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Online Rollenspielwelten - Eine neue Heimat für Utopien?

©2009 Diplomarbeit 63 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der erste Blick (Utopie?):
Der Wunsch in einer idealen Welt, im Paradies, leben zu können beschäftigt die Menschheit schon seit langem.
Scheinbar ist es endlich soweit.
Nur einen Mausklick entfernt wartet eine Zukunft auf uns, in der wir unseren Wunschvorstellungen endlich entsprechen können. Niemand wird in die ‘neue Welt’ hinein geboren und muss mit den daraus entstehenden Umständen zurechtkommen. Die virtuellen Welten scheinen uns mit göttlicher Allmacht auszustatten, die uns erlaubt, uns selbst zu erschaffen. Ganz nach unseren Vorlieben wählen wir Geschlecht und Aussehen, bestimmen die Figur, die Augenfarbe sogar die Frisur etc.
Alle Krankheiten sind in diesen virtuellen Welten heilbar, niemand wird alt und gebrechlich, sogar der Tod spielt kaum noch eine Rolle.
Endlich kann jeder die Welt besuchen, in die er sich sonst höchstens hinein geträumt hat. Eine mittelalterliche Phantasie-Welt zum Beispiel, oder auf einen anderen Planeten in einer weit entfernten Galaxie, oder in einen, von Strahlen verseuchten, Sperrbezirk (ja, auch hierfür gibt es Träumer). Die Vielfalt der neuen Welten ist scheinbar grenzenlos.
Aber ist es wirklich so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht? Spiel und Utopie sind sich in manchen Eigenschaften sehr ähnlich, doch reicht ein Computer und ein Internetzugang um die Grenze zwischen beiden zu überwinden?
In der vorliegenden Arbeit soll untersucht und dargelegt werden, was Online Rollenspielwelten bieten können, und was nicht.
Über die Stigmatisierung neuer Medien:
Wird ein (neues) Medium populärer und gewinnt es in der Jugendkultur an Bedeutung, so begegnet ihm die Mehrheit der erwachsenen Gesellschaft mit ängstlichem Misstrauen. Diese Medien gelten schnell als unseriös, seicht und man unterstellt ihnen gerne einen schlechten Einfluss auf Kinder und Jugendliche.
Dieses Phänomen ist keinesfalls neu. Bereits um 1800 war das Lesen zum Zeitvertreib (Romane) in heftige Kritik geraten. Man befürchtete extrem schlimme Auswirkungen auf Körper und Verstand der, von der ‘Lesesucht’ Betroffenen (überwiegend Frauen).
Am Anfang des 19 Jahrhunderts versuchten Wissenschaftler mit Eifer, den Zusammenhang zwischen Filmkonsum und Gewalttätigkeit nachzuweisen, ohne Erfolg.
1954 gerieten die, in die Mode kommenden, Comics ins Visier der selben Vorwürfe. Erst wurden diese regelrecht dämonisiert, später distanzierten sich jedoch einige Wissenschaftler von ihren Vermutungen wieder.
Vor kurzem noch […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Der erste Blick (Utopie?)
1.2 Über die Stigmatisierung neuer Medien
1.3 Thematische Eingrenzung
1.4 Aufbau der Arbeit

2 Zur Definition und Bedeutung des Spiels
2.1 Über den Unterschied zwischen realer und gespielter Aggressivität
2.2 Was sind Rollenspiele
2.2.1 Das Live Rollenspiel
2.2.2 Das Pen Paper Rollenspiel
2.3 Das Online Rollenspiel
2.3.1 Die Spielleitung im MMORPG
2.3.2 Der MMORPG Spieler (am Beispiel „WoW“)
2.3.3 Der Spielablauf von MMORPGs (am Beispiel „WoW“)
2.3.4 Das Ziel von MMORPGs

3 Zu den Chancen und Risiken von MMORPGs
3.1 Der Rollenwechsel in MMORPGs
3.1.1 “Gender swapping“
3.1.2 Virtuelle Begegnungen
3.2 Der Kompetenzerwerb
3.3 Die Gilde
3.4 Das Flow – Erlebnis
3.5 Der Zeitfaktor
3.6 Die Sucht
3.6.1 Computerspielsucht fördernde, personengebundene Faktoren
3.6.2 Computerspielsucht fördernde, spielimmanente Faktoren
3.6.3 Die Bedeutung dieser Faktoren
3.6.4 Zum Umgang mit der Sucht
3.7 Die Regulierung der Abgabe solcher Spiele
3.8 Rechtliche Unsicherheiten

4 Zum Thema Kindheit in der Mediengesellschaft
4.1 Zur Bedeutung von Medienkompetenz
4.2 Multioptionsgesellschaft und Selektionsdruck

5 Schlussbetrachtung
5.1 Der Zweite Blick (Ernüchterung)
5.2 Persönliche Erkenntnisse

Abkürzungs- und Symbolverzeichnis

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Der erste Blick (Utopie?)

