch-konstruktivis-
tischen Theaterpädagogen...40
3.1.3 Unterscheidung zwischen Beziehungs-, Inhalts und Weltebene. Die
pädagogische Beobachtung...46
3.1.4 Die systemisch-konstruktivistische Theaterpädagogik und
Kommunikationstheorien...49
3.1.5 Symbolwelt, Imaginäres und Realität ...51
3.1.6 Neutralität und Allparteilichkeit ...53
3.1.7 Schlüsselkompetenzen oder die Haltung des Theaterpädagogen54
3.1.8 Das Zeichensystem der Theaterpädagogik...57

Inhaltsverzeichnis
4 Fazit...59
Literaturverzeichnis ...62

Einleitung
1
0 Einleitung
Der Sozialarbeiter benötigt, um angemessen und professionell arbeiten zu
können, eine umfangreiche Wissens- und Methodenbasis. Dazu werden
im Folgenden professionelle Qualitäten (Wissen, Können, Haltung) her-
ausgestellt, die sich auf die Rolle des Sozialarbeiters als Dienstleister stüt-
zen. Zuvor soll die gesellschaftliche Legitimation der ,,Sozialen Arbeit als
Dienstleistung"
1
erfolgen.
In der heutigen modernen Gesellschaft kann Soziale Arbeit nicht mehr von
,,Problemgruppen"
2
ausgehen. Die Pluralisierung fordert sie auf, einzelne
individuelle Problemlagen wahrzunehmen, denn jeder kann unabhängig
von seinem Status von belastenden Situationen betroffen werden. Dem-
entsprechend gehören neben den klassischen Aufgaben (Bildung, Erzie-
hung, Problemlösung) der Sozialen Arbeit, Aufgaben und Fragen der Iden-
titätsfindung und Lebensführung des Adressaten zum Aufgabenfeld. Kon-
kret bedeutet das für Organisationen und für die spezielle Fallarbeit, dass
sie sich an den Wünschen und Vorstellungen der Adressaten orientieren
oder darüber hinaus die Bedürfnisse als Ausgangspunkt betrachten sollen.
Die Wünsche sollen gemäß des ,,uno-actu-Prinzips"
3
gemeinsam mit ihm
ausgehandelt werden.
4
Die drei Qualitätskompetenzen Wissen, Können,
Haltung bedürfen einer kurzen Beschreibung. Mit dem Begriff Wissen ist
ein Theorie- und Konzeptionsbestand gemeint, der die Praxis legitimieren
soll. Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf das Wissen (Kopf) des syste-
misch-konstruktivistischen Ansatzes, der sich aus verschiedenen Theorie-
ansätzen zusammensetzt. Diese werden in Kapitel Eins beschrieben und
in Kapitel Drei anhand des spezifischen Arbeitsbereiches Theaterpädago-
gik angewendet. Das Können (Hand) beschreibt das Methodenrepertoire
des Sozialarbeiters und ist im Wesentlichen erlernbar und weiter ausbau-
fähig. Die Methoden in der Theaterpädagogik beruhen hauptsächlich auf
Spieleinheiten, die sogenannte Schlüsselkompetenzen schulen. Darunter
fallen Selbstkompetenzen, Sozialkompetenzen, kulturelle Kompetenzen,
1
von Spiegel 2008S. 489
2
Ebd. S. 489
3
Greuèl, Mennemann 2006 S. 19
4
Vgl. von Spiegel S. 489f

