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Der Museumsshop als Schnittstelle von Konsum und Kultur

©2008 Magisterarbeit 157 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Um sich der Thematik zu nähern werden im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit die Fragestellung, Zielsetzung und Vorgehensweise dieser erläutert. Grundlage ist hierfür ein vorausgesetzter Sachverhalt (Abschnitt 1.3), sowohl von Seiten der Anbieter als auch der Kunden der Museumsshops (im Folgenden „MS“ genannt, soweit nicht in Überschriften oder in Zitaten verwendet). Abschließend wird versucht, den Begriff der „Postmoderne“ zu definieren, da ihm im gesamten Dokument eine bedeutende Rolle zukommt.
Die vorliegende Arbeit soll aufzeigen, wie und warum sich die MS in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren so erfolgreich entwickelt haben. Die Sachverhalte, die dieser Arbeit zugrunde liegen und im Abschnitt 1.3 bewiesen werden, sind der enorme Erfolg und die außerordentliche Bedeutung deutscher MS in der heutigen Zeit. Den MS nur als Notlösung der deutschen Museumslandschaft zu sehen, um den Kürzungen der öffentlichen Gelder entgegenzuwirken, ist eine sehr einseitige Perspektive, die dem Phänomen des MS bei weitem nicht gerecht wird. Allein aus diesen finanzpolitischen Gründen der Museen kann sich der MS in Deutschland nicht so entwickelt haben, wie er sich tatsächlich entwickelt hat. Was hat die Entwicklung faktisch vorangetrieben? Welche Ursachen stecken dahinter? Und welche Funktionen, die die MS in unserer heutigen Gesellschaft übernehmen (können), sind dabei von besonderer Bedeutung?
Die Ausführungen zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen begleitet immerfort ein Diskurs. Er zieht sich wie ein „roter Faden“ durch das vorliegende Dokument. Der MS ist der Punkt im Museum, an dem Kultur und Kommerz, respektive Konsum, am deutlichsten zusammentreffen. Die Frage lautet also: Kommerzialisiert der MS die Kultur oder nicht? Einerseits besteht die Befürchtung, dass der MS als „Teufelszeug“ die Moral erodiert und die Kommerzialisierung im negativen Sinne stärkt, was die Bereitschaft zum Ausverkauf der Kultur wachsen lässt. Andererseits wird versucht klarzustellen, dass es bei den MS nicht um ein „Übermarketing“ oder einen „gnadenlosen Konsumterror“ geht, sondern dass vielmehr versucht wird, eine stärkere inhaltliche und emotionale Bindung an die Kunst, die Geschichte und die Museen zu erreichen. In der Stadt Bremen werden diese konträren Perspektiven beispielhaft verdeutlicht: Während die Kunsthalle mit der Sonderausstellung „Paula in Paris“ die Publikumsmassen sowohl in das Museum als auch in den hervorragend sortierten […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Annika Hampel
Der Museumsshop als Schnittstelle von Konsum und Kultur
ISBN: 978-3-8366-3327-7
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
Zugl. Leuphana Universität Lüneburg, Lüneburg, Deutschland, Magisterarbeit, 2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2009

I
Abbildung 0: Eingangstafel des Museumsshops des Überseemuseums in Bremen
Quelle: Eigene Fotografie, Dezember 2007

II
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis... V
Abbildungsverzeichnis...VII
1
Einleitende Worte ... 1
1.1
Fragestellung und Zielsetzung der vorliegenden Arbeit... 1
1.2
Vorgehensweise... 2
1.3
Vorausgesetzter Sachverhalt... 3
1.3.1
Die Angebotsseite der Museumsshops... 4
1.3.2
Die Nachfrageseite der Museumsshops ... 5
1.4
Die Postmoderne - Was unsere heutige Gesellschaft prägt und bewegt... 5
1.4.1
Die Debatte um die Postmoderne... 6
1.4.2
Die Attribute der Postmoderne... 6
2
Der Konsum und die Konsumgesellschaft... 8
2.1
Die postmoderne Konsumkultur: Consumer Culture ... 8
2.1.1
,,We no longer consume things but signs." (Baudrillard) ... 10
2.1.2
,,I consume. Therefore, I am." ... 12
2.2
Lebensstile: Gibt es eine Wahlfreiheit?... 15
2.2.1
Individualisierung in der Vielfalt ... 17
2.2.2
Lebensstile und Milieutypisierungen am Beispiel von Schulze... 18
2.2.3
Lebensstile zum Entdecken und Bedienen des Konsummarktes ... 19
2.3
Trends in der Konsumgesellschaft ... 19
2.3.1
Trend Nr. 1: ,,Luxese"... 19
2.3.2
Trend Nr. 2: ,,Best Ager" ... 21
2.4
Die Konsum- und Kulturkritik und deren postmoderne Antworten ... 21
2.4.1
Die Konsum- und Kulturkritik der 1950er Jahre... 21
2.4.2
Postmoderne Antworten auf die Konsum- und Kulturkritik ... 24
3
Der Kultur- und Erlebniskonsum in der postmodernen Konsumgesellschaft... 27
3.1
Der Konsum von Kultur nach Maslow... 27
3.1.1
Die Verschmelzung von Hoch- und Populärkultur ... 29
3.1.1.1
Allesfresser-/Omnivorenthese nach Peterson ... 30
3.1.1.2
Kritische Betrachtung der Omnivorenthese ... 33
3.1.2
Zwischenfazit zum Kulturkonsum ... 33
3.2
,,Mehr Erlebnisse als der Tag Stunden hat!" - Die Erlebnisgesellschaft nach Schulze ... 34
3.2.1
Kurze Geschichte des Phänomens ,,Erlebnis"... 35
3.2.2
Die Erlebnisgesellschaft 2005 - Ein Kommentar von Schulze ... 37
4
Das Museum ... 39
4.1
Das Museum und dessen Entwicklungsgeschichte... 39
4.1.1
Der Wandel der Museumslandschaft nach DiMaggio ... 39
4.1.2
Der Wandel der deutschen Museumslandschaft von 1970-2000 ... 40
4.1.3
Die komplexe Lage deutscher Museen heute... 40
4.1.3.1
Publikumsöffnung/Besucherorientierung im Dienstleistungsunternehmen ,,Museum"... 41
4.1.3.2
Museen in Finanzierungsnöten... 42
4.1.3.3
Das Museum in der Erlebnisgesellschaft... 43
4.1.4
Kritische Stimmen: Wo bleibt das Museum? ... 45
4.2
Die Warenwelt im Museum und im Kaufhaus - ein Vergleich ... 45
4.2.1
Das Museum... 45
4.2.2
Das Kaufhaus ... 47
4.2.3
Der Vergleich ... 48
4.2.4
Dimensionen der Verschmelzung von Museum und Kaufhaus ... 52
4.2.4.1
Objekt = Ware ... 53
4.2.4.2
Vitrinen = Schaufenster... 54
4.2.4.3
Schauen = Konsumieren... 55
4.2.5
Fazit zum Verhältnis von Museen und Kauhäusern... 57
4.3
(Museums-)Marketing - ,,Kunst der Gegenwart"... 58
5
Der Museumsshop ... 60

III
5.1
Die Leistungen des Museumsshops - Eine erste ökonomische Einordnung... 60
5.2
Was ist ein Museumsshop? - Definition ,,Museumsshop" ... 61
5.3
Die Geschichte des Museumsshops... 61
Exkurs: Museum Store Association... 62
5.4
Motivation und Zielsetzung zur Errichtung und zum Betrieb eines Museumsshops ... 64
5.4.1
Finanzierungsquelle Museumsshop ... 64
5.4.2
Museumsshops als Kunstvermittler und Zufriedenheitsgarant für Besucher und Kunden ... 66
5.4.3
Der Museumsshop als ,,Aushängeschild" - Image und Werbung ... 66
5.5
Die Shopware ... 67
5.5.1
Produktauswahl ... 69
5.5.1.1
Books oder: Der Museumsshop als Medienquelle. ... 69
5.5.1.2
Non-Books... 70
5.5.1.3
Merchandising ... 70
5.5.2
Zur Qualitätskontrolle der Shopware ... 71
5.5.3
Bedeutende Phänomene in der Shopware: Limitierte Auflagen und Reproduktionen... 72
5.5.3.1
Limitierte Auflagen ... 72
5.5.3.2
Reproduktionen: Kommerzialisierung der Kultur, Kulturalisierung des Kommerzes?... 73
5.6
Der Shopkonsument - Das begehrte Wesen ... 76
5.6.1
Museumsbesucher ... 76
5.6.2
Nichtmuseumsbesucher... 77
5.6.3
(Kultur-)Touristen ... 78
5.6.4
Zur aktuellen Kaufkraft der Shopkonsumenten ... 78
5.7
Motivation zum Wareneinkauf im Museumsshop... 79
5.8
Legitimation und Anerkennung der Museumsshops durch neue Berufsgruppen... 80
5.8.1
Die Theorie des Neoinstitutionalismus ... 81
5.8.2
Die drei Isomorphien nach DiMaggio/Powell... 82
5.8.2.1
Isomorphie durch Zwang... 82
5.8.2.2
Isomorphie durch Imitation ... 83
5.8.2.3
Isomorphie durch normativen Druck... 84
Die akademische Fachwelt... 84
(Fach-)Messen... 85
Shopausstatter und -supplier/Produktdesigner... 86
6
Die McDonaldisierung und Disneyization der Gesellschaft... 87
6.1
Ritzer und die McDonaldisierungsthese... 88
6.1.1
Ursprünge der McDonaldisierungsthese ... 89
6.1.1.1
Die Vorläufer Max Weber und Karl Mannheim... 89
6.1.1.2
Taylorismus und Fordismus ... 90
6.1.2
Die Grundelemente der McDonaldisierung ... 91
6.1.2.1
Erste Dimension: Effizienz... 91
6.1.2.2
Zweite Dimension: Kalkulierbarkeit/Berechenbarkeit ... 92
6.1.2.3
Dritte Dimension: Vorhersagbarkeit/Voraussagbarkeit ... 92
6.1.2.4
Vierte Dimension: Kontrolle ... 93
Diagnose ,,Irrationalität" als Folge des McDonaldisierungsprozesses in unserer Gesellschaft... 94
6.1.2.5
Fünfte Dimension: ,,New Means of Consumption" ... 95
6.2
Die Disneyization nach Bryman... 97
6.2.1
Erste Dimension: Theming... 98
6.2.2
Zweite Dimension: Hybrid consumption ... 99
6.2.3
Dritte Dimension: Merchandising... 99
6.2.4
Vierte Dimension: Emotional Labor ... 100
7
Ausgewählte Hypothesen und deren Überprüfung ... 101
7.1
1. Hypothese: Museumsshops erfüllen die Prämissen der McDonaldisierungsthese. ... 101
7.1.1
Der Museumsshop und die Effizienz ... 101
7.1.2
Der Museumsshop und die Berechenbarkeit... 102
7.1.3
Der Museumsshop und die Vorhersagbarkeit ... 104
7.1.4
Der Museumsshop und die Kontrolle... 105
7.1.5
Die Dimension der postmodernen Erweiterung in Bezug zu den Museumsshops... 106
7.2
2. Hypothese: Museumsshops erfüllen die Prämissen der Disneyization. ... 107

IV
7.2.1
Der Museumsshop und das Theming (Leitmotiv)... 107
7.2.2
Der Museumsshop und der hybride Konsum (Hybrid consumption) ... 108
7.2.3
Der Museumsshop und das Merchandising ... 109
7.2.4
Der Museumsshop und die Emotional Labor... 109
7.3
3. Hypothese: Shopbesucher konsumieren aus Prestigegründen... 110
7.4
4. Hypothese: Museumsshops haben Erfolg... 112
8
Abschließende Gedanken... 116
8.1
Ist der Museumsshop Kommerz oder Kultur?... 116
8.2
Weiterführende Aspekte und Handlungsempfehlungen ... 118
8.3
Zukünftige Szenarien für Museumsshops ... 120
Literaturverzeichnis ... 122
Anhang... i

V
Abkürzungsverzeichnis
Abb. Abbildung
Anm. Anmerkung
Aufl.
Auflage
Bd.
Band
bzgl.
bezüglich
bzw. beziehungsweise
ca.
circa
ders. derselbe
d.h.
das heißt
DM Deutsche
Mark
dt. deutsch
d. Verf.
die Verfasserin
EG Erlebnisgesellschaft
engl. Englisch
et al.
und andere
etc. et
cetera
EUR oder
Euro
evtl.
eventuell
f.
folgende Seite
ff.
fortfolgende Seiten
ggf. gegebenenfalls
GBP Großbritannische
Pfund
Hg.
Herausgeber
i. e. S.
im engeren Sinne
inkl. inklusive
insb.
insbesondere
i. w. S.
im weitesten Sinne
Jg. Jahrgang
Kap.
Kapitel
M. Main
m. E.
meines Erachtens
MET
The Metropolitan Museum of Art in New York
mind. mindestens
Mio.
Millionen
MS Museumsshop/Museumsshops
m² Quadratmeter
NI Neuer
Institutionalismus/Neoinstitutionalismus
Nr. oder No
Nummer
o. Ä.
oder Ähnliches
o. g.
oben genannt
o.S. ohne
Seiten
PMB
Paula Modersohn-Becker
PMB-Ausstellung Paula
Modersohn-Becker-Ausstellung
S. Seite(n)
Tab. Tabelle
u. a.
unter anderem/und andere
usw.
und so weiter
u. v. m.
und Vieles mehr
v. a.
vor allem
Verl. Verlag
vgl. vergleiche
Vol. Volume
(engl.)