Der Wunsch in einer idealen Welt, im Paradies, leben zu können beschäftigt die Menschheit schon seit langem.

Scheinbar ist es endlich soweit.[1]

Nur einen Mausklick entfernt wartet eine Zukunft auf uns, in der wir unseren Wunschvorstellungen endlich entsprechen können. Niemand wird in die „neue Welt“ hinein geboren und muss mit den daraus entstehenden Umständen zurechtkommen. Die virtuellen Welten scheinen uns mit göttlicher Allmacht auszustatten, die uns erlaubt, uns selbst zu erschaffen.[2] Ganz nach unseren Vorlieben wählen wir Geschlecht und Aussehen, bestimmen die Figur, die Augenfarbe sogar die Frisur etc..

Alle Krankheiten sind in diesen virtuellen Welten heilbar, niemand wird alt und gebrechlich, sogar der Tod spielt kaum noch eine Rolle.

Endlich kann jeder die Welt besuchen, in die er sich sonst höchstens hinein geträumt hat. Eine mittelalterliche Phantasie-Welt zum Beispiel, oder auf einen anderen Planeten in einer weit entfernten Galaxie, oder in einen, von Strahlen verseuchten, Sperrbezirk (ja, auch hierfür gibt es Träumer).[3] Die Vielfalt der neuen Welten ist scheinbar grenzenlos.

Aber ist es wirklich so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht? Spiel und Utopie sind sich in manchen Eigenschaften sehr ähnlich,[4] doch reicht ein Computer und ein Internetzugang um die Grenze zwischen beiden zu überwinden?

In der vorliegenden Arbeit soll untersucht und dargelegt werden, was Online Rollenspielwelten bieten können, und was nicht.

1.2 Über die Stigmatisierung neuer Medien

Wird ein (neues) Medium populärer und gewinnt es in der Jugendkultur an Bedeutung, so begegnet ihm die Mehrheit der erwachsenen Gesellschaft mit ängstlichem Misstrauen. Diese Medien gelten schnell als unseriös, seicht und man unterstellt ihnen gerne einen schlechten Einfluss auf Kinder und Jugendliche.[5]

Dieses Phänomen ist keinesfalls neu. Bereits um 1800 war das Lesen zum Zeitvertreib (Romane) in heftige Kritik geraten. Man befürchtete extrem schlimme Auswirkungen auf Körper und Verstand der, von der „Lesesucht“ Betroffenen (überwiegend Frauen).

Am Anfang des 19 Jahrhunderts versuchten Wissenschaftler mit Eifer, den Zusammenhang zwischen Filmkonsum und Gewalttätigkeit nachzuweisen, ohne Erfolg.

1954 gerieten die, in die Mode kommenden, Comics ins Visier der selben Vorwürfe. Erst wurden diese regelrecht dämonisiert, später distanzierten sich jedoch einige Wissenschaftler von ihren Vermutungen wieder.[6]

Vor kurzem noch waren es die aufkommenden Subkulturen, wie beispielsweise die Skateboarder und Punks, die als gefährlich und wenig seriös kategorisiert wurden.

Heute betrifft es die Computerspiele. Es scheint fast, als wäre die Mehrheit der erwachsenen Gesellschaft auf der Suche nach einfachen, linearen Zusammenhängen. Gewalttätige Spiele als Ursache für gewalttätige Kinder, passt ausgezeichnet in dieses Schema.[7] Dass die größten Kritiker so genannter „Killerspiele“ meist noch nie selbst ein Computerspiel benutzt haben ist auch nicht weiter verwunderlich.[8]

Vorurteile dieser Art behindern jedoch einen aufgeklärten, sinnvollen Umgang mit den wahren Ursachen problematischer Phänomene in unserer Gesellschaft und verhindern einen unvoreingenommenen Austausch zwischen Spielern und Nichtspielern.[9]

Darum soll es in der vorliegenden Arbeit nicht, in aller erster Linie, um „Gewalt“ und „Sucht“ gehen. Sie soll vielmehr einen unvoreingenommen Einblick in das Thema Online Rollenspiele bieten, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

1.3 Thematische Eingrenzung

In dieser Arbeit werden vor allem Massively Multiplayer Online Role-Playing Games, auch MMORPGs abgekürzt, Gegenstand der Beschreibung sein. Sie gehören zu den Computerspielen, die gleich nach dem Fernsehen, zum jugendkulturellen Leitunterhaltungsmedium geworden sind.