Einleitung
2
Methodenkompetenzen und künstlerische Kompetenzen. Diese werden im
Kapitel Zwei erläutert. Die Förderung und Entwicklung der Kompetenzen
beruht im Grunde auf der Haltung (Herz) des Sozialarbeiters, die Adressa-
ten dahingehend zu fördern, dass sie in der heutigen ausdifferenzierten
Gesellschaft ein solides Selbstbewusstsein aufbauen und ihre eigene
Identität herausbilden können.
Ausgehend von der Frage, welchen Beitrag die Systemtheorie für den Ad-
ressaten und den Sozialarbeiter allgemein leisten kann, werden zunächst
grundlegende Paradigmen der Systemtheorie erläutert. Um in der Päda-
gogik Anwendung finden zu können, wird die Systemtheorie durch weitere
Theoriebausteine ergänzt. In einem weiterführenden Beitrag wird das so-
ziale System, welches die Grundlage allen Helfens in der Sozialen Arbeit
ist und deren Betrachtung zur Aufdeckung von Konflikten und Störungen
dienen kann, näher erklärt, um abschließend die Relevanz des syste-
misch-konstruktivistischen Ansatzes für die Soziale Arbeit herauszustellen.
Im zweiten Kapitel möchte ich die Geschichte des Mediums Theater und
ihre Veränderung bis hin zu heutigen Lernprozessen durch eigene Beteili-
gung für den Spieler und den Rezipienten erläutern. Anschließend sollen
vielfältige Arbeitsfelder des Pädagogen kurz skizziert werden, um dann die
theaterpädagogische Arbeitsweise von Nickel zu beschreiben. Die aus der
Arbeit hervorgehenden Lernprozesse, die aus der theaterpädagogischen
Arbeit mit einer Gruppe folgen, werden durch Hoppe eingehend beschrie-
ben.
In meiner Analyse möchte ich zunächst das gesellschaftliche Teilsystem
Theaterpädagogik skizzieren. Dem folgt eine Untersuchung allgemeiner
Wissensbestände, Aufgaben und Haltungen des Theaterpädagogen größ-
tenteils anhand der Beschreibungen von Nickel und Hoppe. Diese haben
über die Grenzen theaterpädagogischer Praxis hinaus nach Auswirkungen
und Lerneffekten gefragt, um den von Kleve (2003) und Reich (2005)
konstatierten entscheidenden Theorie-Praxistransfer zu gewährleisten.
Daraus ergeben sich die obengenannten Anforderungen an einen profes-
sionellen Theaterpädagogen, die sich auch unter den Begriffen Wissen,

Einleitung
3
Können, Haltung
5
in der Sozialen Arbeit etabliert haben. Damit möchte ich
zum einen den Universalitätsanspruch der Systemtheorie anhand eines
Funktionssystems überprüfen. Zum anderen möchte ich Möglichkeiten und
Chancen eines systemisch-konstruktivistisch orientierten Ansatzes für die
Theaterpädagogik und im speziellen für den Theaterpädagogen in der
heutigen Gesellschaft herausstellen. Die Theorie- und Praxislandschaft in
der Theaterpädagogik präsentiert sich als unübersichtlich und komplex.
Die vorliegende Arbeit versucht nicht, die Debatte zu klären. Sie versucht
einen Überblick der Anforderungen an einen systemisch-
konstruktivistischen arbeitenden Theaterpädagogen zu formulieren, unab-
hängig davon, welche Ziele denn nun tatsächlich erreicht werden. Die Be-
antwortung hebt sich mit der Idee des Ansatzes auf, da die Aneignung von
Lernprozessen individuell ist. In dieser Arbeit geht es um die Frage, wie in
der heutigen Gesellschaft professionell gearbeitet werden muss, um einen
Lerneffekt, sei dieser künstlerisch-ästhetischer, sozialer oder persönlicher
Natur, zu bewirken.
6
Dazu wird das Konzept von Nickel( 2009) als Unter-
suchungsgegenstand herangezogen. Das Produkt einer Aufführung wird
eher am Rande bearbeitet, da die Spieleinheiten für die Entwicklung im
Vordergrund stehen. Mit der Systemtheorie lässt sich die professionelle
Theaterpädagogik strukturiert aufzeigen und wird gleichzeitig dem Men-
schen in seiner Ganzheitlichkeit gerecht.
Im Gegensatz zu trivialen Systemen, die einem Kausalitätsprinzip folgen,
treten systemische Modelle dort auf, wo es sich um zirkuläre Prozesse,
um Interaktion handelt. Aus diesem Grunde sind systemisch-
konstruktivistische Ansätze für die Beschreibung einer Theatergruppe ge-
eignet, da es sich um Kommunikation mit und in der Gruppe handelt und
darüber hinaus individuellen Nutzen für den Einzelnen zeigt. In manchen
theaterpädagogischen Fortbildungen wird die Beziehungsebene oft igno-
riert, was dann auf einen Erlebnisprozess abzielt, der jedoch nicht reflek-
tiert wird. Dies führt zu einer unbefriedigenden willkürlichen Handhabung
theaterpädagogischer Methoden.
7
5
Vgl. ebd. S. 597
6
Siehe auch Bidlo 2006 S. 40
7
Vgl. Reich 2005 S. 25; Hentschel 2006 S. 109; Bidlo 2006 S. 34f