VI
vs. versus
w. z. B.
wie zum Beispiel
z. B.
zum Beispiel
z. T.
zum Teil
& und
% Prozent
$ US-Dollar

VII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 0: Eingangstafel des Museumsshops des Überseemuseums in Bremen ...I
Abbildung 1: Identitätskonstruktion durch Konsumgüter... 14
Abbildung 2: Gegenüberstellung der Eigenschaften mcdonaldisierter und nicht-mcdonaldisierter Museen .. 41
Abbildung 3: Andy Warhol: Campbell's Soup Cans (1962)... 52
Abbildung 4: Aufsplittung des Gesamtetats der Tate Modern und des METs ... 65
Abbildung 5: MET-Papiertragetasche ... 111
Abbildung 6: Kultur- und Milieuschema nach Schulze...iii
Abbildung 7: Vorteile von Museumsshops aus Sicht der Konsumenten ...viii
Abbildung 8: Nachteile von Museumsshops aus Sicht der Konsumenten...viii

1
1
Einleitende Worte
Um sich der Thematik zu nähern werden im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit die Fragestellung,
Zielsetzung und Vorgehensweise dieser erläutert. Grundlage ist hierfür ein vorausgesetzter Sachverhalt
(Abschnitt 1.3), sowohl von Seiten der Anbieter als auch der Kunden der Museumsshops (im Folgenden
,,MS" genannt, soweit nicht in Überschriften oder in Zitaten verwendet). Abschließend wird versucht, den
Begriff der ,,Postmoderne" zu definieren, da ihm im gesamten Dokument eine bedeutende Rolle zukommt.
1.1 Fragestellung und Zielsetzung der vorliegenden Arbeit
Die vorliegende Arbeit soll aufzeigen, wie und warum sich die MS in Deutschland in den vergangenen
20 Jahren so erfolgreich entwickelt haben. Die Sachverhalte, die dieser Arbeit zugrunde liegen und im
Abschnitt 1.3 bewiesen werden, sind der enorme Erfolg und die außerordentliche Bedeutung deutscher MS
in der heutigen Zeit. Den MS nur als Notlösung der deutschen Museumslandschaft zu sehen, um den
Kürzungen der öffentlichen Gelder entgegenzuwirken, ist eine sehr einseitige Perspektive, die dem
Phänomen des MS bei weitem nicht gerecht wird. Allein aus diesen finanzpolitischen Gründen der Museen
kann sich der MS in Deutschland nicht so entwickelt haben, wie er sich tatsächlich entwickelt hat. Was hat
die Entwicklung faktisch vorangetrieben? Welche Ursachen stecken dahinter? Und welche Funktionen, die
die MS in unserer heutigen Gesellschaft übernehmen (können), sind dabei von besonderer Bedeutung?
Die Ausführungen zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen begleitet immerfort ein Diskurs. Er zieht
sich wie ein ,,roter Faden" durch das vorliegende Dokument. Der MS ist der Punkt im Museum, an dem
Kultur und Kommerz, respektive Konsum, am deutlichsten zusammentreffen. Die Frage lautet also:
Kommerzialisiert der MS die Kultur oder nicht? Einerseits besteht die Befürchtung, dass der MS als
,,Teufelszeug" die Moral erodiert und die Kommerzialisierung im negativen Sinne stärkt, was die
Bereitschaft zum Ausverkauf der Kultur wachsen lässt (Rauterberg, 1999: 17). Andererseits wird versucht
klarzustellen, dass es bei den MS nicht um ein ,,Übermarketing" oder einen ,,gnadenlosen Konsumterror"
geht, sondern dass vielmehr versucht wird, eine stärkere inhaltliche und emotionale Bindung an die Kunst,
die Geschichte und die Museen zu erreichen (Brockmeyer, 1999: 58). In der Stadt Bremen werden diese
konträren Perspektiven beispielhaft verdeutlicht: Während die Kunsthalle mit der Sonderausstellung ,,Paula
in Paris" die Publikumsmassen sowohl in das Museum als auch in den hervorragend sortierten Shop lockt,
fordert Frau Prof. Dr. Wiebke Arndt, Direktorin des Überseemuseums, in der hiesigen Tageszeitung, dem
Weser Kurier Nr. 3 vom 20.01.08, dass die Stadt Bremen sowie deren Wirtschaft die Kultur finanziell zu
fördern hat, während der MS des Überseemuseums auf meine telefonische Nachfrage ,,strukturell bedingt"
geschlossen bleibt. Es wird der Zwiespalt, der sich aus der Einrichtung von MS ergibt, deutlich: Verstärkte
Besucherorientierung der Museen mit Hilfe des umfassenden Angebots der MS zu den Ausstellungsthemen
sowie die zusätzlichen Einnahmen durch den MS scheinen sich dem staatlich-kulturellen Auftrag und dem
Anspruch des Museums geradezu dichotomisch gegenüber zu stehen. Dies steht an vielen Stellen dieser

2
Arbeit zur Diskussion und wird abschließend nochmals aufgegriffen, um eine Antwort auf die Frage der
Kommerzialisierung bzw. Nichtkommerzialisierung von Kultur durch die MS zu geben.
1.2 Vorgehensweise
,,Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie"
(Sir Karl Raimund Popper, österreichisch-britischer Philosoph)
Mein Vorgehen in dieser Arbeit besteht darin, unterschiedliche Perspektiven und zeitgenössische Theorien
vorzustellen, um diese dann auf die gegenwärtige gesellschaftliche Position der MS anzuwenden. Dabei war
mir eine fundierte und komplexe Beschreibung der Theorie wichtig, ohne deren Kenntnis spätere
Diskussionsstränge nur oberflächlich verstanden werden könnten (w. z. B die Frage der Kommerzialisierung
von Kultur im Kontext der MS, die auf der Konsum- und Kulturkritik der 1950er Jahre basiert). Außerdem
geben Theorien grundlegende Denkrichtungen an die Hand, um zu erklären, warum etwas so geworden ist,
wie es jetzt ist und es können Aussagen über künftige Entwicklungen gemacht werden (Hradil, 1995: 81).
Das Phänomen des MS wird von mir sowohl aus wirtschaftswissenschaftlicher
1
als auch
kulturwissenschaftlicher, insb. kultursoziologischer
2
, Perspektive Betrachtung finden. Dabei wird versucht,
unter Einbeziehung der Motivationen von Anbietern als auch Nachfragern der MS und deren Produkten ein
Komplettbild der MS in Deutschland zu schaffen. Meine theoretischen Ausführungen finden empirische
Untermauerung durch Sekundärdaten wie Forschungsergebnissen von WissenschaftlerInnen (Hoffmeister,
Gottschalk, Hütter/Schulenburg u. a.) und Unternehmen (PANTOS Werbeagentur GmbH GWA, im
Folgenden immer ,,Pantos" genannt; A.T. Kearney). Wenn die einzelnen Studien in meiner Arbeit erstmalig
gebraucht werden, stelle ich sie mit Informationen zu Stichprobengröße, Jahr und Zweck der Untersuchung
vor. Des Weiteren liefere ich ,,lebendige" Beispiele, indem ich meine eigenen Beobachtungen aus den Shops
der Kunsthallen Bremen und Hamburg sowie diverser großer Museen in Berlin (bspw. Pergamonmuseum,
Deutsches Historisches Museum, Jüdisches Museum) aus den Jahren 2006 und 2007 einfließen lasse sowie
Inhalte aus den Gesprächen, die mit den Shopverantwortlichen der o. g. Museen geführt wurden, wiedergebe.
Darüber hinaus waren mir für meine Arbeit eine ausgedehnte Recherche zur Reputation von MS in der deutschen
Presse von 1998 bis 2007 und die Inspektion der Auftritte von MS und ihrer Shopware im Internet dienlich.
Um den MS in der heutigen postmodernen, erlebnisorientierten Konsum- und Kulturgesellschaft zu
positionieren und dessen Entwicklung und Erfolg hierin zu erklären, müssen zunächst grundlegende
Attribute dieser Gesellschaft und ihrer Kultur erklärt werden: Die Postmoderne, die Konsumkultur bzw. der
Kulturkonsum (Consumer Culture) und die Kultur- und Erlebnisgesellschaft heutiger Zeit, die in Abschnitt
1
Hier insb. aus der Sichtweise des Marketings. In dieser Arbeit konnten nicht alle für einen Handlungsbetrieb, wie der
MS es ist, notwendigen Instrumente berücksichtigt werden. Ausgenommen sind z. B. die Personalpolitik, die Frage
nach der passenden Betriebsform, die Innen- und Außenarchitektur (vgl. Hütter/Schulenburg, 2004: 25ff. und 41ff.;
Dommers, 2000; Uelsberg, 2000; Löber, 2000; Hoffmeister, 2000: 37ff.).
2
Kultursoziologie begreift Kultur als Repertoire von Handlungsressourcen, als symbolische Dimension sozialen
Handelns bzw. menschlicher Praxis und befasst sich mit dem Verhältnis von Kultur und sozialer Ungleichheit. Der neue
Kulturbegriff im Gegensatz zum klassischen Kulturkonzept umfasst nicht nur Ideen und Weltbilder, sondern auch
Alltagsethiken und -ästhetiken. Nach Kohl (2006: 2); Fröhlich/Mörth (1994: 14); Müller (1994: 63).

3
1.4 und den Kapiteln 2 und 3 behandelt werden. Im Kapitel 4 wird dann das Museum eingebracht.
Insbesondere der Wandel der Museen von traditionellen Häusern zu postmodernen Institutionen ist
interessant, da daraus letztlich der MS in seiner heutigen Erscheinung hervor geht. Daran anschließend folgt
eine, im Kontext meiner Arbeit über MS, interessante Konnotation: Museen sind Warenhäuser und
Warenhäuser sind Museen. Dies führt zu Kapitel 5, das dem eigentlichen Untersuchungsgegenstand, dem
MS in Deutschland, entwickelt aus den Vorgängern der USA, gewidmet ist. Die Geschichte, die Funktionen,
die Ware der MS u. v. m. werden vorgestellt. Den Theorieteil abschließen wird Kapitel 6 mit der Vorstellung
der McDonaldisierungsthese von George Ritzer und der Disneyization nach Alan Bryman. Gleichzeitig leite
ich mit dieser Theorie zu meinen Hypothesen, die alle aus den bis dahin theoretischen Darstellungen von mir
entwickelt wurden, über. Auf die Untersuchung der McDonaldisierungsthese im Kontext des MS folgen drei
weitere Hypothesen und deren Überprüfung. Bei dieser Erhebung bewege ich mich auf verschiedenen
Analyseebenen: der mikrosoziologischen Ebene (bspw. der Konsum im MS aus Prestigegründen) und der
makrosoziologischen Ebene (bspw. die McDonaldisierung der MS). Abschließend wird versucht, eine
Antwort auf den Diskurs der Kommerzialisierung der Kultur im Kontext der MS zu geben sowie einen Blick
in die Zukunft der MS in Deutschland zu wagen.
Die relevanten Begriffe meiner Magisterarbeit werden durch Definitionen gestützt, um sowohl beim Verfasser
als auch bei den Lesern ein einheitliches Begriffsverständnis zu garantieren. Sofern in der vorliegenden Arbeit
für Personen die männliche Form benutzt wird, geschieht dies ausschließlich aus Gründen der besseren
Lesbarkeit. Wenn ich von ,,der Gesellschaft" spreche, meine ich hier ausschließlich westliche
Industrienationen, in dieser Arbeit vornehmlich die USA und Deutschland. Dies soll keine Diskriminierung
anderer Nationen sein, doch die hier vorgestellten Theorien, die ich im zweiten Schritt auf die MS anwende,
beruhen auf Gesellschaften, die mit einem hohen Grad an Wohlstand und Bildungsmöglichkeiten ausgestattet
sind, in ökonomisch übersättigten Märkten. Warum dies so ist, wird in Abschnitt 3.1 dieser Arbeit erklärt.
1.3 Vorausgesetzter Sachverhalt
Der vorausgesetzte Sachverhalt zur Darlegung und Beantwortung meiner Fragestellung ist: Museumsshops
sind heutzutage in Deutschland erfolgreich. Bevor ich meine Ausführungen beginne, ist dies zu beweisen.
Ich unterteile dabei den Erfolg der MS in die Angebots- und in die Nachfrageseite, respektive in die Shop-
Produzenten wie bspw. Shopbetreiber und die Shop-Konsumenten wie bspw. die Museumsbesucher:

4
1.3.1
Die Angebotsseite der Museumsshops
Pantos
3
stellte im Jahr 2002 empirisch, fest: ,,Die Zahl der Museumsshops hat deutlich zugenommen."
Ungefähr 76% der rund 100 befragten Museen verfügten zu diesem Zeitpunkt bereits über einen oder
mehrere MS. Die Gründe zur Errichtung eines MS im Museum sind vielfältig (vgl. Abschnitt 5.4). Als eine
von sieben Thesen für die zukünftige Ausrichtung des Museumsmarketings, hält Pantos (2002: 16) fest:
Museen werden ,,Kunst-Verkäufer", was beinhaltet, dass das Merchandising, respektive Shopware, von den
Museen zukünftig noch aktiver genutzt wird.
Im Jahr 2004 führten Hütter und Schulenburg (2004: 58, 103-104) in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Bernd
Günter, Lehrstuhlinhaber der Betriebswirtschaftslehre, insb. Marketing, der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf und Prof. Dr. Bernhard Graf, Leiter des Instituts für Museumsforschung in Berlin erneut eine
Studie zu den MS in Deutschland durch.
4
Diese war im Vergleich zu Pantos Arbeit weitaus größer angelegt,
da insgesamt 1.146 deutsche Museen, sowohl die jeweilige Museums- als auch die Shopleitung (wenn diese
nicht gleichzeitig die Museumsleitung war) befragt wurden. Bei den angeschriebenen Museen handelte es
sich um Kunstmuseen, Historische Museen, Sammelmuseen mit komplexen Beständen, mehrere Museen in
einem Museumskomplex sowie Ausstellungshäuser. 560 Häuser antworteten, was eine Rücklaufquote von
48,9% ausmachte (Hütter/Schulenburg, 2004: 52ff.). Von den befragten Museen besaßen nur 17% keine
Verkaufsstelle, die Mehrzahl der Museen (über 83%) hatte mindestens eine. Die Untersuchungsergebnisse
werden wie folgt zusammengefasst:
,,Die Studie hat aufgezeigt, dass Verkaufsstellen an deutschen Museen durchaus etabliert sind. Lediglich
kleinste und kleine Museen weisen kaum kommerzielle Warenangebote auf, ansonsten ist der Verkauf von
Museumsprodukten grundsätzlich Bestandteil des Museumsangebots."
Dass MS erfolgreich und bedeutend sind, lässt sich auch anhand der Legitimation und Anerkennung der MS
durch eine Vielzahl neu entstandener Berufsbilder (vgl. Abschnitt 5.8) erkennen sowie an einer Fülle von
Artikeln über MS in der deutschen Presse zwischen den Jahren 1991-2008, die ich als Spiegel zur
öffentlichen Wahrnehmung der MS in Deutschland herangezogen und für meine Arbeit genutzt habe.
5
Hier
ist es üblich, dass die Feuilletons die MS, wie alle anderen kommerziellen Tätigkeiten im Museum,
anprangern, die Kunst in den Kommerz abdriften zu lassen (beispielhaft: Die Zeit Nr. 17 vom 19.04.07,
S. 54; vgl. auch Schneede, 1999: 101). Die Berichterstattung, wenn auch negativ, zeigt, dass MS in
Deutschland wahrgenommen werden und Bedeutung in unserer Gesellschaft finden. Die ausdrücklich
negative Meinung, die ich vielmehr als persönliche, kultur- und konsumkritische Ansicht vereinzelter
3
Pantos ist eine Werbeagentur in München, die 1997 als auch 2002 eine empirische Studie namens ,,Museum und
Marketing" durchgeführt haben. Dabei wurden insgesamt 157 Museen in Deutschland zu ihrem Marketing in eigener
Sache anhand 35 Aussagen schriftlich befragt. Die Rücklaufquote dieser Befragung betrug 91%. Die Ergebnisse
wurden in 7 Thesen für ein zukünftiges, erfolgreiches Museumsmarketing zusammengefasst. Besagte Studie liefert
interessante Ergebnisse und wird in dieser Arbeit mehrmals herangezogen, um Aussagen zu belegen. Ich danke Herrn
Dr. Markus Deppe, geschäftsführender Gesellschafter der PANTOS Werbeagentur GmbH GWA, der mir diese nicht
veröffentlichte Studie auf Anfrage zur Verfügung gestellt hat. Siehe www.pantos.de; 24.02.08, 19:47 h.
4
Zur umfassenden Zielsetzung dieser Studie, siehe Hütter/Schulenburg (2004: 33-34).
5
Es handelt sich hierbei um Artikel aus der FAZ, Die Welt, Die Zeit, die Berliner Morgenpost u. v. m.