Unter den MMORPGs ist das Spiel „World of WarCraft“ (abgekürzt „WoW“), vom Hersteller Blizzard Entertainment, mit 11,5 Millionen aktiven Spielern[10], das zur Zeit weltweit erfolgreichste.[11] Im Jahr 2006 beispielsweise wurde rund eine Milliarde US-Dollar mit Online Rollenspielen umgesetzt. „WoW“ kommt in der Kategorie Abonnement-Rollenspiele auf 54% der Marktanteile.[12]

Aufgrund der großen Dominanz dieses Titels auf dem Online Rollenspiel Markt werden sich einige Beispiele in dieser Arbeit auf das Spiel „World of WarCraft“, beziehen.

Da sich die Arbeit primär mit „Spielen“ beschäftigt, distanziert sie sich ausdrücklich von der 3D–Kommunikations und Tranzaktionsplattform „Second Life“, die zwar den Anschein macht ein MMORPG zu sein, aber keines ist, worauf Ginsu Yoon, der Verantwortliche für Recht und Internationales bei „Second Life“, auch explizit hinweist. Zwei der wichtigsten Unterschiede zwischen „Second Life“ und MMORPGs sind zum einen, dass der Nutzer in „Second Life“ die virtuelle Welt mitgestalten, also Inhalte produzieren kann und zum anderen, dass kein Rollenspiel mit vorgegebenem Ziel- und Punktesystem stattfindet.[13]

Da das Durchschnittsalter der Nutzer bei 32 Jahren liegt, ist „Second Life“ zudem kaum ein Jugendphänomen.[14]

1.4 Aufbau der Arbeit

Die Arbeit beginnt mit einer allgemeinen Einführung ins Thema „Spiel“ und welche Bedeutung bzw. welcher Stellenwert diesem zukommt.

Es werden unterschiedliche Rollenspiele vorgestellt, um dem Leser einen Einblick in die verschiedenen Systeme zu geben und um deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede darzustellen. Online Rollenspiele werden dabei besonders ausführlich behandelt.

Im 3. Kapitel dieser Arbeit werden Basisinformationen durch das Beleuchten besonderer Eigenheiten von Online Rollenspielen, aus verschiedenen Perspektiven ergänzt.

Danach folgt in Kapitel 4. ein kurzer, allgemeiner Einblick in die Bedeutung von Medienkompetenz und Selektionsdruck für Kinder in Mediengesellschaften. Gefolgt von einer abschließenden Betrachtung in Kapitel 5.

Zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass diese Diplomarbeit zu Gunsten eines besseren Leseflusses in der männlichen Schreibweise verfasst worden ist, wobei männliche wie weibliche Personen gleichermaßen gemeint sein sollen.

2 Zur Definition und Bedeutung des Spiels

Schon in unserem Sprachgebrauch des Wortes „Spiel“ wird deutlich, wie zentral uns dieses Thema im Alltag betrifft.

Es gibt außer Rollen-, Geschicklichkeits-, Kraft-. Wettbewerbs-, Karten-, Brett-, oder Glücksspielen noch viel abstraktere Zusammenhänge in unserer Sprache, die das Spiel betreffen. Einige Beispiele hierfür sind: Das Liebesspiel, das Schauspiel, das Wellenspiel, das Spiel im Lager der Radachse, usw..

Das Spiel taucht in Redensarten und Zitaten auf. Seine charakteristischen Merkmale begegnen uns unter anderem in Bereichen der Arbeit, des Rechts, des Krieges und der Wissenschaft. Es besitzt einen fast universalen Gebrauchscharakter[15].