Einleitung
4
Da Theaterpädagogik eine fördernde Wirkung hat, die auf die Persönlich-
keitsbildung des Einzelnen abzielt, jedoch nicht unbedingt lebensnotwen-
dig ist, wird dieser Bereich der Pädagogik nicht unbedingt finanziell bezu-
schusst.
8
Umso mehr besteht der Bedarf einer professionellen Theaterpä-
dagogik durch eine systemisch-konstruktivistische Fundierung, um eine
dem Adressaten gerechte Vorgehens- und Wirkungsweise der Arbeit auf-
zuzeigen und um in der Gesellschaft anerkannt zu werden.
8
Vgl. Nickel 2009 S. 143

Beschreibung des Analyseinstrumentariums: Die Systemtheorie
5
1 Beschreibung des Analyseinstrumentariums: Die Sys-
temtheorie
Spricht man heutzutage von Systemtheorie, so ist damit nicht nur die so-
ziologische Systemtheorie gemeint. Sie ist zu einer disziplinübergreifen-
den Theorie geworden und findet in zahlreichen Arbeitsfeldern Anwen-
dung. Dabei ist sie nicht mehr nur wissenschaftstheoretisch, sondern auch
kulturtheoretisch relevant.
9
Das System beschreibt hierbei ein Ganzes,
welches aus Teilen zusammengesetzt ist und dadurch mehr als die Sum-
me seiner Teile ergibt. Die jeweiligen Beobachter eines Systems geben
ihm seine Identität und Struktur.
10
Sie treffen Unterscheidungen, welche
sich im Handeln des Einzelnen ausdrücken und von seiner Umwelt ab-
grenzen.
11
Wichtige Grundvoraussetzung ist dabei die Eigenschaft des
Systems, zwischen sich und anderen zu unterscheiden (Selbst- und
Fremdreferenz). Ein System entsteht nicht aus etwas völlig Neuem, son-
dern ist immer schon vorstrukturiert. Dabei kann die Gefahr der Vereinsei-
tigung entstehen, wenn keine Irritation durch externe Faktoren stattfin-
det
12
, da Selbstreferenz immer in zirkulären Prozessen verläuft.
Soziale Arbeit muss, um der individuellen komplexen Lebenssituation des
Menschen gerecht zu werden, die Wahrnehmung und Vorstellungen des
Adressaten in die Hilfe mit einbeziehen, sie eventuell sogar zum Mittel-
punkt seiner Arbeit machen.
13
Diese Annahme erfordert einen konstrukti-
vistischen Blick auf die Welt, welcher von biologischer, soziologischer und
kybernetischer Seite untermauert ist. Systemtheorie und Konstruktivismus
sind eng miteinander verknüpft. Während die Systemtheorie davon aus-
geht, dass Systeme sich nur selbst beschreiben und reproduzieren kön-
nen, ist die konstruktivistische Sichtweise durch eine Beobachterperspek-
tive geprägt, die die mögliche Wahrnehmung einer objektiven Wirklichkeit
für unmöglich hält.
14
9
Vgl. Kneer, Nassehi 2000 S. 18; Vgl. Reich 2005 S. VII
10
Vgl. Ritscher 2007 S. 31
11
Vgl. Luhmann 1987 S. 191
12
Vgl. Reich 2005 S. 26
13
Vgl. Von Spiegel 2008 S. 590; Vgl. Reich 2005 S. 123
14
Kleve 2003 S. 34