5
Zeitungsredakteuren sehe, sei hier in Frage gestellt, denn das Meinungsbild der Konsumenten hinsichtlich
MS fällt ganz anders aus, wie im folgenden Abschnitt dargestellt wird.
1.3.2
Die Nachfrageseite der Museumsshops
"People do care for museums shops. " (Gottschalk, 2002: 10)
,,Ich liebe Museumsshops." (Studentin, 25)
,,Mein liebster Museumsshop ist der in Wolfsburg." (Berufstätiger, 30)
,,Dank denen ist das Museum nicht so bieder und konservativ." (Mediziner, 60)
Sowohl die Aussagen als Reaktion auf das Erläutern meines Magisterarbeitthemas als auch Gottschalks
empirische Untersuchungen
6
zeigen: Die Wertschätzung für MS als besonderer Einkaufsort aus Sicht der
Konsumenten ist groß. Gottschalk (2002: 6-7) hat herausgefunden, wie wichtig die Möglichkeit für die
Museumsbesucher ist, im Museum einkaufen zu können. Als Ergebnis hält sie fest: ,,For more than 70% of
the respondents it is "very", "most" and even "utmost important" to get the chance of shopping." Darüber
hinaus besitzen 78,5% der Befragten eine positive oder sehr positive Einstellung zum MS und nur 5,5 % eine
absolut negative Einstellung (Gottschalk, 2002: 11). Die positiven Aspekte, die mit MS verbunden werden,
werden hierbei bedeutender eingeschätzt als die negativen (Gottschalk, 2006: 117). Terlutter (2000: 272) geht
sogar einen Schritt weiter und spricht in seiner Studie
7
von MS, ,,[deren] Vorhandensein [von den Muse-
umsbesuchern] schon als Selbstverständlichkeit hingenommen [wird]". Im Kontext der McDonaldisierungsthese
wird diese selbstverständliche Erwartung, dass MS Bestand heutiger Museen sind, nochmals aufgegriffen.
1.4 Die Postmoderne - Was unsere heutige Gesellschaft prägt und bewegt
,,Die Perspektive der Postmoderne ist zunächst eine Perspektive des Beendens, des Abschiednehmens von
einem Zeitalter [die Moderne, d. Verf.], das Ordnung und Sicherheit versprochen hat", so Prof. Dr. Wersig
von der Freien Universität Berlin in einer Gastvorlesung zur Reihe ,,Zukunftsforschung heute" vom
02.12.2002. Er spricht hier von postmodernen Perspektiven, was ich zum Aufhänger nehmen möchte, um
verständlich zu machen, was unter der in meiner Arbeit viel zitierten Postmoderne, gerade in den Bereichen
Konsum, Kultur, Erlebnis und Museum, verstanden werden soll. Kurz und prägnant führt diese Erläuterung
in die nachfolgenden Theorien ein.
6
Es handelt sich bei diesem Paper (Titel: ,,The value of museums shops: Management consequences of consumer
needs"), welches aufgrund seiner interessanten empirischen Ergebnisse in der vorliegenden Arbeit noch häufiger zitert
wird, um eine 13-seitige Schrift, die Gottschalk für die 12th Biennial Conference of the Association for Cultural
Economics International in Rotterdam (NL) vom 13.-15. Juni 2002 erstellt hat, worin sie Ergebnisse aus ihren
empirischen Studien, in der sie rund 150 Konsumenten im Jahr 2002 nach ihren Eindrücken über existierende
Museumsshops als auch nach ihren damit verknüpften, persönlichen Überzeugungen befragt hat und deren Ergebnisse
ein Bild des idealen Museumsshops aus Verbrauchersicht liefern. Freundlicherweise habe ich diese Ergebnisse von Frau
Dr. Gottschalk aus ihrem Privatbesitz ausgehändigt bekommen.
7
Terlutter (2000: 91ff.) hat im Sommer 1995 323 Museumsbesucher mündlich befragt. Ziel war die Analyse eines
kulturspezifischen Lebensstils.

6
1.4.1
Die Debatte um die Postmoderne
Zu Beginn dieses kurzen Exkurses zur Begrifflichkeit ,,Postmoderne"
8
soll zunächst festgehalten werden,
dass die Postmoderne als Konzept und als Faktum sehr umstritten ist (Slater, 2005: 209). Einerseits gehen
die Meinungen auseinander, ob das neue Zeitalter, das die postmoderne Perspektive impliziert, tatsächlich
eine Postmoderne ist oder ob die Postmoderne evtl. gar nicht existiert. Einige Soziologen sehen die
Postmoderne lediglich als eine konstruierte Wirklichkeit an (bspw. Gergen, 1996; Rose, 1992)
9
. Andererseits
wird diskutiert, ob die Postmoderne ein Zeitalter ist, was sich von der Moderne
10
abhebt oder ob es sich
lediglich um eine bereinigte, ,,reflexive" Moderne handelt, die die Zeitalterwende durchaus beinhaltet, aber
bestimmte Aspekte der Moderne weiter in sich trägt (Baumann, 1992: 333; Featherstone, 2005: 3; Beck,
2003: 14, 26). Erst rückwirkend werden Historiker, Philosophen und Soziologen wohl festlegen können,
wann die postmoderne Epoche begann oder ob sie überhaupt jemals existierte. Da dieser Diskurs über das
Sein oder Nichtsein der Postmoderne bzw. über die Nähe zur Moderne für die vorliegende Arbeit nicht
weiter relvant ist, werde ich an dieser Stelle auf nähere Ausführungen diesbezüglich verzichten. Fest steht:
Wenn man mit den von mir hier darzustellenden zeitgemäßen Theorien arbeitet, ist der Begriff
,,Postmoderne"
allgegenwärtig und bedarf daher einer genaueren Betrachtung, auch wenn diese nicht zu einer
allgemein akzeptierten Definition von Postmoderne führen kann, weil sich der Bergriff der Postmoderne
durch viele verschiedene Bereiche gegenwärtiger Kultur zieht (Featherstone, 2005: 11) und in einem weiten
Feld von Disziplinen und Forschungsgebieten auftaucht.
1.4.2
Die Attribute der Postmoderne
Mit dem Verfall der Arbeitsgesellschaft, respektive der Produktionsseite, steigt die Emanzipation des
Konsums (Bauman, 1992; Bolz/Bosshart, 1995: 24). Die Konsumorientierung mit der Profitmaximierung
von Seiten der Anbieter ist in der postmodernen Gesellschaft der oberste Grundsatz, wovon der
Kulturbereich nicht ausgeschlossen bleibt (Hieber et al., 2005: 7-48; Schrage, 2003: 86). Koslowski
(1988: 112-116) spricht vom Ende der Arbeitsgesellschaft und dem Beginn der Kulturgesellschaft. Beim
Konsum drängt sich die Maximierung des eigenen Wohlbefindens in den Vordergrund. Die
Postmodernisierung kann als eine Verschiebung der Überlebensstrategien gesehen werden, von der
Maximierung des Wirtschaftswachstums in der Moderne
11
hin zur Maximierung der Existenz und des
Wohlbefindens mit Hilfe eines veränderten Lebensstils (Inglehart, 1998: 114, 155) in der Postmoderne, was
im anschließenden Kapitel 2 ausführlich erläutert wird.
8
Die englischen Begriffe ,,postmodernity" und ,,postmodernism" sowie ihre Unterscheidung lasse ich an dieser Stelle
außen vor (mehr dazu bei: McGuigan, 1999: 2, 154).
9
Das postmoderne Denken stellt sich einer Klassifizierung bzw. Einordnung der Postmoderne als Zeitalter bzw. Epoche
prinzipiell entgegen.
10
Zur Definition von ,,Moderne", siehe McGuigan (1999: 153). Als wesentliche Elemente der Moderne werden
angesehen: Industrialisierung mit Massenproduktion; Rationalität, d.h. der Glaube an die Vernunft; Kapitalismus und
Demokratie; die Beherrschung der Natur durch Technologien u. v. m.
11
Zur Moderne bzw. Modernisierung siehe Beck (2003: 25).

7
Die Individuen und die von ihnen gestalteten Lebens-, Arbeits- und Sozialzusammenhänge als
,,Lebensunternehmer" münden in einen neuen Gesellschaftstypus: die ,,individualisierte Gesellschaft"
(Schimank, 2000: 107; Scherr, 2000: 189ff.). Es kommt zu einem wachsenden Bewusstsein der
Selbstrealisierung. Außen-, fremd- oder kollektiv gesteuerte Selbstwerdung verliert an Bedeutung. Ronald F.
Inglehart, US-amerikanischer Politologe, der in den 1970er Jahren durch seine Theorie des Wertewandels
von materialistischen zu postmaterialistischen Werten bekannt wurde
12
, stellt fest:
,,Die Postmodernisierung schwächt alle Formen von Autorität [...], seien sie religiöser oder säkularer Natur,
und gibt dem Individuum erheblich mehr Autonomie, um über subjektive Wahl Lebenszufriedenheit zu
erlangen." (Inglehart, 1998: 112)
Die angesprochene Lebenszufriedenheit geht eng einher mit der eigenen Identifikation, in Differenzierung
von anderen in Form der Individualisierung und der gleichzeitigen Notwendigkeit der Identifikation mit
anderen. In der Postmoderne nimmt dies eine neue Form der Pluralisierung an: die Identifikation mit
mehreren bestimmten Bezugsgruppen. Die Optionsvielfalt ist ein wichtiges Merkmal der Postmoderne,
ausgedrückt in der Auswahl von Konsumangeboten sowie den Möglichkeiten individueller Lebensgestaltungen
bzw. Identifikationen (Prisching, 2006: 61ff.). Voraussetzung dieser Vielfalt ist sowohl eine räumliche als auch
soziale Mobilität (Rössel, 2006: 549). Beide stellen wesentliche Phänomene der Postmoderne dar.
Ein weiterer Fokus der Postmoderne liegt auf der Eventisierung. Die Theorie der Erlebnisgesellschaft (im
Folgenden ,,EG" genannt) des deutschen Soziologen Gerhard Schulze wird diesen Aspekt der Postmoderne
im Abschnitt 3.2 näher beleuchten. Die Eventisierung findet großteils in den Konsumwelten statt, weshalb
auch im Kapitel 2 über den Konsum das Erlebnis thematisiert wird. Doch der Höhepunkt dieses
postmodernen Phänomens ist laut Schulze bereits erreicht und die Eventisierung hat unlängst ihren Rückzug
angetreten. Schulze erkennt 2005 in Deutschland eine ,,Anti-Ereignis-Bewegung", die sich in einer
verstärkenden, tieferen Sinnsuche manifestiert und der oberflächlichen Ereignissuche der postmodernen
Gesellschaft entgegensteht (Bolz, 1997: 10-24, 43-85, 211-234). Dennoch bleibt das Ereignis eine wichtige
Dimension der Postmoderne. Mit der Eventisierung einher geht das postmoderne Bedürfnis nach einer
Wiederverzauberung (Ritzer, 2005: 68; auch Prisching, 2006: 176-180) als eine Ergänzungsbewegung zur
modernen Entzauberung, die zuerst durch die Säkularisierung, dann durch die Rationalisierung und
Technisierung ausgelöst wurde (Bolz, 1997: 49-52). Um dennoch Sinn zu finden, geht es in der Postmoderne
maßgeblich um die Überbetonung von Werbung und Ware als sinnbringende Zeichen und Objekte. ,,Die
schöne neue Warenwelt hat Hochkonjunktur [...] auch in der kulturtheoretischen und kunsthistorischen
Betrachtung", schreibt Max Hollein (2002: 13), der Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt
13
ist und laut
der WirtschftsWoche vom 09.06.06 der beste Museumsmanager Deutschlands ist. Der in der Postmoderne
bedeutende Konsum wird zu einem illusionistischen Spektakel. Die Realität wird nur noch simuliert und
endet in einer so genannten Hyperrealität (Wetzel, 1994: 143; Bolz, 1994: 100; Kellner, 1999: 190f.). Dabei
zeigt das Konzept der Postmoderne auch ein Ineinandergreifen der Hoch- und Populärkultur (Nünning, 2005:
12
Zu Inglehart und zu seiner Ansicht über die postmoderne Gesellschaft siehe auch Pongs (2000: 125-148).
13
Siehe: http://www.schirn-kunsthalle.de/; 09.02.08, 14:18 h.