Um den Spielbegriff für meine Arbeit sinnvoll einzugrenzen möchte ich mich auf die Definition von Johan Huizinga in seinem Buch: „Homo Ludens, Vom Ursprung der Kultur im Spiel“ beziehen:

„Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewußtsein des „Andersseins“ als das „gewöhnliche Leben“[16]

Huizinga beschreibt in seinem Buch, wie die heutige Kultur im Spiel ihren Anfang nahm und noch bis heute auf deren Entwicklung Einfluss nimmt.[17] (Ein Beispiel für die sakrale Bedeutung des Spiels: Schon in der germanischen Mythologie spielten die Götter auf goldenen Spielbrettern um die Weltordnung. Auch in anderen Völkern gehören Würfelspiele zu religiösen Handlungen und das bis heute.)[18]

Spielfähigkeit ist also nicht nur eine Voraussetzung um primitive, seelische Spielbedürfnisse des Einzelnen zu befriedigen, sie ist eine Voraussetzung für die Entwicklung neuer Kulturprozesse.[19]

Das Spiel begleitet den Menschen in seiner Freizeit und ist Teil seines Alltags. Es entspricht keinem Reproduktionsprozess des normalen Lebens, es unterbricht diese sogar und ist doch , oder vielleicht eben deshalb, eine sinnvolle Tätigkeit[20], gerade als zeitlich begrenzte Unterbrechung des „gewöhnlichen“ Lebens[21].

Man kann also davon ausgehen, dass das Spiel ein wichtiges Element des Lebens ist, das ganzheitlich und mit all seinen Anteilen Beachtung finden muss. Dazu gehören auch, unter anderem, skrupellose, gefährliche, gewalttätige, absurde und obszöne Spielinhalte. Eine „Idealisierung des Spiels“, die solche Inhalte ablehnt oder verdrängt nimmt eine unzulässige Beschneidung der Freiheitspotenziale von Spiel vor, verharmlost und verkürzt es.[22]

Wenn Spiel, wie Huizinga betont, vor allem ein „freies Handeln“ ist, dass nicht befohlen werden kann, (denn dann ist es kein Spiel mehr)[23], müssen auch die auf den ersten Blick für Eltern und Pädagogen fragwürdigen Spielinhalte ernst genommen werden, ohne sie zu verurteilen, kategorisch abzulehnen oder zu unterbinden.

Im Übrigen ist das Thema aggressiver Spielinhalte und die pädagogische Sorge darüber schon sehr viel älter als der Computer mit seinen Spielen. Darum möchte ich im folgenden Kapitel kurz darauf eingehen.

2.1 Über den Unterschied zwischen realer und gespielter Aggressivität

Das Spiel in seiner Gesamtheit integrierte schon immer auch aggressive Inhalte, die allerdings nicht als Realitätsabbild zu verstehen sind, sondern eher als Potenzial der spielerischen Freiheit.

Spiel ist eine „bipolare Abstraktion des Lebens“, „in der allgemeine Lebensspannungen auf die manipulierbare Spannung des Spiels selbst reduziert worden sind“[24]

So Gisela Wegener-Spöhring in ihrem Text: Spiel und Aggressivität, Ein Wechselverhältnis zu den Theorien des Spiels.

Gewaltinhalte sind kein Merkmal, dass ausschließlich auf Computerspiele zutrifft. Gerade in älteren Spielen hatte Krieg und Gewalt durchaus seinen Platz. Der Spieleklassiker Schach zum Beispiel ist auf symbolischer Ebene ein brutales Kriegsspiel. Das Ziel ist die Ermordung des gegnerischen Königs. Um dieses Ziel zu erreichen können, müssen alle anderen Spielfiguren, die „fast wertlosen“ Bauern, die Adligen, sogar die Königin selbst geopfert werden, als taktische Strategie, um selbst besser morden zu können. Kinder und Jugendliche, die sich für Schach interessieren werden allerdings nicht mit dem Verdacht belegt sich zu Amokläufen hinreißen zu lassen.[25]

Der Gewalt wird im Spiel ein Freiraum eingeräumt, in dem sie passieren darf, in der Bewusstheit des Spielenden, dass dies keine Konsequenzen auf die Realität hat.

Auch Huizinga thematisiert die Gewalt im Spiel, die er unter anderem als ordnungsschaffend und ästhetisch beschreibt und so von der realen Gewalt unterscheidet.

Im gespielten Kampf geht es eher um Selbstbeherrschung und Disziplin, da ja nach Regeln gespielt wird, als darum Aggressionen unkontrolliert auszuleben.[26]

Aggressive Spiele sind also noch keine Vorbereitung auf reale Aggressivität, anders wäre es auch paradox, dass in den USA die Zahl der „Ballerspiele“ zunimmt, und gleichzeitig die Zahl der Jugendkriminalität seit Jahren rückläufig ist. In keiner seriösen Studie wurde ein direkter Zusammenhang zwischen gespielter und realer Gewalt überzeugend nachgewiesen.[27]

2.2 Was sind Rollenspiele

Um den unterschiedlichen Arten von Rollenspielen Rechnung zu tragen, sollen im Folgenden einige genannt und manche im besonderen erklärt werden, um ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich zu machen.