Beschreibung des Analyseinstrumentariums: Die Systemtheorie
6
Ausgehend von der Frage, was ein systemisch-konstruktivistischer Ansatz
für die Soziale Arbeit bedeuten kann, werden wichtige Paradigmen dieses
Ansatzes nachfolgend kurz skizziert.
1.1 Grundannahmen
Die Systemtheorie ist eine Analyseeinheit, die in zahlreichen Ebenen Ver-
wendung findet. Im Gegensatz zu traditionellen systemtheoretischen An-
nahmen, die von dem Ganzen bestehend aus Teilen ausgingen und den
Fokus auf Systeminternes lenkten, stellt Luhmann die System-Umwelt-
Differenz als Leitdifferenz
15
dar. Demnach rücken die Grenzen (Sinngren-
zen) in den Mittelpunkt der Betrachtung und nicht mehr das System
selbst
16
. Allgemein lassen sich unter dem Begriff System vier elementare
Ebenen ausmachen, die sich durch ihre spezifischen Operationsweisen
voneinander unterscheiden:
1. Maschinen
2. Biologische Systeme
3. Soziale Systeme
4. Psychische Systeme
17
Zu Beginn der Evolution entstand das biologische System in Form von
Leben. Im Laufe der Evolutionsprozesse entwickelten sich das psychische
System, in Form von Bewusstsein, und das soziale System, auf der Basis
von Kommunikation.
18
Alle genannten Systeme können sich nur aus sich
selbst heraus reproduzieren und sich somit von der Umwelt abgrenzen.
Sie sind autopoietisch.
19
Jedoch ist das biologische System Vorausset-
zung für das psychische und dieses wiederum für das soziale System.
20
15
Vgl. Luhmann 1987, S. 20
16
Vgl. Berghaus 2003, S. 24
17
Vgl. Luhmann 1987 S. 15f
18
Maschinen als triviale Systeme sind für eine systemisch-konstruktivistische Sichtweise
und folglich für diese Arbeit weniger relevant.
19
Kneer, Nassehi 2000 S. 63
20
Kneer, Nassehi (2000) und Kleve (2003) sprechen auch von Interpenetration oder auch
strukturelle Kopplung.

Beschreibung des Analyseinstrumentariums: Die Systemtheorie
7
Dementsprechend sind Systeme operativ geschlossen und gleichzeitig
umweltoffen. Sie benötigen Angebote aus anderen Systemen (der Um-
welt), um sich erhalten zu können. Diese können je nach Sinnbeschaffen-
heit des Systems angenommen oder abgelehnt werden. Aufgrund unzäh-
liger Variationen von Anschlussoperationen bzw. -selektionen entstehen
Ausdifferenzierungen in Subsystemen. Jedes Subsystem und seine Um-
welt ist enorm komplex aufgebaut. Damit einher geht das Problem der
Kontingenz
21
. Aufgrund unzähliger Variationen, die die Umwelt dem Sys-
tem zu Verfügung stellt, muss eine Entscheidung getroffen werden, die
weitere Operationen ermöglicht und eine Vielzahl anderer Möglichkeiten
ausschließt. Das System trifft demnach Unterscheidungen, die es von sei-
ner Umwelt abgrenzen. Die Grenze eines Systems, die immer systemspe-
zifisch ist, wird in psychischen und in sozialen Systemen durch den Sinn
gekennzeichnet und unterscheidet Wichtiges von Unwichtigem. Die Um-
welt (ebenfalls systemspezifisch)
22
unterscheidet sich von einem bestimm-
ten System dadurch, dass es keine Grenzen aufweist und nicht festgesetzt
ist. Die Welt ist demnach kein System, da es keine Umwelt aufweist. Sie
ist eine unüberschaubare Größe und wird nur durch die Sinnhaftigkeit ei-
nes Systems zu dessen Umwelt.
23
Die Systemtheorie beschreibt die Welt
als eine Fülle ausdifferenzierter Teilsysteme, die an Komplexität immer
weiter zunehmen.
Unmittelbar mit der systemtheoretischen Beschreibung verbunden ist die
Sichtweise des Konstruktivismus. Die Realität wird demnach von der je-
weiligen Beobachterperspektive aus konstruiert
24
, welche in der heutigen
Pluralisierung der Gesellschaft eine hilfreiche Annahme ist.
25
Im Gegen-
satz zum radikalen Konstruktivismus, der die Bedeutung der Realität ver-
leugnet
26
, geht Luhmann davon aus, dass die Realität Voraussetzung für
die Entstehung von System und Umwelt ist, die aber nur aus der jeweili-
gen Beobachterperspektive beschrieben werden kann. System und Um-
21
Vgl. Kleve 2003, S.23
22
Vgl. Berghaus 2003, S. 40
23
Kneer, Nassehi
24
Vgl. Reich 2005, S. 20
25
Ausführlicher vgl. Kleve 2003 S. 36
26
Vgl. Metzler Lexikon, S. 501