8
543-544). All diese Attribute der Postmoderne (siehe auch Featherstone, 2005: 5-15) werden im Folgenden
im Kontext des Konsums, des Erlebnisses und der Kultur vorgestellt und diskutiert. Abschließen möchte ich
diesen kleinen Exkurs mit einer prägnanten Definition der Postmoderne von Griswold (2004: 167-168):
,,Post modern culture is a culture of surfaces, a play of images, denying depth, history, or meaning."
2
Der Konsum und die Konsumgesellschaft
Der Mensch wurde nicht als Konsument geboren. Konsumhistoriker weisen darauf hin, dass es notwendig
war, die Menschen vom ,,Habenwollen" zu überzeugen. Sie mussten lernen, Interesse an Dingen zu zeigen,
die sie nicht unbedingt zum Überleben brauchten. Dem Habenwollen ging und geht ein ,,Habenmüssen" voraus.
Erst wenn die notwendigen Bedürfnisse befriedigt sind, ist für die Erfüllung und Entwicklung von Wünschen
Platz (Ullrich, 2006: 9)
14
. Damit möchte ich das erste Kapitel meiner Arbeit über den Konsum einleiten.
In meinen folgenden Ausführungen zu den Begriffen Konsum, Erlebnis und Kultur beziehe ich mich auf
unsere heutige Gesellschaft, die von ausreichender materieller Grundversorgung gekennzeichnet ist. Der
Erlebnis- und Kulturkonsum ist ein Wohlstandsphänomen entwickelter Volkswirtschaften, die eine hohe
Kapazität an Zeit und Geld (Massenwohlstand und Massenfreizeit) zur Verfügung haben, ein hohes
Bildungsniveau besitzen und somit die Möglichkeit haben, die Suche nach Selbstverwirklichung und
Individualisierung in ihren Lebensmittelpunkt zu stellen (Terlutter, 2000: 34-35; Opaschowski, 2000: 67;
Prinz, 2003: 432; König, 2000: 31f., 123-131).
15
Eine Werteverschiebung hin zu einer stärkeren Betonung
der Bildung und Kreativität findet statt. Darüber hinaus, so stellte Pantos (2002: 10) fest, werden der Wunsch
und die Suche nach Kultur als Ausgleich für eine immer technischer und sachlicher werdende Alltagswelt
vermeintlich groß, was durch die hohe Zahlungsbereitschaft der Kulturkonsumenten bewiesen wird.
2.1 Die postmoderne Konsumkultur: Consumer Culture
Die postmoderne Konsumgesellschaft wird vortrefflich mit der Theorie der ,,Consumer Culture" erklärt. Um
diese zu erklären, habe ich für meine weiteren Ausführungen berühmte Vertreter der Consumer Culture
gewählt: Den französischen Soziologen und Kulturkritiker Jean Baudrillard
16
, der von Ritzer (1998: 1) als
der postmoderne Sozialtheoretiker bezeichnet wird, und dessen Werk ,,The Consumer Society" (1998) ein
wichtiger Text zum aktuellen Verständnis des postmodernen Konsums ist. Baudrillard setzt
Konsumgesellschaft und postmoderne Gesellschaft gleich. Neben Baudrillard finden seine britischen
Kollegen Featherstone (2005), der in seiner Erforschung der postmodernen Consumer Culture die Thesen
14
Wünsche sollen hier nicht als ,,gemacht" denunziert werden. Auch gibt es sie nicht nur aufgrund der Profitgier der
Unternehmen und Verkäufer. Plausibler ist es, den Wünschen eine Latenz zu attestieren und es als Fortschritt zu
würdigen, wenn sich neben den Bedürfnissen auch Wünsche berücksichtigen lassen.
15
Zu Definition und Geschichte des Konsums siehe auch Zukin (2004, Prolog, Kap. 1, 256ff.); Jäckel/Kochhan (2000:
73-94). Nur zur Konsumgeschichte siehe auch Grunenberg (2002: 17-37); Hollein et al. (2002: 80-83).
16
Ein kurzer Abriss über Baudrillard als Person und sein Schaffen ist bei McGuigan (1999: 58-65) zu finden. Über sein
Werk ,,The Consumer Society" sowie dessen essentiellen Thesen und Einflüsse bzw. Prägungen durch andere
Theoretiker spricht Ritzer (1998: 1-9, 18-22). Ritzer (2005: 67) bezeichnet Baudrillard später als eine der Leitfiguren
postmodernen Denkens.

9
Baudrillards i. w. S. aufgreift und Slater (2005) Erwähnung. Beim Einblick in die Consumer Culture
(Chaney, 1996: 14-24; Dittmar et al., 2007: 5-8) und in das deutsche Pendant, die Konsumsoziologie
(Wiswede, 2000: 23-72), beziehe ich mich auf die im Kontext meiner Arbeit wichtigen Aspekte.
Die post- oder spätmoderne Consumer Culture wird a priori dadurch charakterisiert, dass sich Kultur und
Ökonomie in einem neuen Mischungsverhältnis durchdringen (Featherstone, 2005: 84.; Slater: 2005: 8, 24-
25). Der britische Soziologe Mike Featherstone deutet mit dem Begriff der Consumer Culture auf zweierlei
Bezugsebenen hin: die Kultur des Konsums und den Konsum der Kultur. Zum einen ist damit die Art und
Weise bezeichnet, wie wir konsumieren, und zum anderen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die vom
Konsum maßgeblich geprägt ist (Goodman et al., 2004: 3-5): ,,Der Akt des Kaufens ist der fundamentalste
Akt in allen unseren Lebensbereichen geworden. Was immer wir tun, stets hat es etwas mit kaufen zu tun."
(auch: Bolz/Bosshart, 1995: 24, 229; Heidbrink et al., 2007: 102; Hollein, 2006: 168). Die eine Ebene
verweist auf eine zunehmende Ästhetisierung des Konsums und die Theatralisierung des Alltags, sei er noch
so profan: ,,Consumer culture is a fancy dress party in which we dress up our everyday lives [...]."(Slater,
2005: 197; auch Hollein, 2002: 14; Hollein, 2006: 167; Bolz, 1997: 224f.). Die andere Ebene konstatiert
Überfluss als gesellschaftliches Vorzeichen. Wolfgang Ullrich (2006: 15), deutscher Kunsthistoriker und
Kulturwissenschaftler, sieht die Kultur des Konsums darin, dass es heute nur noch Produkte gibt, die mit
Hilfe unterschiedlichster Wissenschaften auf den Markt gelangen, womit sich die moderne Konsumwelt
sogar als Ort interdisziplinärer Forschung beschreiben lässt. Viele Erkenntnisse über den Menschen werden
erst im Zuge von Marktuntersuchungen oder bei der Analyse des Konsumentenverhaltens gewonnen. Da die
Produzenten ihre Kundschaft damit besser denn je kennen, sind auch die Produkte so optimal auf die
Bedürfnisse des Kunden ausgerichtet wie nie zuvor. Das Ergebnis ist als historisch einmalige Leistung zu
würdigen, so Ullrich, selbst wenn kapitalistische Gier und einseitig ökonomische Interessen dafür
verantwortlich sind: Erstmals lässt sich der Konsum in Kategorien beschreiben, die bisher allein für Werke
der Hochkultur reserviert waren: ,,[E]rstmals ist er [der Konsum, d. Verf.] selbst zu einer Kultur geworden",
welcher somit Untersuchungsgegenstand u. a. der Kulturwissenschaften ist. Der zweite Aspekt, unsere
postmoderne Gesellschaft als Konsumgesellschaft zu sehen, versteht den Konsum als allgegenwärtig, so dass
die Entwicklung neuer Arten des Konsums immer wichtiger wird (Gottdiener, 1997: 6-8). Nach der Theorie
der Consumer Culture gibt es im Hinblick darauf, wer was konsumieren darf, keine Grenzen mehr. Jeder darf
konsumieren (Schrage, 2003: o.S.) und alles ist konsumierbar (Slater, 2005: 27). In der postmodernen
Consumer Culture gilt: ,,Alles hat seinen Preis!" (Slater, 2005: 63, 70; Zukin, 2004: 255-257). Die
Postmoderne ist dabei von einem beschleunigten Konsum (sowohl materieller Güter als auch Dienstleistungen)
begleitet: Es wird schneller konsumiert, angehäuft und wieder entsorgt (Slater, 2005: 195; Keim, 1999: 66).
Die Idee der postmodernen Konsumkultur - ich meine damit die Art und Weise, wie wir konsumieren - lässt
sich prägnant auf einige Prämissen zusammenführen, die ich im Folgenden näher erläutern und deren
Zusammenhänge ich darstellen werde:

10
(1) Allgemeine Priorität des Konsums über die Produktion
17
(2) Dominanz von Informationen, Werbung und Zeichen respektive Symbolen (Schrage, 2003: 30;
Slater, 2005: 195)
(3) Errichtung von Identitäten auf mikrosoziologischer Ebene
(4) Bedeutsamkeit von Lebensstilen (Chaney, 1996: 84)
(5) Auflösung der sozialen Strukturen in Lebensstile (Slater, 2005: 193) auf makrosoziologischer Ebene
2.1.1
,,We no longer consume things but signs." (Baudrillard)
18
Indem ich o. g. Punkt (2) aufgreife, beginne ich meine spezifischen Ausführungen zur Consumer Culture.
Ullrich (2006: 172) stellt allgemein fest, dass es für Geisteswissenschaftler keineswegs eine neue Aufgabe
ist, sich mit Symbolen
19
, Codes
20
, Designs oder Bildsprachen zu befassen, die die Consumer Culture prägen.
Stilanalysen haben in der Kunstgeschichte eine lange Tradition. Kunstwissenschaftler vertreten die Ansicht,
dass sich in jeglicher Gestaltung, nicht nur im Werke der Hochkunst, eine Lebenshaltung ausdrückt.
Stilmittel oder Designformen (und bei weitem nicht nur Konsumgüter) werden als Indikatoren sozialer,
psychischer und ideologischer Befindlichkeiten interpretiert. Die Objekte werden neben dem Ausdruck der
individuellen Verfassung der Urheber als symptomatisch für eine gesamtgesellschaftliche Lage gedeutet.
Die Zeichenhaftigkeit
21
bzw. der Symbolgehalt, der in den Konsumgütern liegt, soll anhand der
Objektbildung erklärt werden: Codierte Objekte sind das Resultat einer Objektivation, d.h. sie unterliegen
einer Neubildung und Umwertung. Die zugeteilten Attribute sind abhängig vom Benutzer und Beobachter
(Slater, 2005: 132) und strukturieren somit die Welt kollektiv und individuell. Objekte fungieren als
Zeichenträger. Sie sind multivalent, was heißt, dass sie in allen möglichen Kontexten eine Bedeutung
annehmen. Pierre Bourdieu, französischer Soziologe (mehr unter Abschnitt 2.2), betont: die Subjekt-Objekt-
Beziehung, in diesem Fall die Beziehung des Subjekts zum Konsumgut, ist eigentlich eine Subjekt-Subjekt-
Beziehung, so dass damit das Verhältnis zu anderen Subjekten geregelt ist. Das Objekt ist mit Zeichen
angefüllt, und distinguiert sich dadurch von anderen Objekten, die sonst von gleicher Substanz sind.
Gebrauchs- oder Nutzenwert eines Objekts treten in den Hintergrund, weil dieser bei den Objekten gleich ist.
In den Vordergrund tritt das Symbol bzw. der Symbolwert des Gutes als Unterscheidungszeichen
(Fröhlich, 1994: 47ff.). Das Ding als Zeichen ist nun bedeutend (Jäckel, 2004: 190). Das Gut, was
konsumiert wird, wird nicht mehr in seiner Materialität und Nützlichkeit konsumiert, sondern in seiner
Differenz, durch das Symbolhafte oder das Zeichen, was mit ihm steht (Baudrillard, 1991: 243f.). Güter sind
17
Der Konsum über der Produktion ist schon von Adam Smith (1776) erkannt worden: ,,Der Verbrauch allein ist Ziel
und Zweck einer jeden Produktion, daher sollte man die Interessen des Produzenten eigentlich nur soweit beachten, wie
es erforderlich sein mag, um das Wohl des Konsumenten zu fördern." (Hollein et al., 2002: 90). Doch der Durchbruch
dieser Erkenntnis kam erst mit der Verdrängung der Verkäufermärkte und mit dem Aufkommen der Käufermärkte in
den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts (Hellmann, 2003: 107ff.; Schrage, 2003: 33).
18
Zitiert nach Slater (2005: 133, 146, 193); auch: Featherstone (2005: 85).
19
Zur Definition von ,,Symbol", siehe Nünning (2004: 642): Das Symbol ist keine rhetorische Figur, sondern
bezeichnet reale Gegenstände oder Handlungen, die in der Realität oder der erzählten Welt auf etwas anderes
verweisen.
20
Zum Begriff ,,Code", siehe Nünning (2004: 88): Der Code ist ein System von Regeln, das die Verortung und Deutung
von Zeichen oder Zeichenkomplexen erlaubt. Im Folgenden geht es um kulturelle Codes und deren praktische
Manifestation als Konstrukte kultureller Identitäten (auch: Lury (1996: 68-72): ,,The Logic of the Code").
21
Eine Definition von ,,Zeichen": Zeichen ist i. w. S. alles, was für etwas anderes steht (Nünning, 2004: 717-719).