Für diese Arbeit sind besonders die Rollenspiele interessant, die nach einem Konzept des interaktiven Spiels funktionieren.

Darüber hinaus gibt es unter anderem noch eine rollen basierte Methode in der Pädagogik, eine „theatermäßige“ Probleminszenierung in der Gruppenpsychotherapie, eine spielerische Interventionsform in der Sozialtherapie und Sexualpraktiken, die man Rollenspiele nennt, auf die in dieser Arbeit allerdings nicht im Besonderen eingegangen werden soll.[28]

Die „einfachsten“ Rollenspiele sind die frei assoziierten, spontanen Rollenspiele wie zum Beispiel „Cowboy und Indianer“, „Räuber und Gendarm“ oder „Mutter – Vater – Kind“. Sie werden, meist von Kindern, spontan mit oder ohne Spielzeug gespielt. Schon bei dieser einfachen Form des Rollenspiels übernimmt der Spieler die Rolle eines erdachten Charakters, ähnlich wie in einem experimentellen Theaterstück, und agiert in dieser Rolle in einer ebenfalls erdachten Welt.

Kommen zu dieser Grundlage feste Spielregeln und Spielpläne, bzw. werden die gespielten Charaktere nach festgelegten Mustern erstellt, spricht man von reglementierten Rollenspielen.

Diese können auf Grund von bestehenden Regelsystemen wiederholt werden. Reglementierte Rollenspiele werden meist nach den verwendeten Hilfsmitteln, den Darstellungsformen und nach Genres aufgeteilt.[29]

2.2.1 Das Live Rollenspiel

Das Live Rollenspiel, auch „Larp“ (Live Action Role Playing) oder „Con“ (Convention) genannt, ist dem frei assoziierten Rollenspiel wohl am ähnlichsten. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass „Larp“-Regeln meist freier Interpretiert werden können als die Regelwerke anderer Rollenspielformen.

Diese Spielform kommt ursprünglich aus England und etablierte sich erst seit etwa 1990 im deutschsprachigen Raum.[30]

Gespielt wird ein Live Rollenspiel ähnlich wie ein improvisiertes Theaterstück mit festgelegten Rollen, die der Spieler selbst ausarbeitet und vor Spielbeginn mit der Spielleitung abgleicht. Lediglich das Genre und die Rahmenhandlung, auch „Plot“ genannt, werden von der Spielleitung vorgegeben. Über diese werden die Spieler vorab aufgeklärt.

Die Spielorte werden dem Genre entsprechend dekoriert. Die Spieler verkleiden sich ihrer Rolle entsprechend. Während des Spiels sprechen und handeln alle Mitspieler so, wie ihre Rolle agieren würde.[31]

Üblicherweise spielen Live Rollenspiele in einer erdachten, mittelalterlichen, Phantasie-Welt ähnlich der aus Tolkiens „Der Herr der Ringe“. Außerdem, wenn auch (noch) nicht so stark vertreten, werden „Jetztzeit“-Rollenspielwelten (zum Beispiel bei „Vampire“-, oder „Werwolf“-Veranstaltungen) und Rollenspiele, die in einer erdachten Zukunft spielen („Cyberpunk“-, oder „Degenesis“- Veranstaltungen), angeboten.[32]

Ein Spiel kann mehrere Stunden, bis zu einigen Tagen (zum Beispiel: ein Wochenende) dauern. Die Anzahl der Spieler variiert, je nach Konzept und Veranstaltung, zwischen ca. zehn bis zu mehreren tausend Mitspielern.[33]

Die Spielleitung im Live Rollenspiel

Die Spielleitung, auch kurz „SL“ genannt, kann aus einem oder mehreren Mitgliedern bestehen. Sie plant und organisiert das Spiel, entwirft verschiedene Szenarien für die Rahmenhandlung und koordiniert den Spielverlauf.

Zur Organisation gehören unter anderen Aufgaben zum Beispiel, die „Location“, also den Ort an dem gespielt werden soll (beliebt sind abseits gelegene Zeltplätze, Burgruinen aber auch Jugendherbergen), auszusuchen und anzumieten, die Anzahl der Spieler festzulegen und Anmeldungen entgegen zu nehmen.

Sie hat Schiedsrichterfunktion während dem Spiel (Auslegung der allgemeinen Regeln) und sorgt für die Sicherheit der Spieler (absperren von gefährlichem Gelände, überprüfen und zulassen aller mitgebrachten Polsterwaffen etc.).