Beschreibung des Analyseinstrumentariums: Die Systemtheorie
8
welt setzen demnach eine Realität voraus, die jedoch nur durch die jewei-
lige Umwelt des Systems konkretisierbar werden
27
. Jede Wahrnehmung
von Wirklichkeit ist durch den Beobachter (erster Ordnung) zu definieren.
Dem folgt die Beobachtung zweiter Ordnung, die Beobachtung des Beob-
achters. Allerdings bleibt immer ein blinder Fleck, etwas, das der Beob-
achter nicht sieht
28
.
Der Konstruktivismus ist aus mehreren Ansätzen entstanden, die hier kurz
erläutert werden. Er ist stark durch die Kommunikationstheorien Watzla-
wicks geprägt, die sich mit den vier Seiten einer Nachricht und auftreten-
den Kommunikationsstörungen auseinandersetzt. Darüber hinaus hat die
Kybernetik Erklärungen für die Entstehung blinder Flecke in der Beobach-
tung gefunden, da der Mensch, wie bereits erläutert, immer nur bruch-
stückhaft aus der Umwelt selektiert, was für ihn sinnvoll ist. Durch die Be-
obachtung des Beobachters (Kybernetik zweiter Ordnung) können blinde
Flecke aufgedeckt werden. Die Kognitionstheorie von Maturana und Vare-
la
29
definiert ein System als ein operational geschlossenes, aus sich her-
aus reproduzierendes System. Die Umwelt kann das System also lediglich
zu Veränderungen anregen. Von Bateson stammt die Differenztheorie, die
kein Interesse an systeminterner Einheit hat, sondern den Fokus auf die
Unterschiede legt, die das System von seiner Umwelt unterscheidet.
Luhmann fasst diese wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse in einer
soziologischen Systemtheorie zusammen. Nach Kleve (2003) umfasst die-
se eingehend die Ganzheitlichkeit des Menschen und ist deshalb für das
theoretische Grundgerüst eines Sozialarbeiters vorteilhaft.
30
Reich (2005)
ergänzt die Theoriebezüge durch Lerntheorien von Piaget, Dewey und
Wygotsky und durch die Voraussetzung eines Beobachtungsfeldes, wel-
ches Dinge und Prozesse in raum-zeitlicher Systemgestalt umfasst. Inner-
halb des Beobachtungsfeldes gibt es zwei Arten von Kommunikationswirk-
27
Vgl. Berghaus 2003, S. 40
28
Ebd. S. 30
29
Vgl. Kleve 2003 S. 38
30
Ebd. S. 37ff

Beschreibung des Analyseinstrumentariums: Die Systemtheorie
9
lichkeiten, die systemisch beschrieben werden können: Beziehungs- und
Inhaltsebene.
1.2 Soziale Systeme
Aufgrund der Annahme struktureller Kopplung ist der Mensch Vorausset-
zung des sozialen Systems. Er besteht so gesehen aus mehreren Syste-
men, die unabhängig voneinander operieren.
Wenn im weiteren Verlauf
die Rede vom Menschen ist, ist also nicht das System Mensch gemeint,
sondern der Mensch bestehend aus einer Vielzahl von Systemen.
31
So-
ziale Systeme schließen die Lücke zwischen der Welt und psychischem
Bewusstsein, welches die Komplexität in der Welt zwecks Informations-
verarbeitung reduziert.
32
Die hohe Komplexität der Kommunikation kommt
durch den jeweiligen sozialen Kontext zustande, da Informationen von je-
dem Beobachter anders interpretiert und aufgenommen werden.
33
Soziale
Systeme operieren demnach in Form von Kommunikation.
34
Die kleinste
Einheit von Kommunikation bilden Interaktionen, an denen ,,zwei informa-
tionsverarbeitende Prozessoren"
35
beteiligt sind, gefolgt von Organisatio-
nen und dem größten sozialen System der Gesellschaft. Innerhalb der
Kommunikation finden drei Selektionsvorgänge statt, die Luhmann als In-
formation, Mitteilung und Verstehen bezeichnet. Unter Information ist ein
selektiver Prozess zu verstehen, in dem eine Person (Alter) aus der Men-
ge an Informationen aus seiner Umwelt auswählt. Darüber hinaus muss
sie entscheiden, welche Informationen, der ausgewählten sie mitteilen
möchte. Ein kommunikativer Vorgang ist dann abgeschlossen, wenn eine
weitere Person (Ego) aus dem Mitgeteilten das für sich Relevante aus-
wählt. Aufgrund spezifischer Selektion in den drei Vorgängen wird deut-
lich, dass Kommunikation immer anders ausfallen könnte (Kontingenz)
und eine Vielzahl von Möglichkeiten bereit hält (Komplexität). Psychische
und soziale Systeme operieren entsprechend ihrem Sinnzusammenhang.
31
Ausführlicher siehe Kneer, Nassehi 2000 S. 65ff
32
Kneer, Nassehi 2000 S. 40
33
Kleve 2003 S. 40
34
Vgl. Luhmann 1987 S. 191
35
Ebd. 1987 S. 191