11
dabei die ,,Kunstprodukte" kultureller Produktion
22
: Verkäuflich sind sie letztlich aufgrund der sozialen und
kulturellen Versprechungen, die sie kommunizieren (Slater, 2005: 8). Featherstone (2005: 84) spricht von
,,goods as communicators" und Baudrillard (1991: 244) stellt in Bezug auf in Zeichen verwandelte Objekte
fest: ,,Der Konsum ist der Vollzug einer systematischen Manipulation von Zeichen."
Materielle Güter bekommen in dieser Entwicklung eine fast ausschließliche immaterielle Komponente. Um
dies zu erreichen, werden die Güter durch Design und Verpackung sowie durch die Werbung, die Produkte
mit zusätzlichen Bildern und Botschaften anreichert, ästhetisiert. Produktion und Rezeption von Sinn sind
hier maßgebend. Das Produkt selbst ist zweitrangig (Koppetsch, 2006: 164ff.). Nicht nur die Werber sondern
auch die Umworbenen projizieren Erwartungen, Bedeutungen und Botschaften in die Produkte. Durch die
Ästhetisierung und Emotionalisierung der Waren und Dingkultur kann die Werbung zur Kunst erklärt
werden (Luhmann, 1996: 85). Diese Anreicherung materieller Güter mit immateriellen Werten wurde schon
von Bourdieu (1982: 25, 288) und dem deutschen Jurist, Nationalökonom und Soziologen Max Weber (mehr
zu Weber in Abschnitt 6.1.1.1) als ,,Stilisierung des Lebens" erkannt (Fröhlich, 1994: 47). Je sachlicher der
Mensch in einer rationalisierten, standardisierten Postmoderne wird, desto persönlicher muss die Ware
werden, die dann menschliche Qualitäten wie Gefühle in die Warenwelt überträgt. Featherstone (2005: 47-
48; 66-68). beschreibt dies in der Postmoderne als ,,Ästhetisierung der Alltagskultur" (auch: Lury, 1996: 52-
60, 74-77; Chaney, 1996: 145-157). Wie wichtig die Ästhetisierung, respektive der Verkauf von Emotionen
für den wirtschaftlichen Erfolg ist, stellt Schulze in seiner EG dar: Im Kontext des Käuferverhaltens sind
,,Emotionen [...] das trojanische Pferd, um Menschen (kognitiv) zu erreichen". (Schulze in: Foscht/Swoboda,
2007: 44) ,,Wer viele erreichen will, muss ästhetisch spezialisierte Produkte anbieten." (Schulze, 1993: 440)
Werbung wird zur Kunst und modernes Design und Marketing erreichen, dass Dingen heute dieselben
Fähigkeiten nachgesagt werden wie seit zweihundert Jahren den Werken der Kunst: ,,Sie [Die Dinge, d.
Verf.] bahnen Zugänge zu Erinnerungen, fiktionalisieren die Alltagswelt, transformieren Identitäten,
eröffnen Zukunftsperspektiven." (Ullrich, 2006: 193) Dadurch verbinden sich Hoch- und Populärkultur im
postmodernen Konsum miteinander. Diese Vermengung wird im Folgenden noch Diskussionsgegenstand sein.
Wurden früher Waren und Dienstleistungen konsumiert, sprechen wir heute größtenteils auch von
Erfahrungen, die erkauft werden, so der US-amerikanische Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin
(in: Ullrich, 2006: 39). Er bezeichnet das Phänomen der Verwandlung immaterieller Güter wie Erfahrungen,
Erlebnisse und Atmosphäre zu marktfähigen Gütern als ,,kulturellen Kapitalismus", der nach Ullrich als
Stoff für die (kulturelle) Überhöhungen des eigenen Lebens dient (auch Schwenk, 1996: 50; Soeffner 1992).
Als Paradebeispiel steht der beliebte Schokoladenriegel Mars. Er wird nicht als Schokolade verkauft, sondern
als ,,taste experience" (dt.: Geschmackserfahrung). Kaufen wird so zum Erlebnis (Slater, 2005: 193-194).
22
Slater weist neben der immateriellen Kultur der Konsumgüter auch auf eine in der postmodernen Konsumkultur
bestehende immaterielle Produktionswelt hin: Die Produktion wird durch Wissen, Wissenschaft und Technologien
regiert, durch menschliche Ressourcen und nicht mehr durch menschliche Arbeit als Resultat der Rationalisierung, der
technischen Entwicklungen etc.

12
,,Der gestiegene lebensstilistische Zeichenwert der Dinge erfasst und umfasst auch ihre Kontexte, deren
Gestaltung an Relevanz gewinnt. Sie werden Teil der Ware und des Konsums - eine Semiotisierung der
Umwelt."
23
(Keim, 1999: 70-71)
Im Kontext der Zeichenhaftigkeit ist die Welt mit Zeichen und Bildern angefüllt: Das Individuum begreift
die Welt somit ausschließlich durch besagte Zeichen und Bilder, was Baudrillard kritisch-pessimistisch die
,,Hyperrealität"
24
und Slater (2005: 194) ,,Die Gesellschaft des Spektakels" nennt (Slater bezieht sich hierbei
auf das 1967 erschienene Hauptwerk des französischen Künstlers und Philosophen Guy Debord). Beide
stellen eine Implosion in Aussicht, d.h., dass sich die Differenzen von Wirklichkeit und Repräsentation bzw.
Fiktion sowie zwischen Zeichen und Material auflösen und für das Individuum unerkennbar bzw. nicht mehr
unterscheidbar werden (Slater, 2005: 195-200). In der Hyperrealität, die durch multimediale Technologien
und Simulation erzeugt werden kann, wird die Wahrheit irrelevant, der ,,faith in fake" (dt.: der Glaube in die
Imitation bzw. Fälschung) dominiert (Bauman, 1995: 184; McGuigan, 1999: 23), was einen Orientierungs-
und Wirklichkeitsverlust sowie eine steigende Oberflächlichkeit zur Folge hat (Nünning, 2004: 543), wie die
Definition der Postmoderne von Griswold (Abschnitt 1.4.2) bereits angedeutet hat. Das Präfix ,,Pseudo-"
spielt dabei eine wichtige Rolle: Die in der Werbung propagierte Pseudo-Freiheit, Pseudo-Jugend und die
Pseudo-Gefühle schaffen eine Authentizität, die gar keine ist (Schmidbauer, 1972: 78-92; Alexander, 2003:
169-170). Die Theorie der Implosion ist neben der Hyperrealität gespeist durch Simulationen Baudrillards
Hauptüberlegung zur Konsumgesellschaft (Ritzer, 2001: 125, 135-143; Ders., 2005: 93-96, 100-108).
Wie bereits als 1. Prämisse der postmodernen Konsumkultur (Punkt 1) festgestellt, wird die Produktion in
der Postmoderne vom Konsum abgelöst. Daher wird zur Identitätsfindung heutzutage konsumiert, anstatt wie
in früheren Zeiten die eigene Persönlichkeit über die Arbeit, respektive die Produktion, darzustellen
(Goodman et al., 2004: 93). Die Eigendefinition über Arbeit und Engagement wird durch die Eigendefinition
via Kaufkraft ersetzt. Hinzu kommt, dass es gar keine Alternative zur Persönlichkeits- und Identitätsfindung
via Konsum zu geben scheint. Die ,,wahre Identität" kann nur aus einer ,,konsumaktive[n] Persönlichkeit mit
vielen bunten Etiketten und Versatzstücke[n]" erfolgen (Keim, 1999: 83; Slater, 2005: 70; Ullrich, 2006:
196; Beck, 1993: 241). Zum Erläutern des Zusammenhanges von Konsum, insbesondere des
Prestigekonsums und der Identitätskonstruktion soll folgender Abschnitt dienen.
2.1.2
,,I consume. Therefore, I am."
25
Warum ein Produkt gekauft wird, liegt nicht mehr in seinem Gegenstand und seinem Gebrauch begründet,
sondern in dem, was es verspricht, bedeutet und vorgibt zu sein, wie bei der Objektbildung bereits
dargestellt. Zu dem Gebrauchswert tritt ein neuer Wert, der Symbolwert, hinzu, was das Produkt zu einem
23
Zur Definition von ,,Semiotisierung"/"Semiotik", siehe Nünning (2004: 604-607): Semiotik ist die Wissenschaft der
Zeichenprozesse.
24
Zur Definition von ,,Hyperrealität", siehe Slater (2005: 200): Hyperrealität bezeichnet eine Welt, die aus Kopien
besteht, zu denen es keine Originale (mehr) gibt (auch: Lury, 1996: 69, 71-72; McGuigan, 1999: 22-30).
25
Zitiert nach Adam (1995: 150); auch: Koslowski (2006); Dittmar et al. (2007: 95-120). Hinweisen möchte ich an
dieser Stelle auf die Ausstellung ,,WIE IHR WOLLT! KONSUM IM WANDEL ­ SHOPPINGKONZEPTE
REAL : VIRTUELL" im Wilhelm Wagenfeld Haus, Design im Zentrum, in Bremen vom 13.07. bis 28.10.2007;
www.wwh-bremen.de; 13.11.07, 12:45 h.

13
Statussymbol avancieren lässt (Bögenhold, 2000: 108). Doch: ,,Materielle Objekte fungieren nur dann als
Statussymbole, wenn sie gesellschaftlich knapp, begehrt und sichtbar sind und darüber hinaus von den
Gesellschaftsmitgliedern übereinstimmend hoch bewertet werden." (Stihler, 2000: 172). Diesen Aspekt
aufgreifend und den Konsum in Bezug zu den Begrifflichkeiten ,,Identität" (3. Prämisse der postmodernen
Konsumkultur) und ,,Lebensstil" (4. Prämisse der postmodernen Konsumkultur) setzend, möchte ich den
US-amerikanischen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Thorstein Veblen (1857-1929) mit seinem Werk
,,Theory of the Leisure Class" (dt.: ,,Theorie der feinen Leute") in meine Arbeit einbringen (Goodman et al.,
2004: 149f.). Seine Analyse über den Prestigecharakter des Konsums wird von Baudrillard (1998: 97f.)
später in seiner Theorie zur Consumer Culture aufgegriffen. Die Verbindung von Veblens Idee zur
gegenwärtigen Konsumsoziologie liegt in dem Begriff der ,,conspicious consumption" (dt.: demonstrativer
Konsum; Veblen, 1993: 79-107) begründet (Schulze, 2003: 391; König, 2000: 440; Jäckel, 2004: 32;
Schrage, 2003: 57-86; Ullrich, 2006: 19; Slater, 2005: 154; Goodman et al., 2004: 91f.), der von Veblen
neben den drei weiteren Begriffen ,,stellvertretender Konsum", ,,demonstrativer Müßiggang" und
,,stellvertretender Müßiggang" (Jäckel, 2004: 35-37) entwickelt und eingeführt wurde. Da im Kontext
meiner späteren Hypothese hauptsächlich der demonstrative Konsum von Bedeutung ist, ist mein Fokus
ausschließlich auf ihn gerichtet. Der Begriff bezeichnet die Zurschaustellung von Reichtum bzw. die
Präsentation des eigenen Status durch Konsumgüter. Den Konsum charakterisiert Veblen als individuelles
und egoistisches Streben nach Prestige, so dass der Konsum weniger physischen und allgemeinen
Befindlichkeiten als dem Prestigegewinn Einzelner dient. Prestigewert soll in Anlehnung an Terlutter
(2000: 64) als subjektive Wahrscheinlichkeit, mit der ein Individuum erwartet, soziales Ansehen zu erlangen,
verstanden werden. Ritzer (1998: 6) folgt Veblens Theorie und hält gegenwärtig fest: ,,Indem konsumiert
wird, wird etwas wertvolles produziert: Prestige für einen selbst." Veblen hat darauf aufmerksam gemacht,
dass man nicht nur konsumiert, sondern den Konsum zugleich auch aus- und darstellt, wie Bolz (2002: 96) in
Anlehnung an Goffman und sein Werk ,,Wir alle spielen Theater" ausgezeichnet erklärt: ,,Der Marktplatz ist
immer auch ein Schauplatz der Prahlerei. Wir alle spielen Theater - gerade auch, wenn wir konsumieren."
Ähnlich wie später bei Bourdieu und seinem Begriff des Habitus (siehe Abschnitt 2.2) geht es bei Veblen
bereits um bestimmte Lebensstile, die mit dem Konsum verknüpft sind und die eine Abgrenzung zu anderen
erlauben, indem sie die nach Bourdieu ,,feinen Unterschiede" betonen (Meschnig et al., 2005: 68). Veblen sah
diese Entwicklung hauptsächlich in den höheren Klassen der Gesellschaft vertreten, doch heute steht in der
Konsumsoziologie die gesamte Gesellschaft im Fokus, allen voran
,,
the middle and lower classes who are the
true consumers [...]. [T]hey fetishize objects and seek to prove themselves and to find salvation in the
consumption of objects [...] to compensate for their lack of upward mobility." (Ritzer, 1998a: 8; Abschnitt 2.2.1)
Wenn die Güter symbolisch aufgeladen sind, bekommt der Konsum nicht mehr als Überlebenstätigkeit,
sondern als Freizeitbeschäftigung (siehe auch Abschnitt 3.2.1) neue Funktionen:

14
(a) als Identifikationsmittel (Meschnig et al., 2005: 65; Slater, 2005: 30; Prinz, 2003: 18)
(b) als Instrument sozialer Integration/Gruppenzugehörigkeit (Papastefanou, 2000: 269; u. v. m.)
(c) als Abgrenzungs- oder Distinktionsinstrument (Ullrich, 2006: 39, Baudrillard, 1998: 89-92)
26
(d) zur Entwicklung eines Lebenskonzeptes/Lebensstiles (Ullrich, 2006: 184)
Eine Frau namens Judith Levine, die ein Jahr Konsumverzicht
27
erprobte, erklärt die o. g. Funktionen beispielhaft:
,,Ich wollte mich komplett aus der Welt des Konsums zurückziehen, auch aus dem kulturellen Marktplatz.
Hier werden zwar keine Dinge gehandelt, aber doch Güter, die eine Identität zum Ausdruck bringen. Man
kauft eine Ökotour in Costa Rica, eine Shiatsu-Massage, ein bestimmtes Buch - Identitätsstifter, mit denen
man seine Weltanschauung, seine politische Zugehörigkeit, seinen Stand in der Welt signalisiert." Prompt
begann Judith Levine schon bald nach Beginn ihres Experiments, sich orientierungslos und randständig zu
fühlen. ,,Ich [...] hatte den Eindruck, nicht mehr dazuzugehören, weil ich weder Mode noch Bücher oder
Filme konsumierte", sagt Judith Levine. ,,Und ich fühlte mich einsam, weil ich diese Dinge normalerweise
gemeinsam mit anderen tue." (Rehfeld, FAZ vom 07.11.07)
Die eben vorgestellten neuen Funktionen des Konsums aufgreifend, zeigt folgende Abbildung, wie stark der
Konsum symbolhafter Dinge das Bild einer Identität beeinflussen kann: Die tatsächliche Identität, angereichert
durch symbolische Bedeutungen von Konsumgütern, führt zu einer Wunschidentität, die ,,Idealidentität" (Punkt
(a): Konsum als Identifikationsmittel, gleich der 3. Prämisse der Konsumkultur: Errichtung von Identitäten).
Abbildung 1: Identitätskonstruktion durch Konsumgüter
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Dittmar et al. (2007: 13)
Giddens (1991, in: Slater, 2005: 84) betont dabei, dass eine Vielzahl von manchmal auch widersprüchlichen
Identitäten in einem Individuum existieren können. Indem die Individuen eine Vielzahl von materiellen und
symbolischen Quellen benutzen, können sie wählen, konstruieren, verneinen, respektive sich distinguieren,
(Punkt (c): Konsum als Abgrenzungsmittel) und ausstellen, wer sie sind oder als was sie gesehen werden
möchten, abhängig von Lebenssituationen oder Lebensphasen (Opaschowski, 1995: 68). Konsumentenstile
werden unter ästhetischen Gesichtspunkten zu Lebensstilen. Dieser Pluralismus postmoderner Identitäten
mündet in einer Vielzahl von Lebensstilen (Punkt (d): Konsum als Entwicklung eines Lebensstiles gleich der
4. Prämisse der Konsumkultur: Bedeutsamkeit von Lebensstilen; auch: Slater, 2005: 87; Griswold, 2004:
109), die hintereinander oder nebeneinander ausgelebt werden können. Ein Individuum kann von einem
Lebensstil zum anderen springen: ,,Everyone can be anyone." (Featherstone, 2005: 83-94). Darüber hinaus
26
Zur Definition von ,,Distinktion": Unterscheidung, Hervorhebung, Auszeichnung. Siehe Bourdieu (1982);
Alexander (2003: 228-235); Slater (2005: 159); Kolb (2000: 38-39); Diaz-Bone (2002: 31-37).
27
Auch eine Form von Konsumkritik, die hier nicht näher erläutert werden kann. Vgl. zu Konsumverzicht
Schmidbauer (1972: 101-140). Zu Konsumkritik, siehe Abschnitt 2.4 dieser Arbeit.
Symbolic meanings
of consumer goods
You
as you want to be
You
as you are