Auf allen Mitgliedern der Spielleitung lastet eine große Verantwortung.[34]

Der Live Rollenspieler

Das Mindestalter, um sich für das Spiel anmelden zu können, beträgt meist 16 oder 18 Jahre. Kinder und Jugendliche können in Begleitung eines Erziehungsberechtigten dennoch teilnehmen. Nach oben ist die Altersgrenze offen so dass das Durchschnittsalter zwischen 20 und 30 Jahren liegt.[35]

Zuerst muss sich ein potentieller Spieler entscheiden, ob er einen „SC“ (Spieler-Charakter), oder einen „NSC“ (Nicht-Spieler-Charakter) spielen möchte.

„NSCs“ sind Statisten, die ihre Rolle von der Spielleitung bekommen, um die Rahmenhandlung darzustellen. Sie können „Gegner“ der Spieler-Charaktere sein, zum Beispiel eine „angreifende Räuberbande“, um das Spiel für die Spieler spannend zu machen, oder sie spielen Statisten die das Ambiente unterstützen sollen, Beispielsweise einen Barden.

Auch wenn die „SCs“ und „NSCs“ im Spiel „Feinde“ sind und sich zum Teil große Schaukämpfe liefern, sie spielen trotzdem mit und nicht gegeneinander und achten auf die Sicherheit des realen Spielers dem sie gegenüber stehen.[36]

Spieler, die sich bereit erklären einen „NSC“ zu spielen, sind für die Spielleitung sehr wichtig und bekommen meist Vergünstigungen wie Beispielsweise einen Preisnachlass.[37]

Im Rahmen festgelegter Regeln kann ein Spieler sich aber auch seinen ganz eigenen, individuellen „SC“ (Spieler-Charakter) erstellen. In einen „Charakterbogen“ können die Eigenschaften der gewünschten Rolle für alle Betreffenden, in einheitlicher Form, dargestellt werden.[38]

Die Startvoraussetzungen sollen für alle Spieler gleich sein, sie sind deshalb durch ein Punktesystem geregelt, dass für alle Spieler gleichermaßen gilt und jedem Anfangscharakter ein festes Kontingent an Punkten zur Verfügung stellt, die dieser nach seinen Vorlieben verteilen kann.

Wird der Charakter immer wieder gespielt, so erhält er dafür „Erfahrungspunkte“ mit denen er seine so festgelegten Fähigkeiten weiter erhöhen kann.

Der größere und für das Spiel bedeutendere Teil der Rolle ergibt sich aus der Phantasie, der Persönlichkeit und den Handlungen des Spielers.[39]

Da der Spieler alles selbst darstellen muss, ist die Wahl des Charakters einfacher, wenn er sich, zum einen selbst gut einschätzen kann und zum anderen die Anforderungen der „typischen“ Basischarakterklassen kennt.

Hierfür nun einige Beispiele:

Ein „Kämpfer“ im Live Rollenspiel sollte eine allgemein so gute, körperliche Verfassung besitzen, dass er eine schwere Rüstung (Kettenhemd) auch über mehrere Stunden hinweg tragen kann.

Ein „Magier“ braucht viel schauspielerisches Talent um seine „Magie“ darzustellen.

Ein „Kleriker“ sollte entsprechend überzeugend Auftreten können um seinen „Glauben“ vor den anderen Charakteren gut vertreten zu können.[40]

Danach muss der Spieler entscheiden, zu welcher Rasse seine Rolle gehören soll. Die gängigsten Rassen sind: Mensch, Zwerg, Elf oder Ork im Fantasy Genre. Er kann auch eine völlig neue Rasse spielen, die Bedingung ist, spielt der Spieler keinen Menschen, muss er das entsprechend Darstellen (beispielsweise spitze Latexohren für Elfenspieler), also zusätzlichen Aufwand betreiben.[41]

Durch die große Auswahl und die zahllosen Kombinationsmöglichkeiten kann der Spieler seine Rolle in hohem Maße selbst bestimmen. Er verteilt die ihm zu Verfügung stehenden Punkte, überlegt sich Name, Klasse und Rasse des Charakters, beschafft sich Ausrüstung und Gewandung und überlegt sich einen Hintergrund für die Rolle.

Im Hintergrund, der meist schriftlich bei der Spielleitung, vor dem Spiel eingereicht wird, beschreibt der Spieler das bisherige Leben seines Charakters. Es beinhaltet zum Beispiel, aus welchem Land der Charakter kommt, welche Ereignisse sein bisheriges Leben prägten und welche persönlichen Ziele er verfolgt.