Beschreibung des Analyseinstrumentariums: Die Systemtheorie
10
Dabei sind Aktualität und Möglichkeiten zu unterscheiden. In der aktuellen
Situation entscheidet sich das System aus den komplexen Möglichkeiten
für eine folgende Anschlussoperation, die es für sinnvoll hält. Ausselektier-
te Möglichkeiten bleiben also als solche erhalten.
36
Da Kommunikation
aus mindestens zwei Personen besteht, (darunter sind beispielsweise
ebenfalls Bücher oder das Fernsehen zu fassen) spricht man von doppel-
ter Kontingenz. Dabei ist zu beachten, dass der andere nie vollständig
verstanden werden kann, da es nie einen direkten Transfer psychischer
Prozesse geben kann, sondern immer nur einen indirekten über die Spra-
che. In den verschiedenen Subsystemen, die sich in unterschiedlichen
Situationen gestalten, spricht die Systemtheorie von Personen, die eine
andere Rolle am Arbeitsplatz einnehmen als in der Familie. Die Rollenan-
nahme spiegelt sich im jeweiligen Verhalten wider. Systeme zeichnen sich
also durch einen hohen Grad an Komplexität aus, die durch eine Vielzahl
an Ausdifferenzierungen weiter voranschreitet.
1.3 Systemisch-konstruktivistische Pädagogik
Aus den oben erläuterten Paradigmen der Systemtheorie, des Konstrukti-
vismus und den Kommunikationstheorien ergeben sich Voraussetzungen
für eine systemisch-konstruktivistisch arbeitende Pädagogik. In der letzten
Zeit findet die Systemtheorie zunehmend Einzug in die systemische The-
rapie und Beratung
37
und zugleich nimmt sie in der Pädagogik einen wich-
tigen Platz ein. Während sie in den ersten Jahren naturwissenschaftlich
angelegt war, wird sie heute immer häufiger kulturtheoretisch relevant.
38
Das theoretische Wissen ist ein wichtiger Bestandteil professioneller Sozi-
aler Arbeit. In der theoretischen Fundierung liegt die Gewissheit, planvoll
und nicht willkürlich handeln zu können. Mit dem Wissen um Paradigmen
des systemisch-konstruktivistischen Ansatzes kann der Mensch in seiner
Ganzheitlichkeit wahrgenommen werden. Der Fokus liegt dabei auf der
Analyse sozialer Systeme. In der heutigen Gesellschaft sieht sich der
Mensch angesichts der Wahlmöglichkeiten in seinen Entscheidungen
36
Kneer, Nassehi 2000 S. 75f
37
Vgl. Schlippe 2007 S. 11f
38
Vgl. Kneer, Nassehi 2000 S. 18; Reich 2005 S. VII