15
haben Lebensstile nicht nur eine die Individualität stützende, sondern auch eine soziale Dimension (Punkt
(b): Konsum als Instrument sozialer Integration), so Giddens (1991: 81):
,,Lifestyles are routinised practices, the routines incorporated into habits [...] and favored milieus for
encountering others [...] life style concerns the very core of self-identity, its making and remaking."
2.2 Lebensstile: Gibt es eine Wahlfreiheit?
Zu den bedeutendsten gesellschaftlichen Lebensstilkonzepten zählen Bourdieus Theorie der feinen
Unterschiede (Kohl, 2006: 4) und Schulzes Erlebnisgesellschaft (Jäckel, 2004: 181ff.).
28
Das Verständnis
von Lebensstilen nach diesen beiden Vertretern ist nicht mit dem heutigen popularistischen Begriff
,,Lifestyle" zu verwechseln. Um dem für diese Arbeit wesentlichen Verständnis von Lebensstilen
entgegenzukommen, wird in Anlehnung an Schwenk (1996: 79ff.), der sich sehr ausführlich mit dieser
Thematik befasst, eine Beschreibung der Lebensstile als besonderer Lebensentwurf und ihrer Funktionen
(auch Chaney, 1996: 25-42; Jäckel, 2004: 180; Foscht/Swoboda, 2007: 125; Heinrichs/Klein, 1996: 185)
geliefert: Lebensstile sowie im Allgemeinen die Zugehörigkeit zu Gruppierungen bestimmter
Lebensgestaltungen und -symbolisierungen gewinnen in postmodernen Gesellschaften an Identität bildender
und normativer Kraft. Festzuhalten ist dabei die bereits bekannte doppelte Bedeutung des Lebensstilbegriffs:
Es geht um Integration und Differenzierung. Im Lebensstil werden Orientierungspunkte gesetzt, mittels derer
nach innen soziale Zugehörigkeit (Sicherheit und Orientierung in der modernen Gesellschaft) und nach
außen soziale Abgrenzung erkennbar sind (Schwenk, 1996: 73). Der bedeutende österreichische Arzt und
Tiefenpsychologe Sigmund Freud,, der als Begründer der Psychoanalyse gilt, benannte dies als ,,Narzissmus
kleiner Differenzen" (Fröhlich, 1994: 32; Lewis/Bridger, 2001: 30). Lebensstile sind nicht nur in Bezug auf
gesellschaftliche Integration zu betrachten, sondern gleichzeitig sind sie immer auch Ausdruck
gesellschaftlicher
Differenzierung. Dieser Wunsch nach Distinktion löst eine ungeahnte Kreativität aus, so
Ullrich (2006: 35, 50). Als Beispiel nennt er die zu Konsumbürger mutierten Bildungsbürger (in Anlehnung
an Bourdieus Bildungs- und Besitzbürgertum), die seit David Brooks Werk mit dem Titel ,,Die Bobos. Der
Lebensstil der neuen Elite" als ,,Bobos", bourgeoise Bohemiens, bezeichnet werden. Damit greift Brooks,
Kanadisch-Amerikanischer Journalist und Autor, Veblens Idee des demonstrativen Konsums ca. 100 Jahre
später wieder auf. Die Bobos verfügen über eine Kennerschaft stilistischer Feinheiten und Produkte, die
geschichtlich und kulturell eine hochspezifische Bedeutung aufweisen und mit deren Hilfe sie zu vielfältigen
Lebenskonzepten gelangen.
Des Weiteren sieht Schwenk den Lebensstil als einen Modus der Hervorbringung von Wirklichkeit. Der
Lebensstil ist nicht nur über Ästhetisierung oder Expressivität zu begreifen, wie es häufig in kulturalistischen
Ansätzen geschieht; die im Lebensstil generierten symbolischen Formen sind nicht bloß vorgestellte
Ausdrucksweisen, hinter denen ein ,,wahrer Kern" zu enthüllen ist, sondern die Ausdrucksmittel sind
28
Andere bedeutende Theoretiker des Konsumverhaltens respektive des Lebensstildiskurses sind der bereits
vorgestellte Veblen, Weber (Kurzeinführung in Schulze, 2003: 392), Simmel (Schwenk, 1996: 93;
Dangschat et al., 1994: 122-125; Eickelpasch, 1997: 12-16), denen ich mich in der Arbeit auszugsweise widme.

16
zugleich Wirklichkeitskonstruktion: Darstellungen durch Lebensstile oder Stilbildungen sind
Wirklichkeitserzeugung (Schwenk, 1996: 38ff., 50), wie es im Folgenden noch von Bedeutung ist.
Schulze (1993: 59) zufolge hat sich in der Wohlstandsgesellschaft angesichts der Austauschbarkeit der hoch
qualitativen Produkte durch Standardisierung, Rationalisierung und Technisierung sowie der Existenz von
gesättigten Märkte ein sinnlich-orientierter Lebensstil herausgeprägt, dessen Leitmaxime ,,Erlebe dein
Leben!" lautet. Diese Erlebnisorientierung und die damit einhergehende Entfaltung des neuen
Gemeinschaftstypus ,,Erlebnisgemeinschaft" wird in den folgenden Abschnitten 2.2.2 und 3.2 ausführlich
erklärt. Bei dem älteren Vertreter Bourdieu ist der Lebensstil Bestandteil des ,,kulturellen Kapitals", was i. w. S.
den Bildungsgrad bezeichnet (Throsby, 2001: 45ff.). Bedingt durch eine bestimmte Soziallage, respektive
einer bestimmten Klassenzugehörigkeit, erzeugt der Habitus
29
, als (erworbenes) Handlungs-, Denk- und
Wahrnehmungsschemata, einen spezifischen Lebensstil, dem das Individuum sich zugehörig fühlt und der
sich in bestimmten kulturellen Praktiken äußert (Fröhlich, 1994: 35ff., 43ff.; Kohl, 2006: 11-14). Demnach
sind Lebensstile Produkte des Habitus und nach diesem deterministischen Ansatz Bourdieus' nur eine neue
Dimension der schon immer existierenden sozialen Ungleichheit. Konträr dazu verläuft die Theorie der
Consumer Culture und der Vertreter der Lebensstilkonzepte wie Schulze, die der Ansicht sind, dass sich die
modernen Konsum- und Kulturgesellschaften mittels der Lebensstile, die durch narzisstischen Konsum von
Gütern mit Symbolgehalt, Zeicheninhalt oder Erlebnisattributen erzeugt werden, von sozialen Klassen und
Schichten
30
befreien (5. Prämisse der postmodernen Konsumkultur: Auflösung der sozialen Strukturen in
Lebensstile; Keim, 1999: 70-71; Hradil, 1987; Schulze, 1992): ,,Class has been abandoned in favour of the
more fluid and indeterminate concept of lifestyle, in which actors construct their cultural identities almost at
will, subject only to the vagaries of choice," so Warde (1997: 1). Demnach hat der Wandel von den Klassen
zu den Lebensstilen einen nivellierenden Effekt und soziale Mobilität wird in jede Richtung möglich.
Ausschließlich die aktive und bewusste (Konsum-)Wahl des Individuums, die den persönlichen Lebensstil
formt (Schulze, 2000: 129), ist entscheidend für den sozialen Status, mit dem ein bestimmter Platz in der
Gesellschaft eingenommen wird (Bauman, 1998: 86; Giddens 1991: 81). So wird Konsum i. w. S. zu einem
umfassenden charakteristischen gesellschaftlichen Phänomen (Chaney, 1996: 3-13), da ,,[...] die Masse der
Konsumenten [...] mit [der] Gesellschaft koextensiv wird: Der Konsum [...] wird zu einem Ort, an dem sich
die individuierte Masse der Konsumenten [...] durch ihre Kaufakte artikuliert und damit immer auch
Gesellschaft, respektive ihre kulturellen [und sozialen] Klassifikationsmerkmale, (re-) konstituiert."
(Schrage, 2003: 58) Ob Lebensstile zur individuellen Entkoppelung von einer bestimmten sozialen Lage,
respektive zur Entstrukturierung, beitragen oder den weiteren Bestand der sozialen Ungleichheit nähren
(Dangschat et al., 1994: 150-168), bleibt zu klären. Eine weisende Richtung darauf gibt der folgende Abschnitt.
29
Bourdieu verwendet Habitus synonym mit ,,Geschmack" als System von Klassifikationsschemata (Fröhlich, 1994:
42ff.). Wie Geschmack und Lebensstile sich wechselseitig bedingen, erklärt auch Kohl (2006: 13).
30
Zur Definition von ,,sozialen Schichten": Soziale Schichten sind eine Gruppe von Personen mit gleichem Status,
welcher wiederum anhand von Beruf, Herkunft, Einkommen, Besitz, etc. gemessen werden kann
(Foscht/Swoboda, 2007: 143).

17
2.2.1
Individualisierung in der Vielfalt
Mit den erweiterten Möglichkeiten der Entwicklung und Inszenierung differenzierter Lebensstile für ein
jedes Individuum geht konsequenterweise die Individualisierung von Lebenslagen und Pluralisierung von
Lebenswegen einher (Beck, 2003: 206; Schwenk, 1996: 73-77). Lash und Urry (1994: 61) sprechen vom
Prozess der Enttraditionalisierung, in der die Individualisierungstendenz erst aufblüht, da weder Familie
noch soziale Klassen den individuellen Konsum beeinflussen. Doch ohne Orientierungsrahmen ist das
Individuum gefordert und gezwungen, aus einer Vielzahl von Optionen, die die materielle und symbolische
Reproduktionswelt anbietet (Hollein, 2006: 166), zu selektieren: ,,[...] individuals are forced to decide, to
take risks, to bear responsibilities, to be actively involved in the construction of their own identities for
themselves to be enterprising consumers." (Lash/Urry, 1994: 61). Dadurch vergrößert sich die
Selbstthematisierung der Individuen ungemein. ,,Das Leben wird verstärkt innen geleitet [siehe auch
innenorientierte Erlebnisrationalität nach Schulze, d. Verf.] zum selbstreflexiven lifestyling - das heißt:
Identität wird individueller und zur dynamischen Arbeit am Selbst [auch ,,Self-Fashioning" genannt;
Meschnig et al., 2005: 12, 76; Bolz, 2002: 96f.; Ders., 1997: 225]." (Keim, 1999: 70f.; Gleiches berichtet
auch Frau Dr. Müller-Friemauth von der Sinus Sociovision GmbH). Praxisnahe Beispiele für die enorme
Individualisierungstendenz sind die neuen, maßgeschneiderten Produkte, die derzeit auf den Konsummarkt
strömen: Der Konsument wird ermutigt und angeleitet, sich seine Ware selbst zu gestalten. Das Werkzeug
dazu ist das Internet. So gibt es bspw. die Möglichkeit, individuell gestaltete T-Shirts zu kreieren oder die
persönliche Müsli-Mischung zusammenzustellen.
31
Im Rahmen des Individualisierungsschubs wird von der bereits erwähnten Entbindung des Individuums
gesprochen: Klasse und soziale Schicht werden regelrecht ,,wegindividualisiert". Die Ursache hierfür sieht
der deutsche Soziologe Ulrich Beck im ,,Fahrstuhl-Effekt" (Beck, 1986: 124). Das Mehr an Geld und Zeit,
Bildung und Wohlstand, sprich die allgemeine Anhebung des Lebensstandards, hat dazu geführt, dass fast
alle Bevölkerungsgruppen heutzutage ,,eine Etage höher fahren" (Jäckel, 2004: 33), was die Verbraucher-
analyse (VA) von 2007 von Axel Springer und der Bauer Verlagsgruppe (www.verbraucheranalyse.de)
bestätigt: Die Wohlstandsgesellschaft löst die Klassengesellschaft auf. Der Fahrstuhleffekt wird dabei vom
,,Trickle-Down-Effekt" begünstigt (König, 2000: 452; Ullrich, 2006: 127). Durch Nachahmung werden
Lebens- und Konsumgewohnheiten vereinheitlicht, so dass sich neue, insb. kostspielige Güter und
Dienstleistungen sozial von oben nach unten verbreiten: ,,Das jeweilige Aufwandsniveau für die eigene
Lebensführung [orientiert] sich in der Regel an der nächst höher gelegenen Klasse." (Jäckel, 2004: 40)
Dabei sind nicht nur die mittleren Klassen der Faszination des Prestiges der oberen Klassen erlegen. Auch
die unteren Klassen werden von dem Einfluss dieses Prestigewunsches erfasst, was die kontinuierliche
Dynamik eines steigenden Lebensstandards begünstigt (Jäckel, 2004: 71).
Hieran anschließen möchte ich die Diskussion, ob soziale Differenzen in der postmodernen Konsumkultur
beibehalten oder überwunden werden: M. E. verallgemeinert der Fahrstuhleffekt zwar den Wohlstand, doch
31
Siehe http://www.mymuesli.com/; http://www.shirtcity.com/; www.customize-your-life.de; 13.02.08, 14:37 h.