Diese intensive Auseinandersetzung mit der Rolle im Vorhinein kann dem Spieler dazu dienen sich gut in seinen Charakter hinein zu versetzen, was den „Spielspaß“ erhöhen kann.[42]

Der Spielablauf

Nach der Ankunft am Veranstaltungsort melden sich alle Spieler bei der Spielleitung an. Bei dieser Anmeldung wird überprüft, ob die Teilnahmegebühr bezahlt wurde. Diese kann, je nach Veranstaltung zwischen 0€[43] und 120€[44] oder mehr betragen.

Danach können noch eventuell auftretende Fragen zur Rolle oder zum Spielablauf geklärt und mitgebrachte Polsterwaffen auf deren Sicherheit überprüft werden.

Sind alle Spieler angekommen und angemeldet gibt es vor dem Spielstart meist eine Ansprache der Spielleitung, in der die wichtigsten Regeln und Sicherheitshinweise erläutert werden. Die Spielleitung startet das Spiel in dem sie laut und deutlich „Time In“ ausruft. Alle Spieler verhalten sich ab diesem Zeitpunkt ihrer Rolle entsprechend, bis ebenfalls die Spielleitung das Spiel durch den Ausruf „Time Out“ wieder beendet.

Es gibt also im Live Rollenspiel einen klaren Anfang und ein klar definiertes Ende des Spiels.

Ziel des Live Rollenspiels

Bei einem Live Rollenspiel gibt es kein Ziel, das alle erreichen wollen, wie beispielsweise bei einem Brettspiel. Es geht viel mehr darum sich in einer anderen Rolle zu erleben, deren individuelle Ziele und Aufgaben zu erfüllen, wenn sie überhaupt welche hat, und das Ambiente zu genießen.

Auf einem LARP erfolgreich zu sein, bedeutet mit anderen Mitspielern eine gute Spielzeit zu verbringen, eben ganz nach Huizingas Definition (siehe Oben).

Wenn die Spieler es am Spielende geschafft haben, die von der Spielleitung vorbereiteten Rätsel zu lösen oder das Abenteuer der Rahmenhandlung gut zu meistern und gegebenenfalls die „bösen NSCs“ zu besiegen, ist das natürlich für den einen oder anderen Spieler ein großer Erfolg. Letzten Endes jedoch gibt es bei einem guten Live Rollenspiel keine Gewinner oder Verlierer.[45]

2.2.2 Das Pen Paper Rollenspiel

Pen Paper Rollenspiele, manchmal auch Tischrollenspiele oder Erzählspiele genannt, haben ihren Ursprung in den 1970er Jahren und kommen aus den USA. Das erste deutschsprachige Rollenspiel dieser Art wurde im Jahr 1978 herausgebracht und kurze Zeit später „Mitgard“ genannt.

Wie die meisten Rollenspielsysteme aus der Anfangszeit gehörte dieses zu den Fantasy-Rollenspielen, genau wie das 1984 erschienene und bis heute in Deutschland am weitesten verbreitete „Das Schwarze Auge“ Rollenspiel.[46]

Inzwischen gibt es eine große Auswahl an verschiedenen Genres (Fantasy, Sience Fiction, Horror etc.).[47]

Gespielt wird in kleineren Gruppen von zwei bis meist nicht mehr als zehn Mitspielern.

Benötigt werden für das Spiel lediglich ein geeigneter Treffpunkt (ein Raum in dem sich die Spieler für die Zeit des Spiels ungestört aufhalten können).

Bücher, die Regelwerke und Charakterbögen (diese unterscheiden sich in ihrer Funktion und Handhabung nicht von den bereits beschriebenen Charakterbögen des Live Rollenspiels) enthalten, Spielweltbeschreibungen, Würfel oder Karten (diese werden als Zufallselemente eingesetzt), sind nicht zwingend Notwendig aber durchaus sinnvoll.

Diese Hilfsmittel erleichtern es dem Spielleiter und der Gruppe sich die erdachte Welt besser vorstellen zu können, bzw. ein einheitlichen Konsens über sie zu erreichen.

Die Gruppe erfindet eine Geschichte, in der der Spielleiter den Rahmen zur Verfügung stellt, in dem die Spieler mit festgelegten Rollen agieren können. Vereinfacht könnte man sagen Pen Paper Rollenspiele sind Erzählspiele, in denen die Spieler zusammen eine gemeinsame Geschichte erfinden.