Beschreibung des Analyseinstrumentariums: Die Systemtheorie
11
überfordert. Er lebt in ständigen Ungewissheiten, da er in ,,höchst unter-
schiedlichen und oft widersprüchlichen Bedeutungs- und Erfahrungswel-
ten"
39
lebt. Aus dieser Tatsache heraus ergeben sich Konsequenzen für
die Soziale Arbeit, welche die folgende Beschreibung dieses Ansatzes
zeigt.
1.3.1 Gründe für eine systemisch-konstruktivistische Pädagogik
Reich (2005) hat sich eingehend mit dem systemisch-konstruktivistischen
Ansatz und seine Auswirkung auf die Pädagogik beschäftigt. Er nennt
sechs Gründe der Legitimierung einer systemisch-konstruktivistischen Pä-
dagogik, welche einzelne ,,Wissenschaften im Diskurs selbst unsicher"
40
erscheinen lassen.
1. Die Pädagogik entwickelte sich zunehmend zu einem eklektizisti-
schen Wissenschaftsbereich, um der komplexen Lebenswelt des
Klienten gerecht zu werden.
2. Da sich der Mensch und seine Umwelt in einem stetigen rasanten
Wandel befinden, muss sich die Pädagogik, weil sie die individuelle
Lebenssituation des Klienten ergänzen, unterstützen und ersetzen
will, den Veränderungen anpassen.
41
3. Im 19. Jahrhundert fand ein Wandel der idealisierten ,,objektivisti-
schen Macht"
42
von Wissenschaft zu einer gänzlich neuen Sicht-
weise statt. Die Folgen in der Pädagogik waren in der Wahrneh-
mung menschlicher Prozesse zu sehen. Diese wurden nun als dy-
namisch, unvorhersehbar und konstruktiv gesehen.
4. Die Konsequenzen der Pluralisierung für die Pädagogik waren die
Annahme einer konstruierten Beobachtermöglichkeit der Pädago-
gik, die keine Allgemeingültigkeit mehr besaß. Unter der traditionel-
len Sichtweise konnte sie den Bedürfnissen der Adressaten nicht
mehr gerecht werden.
5. Der Pragmatismus trug dazu bei, dass Probleme keine Zuschrei-
bungen auf einzelne Menschen waren, sondern im Beziehungspro-
39
Eickelpasch 1999 S. 68
40
Reich 2005 S. 11
41
Vgl. Thole 2002 S. 20

Beschreibung des Analyseinstrumentariums: Die Systemtheorie
12
zess gesehen wurden. Er führte dazu, dass Probleme innerhalb der
Lebenswelt des Klienten mit seinem eigenen Willen gelöst werden
konnten.
6. ,,Im Zeitalter der Dekonstruktion"
43
der Moderne wird die Sichtweise
der Wissenschaften wenn auch nicht willkürlich, dennoch relativiert
betrachtet. Diese Auffassung, die von einer konstruierten Wahr-
nehmung ausgeht, zeigt Auswirkungen in der Sozialen Arbeit.
44
Durch die fortschreitende Orientierung an dem ganzheitlich wahrgenom-
menen Menschen steigt die Anforderung an die Soziale Arbeit bei gleich-
zeitiger Entwicklung höherer Freiheitsgrade innerhalb des Theorie- und
Praxisfeldes
45
.
1.3.2 Voraussetzungen systemisch-konstruktivistischer Beobach-
tung.
Es gibt drei grundsätzliche Voraussetzungen, die ein systemisch-
konstruktivistischer Beobachter berücksichtigen sollte. Aufgrund kon-
struierter Wirklichkeiten kann der Beobachter keinen Wahrheitsanspruch
auf seine Aussagen erheben, auch wenn diese professionellen Hinter-
grund haben. Er hat darauf zu achten, dass aufgrund von Selektionsschrit-
ten in der Kommunikation die Beobachter des Systems keine objektiven
Aussagen treffen können (Prinzip der Nicht-Identität). Wie bereits erwähnt
gibt es zwar eine objektive Realität, die ist aber nur aus der jeweiligen Be-
obachterperspektive zugänglich. Aufgrund dessen ist darüber hinaus kei-
ne vollständige Wiedergabe der Welt möglich (Prinzip der Nichtvollstän-
digkeit). Zudem geht jede Sichtweise von Dingen des jeweiligen Beobach-
ters aus (Prinzip der Selbst-Reflexivität).
46
Probleme lassen sich nicht dem Einzelnen zuschreiben, sondern entste-
hen durch kommunikative Prozesse. Diese bewegen sich in einem zirkulä-
42
Reich 2005 S. 13
43
Ebd. S. 14
44
Im heutigen Diskurs wird Soziale Arbeit und Sozialpädagogik begrifflich nicht mehr
getrennt. Vgl. dazu auch Thole 2002 S.14.
45
Vgl. Reich 2005 S. 14
46
Ebd. S.28

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Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836634182
DOI
10.3239/9783836634182
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Katholische Fachhochschule Nordrhein-Westfalen - Abteilung Münster – Sozialwissenschaft, Soziale Arbeit
Erscheinungsdatum
2009 (August)
Note
1,0
Schlagworte
symbolwelt realität soziale systeme spielleiter wolfgang nickel
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Titel: Theaterpädagogik und Systemtheorie
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