18
eine vertikale Schichtstruktur innerhalb der Gesellschaft besteht fort. Die Zeichenhaftigkeit und
Ästhetisierung der Alltagswelt geht zwar einher mit der Dynamik und Kraft des gesellschaftlichen
Individualisierungsschubes zur Selbstidentifikation und -konstruktion durch den Konsum, dies setzt aber
voraus, dass jedem Individuum die finanziellen, sozialen und kulturellen Mittel, respektive Kapital, in
gleichem Maße zur Verfügung stehen und sie gleichermaßen damit handeln können. Diese Voraussetzung ist
in unserer Gesellschaft faktisch nicht gegeben, so dass die These, Lebensstile lösen Schichten und Klassen
auf, kritisch gesehen werden sollte (Emmison, 2003; Endruweit, 2000: 11, 25ff.; Kohl, 2006: 40; Lury, 1996:
43; Zukin, 2004: 262-263; Busse, 2006: 239; Gans, 1999: 8; u. v. m.).
2.2.2
Lebensstile und Milieutypisierungen am Beispiel von Schulze
Der Lebensstildiskurs mündet in einer Vielzahl von Lebensstiltypisierungen oder Milieutypisierungen, denn
der Begriff ,,Milieu", eingeführt vom französischen Soziologen Émile Durkheim, bezeichnet eine (möglichst
homogene) Lebensstilgruppe. Der Soziologe Gerhard Schulze (1993) hat in einer grundlegenden
kultursoziologischen Studie zur Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1985 fünf Erlebnis-Milieus
herausgearbeitet. Bei Schulze wird die Suche nach Erlebnissen zum hauptsächlichen Zweck sozialen
Handelns (,,ästhetische Beziehungswahl"), welches die Bildung der Lebensstile bestimmt. So ergeben sich
individuelle, dennoch milieutypische, sprich kollektive Stile der Erlebnisorientierung. Dabei fasst er die
unendlich große Vielfalt der Lebensstile in drei kollektive Schemata
32
alltäglicher Präferenzen zusammen, an
denen sich die sozialen Milieus in ihren Handlungen orientieren. Die fünf Erlebnismilieus, die als soziale
Gruppen gelten und deren Mitglieder sich ,,durch erhöhte Binnenkommunikation auszeichnen und typische
Existenzformen aufweisen" (Schulze, 1993: 15; Ders., 1992: 23, 170) sind:
- das Niveaumilieu
- das Selbstverwirklichungsmilieu
- das Integrationsmilieu
- das Harmoniemilieu
- das Unterhaltungsmilieu (Zur differenzierten Charakterisierung dieser Milieus, siehe Anhang Nr. 1)
33
32
Die Schemata bilden Dimensionen eines historisch gewordenen, dreidimensionalen Raums der Alltagsästhetik, in
dem sich die gegenwärtigen, milieuspezifischen Erlebnisorientierungen verorten lassen und sich die Handelnden durch
die Auswahl der Erlebnisangebote und die Ausbildung persönlicher Stile selbst verorten. Die empirisch nachweisbaren
aktuellen stilistischen Kombinationen dieser drei grundlegenden alltagsästhetischen Schemata (Hochkultur-, Genuss,
Trivialschema) - dargestellt durch die Nähe bzw. Distanz zu den Dimensionen des Raums der Alltagsästhetik - ergeben
fünf Varianten der Erlebnisorientierung, denen entsprechende Erlebnismilieus korrespondieren: das Streben nach Rang,
nach Konformität, nach Geborgenheit, nach Selbstverwirklichung und das Streben nach Stimulation. Siehe hierzu:
http://www.perspektive89.com/2007/06/26/gerhard_schulzes_modell_der_erlebnismilieus; 27.11.07, 16:33 h.
33
Das Konzept der Erlebnismilieus ist umstritten. Fraglich ist bspw. die Anzahl der Milieus, die bei anderen
soziologischen Modellen viel höher ist: Kann man eine vielschichtige Gesellschaft auf nur fünf Milieus reduzieren?
Pauschalisierung wird befürchtet. Weitere Kritik betrifft das Fehlen wichtiger lebensweltlicher Dimensionen (bspw.
örtlich-räumlich). Auch ist zu fragen, wie stabil die Erlebnismilieus sind. Schulze hat seine Milieus anhand eines
einzigen räumlich-zeitlich beschränkten Datensatzes entwickelt. Die Aktualität des Milieumodells wird bezweifelt.
Andererseits ist in der geringen Milieuanzahl eine große Stärke des Modells zu sehen. Weiterhin sind, im Gegensatz zu
anderen Milieusegmentierungen, die Erlebnismilieus Schulzes überprüfbar und das Modell beinhaltet eine ganzheitliche
Auffassung des komplexen, facettenreichen Menschen.

19
2.2.3
Lebensstile zum Entdecken und Bedienen des Konsummarktes
Lebensstile sind Ausdruck der Persönlichkeit und enthalten Informationen über Vorlieben, Bedürfnisse und
Gewohnheiten im Freizeitverhalten sowie in den Konsumformen, so dass sie als Motor für die heutige
Konsumgesellschaft bezeichnet werden können. Die Analyse der vorhandenen Lebensstile weist auf Zeichen
oder Produkte (Waren, Ideen oder auch Personen) hin, denen Menschen nahe stehen, respektive die sie
konsumieren würden. Das heißt, es werden Güter, auch kulturelle (Griswold, 2004: 97), bevorzugt, deren
Symbolcharakter den individuellen Lebensstil dokumentieren oder sogar bestärken. Daher dienen soziale
Milieus und deren Lebensstile bei Zielgruppenanalysen als Ordnungssysteme zur Erklärung des
Konsumentenverhaltens (Horx, 2003: 12; Foscht/Swoboda, 2007: 125-129). Die meisten
Marktforschungsinstitute, aber auch große Unternehmen, Werbeagenturen oder Trendforscher bzw. die
Verbraucheranalyse gebrauchen diese Typologien, nach denen sich die Konsumenten in Segmente bzw.
Zielgruppen einteilen lassen, um trotz Individualisierungstrends gruppentypische Verhaltensweisen und
Orientierungsmuster, z. B. Regelmäßigkeiten im Konsumverhalten, identifizieren zu können. Die
vorgestellten Gro gruppen Schulzes sowie die Sinus-Milieus des Heidelberger Sozialforschungsinstituts Sinus
Sociovison GmbH als wichtigste soziologische Modelle (Ullrich, 2006: 128-130)
34
dienen Marketingspezialisten
als einflussreiche Instrumente der Marktforschung, welche wiederum nach berechenbaren Strukturen sowie nach
soliden Segmentierungsmodellen suchen (Heinrichs/Klein, 1996: 187-188; Terlutter, 2000: 41ff.). Folglich
bedienen und verkaufen Marketingexperten Lebensstile (Mazzoni, 1998: 15).
2.3 Trends in der Konsumgesellschaft
Wenn die Themen Konsum, Konsumgesellschaft und Konsumsoziologie behandelt werden, dürfen zwei
Aspekte nicht fehlen: die Konsumtrends
35
und die Konsum- bzw. Kulturkritik. Wegweisend für die
Konsumgesellschaft und das Marketing auf dem Käufermarkt sind Trends. Hier gehe ich auf zwei
prinzipielle und immer wieder zitierte Trends ein, die im Kontext meiner Arbeit von Bedeutung sind: Der
Trend der ,,Luxese" und der demografische Wandel hin zum ,,Best Ager" bzw. ,,Nach-Berufler"
(Opaschwoski, 2006: 307, 322). Diese decken sich auch mit den von Brockmeyer (2000: 39ff.) festgestellten vier
,,Megatrends", die neben dem demografischen Wandel und dem hybriden Konsumverhalten die Individualisierung
und Emotionalisierung der Konsumgüter mit einschließen, die aus der EG und von der Consumer Culture her bereits
bekannt sind. Alle Trends beeinflussen auch Kulturinstitutionen und ihre Produkte.
2.3.1
Trend Nr. 1: ,,Luxese"
Der branchenübergreifende Trend der ,,Luxese" ist vor allem aufgrund seiner Ambivalenz charakteristisch
(Horx, 2003: 22). Das Wort ,,Luxese" setzt sich aus ,,Luxus" und ,,Askese" zusammen und verbindet die
komplementären Konsumhaltungen, sowohl zu sparen als auch verschwenderisch zu leben. Auf die
Freizeitwelt und deren angebotene Erlebnisse bezogen, schreibt Opaschowski (1995: 68, 132):
34
Siehe: http://www.sinus-sociovision.de/; 13.12.07, 1:33 h; www.verbraucheranalyse.de/downloads/17/VA%20Sinus-
Milieus.pdf; 22.01.08, 14:45 h.
35
Eine eindrucksvolle Liste von aktuellen Trends ist unter www.trendwatching.com/trends zu finden.

20
,,Jeder Konsument wird zur gespaltenen Persönlichkeit, der das Einsparen ebenso beherrscht wie das
Verschwenden. Es kommt zur Polarisierung im Kaufverhalten: Trotz knapper Budgets boomen Low-Level-
Marken aus den unteren Preissegmenten und Spitzenprodukte. Auf der Strecke bleiben langfristig Produkte
der mittleren Preisklasse." (siehe auch Ullrich, 2006: 64; Horx, 2003: 34-35; Foscht/Swoboda, 2007: 143)
Opaschowski (1998: 36-38) führt die ,,Luxese", als Folgereaktion des Erlebniskonsums, auf die Verbindung
zwischen der protestantischen Konsumethik (Konsum aufgrund Nützlichkeit und Notwendigkeit) nach Max
Weber und der romantischen Konsumethik (Konsum auf Grundlage des Vergnügens und Genusses) des
englischen Konsumforschers John Campbell zurück (Ritzer, 2001: 116-117; auch Lury, 1996: 72ff.). Dabei
boomt auf der einen Seite der Luxus:
,,PREMIUMIZATION [= Luxus, d. Verf.] is not going to go away in 2008. Basically, with more wealth
burning holes in (saturated and experienced) consumers' pockets than ever before, quick status fixes derived
from premium products and premium experiences will continue in full force next year."
36
Auf der anderen Seite steht die Askese bzw. der Minimalismus in Form der sogenannten
,,Schnäppchenjäger", deren beliebter Konsumort die Discountermärkte sind, im Vordergrund
(Meschnig et al., 2005: 71; Horx, 2003: 36-37). Den Luxus der Zukunft versteht Bolz (2002: 103) als einen
,,unsichtbaren" Luxus, d.h. knappe Güter der heutigen Konsumenten wie Zeit, Aufmerksamkeit
37
und
Vertrauen werden den Luxus beinhalten (Lewis/Bridger, 2001: 21ff.; Horx, 2003: 36-37). Konträr zum
Luxus durchbricht die Askese eine weitgehend materiell-genussorientierte Konsumhaltung, indem die
Beschränkungen im Konsum einen eigenständigen Wert bekommen. Die ,,Luxese" vereint beide Trends,
indem sich der Konsument, meist spontan, zwischen sehr kostengünstiger Ware und Luxus- respektive
Prestigeobjekte entscheidet. Ullrich (2006: 181-183) sieht die Luxese nicht nur als Trend, sondern als
grundlegende Strategie eines funktionierenden Konsums in einer konsumkritischen Gesellschaft (siehe
Abschnitt 2.4.1): Um trotz dieser Konsum- und Kulturkritik, der befürchteten Ressourcenverschwendung
(Schmidbauer, 1972: 12ff.) und der Wohlstandsangst die Konsumenten zum Konsumieren anzuregen, bietet
es sich an, den Konsum zu negieren bzw. zu verniedlichen, indem dem Kunden suggeriert wird, gar nicht
materialistisch zu handeln. Billiganbieter erzeugen bei ihren Kunden das Gefühl, beim Einkaufen zu sparen
und daher gar nicht wirklich zu konsumieren. Die Läden sind nüchtern, pragmatisch und effizient
ausgestattet, gleich wie es Webers protestantische (Konsum-)Ethik beschreibt (Konsum aufgrund
Nützlichkeit und Notwendigkeit). Die Pflicht und Notdurft des Konsumierens steht im Vordergrund, was
besonders auffällig an den Preistafeln ist, die Sonderangebote und Sparvorteile ankündigen. Eine weitere
Taktik, die Ullrich benennt, ist die aus der Consumer Culture bekannte Ästhetisierung der Produkte: Der
Konsum muss eine Verklärung erfahren, so dass der Einkauf bzw. das Shopping zu einer ,,hochkulturelle[n]
Angelegenheit" (Ullrich, 2006: 183) bzw. zu einem symbolisch aufgeladenen Akt sublimiert wird, um auf
den Konsumenten kaufanregend zu wirken. Der Fiktionswert und das Image der Waren treten in den
Vordergrund, gleich dem Symbol- und Erlebniswert der Consumer Culture. Die Inszenierungen der Läden,
die sich einer solchen Entmaterialisierung des Konsums verschrieben haben, präsentieren ihre Waren wie
36
http://www.trendwatching.com/trends/pdf/2007_12_8trends2008.pdf; 17.12.07, 19:02 h.
37
Zur Aufmerksamkeit aus soziologischer Perspektive siehe insb. Franck (1998).

21
Exponate im Museum: ,,einzeln freigestellt, angestrahlt wie in einer Schatzkammer, dargeboten als Unikate"
(siehe Abschnitt 4.2.4.1). Teilweise verzichten die Boutiquen edler Marke sogar auf Preisschilder. Der Grund
dieser Taktik liegt in der Psyche des Konsumenten begründet: ,,Wird Konsum zu einem Geschehen der
Sinngebung überhöht, braucht man auch kein schlechtes Gewissen mehr zu entwickeln." (Ullrich, 2006: 182).
2.3.2
Trend Nr. 2: ,,Best Ager"
,,Angesichts der schrumpfenden Geburtenrate nimmt [...] Disneyland [...] Tokio eine neue Kundengruppe
verstärkt ins Visier: [...] mehr Senioren [sollen] angelockt werden: Besucher im Alter ab 60 Jahren [...]."
(Weser Kurier vom 22.02.08)
Die Kaufkraft spricht Horx (2003: 10) den ,,Master Consumern" zu, den finanzkräftigen 50- bis 70-Jährigen
mit freier Zeitverfügung, die vom Disneyland Tokio bereits als wichtige Zielgruppe erkannt wurden.
Terlutter (2000: 127) sagt darüber hinaus dieser Konsumentengruppe die höchste Prestige- und
Bildungsorientierung im kulturellen Bereich zu, was für den folgenden Verlauf meiner Arbeit von
Bedeutung ist. Laut Pressebericht zur VA 2007 wird sich die demografische Alterung in den nächsten
Jahrzehnten weiterhin verstärken. Museen sollten daher diesen Trend in ihren Marketingstrategien
berücksichtigen (Dreyer/Wiese, 2004: 166ff.; Schäfer, 1996: 279). Um auf diesen Trend der ,,jung
gebliebenen Senioren" (Opaschowski, 2006: 330) zu reagieren, sollen Museen schon im jungen Alter Lust
auf Ausstellungen machen. Die Besucherbindung sollte bestenfalls schon ,,in der Wiege" erfolgen. Dass
junge Konsumenten in der Kunst und Kultur bereits gefördert werden, bestätigen empirisch Gottschalk (2006:
165ff.) und Terlutter (2000: 282). Doch es soll zu einer individuellen und direkten Ansprache der Besucher in jeder
Lebensphase kommen, was in Zeiten der Standardisierung und Massenware zwar kein leichtes Unterfangen ist, doch
die einzige Möglichkeit bietet, den (Kultur-)Konsument zu (er-)werben (Dreyer/Wiese, 2004: 172-173).
2.4 Die Konsum- und Kulturkritik und deren postmoderne Antworten
In diesem Abschnitt wird ein Überblick über die Konsum- und Kulturkritik der 1950er Jahre gegeben, da sie
Grundlage späterer Diskussionsstränge ist, die in dieser Arbeit entstehen werden (w. z. B die Frage der
Kommerzialisierung von Kultur im Kontext der MS). Dieser Kritik folgt die postmoderne Sichtweise auf den
Konsum und dessen Gesellschaft. Sie liefert Einblick in den aktuellen Stand der deutschen Konsumsoziologie.
2.4.1
Die Konsum- und Kulturkritik der 1950er Jahre
,,Der Mensch von heute ist konsumsüchtig."
(Erich Fromm (1991: 119), deutsch-amerikanischer Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe)
Die Konsumkritik der 1950er Jahre, die der heutigen Konsumsoziologie vorangeht
38
, so Hellmann und
Schrage (2004), spielt beim Thema Konsum eine wichtige Rolle. In diese Kritik fließt gleichzeitig eine
38
Eine prägnante Zusammenfassung der neueren Perspektive der Konsumsoziologie liefert Koppetsch (2006: 176-195).