Anders als im Live Rollenspiel müssen die Spieler nicht mehr alles mit aufwändigen Verkleidungen und Masken darstellen, was ihren fiktiven Handlungsspielraum enorm vergrößert. Sie können nun in ihrer Rolle als beispielsweise „Oger“ tatsächlich riesige Bäume ausreißen, oder als „Klingone“ ein Raumschiff entern etc..[48]

[...]


[1] Vgl. W. Bergmann, G. Hüther, Düsseldorf, 2006: Computerspielsüchtig. S. 11.

[2] Vgl. Ästhetik Kommunikation, Berlin, 2001: Computerspiele. S. 61f.

[3] Vgl. A. Rosenfelder, Köln, 2008: Digitale Paradiese. S. 50.

[4] Vgl. http//www.raulparamoortega.de/Psychologie_Spiel_und_Utopi.pdf (13.02.2009)

[5] Vgl. K. Mitgutsch, H. Rosenstingl, Wien, 2008: Faszination Computerspielen. S. 57.

[6] Vgl. ebd. S. 62.

[7] Vgl. ebd. S. 61.

[8] Vgl. ebd. S. 63.

[9] Vgl. ebd. S. 67.

[10] Stand: Januar 2009

[11] Vgl. http://www.kfn.de/home/Computerspielabhängigkeit_im_Kindes-_und_Jugendalter.htm (15.03.2009) S. 5ff.

[12] Vgl. http://www.pcdaily.de/index.php?p=newsnewsid=13203 (22.03.2009)

[13] Vgl. A. Lober, Hannover, 2007: Virtuelle Welten werden real. S. 137/ S. 118

[14] Vgl. ebd. S. 139.

[15] Vgl. J. Huizinga, Hamburg, 1962: Homo Ludens S.233f.

[16] Vgl. ebd. S.37.

[17] Vgl. ebd. S.232.

[18] Vgl. ebd. S.68.

[19] Vgl. ebd. S.236.

[20] Vgl. ebd. S.17.

[21] Vgl. ebd. S.12.

[22] Vgl. G. Wegener-Spöhring, http://www.bpb.de/themen/QHJT5T.html (04.03.2009)

[23] Vgl. J. Huizinga; Hamburg 1962: Homo Ludens S.16.

[24] Vgl. G. Wegener-Spöhring, http://www.bpb.de/themen/QHJT5T.html (04.03.2009)

[25] Vgl. K. Mitgutsch, H. Rosenstingl; Wien 2008:Faszination Computerspiele. S.63f.

[26] Vgl. G. Wegener-Spöhring, a.a.O.

[27] Vgl. K. Mitgutsch, H. Rosenstingl, a.a.O. S.66f.

[28] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rollenspiel (09.02.2009)

[29] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rollenspiel_(Spiel) (02.03.2009)

[30] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Live_Action_Role-Playing (08.03.2009)

[31] Vgl. http://www.larpkalender.de (03.03.2009)

[32] Vgl. http://www.larpfaq.de (03.03.2009)

[33] Vgl. http://www.weltdeslarp.de/text_waslarp.html (22.02.2009)

[34] Vgl. F. Schlump; Zirndorf 2006: Dragonsys, Regeln für LARP. S. 7ff.

[35] Vgl. http://www.larpfaq.de (03.03.2009)

[36] Vgl. F. Schlump; Zirndorf 2006 a.a.O., S. 12.

[37] Vgl. http://www.larpkalender.de/termine/index.html (08.03.2009)

[38] Vgl. F. Schlump; Zirndorf 2006 a.a.O., S. 354ff.

[39] Vgl. F. Schlump, Zirndorf 2006, a.a.O., S.14ff.

[40] Vgl. ebd. S. 16ff.

[41] Vgl. ebd. S. 23.

[42] Vgl. ebd. S. 2Off.

[43] Vgl. http://www.larpkalender.de/termine/index.htmlaktion=suchemonat=3jahr=2009region=0suchbegriff=details=2 (27.02.2009)

[44] Vgl. ebd. (27.02.2009)

[45] Vgl. http://www.larpfaq.de (03.03.2009)

[46] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Pen--Paper-Rollenspiel (03.03.2009)

[47] Vgl. http://members.aon.at/um66/rollenspiel.html (03.03.2009)

[48] Vgl. ebd. (03.03.2009)

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783836633963
DOI
10.3239/9783836633963
Dateigröße
439 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Frankfurt University of Applied Sciences, ehem. Fachhochschule Frankfurt am Main – Soziale Arbeit und Gesundheit, Sozialarbeit
Erscheinungsdatum
2009 (August)
Note
1,0
Schlagworte
computerspiel rollenspiel sucht mediengesellschaft
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