22
Kritik an der Kultur (respektive Unterhaltungs-/Kulturindustrie, Trivial-/Populär-/Massenkultur)
39
ein. Die
traditionellen Ansichten des Konsums und seiner Kultur stehen den postmodernen Ansichten entgegen. Aus der
Kritik am Konsum (aus den traditionellen Reihen) hat sich eine zweite Kritik (der modernen Vertreter) entwickelt,
sozusagen die Kritik an der Kritik. Beide Ansichten sind für diese Arbeit von entscheidender Bedeutung und werden
im Folgenden in ihren prinzipiellen Aspekten vorgestellt. Einige Schlagwörter zur Konsumkritik sind:
- Verdinglichung
- Konformismus/entindividuierende Vermassung
- Manipulation
- Entfremdung
Konsumieren ist demnach ein unter dem Einfluss kulturauflösender Instanz stehendes, fremdbestimmtes
Handlungsgefüge aufgrund deindividuierender Vermassung und Verdinglichung (Hellmann/Schrage,
2005: 218-228). Mit Verweis auf einige der populärsten Vertreter der Konsum- und Kulturkritik vornehmlich aus
der Frankfurter Schule sowie deren Beeinflussung durch den deutschen Philosoph Hegel, dem Theoretiker des
Kommunismus Karl Marx, der sich auf Hegel stützt, dem bereits bekannten Weber und dem ungarischen
Philosophen, Literaturwissenschaftler und -kritiker Georg Lukács, stelle ich den Inhalt der Konsumkritik dar:
Ein Großteil der Konsumkritik ist auf die Kulturtheorie Lukács' (1985/1919)
40
zurückzuführen, der von dem
,,verdinglichten Bewusstsein" und der ,,Verdinglichung sozialer Verhältnisse" spricht (Schrage, 2003: 20ff.).
Er bezieht sich dabei auf die Entfremdungstheorie des frühen Marx und dem in seinem Werk ,,Das Kapital"
auftretenden Warenfetischismus (Marx, 1962: 89; Lukács, 1967: 94; auch Hellmann/Schrage, 2004: 19;
Koppetsch, 2006: 187). So liegt der Grund für die Entfremdung und Verdinglichung des Menschen in dem
Fetischcharakter der Ware. Marx zufolge lassen sich alle Formen der Entfremdung auf die ökonomische
Entfremdung, d.h. auf die Entfremdung der Arbeit im kapitalistischen Produktionsprozess zurückführen.
41
Marx sieht die warenförmige Beziehung über den menschlichen stehen, genauso wie der Tauschwert der
Ware und die Profiterzielung durch die Güter über deren Gebrauchswert stehen. Die Ware erhält somit ein
Eigenleben gleich dem in archaischer Gesellschaft existierenden Fetisch, so dass Marx das Phänomen als
Warenfetischismus bezeichnet. Die objektive Wahrheit, so Marx, verschwindet hinter dem ideologischen
Schein des Warenfetisches (Grunenberg, 2002: 17). Die Konsumkritik greift dies erweiternd auf: Der
39
Das Konzept der Massenkultur verweist vor allem auf die gesellschaftsdiagnostische Komponente
konsumsoziologischer Forschung. ,,Massenkultur" kann als die übergreifende Kultur der gegenwärtigen Gesellschaft
verstanden werden, die kulturelle Gehalte und Bedeutungen auf vielfältige Art und Weise für die Gesamtheit der
Bevölkerung verfügbar macht. Massenkultur leistet die wichtigste Orientierung in der modernen, durch Technisierung,
Ökonomisierung, Ästhetisierung und Demokratisierung geprägten Wirklichkeit, indem sie all jene Wahrnehmungs- und
Handlungsmuster bereitstellt, die in ihrer Gesamtheit für jeden einzelnen ein Universum von Selbstverständlichkeiten
ausmachen. Deren Geltung ist dabei keine primär normative, sondern abhängig von der am Markt, in den Medien und
durch den Konsum manifestierten Akzeptanz eines Massenpublikums. Durch die Verbindung von Konsumsoziologie
und Massenkultur können die in den einzelnen Beiträgen erforschten Konsumphänomene auf die Frage nach der
gesellschaftlichen Funktion des Konsums in modernen Gesellschaften bezogen werden (auch Opaschowski, 2000: 54).
40
Eine kurze Einführung in Leben und Schaffen von Georg Lukács, siehe Nünning (2004: 410) und http://www.uni-
essen.de/einladung/Vorlesungen/poetik/lukacsth.htm; 12.02.08, 12:58 h.
41
Die Entfremdung der Arbeit besteht darin, dass der Gegenstand der Arbeit (das Arbeitsprodukt) für den Lohnarbeiter
zu etwas Fremden wird; genauer: zu einer Ware, die der Arbeiter für einen anonymen Markt schafft. Dadurch
entfremdet sich der Arbeiter nicht nur vom Produkt seiner Tätigkeit, sondern auch von der Tätigkeit selber. Beide
Aspekte führen dazu, dass der Arbeiter sich von sich selbst entfremdet.

23
Warenfetischismus bezieht sich demnach auf jede Konsumware und die durch Werbung ausgelösten
Verlockungen (Hellmann/Schrage, 2004: 20). Die Werbung als Manipulator erzielt aus Sicht der
Konsumkritik eine mit dem Massenkonsum eng verbundene, permanente Steigerung der Konsumwünsche
(Koppetsch, 2006: 177-178, 187f.). Das Individuum und seine Subjektivität werden in die Werbung und
somit in die kapitalistische Produktion und Konsumption integriert, was eine autonome
Selbstvervollkommnung und damit i. w. S. die ,,wahre" Kultur untergräbt. Nach Tocqueville (1985: 282ff.)
steht der selbst zu bestimmenden Entfaltung des Individuums ein massenförmiges Kollektiv gegenüber.
Ein weiteres häufig angebrachtes Argument im Diskurs der Kommerzialisierung, respektive der Konsum-
und Kulturkritik, ist der Konformismus bzw. die Standardisierung, was auf Marx und Hegel zurückzuführen
ist (Hellmann/Schrage, 2004: 23). Beim Konformismus geht es um die problematische Freisetzung des
Menschen aus einem bis dato stabilen Ordnungsgefüge: Die Kultur wird als System der Werteorientierung
und Verhaltensmuster verstanden, während der Konsum diese Instanz der Orientierung und Einfügung des
Individuums in die Gesellschaft sprengt. Wenn also Masse und Kultur, Konsum und Kultur
zusammenfinden, so wird die Kultur, negativ ausgedrückt, nivelliert, womit unserer Gesellschaft die
kritische Instanz genommen ist, wie Habermas (1970a/1970b: 33, 46-47; auch Heidbrink et al., 2007: 102) in
seinem Aufsatz ,,Notizen zum Missverhältnis von Kultur und Konsum", welcher zentrale Elemente der
Konsumkritik enthält, festhält: ,,Kultur ist kritisch und Konsum nicht."
42
Dass das Zusammentreffen der
Kultur mit dem Konsum auch anhand einer positiven Formulierung dargestellt werden kann, wird im
nächsten Abschnitt, an der Kritik dieser Kritik, erklärt. Dennoch wird der soeben vorgestellte Kritikpunkt
stark vertreten, bspw. von Herbert Marcuse (1967/1984: 21, 27), der seine Konsumkritik am Befund eines
,,eindimensionalen Menschen" festgemacht hat. Dabei spricht Marcuse von einer ,,politische[n] und
geistige[n] Gleichschaltung", ausgelöst durch den technischen Fortschritt der industriellen Zivilisation. Es
herrscht ,,[e]ine komfortable, reibungslose, vernünftige, demokratische Unfreiheit" bzw. eine aus rationalen
Gründen erreichte Unterdrückung der Individualität, um die ,,Mechanisierung gesellschaftlich notwendiger,
aber mühevoller Veranstaltungen" verwirklichen zu können (Busse, 2006: 23). Gans (1999: 61-62) kritisiert
Marcuses Ausführungen, indem er bedauernd feststellt, dass Marcuse sich selbst das Recht herausnimmt, zu
definieren, was demokratisch und anti-demokratisch ist. Marcuse akzeptiert keine Kultur außer der revolutionären.
Horkheimer und Adorno sind mit ihrem Werk ,,Dialektik der Aufklärung" und der darin enthaltenen Kritik
an der Kulturindustrie
43
weitere wichtige, wenn nicht sogar die Vertreter der Konsumkritik. Sie gehören der
Frankfurter Schule der 1950er Jahre an, die wiederum immens von Lukács beeinflusst war (Nünning, 2004:
195-197). Horkheimer und Adorno (1988: 1ff., 167) verstehen die Kultur als eine gesellschaftskritische
Errungenschaft bzw. Sphäre (siehe auch zuvor genannten Habermas, der von Adorno und Horkheimer
geprägt ist). Der moderne Konsum ist für diese beiden Theoretiker eine konformistische Unterwerfung des
42
Siehe auch den Artikel ,,Die Postmoderne", Abschnitt ,,Die postmoderne Kunst"; unter: http://der-
verwerter.ch/?page_id=11; 27.11.07, 16:53 h.
43
Zur Definition von ,,Kulturindustrie": Die Kulturindustrie ist die industrielle Massenproduktion von Kulturgütern
(Heinrichs/Klein, 1996: 146).

24
menschlichen Bewusstseins unter die instrumentelle und rationale Logik der Produktion. Industriell
hergestellte, rationalisierte Kultur wird kommerziell vermarktet und soll Profit erzeugen. Wenn die
Kulturindustrie durch technische Reproduktion und massenhafte Vermarktung Kultur als ,,Ware" liefert, so
wird der Mensch nur noch Konsument dieser Ware sein (Adorno: 1967: 62; Stallabrass, 2002: 224-225).
Massenproduktion und Nachahmung verkörpern dann die Realität. Dem gegenüber steht die ,,authentische"
Kultur, welche frei von der Ökonomie und dessen Zweckrationalität zu verstehen ist. Sie ist Selbstzweck und
lässt Freiraum für eigenständiges menschliches Denken. Doch die Rationalisierung und die Verdinglichung
der Kultur (nach Lukács) führen via Standardisierung zur kulturellen Verarmung und zum kulturellen Verfall
der Gesellschaft. Anstelle des selbstbestimmten, individuellen Genusses und der Kennerschaft der
,,authentischen" Kultur, treten Dabeisein, Bescheidwissen und Prestigegewinn durch den Konsum
industrieller Kultur in den Vordergrund
44
. Die Folge ist nach Baudrillard (1998: 108): ,,[...] culture is subject
to the same competitive demand for signs as any other category of objects and that it is produced to meet the
demand." Der nachfrageorientierten Produktion schließt sich die Manipulation von Bedürfnissen der
Konsumenten sowie deren ständige Erneuerbarkeit und Steigerung bis hin zur Unersättlichkeit an
(Nünning, 2004: 360-361). Konsumenten verlieren die untere Bedürfnisgrenze aus dem Blick und sie
orientieren sich an Wünschbarem, als dessen Zeichen die Konsumgüter fungieren (Haug, 1972). Die
Kulturindustrie wird ein totales und in sich homogenes System, welches die Bevölkerung betrügt
(Horkheimer/Adorno, 1988: 125; auch: Wertheimer, 2001: o.S.). Die ,,wahre" Kunst, insb. die Hochkultur,
wird entwertet (Horkheimer/Adorno, 1988: 129, 150; Busse, 2006: 23), was die Bevölkerung verdummen
lässt. Ich möchte an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, dass Horkheimers und Adornos Ansicht,
ausschließlich die Hochkultur und die Kunst als ,,wahre" Kultur anzuerkennen, kritisch zu sehen ist, da es
sich hierbei um eine sehr elitäre Auffassung handelt (Colin, 1987: 32). Auch hier stellt sich die Frage, wer
festlegen darf, was ,,wahre" bzw. ,,authentische" Kultur ist und was nicht.
Die Konsum- und Kulturkritik abschließen möchte ich mit dem bereits bekannten Baudrillard und Umberto
Eco, italienischer Schriftsteller, Philosoph, Medienwissenschaftler und sicher der bekannteste
zeitgenössische Semiotiker. Beide halten in ihrer Kritik an der Kulturlosigkeit noch fest:
,,Die Populärkultur der Unterhaltungsindustrie verspreche das Authentische, Reale; tatsächlich aber
verweise das Hyperreale [...] auf [...] Erlebniswelten, in denen die Einbildungskraft das absolut Echte und
Wahre haben will und dazu das absolut Falsche benötigt." (in: Heinisch, 1988: 83).
2.4.2
Postmoderne Antworten auf die Konsum- und Kulturkritik
Die Konsum- und Kulturkritik von 1950 mit ,,de[m] anklagende[n] Tonfall der guten alten
Kulturpessimisten" (Busse, 2006: 23) erscheint heute nicht mehr plausibel, so Hellmann und Schrage
(2004: 18). Sich dieser Meinung anschließend, stellt Prisching (2006) unter dem Titel ,,Von der alten
44
Siehe auch den Artikel ,,Die Postmoderne", Abschnitt ,,Die postmoderne Kunst"; unter: http://der-
verwerter.ch/?page_id=11; 27.11.07, 16:53 h.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836633277
Dateigröße
1.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg – Fakultät für Bildungs-, Kultur- und Sozialwissenschaften, Angewandte Kulturwissenschaften
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
museumswesen konsumsoziologie lebensstil disneyization mcdonaldisierung
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Titel: Der Museumsshop als Schnittstelle von Konsum und Kultur
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